Kein Zuhause  für Florian? - Eva-Maria Horn - E-Book

Kein Zuhause für Florian? E-Book

Eva Maria Horn

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Patrick von Rauten betrat das Zimmer seiner zukünftigen Frau Annemarie. Sie saß vor dem Spiegel, drehte sich nun zu ihm um und lächelte ihn an. »Bist du fertig?«, fragte er. »Die Gäste strömen in den Park, nur die Hauptperson fehlt noch.« Er trat hinter sie, schmiegte sein Gesicht in ihre blonden Locken und atmete genüsslich ihren Duft ein. »Was machst du noch hier?« »Was hast du an deinen Wimpern auszusetzen? Sie sind doch vollkommen. Liebste, du siehst wundervoll aus.« Als sie die Bürste in die Hand nahm, legte er die Hand auf ihre und strich zärtlich über ihre blonden Locken. Dann legte er die Bürs­te zurück, hob Annemarie vom Stuhl und nahm sie in die Arme. »Ich bin so froh, wenn dieser Rummel vorbei ist«, stöhnte er an ihrem Hals. »Ich kann solchen Festen einfach nichts abgewinnen.« Annemarie legte den Kopf in den Nacken und flüsterte begeistert: »Dann sollten wir unsere Hochzeit oben auf der Alm in einer kleinen Kapelle feiern, nur du, Florian und ich.« »Du machst mir den Mund wässrig, Liebste. Aber so gern ich dir diesen Wunsch auch erfüllen würde, es geht leider nicht. Ein Rauten heiratet von jeher in der eigenen Kapelle auf dem Gut. Die Hochzeitsfeiern der von Rautens sind berühmt, und auch wir werden unser Bestes geben.«

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Mami – 2045 –

Kein Zuhause für Florian?

Annemarie findet bestimmt eine Lösung

Eva-Maria Horn

Patrick von Rauten betrat das Zimmer seiner zukünftigen Frau Annemarie. Sie saß vor dem Spiegel, drehte sich nun zu ihm um und lächelte ihn an.

»Bist du fertig?«, fragte er. »Die Gäste strömen in den Park, nur die Hauptperson fehlt noch.« Er trat hinter sie, schmiegte sein Gesicht in ihre blonden Locken und atmete genüsslich ihren Duft ein. »Was machst du noch hier?«

»Ich muss noch meine Wimpern tuschen und …

»Was hast du an deinen Wimpern auszusetzen? Sie sind doch vollkommen. Liebste, du siehst wundervoll aus.«

Als sie die Bürste in die Hand nahm, legte er die Hand auf ihre und strich zärtlich über ihre blonden Locken. Dann legte er die Bürs­te zurück, hob Annemarie vom Stuhl und nahm sie in die Arme.

»Ich bin so froh, wenn dieser Rummel vorbei ist«, stöhnte er an ihrem Hals. »Ich kann solchen Festen einfach nichts abgewinnen.«

Annemarie legte den Kopf in den Nacken und flüsterte begeistert: »Dann sollten wir unsere Hochzeit oben auf der Alm in einer kleinen Kapelle feiern, nur du, Florian und ich.«

»Du machst mir den Mund wässrig, Liebste. Aber so gern ich dir diesen Wunsch auch erfüllen würde, es geht leider nicht. Ein Rauten heiratet von jeher in der eigenen Kapelle auf dem Gut. Die Hochzeitsfeiern der von Rautens sind berühmt, und auch wir werden unser Bestes geben.«

»Wie du meinst«, seufzte sie und löste sich aus seinen Armen. Er betrachtete sie verliebt. »Du hast einen ausgezeichneten Geschmack, Liebes. Dieses grüne Kleid steht dir so gut. Du siehst wunderbar aus. Du hast es nach deinem eigenen Entwurf schneidern lassen, nicht wahr?«

Er mochte es, wenn sie lächelte und ihre Augen strahlten. Mit einem Seufzer rückte er von ihr ab. »Dieses Fest kann ja nicht ewig dauern. Wie gut, dass ich dich überreden konnte, endlich zu mir zu ziehen. Da müssen wir uns heute Abend oder vielmehr heute Nacht nicht trennen. Annemarie, du solltest endlich deine Wohnung kündigen. Du bist jetzt hier auf Rauten, bei mir, zu Hause.«

Das war ein häufiger Streitpunkt zwischen ihnen.

