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Der zweite Band der emotionalen Small-Town-Romance-Serie von Bestseller-Autorin Laura Pavlov Willkommen zurück in Magnolia Falls! Hier lebt River, der stets übellaunige Anwalt mit der schwierigen Vergangenheit. Diese zeigt sich äußerlich nur noch in seinen vielen Tattoos. Ansonsten führt er ein ruhiges, bescheidenes und zurückgezogenes, aber glückliches Leben. Ab und zu hat er One-Night-Stands aber er will sich auf keinen Fall auf eine feste Beziehung einlassen. Ruby kommt das gerade recht, die selbstbewusste, Psychologin aus zerrütteten Familienverhältnissen, die nur auf Stippvisite in Magnolia Falls ist, braucht ebenfalls niemanden an ihrer Seite. Sie will sich nur auf sich selbst verlassen, diese Lektion hat ihr das Leben schmerzhaft beigebracht. Nicht mehr als körperliche Anziehung empfindet sie für den gutaussehenden River. Doch dann brechen beide ihre eigenen Regeln und verlieben sich. Doch eigentlich wollte Ruby nur kurz in Magnolia Falls bleiben. Oder kann sie für immer bleiben und mit River glücklich werden? Ich legte eine Hand auf ihre Wange und wartete, bis sie mich ansah. »Ich habe dich jeden Tag in den letzten Wochen gesehen. Wir schreiben uns, wenn wir nicht zusammen sind. Ich bin diese Woche jeden Tag mit dir aufgewacht. Ich weiß, dass du nicht bleibst. Ich weiß, dass das hier nirgendwohin führt. Aber hör verdammt nochmal auf zu sagen, dass es nichts ist. Es ist mehr, als ich jemals mit jemand anderem hatte, und es fängt an, mich verdammt nochmal wütend zu machen, dass du das immer wieder sagst.« Wild River ist der zweite Band der fünfteiligen Small-Town-Romance-Serie MagnoliaFalls - eine einfühlsame Found-Family-Geschichte voller großer Emotionen, mit einem fantastischen Happy End und heißen Enemies-to-Friends-to-Lovers-Vibes.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Laura Pavlov
Magnolia Falls, Band 2: Wild River
Aus dem Englischen von Ute Brammertz
Der zweite Band der emotionalen Small-Town-Romance-Serie von Bestseller-Autorin Laura Pavlov
Willkommen zurück in Magnolia Falls! Hier lebt River, der stets übellaunige Anwalt mit der schwierigen Vergangenheit. Diese zeigt sich äußerlich nur noch in seinen vielen Tattoos. Ansonsten führt er ein ruhiges, bescheidenes und zurückgezogenes, aber glückliches Leben. Ab und zu hat er One-Night-Stands, aber er will sich auf keinen Fall auf eine feste Beziehung einlassen. Ruby kommt das gerade recht: Die selbstbewusste Psychologin aus zerrütteten Familienverhältnissen, die nur auf Stippvisite in Magnolia Falls ist, braucht ebenfalls niemanden an ihrer Seite. Sie will sich nur auf sich selbst verlassen, diese schmerzhafte Lektion hat sie vom Leben gelernt. Nicht mehr als körperliche Anziehung empfindet sie für den gutaussehenden River. Doch dann brechen beide ihre eigenen Regeln und verlieben sich. Dabei wollte Ruby eigentlich nur kurz in Magnolia Falls bleiben.
Oder kann sie hier mit River glücklich werden?
Wild River ist der zweite Band der fünfteiligen Small-Town-Romance-Serie Magnolia Falls – eine einfühlsame Found-Family-Geschichte voller großer Emotionen, mit einem fantastischen Happy End und heißen Enemies-to-Friends-to-Lovers-Vibes.
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Viten
»Ihr Mut war ihre Krone undsie trug ihn wie eine Königin.«Atticus
RIVER
Ich stellte den Wagen vor dem Krankenhaus ab. Keine Ahnung, was der alte Mann sich dabei dachte, das hier so lange durchzuziehen. Die Menge an Alkohol und Tabletten hätte jeden durchschnittlichen Dreißigjährigen umgehauen, ganz zu schweigen von einem neurotischen, nicht sonderlich fitten Typen über fünfzig. Seine Tochter musste völlig fertig sein – zumal wir das ganze Drama dem grenzenlosen Sextrieb ihres Vaters zu verdanken hatten.
Ich hasste Krankenhäuser, aber weil er mein Freund war, blieb mir keine Wahl. Ehrlich gesagt war Lionel Rose sogar mehr als ein Freund. Im Lauf der Jahre war der Besitzer der Whiskey Falls Bar für mich wie ein Familienmitglied geworden. Gestern hatte er einen Schlaganfall erlitten und das hatte uns alle hart getroffen.
Ich nahm den Aufzug nach oben. Beim Aussteigen bemerkte ich die musternden Blicke zweier Krankenschwestern. Die Tür schloss sich hinter mir und ich ging zu Lionels Zimmer.
Er hob die Hand und seine Lippen zogen sich kaum merklich nach oben, als ich ihn mit einem Half-Bro-Hug begrüßte. Die Monitore piepten ständig, und obwohl ich versuchte, nicht auf die Geräuschkulisse zu achten, machte sie mich nervös. Von dem Geruch nach schalem Kantinenessen und beißendem Desinfektionsmittel wurde mir flau im Magen.
Wahrscheinlich hasste ich Krankenhäuser sogar noch mehr als jeden anderen Ort, was einiges aussagte, denn ich hatte schon viel Zeit in Dreckslöchern verbracht. Angeblich hatte ich als Kind ein halbes Jahr lang im Krankenhaus gelegen, auch wenn ich mich an kaum etwas von damals erinnerte. Doch aus irgendeinem Grund verband ich Krankenhäuser mit Dunkelheit. Aber vielleicht ging das ja jedem so. Oder mein Unterbewusstsein erinnerte sich an diese Monate – und an die Tatsache, dass ich am Tag meiner Einlieferung Eltern gehabt hatte und am Tag meiner Entlassung nicht mehr.
»Sei nicht so stur und iss den Apfel«, sagte Doreen, Barkeeperin im Whiskey Falls und Lionels älteste Freundin, die auch gerade zu Besuch war. »Ruby ist bestimmt sauer, wenn sie zurückkommt und du ihn nicht angerührt hast.«
Ruby war Lionels einziges Kind.Ich kannte sie kaum und hatte sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Meistens besuchte Lionel sie, und wenn sie doch einmal nach Hause kam, blieb sie nur kurz. Lionels Ex-Frau, Rubys Mutter Wendy, war ziemlich anstrengend, und ich hatte den Eindruck, dass Ruby Magnolia Falls möglichst mied. Doch Lionel prahlte oft mit ihr, deshalb wusste ich, dass sie gerade ihren Doktor in Psychologie geschafft hatte. Eigentlich sollte Lionel in diesem Moment bei ihrer Promotionsfeier sein. Aber natürlich war sie gestern sofort nach Hause gekommen.
»Sag River, welche Story wir Ruby aufgetischt haben, damit wir uns nicht widersprechen.« Lionel redete sehr undeutlich, weil seine rechte Gesichtshälfte gelähmt war. Doch alles in allem hatte er Glück gehabt, hatte der Arzt gesagt. Er war rechtzeitig ins Krankenhaus gekommen und würde sich vermutlich vollständig erholen – mit der Zeit.
»Von welcher Story reden wir hier?« Ich beugte mich mit hochgezogenen Augenbrauen vor.
Doreen seufzte. »Ruby soll nicht erfahren, dass er diese … Aufputschmittel eingeworfen hat.« Sie räusperte sich grinsend. »Dass ihr Vater versucht, die sexuellen Bedürfnisse einer deutlich jüngeren Frau zu befriedigen, möchte er lieber für sich behalten.«
Jep. Lionel hatte die Dosis seiner Potenzmittel über mehrere Tage hinweg verdoppelt, weil der Mann ein echter Vollidiot sein kann.
»Und was habt ihr Ruby erzählt?«
Lionel sah auffordernd zu Doreen. »Wir haben ihr verklickert, dass der Schlaganfall von dem stressigen Rechtsstreit mit Jenna Tate kommt.«
»Was? Die Sache haben wir doch schon vor Wochen beigelegt.« Ich starrte die beiden mit offenem Mund an.
