So klein und schon berühmt - Leni Behrendt - E-Book

So klein und schon berühmt E-Book

Leni Behrendt

0,0

Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Etwa dreißig Kinder saßen an langen Tischen im Schatten der alten Bäume. Sie kannten sich nicht, diese Kinder, und waren deshalb zunächst recht schüchtern. Ihre Mütter, Väter und Tanten waren gebeten worden, im Haus zu bleiben, um die Kleinen nicht zu beeinflussen. Ohne Ausnahme waren sie dieser Bitte nachgekommen, denn hier ging es um die Auswahl kleiner Stars für Film, Fernsehen, Modebranche und Werbespots. Viele ehrgeizige Eltern waren der Ansicht, daß es das höchste Glück für ihre Kleinen bedeutete, ausgewählt zu werden. Kaum ein kleiner Junge oder eines der niedlichen Mädchen waren sich darüber klar, was diese Auslese bedeutete, denn Nico Berdons Gäste waren zwischen einem und sechs Jahre alt. Es war ein ›Casting‹ für Kleinkinder, das er und seine Partnerin Shanice heute durchführten. Dasselbe veranstalteten sie regelmäßig auch für Schulkinder und Teenager, denn die Werbeagenturen hatten einen enormen Bedarf an fotogenen Knirpsen, die sich werbewirksam verhielten. Schon vor zwei Jahren hatte Nico seine »Kids-Agentur« gegründet. Vor einem Jahr war Shanice dazugekommen. Da sie zuvor als Sekretärin arbeitete, erledigte sie alle kaufmännischen Arbeiten. Sie verstand sich aber auch ausgezeichnet mit den kleinen Leuten und wurde so für Nico zu einer unentbehrlichen Partnerin. Die Kids-Agentur ging gut, und inzwischen hatte Nico fast zweitausend Kinder in seiner Kartei. Bei Bedarf griff er auf diese Daten zurück, je nachdem, welcher Kinder-Typ gerade verlangt wurde. Bei Kleinkinder-Castings brauchte Nico eine Schar von Hilfskräften zur Betreuung und Bewirtung. Meistens beschäftigte er für diese Jobs Studentinnen, die gern einen Nachmittag opferten, um etwas Geld zu verdienen. »Du befaßt dich wie immer mit den Kleinen, ich kümmere mich um die größeren Kinder«, raunte Nico seiner Partnerin zu. »Ich glaube, diesmal sind einige brauchbare Kids dabei.«

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 128

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mami – 1981 –

So klein und schon berühmt

Jakob ist ein Fernsehstar

Leni Behrendt

Etwa dreißig Kinder saßen an langen Tischen im Schatten der alten Bäume. Sie kannten sich nicht, diese Kinder, und waren deshalb zunächst recht schüchtern. Ihre Mütter, Väter und Tanten waren gebeten worden, im Haus zu bleiben, um die Kleinen nicht zu beeinflussen.

Ohne Ausnahme waren sie dieser Bitte nachgekommen, denn hier ging es um die Auswahl kleiner Stars für Film, Fernsehen, Modebranche und Werbespots. Viele ehrgeizige Eltern waren der Ansicht, daß es das höchste Glück für ihre Kleinen bedeutete, ausgewählt zu werden.

Kaum ein kleiner Junge oder eines der niedlichen Mädchen waren sich darüber klar, was diese Auslese bedeutete, denn Nico Berdons Gäste waren zwischen einem und sechs Jahre alt.

Es war ein ›Casting‹ für Kleinkinder, das er und seine Partnerin Shanice heute durchführten. Dasselbe veranstalteten sie regelmäßig auch für Schulkinder und Teenager, denn die Werbeagenturen hatten einen enormen Bedarf an fotogenen Knirpsen, die sich werbewirksam verhielten.

Schon vor zwei Jahren hatte Nico seine »Kids-Agentur« gegründet. Vor einem Jahr war Shanice dazugekommen. Da sie zuvor als Sekretärin arbeitete, erledigte sie alle kaufmännischen Arbeiten. Sie verstand sich aber auch ausgezeichnet mit den kleinen Leuten und wurde so für Nico zu einer unentbehrlichen Partnerin. Die Kids-Agentur ging gut, und inzwischen hatte Nico fast zweitausend Kinder in seiner Kartei. Bei Bedarf griff er auf diese Daten zurück, je nachdem, welcher Kinder-Typ gerade verlangt wurde.

Bei Kleinkinder-Castings brauchte Nico eine Schar von Hilfskräften zur Betreuung und Bewirtung. Meistens beschäftigte er für diese Jobs Studentinnen, die gern einen Nachmittag opferten, um etwas Geld zu verdienen.

