Ich will für dich da sein, Dennis - Eva-Maria Horn - E-Book

Ich will für dich da sein, Dennis E-Book

Eva Maria Horn

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Jenny Hansen sah sich in dem kleinen Zimmer um. Dieser Raum in dem fremden Haus sollte jetzt hoffentlich für lange Zeit ihr Zuhause sein. Vor dem großen Fenster stand ein Schreibtisch. Vermutlich hatte Frau Starks Tochter dort ihre Hausaufgaben gemacht. Jenny setzte sich auf die Schreibtischkante und ließ die Beine baumeln, die in engen Jeans steckten. Trotz der alten Möbel und des Betts in seiner Nische wirkte das Zimmer anheimelnd. Sie wusste, dass sie sich hier wohlfühlen würde, sie wusste es einfach. Und überhaupt. Nicht mehr lange, dann würde sie Geld verdienen. Seit zwei Tagen durfte sie sich Journalistin nennen, denn sie hatte endlich ihr Examen in der Tasche. Und wenn sie Geld verdiente, würde sie sich als Erstes einen Teppich anschaffen, und zwar den, den sie bei Schmelter im Schaufenster gesehen hatte. Aber jetzt sollte sie zunächst einmal ihre Wirtin begrüßen. Vermutlich fand sie Frau Stark in der Küche. Als es am ihrer Tür klopfte, sprang sie vom Schreibtisch. Beim Anblick des verweinten Gesichts der alten Dame erlosch Jennys Lächeln. Verlegenheit machte sich breit. »Ich wollte gerade zu Ihnen kommen, Frau Stark.« Die Falten im Gesicht der alten Frau hatten sich vertieft. »Ich wollte Ihnen Blumen ins Zimmer stellen und Sie mit einem Kuchen begrüßen. Aber …«

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Mami – 2055 –

Ich will für dich da sein, Dennis

Nur bis dein Vater wiederkommt?

Eva-Maria Horn

Jenny Hansen sah sich in dem kleinen Zimmer um. Dieser Raum in dem fremden Haus sollte jetzt hoffentlich für lange Zeit ihr Zuhause sein.

Vor dem großen Fenster stand ein Schreibtisch. Vermutlich hatte Frau Starks Tochter dort ihre Hausaufgaben gemacht.

Jenny setzte sich auf die Schreibtischkante und ließ die Beine baumeln, die in engen Jeans steckten. Trotz der alten Möbel und des Betts in seiner Nische wirkte das Zimmer anheimelnd. Sie wusste, dass sie sich hier wohlfühlen würde, sie wusste es einfach.

Und überhaupt. Nicht mehr lange, dann würde sie Geld verdienen. Seit zwei Tagen durfte sie sich Journalistin nennen, denn sie hatte endlich ihr Examen in der Tasche. Und wenn sie Geld verdiente, würde sie sich als Erstes einen Teppich anschaffen, und zwar den, den sie bei Schmelter im Schaufenster gesehen hatte.

Aber jetzt sollte sie zunächst einmal ihre Wirtin begrüßen. Vermutlich fand sie Frau Stark in der Küche.

Als es am ihrer Tür klopfte, sprang sie vom Schreibtisch. Beim Anblick des verweinten Gesichts der alten Dame erlosch Jennys Lächeln. Verlegenheit machte sich breit. »Ich wollte gerade zu Ihnen kommen, Frau Stark.«

Die Falten im Gesicht der alten Frau hatten sich vertieft. »Ich wollte Ihnen Blumen ins Zimmer stellen und Sie mit einem Kuchen begrüßen. Aber …« Sie brach in Tränen aus.

Jenny legte der alten Dame spontan den Arm um die Schultern und führte sie zum einzigen Sessel im Zimmer. »Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen, Frau Stark?«

»Danke. Entschuldigen Sie, ich sollte mich besser zusammenreißen. Aber es ist so schwer.«

Jenny ergriff ihre Hand, der das Alter anzusehen war. »Was ist denn passiert, Frau Stark? Möchten Sie darüber reden?«

