Magische Welten - Marilyn Schröder - E-Book

Magische Welten E-Book

Marilyn Schröder

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Beschreibung

Afra ist tot. Das Schlimmste, das Alenka passieren konnte. Ermordet von ihrer Freundin! Als die sadistische Julia jedoch einen Gesandten zu Alenka schickt, scheint es plötzlich noch Hoffnung für ihre Schwester zu geben. Doch die Folgen ihrer Rettung bringen dramatischere Konsequenzen mit sich, als auch nur irgendjemand erahnen konnte. Und auch die Hochzeit scheint keine gute Idee zu sein...

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Seitenzahl: 356

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Für meine Cousine Liana, die mir stets mit Rat und Tat inspirierend zur Seite stand.

bisher erschienen:

Band 1 – Die Macht des Steins

Band 2 – Fluch der Finsternis

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

1. Kapitel

Alenka kniete noch immer zitternd am Boden, während ihr ununterbrochen Tränen über die Wangen rannen. Langsam richtete sie sich nun auf und ging schwankend auf den leblosen Körper ihrer Schwester zu. Schluchzend fiel sie neben ihr auf die Knie. Sie schloss die Augen und versuchte einen Gedanken, ein Gefühl, irgendetwas von ihr wahrzunehmen.

Doch da war nichts! Nichts, das Alenka hätte spüren können! Nur undurchdringliche schwarze Leere.

Afra war tot!

Das Blut, das noch immer an dem Hals ihrer Schwester klebte, schimmerte rötlich auf ihrer dunklen Haut.

Alenka konnte es nicht glauben. Afra konnte nicht tot sein! Nicht jetzt! Nicht nachdem sie jetzt endlich hätte leben können - jetzt, nach 17 Jahren Gefangenschaft, jetzt, da die Welt wieder ihre Ordnung bekam!

Und egal, wie schockiert und traurig sie damals über Devilias Tod gewesen war, das war nichts im Vergleich hierzu. Außerdem lebte Devilia und nun hasste Alenka sie! Sie hasste sie, wie sie nie geglaubt hatte, jemanden hassen zu können. Nicht einmal Thyra, die ihre Eltern ermordet und Alenka bei ihrer Verurteilung vor wenigen Tagen noch verhöhnt hatte.

Und trotzdem war sie nicht im Stande gewesen, Devilia zu töten.

Das schrieb sie allein dem lähmenden Schock zu, den sie über den Mord an ihrer Schwester verspürt hatte. Und zu allem Überfluss war auch noch ihre Freundin dafür verantwortlich gewesen.

Und dann hatte sich natürlich auch noch Julia einmischen müssen! Diese Vampirin widerte Alenka einfach nur an. Sie hatte Devilia zu einer Mörderin gemacht. Sie war schuld an Afras Tod!

Plötzlich hörte Alenka ein sanftes Klopfen an der Tür. Erschrocken erhob sie sich und straffte die Schultern, während sie die Tränen hastig von ihren Wangen wischte. Niemand sollte sie so sehen. Das ließ ihr Stolz nicht zu. Doch ihre Hände wollten nicht aufhören zu zittern und Alenka verbarg sie schnell hinter ihrem Rücken, als sie sich von Afras leblosem Körper abwandte.

„Herein!“, rief sie mit nach vorn gerecktem Kinn, doch ihre Stimme klang brüchig.

Leise wurde die große Flügeltür geöffnet und David trat ein. Seine hellblauen Augen musterten Alenka mitfühlend, als er auf sie zuschritt und sie sanft umarmte.

Alenka lehnte ihren Kopf dankbar gegen seine Schulter. Sie wusste, dass David sie verstand. Schließlich hatte auch er seine komplette Familie verloren – am selben Tag wie sie. Er brauchte auch nichts zu sagen, einfach seine Nähe tat gut.

Beruhigend strich er ihr über das Haar, während erneut Tränen in Alenkas Augen traten und sie das Gesicht an seiner Schulter verbarg.

Irgendwann hörte sie auf zu weinen. Sie war einfach nur noch traurig, innerlich zerrissen von unendlichem Kummer. Afra war wie ein Teil von ihr selbst gewesen. Alenka brauchte ihre Schwester. Was sollte sie nur ohne sie tun?

„Einer von Julias Leuten ist da“, flüsterte David ihr leise ins Ohr.

Abrupt hob Alenka den Kopf, als sie den Namen der Vampirin hörte. Sie spürte kaum, wie sie hart mit der Stirn gegen Davids Kinn stieß.

„Au!“ Er hob seine Hand und massierte die schmerzende Stelle. „Was…?“, begann er, doch Alenka ließ ihn nicht ausreden.

„Schick ihn herein!“

„Du könntest aber auch…“, wandte David ein, doch Alenka unterbrach ihn erneut.

„Nein!“, sagte sie entschieden. Es war ihr gleich, was er ihr vorschlagen wollte. Sie wusste nur, dass jemand für Afras Tod bezahlen sollte. Und wenn sie Devilia wollte, musste sie mit Julia sprechen. „Schick ihn zu mir!“

„Okay!“ David sah sie noch einen Moment lang etwas unsicher an, doch Alenka schob nur entschlossen das Kinn nach vorn, bis er sich schließlich abwandte und den dunklen Raum verließ.

Alenka zwang sich, nicht zu ihrer toten Schwester zu sehen, um sich bei dem bevorstehenden Gespräch besser konzentrieren zu können. Mit zitternden Händen strich sie das schwarze Kleid glatt. Es passte perfekt zu ihrer Stimmung und trotzdem war es elegant und majestätisch geschnitten.

Während sie wartete, spürte sie, wie sich ihr Haar von selbst zu einer Steckfrisur wand. Diese Magie war wirklich bewundernswert und Alenka wusste, dass sie trotz ihrer eigenen Zweifel und Unsicherheiten respektabel aussehen würde.

2. Kapitel

Die Tür wurde leise geöffnet und Alenka atmete tief ein, um sich zu beruhigen.

Sie erkannte den Mann sofort. Sein rotblauer Körperanzug allein war bereits ungewöhnlich genug, um ihn nicht vergessen zu können. Hinzu kamen noch die abstrakte Schminke in seinem Gesicht und die geschmacklose Sonnenbrille mit den zu großen Gläsern, die den Augen von Insekten ähnelten. Er war dabei gewesen, als Julia Devilia verwandelt und auch als sie Alenkas Vater damals vor 17 Jahren vor Thyra gewarnt hatte. Alenka wusste, dass er in der Lage war, jede besondere Gabe zu kopieren, was natürlich bedeutete, dass sie ihre speziellen Führerkräfte niemals in seiner Gegenwart einsetzen durfte, obwohl sie selbst noch nicht wirklich wusste, worin diese eigentlich genau bestanden.