»Du siehst selbst großartig aus, Patrick«, lenkte Annemarie ab. »Der Smoking scheint extra für dich erfunden worden zu sein. Ich wusste gar nicht, dass du so breite Schultern hast. Im Übrigen habe ich den Schnitt des Kleides nicht selbst entworfen. Ich habe eine Braut in einem Kleid fotografiert, das absolut toll aussah.«

Er schluckte eine Antwort hinunter. Auf keinen Fall wollte er die Stimmung verderben. Aber wenn Annemarie erst seine Frau war, sollte sie nicht mehr arbeiten, auch nicht, wenn ihr Beruf ihr Freude machte.

Er nahm ihre Hand und zog Annemarie zur Tür.

»Wo ist Florian?«

Er öffnete ihr die Tür. Antworten musste er nicht, denn der Junge hockte auf der alten Truhe, sprang auf, als er sie sah, und warf sich ihr in die Arme.

»Da bist du ja endlich! Das hat aber lange gedauert.« Er sah sie bewundernd an. »Du siehst aus wie eine Bilderbuchprinzessin!«

»Danke, Florian, was für ein liebes Kompliment.«

Natürlich blieb Florian an ihrer Seite und ließ ihre Hand nicht los.

»Warum bist du nicht bei den anderen Kindern?«, knurrte Patrick. Natürlich war er glücklich darüber, dass sein Junge seine zukünftige Stiefmutter liebte, aber diese Anhänglichkeit, die er oft übertrieben fand, ging ihm auf die Nerven. Viel zu oft platzte Florian in Situationen hinein, wenn er mit Annemarie allein sein wollte. Und Annemarie schien es nicht zu stören.

Sie gingen einen Weg zwischen ausgedehnten Rasenflächen entlang. Die Dämmerung hing zwischen den alten Bäumen. Lampions schaukelten an den Zweigen im leichten Wind.

»Der Gärtner hat sich viel Mühe gegeben. Es ist wunderschön geworden«, bemerkte Annemarie.

»Dafür wird er bezahlt«, knurrte Patrick und legte den Arm um ihre Taille.

Annemarie hielt Florian an der Hand, und der Junge schmiegte sich an ihre Seite. Sie lächelte zu den Gästen hinüber, die in den Sesseln Platz genommen hatten.

Die jüngeren Gäste wiegten sich im Takt der Musik auf dem hölzernen Tanzboden. Lachen und gute Stimmung lagen in der Luft. Patrick sah, wie sein Studienfreund Gerd Annemarie mit Blicken verschlang, und zog sie festern an sich. Er mochte es nicht, wenn alle mit ihr tanzen wollten, er konnte es nicht leiden, wenn sie im Arm eines anderen Mannes lag. Er spürte, wie sich seine gute Laune verflüchtigte. Ungeduldig musterte er seinen Sohn.

»Du führst dich auf wie ein albernes kleines Mädchen. Lass Annemarie in Ruhe und geh endlich zu den anderen Kindern. Los, spiel mit ihnen, pass aber auf, dass sie nicht die Blumen zertrampeln.«

»Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen«, beschwichtigte Annemarie ihn. »Frau Specht ist bei den Kindern.«

»Ab mit dir, Florian. Aber sofort.«

»Ich will aber nicht. Ich möchte bei Annemarie bleiben. Und wenn ihr geheiratet habt, darf ich Mama zu ihr sagen. Dann habe ich endlich eine Mutter, wie alle anderen Kinder auch.«

»Verdammt noch mal«, zischte Patrick wütend. »Du tust das, was ich dir sage!«

Als er das trotzige Gesicht seines Sohnes sah, verlor er die Beherrschung. Er holte aus und versetzte ihm eine Ohrfeige. Florian riss vor Schreck die Augen auf, und Annemarie zog ihn fest an sich. Sie spürte, wie er zitterte und mit den Tränen kämpfte.

Über den Kopf des Kindes hinweg warf Annemarie dem Mann einen Blick zu, der ihm die Glut in die Wangen trieb.

