Mammon - Für deine Sünden sollst du büßen & Phoenix - Unsere Rache wird euch treffen - Matthias Jösch - E-Book
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Mammon - Für deine Sünden sollst du büßen & Phoenix - Unsere Rache wird euch treffen E-Book

Matthias Jösch

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Beschreibung

MAMMON „Bevor sie kamen, um ihn zu richten, vollendete er seine Botschaft: ein Relief aus sechs Worten, von bluttriefenden Fingern mit Kettengliedern in den Stein geritzt.“ Ein markerschütternder Schrei versetzt das Publikum der Berliner Oper in Angst und Schrecken. Mitten im Zuschauerraum wird ein Mann ermordet – und doch fehlt vom Täter jede Spur. Das Opfer: der Vorstandsvorsitzende einer großen Bank. Die Tatwaffe: ein spanischer Dolch aus dem 15. Jahrhundert. Die Polizei beginnt, unter Hochdruck zu ermitteln. Der junge Kriminologe Adrian von Zollern recherchiert die Geschichte der Waffe. So findet er Hinweise auf eine mysteriöse Mordserie und eine weltumspannende Verschwörung, die vor langer Zeit begann und noch immer blutige Opfer fordert – im Namen der Gerechtigkeit … Ein atemloser Thriller über Schuld, Rache und die ewige Frage: Heiligt der Zweck wirklich jedes Mittel? Jetzt als eBook: „MAMMON - Für Deine Sünden wirst Du büßen“ von Matthias Jösch. PHOENIX Eine internationale Verschwörung und ein teuflischer Plan: „PHOENIX – Unsere Rache wird euch treffen“ von Matthias Jösch jetzt als eBook. In Feuer, Schutt und Asche ist das dritte Reich untergegangen – doch noch immer träumen Fanatiker davon, es in blutigem Glanz auferstehen zu lassen. Eine junge Mossad-Agentin findet Hinweise auf eine schier unglaubliche Verschwörung und beginnt zu ermitteln. Von all dem ahnt der Mathematikdozent und BND-Mitarbeiter Adrian von Zollern nichts, als er in einem holländischen Antiquariat eine harmlos aussehende Kiste mit alten deutschen Schallplatten entdeckt. Doch schon kurze Zeit später muss er um sein Leben kämpfen – und gegen eine mächtige Organisation, die vor nichts zurückschreckt, um die Welt zu unterwerfen. Gnadenlos spannend, schnell getaktet, eiskalt erzählt: ein internationaler Thriller, der Ihnen den Schlaf rauben wird! Jetzt als eBook kaufen und genießen: „PHOENIX – Unsere Rache wird euch treffen“, der neue Thriller von Matthias Jösch. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über „MAMMON“:

Ein markerschütternder Schrei versetzt das Publikum der Berliner Oper in Angst und Schrecken. Mitten im Zuschauerraum wird ein Mann ermordet – und doch fehlt vom Täter jede Spur. Das Opfer: der Vorstandsvorsitzende einer großen Bank. Die Tatwaffe: ein spanischer Dolch aus dem 15. Jahrhundert. Die Polizei beginnt, unter Hochdruck zu ermitteln. Der junge Kriminologe Adrian von Zollern recherchiert die Geschichte der Waffe. So findet er Hinweise auf eine mysteriöse Mordserie und eine weltumspannende Verschwörung, die vor langer Zeit begann und noch immer blutige Opfer fordert – im Namen der Gerechtigkeit …

Ein atemloser Thriller über Schuld, Rache und die ewige Frage: Heiligt der Zweck wirklich jedes Mittel?

Über „PHOENIX“:

In Feuer, Schutt und Asche ist das dritte Reich untergegangen – doch noch immer träumen Fanatiker davon, es in blutigem Glanz auferstehen zu lassen. Eine junge Mossad-Agentin findet Hinweise auf eine schier unglaubliche Verschwörung und beginnt zu ermitteln. Von all dem ahnt der Mathematikdozent und BND-Mitarbeiter Adrian von Zollern nichts, als er in einem holländischen Antiquariat eine harmlos aussehende Kiste mit alten deutschen Schallplatten entdeckt. Doch schon kurze Zeit später muss er um sein Leben kämpfen – und gegen eine mächtige Organisation, die vor nichts zurückschreckt, um die Welt zu unterwerfen.

Gnadenlos spannend, schnell getaktet, eiskalt erzählt: ein internationaler Thriller, der Ihnen den Schlaf rauben wird!

Über den Autor:

Matthias Jösch, geboren 1966 in Dernbach, studierte Betriebswirtschaftslehre, Mathematik und Musikwissenschaften. Er bekleidete leitende Positionen in renommierten Firmen und arbeitet heute als Unternehmensberater. Matthias Jösch lebt mit seiner Frau im Ruhrgebiet und schreibt in seiner Freizeit für HiFi- und Musikzeitschriften. 

Bei dotbooks erschienen bereits Matthias Jöschs Thriller rund um den charismatischen Ermittler Adrian von Zollern: „MAMMON – Für Deine Sünden wirst Du büßen“ und „PHÖNIX – Unsere Rache wird euch treffen“.