»Du befaßt dich wie immer mit den Kleinen, ich kümmere mich um die größeren Kinder«, raunte Nico seiner Partnerin zu.

»Ich glaube, diesmal sind einige brauchbare Kids dabei.« Stolz ließ Nico den Blick über die Kinder schweifen, die sie auf Grund der zuvor eingereichten Bewerbung eingeladen hatten.

Shanice nickte lächelnd. Sie war neunundzwanzig Jahre alt, wirkte aber wesentlich jünger und fand deshalb rasch Kontakt zu den Kindern. Von ihr ließen sie sich völlig ungezwungen fotografieren, was in diesem Fall sehr wichtig war.

Neben dem Fotoapparat, mit dem Shanice sowohl Filme, als auch Bilder machen konnte, schnappte sie sich einige Handpuppen. Den freundlich wirkenden Teddybär stülpte sie sich über die Finger

und ging zu dem Tisch, um den

fünf hohe Kinderstühle standen, selbstverständlich nach neuestem Sicherheitsstandard. Zwei Mädchen waren darum bemüht, die künftigen Stars bei Laune zu halten. Trotzdem weinten drei der Kleinen, während die beiden anderen mit großen, kugelrunden Augen neugierig das Geschehen beobachteten.

»Hallo, warum weint ihr denn?« ließ Shanice den Teddy fragen. Dabei verstellte sie die Stimme und bewegte zwei Finger, um das Mäulchen des Stofftiers zu öffnen und zu schließen.

Auf die kleinen Schreier machte das keinen Eindruck. Sie brüllten nur noch lauter.

»Das hat keinen Sinn, sie werden jedes Mal weinen, wenn sie in eine fremde Umgebung kommen. Würdest du sie bitte zu ihren Eltern zurückbringen?« wandte sich Shanice an eine Studentin, die sie von früheren Kinderpartys kannte. Gleichzeitig befaßte sie sich mit den restlichen Schnullerknirpsen. Mit Hilfe der Handpuppe brachte Shanice die Kleinen zum Lachen. Sie verzichteten auf ihren Gummitröster und entwickelten jenen Charme, der sie für die Werbung so wertvoll machte.

Die Augen in den pausbäckigen Gesichtchen strahlten, und die Mündchen mit den wenigen Zähnen verzogen sich zu einem fröhlichen Lachen.

Shanice machte einige Aufnahmen und nahm dabei auch das jeweilige Namensschild der Kleinen ins Bild. Die Fotos wurden aufbewahrt und irgendwann auf Anforderung den Agenturen vorgelegt.

Die junge Frau mit den glatten blonden Haaren und den klugen grauen Augen nahm sich Zeit für diese Arbeit, denn die Fotos sollten möglichst viel über den Typ des Kindes, sein Verhalten und seine Belastbarkeit aussagen.

Danach wandte sie sich den 3-5jährigen zu. Inzwischen waren sie nicht mehr schüchtern, sondern tobten bereits unbekümmert durch den Garten, der zu Nicos Elternhaus gehörte. Zwei kleine Buben stritten sich um einen bunten Ball, während ein dritter sie mit einer Wasserpistole bedrohte. Eine Vierjährige stopfte sich einen Schokokuss nach dem anderen in den Mund und war deshalb rundum verschmiert. Zwei Mädchen mit langen Haaren zerlegten einträchtig ein elektronisches Spielzeug in seine Einzelteile.

Es wurde gerufen, gekreischt und lauthals geschrien. Blechtrompeten tuteten, Trillerpfeifen übertönten die Laute anderer Musikinstrumente. Das alles war normal, denn die Kinder sollten ja nicht zurückhaltend brav, sondern in spielerischer Aktion gezeigt werden. Deshalb gab es bei diesen Kinderpartys nicht nur klebrige Bonbonlutscher, sondern auch Spielzeug für jeden Geschmack. Am Ende dieser Feten wirkte der Garten oft wie ein Schlachtfeld, und Nico war froh, daß seine Eltern die mutwillige Zerstörung nicht sahen. Sie hatten es vorgezogen, den Ruhestand im sonnigen Spanien zu verbringen.

Während sich einige Kinder bereits mit ihren Altersgenossen angefreundet hatten und die anderen sich mit Süßigkeiten oder Spielzeug vergnügten, saß ein kleiner Junge teilnahmslos am Tisch. Er beteiligte sich weder an der Kuchenschlacht noch interessierten ihn die Spielsachen. Ruhig, scheinbar interesselos beobachtete er das Geschehen.

