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"Sei du selbst!" "Lass dich nicht unterkriegen!" "Lebe nicht nur in der Vergangenheit!" Drei Jugendliche berichten über die Höhen und Tiefen in ihrem bisherigen Leben und wollen so anderen Personen helfen, die Ähnliches erlebt haben. Sie zeigen auf, wie sie unter anderem mit Mobbing, Abweichungen der Normalität und Schicksalsschlägen umgegangen sind und geben so ein wenig Mut an ihre Leser weiter.
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Vorwort
Teil I
Teil II
Teil III
Die folgenden Geschichten handeln von unseren Erlebnissen, die die Höhen und Tiefen in unserem bisherigen Leben darstellen. Wir wollen mit den Erfahrungen den Personen helfen, die Ähnliches erlebt haben und ihnen aufzeigen, wie wir mit den verschiedenen Umständen und Situationen umgegangen sind. Die Namen unserer Darsteller haben wir verändert und Teile der Erzählungen basieren nicht komplett auf wahren Begebenheiten.
„So jetzt hab ich aber genug erzählt. Erzähl du mal was.“ „Was soll ich denn erzählen?“ „Erzähl mir von dir, Hannah, von deinem Leben“ „Von meinem Leben? Bist du sicher, dass du das hören willst?“ „Ja natürlich möchte ich das. Na los, komm schon“ „Na gut ok, aber es ist definitiv kein Märchen…“ „Das ist mir egal. Ich möchte wissen, wie du aufgewachsen bist, das interessiert mich.“ Ich bin mir ziemlich unsicher, ob ich wirklich alles erzählen möchte.
Zunächst schaue ich mich um. Wir sitzen in einem Café. Es sind noch so viele andere Leute hier. Er schaut mich erwartungsvoll an und da beschließe ich, dass ich wirklich alles erzählen werde, mir wurde schließlich auch alles erzählt. Doch ganz wohl fühle ich mich immer noch nicht dabei. Ich bin jetzt achtzehn und erzählt habe ich meine Geschichte noch nie so, wie ich sie jetzt gleich erzählen werde.
Es ist die komplette Wahrheit. Meine Sicht auf das Ganze. Man sagt ja, bei jeder Geschichte geht bei einer Erzählung ein Teil verloren. Also dürfte meine Geschichte wohl noch komplett sein. Ich atme einmal tief ein, fasse meinen Mut zusammen und fange an: „Also… Ich denke, du kannst dir schon denken, dass mein Leben bisher nicht gerade sehr ruhig verlaufen ist.“ Ein Nicken. „Ok, ähm… als ich sieben Monate alt war, ist mein Papa gestorben.“
Jetzt werde ich geschockt angeschaut. Damit hat er wohl nicht gerechnet, was wird er bloß sagen, wenn er erfährt, was noch alles passiert ist… „Was hatte er?“, fragt er mich. „Speiseröhrenkrebs. Er war schon krank, bevor ich geboren wurde. Das war eine sehr schwere Zeit für meine Mama. Ich meine, zu wissen, dass der eigene Mann sehr krank ist und vielleicht nicht überleben wird, aber dennoch ein Kind auf die Welt bringen… Das ist schon schwer.
Was wirklich alles zu der Zeit passiert ist, weiß ich nicht genau. Ich weiß nur, dass ich eine große Stütze für meine Mama war. Sie musste ja für mich sorgen und hatte so eine Aufgabe. Besonders nachdem mein Papa gestorben ist, war es so. Mitbekommen habe ich von alldem eigentlich ja nichts. Wobei ich glaube, dass ich trotzdem gespürt habe, dass etwas nicht stimmt. Aber mir ist am Anfang eigentlich gar nicht aufgefallen, dass etwas nicht stimmt. Für mich war es immer normal, keinen Papa zu haben. Ich hab es ja nicht anders gekannt, also war es normal. Erst später, irgendwann im Kindergarten, ist mir mal aufgefallen, dass alle anderen Kinder noch jemanden außer der Mama haben. Also hab ich meine Mama gefragt. An diese Situation kann ich mich noch gut erinnern. Es war bei uns zu Hause, im Wohnzimmer.