Alenka straffte die Schultern und reckte das Kinn nach vorn, um möglichst selbstbewusst zu wirken. „Sei gegrüßt, Gyula!“

Der Mann deutete eine Verbeugung an, bevor er sich wieder aufrichtete. „Alenka!“ Er nickte ihr knapp zu.

Sie musterte ihn eingehend, doch nichts verriet ihr, was er gerade dachte und das beunruhigte sie. „Was will Julia von mir?“, fragte Alenka, obwohl sie die Antwort bereits erahnen konnte.

„Ich nehme an, du würdest dich nicht dazu überreden lassen, auf eine Bestrafung zu verzichten?!“

„Nein!“, erwiderte Alenka entschieden.

„Julia hat auch nichts anderes erwartet!“, erwiderte Gyula nur gleichgültig.

Was auch immer Julia durch diesen Mann erreichen wollte, damit würde sie nicht durchkommen. Alenka war im Recht und das hätte die Vampirin wissen müssen.

„Du kannst sie daran erinnern, dass es eine Vereinbarung gibt, die es einzuhalten gilt. Auch ihrerseits!“, verkündete Alenka bestimmt, obwohl sie es nicht vollständig schaffte, das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen. „Sie hat kein Recht, Devilia zu schützen! Sie hat Afra getötet! Sie gehört mir!“

Gyula nickte langsam. „Julia will sich selbst davon überzeugen. Du kannst gern sofort zu ihr kommen oder du wartest, bis es dunkel wird. Vorher bekommst du Devilia nicht! Die Erbringung eines Beweises ist auch Teil des Deals.“

Alenka sah den Mann einen Moment überrascht an. Was hatte Julia nur vor? Alenka wusste, dass er recht hatte, dennoch missfiel es ihr, der sadistischen Vampirin gegenüberzutreten und sie auch nur in Afras Nähe zu lassen. Wer konnte denn auch nur erahnen, auf welche geistesgestörten Ideen sie womöglich kam?!

Doch Alenka wusste auch, dass ein Treffen mit ihr unausweichlich war. Dann konnte sie es auch genauso gut gleich hinter sich bringen.

„Gut, wie sie wünscht. Gehen wir“, sagte sie mit bebender Stimme und schritt auf die Tür zu.

„Deine Schwester!“, erinnerte Gyula sie leise.

Alenka spürte einen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen, doch sie blieb nicht stehen, sondern stieß die großen Flügeltüren nur schwungvoll auf, die sie aus dem düsteren Kellergewölbe in einen kleinen Gang führten. Einen Moment fragte sie sich, warum sie den reglosen Körper ihrer Schwester überhaupt nach hier unten hatte bringen lassen. Als sie die Nachricht von ihrem Tod erhalten hatte, war ihr die Vorstellung unerträglich erschienen, Afras Mörder allein – ohne sie – entgegenzutreten. Doch nun war ihre Gegenwart für Alenka unerträglich. Sie machte es ihr unmöglich, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

„David!“, rief Alenka dem blonden Mann zu, der sofort aufstand und zu ihr trat. „Wir statten Julia einen Besuch ab! Bring bitte Afra mit!“

David nickte langsam, bevor er wortlos an ihr vorbeiging, doch sie konnte deutlich fühlen, dass er ihre Entscheidung nicht guthieß.

Alenkas Blick wanderte zu einem dunkelhaarigen Mädchen mit tränennassem Gesicht. Wie auch David hatte sie seit Alenkas Konfrontation mit Devilia im Gang auf sie gewartet, um ihr jederzeit moralisch beistehen zu können. „Luise“, sprach Alenka das Mädchen zögerlich an. „Weiß Marvin Bescheid?“

Luise schüttelte nur stumm den Kopf, während sie sich mit zitternden Händen die Tränen von den Wangen trocknete. Alenka wusste, dass sie Afra gemocht hatte. Schließlich waren sie zusammen im Gefängnis aufgewachsen. Luise war mit gerade einmal zwei Jahren verhaftet worden, drei Jahre nach Afra und Alenka. Sie war eine Halbhexe, auch wenn sie bisher selbst noch nicht herausgefunden hatte, welche ihre magischen Kräfte waren.

„Teile es ihm bitte mit und dann schick ihn her!“, verlangte Alenka entschieden.

Luise nickte wortlos, bevor sie sich umdrehte und eilig den von weißen Kerzen erleuchteten Gang entlang stolperte.

Alenka sah ihr nur kurz nach, bevor sie sich zu David umwandte.

Langsam kam er auf sie zu, die linke Hand über der Trage, die neben ihm in der Luft schwebte. Das Geräusch seiner Schritte hallte dumpf von den Wänden wider. Die Kerzen flackerten und warfen unheimliche Schatten. Alenka erschauderte unwillkürlich. Sie hatte diesen Ort noch nie gemocht und ihr Vater hatte ihr auch sicher nicht ohne Grund als Kind verboten, nach hier unten zu kommen.

Hastig wandte Alenka sich von David ab. Sie konnte Afra nicht ansehen. Ihr war eiskalt und erst jetzt bemerkte sie, dass sie am ganzen Körper zitterte, wobei der Grund dafür nicht nur die Kälte war. Bewusst zog sie ihren Geist vor David zurück. Sie wollte weder seine Besorgnis noch seine Zweifel ertragen! Sie drehte sich auf dem Absatz um und schritt den Gang entlang, in dem Luise vor wenigen Sekunden verschwunden war.

Alenka konnte nur vermuten, dass Gyula ihr folgte, denn sie konnte ihn weder hören noch irgendeine Spur seines Geistes auffangen, genau wie bei Devilia. Ob ihre Kraft wirklich nur auf magische Personen beschränkt war? Sie konnte sich dumpf entsinnen, dass ihr Vater ihr gegenüber einmal etwas in diese Richtung erwähnt hatte.

Rasch stieg sie die steinerne Treppe hinauf und schob die scheinbar feste Wand an deren Ende zur Seite, um kurz darauf in der prunkvollen Eingangshalle des Schlosses zu stehen.

Alenka spürte Marvins Anwesenheit, noch bevor sie ihn sah. Auch in seinem Geist lag ernsthaftes Mitgefühl, jedoch unterstrichen von einer starken Zustimmung, was ihr Vorhaben betraf, auf eine merkwürdige Weise, die Alenka erschaudern ließ.

„Folgt mir!“, sagte sie zu Marvin und Luise im Vorbeigehen, bevor sie das Schloss verließ.

Vor dem Tor standen zwei blonde Zauberer Wache, die Alenka mit seltsamen Blicken bedachten.

„Haltet die Stellung, bis wir wieder zurückkehren!“, wies sie Laurentius und Dagad an, die nur stumm nickten, während Gyula an ihr vorbeiging und wortlos die Führung übernahm.

Alenka versuchte, die neugierigen Blicke der Magier, an denen sie vorbeikamen, zu ignorieren, dennoch registrierte sie, wie die Hexen und Zauberer schockiert Luft holten und sich leise miteinander unterhielten.