Der Autor im Internet: http://matthiasjoesch.de/

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Originalausgabe April 2015

Copyright © der Originalausgabe MAMMON 2013 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe PHOENIX 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Vinogradov Illya

ISBN 978-3-95824-253-1

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Matthias Jösch

Mammon–Für Deine Sünden wirst du büßen & Phoenix – Unsere Rache wird euch treffen

Zwei Thriller in einem Band

dotbooks.

Mammon – Für Deine Sünden wirst du büßen

Prolog

Drei Tage in der Hölle brachen den starken Mann.

Sein Aufbäumen war sinnlos gewesen. Dennoch kämpfte sein Geist für ein Bild der Hoffnung. Was ihn hierher gebracht hatte, in Ketten dem gaffenden Pöbel ausgesetzt, konnte er nicht sagen. Unsägliche Schmerzen von der Folter trübten seinen Verstand. Zu mehr als vagen Ahnungen war er nicht mehr fähig. Zum Glück waren seine Hände das Letzte, was man ihm gebrochen hatte. Hätten sie es gleich zu Beginn getan, als man ihn dem Leben entriss und am Ort seines Jüngsten Gerichts einkerkerte, wäre die Hoffnung erloschen. Nun    oblag es dem Geschick dieser Hände, ein Vermächtnis zu schaffen.

Nach dem ersten Verhör öffneten die Wachen sein Verlies und warfen ihn mit vereinten Kräften hinein. Der Stein verletzte ihn, als er auf dem Boden aufschlug. Er nahm es als Zeichen: Stein und Kette mussten genügen.

Als sie mit ihrer Geduld am Ende waren, holten sie ihn, um die Qualen zu vervielfachen. Bevor sie ihm mit mächtigen Schlägen den Unterleib zerschmetterten und unmenschliche Schmerzen das falsche Geständnis aus ihm herauspressten, vollendete er seine Botschaft: ein Relief aus sechs Worten, von bluttriefenden Fingern mit Kettengliedern in den Stein geritzt.

Und endlich verstummte das Gebrüll des Wahnsinnigen. Während der Verhöre schrie er sich im Auftrag Gottes die Seele aus dem Leib: zischte, fluchte, drohte, um ihn zu brechen. Jetzt predigte der Bote des Teufels im schwarzen Umhang zu den Menschen des Dorfes, um sie einzuschüchtern. Umrahmt von seinen Fackelträgern, wies der Dunkle auf ihn, den Geketteten. Er warnte eindringlich vor dem schlechten Beispiel, das dieser ihnen bot. Er, der Großes für die Menschen seiner Heimat erreicht hatte, wurde zum Aussätzigen, für dessen geschundenen, stinkenden Leib die Menschen nur noch Abscheu empfanden.

Den Wink des Finsteren erfassten die geschwollenen Augen des Gequälten nicht, doch er fühlte, wie Fackelträger sich in Bewegung setzten. Den Kreis um das Podest, an das er gekettet war, zogen sie so eng, dass ihre Stiefel das Holz berührten. Er ahnte ihre rachsüchtigen Blicke, als sie das brennende Pech hineinsteckten und unersättliche Flammen mit leisem Knistern gierig am dürren Geäst zu lecken begannen.

Es roch so vertraut, er liebte diesen Duft. Immer wenn Arbeiter in seinem Olivenhain Reisig verbrannten, sog er den wohligen Geruch ein, um in schweren Stunden Erbauung und Kraft daraus zu schöpfen. Dann entströmte dem verdorrten Geäst die gefangene Essenz der Früchte, das prasselnde Flammenmeer gab eine Mischung von Aromen frei und beflügelte Willen und Denken.

Doch in seiner schwärzesten Stunde, hier, auf der Richtstätte, barg der Duft keine Hoffnung. Zwischen schwarzen Rauchschwaden hielten sie ihm zuletzt die Fahne vors Gesicht, wie zum Hohn.

Sieh her, schienen Kreuz, Olivenzweig und Schwert ihn von dort zu verspotten. Du hast uns herausgefordert.

Wir erlösen dich.

Wir, die Insignien der Reinigung vom Bösen. Wir, die Allianz deiner Feinde.

Wir, das Bündnis aus Religion, Macht, Reichtum und Verrat. Wir, die Heilige Inquisition.

Gleich würde er Asche sein.

Berlin,Gegenwart

„Wo bist du?“

Adrian von Zollern war gerade im Begriff, die Wohnung zu verlassen. „Du hast doch meine Festnetznummer gewählt, Sebastian!“

„Äh, ja … wie dem auch sei. Jedenfalls habe ich es geschafft!“, murmelte Sebastian Krix.

„… Was denn?“, entgegnete Adrian ungeduldig.

„Die Karten!“, sagte Sebastian stolz.

Adrian war in Eile und hatte keine Zeit für ein Gespräch.