»Es ist mit wenigen Worten gesagt, und es ist das Schrecklichste, was mir in meinem Leben passiert ist. Meine Tochter, mein Schwiegersohn und mein Enkel sind mit seinem Flugzeug abgestürzt. Meine Tochter ist tot, mein Schwiegersohn liegt schwer verletzt im Krankenhaus; es wäre ein Wunder, wenn er überlebte. Mein Enkel Dennis ist unverletzt, ich kann es kaum glauben. Heute Abend kann ich ihn aus dem Krankenhaus abholen. Ich dachte, Rainers Eltern würden ihn zu sich nehmen. Aber Herr Stein hat mir auf der Beerdigung meiner Tochter erklärt, dass er das seiner Frau nicht zumuten kann. Ich kann es noch immer nicht glauben!«

Mit dem Handballen wischte sie sich die Tränen ab. »Er hat doch tatsächlich vorgeschlagen, den Jungen ins Waisenhaus zu geben. Seinen Sohn hat er offenbar schon abgeschrieben.«

Sie hob das Gesicht, wieder flossen die Tränen. Jennys Mitleid war grenzenlos.

»Dennis ist vier Jahre alt. Seit dem Unfall hat er noch kein Wort gesprochen.«

»Sie haben allen Grund, verzweifelt zu sein, Frau Stark. Wenn Sie erlauben, möchte ich Ihnen gern helfen. Wie holen Sie Dennis vom Krankenhaus ab?«

»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Mit dem Taxi, denke ich …«

Sie straffte die Schultern und atmete tief durch. Jenny sah, dass sie zitterte, nahm ihre Hände und drückte sie fest.

»Haben Sie das Zimmer für Dennis schon vorbereitet, Frau Stark? Sonst könnte ich Ihnen dabei helfen. Er soll doch spüren, dass er Ihnen willkommen ist.«

»Wie gut, dass Sie da sind, Frau Hansen. Er hatte immer ein eigenes Zimmer, wenn die Familie mich besuchte.« Sie erhob sich und geriet leicht ins Schwanken. Jenny schlang den Arm um ihre Hüften.

»Es ist noch früher Nachmittag, Frau Stark. Wir haben reichlich Zeit. Vielleicht zeigen Sie mir das Zimmer. Ich richte es dann, und Sie ruhen sich ein wenig aus.«

»Nein, ich werde kochen. Ich werde Dennis’ Lieblingsgericht zubereiten. Arbeit hilft mir, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.« Frau Stark ergriff Jennys Hand. Gemeinsam gingen sie durch den Flur an der Küche vorbei.

»Mein Auto ist nicht groß, aber für Sie, Dennis und mich ist Platz genug. Wir holen ihn zusammen ab.«

Frau Starks Hand zitterte, als sie die Tür öffnete. Das Zimmer war lichtdurchflutet und einfach, aber hübsch eingerichtet. Spielsachen standen in den Regalen, auf dem bunten Teppich lag ein großer Stoffhund.

»Wie hübsch! Das ist ein wunderschönes Kinderzimmer. Sogar einen kleinen Tisch hat er …«

Schon wieder flossen die Tränen. »Mir ist, als wäre es erst gewesen, dass er mit meiner Tochter auf dem Teppich hockte. Ich konnte sein Lachen in der Küche hören. Er war ein so fröhlicher Junge. Und meine ­Tochter war eine glückliche Frau. Rainer, ihr Mann, wird ihren Tod nicht verkraften. Er hat sie über alles geliebt.«

»Mag Dennis Blumen?«

»Ich weiß es nicht. Aber ich habe immer ganz bestimmte Kekse für ihn gekauft. Und ich habe ihm einen Teller mit Lakritz und Schokolade bereit gestellt. Seine Eltern fanden das nicht gut, aber sie haben nichts gesagt. Und Dennis strahlte.«

»Sagen Sie mir, um welche Kekse es sich handelt, dann besorge ich welche.«

»Frau Hansen …«

»Bitte, nennen Sie mich Jenny.«

»Jenny, ich wollte ja das Schicksal verfluchen. Aber ich glaube, es hat Sie zu mir geschickt. Vielleicht ist es ein Versuch, es mir leichter zu machen. Danke, dass Sie da sind.«

*

Jenny hatte die Süßigkeiten sehr sorgfältig ausgewählt und verteilte sie jetzt auf kleine Teller, so wie Frau Stark es immer gemacht hatte. Als sie das Spielzeug in den Regalen betrachtete, klingelte ihr Handy.