Sie war froh, als Gyula endlich stehen blieb, doch nirgends war ein verborgener Eingang zu Julias Reich zu entdecken. Da waren nur zwei hochgewachsene Bäume, die sich umeinander wanden und gerade so viel Platz boten, dass ein ausgewachsener Mensch aufrecht unter ihnen stehen konnte.

Gyula trat zur Seite und gab den Blick auf ein großes, dunkles Loch frei, das im Boden gähnte. Er bedeutete ihr, voran zu gehen, doch Alenka rührte sich keinen Schritt. Glaubte er wirklich, dass sie in einen schwarzen Tunnel steigen würde, von dem sie nicht einmal annähernd wusste, wie tief er war?!

„Dort werde ich nicht hinuntergehen“, verkündete sie entschieden.

„Das ist aber der einzige Weg“, entgegnete Gyula unbeeindruckt.

Alenka holte zitternd Luft. Das konnte sie einfach nicht!

„Soll ich zuerst gehen?“, bot David an, als sie nicht reagierte.

„Wenn es dir keine Umstände bereitet“, sagte Alenka zögernd und musterte ihn besorgt. Wenn ihm etwas geschah, würde es ihre Schuld sein.

David verdrehte die Augen und ließ sich ohne zu Zögern hinunterfallen. Alenka zuckte erschrocken zusammen, als sie hörte, wie er unsanft auf dem Boden landete.

„Alles okay, Alenka! Du kannst ruhig runterkommen!“, rief er nach einer Weile nach oben.

Erleichtert atmete sie auf, als sie seine Stimme hörte und es ihm offensichtlich gut ging. Trotzdem machte sie keinerlei Anstalten, ihm zu folgen.

„Alenka?“, fragte Luise leise und Alenka konnte die Besorgnis in ihrem Geist spüren.

„Ihr könnt gern vorangehen“, sagte sie und trat schnell zur Seite. Sie spürte, wie ihre Hände heftig zitterten, während Marvin die Trage vorsichtig nach unten schweben ließ, bevor er und Luise sich in den Tunnel fallen ließen.

Alenka wusste, dass sie ihnen nun folgen musste, doch als sie in den dunklen Abgrund blickte, spürte sie, wie ihr die Luft wegblieb und ihr ein Schauer über den Rücken rann. Entgeistert wich sie zurück. Sie wusste, dass die anderen sicher unten angekommen waren, trotzdem konnte sie es einfach nicht.

„Keine Angst!“, hörte Alenka plötzlich Gyulas Stimme leise an ihrem Ohr.

Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie seine Hände spürte, die sich leicht um ihre Hüften legten.

„Vertraust du mir?“

Alenka schüttelte stumm den Kopf, während er sie mit sanfter Gewalt zu dem Loch im Boden schob. Sie versuchte, seine Hände von sich zu stoßen, doch er hielt sie energisch fest. Und dann verlor sie den Boden unter den Füßen und alles um sie herum wurde schwarz. Sie spürte Gyulas Hände an ihren Hüften, die sie vor einem tödlichen Sturz bewahren würden, dennoch schnürte ihr die Angst die Kehle zu. Der Schrei blieb ihr im Hals stecken, während der Luftzug ihr den Atem nahm.

Dann spürte Alenka, wie Gyula sie sanft auf dem Boden absetzte. Zitternd stolperte sie nach vorn. Bevor sie stürzte, umfassten sie zwei starke warme Hände und hielten sie sanft auf den Beinen.

Langsam sah Alenka sich um. Die Wände waren allesamt aus Erde und nur die beiden hellen Lichtbälle von David und Marvin sorgten dafür, dass sie überhaupt etwas sehen konnte.

„Danke!“, sagte sie nur mit bebender Stimme und machte sich mit zittrigen Händen von David los. Er nickte stumm und wandte sich wieder der Trage zu.

„Hier lang!“, stellte Gyula fest und ging mit sicheren Schritten voran. Er schien kein Licht zu benötigen, um den Weg zu finden.

Nach wenigen Metern bog der Gang nach links ab. Schweigend folgten sie Gyula. Alenka spürte Davids besorgte Blicke auf sich ruhen, doch sie wollte nicht wissen, was er dachte.

Der Gang schien endlos zu sein, doch schließlich bog Gyula nach rechts ab.

Sie kamen in einer Höhle an, die von solch undurchdringlicher Dunkelheit war, dass es nicht möglich war, das Ausmaß ihrer Größe zu erschließen. Im Schein der beiden leuchtenden Bälle erkannte Alenka die Umrisse von etwas, das sich in rätselhafter Form aus dem Boden erhob. Erst als sie in unmittelbarer Nähe vor einem dieser Gewächse stand, erkannte sie, dass es sich hierbei um riesige Wurzeln handelte. Noch dunklere, unterschiedlich große Stellen an den Wänden ließen sie darauf schließen, dass noch eine beträchtliche Anzahl von weiteren Gängen in diese Höhle führte.

Alenka erschauderte unwillkürlich. Hier unten war es kalt und unheimlich. Es war ihr unbegreiflich, wie jemand freiwillig so leben konnte, obwohl Julia natürlich ohnehin sehr eigen war.

Gyula ging langsam voran. Zitternd folgte Alenka ihm und wäre beinahe mit ihm kollidiert, als er abrupt stehen blieb.

Vor ihnen erstreckte sich erneut ein tiefes Loch, dessen Boden nicht zu erkennen war. Dafür drang aus ihm jedoch ein schwacher Lichtschimmer empor, von dessen Realität Alenka nicht vollständig überzeugt war.

Schaudernd wich sie vor dem Abgrund zurück und hoffte inständig, dass Gyula nicht erneut plante, zu springen. Doch er stand nur da und schien auf irgendetwas zu warten.

Nervös sah Alenka sich um. Sie konnte trotz der beiden hellen Glühbälle kaum etwas erkennen, das weiter als zehn Meter entfernt war. Sie schauderte bei der Vorstellung, dass sich womöglich Vampire und andere furchteinflößende Kreaturen in den Schatten verbargen, lautlos und ungesehen, nur um auf den am besten geeigneten Augenblick für einen Angriff zu warten.

Doch das war gegen die Vereinbarung! Niemand durfte ihnen etwas anhaben. Obwohl Devilia diese Regelung natürlich auch nicht befolgt hatte, doch dafür würde sie bestraft werden.

Plötzlich hörte Alenka ein leises knirschendes Geräusch und zuckte erschrocken zusammen. Mit klopfendem Herzen sah sie sich um, doch der anhaltende Klang, der sie an zwei aneinander reibende Steine erinnerte, schien aus dem Loch direkt vor ihr zu dringen.