Ich hab sie gefragt, wo mein Papa eigentlich ist und sie hat mir erzählt, dass er jetzt im Himmel ist. Das war für mich damals ok. Ich habe es verstanden und habe mir immer vorgestellt, dass er von da oben auf uns aufpasst und uns zuschaut. So war er für mich doch irgendwie immer mit dabei. Ich kann mich auch noch eine Situation erinnern, die mir selbst auch schon öfter erzählt wurde. Da war ich sieben oder acht. Ich war bei meiner Oma und bei meinem Opa zu Hause. Und dort hat im Kleiderschrank das alte Kommunionkleid meiner Mama gehangen. Ich habe es geliebt, das Kleid anzuziehen und damit herumzulaufen. Einmal als ich es anhatte, bin ich auf den Balkon gegangen und hab dort getanzt. Später bin ich dann wieder rein und meine Oma hat mich gefragt, was ich da gemacht habe. Als Antwort hat sie bekommen: Ich hab für Papa getanzt, er sollte mich auch in diesem Kleid sehen. Es war wirklich immer sehr tröstlich für mich, die Vorstellung zu haben, dass mein Papa doch irgendwie da ist. Aber natürlich vermisse ich ihn. Ich hätte ihn so gerne kennen gelernt… und ich wünschte, er hätte mich aufwachsen sehen können und er könnte mich auch noch bei vielen anderen wichtigen Erlebnissen in meinem Leben begleiten.“
Er lächelt leicht. Es ist eher ein trauriges Lächeln. „Du hast gesagt, du hast das Kleid ganz oft getragen, wenn du dort warst. Warst du öfter bei deinen Großeltern?“ „Oh ja. Schon ganz früh. Meine Mama musste relativ früh wieder arbeiten und ich war definitiv noch zu klein für den Kindergarten, also haben meine Oma und mein Opa auf mich aufgepasst. Meine Mama hat mich morgens vor der Arbeit gebracht und nach der Arbeit wieder abgeholt. Das war auch nicht besonders umständlich, wir haben nämlich im selben Haus gewohnt. Bis ich ungefähr zehn war, war mein Tagesablauf so, dass ich morgens zu ihnen gebracht und mittags abgeholt wurde. Später haben wir dann nicht mehr im selben Haus gewohnt, weil es zu klein wurde, aber der Ablauf war derselbe. Meine Oma hat mich zum Kindergarten im Dorf gebracht und mich wieder abgeholt. Morgens durfte ich immer vor dem Kindergarten fernsehen und habe dort gefrühstückt.
Wenn es dann Zeit war zu gehen, sind wir zusammen ins Schlafzimmer, um meinem Opa ‘Tschüss‘ zu sagen. Er hat morgens immer noch geschlafen. Ich habe ihn geweckt, ihm einen Kuss gegeben und er hat dann weitergeschlafen. Meine Oma und ich sind dann zum Kindergarten gelaufen und mittags hat sie mich wieder abgeholt. Mittags habe ich dann dort immer gespielt, ich hatte oft auch noch Spielsachen von zu Hause dabei. Ich hab immer auf dem Teppich vor dem Fernseher gespielt, während meine Oma gelesen oder Fernsehen geschaut hat. Ich habe so lange gespielt bis meine Mama kam. Ich habe mich immer sehr gefreut, wenn sie gekommen ist, habe sie natürlich begrüßt und umarmt, aber nach einer gewissen Zeit bin ich dann wieder zu meiner Oma auf den Schoß geklettert. Ich wollte einfach noch ein bisschen bei ihr sein, bis wir uns erst wieder am nächsten Tag sehen. Mit meiner Mama habe ich dann zuhause gekuschelt. Wir sind oft noch eine Weile geblieben. Meine Mama hat immer noch davon erzählt, was heute bei ihr los war und dann irgendwann sind wir nach Hause gegangen.“ „Also warst du die meiste Zeit bei deinen Großeltern?“ „Ja, war ich. Es ist schon irgendwie komisch… An mein Zuhause kann ich mich eigentlich fast gar nicht erinnern. Also, das was ich zu dieser Zeit dort erlebt habe. Obwohl ich dort ja auch nicht so wenig Zeit verbracht habe… Aber alle Erinnerungen, die ich an diese Zeit habe, finden bei meiner Oma und meinem Opa statt. An die Ereignisse, die später und an anderen Orten stattgefunden haben, kann ich mich dann wieder gut erinnern.“ „Welche Ereignisse meinst du denn?“
„Naja, der Alltag zu Hause und so…“, sage ich zögernd. „Du meinst doch eigentlich etwas anderes oder?“ Ich nicke. „Eigentlich schon…“
Wieder zögere ich und ich bin mir auch wieder unsicher, ob ich das erzählen soll. Dann denke ich, ich habe schon etwas sehr Privates erzählt, dann kann ich das ja auch erzählen. Trotzdem fühle ich mich noch nicht so wohl dabei. Aber auf die erste Geschichte hat er ja auch sehr mitfühlend reagiert. Ich amte wieder tief ein, lasse mir einen kurzen Moment Zeit, um meine Gedanken zu ordnen und erzähle: „Als ich zehn Jahre alt war, hat meine Mama Brustkrebs bekommen.“
Und wieder einmal werde ich geschockt angeschaut. „Ja, ich hab doch gesagt, dass meine Geschichte kein Märchen ist“, sage ich mit einem kurzen, traurigen Lächeln. „Das ist echt nicht zu glauben.“ „Möchtest du es trotzdem hören?“ „Ja, natürlich, ich habe ja gesagt, ich möchte alles von dir erfahren.“ „Ok…
Also wie gesagt, ich war damals zehn Jahre. Ich kann mich noch so gut erinnern, wie ich es erfahren habe. Ich habe wiedermal bei meiner Oma und meinem Opa zuhause auf dem Teppich vor dem Fernseher gesessen und dort gespielt. Ich war länger dort als sonst, weil meine Mama noch einen Termin hatte. Das dachte ich zumindest. Ich wusste nicht, dass sie beim Arzt war. Also, ich habe die ganze Zeit dort gespielt und auf meine Mama gewartet.