Sie kramte es aus dem Rucksack, den sie auf einen Stuhl gestellt hatte. Als sie die Nummer auf dem Display sah, stöhnte sie genervt.

»Sag mal, wo steckst du?«, drang Michaels gereizte Stimme an ihr Ohr. »Ich stehe hier im Studentenwohnheim, und Lisa erklärt mir, dass du schon ausgezogen bist. Warum diese Eile? Und sag jetzt nicht, dass du in dieses kleine Haus am Stadtrand ziehst?

»Darf ich vielleicht auch mal was sagen, mein lieber Michael? Da ich keine Studentin mehr bin, muss ich mein Zimmer im Studentenwohnheim räumen. Ja, ich wohne jetzt in diesem kleinen Haus am Stadtrand.«

Er schnaubte vor Wut.

»Du hast wohl eine Schraube locker! Wirklich, Jenny, du bist verrückt. Mir gehört ein Haus mit sechs Zimmern, einem Wintergarten, einem tollen Garten. Verdammt. Du kannst einen Heiligen zum Fluchen bringen. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich dich gebeten habe, zu mir zu ziehen. Ich habe es mir so gewünscht. Sag mir, was ich tun muss, um dich zur Vernunft zu bringen. Weißt du, deine Sturheit ist alles andere als lustig.«

Jetzt atmete er ein wenig ruhiger. »Sei doch vernünftig, Jenny. Pack deinen Koffer gar nicht erst aus. Ich lasse es nicht zu, dass du dich in dieser Einöde verkriechst. Setz dich ins Auto und komm zu mir. Du gehörst nämlich hierher. Und ich habe eine Überraschung für dich, auch, wenn du sie gar nicht verdient hast. Aber ich möchte dir eine Freude machen. Na, bist du jetzt gespannt?«

Jenny lag bereits eine ungeduldige Antwort auf der Zunge. Sie hasste diesen Ton. Sie brauchte niemanden, der ihr sagte, was sie tun musste.

»Willst du mich heute Abend zum Essen in das neue Restaurant einladen? Dann muss ich dich leider enttäuschen.«

»Nein. Und jetzt halte dich fest. Wir sind heute Abend bei meinen Eltern zum Essen eingeladen. Weil du gestern Abend keine Zeit hattest, habe ich sie besucht und natürlich von dir erzählt. Sie wollen dich unbedingt kennenlernen. Was sagst du nun?«

Das war wirklich das Letzte, was sie wollte. Immer wieder hatte sie Michael erklärt, dass er für sie nur ein guter Freund war und sie keine Ambitionen für mehr hatte.

Wie oft hatte sie ihm gesagt, dass sie reisen wollte, bevor sie einen Beruf ergriff, und zwar unabhängig reisen. Sie schnaubte und spürte, wie diese verhasste Unsicherheit wieder über sie kam.

»Michael, das ist wirklich dumm gelaufen. Es ist ja sehr nett von deinen Eltern, aber es geht nicht.«

»Wieso nicht?«

»Ich habe heute Abend keine Zeit. Ich habe meiner Wirtin versprochen, ihr zu helfen.«

»Deiner Wirtin? Bei der du gerade erst eingezogen bist?« Noch wirkte er fassungslos. Aber Jenny kannte ihn: Michael konnte sehr jähzornig sein.

»Krieg dich wieder ein, Michael. Es geht um eine wirklich schreckliche Sache. Ihre Tochter ist tot, ihr Schwiegersohn liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Und ihr kleiner Enkel lebt und spricht kein Wort mehr. Ich kann die alte Dame nicht mit ihrem Kummer allein lassen.«

»Dann sind dir diese Leute wohl wichtiger als ich? Als meine Eltern und ich?«

»Michael, ich glaube, du hast mir nicht zugehört. Hier geht es um eine gebrochene alte Frau. Sie sieht sich einer Aufgabe gegenüber, die sie gar nicht bewältigen kann.«

»Und da musst du ihr helfen? Ich dachte, du hättest lediglich ein Zimmer bei ihr gemietet.