Wie viele andere Gäste hatte auch Baron Drambach die Szene beobachtet. Er kam hinzu, verbeugte sich vor Annemarie und fragte: »Darf ich Sie um diesen Tanz bitten, Annemarie? Bitte, machen Sie mir die Freude. Du erlaubst doch, Patrick?«

Bevor Patrick antworten konnte, lächelte Annemarie den jungen Mann an, und Patricks Eifersucht schlug hohe Wellen. »Das tut mir leid, Gerd, aber dieser Tanz ist schon vergeben. Ich habe ihn Florian versprochen.« Und für Patricks Geschmack viel zu freundlich setzte sie hinzu: »Aber der nächste Walzer gehört Ihnen.«

Annemarie legte den Arm um Florians schmächtige Schulter. Natürlich war ihr klar, dass sie beobachtet wurde, aber sie hatte nur Augen für den Jungen. Ihr zärtliches Lächeln galt ihm allein.

Sie hielt Florians Hände, mischte sich mit ihm unter die Tanzenden und drehte sich so geschickt im Rhythmus der Musik, dass sie bald den Rand der Tanzfläche erreicht hatten.

»Gehen wir ins Haus«, flüsterte sie dem Jungen zu.

Florian nickte, sah sie aber nicht an, sondern starrte zu Boden.

Mamsell Klara öffnete ihnen die Haustür und strich dem Jungen über die blonden Locken.

Die Halle war verschwenderisch mit Blumen geschmückt, doch Annemarie hatte keinen Blick für die bunte Pracht. Die Mamsell warf der jungen Frau, die alle auf dem Gut liebten und gern als Herrin begrüßen wollten, einen verständnisvollen Blick zu, bevor sie sich an Florian wandte. »Schade, dass du eben nicht bei mir in der Küche warst. Da sind nämlich die beim Nachbarn bestellten Küken gebracht worden. Die sind so süß! Sie purzelten übereinander, es sah zu drollig aus. Der Kükenkarton steht noch bei mir in der Küche. Ich dachte, du solltest die Tierchen sehen, bevor sie in den Hühnerstall gebracht werden.«

»Wie aufmerksam von Ihnen, Frau Klara«, sagte Annemarie.

Florian umklammerte ihre Hand noch fester. »Du musst aber mitkommen, Annemarie!« Als er das Mitleid in den Augen der Mamsell sah, flossen schließlich doch die Tränen.

Annemarie wischte sie ihm ab und legte einen Moment ihr Kinn auf sein Haar.« Flori, ich möchte die Küken auch gern sehen, muss aber erst einmal kurz in mein Zimmer gehen und mich frisch machen.«

»Gar nicht, Annemarie. Du bist doch noch genauso schön wie heute Morgen«, beteuerte Florian und wollte ihre Hand nicht loslassen.

Hans, Patricks bester Freund, betrat das Haus. Er war der Sohn des Gärtners und er war zwei Tage vor Patrick auf die Welt gekommen. Und als Patricks Mutter ihr Kind nicht stillen konnte, hatte Hans’ Mutter ihn an ihr Herz genommen. Die Jungen wurden unzertrennliche Freunde; ohne Hans wäre Patricks Kindheit und Jugend sehr einsam gewesen.

Hans war auch Annemaries Freund. In seiner einfühlsamen Art hatte er ihr sehr geholfen, sich auf Rauten einzuleben. Jetzt nahm er den Jungen einfach auf die Arme, hob ihn sich auf die Schultern und sah Annemarie in die Augen.

Sie spürte seinen Zorn, doch seine Stimme klang neutral. »Ich wusste gar nicht, dass du so gut tanzen kannst, Flori. Du weißt, dass dein Vater dich sehr lieb hat, Flori, nicht wahr? Alle hier auf dem Gut haben dich lieb. Und wenn dir nach weinen zumute ist, dann darfst du ruhig weinen. Dass Jungen nicht weinen dürfen, ist großer Quatsch.« Er legte die Hände um Florians Taille und stellte ihn zurück auf den Boden.

Mit dem Jackenärmel wischte Florian sich die Tränen ab. »Man kann doch alles kaufen, Onkel Hans. Warum kann man sich denn keinen Vater kaufen? Ich kann es nicht leiden, wenn er so wütend wird und mich immer haut. Alle Kinder haben es gesehen. Die kriegen aber nie Ohrfeigen von ihrem Vater.«

Annemarie sah, wie Hans die Lippen aufeinander presste. Sein schönes, markantes Gesicht sah in diesem Moment überhaupt nicht freundlich aus.