Doreen reichte mir einen Zettel. »Er hat mich das hier aufschreiben und ihr gestern Abend vorlesen lassen.«
Ich warf einen Blick auf das Gekritzel und verdrehte die Augen. »Du hast also im Grunde mir die Schuld an deinem Schlaganfall in die Schuhe geschoben? Das ist echt daneben, Lionel. Selbst für dich.«
»Hab ich gar nicht«, lallte er.
Wieder senkte ich den Blick auf den Zettel und las ein paar Zeilen. »River war sein Anwalt, aber leider hatte er den Fall nicht im Griff, und die Belastung war einfach zu viel für deinen Vater.« Dabei ahmte ich Doreen so gut wie möglich nach, eine Frau mittleren Alters, die Kette rauchte, seit sie denken konnte. Die echte Doreen starrte mich böse an, aber ihre Mundwinkel zuckten belustigt. »Ihr habt einfach alles auf mich abgewälzt.«
»Was sollten wir ihr denn sagen? Dass ihr Vater seine aktuelle Flamme nicht ausreichend beglücken kann und deshalb seine Medikamentendosis verdreifacht hat?« Doreen verschränkte die Arme vor der Brust.
»Scheiße, Mensch! Ich hab gedacht, du hättest sie verdoppelt. Du hast das Dreifache genommen? Bist du nicht mehr ganz dicht, Lionel?«, zischte ich. Da war die Katastrophe ja vorprogrammiert gewesen. Es machte mich stinkwütend, denn ich liebte den Mistkerl, auch wenn ich das niemals zugeben würde. »Und ja, genau das hättet ihr Ruby sagen sollen. Denn es ist die verfickte Wahrheit. Stattdessen habt ihr mich den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Aber wenn Ruby so schlau ist, wie du immer behauptest, kauft sie euch diesen Bullshit sowieso nicht ab. Man kriegt keinen Schlaganfall, nur weil man einen Prozess wegen eines Arbeitsunfalls am Hals hat. Dir hat doch nicht mal eine Haftstrafe gedroht.«
»Hey!«, warf Doreen ein. »Auf der Highschool habe ich die Julia gespielt. Ich bin eine begnadete Schauspielerin. Sie hat es uns abgekauft, das kannst du mir glauben.«
Kopfschüttelnd lehnte ich mich auf dem Stuhl zurück. Ich hatte Lionel in diesem lächerlichen Fall vertreten, obwohl er absolut im Unrecht gewesen war und Jenna Tates Arztrechnungen einfach gleich nach dem Unfall hätte bezahlen sollen. Doch der Geizkragen hatte versucht, ein paar Dollar zu sparen, was ihn letztlich dreimal so teuer zu stehen gekommen war.
»Okay, du und dein Schlappschwanz, ihr reißt euch jetzt besser mal zusammen. Hör auf, Frauen zu daten, die halb so alt sind wie du, dann bist du auch nicht so überfordert. Ist dir der Gedanke schon mal gekommen?«
Lionel zuckte mit den Schultern, seine Mundwinkel hingen schlaff nach unten. »Stella ist heiß«, lallte er.
»Und du bist ein sturer Bock. Ich mache bei eurer Schmierenkomödie mit, aber ich bezweifle, dass Doreen eine derart gute Schauspielerin ist, und wenn Ruby diesen Mist glaubt, dann ist sie nicht das Genie, mit dem du immer rumprahlst.«
»Ach … wie ich sehe, ist die ganze Gang hier versammelt«, erklang eine Stimme hinter mir und ich warf einen Blick über die Schulter.
Ruby fucking Rose war seit dem letzten Mal, als ich sie gesehen hatte, erwachsen geworden. Sie hatte lange schwarze Haare, die ihr in sanften Wellen den Rücken hinabfielen, rote volle Lippen und grün-braune Augen, die dank des Sonnenscheins, der durch die Fenster fiel und ihr hübsches Gesicht erstrahlen ließ, gerade fast golden aussahen. Fuck. Lionels Tochter war unglaublich sexy.
Ich zog eine Augenbraue in die Höhe, weil Ruby mich wütend anstarrte, als würde meine bloße Anwesenheit sie kränken. »Lange nicht gesehen, Ruby.«
»Ach was«, zischte sie und ihre Worte waren pures Gift. Was zur Hölle war mit ihr los? Sie kannte mich doch kaum. »Macht dich dein phänomenales Gedächtnis, durch das du weißt, dass du mich schon lange nicht mehr gesehen hast, zu so einem wahnsinnig tollen Anwalt?«
»Ruby«, sagte Lionel, dessen Stimme im Gespräch mit seiner Tochter viel sanfter klang, als wenn er sich mit irgendwem sonst unterhielt.
Sie hob den Finger, als wollte sie ihn zum Schweigen bringen. »Nein. Komm du mir jetzt nicht mit Ruby, liebster Daddy. Du bist als Nächstes an der Reihe.«
Doreen lachte glucksend und Ruby warf ihr einen grimmigen Blick zu. Lionels temperamentvolle Tochter war nicht groß, aber das tat ihrer Wirkung keinen Abbruch. Ich war fast eins neunzig, und sie konnte nicht viel größer als eins sechzig sein, wobei sie schwarze Militärstiefel trug, die sie noch ein Stückchen größer machten. Ihre dunkle Skinny Jeans betonte ihre Kurven, und ich musste mich zusammenreißen, um den Blick nicht über ihren ganzen Körper wandern zu lassen, wie ich es am liebsten getan hätte. Am auffälligsten an ihr war der schwarze Ledermantel. Immerhin hatten wir Ende Mai, die Sonne schien, verfluchtes Vogelgezwitscher war zu hören und Magnolia Falls war um diese Jahreszeit das reinste Paradies. Aber diese Frau sah aus, als wäre sie eben der tiefsten Hölle entstiegen.
Mir war diese Art von Zorn gut vertraut, denn in mir lebte und atmete sie ebenfalls.
»Doreen, als älteste und engste Freundin meines Vaters und meine Patentante hätte ich von dir etwas mehr Loyalität erwartet.« Sie verschränkte die Arme.
Fuck. Sie war auf alle sauer. Ich griff nach dem Schüsselchen mit Apfelscheiben auf Lionels Tablett und lehnte mich zurück, um die Show zu genießen.
»Du weißt ganz genau, dass ich dich lieb habe, Kleine. Meine Loyalität gehört immer dir und deinem Vater.« Doreen sah zwischen Lionel und Ruby hin und her, und ich biss in einen Apfelschnitz, was mir einen weiteren Zornesblick der Königin der Dunkelheit einbrachte.
»Ach ja?« Ruby stellte sich ans Fußende von Lionels Bett und musterte uns der Reihe nach. »Okay, dann verstehen wir darunter wohl verschiedene Dinge. Mich anzulügen, nachdem ihr mich quasi angefleht habt, nach Hause zu kommen und mich um die Bar zu kümmern – also, ich weiß nicht. Das wirkt eher … hinterlistig, oder etwa nicht?«
Wahnsinn. Sie war verdammt gut. Gleichzeitig selbstbewusst und herablassend und Furcht einflößend.
Als ich nach dem nächsten Apfelschnitz griff, schlug sie mir auf die Hand und die Apfelscheibe fiel zu Boden. »Hör auf, diesen gottverdammten Apfel zu essen. Wie wäre es, wenn du dich stattdessen aufs Rechtswesen konzentrierst und deine Arbeit anständig machst?«
Das reichte. Ich sprang auf und blickte auf sie runter. »Ich erledige meine Arbeit ausgezeichnet. Nicht dass ich deine Bestätigung nötig hätte. Aber ich lasse dir das mal durchgehen, weil ich weiß, dass du deinen Vater liebst und einen Sündenbock brauchst, um nicht komplett zusammenzubrechen.«
Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass sie klein beigeben würde, doch stattdessen grinste sie und reckte das Kinn, als würde sie die Herausforderung annehmen, die Augen ein loderndes Gold mit grünen Sprenkeln.
Verdammt, sie war eine böse Königin, Ruby, die Evil Queen, und ich fand es unglaublich heiß.