Trotz bester Vorsätze wurde Jenny laut. »Mitleid von dir zu verlangen, ist wohl unmöglich. Aber vielleicht versuchst du mal, mich zu verstehen? Ich kann nicht anders, Michael, ich muss helfen. Ich werde den Jungen heute Abend zusammen mit seiner Oma aus dem Krankenhaus abholen.«

Michael gab sich große Mühe, ruhig zu bleiben. »Ist damit deine Aufgabe erledigt? Dann könnten wir ja einfach etwas später zu meinen Eltern fahren.«

»Ich enttäusche dich wirklich nicht gern Michael, aber ich glaube, ich werde hier gebraucht. Ich rufe deine Mutter an und bitte sie um Entschuldigung. Und jetzt muss ich leider Schluss machen. Ich lass von mir hören. Tschüs.«

Ohne seine Antwort abzuwarten, legte sie auf. Und hatte ein schlechtes Gewissen.

Die Fahrt zum Krankenhaus war mühsam für Jenny. Die alte Dame weinte den ganzen Weg über, und Jenny wusste nicht mehr, wie sie sie noch hätte trösten können.

Sie lenkte ihren Kleinwagen auf den Parkplatz, wartete einen Moment und lächelte die alte Dame liebevoll an.

»Sie sollten jetzt Ihre Tränen trocknen, Frau Stark. Der Junge soll doch keine verweinte Großmutter begrüßen.«

»Da haben Sie natürlich recht. Ich freue mich ja auch auf Dennis. Er ist ein so lieber Junge. Aber wie soll das gehen, wenn er gar nicht spricht?« Ratlos, verzweifelt sah sie Jenny an.

»Wir werden schon einen Weg finden, da bin ich mir ganz sicher. Wollen wir hoffen, dass er seine Sprache bald wiederfindet.«

Jenny war um den Wagen herum gegangen und half Frau Stark beim Aussteigen. Die alte Dame rückte ihren Hut zurecht und strich ihr Jackenkleid glatt.

»Nehmen Sie meinen Arm, Frau Stark, dann geht es für Sie besser.« Zusammen stiegen sie die wenigen Stufen zum Eingang empor. Frau Stark atmete schwer und musste ein paar Mal stehen bleiben.

»Mein Schwiegersohn liegt auf der Intensivstation, aber ihn besuche ich jetzt nicht. Dennis ist auf der Kinderstation.«

»Um Ihren Schwiegersohn kümmern wir uns später. Jetzt ist Dennis wichtig.«

Eine freundliche Schwester sprach sie an. »Sie holen Dennis ab?« Sie legte der alten Dame die Hand auf den Arm. »Ein solches Schicksal dürfte kein Kind treffen.« Ihr Blick war voller Mitgefühl. »Der Kleine ist völlig verstört. Sie werden sich Hilfe holen müssen.«

Die Schwester öffnete eine Glastür. Licht strömte durch die offenen Fenster in den Raum. Jenny zählte die weißen Betten, sah aber flüchtig zwei Mädchen, die auf einem der Betten hockten. Die Größere kämmte der Kleinen die Haare. Das Bild verschwand sofort wieder, und Jenny sah nur noch den kleinen Jungen. Augenscheinlich hatte er sich allein angekleidet, denn das karierte Hemd war schief geknöpft. Die Jeans wies Flecken auf. Aber das alles nahm Jenny nicht bewusst wahr. Das schmale Gesicht des Jungen wurde von den Augen dominiert; er rührte sich nicht und starrte seine Oma an, als hätte ihr Kommen ihn überrascht.

Die Stimme der alten Dame zitterte. »Willst du mich denn gar nicht begrüßen, Dennis? Ich bin deine Oma.«

Sie konnte nicht verhindern, dass eine Träne über ihre Wange rollte.

Dennis rührte sich immer noch nicht. Jenny überlegte nicht lange, sondern trat auf den Jungen zu, schenkte ihm ein liebes Lächeln und ergriff seine Hand. »Ich bin Jenny und ich wohne bei euch, Dennis. Vor dem Krankenhaus steht mein Auto, das wird uns jetzt schnell zum Haus deiner Oma bringen.«

Sie rechnete damit, dass Dennis ihr seine Hand entzog, doch stattdessen schmiegte er sie noch fester in die ihre, als suchte er ihre Wärme. Die Zuversicht, die Jenny ausstrahlte, kam auch bei Frau Stark an. Sie nahm Dennis bei der anderen Hand. Jenny grüßte die anderen Kinder freundlich, die die kleine Gruppe nicht aus den Augen gelassen hatten.