»Flori, geh mit Mamsell Klara zu den Küken. Ich komme gleich nach«, forderte Annemarie den Jungen auf.

Florian nickte ergeben. »Wenn du meinst.«

Hans zögerte nur kurz, dann folgte er Annemarie die Treppe hinauf.

Sie wandte den Kopf und sah ihn an. Wie alle männlichen Gäste trug auch er einen Smoking. Auch in Jeans und Arbeitshemd war er ein gut aussehender Mann. Aber jetzt wirkte er geradezu imposant. Trotz ihrer Wut und Enttäuschung blieb es ihr nicht verborgen.

»Ich suche mein Zimmer auf, um mich erst einmal ein wenig zu beruhigen, Hans. Komm lieber nicht mit, sonst verliert Patrick womöglich vor Eifersucht den Verstand.«

»Aber nein, er vertraut mir.«

»Dann bist du wohl der einzige Mensch, der das von sich behaupten kann«, war ihre spöttische Antwort.

»Ich würde gern mit dir reden, Annemarie.« Er öffnete die Tür für sie.

»Hier ist es nicht besonders ordentlich.« Annemarie fühlte sich unsicher und verlegen. Und Hans war doch ihr bester Freund! Sie setzte sich in den Sessel am Fenster und streifte die Schuhe von den Füßen. So erschöpft, so mutlos sah sie aus.

Hans hätte sie am liebsten in die Arme genommen, doch er begnügte sich damit, tröstend ihre Hände zu nehmen.

»Annemarie, du kennst ihn doch. Du weißt aber auch, dass er dich liebt, dass er verrückt nach dir ist. Er braucht dich. Er weiß selbst, dass er sich unmöglich benommen hat. Bis jetzt hat er in der Öffentlichkeit noch nie die Beherrschung verloren. Lass nicht zu, dass er sich noch schlimmer blamiert. Du weißt ja, wie wichtig die Meinung der Gesellschaft ist. Wenn du Patrick jetzt hängen lässt und dich hier in diesem Zimmer versteckst, machst du alles noch viel schlimmer. Das Fest hat er deinetwegen organisiert. Ich weiß, dass du diese Dinge nicht so wichtig nimmst, genau wie ich, aber er ist in diese steife Etikette hinein gewachsen und kann sich nicht daraus befreien. Er legt großen Wert auf seinen Ruf in der Gesellschaft.«

»Du bist wirklich ein guter Freund, Hans. So viel Treue hat er gar nicht verdient.«

»Dass er sich so schlecht beherrschen kann und sich manchmal einfach nicht im Griff hat, ist nicht allein seine Schuld. Er ist von einer Mutter erzogen worden, die ihm alles nachgesehen hat. War ein Kindermädchen mal streng mit ihm, wurde es gleich entlassen.«

»Und was hat ihr Mann dazu gesagt?«

»Nichts. Lisa war eine sehr dominante Frau. Ich glaube, ihr Mann hat ihr aus Bequemlichkeit kaum jemals widersprochen.«

Das Fenster war nur angelehnt. Die Musik drang zu ihnen ins Zimmer, aber die fröhliche Stimmung hatte sich anscheinend verflüchtigt.

»Patrick spricht nie von seiner verstorbenen Frau.« Annemarie strich sich mit der Hand über das erschöpfte Gesicht und sah Hans an.

Er hatte sich auf die Fensterbank gesetzt, runzelte jetzt die Stirn und wollte wissen: »Wie kommst du darauf, dass sie gestorben wäre? Geschieden sind; sie wollte die Scheidung. Patrick hat sich lange dagegen gewehrt. Doch sie setzte immer durch, was sie wollte. Als er allein war, war er ein gebrochener Mann. Nur gut, dass er sein Pferd Mirco hatte.«

»Er hatte Florian«, rief sie empört. Ja, sie war entrüstet. Wie hatte ihr zukünftiger Mann ihr all dies verschweigen können? Und ob sie ihn noch liebte, noch lieben konnte, das wusste sie in diesem Augenblick nicht. Sie konnte doch keinen Mann heiraten, der sein Kind schlug und solche Geheimnisse vor ihr hatte.