»Ich habe euch gehört. Das klang für mich nicht gerade nach Vorzeigeanwalt, oder ist das die Art, wie du deine Kanzlei führst? Mein Vater hat letzten Endes viel mehr an Jenna Tate zahlen müssen, als er sollte. Oder hast du auf beiden Hochzeiten getanzt und dich für ’ne Nummer mit der geilen Jenna für ihre Interessen einspannen lassen?«
Ich zog die Stirn kraus. »Ich weiß gar nicht, was mich mehr kränkt, dass du mir jede Moral absprichst oder dass du glaubst, ich bräuchte so ein Geschäft, um eine Frau ins Bett zu kriegen. Offensichtlich unterschätzt du meine Fähigkeiten.«
»Ruby.« Lionel tastete nach ihrer Hand, doch sie betrachtete ihren Vater nur mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ich habe die beiden zum Lügen angestiftet. Ich wollte mich nicht blamieren.«
»Echt jetzt, Dad? Du hast gedacht, ich würde euch diese bescheuerte Story abkaufen? Ich habe schon vor Wochen einen Blick in die Akten geworfen, um rauszufinden, was du ihr gezahlt hast. Eine von uns muss ja dafür sorgen, dass du nicht bankrottgehst.« Sie atmete tief aus und kniff die Augen zusammen. »Und gestern auf der Fahrt habe ich mit Dr. Peters telefoniert. Ich wusste von den Medikamenten. Ich habe mehr von dir erwartet. Und von dir auch, Doreen.«
»Es tut mir leid. Er war verzweifelt.« Doreen zuckte mit den Schultern. Ihr traten Tränen in die Augen, und ich bekam tatsächlich ein wenig Mitleid mit ihr, als sie begann, heftig zu husten.
Aber Ruby ließ sich definitiv nicht davon beeindrucken. »Spar dir das!« Sie riss die Hand hoch, und Doreen hörte schlagartig auf, sich die Lunge aus dem Leib zu röcheln. Vielleicht waren ihre Schauspielkünste besser, als ich ihr zugetraut hatte. »Schon verstanden. Er kann sehr überzeugend sein, wenn er keinen anderen Ausweg sieht.«
»Danke«, sagte Doreen, rückte näher und schlang die Arme um Ruby. »Ich habe dich vermisst.«
»Sicher«, sagte Ruby und löste sich ungerührt aus der Umarmung. »Wie auch immer, mit dem Lügen ist jetzt jedenfalls Schluss. Wenn du mich auch nur noch ein Mal anflunkerst, werde ich das Whiskey Falls nicht für dich führen, während du in die Reha gehst. Hast du mich verstanden, Dad?« Sie starrte auf ihren Vater hinunter. »Wir wollten doch immer ehrlich miteinander sein.«
»Ja, verstanden«, nuschelte er. »Und es tut mir leid, dass ich deine Feier verpasst habe.« In Lionels Stimme schwang hörbar Enttäuschung mit. Ruby war der wichtigste Mensch in seinem Leben und jeder in Magnolia Falls wusste das.
»Alles gut. Du weißt ja, dass mir so was egal ist.« Als ihr Handy vibrierte, warf sie einen Blick darauf und stieß ein Ächzen aus. »Ich bin noch nicht mal vierundzwanzig Stunden zu Hause! Mom hat sich eben mit Jimbo gestritten. So eine Überraschung. Und Rico meint, seine Freundin sei schwanger.«
Rubys Mutter war aktuell mit Jimbo Slaughter verheiratet. Diese Frau war so oft vor den Traualtar getreten, dass es schwer war, den Überblick zu behalten. Ihre zwei Söhne, Zane und Rico, hingen immer in der Bar ab und schnorrten sich bei Lionel durch.
»Tut mir leid, dass du das an der Backe hast«, lallte Lionel, und zum ersten Mal, seitdem Ruby das Zimmer betreten hatte, wurde ihr Blick sanfter.
»Mach dir keinen Kopf, ich habe alles im Griff. Im Moment bist du das Allerwichtigste. Ich habe mich mit Dr. Peters unterhalten, und er hat gesagt, er hätte mit dir über eine stationäre Reha-Maßnahme gleich im Anschluss an deinen Aufenthalt hier gesprochen. Du hast noch einen langen Weg vor dir. Und da wirst du nicht drum herumkommen. In der Zwischenzeit werde ich die Bar übernehmen und du gibst alles, damit du wieder auf die Beine kommst. Kapiert?«
Wieder griff Lionel nach ihrer Hand und diesmal ließ sie es geschehen. »Danke. Ich hab dich lieb, Rubes.«
Sie seufzte. »Ich dich auch.« Und diesmal war ihr Lächeln aufrichtig. Die Evil Queen hatte definitiv eine Schwäche: ihren Daddy.
RUBY
Zum Glück willigte mein Dad in sämtliche Vorschläge von Dr. Peters ein. Wenn mein Vater wollte, konnte er ein echter Sturkopf sein, doch im Moment war er zu einem Häufchen Elend geschrumpft und hatte aufgehört, sich bei allem querzustellen.
Überraschte es mich, dass er nicht die einfache, nicht die doppelte, sondern die dreifache Dosis des Medikaments eingenommen hatte, um eine endlose Erektion zu haben?
Nicht im Geringsten. Das war so typisch Dad.
Er war ein impulsiver Kerl und wir hatten schon immer Witze darüber gerissen. In unserer Beziehung war er das Partygirl und ich die Erwachsene. Mit acht Jahren hatte ich für uns beide das Essen zubereitet und mich um die Rechnungen gekümmert. Doch wir waren immer offen und ehrlich miteinander umgegangen, und ich fand es schrecklich, dass er mich belogen hatte, auch wenn ich die Gründe nachvollziehen konnte.
Mein Vater war der einzige Mensch in meinem Leben, dem ich vertraute. Das war er schon immer gewesen.
Mit meiner Mutter war das etwas anderes. Wendy Rose-Dane-Holt-Smith-Slaughter war eine ganz eigene Nummer. Die meisten befristeten Mietverträge dauerten länger als ihre Ehen. Also ja, es war Absicht, dass ich sie penibel mit all ihren Nachnamen ansprach.
Meine Mutter zog Männer an wie Motten das Licht. Leider suchte sie sich keine sonderlich guten Exemplare aus. Jedenfalls nicht, nachdem sie meinem Dad das Herz gebrochen hatte.
Mein Vater war ein guter Mensch. Trotz all der schlechten Entscheidungen und durchgesoffenen Nächte war er im Kern durch und durch gut. Es tat fast schon weh, wie sehr ich ihn liebte. Selbst wenn ich wütend auf ihn einredete, was ja letztlich nur meine Art war, meine Liebe zu zeigen. Er baute Mist und ich beschwerte mich darüber – so lief das nun mal bei uns.
Meine Mutter hingegen … Wenn man zu ihrem Kern vordrang, blieb einfach nichts übrig. Wendy Rose-Dane-Holt-Smith-Slaughter war schön, aber sie war egoistisch, gedankenlos und berechnend.
Ich bog in die Einfahrt zu ihrem Trailerpark, stellte meine Rostlaube von einem weißen Honda ab und stieg aus. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, aber ich marschierte hoch erhobenen Hauptes zur Tür ihres Trailers, riss sie auf und fand genau das vor, was ich immer vorfand. Wenigstens in der Hinsicht war Verlass auf sie.
Auf der Arbeitsfläche stapelte sich schmutziges Geschirr und auf dem Boden lag Abfall verstreut. In der Luft hing der schwere Geruch nach Zigarettenrauch und Gras, und auf dem kleinen Tisch standen Bierflaschen voller Zigarettenstummel.
Ich schüttelte angewidert den Kopf. »Hallo! Ich bin da.«
»Mir geht’s nicht so gut. Bring mir ’ne Cola und komm her«, rief meine Mutter aus dem Nebenzimmer.
Als ich den Kühlschrank aufmachte, musste ich mir die Nase zuhalten, weil mir ein überwältigender Gestank nach saurer Milch und etwas Verfaultem entgegenschlug.
Es ändert sich nie was.
Nach der Trennung meiner Eltern, als ich vier Jahre alt gewesen war, hatte ich bei meinem Vater gelebt. Und mit Trennung ist das gewaltige, explosive, katastrophale Ende einer Beziehung gemeint, zu der es wahrscheinlich niemals hätte kommen dürfen. Allerdings war ich dankbar, dass zumindest etwas aus ihrer gemeinsamen Zeit hervorgegangen war – ich.