Dieses Kind war Shanice Sternberg sofort aufgefallen. Jetzt konnte sie gar nicht anders, als sich um den kleinen Außenseiter zu kümmern. Eigentlich wäre es ihre Aufgabe gewesen, die fröhlich spielenden Kinder zu filmen, doch das stellte sie zurück.

»Na, du, gefällt es dir nicht?« erkundigte sie sich mit liebvoll klingender Stimme. Dabei schaute sie auf das Namenskärtchen, das der Kleine, wie auch alle anderen Kinder, um den Hals trug. Nach diesen Angaben war er vier Jahre alt.

Der Junge mit dem lieblos kurzgeschorenen blonden Haar gab keine Antwort. Mißtrauisch musterte er Shanice. Dabei spiegelte sich Furcht in seinen dunklen Augen. Er schien mit Fremden schlechte Erfahrungen gemacht zu haben.

Shanice tat, als bemerke sie das nicht. »Wie heißt du denn?« fragte sie lächelnd. Sie hatte den Namen längst auf dem Kärtchen gelesen, doch sie wollte gern mit dem kleinen Kerl ins Gespräch kommen.

Wieder schwieg er.

»Ich bin Shanice, und du kannst dich bei mir beschweren. Mir kannst du alles sagen, was dir nicht gefällt«, ermunterte sie das Kind. »Bist du mit der Mami hier oder mit dem Papi?«

»Ich… ich hab’ keine Mami. Und der Papi is weg, ganz weit weg.«

Shanice ließ sich ihr Erschrecken nicht anmerken. Dieses Kind hatte keine Eltern. Deshalb benahm es sich so anders. Sofort hatte sie Mitleid, denn ihr Schicksal war ähnlich. Ihr Vater verunglückte, noch bevor sie zur Welt kam. Ihre Mutter heiratete schon bald wieder, weshalb sie bei den Großeltern aufwuchs. Trotz aller Fürsorge hatte sie stets die Kameraden beneidet, die Eltern hatten.

»Und wer hat dich gebracht?« forschte Shanice vorsichtig.

»Tante Anita.«

»Magst du sie? Ist sie lieb?« Shanice versuchte, sich ein Bild von der Umwelt des Kleinen zu machen.

Der Junge schüttelte den Kopf. »Sie sagt, ich bin bockig wie meine Mami. Nur wenn der Papi kommt, is sie lieb zu mir. Dann sagt sie Jaki und sonst immer Jakob.« Der Kleine schnupfte ein bißchen.

»Du bist wohl nicht gern hierher gekommen?« Zärtlich legte Shanice den Arm um ihren kleinen Schützling.

»Tante Anita hat gesagt, wenn ich brav bin, bekommt sie ganz viel Geld… Und dann… dann kauft sie mir einen Roller. So einen wie der Erik hat. Der Erik ist mein Freund im Kindergarten.« Jakob nickte ernsthaft.

Shanice zog die Augenbrauen hoch. Die Tante hatte wohl etwas falsch verstanden, denn nicht fürs Bravsein zahlten die Agenturen, sondern für kindliche Ungezwungenheit.

Nico kam vorbei und blieb am Tisch sitzen. »Shanice, was ist los mit dir? Du verpaßt die beste Gelegenheit zu einmaligen Aufnahmen.« Mit einer leichten Handbewegung wies Nico Berdon auf einige Jungs, die sich ein erbittertes Gefecht mit den Wasserpistolen lieferten.

»Übernimm du das bitte. Ich möchte mich noch ein wenig mit Jakob unterhalten.«

Nico beugte sich tiefer und besah sich den Jungen eingehend. Ein wenig zu blaß und viel zu still erschien er ihm. »Das bringt doch nichts«, meinte er und hob die Hand, um Jakob tröstend übers blonde Stoppelhaar zu streichen.

Der Junge wich blitzschnell aus. Doch dabei stieß er an den Becher mit Kakao, der noch unberührt vor ihm stand. Die hohe Tasse fiel um, ihr Inhalt floß über Nicos helle Hosen und hinterließ häßliche braune Flecken.

»Oh«, piepste Jakob erschrocken. Er preßte die Lippen aufeinander, und in seinen großen dunklen Augen spiegelte sich wieder die Angst.

Shanice nahm die Kamera hoch und hielt Jakobs reizvolles Gesichtchen in Großaufnahme fest. Um dem Jungen die Angst zu nehmen, zeigte sie ihm die Ausschnitte auf dem kleinen Monitor des Apparats. »Willst du auch mal knipsen?« Es war Shanice viel daran gelegen, das Vertrauen des verängstigten Kindes zu erlangen.