Mit angehaltenem Atem beobachtete Alenka, wie sich zwei Gestalten aus der Tiefe hoben. Erschrocken wich sie zurück, bis sie gegen einen warmen Körper stieß. Sie konnte gerade noch einen Schrei unterdrücken, als sie sich, schwindelig vor Angst, umdrehte.

Alenka fühlte, wie sich eine Hand sanft auf ihre Schulter legte. Erleichtert atmete sie auf, als sie in Davids hellblaue Augen blickte. Sie konnte die Bestätigung in seinem Geist sehen, dass er im Recht gewesen war und sie nicht hätten herkommen sollen. Auch er verspürte eine gewisse Furcht und dabei waren sie Julia bislang noch nicht einmal begegnet.

Schweratmend wandte Alenka sich wieder zu den beiden Gestalten um, die sie nun als die Männer erkannte, die ebenfalls bei Devilias Verwandlung zugegen gewesen waren und von denen sie wusste, dass sie gewöhnliche Menschen waren.

Alenka stellte fest, dass es eine große Steinempore war, auf der sie sich nach oben bewegt hatten und die demzufolge auch diese eigentümlichen Geräusche verursacht hatte. Wie Alenka wusste, war Julias Reich vollständig aus Magie aufgebaut und daher konnte sie es theoretisch jederzeit zerstören, sollte sich die Vampirin ihren Vereinbarungen widersetzen, auch wenn sie sehr hoffte, dass es nicht so weit kommen würde.

„Was ist denn hier los?“, fragten die beiden Männer gleichzeitig, doch mit offensichtlich unterschiedlichen Stimmungen. Alenka hatte zwar keinen Zutritt zu ihrem Geist, doch sie hörte die verschiedenen Tonlagen heraus.

Der beleibtere Mann musterte sie grimmig und schien nicht gerade erfreut, doch der blonde Gentleman schenkte ihr ein charmantes Lächeln und deutete eine Verbeugung an, bevor er die Stufen herunterstieg und seine Schritte in ihre Richtung lenkte.

„Julia muss etwas mit Alenka klären“, sagte Gyula, während nun auch der besser genährte Mann die Empore verließ. „Sieht nämlich so aus, als hätten wir ein Problem. Deine angebliche Freundin scheint sich Ärger eingehandelt zu haben, Leon!“, fügte Gyula mit einer gewissen Schärfe hinzu und wandte sich halb zu dem blonden Mann um.

„Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest!“, erwiderte der jedoch nur mit gespielt entrüsteter Miene, als er vor Alenka stehen blieb.

Sie spürte, wie Leon sanft ihre Hand ergriff. Ihr stockte der Atem, als er sie zu seinem Mund führte und seine Lippen leicht darüber strichen.

Alenka konnte die Überraschung der drei Magier um sich herum spüren, bei Luise unterstrichen von freudiger Begeisterung. David schien sich jedoch im Gegensatz überhaupt nicht darüber zu freuen. Er war plötzlich aufgebracht und beinahe wütend auf Leon.

Entschieden zog Alenka ihre Hand zurück. So etwas gehörte sich unter keinen Umständen in der Öffentlichkeit und sie hoffte, dass die anderen die Unverschämtheit dieses Mannes geheim halten würden.

Auf Leons Gesicht zeichnete sich gespielte Enttäuschung ab und selbst wenn sie echt gewesen wäre, bezweifelte Alenka, dass sie Mitleid für ihn empfunden hätte. Sie konnte die Schadenfreude in Davids Geist über ihre Zurückweisung spüren, doch noch etwas anderes lag in seinen Gefühlen, wenn sie es richtig deutete, ein Hauch von Erleichterung oder womöglich sogar Hoffnung.

Überrascht sah Alenka zu ihm, doch aus seiner Miene konnte sie nichts erschließen. Bedeuteten seine Gefühle womöglich, dass ihm selbst etwas an ihr lag und er aus diesem Grund den Handkuss nur ungern gesehen hatte?!

Alenka spürte, wie sich bei dieser Vorstellung eine undefinierbare Wärme in ihrem Körper ausbreitete und ein schwaches Lächeln auf ihre Lippen trat.

Doch zu lächeln war in dieser Situation gänzlich unan-´ gebracht. Einerseits da ihre Schwester nur in wenigen Metern Entfernung tot auf einer Trage lag, aber auch da es in Anbetracht von Leons Handkuss missverstanden werden konnte.

Alenka missfiel es, ihrem guten Ruf an nur einem Tag noch ein weiteres Mal nicht gerecht zu werden. Das einzige Gefühl, das angebracht gewesen wäre, war Trauer, doch das ließ ihr Stolz nicht zu. Außerdem befürchtete sie, dass Julia Schwächen nur zu gut erkennen und für ihre eigenen Interessen nutzen könnte.

3. Kapitel

„Alenka!“ Gyula bedeutete ihr mit einer knappen Kopfbewegung, auf die Empore zu steigen.

Sie straffte die Schultern und ging mit sicheren Schritten auf die Stufen zu. Als sie auf halber Höhe angelangt war, blieb sie stehen und wandte sich zu den anderen um.

David ließ die Trage vorsichtig auf einer der Stufen absetzen, während Gyula an ihr vorbeiging bis zur obersten Plattform.

„Ich komm‘ mit!“, verkündete Leon, als sich die Empore auch schon ruckartig in Bewegung setzte und Alenka beinahe den Halt verloren hätte, hätte Gyula sie nicht am Arm gefasst und energisch zurückgezogen.

„Danke!“, sagte sie nur mit zittriger Stimme und entwand sich seinem Griff.

„Und was ist mit…?“, brummte der beleibtere Mann, als Leon ebenfalls auf die Empore stieg.

„Läuft uns doch nicht weg, oder? Die Kneipen sind morgen auch noch da!“, verkündete Leon mit einem verwegenen Lächeln.

Der andere Mann schien sich nicht besonders über diese Wendung der Ereignisse zu freuen, dennoch stieg er murrend mit auf, bevor die Empore knirschend im Fels versank.

Alenka sah sich nervös um, während sie von grauem Stein umschlossen wurden. Sie konnte ihr Herz laut schlagen hören. Die Luft schien knapper zu werden und sie spürte, wie kalte Schauer über ihren Rücken rannen.

Alenka war erleichtert, als das Ende des schmalen Felstunnels in Sicht kam. Ihre Umgebung wurde nun eine Nuance heller. Jetzt konnte Alenka erkennen, dass sich unter ihnen ein weitläufiges Tal erstreckte, dass jedoch in nahezu undurchdringlicher Schwärze lag. Es wirkte beinahe ebenso unheimlich wie die Tunnel zuvor und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als wieder in ihrem wundervoll lichten Schloss zu sein.

Alenka spürte Gyulas Hand vorsorglich an ihrem Arm, als die Plattform ruckartig auf dem Boden aufsetzte.

„Kommt mit!“ Er ließ sie los und winkte sie die Empore herunter.

Erleichtert folgte Alenka ihm. Sie war froh, wieder auf unbeweglicher Erde zu stehen.