Doch nach der Scheidung war mein Vater am Boden zerstört, wohingegen sie meine Mutter kaum mitnahm. Sie hatte eine Affäre mit Rico Dane gehabt, dem besten Freund meines Vaters aus Kindertagen, und die beiden waren aufgeflogen. Mein kleiner Bruder, Rico Dane Junior – am besten fange ich gar nicht damit an, dass es gesetzlich verboten sein sollte, ein Kind Junior zu nennen, wenn der zugehörige Senior im Leben nichts weiter erreicht hat, als sein Sperma beizusteuern und im Whiskey Falls beim Beer-Pong zu gewinnen –, war das Ergebnis dieser Verbindung, und genau wie seine Eltern bekam er nichts auf die Reihe.
»Schwesterherz!«, ertönte eine Stimme hinter mir und ließ mich zusammenfahren. Ich drehte mich um und sah Rico, der durch die Tür auf mich zugestürzt kam.
Er war ein großer, liebenswerter Trottel. Die Highschool hatte er geschmissen, weil er, lange bevor es legal war, mit dem Marihuana-Anbau angefangen hatte. Seine Firma hatte er Kingpin Weed genannt, um unter dem Radar zu bleiben. Die Geschäfte waren nicht gut gelaufen. Rico kiffte den ganzen Tag. Zu Recherchezwecken, wie er sagte. Inzwischen arbeitete er im Daily Market von Oscar Daily. Wenigstens hatte er einen Job.
Ob er bereit für seine Rolle als Vater war? Auf gar keinen Fall. Aber das hatte bisher noch kein Mitglied meiner Familie davon abgehalten, Kinder in die Welt zu setzen.
Ich ließ mich von ihm hochheben und durch die Luft wirbeln, weil ich ihn verdammt noch mal liebte, auch wenn ich ihn nicht immer verstand. Es war einfach nicht fair, das Kind von Wendy und Rico Blödmann Senior zu sein. Deshalb hatte ich immer versucht, für ihn da zu sein. Und ihm, soweit möglich, Schwierigkeiten zu ersparen.
»Hey! Jetzt kannst du mich aber wieder runterlassen!« Ich kicherte, was ich nicht oft tat, weil ich das Leben nicht besonders lustig fand. Aber bei meinen jüngeren Brüdern wurde ich weich.
»Eine echte Frau Doktor, Dr. Rose!« Rico pfiff anerkennend und auf seinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. Er hatte die dunklen Augen und blonden Haare meiner Mutter. Ich kam eher nach meinem Vater, was mir nie etwas ausgemacht hatte. Doch mein Bruder sah einfach göttlich aus und das wusste er auch.
»Wenn du mich noch mal Dr. Rose nennst, rasiere ich dir im Schlaf die Augenbrauen ab.« Ich warf ihm einen warnenden Blick zu.
In der Akademikerwelt – weit weg von Magnolia Falls und dem Leben, dem ich immer hatte entkommen wollen – war ich offiziell Dr. Rose. Doch zu Hause so genannt zu werden, ging gar nicht. Meine Mutter fand es schrecklich, dass ich studiert hatte. Aber ich hatte mich immer schon für Psychologie interessiert. Wollte lernen, was Leute antreibt. Vielleicht lag es daran, dass ich immer schon für sämtliche Menschen in meinem Umfeld Probleme gelöst hatte. Jedenfalls fühlte es sich so an. Ich erforschte gern, was Menschen dazu brachte, die Dinge zu tun, die sie taten. Mich interessierte die Motivation hinter positiven wie auch negativen Entscheidungen und die Praxis des Verzeihens.
Ich selbst hatte noch nicht oft im Leben verziehen, aber ehrlicherweise hatte sich auch fast nie jemand für etwas bei mir entschuldigt. Für die schlimmen Situationen, in die mich meine Mutter als Kind gebracht hatte. Dafür, dass ich mich um meine Brüder hatte kümmern müssen, obwohl ich kaum älter als die beiden war.
Deshalb hatte ich gelernt, mich auf meine Fähigkeiten zu besinnen und sie zu nutzen. Ich hatte einen sehr guten Abschluss von einer der renommiertesten Universitäten Kaliforniens in der Tasche und die Welt lag mir zu Füßen.Also, in acht Wochen, wenn ich nicht mehr das Whiskey Falls führen und auf die vollständige Genesung meines Vaters warten müsste.
Allerdings musste ich noch herausfinden, was ich von der mir zu Füßen liegenden Welt wollte. Die University of Western California hatte mir eine Dozentinnenstelle angeboten, wie sie nach dem langen Studium mein Ziel hätte sein sollen. Aber ich war mir nicht sicher, ob meine Zukunft tatsächlich in der Lehre lag. Ich hatte noch keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Dad hatte am Freitagabend den Schlaganfall gehabt, als er gerade losfahren wollte, um an meiner Promotionsfeier am nächsten Morgen teilzunehmen. Story of my life. Anscheinend gelang es mir einfach nicht, diesen Ort hinter mir zu lassen. Mein Vater war der einzige Mensch, für den ich die Feier hätte sausen lassen – und genau das hatte ich auch getan.
»In der Middle School hast du mal Zanes Augenbrauen abrasiert«, erinnerte Rico sich. »Ich weiß also, dass es keine leere Drohung ist.«
»Verdammt richtig. Erzähl mir, was mit Panda los ist.« Ja, die Freundin meines Bruders seit der Middle School hieß Panda. Irgendwann einmal hatte sie Sally geheißen, aber sie hatte den Namen nicht ausstehen können und sich mit fünfzehn in Panda umbenannt, und keiner hatte es infrage gestellt, mal abgesehen von meinen endlosen Sticheleien.
Er öffnete ein Bier und trank einen großen Schluck. »Sie ist nicht schwanger. Sie hat mich bloß verarscht.«
Ich nickte. Das war Ricos und Pandas Art, ihre Liebe zu zeigen. Betrügen. Lügen. Einander verarschen. Auf Endlosschleife.
»Dir ist schon klar, dass du dir nicht so viele Sorgen machen müsstest, wenn du verhüten würdest«, sagte ich. Sie hatten diesen Mist nicht zum ersten Mal abgezogen und es war bestimmt nicht das letzte Mal gewesen. Die beiden waren der Inbegriff einer toxischen Beziehung, und er hatte sich so sehr daran gewöhnt, dass er sie wahrscheinlich niemals verlassen würde.
»Manchmal verhüte ich ja, aber manchmal will ich ihr einfach nur einen Braten in die Röhre schieben.«
»Ist dir eigentlich klar, was für eine herabwürdigende Ausdrucksweise das ist? Ihr einen Braten in die Röhre schieben! Als wäre sie ein Objekt, ein Baby backender Ofen. Es ist echt beleidigend, Rico. Und das sage ich, obwohl ich nicht gerade ein Panda-Fan bin.«
»Natürlich machst du gleich wieder einen auf Frauenrechte. Bist du immer noch sauer auf Panda, weil sie deinen dunkelblauen Pulli geklaut hat, bevor du zur Uni bist?« Er hatte ein albernes Grinsen im Gesicht, das mich dazu brachte, ihn gleichzeitig umarmen und ohrfeigen zu wollen.
»Nein. Die Gründe, weswegen ich Panda nicht mag, lauten: A: Ihr Name ist lächerlich, und B: Sie hat dich dazu gebracht, die Highschool abzubrechen, obwohl du gut in der Schule warst.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
»Kingpin Weed war ihre Idee und es war genial. Aber jetzt, wo Pot legal ist, mischen alle mit.«
»Sicher. Es ist viel einfacher, an einen Geschäftskredit zu kommen, wenn man legale Erzeugnisse verkauft. Ziemlich clever.« Sarkasmus war mir zur zweiten Natur geworden und ich lebte das voll aus.
»Ich bin eben nicht so schlau wie du.«
Dieses Argument kramten meine Brüder ständig hervor, wenn sie Mist bauten und mich um Hilfe baten. Ich fand es schrecklich.
Hatten sie recht? Wahrscheinlich.