„Du hast es vergessen? Halb Berlin habe ich deswegen genervt, sogar meinen Chef …“

Widerstrebend rief Adrian sich das greuliche Gesicht des Ministerialdirektors im deutschen Außenministerium ins Gedächtnis. Dr. Langelb, Sebastians Chef, war unbeliebt im Stab, den Sebastian leitete. Ein kalter Mann von despotischem Wesen. Dann fiel es ihm wieder ein: die Premierenvorstellung des Don Giovanni an der Deutschen Oper! Schon bei der Ankündigung hatte Adrian den Gedanken an Karten verworfen. Trotzdem übte er sanften Druck auf Sebastian Krix und dessen Kontakte aus. Das unglaubliche Netzwerk seines introvertierten Freundes blieb für Adrian ein unlösbares Rätsel.

„Unglaublich! Wie hast du das geschafft?“

„Egal. Wir sitzen im Parkett. Allerdings wird Wallenschweder dabei sein.“

„Wer?“

„Der Gerichtsmediziner.“

Niemand konnte Wallenschweder leiden. Der Spezialist für Thanatologie und forensische Molekularbiologie zeigte geradezu überschwängliche Begeisterung für die Leichenschau. Bei jeder Gelegenheit gab er unappetitliche Details zum Besten. Das machte ihn noch abstoßender, als er ohnehin schon war.

„Ihm verdanken wir letztlich die Karten!“

„Gut. Treffen wir uns eine Stunde vor der Vorstellung im Cuvé auf einen Rotwein?“

„Okay.“

Bis zur Premiere standen wichtige Termine in Adrian von Zollerns Kalender. Gleich würde er Karl-Werner Ponisega im Café des Esplanade treffen.

Der Verkehr floss um diese Zeit beinahe ungehindert durch die Friedrichstraße, und nach einer Viertelstunde erreichte er das Lützowufer.

Ponisega war noch nicht da. Während er wartete, dachte Adrian von Zollern über seinen Freund nach.

Die beiden Jungen hatten sich vor über dreißig Jahren in Argentinien kennengelernt. Sebastian Krix’ Vater, der Großindustrielle Knuth Krix, hatte damals beschlossen, nach Argentinien zu expandieren, wo Ernst von Zollern das Wirtschaftsressort der Deutschen Botschaft leitete. Die Väter arbeiteten zusammen, woraus sich eine lebenslange Freundschaft entwickelte. Diese endete mit Ernst von Zollerns Tod im Jahre 1999. Die Familie von Zollern, neben der Diplomatie ebenfalls unternehmerisch tätig, wenn auch in kleinerem Rahmen, verkaufte daraufhin das Familienunternehmen und ermöglichte den nachfolgenden Generationen so ein finanziell sorgenfreies Leben.

Die Jungen fühlten sich fremd in Argentinien, sonderten sich ab und lebten in ihrem Zweierkosmos. Unterschiedlicher konnten zwei Menschen nicht aussehen als diese beiden. Schon der junge Adrian

hatte einen elitären Zug und achtete auf sein Äußeres, während Sebastian Kleidung nur trug, weil er nicht nackt herumlaufen wollte. Adrian entwickelte sich zu einem Frauenschwarm, Sebastian wurde ein introvertierter Grübler.

In der harten Wirklichkeit des argentinischen Schulalltags nährte Sebastians leichtes Hinken das Misstrauen der bewegungsfanatischen Sprösslinge der besseren Gesellschaft. Mit seinem dunklen Teint, den schwarzen Haaren und den dunkelgrauen Augen passte Adrian besser in diese Umgebung als der brillentragende Blondschopf mit den traurigen Augen.

Allein in der Fremde, das schweißte die beiden Zwölfjährigen zusammen.

Später zog Sebastian Krix sein Philosophie- und Psychologiestudium geradlinig durch, doch der Mangel an didaktischen Fähigkeiten verbaute ihm eine universitäre Laufbahn.

Adrian von Zollern lebte als Diplomatensohn auch in Tokio, Moskau, Washington und Rom und beherrschte drei Fremdsprachen. Er studierte angewandte Mathematik, wobei seine Dissertation ihn mit Themen der Kriminalstochastik in Berührung brachte.

Bis heute trugen ihre von Ironie geprägten Unterhaltungen den Freunden die erstaunten Blicke der Zuhörer ein. Besonders Sebastians Eigenart, selten im richtigen Moment zu lachen, stieß dabei auf Unverständnis. Ein guter Witz? Stille. Gelungene Redewendung? Dasselbe. Umwerfende Situationskomik? Keine Reaktion. Oft drehte Sebastian sich einfach um und ließ sein Gegenüber stehen. Stattdessen gluckste er auffällig, meist, wenn nicht der geringste Anlass zur Heiterkeit bestand. Oder wenn er glaubte, ihm sei ein Wortspiel oder sogar ein Scherz gelungen. Was praktisch nie der Fall war.

Bei diesen Gedanken musste Adrian lächeln. Nicht einmal er konnte sich an die Marotten seines Freundes gewöhnen, und so verwunderte es nicht, dass der alte Krix Sebastians resolute Schwester Violetta zur Nachfolge an der Konzernspitze bestimmt hatte.