Irgendwann habe ich jemanden die Treppe hoch laufen und die Tür öffnen gehört. Ich dachte mir schon, dass es meine Mama ist und habe mich gefreut. Doch als die dann um die Ecke kam, habe ich gesehen, dass ihr Tränen über die Wangen laufen. Meine Oma hat wiedermal in ihrem Sessel gesessen und hat meine Mama natürlich auch um die Ecke kommen sehen. Als sie gesehen hat, dass sie weint, hat sie gleich gefragt, was los ist. Da hat es meine Mama erzählt. Sie hat gesagt, dass sie Brustkrebs hat. Meine Oma ist gleich zu ihr hingegangen und hat sie umarmt. Ich habe da auf dem Teppich gesessen und habe überhaupt nicht verstanden, was eigentlich los ist. Ich habe nur gewusst, dass es etwas Schlimmes sein muss, denn sonst hätte sie ja nicht geweint. Aber ich wusste nicht, dass es wirklich so schlimm ist. Meine Mama hat sich nach der Umarmung von meiner Oma auf die Couch gesetzt. Mein Opa hat auch auf der Couch gesessen. Ich glaube so richtig hat er auch nicht gewusst, was eigentlich los ist. Das ist ja auch recht schwer zu begreifen. Weil ich nicht genau wusste, was ich machen sollte, habe ich einfach weiter gespielt. Von dem, was meine Mama erzählt hat, habe ich sowieso nicht viel verstanden. Meine Mama hat es mir auch versucht, später zu erklären, aber ich habe trotzdem nicht viel verstanden. Erst später habe ich erfahren, was Brustkrebs eigentlich ist.“ „Diese Zeit war schwer für dich oder?“ „Ja war sie.“ „Das merkt man daran, wie du redest. Du redest so, als würdest du das alles gerade wieder durchleben.“ „Naja, verarbeitet habe ich das alles immer noch nicht so wirklich. Aber darüber zu reden, ist zumindest mal ein guter Schritt in die richtige Richtung.“ „Also, möchtest du weiter darüber reden?“ „Wenn es dich immer noch interessiert?“ Er nickt. „Erzähl weiter.“ „ Ich kann mich an so viele Dinge gar nicht mehr erinnern… Ich glaube, ich habe sie mehr oder weniger verdrängt. Aber noch an eins kann ich mich erinnern. Meine Mama wurde, nachdem sie erfahren hat, was sie hat, oft untersucht, um festzustellen, was man alles unternehmen muss. Die Ärzte haben beschlossen, dass sie eine Chemo-Therapie und eine Strahlen-Behandlung bekommen muss. Anschließend musste der Tumor operativ entfernt werden. Als sie die Chemo-Therapie bekommen hat, ging es ihr sehr schlecht. Ihr war schlecht und sie fühlte sich schwach. Mein Opa hat sie jedes Mal ins Krankenhaus begleitet, weil sie anschließend nicht Auto fahren konnte. Was auch zu einer Chemo-Therapie dazu gehört, ist, dass man seine Haare verliert. Die Haare auf dem Kopf, die Wimpern, die Augenbrauen, alle Haare. So war es auch bei meiner Mama. Natürlich war sie sehr traurig darüber und ich weiß noch, dass sie irgendwann auch etwas wütend wurde. Jeden Tag hat sie sich ganz viele Haare ausgekämmt und als sie irgendwann so wütend darüber war, dass sie sich jeden Tag die Haare auskämmen musste, nahm sie eine Tüte und die Bürste und ging damit ins Bad. Sie kämmte sich wütend alle Haare aus und machte sie in die Tüte. Ich bin ihr ins Bad gefolgt und hab im Türrahmen auf sie gewartet. Ich wusste wiedermal nicht, was ich machen oder sagen soll. Also habe ich sie einfach machen lassen, irgendwie konnte ich sie ja auch verstehen. Als sie fertig war, hat sie geweint.