Aber war es ihre Schuld? Nein. Sie verfügten nicht über das Werkzeug, um sich aus dem beschissenen Leben zu retten, in das sie geboren worden waren.
»Wollt ihr beide bloß da draußen rumstehen und quatschen, während ich hier drinnen leide?«, rief meine Mutter aus dem Nebenzimmer und Rico kicherte.
»Der große, böse Jimbo hat das ganze Geld vom gemeinsamen Konto verspielt, also reden sie im Moment nicht miteinander.«
»Wie viel Geld?«
»Keine Ahnung. Vielleicht zweihundert Dollar. Mom ist stinksauer deswegen.«
Ich schnappte mir eine Cola und folgte meinem Bruder den kurzen Weg in die raucherfüllte Oase meiner Mutter: rot-goldenes Bettzeug, halb volle Aschenbecher auf der Kommode und dem Beistelltisch und ein riesiges Foto meiner beinahe nackten Mutter, das gerahmt über ihrem Bett hing. Verzweifelte Vibes mit einem Schuss Ich hab meine besten Jahre hinter mir und bin nicht glücklich darüber.
Ich riss das Fenster auf, um etwas frische Luft in diese krebserregende Höhle zu lassen.
»Mein Gott, Wendy. Das hier sollte kein Mensch einatmen«, sagte ich.
»Wendy …« Sie sah mich an. »Nicht Mom. Und das, obwohl du weißt, dass ich völlig am Ende bin.«
Ja, klar. Wenn es ihr nicht dreckig ging, rief sie ja auch nicht an.
»Ich nenne dich seit meiner Kindheit Wendy. Such nicht noch ’nen Grund, um im Bett zu bleiben. Steh auf. Schnapp frische Luft. Trink etwas Milch oder iss was, das nicht in Plastik eingeschweißt ist. Du siehst nicht gut aus.«
Ihre Haut war blass und hatte einen leichten Grauton. Nicht ohne Grund hatte ich sie in meiner Twilight-Phase für einen Vampir gehalten. Zumal die Frau ein echtes Talent dafür hatte, den Menschen in ihrem Umfeld das Leben auszusaugen.
Sie setzte sich auf und streckte die Hand nach ihrem Getränk aus. Ich reichte es ihr nicht. Stattdessen umfasste ich ihre Hand und zog sie auf die Beine.
»Die Cola kriegst du, nachdem du geduscht hast. Los!« Ich zeigte aufs Badezimmer, und sie warf mir einen bösen Blick zu, bevor sie die paar Schritte hinüberstürmte und die Tür hinter sich zuknallte.
»Wahnsinn, Schwesterherz! Du bist die Einzige, die es schafft, sie aus dem Bett zu bekommen, wenn sie ’ne Krise hat«, sagte Rico.
Ich nahm ihm das Bier aus der Hand und zog eine Augenbraue hoch. »Wie wäre es, wenn du nicht schon vor dem Mittag mit dem Trinken anfängst? Wie läuft der Job?«
»Du weißt ja, dass Oscar mir gern Feuer unterm Hintern macht, aber wenigstens bezahlt er mich dafür.«
Ich stellte die Cola meiner Mutter auf der Kommode ab und rief durch die Badtür, dass ihr Getränk dort auf sie wartete.
Rico folgte mir zurück in die Küche, wo ich den Rest seines Biers in den Ausguss kippte, mir einen leeren Müllbeutel schnappte und die verdorbenen Lebensmittel aus dem Kühlschrank holte.
Da wurde die Tür des Trailers aufgerissen und Zane trat ein. Er war ein Jahr jünger als Rico und drei als ich. Meine beiden Brüder ähnelten einander, während ich nicht viel mit ihnen gemeinsam hatte. Irgendwie passte das, denn ich hatte nie das Gefühl gehabt, hier dazuzugehören. Mein Vater war der einzige Mensch, bei dem es mir nicht so ging. Doch ich liebte meine Brüder heiß und innig, und so ertrug ich meine Mutter, da die beiden sich anscheinend nicht von ihrem Einfluss frei machen konnten.
»Na, wenn das mal nicht die Frau Professorin ist!« Zane hob mich hoch und wirbelte mich herum wie Rico vorher auch. Beide waren große Kerle. Hochgewachsen, breitschultrig und muskulös.
»Lass mich runter und helft mir, hier sauber zu machen. Ihr solltet nicht so leben müssen.«
Jep. Sie wohnten beide immer noch zu Hause.
Zane trat an die Spüle und begann mit dem Abwasch. »Ich, ähm, ich hatte gehofft, du könntest mir bei einer Sache helfen.«
Wie immer.
»Was hast du angestellt?« Ich sah ihn fragend an.
»Ich hab ’ne dumme Wette auf ein Pferd abgeschlossen, und jetzt droht Sam White, dass er mir mein Auto wegnimmt, wenn ich ihn nicht bis Freitag bezahle.« Er kratzte sich im Nacken.
Ich kniff die Augen zusammen. »Wie viel schuldest du ihm?«
»Dreihundert Dollar.«
»Und du hast dein Auto bei einer blöden Pferdewette als Pfand eingesetzt?«, zischte ich, ehe ich mich wieder dem Kühlschrank zuwandte. Das hier war der Grund, weshalb ich so ungern herkam. Ich hatte mir ein anderes Leben gewünscht und war genau deshalb von hier fortgegagngen. Wie gesagt, ich liebte meine Brüder, aber ich war mir nicht sicher, ob ich mich und sie gleichzeitig retten konnte.
Zane schenkte mir diesen traurigen Dackelblick, den er immer aufsetzte, wenn er Mist gebaut hatte.
Ich atmete tief aus. »Schau im Lauf der Woche in der Bar vorbei, dann besorge ich dir das Geld.«
Er schlang von hinten die Arme um mich, aber ich schüttelte ihn ab.
Mir war klar, dass er einfach so weitermachen würde, wenn ich ihm half. Aber ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Ich hatte versucht, den beiden Jobs zu besorgen. Hatte sie beschworen, wegzuziehen und ihr Leben zu ändern. Sie hätten bei mir in Kalifornien wohnen können. Wieder zur Schule gehen und den Abschluss nachholen. Aber ich stieß auf taube Ohren. Also rettete ich ihnen den Arsch. Immer wieder. Und ja, mir war klar, dass die Definition von Wahnsinn lautete, immer wieder das Gleiche zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten.
»Hammer! Ruby weiß immer einen Ausweg«, sagte Rico.
Ich drehte mich zu den beiden um. »Ja, klar. Ich bin hier die Supernanny«, sagte ich mürrisch, während ich den Müllbeutel zuband und zur Tür ging, um ihn draußen abzustellen. Ich atmete die frische Luft tief ein und wartete, bis sich die Übelkeit legte, die mir die vergammelten Lebensmittel verursacht hatten.
So lief es , seit ich ein kleines Kind war. Mein Wegzug hatte daran nichts geändert. Sie riefen weiterhin nach mir. Ich kam ihnen immer noch zu Hilfe. Vielleicht war das einfach meine Bestimmung.
Aber es kostete mich meine letzte Kraft.
RIVER
Als ich die Whiskey-Falls-Bar betrat, hob Romeo die Hand und winkte mich zu sich. Der Kerl hatte vor ein paar Wochen seinen Boxkampf gewonnen, und wir alle waren erleichtert, dass der Fight jetzt hinter ihm lag. Er hatte in einem offiziellen Statement angekündigt, dass er sich aus dem aktiven Boxsport zurückziehen würde, nun galt sein ganzes Engagement seinem Boxclub, dem Haus, das er gerade gekauft hatte, und natürlich seiner Freundin Demi, die mittlerweile eine von uns war.
Mein Bruder Kingston saß neben ihm am Tisch, ihnen gegenüber saßen Hayes und Nash. Wir fünf waren von Kindesbeinen an beste Freunde gewesen und unsere Bindung war tief. Ich sah zur Bar hinüber, wo Demi sich mit Ruby unterhielt. Ich ging zu ihnen, beugte mich nach unten, um Demi einen Kuss auf die Wange zu geben, und sie lächelte zu mir hoch. »Hey, River! Schön, dass du da bist. Alle haben schon Hunger.«
Mein Blick wanderte zu Ruby, die auf der anderen Seite des Tresens stand. Das dunkle Haar fiel ihr geschmeidig um die Schultern. Rote Lippen. Katzenaugen, die heute eher grün als braungolden aussahen. Sie trug ein schwarzes Band-T-Shirt, unter dem sich ihre festen Brüste abzeichneten.
Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Als Lionels Tochter war sie selbstverständlich tabu, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie mich anscheinend hasste, aber ein Mann konnte eine schöne Frau schließlich auch zu schätzen wissen, ohne sich gleich an sie ranzumachen.
»Ich bin bei der Arbeit aufgehalten worden.« Ich sah noch mal zu Ruby. »Hallo, Evil Queen. Für mich ein Bier, bitte.«
Sie zog eine Augenbraue in die Höhe. »Origineller Name. Hoffentlich hat er dich nicht zu viele Hirnzellen gekostet.« Dann griff sie nach einem Glas und zapfte mir ein Bier, während Demi sich die Hand vor den Mund hielt, um ihr Lachen zu verbergen.
»Schön, dass du so besorgt um mich bist. Vielleicht bist du ja doch ganz nett.«
Als sie das Glas mit finsterer Miene hinstellte, musste ich grinsen.
»Romeo winkt mich rüber.« Demi sah zwischen uns hin und her, als wäre ihr die Anspannung zu groß. »Sag Ruby einfach, was du essen willst. Ich hab schon für uns bestellt.«
Ich nickte, und als sie weg war, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den kleinen sexy Drachen hinter der Bar.
Ruby fuhr mit der Zunge über ihre Unterlippe und hob eine Augenbraue. »Verwechsle meine Sorge, wie du meinem Vater unter die Arme greifst, bloß nicht mit irgendwas anderem.«
Ich nickte. Verdammt. Sie nahm kein Blatt vor den Mund und ich fand es großartig.
»Deine Sorge kannst du dir sparen, Evil Queen. Ich komme schon klar.«
»Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Darum geht es ja. Hattest du bei dem Prozess dein Wohl oder das meines Vaters im Sinn?«
Das machte mich jetzt sauer. Man kann mir einiges vorwerfen, aber ein mieser Freund bin ich nicht. Ich bin zutiefst loyal, und Lionel gehört zu den wenigen Menschen, für die ich durchs Feuer gehen würde.
Ich trank einen Schluck von meinem Bier, bevor ich mich vorbeugte und mich bis auf ein paar Zentimeter ihrem Gesicht näherte. »Dein Vater ist mein Freund. Ich habe ihm von Anfang an geraten, einfach die verfluchten Arztkosten für Jenna zu bezahlen, dann wäre nichts von alldem passiert. Er hat mehr als eigentlich nötig geblecht, weil er ein sturer Bock ist. Und nur damit das klar ist, sie hätte viel mehr aus ihm rausholen können, wenn ich ihr nicht gut zugeredet und sie dazu gebracht hätte, den Mist sein zu lassen. Überleg dir also gut, wem du hier Vorwürfe machst.«
Sie zuckte nicht mal mit der Wimper. »Wie ausgesprochen korrekt von dir, Herr Vorzeigeanwalt, aber im Gegensatz zu meinem Dad traue ich dir nicht über den Weg.«
»Gut. Dann bist du so schlau, wie dein Vater behauptet hat.« Ich beugte mich noch weiter vor, denn diese roten Lippen waren einfach zu verlockend. Nie zuvor hatte ich mich so heftig zu einer Frau hingezogen gefühlt.
Sie wich zurück, ihr Mund eine gerade Linie, völlig ungerührt. Scheißcool. »Bild dir bloß nichts ein, Wild River. Ich erkenne einen wilden Fluss, wenn ich einen sehe.«
Ich lachte glucksend. »Du solltest nicht von dir auf andere schließen.«
»Tue ich nicht. Ich kenne mich einfach mit Wildwasser aus.«
»Na schön. Wie wäre es dann, wenn du mal von deinem hohen Ross runterkommst und erkennst, dass ich nicht der Feind bin? Dein Dad ist mir wichtig, und ich werde alles tun, um ihm zu helfen. Immer.«
Sie schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Schauen wir mal. Was willst du essen?«
»Ich nehme einen Burger. Medium.«
»Alles klar. Du kannst jetzt gehen.« Sie drehte sich weg und ich lachte leise. Dann schnappte ich mir mein Bier und ging zum Tisch der anderen.
»Was war denn da los, huh?«, sagte Romeo und blickte von mir zurück zu Ruby an der Bar.
»Ich hab doch gesagt, dass da voll die Spannung zwischen den beiden ist.« Demi nippte an ihrem Wein und lächelte zu mir hoch.
»Sie glaubt, ich hätte ihren Vater über den Tisch gezogen. Außerdem ist sie sauer, weil er sie über den Grund seines Schlaganfalls belogen hat. Der Mist hat allerdings nichts mit mir zu tun. Sie ist einfach eine wütende Frau.« Ich trank noch einen großen Schluck aus meinem Glas.
»Aber echt heiß.« Kingston zog vielsagend die Augenbrauen hoch. Der Kerl hatte immer nur das eine im Kopf, aber aus irgendeinem Grund ärgerte es mich, dass er so über Ruby sprach.
»Verdammt, sie ist Lionels Tochter! Lass gefälligst deinen Schwanz in der Hose.« Die Worte waren mir rausgerutscht, ehe ich darüber nachdenken konnte.
Hayes stieß einen Pfiff aus, während Nash laut auflachte.
»Immer mit der Ruhe, Bruder. Ich spreche nur das Offensichtliche aus, das ist noch lange kein Grund, dein Revier zu markieren«, sagte Kingston mit einem albernen Grinsen im Gesicht.
Ganz ehrlich, unsere einzige genetische Gemeinsamkeit besteht darin, dass wir dieselben Eltern haben. Fuck, der Typ ist einfach immer unerträglich gut drauf.
»Hier geht’s nicht ums Reviermarkieren. Benimm dich einfach respektvoll, du Würstchen.«
»Du darfst mich gern so nennen. Schließlich finde ich Würstchen gleich auf mehreren Ebenen toll.« Mein Bruder zwinkerte mir zu.
»Du magst Würstchen?«, erkundigte sich Demi.
»Hast du das wirklich eben gefragt, Baby? Das war jetzt eine Steilvorlage.« Romeo schlang einen Arm um sie und küsste ihre Wange. »Also, ich selbst habe ein außergewöhnliches Würstchen und bin mächtig stolz darauf. Und … ich mag Hotdogs, für die man Würstchen braucht.«
Alle lachten, und ich verdrehte die Augen, als gerade Ruby unser Essen brachte.
»Liebst du Würstchen, Ruby?«, wollte Kingston von ihr wissen und ich kniff peinlich berührt die Augen zu.
»Ich liebe es, zu schweigen.« Sie starrte ihn unverwandt an, doch er rieb aufgeregt die Hände aneinander, weil der Mistkerl es nicht merkte, wenn er jemandem auf die Nerven ging.
»Bei mir würdest du ganz bestimmt nicht schweigen.« Seine Brauen schossen anzüglich in die Höhe.
Demi sah zwischen Kingston und Ruby hin und her und fragte sich wahrscheinlich, ob er zu weit gegangen war, was bei meinem Bruder häufig vorkam.
»Da hast du recht.« Ihre Mundwinkel zogen sich kaum merklich nach oben, als sie sich ein Stück zu ihm beugte. Wahrscheinlich sah das sonst keiner, aber da ich diese Frau faszinierend fand, fielen mir jetzt alle möglichen Einzelheiten auf. »Ich würde dir sagen, dass du dich verpissen sollst.«
»Volltreffer«, sagte er und legte sich beide Hände aufs Herz. »Ich mein das nicht so. Es ist lieb, dass du für deinen Dad einspringst. Ich hab ihn heute im Krankenhaus besucht.«
»Ja? Danke. Er wird bald zur Reha auf eine andere Station verlegt. Aber er hat noch einen langen Weg vor sich und weiß es zu schätzen, dass ihr ihn alle unterstützt.« Ihr Blick wurde weicher und mir schnürte sich die Brust zusammen. Diese sanfte Seite gefiel mir aus irgendeinem Grund. Doch dann wandte sie sich zu mir, wieder mit stählernem Blick, auch wenn darin ein Funke Humor aufblitzte. »Trotz der miesen Rechtsberatung, die er hier bekommt.«
»Weißt du, mit einem Doktor in Psychologie sollte dir eigentlich was Besseres einfallen. Wenn du mir bloß meine schlechte Rechtsberatung vorwerfen kannst, hab ich kein Problem damit. Mir ist es scheißegal, ob ich ein guter Anwalt bin.«
Das stimmte zwar nicht, aber mir war es lieber, wenn die anderen nicht wussten, dass sie mich gekränkt hatte. In Wahrheit lag mir viel mehr an meinem Beruf, als die meisten ahnten.