Schweigend gingen sie über grasbewachsenen Boden durch die weite Landschaft, während Alenka immer nervöser wurde. Sie hatte eine gewisse Furcht davor, Julia gegenüber zu treten, doch das durfte die Vampirin niemals erfahren.

Der Weg erschien ihr endlos, trotzdem hätte sie es bevorzugt, weiterzugehen, als Gyula stehen blieb.

Vor ihnen erhob sich, vorausgesetzt sie erkannte es unter diesen mangelnden Lichtverhältnissen richtig, ein lilafarbenes Schloss. In dem schwachen Licht der Leuchtbälle und den Schatten, die diese verursachten, wirkte es düster und bedrohlich.

Mit dem Rücken zu ihnen machte sich Gyula an dem schwarzen Holztor zu schaffen, bis es schließlich mit einem knirschenden Geräusch aufglitt.

Die Gänge, die er sie entlang führte, waren durchgehend nach dem gleichen Muster gestaltet, rosa und lila Wände mit schwarzen, detailliert gearbeiteten Rosenranken.

Alenka bemühte sich, sich den Weg einzuprägen, doch als Gyula schließlich stehen blieb, konnte sie nicht mehr sagen, in welche Richtung der Ausgang lag.

Sie standen vor einer Tür, auf der ein großes goldenes ‚J‘ abgebildet war, umrankt von schwarzen Rosen und der untere Teil in eine rötliche Farbe getaucht; zumindest hoffte Alenka, dass es sich dabei tatsächlich lediglich um Farbe handelte.

Gedämpft, für sie kaum hörbar, klopfte Gyula gegen die Tür, die unmittelbar darauf von einer jungen Frau mit einer asymmetrisch geschnittenen Kurzhaarfrisur geöffnet wurde. Alenka rümpfte etwas skeptisch die Nase, während sie sie kritisch musterte. Ihr Kleidungsstil war für ihr Alter gänzlich unangebracht. Nur die kleineren Kinder trugen noch zu Festlichkeiten derartige mit unzähligen Rüschen und Schleifen besetzte Kleider. Alenka kannte die Frau nicht, doch sie war ihr auf den ersten Blick unsympathisch. Außerdem schien sie ein Vampir zu sein, obwohl nicht einmal Devilias Haut derart erschreckend weiß gewesen war.

„Mary, es wird schon alles wieder gut“, sagte Gyula und strich der Frau leicht mit den Fingerkuppen über die Wange.

„Komm rein, Gyula!“, erklang eine kühle, überhebliche Stimme, die Alenka augenblicklich erkannte.

Als sie eintraten, wandte sich Julia langsam mit erhobenem Kopf zu ihnen um. Alenka missfiel dieser Blick, mit dem die Vampirin sie bedachte. Möglicherweise lag es an ihrer unheimlichen Schminke oder einfach nur an Julia selbst, doch in ihrer Gegenwart fühlte sie sich erniedrigt, fast so, als würde sie überhaupt keinen Rang von Bedeutung besitzen. Alenka spürte jedoch, dass es den anderen nicht gerade besser erging. Auch sie fühlten sich hier unbehaglich, doch sie war sich unsicher, ob dieser Umstand eher motivierend wirkte oder die Situation vielmehr verschlimmerte.

Entschieden reckte Alenka das Kinn und straffte ihre Schultern. Niemand sollte ihr ihre Unsicherheit anmerken.

„Alenka!“, begrüßte Julia sie mit einem kalten Lächeln, das nichts Menschliches mehr an sich hatte.

„Julia!“ Sie nickte der Vampirin kurz zu, doch sie spürte, wie es ihr den Atem zuschnürte. Am liebsten hätte Alenka sofort den Rückweg befohlen, doch das durfte sie natürlich nicht.

Es gelang ihr nicht, Julias Gesichtsausdruck zu deuten, mit dem sich die Vampirin wieder von ihr abwandte, doch sie war sich sicher, dass er nichts Gutes bedeuten konnte. „Jean, ich brauche eine Blutprobe!“

Alenka beobachtete, wie die Vampirin eine Spritze an einen muskulösen Mann reichte, der durchaus ein Oberteil hätte vertragen können. Von dem Gespräch vor einem Monat mit ihm, als Devilia nach ihrer Verwandlung wieder aufgewacht war, war Alenka bekannt, dass er ein Werwolf war.

Als er sich erhob, konnte Alenka nun auch Devilia sehen mit ihrer neuen unschicklichen Kurzhaarfrisur. Sie lag auf dem Bett, auf dem sich der Werwolf soeben wieder niederließ. Die eisernen Ketten waren noch immer um ihre Handgelenke gelegt und verhinderten so, dass sie in der Lage war, noch jemanden zu ermorden. Ihre Haut war wächsern und sie hatte die Augen geschlossen. Sie bewegte sich nicht und zuckte nicht einmal zusammen, als der Mann ihr die Spritze in den Arm stach. Eigentlich hätte sie ihrem äußeren Erscheinungsbild nach auch bereits tot sein können, doch Alenka bezweifelte, dass Julia sich in diesem Fall die Mühe gemacht hätte, sie herzubestellen.

„Julia, es gibt eine Vereinbarung!“, sagte sie mit zitternder Stimme, als der Werwolf der Vampirin gerade die Blutprobe überreichte. Alenka wollte eigentlich nicht wissen, was die Vampirin damit plante, dennoch konnte sie den Blick nicht abwenden, als sie die dunkelrote Flüssigkeit in ein kleines kristallenes Glas füllte.

„Natürlich!“, erwiderte Julia nur kühl und Spott klang in ihrer Stimme mit.

Beunruhigt musterte Alenka sie. Sie war sich unsicher, ob Julia überhaupt beabsichtigte, sich an die in der Vereinbarung festgelegten Regelungen zu halten.

Die Vampirin hob das kleine Glas mit Devilias Blut an und führte es zu ihrem Mund. Angewidert wandte Alenka den Blick ab. Allein die Vorstellung von dem, was Julia gerade tat, war abstoßend genug, sodass es nicht im Geringsten nötig sein sollte, es auch noch mitanzusehen.

„Jean!“

Alenka hörte die überhebliche Stimme der Vampirin und blickte widerstrebend zu ihr. Überrascht, aber auch erleichtert, stellte sie fest, dass Julia offenbar – wider Alenkas Vermutung – nichts von dem Blut getrunken hatte. Stattdessen reichte sie es an den Werwolf weiter, der es entgegennahm, um daran zu riechen.

„Was ist das?“, fragte er und eine kleine Falte zeichnete sich auf seiner Stirn ab.

„Das wüsste ich auch gern“, erwiderte Julia kühl, bevor sie sich zu Alenka umwandte. „Ich benötige eine Blutprobe von Afra! Willst du das selbst machen oder soll ich es tun?“

Alenka starrte die Spritze entsetzt an, die auf Julias offener, von einem Netzhandschuh halb bedeckter Hand lag. So etwas konnte sie nicht selbst tun, doch die Vampirin wollte sie unter keinen Umständen in Afras Nähe sehen.