„Guten Morgen, Herr Dr. von Zollern“, sagte Karl-Werner Ponisega in seiner ruhigen und klaren Art.

Adrian von Zollern erhob sich und begrüßte seinen ehemaligen Professor. Ponisega setzte sich, nickte kurz, und sie begannen sofort mit der Durchsicht von Adrians Papieren.

Im Rahmen seiner Dissertation an Ponisegas Lehrstuhl hatte Adrian von Zollern den Kriminologen kennengelernt. Seit Ponisega den, wie er es nannte, blutleeren Elfenbeinturm Universität verlassen hatte, um die Position eines Hauptabteilungsleiters beim BND anzutreten, kreuzten sich ihre Wege. Sein alter Mentor beauftragte ihn mit Fragen zu mathematischen Lösungen geheimdienstlicher Probleme. Diesmal entwarf Adrian von Zollern Modelle zur Beschreibung der Bewegungsmuster bestimmter Terrorzellen.

Offenbar gefiel dem Ex-Professor der Ansatz, denn er schlug mehrmals mit dem Handrücken gegen Adrian von Zollerns rechten Oberschenkel. Die einzige Auffälligkeit Ponisegas und höchstes Lob zugleich.

„Ausgezeichnet! Bitte arbeiten Sie noch das A9-Memorandum ein.“

Adrian von Zollern nickte und steckte das Dokument zu den anderen Unterlagen.

Am Ende schlug Karl-Werner Ponisega wieder ein altes Kapitel auf. „Ich weiß, dass Sie nicht arbeiten müssen …“, er räusperte sich, „… allerdings sehe ich, wie zufrieden unsere Zusammenarbeit Sie macht und wie sehr das Dozentendasein Sie langweilt.“ Den Protestversuch wischte Ponisega mit einer Armbewegung weg.

„Unsere Zusammenarbeit gibt Ihnen, was Ihnen dort fehlt: Praxisbezug und eine echte Herausforderung!“ Ponisega schaute Adrian von Zollern durchdringend an. „Kommen Sie zu mir!“

Der Jüngere hielt dem Blick stand. Zu oft hatten sie solche Gespräche schon geführt.

In diesem Augenblick erhob Ponisega sich, und sein gestreckter Zeigefinger zeigte auf Adrian von Zollern. „Mir ist es damals genauso ergangen, aber ich habe die Konsequenzen gezogen und die Universität verlassen!“

Obwohl Adrian Respekt und Sympathie für den Hauptabteilungsleiter empfand, hatte er dessen Werben stets widerstanden. „Ihr Angebot ehrt mich. Aber als Dozent genieße ich den Kontakt zum akademischen Nachwuchs und bin selbst Teil der Wissenschaft. Außerdem bietet diese Tätigkeit mir den Freiraum, den ich brauche.“ Er überging Ponisegas resigniertes Nicken. „Ein Wechsel zum BND kommt für mich nach wie vor nicht in Betracht, aber …“

Nun hob der Hauptabteilungsleiter erwartungsvoll den Kopf.

„… wenn wir einen Weg finden, wie ich an interessanten Fällen mitarbeiten könnte, ohne komplett umzusteigen …“

Ponisegas Glatze funkelte in der Sonne, die etwas Licht in das unergründliche Mienenspiel des Hauptabteilungsleiters zu zaubern schien. „Heißt das, Sie sind bereit zu einer aktiven Mitarbeit, die über die Modellierung statistischer Theoreme hinausgeht?“

Adrian von Zollern nickte.

„Was genau stellen Sie sich dabei vor?“, wollte Ponisega wissen.

„Sie erinnern sich an den vereitelten Anschlag auf den Bahnhof in Köln? Damals habe ich gerade an der Datenanalyse im Umfeld von ostdeutschen Zellen gearbeitet …“

Ponisega nickte.

„… und damit maßgeblich zur Verhinderung eines Attentats beigetragen. Was ich in dieser Zeit gelernt und erlebt habe, war eine Bereicherung. Genau wie die Zusammenarbeit mit den Kollegen des Geheimdienstes. Mit Ihren Aktenregalen voller

Vorschriften und Handlungsanweisungen, dem ganzen Beamtenquatsch, will ich allerdings nichts zu tun haben!“

„Sie wissen, dass ich Externe nicht zu amtlichen Handlungen autorisieren darf?“

„Ich habe Sie immer als einfallsreichen Geheimdienstmanager eingeschätzt, nicht als konservativen Bürokraten.“

Der Hauptabteilungsleiter überlegte und sagte schließlich: „Verstehe! Ich denke über Gestaltungsmöglichkeiten nach und melde mich bei Ihnen.“

Zwei Tage später betraten Sebastian Krix und Adrian von Zollern nach dem Rotwein im Cuvé das Foyer der Deutschen Oper und beobachteten das hereinströmende Publikum. Sebastian gluckste. Adrian verkniff es sich, nach dem Grund zu fragen. Nichts würde ihm heute seine gute Laune und die Spannung auf die Vorstellung verderben.