Jakob schielte nach Nico, den die verdorbene Hose nicht zu interessieren schien. Er war weitergegangen, um ein Geschwisterpaar zu filmen, das schwitzend einen knallroten Spielzeugtraktor über den Rasen zerrte.

»Du brauchst nur auf dieses Knöpfchen drücken«, erklärte Shanice und legte ihren Apparat in Jakobs kleine Händchen.

»Darf ich?« flüsterte er und hob das leichte Gerät ans Auge, so wie er das bei Shanice gesehen hatte. Es klickte, und Jakob lachte schelmisch. »Jetzt bist du drauf«, verriet er. Dabei sah er Shanice bewundernd an. Sie gefiel ihm, und er war unheimlich stolz darauf, daß sie mit ihm redete. Richtig glücklich machte ihn diese Bevorzugung.

*

Das Zusammenräumen der Tische und das Einsammeln des zurückgelassenen Schutts überließ Nico seinen Helfern. Sie hatten noch lange zu tun, um die vielen Bonbonpapierchen, Kuchenreste und die zerbrochenen Spielsachen aufzulesen. Was unbrauchbar geworden war, flog in den bereitstehenden Container.

»Die Schaukel ist auch zu Bruch gegangen, weil ein besonders wilder Knabe das Brett als Hebel mißbraucht hat«, meldete Shanice, als sie ins Fotolabor kam, wo Nico die Ergebnisse seiner Arbeit am Bildschirm betrachtete.

»Das habe ich sogar im Bild festgehalten. Der kleine Rotschopf hat erstaunliche Kraft. Aber schließlich hat es ihn doch auf den Hosenboden gesetzt. Das war ihm sichtlich peinlich. Schau dir mal das Foto an. Aussagestark, was?« Nico ließ die Aufnahmen durchlaufen. »Was bei diesen Feten kaputtgeht, ist doch leicht zu ersetzen. Im Gegensatz zu dem, was für uns dabei herausspringt, ist das Pipifax. Die Schaukel und all den anderen Kram kaufen wir einfach neu. Die Unkosten brauchen wir für die Steuer.«

Nico trat neben Shanice und legte besitzergreifend den Arm um ihre Taille. Er war nur wenig größer als sie, aber wesentlich kräftiger. Mit dem dunklen Dreitagebart und den verschmutzten Hosen wirkte er wie ein Globetrotter nach der Durchquerung eines Wüstengebiets.

»Ich finde es klasse, mein Schatz, daß du auf die Kosten achtest. Doch inzwischen läuft unser Geschäft so gut, daß wir uns über solche Kleinigkeiten keine Gedanken mehr zu machen brauchen. Seit wir zusammenarbeiten, geht es ständig aufwärts. Du hast mir Glück gebracht, Shanice.« Nico drückte seiner Partnerin einen schmatzenden Kuß auf die Wange. Daß sie nicht nur geschäftlich, sondern auch privat liiert waren, wußte kaum jemand.

Stolz knipste Nico seine Fotos weiter durch. Immer wieder andere Kinder erschienen auf dem Bildschirm. Sämtliche Aufnahmen waren scharf und brillant.

»Sehr gut«, lobte Shanice. »Man merkt sofort, daß du aus der Fotobranche kommst.« Gelöst schmiegte sie sich an Nico und legte den Kopf an seine Schulter. Wenn es auch für keinen von ihnen die große Liebe war, so verstanden sie sich doch gut. Sie hatten eine gemeinsame Aufgabe, ein gemeinsames Ziel.

»Für dieses Zwillingspaar habe ich bereits einen Job. Die Hamburger Modeagentur ›Peter und Petra‹ hat nach zwei Sechsjährigen gefragt. Die hier sind zwar erst fünf, aber das spielt keine Rolle.« Nico war schon wieder im Geschäft. Er wollte möglichst schnell reich werden und war deshalb ständig darum bemüht, seinen Gewinn zu vergrößern.

»Ich habe auch ein paar gute Aufnahmen.« Shanice stöpselte ihr Gerät ein und konnte so die Fotos direkt auf den Bildschirm übertragen.

Nico betrachtete die Aufnahmen fachmännisch. »Die Babys sind goldrichtig. Genau die richtige Mischung zwischen Windeln und Pausbäckchen. Mit ihnen werden wir gutes Geld verdienen, denn die Schnullerpüppchen sind gefragt. Weißt du ja selbst. Und was soll dieser Kleine mit dem Bürstenschnitt?« Nico schüttelte mißbilligend den Kopf.