Ich bin zu ihr hingegangen, habe sie umarmt und ihr gesagt, dass die Haare ja wieder nachwachsen und ich sie auch so lieb habe. Danach hat sie noch mehr geweint, aber ich weiß, dass es ihr dadurch ein klein wenig besser ging. Das habe ich öfter gemacht. Sie versucht zu trösten. In dieser Zeit war ich eine sehr große Stütze für meine Mama. Ich wurde auch zu der Zeit erwachsen. Das klingt vielleicht komisch, ich war ja erst zehn. Aber es ist so. Ich habe ein Stück weit die Mutter-Rolle übernommen. Ich habe im Haushalt mitgeholfen, ohne, dass man mir es sagen musste, habe versucht, sie zu trösten und für sie da zu sein. Natürlich waren wir nicht allein mit dem Ganzen. Meine Oma hat oft bei uns geschlafen und mein Opa war einkaufen und auch oft da. Eine Freundin meiner Mama hat auch manchmal da geschlafen. Besonders als es meiner Mama sehr schlecht ging. Sie musste sich ständig wegen der Chemo-Therapie übergeben und ich alleine wäre damit überfordert gewesen, also kam diese Freundin vorbei und hat uns geholfen. Dafür war ich sehr dankbar, genauso dankbar dafür, dass meine Oma und mein Opa immer da waren. Die Mama meiner besten Freundin hat uns oft etwas zu essen vorbei gebracht. Ich war auch oft dort, um mich abzulenken. Wir waren dann meistens draußen und haben dort gespielt. Ganz oft waren wir auf einer Wiese in der Nähe von ihrem Haus. An diese Wiese erinnere ich mich so gut. Besonders an diesen Duft. Es hat dort immer so schön gerochen, nach ganz vielen Blumen. Dort waren auch sehr viele Blumen. Oft haben wir den ganzen Mittag dort verbracht, deshalb erinnere ich mich so gut. Es war immer schön, für einen Moment lang alles zu vergessen und wieder wie eine Zehnjährige zu sein.“
Ich mache eine kurze Pause und denke über diese Wiese nach und habe gleich wieder diesen wunderschönen Geruch in der Nase.
Ich kehre von der Wiese wieder zurück in das Café. Mir kam die Pause länger vor, als sie wohl war und ich beschließe, erst mal einen Schluck zu trinken. Nachdem ich das Glas abgesetzt habe, erzähle ich weiter: „ Ich hatte auch ein Kaninchen. Das habe ich mit sechs Jahren bekommen. Aber Kaninchen übertragen sehr schnell Krankheiten und da das Immunsystem meiner Mama sowieso schon ziemlich schwach war, kam mein Kaninchen zu meiner Oma und meinem Opa. Dort wurde es so gut behandelt, dass es gleich mehrere Kilo zu viel hatte.“ Dabei muss ich lachen. Denn jedes Mal, wenn mein Kaninchen vor an das Käfiggitter kam, meinte meine Oma, dass es Hunger hat und hat ihm etwas gegeben. Ein Kaninchen ist aber nicht dumm, zumindest war es meins nicht, denn es kam ständig nach vorn an den Käfig. Als ich daran denke, muss ich grinsen.
Natürlich sieht er es auch und muss auch grinsen, obwohl er vermutlich überhaupt nicht weiß, um was sich meine Gedanken drehen.
Es entsteht wieder eine kurze Pause, aber das stört überhaupt nicht. Ich beschließe, weiter zu erzählen. „Irgendwann war es dann soweit, dass meine Mama operiert werden musste. Da ich nicht allein zu Hause bleiben konnte, bin ich kurzfristig bei meiner Oma und meinem Opa eingezogen. Wir haben meine Mama oft im Krankenhaus besucht, aber mir ging es trotzdem nicht gut. Ich hab sie vermisst. Sehr sogar. Auch wenn ich mich bei meiner Oma und meinem Opa sehr wohl gefühlt habe und mich dort ja auch wie zu Hause gefühlt habe, war es nicht das Gleiche, wie in meinem richtigen Zuhause. Mit meiner Mama. Ganz schlimm war es, nach der Operation.
Ihr Immunsystem war so schwach, so dass niemand sie besuchen durfte. Das war bestimmt über eine Woche so und ich habe sie so sehr vermisst. In dieser Woche ging es mir sehr schlecht. Allgemein ging es mir in dieser ganzen Zeit nicht besonders gut. Ich hatte solche Angst, meine Mama zu verlieren…