Bevor Alenka jedoch eine Entscheidung treffen konnte, war Julia bereits erhobenen Hauptes an ihr vorbeigeschritten und stand nun direkt vor Afra.

„Nein!“, rief Alenka entgeistert, doch die Vampirin bedachte sie nur mit einem boshaften, beinahe spöttischen Lächeln.

„Ich werde sie mir ohnehin ansehen! Ob nun jetzt oder in einer Stunde spielt keine Rolle!“

Erst als Julia mit einer leichten Bewegung ihren Arm abschüttelte, bemerkte Alenka mit Entsetzen, dass sie die Vampirin festgehalten hatte. Bevor sie Julia in irgendeiner Weise noch davon abhalten konnte, kniete sich die Vampirin bereits in einer anmutigen Bewegung neben Afra und stach ihr die Spritze in den Arm.

„Was tust du da?“, fragte Alenka scharf, als Julia sich mit ihren langen spitzen Fingernägeln an Afras Hals wagte.

„Ich sehe sie mir an“, erwiderte Julia nur kühl, ohne zu ihr aufzusehen. „Mary, komm her!“

Alenka spürte das Kleid der blonden Frau gegen ihr Knie schlagen, als sie an ihr vorbeieilte und sich neben Julia stellte.

„Sieh dir ihren Hals an!“, befahl die Vampirin kühl, während sie sich langsam mit der Spritze erhob und zurück zu dem kleinen Tisch ging, auf dem der Werwolf das kristallene Glas mit Devilias Blut wieder abgestellt hatte.

Alenka beobachtete misstrauisch, wie sich die blonde Frau neben Afra kniete. Ein Ausdruck kindlicher Neugier war auf ihrem blassen Gesicht abzulesen. Als sie das Blut an Afras Hals jedoch berührte, änderte sich plötzlich etwas in ihrem Blick. „Tut mir leid, Julia!“, sagte sie mit erstickter Stimme, bevor sie im nächsten Moment bereits verschwunden war.

„Mary!“, erklang Gyulas besorgte Stimme und dann war auch er schon nicht mehr zu sehen.

„Gyula!“, rief Julia ihn mit schneidender Stimme zurück.

Im nächsten Augenblick stand er an der Tür, die nun langsam zuschwang, und wandte sich dem Anschein nach widerwillig zu Julia um.

„Ich brauche dich noch!“, stellte die Vampirin knapp fest, bevor sie sich an die beiden anderen Männer wandte. „Leon, Ralf, ihr seht nach ihr!“

Der beleibtere Mann – Ralf – nickte widerstrebend.

„Du kannst dich voll und ganz auf uns verlassen, Julia!“, verkündete Leon mit einem charmanten Lächeln, bevor er Anstalten machte, das Zimmer zu verlassen.

„Besser wäre das für euch!“, erwiderte Julia mit herablassendem Unterton, doch die Drohung hinter ihren Worten sorgte dafür, dass Alenka ein eisiger Schauer über den Rücken rann.

Etwas verwundert sah sie den beiden Männern nach. Erst als die Tür hinter ihnen geschlossen war, wandte sie sich wieder zu der Vampirin um. „Was ist mit ihr?“, fragte sie irritiert, da sie die Reaktion der blonden Frau nicht einordnen konnte.

Julia musterte sie nur kühl von oben herab und Alenka fühlte, wie sie innerlich zusammenschrumpfte, doch sie zwang sich, dem Blick der Vampirin standzuhalten.

„Spielt das eine Rolle?“, fragte Julia schließlich nur gleichgültig und wandte sich wieder den beiden Blutproben zu. „Gyula, du untersuchst Afra!“

Alenka sah die Vampirin fassungslos an, während sich Gyula an ihr vorbeidrängte und neben Afra kniete. Sie verstand nicht, wie ihr ein Mitglied ihrer Gemeinschaft offensichtlich so vollkommen egal sein konnte!

„Keine Bisswunde!“, hörte sie Gyula sagen und wandte sich überrascht zu ihm um.

„Ich weiß!“, erwiderte Julia überheblich, ohne sich die Mühe zu machen, zu ihm zu sehen.

Verständnislos blickte Alenka zwischen der Vampirin und dem Mann hin und her. Sie hatte schließlich das Blut an Afras Hals gesehen!

„Und… ihr Puls…“, murmelte Gyula, der sich nun halb zu Julia umdrehte. „Sie lebt noch!“

Es dauerte einen Moment, bis Alenkas Verstand begriff, was er soeben verkündet hatte. Sie konnte die Hoffnung und Überraschung der anderen wahrnehmen, als ihre eigene Freude bereits gedämpft wurde.

Afra war tot! Das hatte sie selbst festgestellt und sie empfand es als grausam von der Vampirin, auf welche Weise sie nun versuchte, Alenka zu überlisten.

„Afra ist tot!“, sagte sie mit schwacher Stimme, doch Gyula schüttelte den Kopf.

„Noch nicht! Ihr Herzschlag ist nur so schwach, dass ein Mensch ihn nicht fühlen kann. Sie ist noch am Leben! Gerade so!“

Alenka spürte kaum, dass sie am ganzen Körper zitterte, während David sie sanft auf einen Stuhl drückte. Sie konnte all das nicht begreifen! Es war zu viel für sie!

„Die Blutproben sind wirklich interessant!“, durchbrach Julia schließlich die Stille.

Schweratmend sah Alenka zu ihr auf. Auf dem Tisch vor der Vampirin standen nun mehrere kleine Gläser, deren Inhalte die unterschiedlichsten Farben hatten.

Julia tippte gegen zwei davon, deren Flüssigkeiten von einem dunklen Rot waren. „Afra hat Devilias Blut im Körper. Nur wenig, aber ausreichend, dass sie bisher noch am Leben ist. Dann noch ein ziemlich starkes Schlafmittel…“ Die Vampirin deutete auf ein Gläschen mit einer durchsichtigen Substanz darin. „Und ein Gift, genau wie Devilia!“

Alenka konnte die Vampirin nur sprachlos ansehen. Sie war nicht in der Lage, ihrem Gedankengang zu folgen.

„Aber welches Gift kann einem Vampir derartigen Schaden zufügen?“, fragte der Werwolf, der Devilia nun fest an sich drückte.

„Offensichtlich dieses hier“, erwiderte Julia kühl und stieß mit ihrem Fingernagel leicht gegen ein Glas mit grünem Inhalt.

„Kannst du ein Heilmittel herstellen?“, hakte der Werwolf mit angespannter Stimme nach.