„Da gibt es Parallelen zwischen der Oper und dir“, sagte Sebastian plötzlich und gluckste wieder.

„Ich hoffe, du vergleichst mein Verhältnis zu den Frauen nicht mit Don Giovanni? Unterstellst du mir etwa solche Dinge, wie der Lüstling sie mit Donna Anna, Donna Elvira oder Zerlina gemacht hat?“

Sebastians Grinsen erstarb.

„Der Kerl hat die Frauen erniedrigt … Habe ich das jemals getan?“

„Meine Güte. Ist ja schon gut, sorry. So habe ich das natürlich nicht gemeint.“

Adrian lächelte. „Okay! Sag mal, wo bleibt eigentlich unser Kartensponsor?“

„Wallenschweder konnte keine Plätze nebeneinander organisieren. Er sitzt da vorn, wir treffen ihn in der Pause.“

Die Freunde mochten die konservative Inszenierung. Viel zu oft hatten sie Ritter in Businessanzügen, Mörder in Kernkraftwerken oder Drachentöter in Trainingshosen ertragen.

Zum Höhepunkt der Oper, gegen Ende des zweiten Aktes, hatte die Grabfigur des Komturs ihren schauerlichen Auftritt. Dabei zog der Regisseur alle Register. Don Giovanni schrie grässlich, als der Tod ihn schließlich holte. Im selben Augenblick zuckten die Freunde erschrocken zusammen. In ihrer Nähe zerriss ein weiterer Schrei die Stille im Publikum, noch durchdringender und schauerlicher als der erste.

„Was war das denn?“, flüsterte Adrian.

Sebastian antwortete nicht.

Eine Frau kreischte. Nun sahen sie den zusammengesackten Mann zwei Reihen weiter. Seine Begleiterin blickte Hilfe suchend um sich, während der Mann sich auf seinem Stuhl in unnatürlichen Zuckungen wand. Etwas Silbernes glänzte an seinem Hals, und ein roter Fleck breitete sich auf dem Hemdkragen aus. Sebastian starrte auf die Stelle: „Blut …“

Jetzt beugte sich die Frau über ihren Begleiter und hielt seinen Kopf. Das Zucken des Mannes und die Musik im Orchestergraben hörten gleichzeitig auf. Sebastian sah die fragenden Blicke der Menschen, viele standen auf, drehten sich ratlos um oder redeten mit den Sitznachbarn. Die meisten Zuschauer konnten nicht erkennen, was im Parkett passiert war. Einige setzten sich wieder und warteten, andere strebten zu den Ausgängen.

Beim Anblick des Blutes schaute Adrian zu seinem Freund. Wenige Meter entfernt starrte die Frau ihn mit aufgerissenen Augen an. Die Leere ihres Blickes füllte sich mit Angst und maßloser Panik.

Adrian suchte den Blick von Wallenschweder, doch der betrachtete regungslos das unwirkliche Szenario. Mittlerweile strömten große Teile des verwirrten Publikums zu den Ausgängen, als Adrian die Situation zusammenfasste: „Der Mann wurde ermordet!“

New York, vor einiger Zeit

Im Souterrain der Kanega Bank in Manhattan befand sich der Lebensmittelpunkt von Yasuhiro Atakamo. Die grauen Räume im düsteren Zwielicht hatte er bei seiner Entsendung vor sechs Jahren ausgewählt, weil sie zu ihm passten. Yasuhiro Atakamo lebte ruhig und unauffällig.

Die eigentliche Ursache für seine Zurückgezogenheit lag in seiner Vergangenheit. Atakamo hatte Dinge getan, die sein Arbeitgeber nicht wusste und die der auch nie erfahren durfte. Wären der Zentrale in Tokio Details aus jener Zeit bekannt geworden, dann hätte man ihn dorthin zurückgeschickt, wo er herkam: in die Gosse.

Er wohnte in einem winzigen Appartement in der Nähe der Bank. Eigentlich war das ein überflüssiger Luxus, denn Yasuhiro Atakamo arbeitete mindestens 15 Stunden, meist zwischen sechs Uhr abends und neun Uhr morgens. Er war ein Nachtmensch und ließ tagsüber seine Mitarbeiter die Routineaufgaben erledigen, während er sich nachts den strategischen Fragen des IT-Bereichs widmete. Und den Dingen, von denen niemand wissen durfte.

Als die Entscheidung der japanischen Geschäftsführung für eine Niederlassung in New York getroffen worden war, mietete man drei Etagen und die Kellerräume eines 20-stöckigen Gebäudes im Finance District von Manhattan. Bald folgten die Mitarbeiter. Die

Inhaber von Schlüsselpositionen mussten Erfahrung im Mutterhaus vorweisen und das Vertrauen der vier Geschäftsführer genießen. Diese Voraussetzungen erfüllte Atakamo, und seine Bewerbung auf die Position des IT-Leiters und IT-Sicherheitschefs der neuen Niederlassung hatte Erfolg.