»Das hätte er mir erzählen müssen.«

»Ja. Aber er hat es nicht getan. Er wird seine Gründe dafür gehabt haben, Annemarie. Tatsache ist jedoch, dass er dich liebt.«

Annemarie musterte ihn spöttisch. »Und das soll mir genügen? Würdest du auch so handeln?«

»Wir sprechen jetzt nicht von mir. Annemarie, vergiss deinen Zorn auf ihn für ein paar Stunden. Bitte. Hilf ihm, das Gesicht zu wahren. Verbring den Rest des Festes an seiner Seite. Dir wird man deinen Ärger nicht ansehen, denn für dich ist Selbstbeherrschung selbstverständlich, dessen bin ich mir sicher. Komm, gehen wir zuerst zu Florian in die Küche, und dann mischst du dich unter die Gäste. Nur das ist im Moment wichtig.«

Bevor Hans sie aus dem Sessel ziehen konnte, wurde die Tür aufgestoßen. Annemarie vergaß vor Schreck zu atmen. Sie sah Patricks wütendes, verkniffenes Gesicht und rechnete mit einem Tobsuchtsanfall, sobald er Hans in ihrem Zimmer bemerkte. Sie traute ihren Ohren nicht, als Patrick sich dann an Hans wandte. »Du hast sie hoffentlich zur Vernunft bringen können? Du hast dich jetzt lange genug versteckt, Annemarie.«

Patrick fühlte sich keineswegs wohl in seiner Haut. Zur Beruhigung hatte er auf die Schnelle zwei große Gläser Whisky ohne Eis getrunken, doch der Alkohol hatte nicht das gewünschte Resultat.

Hans gab keine Antwort, sondern ging zur Tür und öffnete sie. »Du bist eine wunderbare Frau, Annemarie, ich habe großen Respekt vor dir.« Damit schloss er die Tür hinter sich.

Patrick blieb mitten im Zimmer stehen. Wie aufgewühlt er war, erkannte sie nicht nur an seiner Haltung, sie spürte es geradezu körperlich. Und sie fand es lächerlich, dass sie plötzlich Mitleid mit Patrick verspürte.

Aber ihr Mitleid verflog, als er in aggressivem Ton wissen wollte: »Willst du dich lächerlich machen oder mich?«

Annemaries Augen blitzten. »Ich denke, dazu brauchst du mich nicht, das hast du längst selbst erledigt.«

»Du bist hier die Hauptperson. Nur für dich habe ich dieses Fest organisiert. Alle sollen die zukünftige Frau von Rauten kennenlernen. Doch wenn du dich weiterhin so aufführst …«

Annemarie war aufgestanden. Hochaufgerichtet, furchtlos sah sie ihn an. »Sprich nur weiter.«

»Ich glaube, du musst noch viel lernen, bevor du die Herrin von Rauten wirst.«

Hatte sie tatsächlich nach Entschuldigungen für sein Verhalten gesucht? Wut kochte in ihr hoch, sie ballte die Hände zu Fäusten. »Ich verachte Männer, die Kinder schlagen«, schleuderte sie ihm entgegen.

Er erkannte Wut und Verachtung in ihren Augen. Es raubte ihm den Verstand. »Ich habe ihn nicht geschlagen. Eine symbolische Ohrfeige hat noch keinem Kind geschadet. Du könntest dich aufregen, wenn ich dir eine gegeben hätte. – Das sollte ein Witz sein«, fügte er hinzu und verzog den Mund zu einem verkrampften Lächeln. »Jetzt hör auf zu schmollen, du bist doch kein Kind mehr. Geh, kämm dich und mach dich frisch, und dann gehen wir zusammen zurück zu deinen Gästen. Eben ist der Landrat eingetroffen. Du willst mich doch vor ihm und seiner Frau nicht blamieren.«

Die Empörung über seine Worte raubte ihr den Atem. Sie starrte ihn an, als sähe sie ihn zum ersten Mal.

Dass ihre Stimme ihr trotz ihres Gefühlsausbruchs noch gehorchte, war ein Wunder. Aber sie klang heiser, völlig fremd. »Gut. Ich gehe mit dir. Aber ich gebe dir einen guten Rat: Spar dir jegliche Zärtlichkeit. Vorher aber gehe ich noch in die Küche, weil ich es Florian versprochen habe. Du kannst ja mitkommen, wenn du willst.«

Damit ließ sie ihn stehen. Sie ging ins Bad, ohne ihm noch einen Blick zu gönnen, und schloss die Tür hinter sich.