Zusammen gingen sie den Flur entlang. Schwestern kamen ihnen entgegen und richteten ein paar Worte an den Jungen oder lachten ihn nur an. Doch es war nicht zu überhören, dass der Junge aufatmete, als sie schließlich auf der Straße standen.

»Dort, das rote Auto, das gehört mir, Dennis. Eigentlich bräuchte ich ja einen Kindersitz für dich«, plauderte sie lebhaft und schloss die Fahrertür auf.

»Deine Großmutter sitzt natürlich vorn, Dennis. Kommst du auf dem Rücksitz zurecht?«

Jenny strahlte, als der Kleine nickte und ins Auto kletterte. Sie war Frau Stark beim Einsteigen behilflich. »Das klappt ja besser, als ich zu hoffen gewagt habe«, seufzte sie erleichtert.

Jenny ging um den Wagen herum und blickte zu Dennis hinein, der sich in eine Ecke gedrückt hatte und sie ansah. Aber sie las keine Angst in seinen Augen.

»Du kennst dich bestimmt hier aus, nicht wahr, Dennis? Da drüben ist der Bäcker, bei dem deine Oma ihre Brötchen kauft. Und da an der Ecke befindet sich ein großes Spielwarengeschäft. Da warst du bestimmt schon mal, Dennis. Aber ich noch nicht. Das sollten wir zusammen nachholen. So, wir sind zu Hause. Ich helfe zuerst deiner Oma aus dem Auto, dann öffne ich dir die Tür.«

»Haben Sie denn noch Zeit, Dennis zu helfen? Wenn wir in der Wohnung sind, meine ich …«

»Sie wohnen wunderschön in diesem Haus, Frau Stark. Dennis erinnert sich bestimmt und wird sich schnell eingewöhnen. Und ich habe Zeit und helfe gern.«

Jenny freute sich, als der Junge die kleine Hand in ihre schob. Er sah sie jedoch nicht dabei an. Frau Stark schloss die Haustür auf.

»Ich gehe mal vor. Willkommen in deinem Zuhause, Dennis.«

Als das Licht den schmalen Flur überflutete, entzog Dennis Jenny seine Hand und schob sie in die Jeanstasche. Die beiden Frauen blieben stehen, und Jenny wurde unangenehm bewusst, dass sie beide den Jungen musterten. Plötzlich rannte er los, blieb vor der Tür zu seinem Zimmer stehen und sah seine Großmutter an, die ihm langsam gefolgt war.

»Ja, Dennis, das ist dein Zimmer. Deine Sachen warten schon auf dich.«

Zögernd öffnete er die Tür. Niemals würde Jenny dieses Kindergesicht vergessen, das in das Zimmer spähte.

»Ob er gehofft hat, dass seine Eltern hier auf ihn warten?«, murmelte Frau Stark verzweifelt.

»Nicht weinen«, bat Jenny. Ein Kloß in ihrem Hals erschwerte das Schlucken.

Dennis ließ die Tür offen. Sein Gesicht entspannte sich, als er die Schälchen mit den Leckereien entdeckte. Vorsichtig nahm er einen Keks und schob ihn in den Mund. Mit seinen großen grauen Augen sah er seine Großmutter an. Sie trat ins Zimmer und legte dem Jungen die Hand auf den Kopf. »Das ist alles für dich, mein Schatz. Ich weiß ja, dass du es dir gut einteilen kannst.«

Jenny war auf dem Flur zurückgeblieben und sagte sich, dass dieser Moment den beiden allein gehörte. Aber wie staunte sie, als Dennis zu ihr kam, ihre Hand ergriff und Jenny ins Zimmer zog. Er lächelte nicht, zeigte nur mit dem Finger auf die Kekse und dann auf Jenny.

»Danke, Dennis, die sehen wirklich lecker aus …«

Frau Stark wirkte erschöpft; sie setzte sich in den Korbsessel, ohne den Jungen aus den Augen zu lassen. »Er hat mir oft von seinen Süßigkeiten angeboten. Ich habe immer abgelehnt. Daran erinnert er sich offensichtlich.«

Dennis griff nach einer Lakritzschlange, biss ein Stückchen ab und schaute sich im Zimmer um.