Yasuhiro Atakamo nahm nach der Übersiedlung das Gebäude gründlich unter die Lupe und bezog schließlich Quartier im Keller mit seinen beiden Mitarbeitern: Hugh Cromer für den IT-Support und Mike Porter in der IT- und Netzwerktechnik. Einhundert Mitarbeiter repräsentierten seitdem das Kanega-Geschäft in den Vereinigten Staaten.

Von seinen vierzig Lebensjahren war Yasuhiro Atakamo neun Jahre Bankangestellter gewesen. Vor Beginn seines offiziellen Lebenslaufs hatte er einen anderen Weg beschritten. Im Alter von zehn Jahren lief er von zu Hause weg und schlug sich in Tokio durch. Da er keine Ausbildung hatte, musste er sich mit Fälschungen behelfen. Fälschungen von Schulzeugnissen, des Universitätsdiploms, Arbeitszeugnissen, Sozialversicherungsnachweisen und sogar des Führerscheins. Seine Computerkenntnisse waren ihm damals bei der Erstellung eines arbeitgeberkompatiblen Avatars von großem Nutzen gewesen.

Während des dreitägigen Einstellungstestmarathons bei der Kanega Bank hatte er die Prüfer mit überlegenem Können auf dem Gebiet „Netzwerk und IT-Sicherheit“ in Verlegenheit gebracht. Wegen dieser Leistungen verzichtete man auf weiteres Herumschnüffeln in seiner Vergangenheit und stellte ihn sofort ein. Das wirtschaftliche Überleben Atakamos in den zwanzig Jahren davor hatte allerdings auf wackligen Beinen gestanden. Seine ungeteilte Leidenschaft galt Computern, Software, Hardware und deren Vernetzung. Mit einem angeborenen Verständnis für diese Materie lernte er schnell, auch wenn er das notwendige Material stehlen musste.

Sein Eintauchen in alles Digitale brachte Kontakte zum Abschaum der Unterwelt mit sich. So lernte er mit sechzehn Jahren Alexeij Kosporska kennen, der ein führender Kopf im russisch-japanischen Glücksspielgeschäft war und später, im Online-Zeitalter, ein Vermögen mit Internetkriminalität verdiente.

Yasuhiro Atakamo saß damals in einem Burger-Restaurant und programmierte etwas, als Kosporska eintrat. Der kleine Kerl faszinierte den Kriminellen sofort, weil er so unfassbar locker, wie nebenbei, die kompliziertesten Algorithmen entwickelte.

Für Kosporska wurde Yasuhiro Atakamo ein guter Computerlehrmeister. Doch während der Russe mit seinen illegalen Aktivitäten reich wurde, wurde der Japaner vom Pech verfolgt. Ein Flirt mit dem Glücksspiel endete in einem Schuldenchaos. Kurz vor seiner Einstellung bei der Kanega Bank saß ihm die japanische Glücksspielmafia mit Forderungen von fast fünfhunderttausend US-Dollar im Nacken.

„Du bist ja so still, Yasuhiro“, stellte Braulio Ostrogón fest. Das in hispanischer Manier gerollte R verriet seinen Ursprung.

„Ich denke über vieles nach“, antwortete Yasuhiro und bemühte sich, höflich zu klingen. Er hasste Braulio Ostrogón.

„Worüber denkst du nach?“ Braulio klang sanft, als er sein Gegenüber mit seinen schwarzen Augen fixierte.

Im schwachen Widerschein einer Lampe erkannte man strenge Züge, die keinen Platz für Mitleid ließen. Ein böser Charakter mit schlechten Absichten, der im Verborgenen bleiben wollte.

Es war Schicksal, dass Braulio an dem Japaner klebte. Schicksal, dass Braulio ihm in erpresserischer Weise immer wieder Dinge

gegen seinen Willen abtrotzen konnte. Schicksal, dass Braulio über eine Untergrundgruppe mit Kosporska in Kontakt gekommen war. Schicksal, dass Kosporska und Ostrogón, lange bevor er selbst ins Spiel kam, Freunde geworden waren und gelegentlich zusammenarbeiteten. Und Dummheit, dass er Braulio Vertrauen entgegengebracht hatte, das der natürlich missbrauchte. Jener Braulio war allerdings der Einzige, der ihm fünfhunderttausend Dollar gab. Jenes Geld, das ihn schließlich vor der sicheren Ermordung durch Glücksspielhäscher bewahrt hatte.

Aus Braulio Ostrogóns Sicht war dieses Geld hervorragend angelegt. Seine düsteren Aktivitäten erforderten Unmengen gefälschte Pässe und sonstige Dokumente, ein Gebiet, auf dem Yasuhiro Atakamo erstklassige Arbeit leistete.