»Das ist Jakob. Ist er nicht süß?« Shanice betrachtete verzückt das ernste Kindergesichtchen mit den furchtsamen dunklen Augen.

»Mann, das ist der Pechvogel, der mir den Kakao über die Hosen gekippt hat. Dem kann ich nun wirklich nichts abgewinnen.«

»Er braucht ein bißchen Zeit, aber er hat Talent, das habe ich gleich erkannt.«

»Nein, Shanice. Diesen Jungen kannst du vergessen. Mit ihm kann kein Regisseur etwas anfangen. Er taugt nicht einmal zu Modeaufnahmen. Für die Leute bedeuten Kinder Frohsinn, Gesundheit, Fortschritt, Ungeduld, lauter positive Gefühle. Dieser Knabe aber strahlt genau das Gegenteil aus und deshalb ist er völlig ungeeignet.«

»Das scheint nur so. Ich werde ihn aus der Reserve locken.«

»Die Mühe kannst du dir sparen, Shanice. Bisher konnte ich mich auf dein Urteil hundertprozentig verlassen. Aber in diesem Fall liegst du daneben, glaub’ mir!«

»Jakob ist Halbwaise und deshalb etwas schüchtern. Wenn er Vertrauen zu uns hat, ändert er sich.«

Nico winkte ab. »Nur kein falsches Mitleid. Das kann man sich in unserer Branche nicht erlauben, sonst ist man ganz schnell weg vom Fenster. Wir brauchen Kinder, die offen auf andere zugehen und bereit sind, die Erwachsenen mit tausend Fragen zu löchern. Keine Leisetreter mit Schleierblick. Ein bißchen frech, sehr verschmitzt und sehr kindlich, das sind die Boys und Girls, die ankommen. Dieser Jakob hat nichts von allem.«

»Da täuschst du dich. Er hat alles, aber es ist unter scheuer Zurückhaltung verborgen. Wenn es uns gelingt, ihn aus der Reserve zu locken, wird er unser bestes Model.«

»Entschuldige, aber dem kann ich absolut nicht beipflichten. Damit wollen wir die nutzlose Unterhaltung beenden. Wen hast du sonst noch auf dem Film?«

»Niemand«, gestand Shanice, die das überhaupt nicht verwunderlich fand. »Ich habe mich die ganze Zeit mit Jakob unterhalten. Er hat mir von seiner Tante erzählt und von seinem Vater.«

Nico trat einen Schritt zur Seite und sah seine Freundin ungläubig an. »Das darf doch wohl nicht wahr sein. Diese Castings kosten uns eine Menge Geld, und du verplemperst die kostbare Zeit mit einem Trauerkloß.«

»Wie kannst du so etwas sagen?« empörte sich die junge Frau. »Kinder sind keine Ware, die man aus dem Regal nimmt und bei Nichtgefallen wieder zurückstellt. Kinder brauchen Zuwendung.«

»Dafür sind die Eltern da. Unsere Aufgabe ist es, sie auf ihre Tauglichkeit zu prüfen, nichts weiter.« Nicos Ton war geschäftsmäßig. So, als verhandle er mit einem ihm völlig fremden Leiter einer Agentur.

»Jakob hat keine Eltern. Wie schlimm das für ein Kind ist, weiß ich nur zu gut.«

Ungeduldig trat Nico von einem Bein aufs andere. »Hör mal, Shanice, das hat doch mit unserem Job nichts zu tun.«

»Hat es doch«, beharrte sie eigensinnig. Dabei schaute sie immerzu das Foto des kleinen Jakob an. Je länger sie es betrachtete, um so besser gefiel ihr der Kleine. Längst stand für sie fest, daß sie versuchen würde, dieses Kind ins Show-Geschäft zu bringen. Denn nur so hatte sie die Möglichkeit, den kleinen Jungen wiederzusehen.

»Ich möchte nicht länger darüber reden«, meinte Nico verärgert. Ohne Shanice weiter zu beachten, schaltete er das Gerät ab. »Alles in allem haben wir heute unsere Kartei um einige gute Angebote erweitert. Das rechtfertigt eine kleine Feier. Kommst du mit zum Italiener? Nur wir beide?« Versöhnlich streckte Nico der hübschen Shanice beide Hände entgegen. Er ging gern mit ihr aus, denn ihre schlanke Figur und ihr reizvolles Gesicht fielen auf. Man bewunderte den Mann, der sie begleitete, und in diesem Glanz sonnte sich Nico gerne.