„Nein!“ Die Vampirin schüttelte den Kopf, während sie die verschiedenen Substanzen betrachtete, bevor sie sich mit dem Gift in der Hand zu Alenka umdrehte. „Ich kann die einzelnen Stoffe nicht trennen. Es ist mit Magie hergestellt. Das musst du machen!“

Zitternd sah Alenka auf die grüne Flüssigkeit. Verlangte Julia gerade von ihr, dass sie ein Heilmittel herstellte? Aber das überstieg ganz eindeutig ihre Fähigkeiten! Sie hatte bislang noch nichts aufgeholt von dem, was sie die vergangenen 17 Jahre versäumt hatte. Sie beherrschte nicht einmal die Grundlagenzauber, die Afra sich im Gegensatz zu ihr innerhalb des letzten Monats hatte beibringen lassen.

„Tut mir leid“, sagte sie mit zitternder Stimme und sah sich hilfesuchend nach David um.

„Es gibt nur wenige Magier, die Gifte und Gegengifte wirkungsvoll brauen können!“, erklärte er, während er eine Hand sanft auf Alenkas Schulter legte.

„Wer bringt es?“, fragte der Werwolf und sah Alenka mit einem unangenehm durchdringenden Blick an.

Alenka zögerte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie wenig Kenntnis sie eigentlich von ihrem Volk hatte. Ihr fiel nur eine einzige Hexe ein, die etwas von Heilkunst verstand. „Tiara“, antwortete sie zögernd. „Devilias Mutter! Sie…“

„Wo wohnt sie?“, fragte der Werwolf nur und seine Stimme klang äußerst angespannt.

„Ich… ich bin mir nicht sicher!“, antwortete Alenka stockend. Sie fühlte sich äußerst unwohl. Der Blick des Werwolfs schien sie zu durchbohren und sie spürte, wie sie kaum mehr Luft bekam.

Plötzlich konnte sie in Davids Gedanken deutlich das Wort ‚Menschenwelt‘ lesen. Sie sah ihn kurz von der Seite an, doch er erwiderte ihren Blick nicht.

„Sie müsste momentan in der Menschenwelt sein“, wiederholte Alenka Davids Gedanken laut, jedoch mit bebender Stimme. Sie spürte alle Blicke der Anwesenden auf sie gerichtet und ihr war bewusst, dass sie eine konkretere Antwort von ihr erwarteten.

„Ich finde sie“, sagte Gyula schließlich.

Erleichtert sah Alenka zu ihm auf.

„Dann geh!“, befahl Julia kühl und wandte sich von Alenka ab.

Im nächsten Moment war Gyula bereits verschwunden und die Tür schloss sich mit einem dumpfen Geräusch hinter ihm.

4. Kapitel

„Ich verstehe das nicht!“, sagte Alenka nach einer Weile verzweifelt. „Devilia hat Afra getötet!“

„Nein, hat sie nicht!“, erwiderte Julia gleichgültig mit dem Rücken zu ihr.

„Aber was ist dann geschehen?“, fragte Alenka mit zitternder Stimme.

Julia ließ sich Zeit mit ihrer Antwort, während sie die kleinen Gläser gelangweilt mit ihren Fingernägeln verrückte.

„Ich würde es auch gern wissen, Julia“, bemerkte der Werwolf leise.

Die Vampirin sah jedoch nicht einmal zu ihm auf, während sie nur weiterhin die Gläser verschob. „Es sieht so aus, als hätte Devilia tatsächlich etwas von Afras Blut getrunken, aber sie hat sie nicht getötet!“, stellte Julia mit überheblicher Stimme fest. „Sie haben beide Wein getrunken, vielleicht war das Gift dort drin. Interessant ist, dass Devilia dieses Fläschchen bei sich hatte.“ Nachdenklich drehte Julia eine kleine Phiole zwischen den Fingern. „Ein Schlafmittel! Sie muss es Afra verabreicht haben, aus welchem Grund auch immer. Es hat das Gift in ihrem Körper praktischerweise etwas verlängert und noch mit Devilias Blut… Ich würde vermuten, Devilia hat ihr damit unbeabsichtigter Weise das Leben gerettet. Vorausgesetzt natürlich, sie bekommt innerhalb der nächsten Stunden ein Gegengift!“

Alenka sah Julia fassungslos an. Verlangte die Vampirin etwa von ihr, dass sie Devilia nun auch noch dankbar sein sollte?

„Dann hat sie Afra vergiftet!“, stellte Alenka mit bebender Stimme fest.

Ein herablassendes Lächeln umspielte Julias Lippen, als sie sich langsam zu ihr umwandte. „Oh nein! Du hast nicht die geringste Ahnung von Vampiren, habe ich recht?!“

„Ich bin nicht vollkommen unwissend“, erwiderte Alenka zögernd, doch sie bemerkte, wie ihre Stimme dabei zitterte.

„Ach ja?“ Julia musterte sie überheblich.

Hilfesuchend streckte Alenka ihren Geist nach denen der anderen aus, doch auch sie schienen auf diesem Gebiet nicht sonderlich bewandert. Sie wusste, dass Afra einige Erkundigungen über Vampire eingeholt hatte, doch sie selbst hatte sich bevorzugt mit ihrem eigenen Volk befasst. Demzufolge war Alenka sich nun auch nicht sicher, worauf Julia hinauswollte oder ob sie die Antwort auf diese Frage tatsächlich wissen wollte.

„Vampire würden niemals Gift benutzen, um jemanden zu töten. Wo bliebe da der Spaß?! Wir haben viel bessere…“, setzte Julia zu einer Erklärung an, wurde jedoch von dem Werwolf unterbrochen.

„Das ist doch jetzt egal!“, warf er mit ungeduldiger Stimme ein. „Devilia würde niemals jemanden umbringen!“ Er musterte Alenka eindringlich mit seinen dunklen Augen und sie wollte ihm wirklich gern glauben, doch die Führerin in ihr verlangte aussagekräftigere Beweise.

„Bist du dir da sicher?“, fragte Julia kühl mit ihrer auf boshafte Weise herablassenden Art. „Sie ist schließlich ein Vampir!“

„Das spielt keine Rolle! Nicht alle Vampire sind so wie du!“ Der Werwolf wirkte äußerst angespannt, doch seine Stimme klang fest und selbstsicher.

Nervös beobachtete Alenka die Vampirin. Der Werwolf hatte sie soeben indirekt auf all die Morde angesprochen, die sie im Verlauf der Jahrhunderte zweifelsohne begangen hatte und für Alenka war es ungewiss, wie sie darauf reagieren würde.

„Abwarten!“, erwiderte Julia nur kühl, doch es lag ein gefährliches Glitzern in ihren Augen. „Gyula, komm rein!“, fügte sie hinzu, ohne den Blick von dem Werwolf abzuwenden.