„Yasuhiro“, hatte Braulio damals versprochen, „du leistest gute Arbeit! Ich gebe dir das Geld, dann bist du frei! Es gehört dir, wenn du mir bei meiner Aufgabe hilfst.“

„Bei was für einer Aufgabe?“

„Unsere Ziele spielen keine Rolle. Du machst Pässe und andere Sachen für uns. Alles, was wir brauchen!“

„Wir?“

Mit glühendem Blick hatte Braulio geantwortet: „Das geht dich nichts an! Befolge meine Befehle, dann bist du frei. Wir sind es noch nicht.“

Gerade war Braulio nach mehrtägiger Abwesenheit zurückgekehrt

und sofort im Serverraum verschwunden, um vom abhörsicheren Telefon aus Gespräche zu führen. Gegen Mitternacht kam er wieder heraus.

Yasuhiro Atakamo musste daran denken, wie der Spanier ihn vor einem Jahr gezwungen hatte, ihm unter dem Deckmantel eines Bankberaters Asyl in seinen Büroräumen zu gewähren. Damals hatte Braulio ihn finster angeblickt und gesagt: „Unsere Freiheit ist in Gefahr. Damit wir unser Ziel erreichen, musst du helfen!“

„Brauchst du etwa Geld?“ Yasuhiro Atakamo wirkte besorgt.

„Nein, wir besitzen genügend Geld und Güter.“

Atakamo war erleichtert. „Was ist es dann?“

„Ich will meine Angelegenheiten von New York aus regeln. Aber wir können nur erfolgreich sein, wenn ich eine geheime Basis habe.“

Yasuhiros Fragezeichen füllten den Raum, deshalb erklärte Braulio: „Gib mir einen Beratervertrag. Du richtest eine sichere IT-Plattform und Kommunikationsmöglichkeiten für mich ein. Mehr nicht.“

„Mehr nicht?“, hatte Yasuhiro ironisch geantwortet. „Du willst von meinem Büro aus arbeiten und die Kommunikationssysteme der Bank benutzen?“

„Ja!“

„Ausgeschlossen! Meine Mitarbeiter würden Fragen stellen.“

„Das ist deine Sache. Du hast keine Wahl! Erkläre deinen Bossen in Japan, dass du einen Berater brauchst. Ich werde von diesem Keller aus unsere Operationen steuern. Ich komme nur nachts, genau wie du.“

„Operationen? Willst du kriminelle Geschäfte abwickeln? Man wird das irgendwann entdecken und dann bin ich dran!“, sagte Yasuhiro angstvoll.

„Nimm es als Motivation! Bau mir eine sichere Kommunikations- und Computerumgebung. Dann kann dir nichts passieren.“

„Nichts passieren“, krächzte im Hintergrund Mummtaz, der sprachbegabte Graupapagei, aus seinem Käfig. Das einzige Wesen in Yasuhiros Leben, dem er Vertrauen und Liebe entgegenbrachte. Yasuhiro Atakamo handelte nach Braulios Anweisung und überredete die Zentrale in Tokio zur Unterschrift des Vertrags. Seitdem verbrachte Braulio jede Nacht in Yasuhiros Büro, wenn er in New York war. Mummtaz, der den Fremden anfangs durch Flügelschlagen und Schnabelwetzen verscheuchen wollte, schien mittlerweile Frieden geschlossen zu haben.

Als Braulio in dieser Nacht seine Telefonate beendet hatte und sich wieder zu Yasuhiro gesellte, bemerkte der Japaner eine Veränderung in Braulios Gesicht. Er wirkte entspannter und zufriedener als sonst.

Yasuhiro ergriff die Gelegenheit. „Braulio, du bist nun schon seit einem Jahr hier. Und ich weiß immer noch nichts über deine Arbeit. Wieso erzählst du mir nichts?“

„Das hole ich nach!“, antwortete der Spanier überraschend. „Du hast ein Recht, Fragen zu stellen“, fuhr er fort. „Es gibt viele Gründe für meine Schweigsamkeit. Nur wenige sind eingeweiht. Aber viele Menschen sind gestorben, und noch mehr werden folgen!“

Yasuhiro Atakamo schluckte.

„Ich habe viele Länder bereist. Wir haben uns getroffen, um das Große zu besprechen. Es wird funktionieren. Wir können es … Wir können es!“, brach es aus Braulio Ostrogón heraus, und es klang wie eine Beschwörung. Sein Gesicht hatte einen Ausdruck angenommen, der zu den rätselhaften Worten passte. Dabei starrte er ruhelos in den Raum.

„Was könnt ihr? Wer seid ihr, und was wollt ihr?“

„Das ist eine lange Geschichte, Yasuhiro.“

Über diesen Schritt hatte Braulio Ostrogón lange nachgedacht und schwierige Positionen gegeneinander abgewogen. Bisher gab es keinen Fremden, der in das Geheimnis der Gruppe eingeweiht worden war. Er war sich der Gefahr bewusst, dass Yasuhiro Atakamo die Geheimnisse ausplaudern könnte. Aber Braulio hatte ihn beobachtet und festgestellt, dass das Leben des Japaners in vollkommener Abgeschiedenheit die Wahrscheinlichkeit eines Verrats verringerte. Auf der anderen Seite musste er Yasuhiro Informationen für die Aufgabe geben, zu der er ihn im Rahmen der Erlösung zwingen wollte.