»Was geht es dich an, dass ich einen Doktor habe?«
Die Blicke der anderen huschten zwischen uns beiden hin und her. Demi riss die Augen auf, und Romeo hatte ein lächerliches Grinsen im Gesicht, als würde er sich köstlich amüsieren.
»Vergiss nicht, ich bin Anwalt. Ich informiere mich über meine Mandanten und ihr Umfeld.«
»Warum konzentrierst du dich nicht darauf, meinen Vater aus Schwierigkeiten rauszuhalten, und kümmerst dich um deinen eigenen Scheiß?« Rubys Worte waren pures Eis. Dann drehte sie sich um und stürmte davon.
»Hast du wirklich Nachforschungen über sie angestellt?«, fragte Demi, nachdem die Evil Queen hinter die Bar zurückgekehrt war.
»Natürlich nicht. Lionel hat es mir erzählt. Aber ich ziehe sie gern auf.« Ich schob mir eine Kartoffelkrokette in den Mund und seufzte genüsslich, weil es die besten Kroketten in der ganzen Stadt waren.
»Ich glaube, King hatte zum ersten Mal recht«, sagte Nash und mein Bruder sah ihn gespielt gekränkt an. »River hat sein Revier markiert. Du magst dieses Mädchen.«
»So ungern ich es tue, ich muss ihm zustimmen«, meinte Hayes.
»Wollt ihr mich verarschen? Das wollt ihr bei dem kurzen Wortwechsel rausgehört haben? Ich mag sie ungefähr so sehr, wie ich einen spitzen Stock ins Auge gerammt bekommen will.«
»Willst du damit sagen, dass du sie nicht attraktiv findest?«, fragte Demi mit herausfordernd hochgezogener Augenbraue.
»Oh, meine süße, naive Beans«, sprach ich sie mit dem Spitznamen an, den wir inzwischen alle verwendeten. »Das habe ich nicht gesagt. Jeder, der Augen im Kopf hat, kann sehen, dass sie wunderschön ist. Aber ich kann einen anderen Menschen attraktiv finden und ihn trotzdem nicht ausstehen können.«
»Dann kannst du sie also nicht ausstehen?« Romeo grinste immer noch. »Bist du dir da sicher, Bro? Du schaust ständig rüber.«
»Stimmt. Ich glaube, du findest es fucking cool, dass sie dich nicht ausstehen kann.« Nun war Kingston an der Reihe, seinen Senf dazuzugeben, denn Gott bewahre, dass der Mistkerl mal einfach seinen Mund halten würde.
»Keine Ahnung, River. Wir haben vor nicht allzu langer Zeit mit angesehen, wie Romeo sich verliebt hat. Vielleicht bist du als Nächstes dran.« Hayes wirkte mächtig stolz über seine Bemerkung und ich zeigte ihm den Mittelfinger.
»Jetzt hört doch auf! Dieser Typ stand unter Demis Pantoffel, seit er was von dem Kürbiszauber mit Zimt abgekriegt hat, den unsere Kleine in die Becher im Magnolia Beans tut.« Bei der Erinnerung an Romeos innere Zerrissenheit, weil er von Anfang an völlig verrückt nach ihr gewesen war, lachte ich lauthals.
»Ich weiß nicht, Bro. Du wirkst ein bisschen defensiv«, sagte Romeo unter Gelächter.
»Hey! Vielleicht ist das deine Sprache der Liebe«, schlug Demi vor.
»Ich habe keine Sprache der Liebe.« Ich biss ein großes Stück von meinem Burger ab.
»Was soll das denn überhaupt sein?«, wollte Kingston von ihr wissen.
»Die Art, wie man auf Liebe reagiert. Vielleicht gefällt dir die Tatsache, dass sie dich nicht ausstehen kann, wobei gleichzeitig diese seltsame, spannungsgeladene Anziehungskraft herrscht, die nicht zu übersehen ist«, sagte Demi, und Romeo sah sie an, als hätte sie eben ein Mittel gegen eine tödliche Krankheit entdeckt. Kingston nickte ihr zu. Diese Mistkerle waren ein Haufen durchgeknallter, romantischer Trottel.
»Das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe. Ich kann die meisten Menschen nicht ausstehen. Ich hab gern Sex. Und ich ertrage euch. Das ist meine Sprache der Liebe.« Ich griff nach meinem Bier.
»Jetzt wird mir klar, woher das kommt«, sagte Nash. »Cutler hat allen möglichen Quatsch über seine Sprache der Liebe gefaselt.«
»Für dich immer noch Herkules«, verbesserte ich ihn, denn Nashs Sohn Cutler war gefühlt unser aller Kind. Wir vier waren seine Patenonkel und Demi war längst genauso vernarrt in ihn wie wir. Vor Kurzem hatte er sich in Herkules umbenannt, und wir respektierten seine Entscheidung, auch wenn Nash unendlich genervt war.
Wieder wurde gelacht.
»Ja«, sagte Demi. »Herkules’ Sprache der Liebe funktioniert über Körperkontakt. Er liebt Umarmungen und Händchenhalten. Er hat ein zartes Herz.«
»Genau wie sein Dad.« Lachend legte Kingston den Kopf in den Nacken, während er Nash auf die Schulter klopfte.
Nash zeigte ihm den Mittelfinger, und mein Blick glitt zur Tür, die gerade aufschwang, als eine Gruppe Männer die Bar betrat. Einer von ihnen war Rubys Bruder Zane. Der Typ hing ständig hier rum und schwatzte Lionel Getränke aufs Haus ab.
In der Bar waren auch ein paar Stammgäste, und die Atmosphäre kippte spürbar, als Sam White aufstand und auf die Neuankömmlinge zuging. Ich hatte schon von klein auf gelernt, die Stimmung im Raum zu deuten. Zu erkennen, wenn es Ärger gab, und mich darauf vorzubereiten. Einmal hatte ich auf der falschen Seite dieser Gleichung gestanden, und den Fehler würde ich nicht noch einmal begehen. Und hier bahnte sich gerade definitiv eine Katastrophe an.
Romeos Blick traf meinen. Kingston, Hayes und Nash merkten es ebenfalls und hörten alle zu essen auf. Demi erzählte ahnungslos weiter, wie süß und weichherzig Cutler sei, doch keiner von uns reagierte mehr darauf. Da warf sie einen Blick über die Schulter und flüsterte Romeo etwas zu.
Sam trat ganz dicht an Zane heran und zog ihn wieder auf die Beine, als dieser sich gerade an einen Tisch setzen wollte. Ich glitt von meinem Barhocker und machte mich auf den Weg, meine Jungs direkt hinter mir.
Aus dem Augenwinkel nahm ich eine blitzschnelle Bewegung wahr. Ruby fucking Rose segelte wie ein verfluchter Ninja über den Tresen und landete im nächsten Moment auf ihren Doc Martens. »Denk nicht mal drüber nach«, zischte sie Sam zu, der sich langsam zu ihr umdrehte.
Ich ging weiter. Solange ich hier war, würde ganz bestimmt nichts passieren. Schließlich handelte es sich um Lionels Tochter. Ich musste dafür sorgen, dass ihr nichts geschah. Das war das Mindeste, was ich tun konnte, während sie zu Hause war und die Bar für ihn führte.
Doch ihre Hand schoss in die Höhe und sie wandte sich zu mir. »Ich hab die Sache im Griff. Geht an euren Tisch zurück.«
Man hätte in der Bar eine Stecknadel fallen hören können. Ich blieb abrupt stehen. Wenn Sam auch nur niesen sollte, würde er es auf der Stelle mit mir zu tun bekommen. Er war ein mieser Kredithai, der sich für einen toughen Kerl hielt. Doch das war er nicht. Schwächlingen wie Zane flößte er Angst ein, aber er bellte nur, ohne zuzubeißen.