Überrascht über die Schnelligkeit des Mannes wandte sich Alenka zu der Tür um, die nun leise von außen geöffnet wurde. Sie spürte Tiaras Besorgnis und Verwunderung und erhob sich rasch. Nervös strich sie über ihr Kleid, das in der Zwischenzeit wieder von einem strahlenden Weiß war.

„Alenka!“ Tiara vollführte einen kleinen Knicks vor ihr, bevor Entsetzen ihren Geist erschütterte, als sie Afras und Devilias leblose Gestalten erblickte. „Was ist passiert?“ Schockiert starrte sie ihre Tochter an, während Panik in ihr aufstieg. Alenka konnte sehen, wie Tränen in die Augen der Hexe stiegen, als sie verzweifelt mit dem Gedanken rang, ihre Tochter womöglich gerade erneut zu verlieren.

Alenka konnte nicht anders, als Mitleid mit ihr zu empfinden, auch wenn sie Devilia vor wenigen Minuten noch am liebsten selbst hingerichtet hätte. Doch nun, da sie Tiaras schreckensstarre Miene sah, wusste sie, dass sie ihr das niemals antun konnte, selbst wenn sie Devilia in jeder Hinsicht als schuldig befand. Deswegen zögerte sie nun auch mit einer Antwort.

Langsam ging Tiara auf das Bett zu. In ihrem Geist konnte Alenka erkennen, wie schwer ihr jeder einzelne Schritt fiel. Sie hatte Angst davor, was sie feststellen musste, sobald sie neben ihre Tochter trat, doch gleichzeitig konnte sie auch nicht in Unwissenheit bleiben.

Alenka spürte, wie Tiaras Kummer sie tief berührte. Tränen stiegen ihr selbst in die Augen, woraufhin sie ihren Geist hastig zurückzog. Sie durfte jetzt nicht schwach werden!

Wie in Zeitlupe streckte Tiara eine zitternde Hand nach Devilias leblosem Körper aus. „Devilia“, hauchte sie mit erstickter Stimme, bevor sie laut aufschluchzte und ihre Tochter zu schütteln begann, bis der Werwolf sie schließlich sanft zurückschob.

„Nein!“ Verzweifelt schüttelte Tiara den Kopf, bevor sie auf den Knien zusammenbrach. „Das darf nicht wahr sein! Sie kann nicht tot sein!“

„Sie ist nicht tot“, bemerkte Julia sichtlich gelangweilt, doch in ihrer Stimme klang eine eisige Kälte mit, die Tiara augenblicklich erstarren ließ.

In Zeitlupe hob sie ihr tränennasses Gesicht und starrte die Vampirin mehrere Sekunden einfach nur an, bis sie ihre Sprache wiederzufinden schien. „Ist sie nicht?“, brachte sie schließlich mit bebender Stimme hervor. „Was ist dann mit ihr? Was ist passiert?“ Die Hexe wandte sich nun zu Alenka um und sah sie flehentlich an, doch Alenka konnte ihr noch immer keine Antwort geben.

Sie war zutiefst erschüttert von Tiaras Reaktion und demzufolge konnte sie ihr nicht noch mehr Leid zufügen, indem sie ihr erklärte, dass Devilia Afra getötet hatte, auch wenn Julia etwas anderes behauptete.

„Die Frage stellen wir uns auch gerade“, nahm Julia ihr die Antwort ab, wobei ein undefinierbares Lächeln ihre Lippen umspielte.

Leichte Verwirrung lag nun in Tiaras Geist, während sie verzweifelt zwischen Alenka und der Vampirin hin- und hersah.

„Wir brauchen ein Gegengift!“, stellte der Werwolf ungeduldig fest. „Wir verlieren kostbare Zeit. Sie stirbt, wenn wir nichts unternehmen!“

„Was für ein Gegengift?“, fragte Tiara mit belegter Stimme, während sie jedoch entschlossen die Tränen von ihren Wangen trocknete und sich wieder aufrichtete.

„Hierfür!“ In einer Geste, die schon an sich überheblich wirkte, jedoch gänzlich zu ihr passte, reichte Julia der Heilerin das kleine Gläschen mit dem Gift.

„Alenka meinte, du kannst sowas“, sagte der Werwolf bemüht ruhig, doch Alenka registrierte den drängenden Unterton in seiner Stimme.

Tiara antwortete jedoch nicht. Alenka spürte ihre Angst, um das Leben ihrer Tochter, bevor sie ihre gesamte Konzentration auf das tödliche Gemisch richtete. Wortlos hielt Tiara eine Hand darüber, mit den Fingerspitzen nach unten, die sie im Uhrzeigersinn rotieren ließ und so die giftige Substanz in Bewegung versetzte.

Fasziniert, mit einem Anflug von Neid, beobachtete Alenka, wie die Heilerin versuchte, das Gift auf seine Bestandteile zu erschließen, das nun zischende Geräusche von sich gab.

Dann erstarrte die giftige Substanz und Alenka spürte gleichzeitig Überraschung und Entsetzen in Tiara aufsteigen. Noch bevor sie etwas sagte, war Alenka bereits bewusst, dass dieses Gift ihre Fähigkeiten überstieg.

„So etwas habe ich noch nie gesehen“, stellte Tiara leise fest, während erneut Verzweiflung in ihr aufstieg und sie hilfesuchend zu Alenka sah.

Alenka nickte langsam, während sich die lähmende Enttäuschung durch ihren gesamten Körper zog, doch sie war Tiara trotzdem dankbar, dass sie es wenigstens versucht hatte.

„Das heißt, es gibt kein Heilmittel?! Sie werden beide sterben?“, fragte der Werwolf mit bebender Stimme.

Alenka spürte, wie ein Schauer über ihren Rücken rann und sich ihr Herz verkrampfte. Ihr fiel das Atmen schwer, während sich eine unbekannte Leere in ihr ausbreitete. Es fühlte sich an, als hätte sie Afra an nur einem Tag zweimal verloren und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie sich ernsthafte Hoffnungen gemacht hatte.

„Es muss doch jemanden geben, der ein Gegengift herstellen kann. Irgendjemand hat das Gift ja auch gebraut!“, warf Luise zuversichtlich ein.

Alenka spürte, dass die Halbhexe noch nicht aufgegeben hatte. Sie hoffte noch immer auf ein Wunder. Vielleicht konnte auch tatsächlich noch Hoffnung bestehen, denn immerhin klangen ihre Worte durchaus nachvollziehbar.

Zweifelnd sah Alenka Tiara an. Womöglich kannte sie jemanden, der in der Lage war, ein Gegengift herzustellen und Afra somit zu retten?! Und tatsächlich spürte sie, dass Tiara wahrhaftig eine Idee hatte.

Thyra.

Entsetzt zog Alenka ihren Geist zurück. Das hatte sie nicht im Entferntesten erwartet. „Nein!“ Alenka schüttelte entschieden den Kopf. Das letzte, wonach ihr der Sinn stand, war die Mörderin ihrer Eltern zu bitten, ihnen zu helfen!