Ruby griff in ihre Hosentasche und knallte ihm etwas in die Hand, das nach einem Geldscheinbündel aussah. »Jetzt ist Schluss mit diesem Mist. Trink dein Bier aus und halt dich gefälligst von meinem Bruder fern.«
Sam sah auf seine Hand hinunter und überschlug rasch, ob das, was sie ihm gegeben hatte, seine Forderung abdeckte. Er nickte ihr kurz zu. »Du bist zu sexy, um dich um die Scheiße zu kümmern, die dein kleiner Bruder baut, Ruby«, sagte er und meine Hände ballten sich an meinen Seiten zu Fäusten.
»Und du bist zu dumm, um zu merken, dass es mir scheißegal ist, was du von mir hältst. Geh dein Bier austrinken, Sam.«
Verflucht. Ruby Rose war ein noch größeres Badass, als ich gedacht hatte. Vielleicht war ich doch gerade dabei, mein Revier zu markieren.
RUBY
Ein paar Tage später schrubbte ich morgens das Haus meines Vaters. Hier war ich aufgewachsen. Groß war es nicht, aber es lag in einer ruhigen Straße gleich am Wasser. Wenn ich ehrlich war, war es mein Lieblingsort auf der ganzen Welt. Mal abgesehen von dem ewigen Stress, der damit einherging, wieder in Magnolia Falls zu sein. Wenn ich die psychische Belastung ignorierte, war dies der Ort, an dem ich den größten Frieden fand. In dem kleinen Cottage am See mit seinen beiden Schlafzimmern, einer kleinen Küche und sehr viel Liebe.
Mein Vater hatte mir als Kind Sicherheit gegeben. Ja, er trank zu viel. Ja, er geriet ständig in Schwierigkeiten. Aber er liebte mich, und das hatte ich immer gewusst. Ich hatte es gefühlt.
Also putzte ich das Haus, bezog die Betten frisch und füllte den Kühlschrank, in dem sich bei meiner Ankunft nur etliche Flaschen Bier und eine Tüte mit geriebenem Käse befunden hatten.
Dann schlüpfte ich in meine Jeansshorts und ein Tanktop, denn das Wetter war wunderschön und ich wollte mit dem Kajak hinausfahren. Mein Dad hatte es zu meinem sechzehnten Geburtstag besorgt. Seitlich hatte er meinen Namen anbringen lassen: RUBY ROSE.
So war das mit Magnolia Falls. Ich liebte und ich hasste es. Im College hatte ich mir verzweifelt einen Neuanfang gewünscht. Ich hatte diesen Ort unbedingt hinter mir lassen müssen. Meine Mutter hatte sich soeben von Ehemann Nummer drei scheiden lassen und war komplett abgedreht. Meine Brüder hatten beide nur Mist gebaut, und ich war ständig damit beschäftigt gewesen, einen Brand nach dem anderen zu löschen. Und sosehr ich meinen Vater liebte, hatte ich doch auch von ihm eine Pause gebraucht, nachdem ich ihn Abend für Abend von der Bar hatte abholen müssen, weil er damals noch mehr als gewöhnlich trank – es war einfach alles zu viel geworden.
Deshalb hatte ich das Studium als Rettungsanker begriffen und mich in Sicherheit gebracht, aus Angst, sonst nie von hier wegzukommen, wie der Rest meiner Familie für immer festzustecken. Ich wollte mehr vom Leben.
Doch mein Vater war meine Achillesferse. Wir beide gegen den Rest der Welt, so war es schon immer gewesen.
In den letzten Jahren hatte er seinen Alkoholkonsum stark eingeschränkt. Er bezeichnete sich selbst gern als work in progress, und ich sagte ihm, solange er an sich arbeitete, sei alles andere egal.
Ich ging nach unten zum Steg, der mittlerweile völlig verwittert war. Schon immer war ich diejenige gewesen, die sich ums Haus kümmerte. Dad führte die Bar, ich den Haushalt.
Ich fuhr mit den Fingern über die abblätternde Farbe am Steg und band dann das Kajak los, das genauso schäbig wie die Anlegestelle aussah. Ich kletterte hinein und nahm das Paddel, legte den Kopf in den Nacken und ließ mir die warme Morgensonne aufs Gesicht scheinen. Ich war seit Jahren nicht mehr auf dem Wasser gewesen. Ringsum erhoben sich die Berge, und der Kieferngeruch durchströmte meine Sinne.
Ich hatte das hier vermisst. Das Leben in der Stadt war hektisch und ich ständig in Eile. Da ich normalerweise entweder lernte oder arbeitete, verbrachte ich nicht viel Zeit im Freien. Es war schwierig, Studium und Job in Einklang zu bringen, besonders während ich meine Dissertation schrieb. Aber ich hatte es geschafft.
Ich lenkte mein Kajak durch den schmalen Zufluss, wie ich es im Lauf der Jahre Hunderte, wenn nicht Tausende Male getan hatte. Unser Haus stand in einer Bucht am See, das türkisfarbene Wasser ließ mich zur Ruhe kommen und jegliche Probleme vergessen. Die Blumen blühten und die Vögel zwitscherten. Die Szene hätte direkt aus einem Disney-Film kommen können. Wäre es doch nur auch an Land so friedlich.
Ich paddelte nach links zu meiner Lieblingsstelle, wo es ruhig und einsam war und an der ich früher immer von einem Leben jenseits des ganzen Dramas geträumt hatte. Doch als ich in die kleine Bucht bog, war dort bereits ein anderes Boot.
Mit großen Augen betrachtete ich River Pierce, der sich deutlich vor der Umgebung abzeichnete. An diesem Mann und seiner Gegenwart war nichts Friedliches. Er trug ein eng anliegendes schwarzes T-Shirt und seine muskulösen Arme waren von mehrfarbigen Tattoos übersät. Sein dunkles welliges Haar war zerzaust und seine Augen wurden von einer Aviator-Brille mit goldenem Rahmen abgeschirmt. Als ich einen guten Meter vor ihm anhielt, drehte er langsam den Kopf.
»Ich hätte nicht gedacht, dass böse Königinnen Sonnenschein und Wasser mögen?« Seine Beleidigung kam wie aus der Pistole geschossen.
»Wo, glaubst du, planen wir den Untergang unserer Feinde?«, säuselte ich, woraufhin er leise lachte.
»Okay, das erklärt alles.« Er saß völlig unbeschwert da, die in Jeans steckenden Beine cool an den Knöcheln überkreuzt.
Am liebsten wäre ich sofort wieder gefahren. Ich war ganz bestimmt nicht hier rausgekommen, um mit einem Mann Small Talk zu führen, der mich total nervte – wobei das Gefühl auf Gegenseitigkeit zu beruhen schien. Allerdings war mir nicht entgangen, wie schnell er neulich abends aufgesprungen war, als ich bei Sam und Zane hatte einschreiten müssen, um eine Schlägerei zu verhindern.
Ich war es nicht gewohnt, dass mir jemand den Rücken stärkte, außer vielleicht mein Dad, doch selbst der hatte mich, als ich älter wurde, am liebsten alle Probleme allein regeln lassen. Ich tauchte das Paddel ins Wasser.
»Wegen mir musst du nicht los. Ich bin gleich wieder weg.«
Ich hielt inne. »Woher weißt du eigentlich von dieser Stelle? Früher bin ich ständig rausgekommen, aber ich bin hier noch nie einem anderen Menschen begegnet.«
Er setzte sich auf und schob die goldene Sonnenbrille hoch. Seine dunkelbraunen Augen sahen im Licht, das von oben auf ihn fiel, pechschwarz aus. »Ich habe vor ein paar Jahren ein Haus gleich um die Ecke gekauft, am Ende dieser Bucht. Eigentlich hätte ich nie gedacht, dass ich einer dieser Bootstypen werden würde, aber ich fahre gern allein hier raus und genieße die Ruhe. Das verschafft mir Zeit, über Job-Alternativen nachzudenken, weißt du, weil ich ja so ein mieser Anwalt bin.« Er schenkte mir dieses boshafte Grinsen, bei dem mir ganz anders wurde.