„Du sprichst in Rätseln. Was ist das für eine Geschichte?“

„Unsere Geschichte ist alt …“ Braulio sog geräuschvoll Luft ein.

„Und du wirst sie fürchten, denn sie ist unheimlich.“ Braulios Blick durchbohrte Yasuhiro, während er mit festem Griff die Handgelenke des Japaners packte. „Und wer sie verrät, der stirbt.“

Aragon und Kastilien, zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts

Zu der Zeit als sich die herrschenden Kräfte des entstehenden Spanien in den christlichen Königreichen Kastilien und Aragon vereinten, steckte im Süden der Iberischen Halbinsel immer noch ein Stachel.

Man wollte die Araber loswerden. Seit ihrem Einfall im Jahr 711 herrschten sie, von Gibraltar ausgehend, fast achthundert Jahre auf der Halbinsel. Al Andalus brachte Religion, Glaube, Kirche, Landwirtschaft, Handel, Produktion und Technik gründlich durcheinander. Der überwiegend konservative Teil der Iberer lehnte Veränderungen prinzipiell ab, andere arrangierten sich im Lauf der Zeit mit dem Feind. Den Glücklichen unter ihnen gelang das, ohne dass sie die eigenen Wurzeln verleugneten.

Vor seinem Ende verharrte Al Andalus, eingeschmolzen unter der afrikanischen Hitze des iberischen Südens, im schmalen Landstrich Granadas. Die Reste seiner verhassten Anwesenheit manifestierten sich im Rückzug auf die letzte maurische Trutzburg, der schönen, mächtigen und erhabenen Alhambra.

Einer jener Glücklichen, der iberische Tradition virtuos mit arabischen Errungenschaften zu verbinden wusste, war Ignacio aus Villanuovo. Der lernte Al Andalus in Gestalt von Sedat bin Tarkan, einem außergewöhnlichen arabischen Kaufmann, kennen. Schnell erkannten beide, dass eine Zusammenarbeit ihre bestehenden Geschäfte beflügeln würde, und bald handelte der eine mit den Waren des anderen, und sie mehrten ihren Wohlstand.

Ursprünglich stammte Ignacio aus Toledo, wo er im Jahre 1422 als dritter Sohn einer armen Bauernfamilie geboren wurde. Die Mutter starb bei seiner Geburt, der Vater ertränkte seinen Kummer in Alkohol. Es war der Beginn einer unaufhaltsamen Selbstzerstörung. Ignacio hingegen gewann trotz fehlender Erziehung an Stärke, und seine frühe Reife überraschte die Dorfbewohner. Die Enttäuschungen des Lebens, Kummer und Alkohol brachten den Vater ins Grab, als Ignacio gerade fünfzehn Jahre alt war.

In dieser schwierigen Zeit schärften sich Geist und Blick des Jungen, und bald erkannte er, dass Wissen entscheidend war für den Erfolg im Leben. Also lernte der jugendliche Ignacio alles über Anbau, Zucht, Pflege von Pflanzen und begann alsbald, eigene Ideen und Vorstellungen zu entwickeln und, so seine Herren ihn ließen, in die Tat umzusetzen.

Das war die Grundlage für Ignacios Erfolg.

Schnell gewann er durch kluges Handeln und harte Arbeit die Gunst seiner Herren und weckte zugleich Begehrlichkeiten bei anderen Fürsten, die von den Fähigkeiten des jungen Mannes hörten und auf zukunftsweisende Ideen setzten. Es hieß, man kenne seinen Namen in Kastilien und Aragon bis hinauf nach Navarra.

Der junge Ignacio diente in wenigen Jahren mehreren Herren. Man bezahlte ihn gut für seine Arbeit und für seine Ideen, deren nutzbringende Umsetzung einigen Generation des Landadels langfristigen Wohlstand sicherte. Ignacio war so klug, seine Dienste nur dort anzubieten, wo er seine Wissenslücken schließen konnte. Er stellte eigene Bedürfnisse zurück und verwendete das verdiente Geld in einer Art und Weise, die zu jener Zeit und besonders für seinen Stand ungewöhnlich war: Ignacio investierte!

Das nahm seinen Anfang im Gespräch mit einem Grundbesitzer, der vor dem Ruin stand.

„Miguel, ich verstehe den Grund für Eure Sorgen“, sagte Ignacio zu dem Mann, der seit Jahren mit Missernten zu kämpfen hatte, die so schlimm wurden, dass er Rücklagen einsetzen musste, um den Hof und die Familie durchzubringen.

„Ignacio, dein Ruf eilt dir voraus. Hier aber überschätzt du dein Können“, antwortete der Alte grimmig.

„Ihr wisst um meine Demut vor der Natur und ebenso, dass ich nicht zu Großmut neige“, versuchte Ignacio den Alten zu beschwichtigen.

„Hmm“, brummte der Mann, „erzähl von deinen Ideen.“

Ignacio wusste einen wichtigen Vorteil auf seiner Seite.

Seit langer Zeit studierte er alte Schriften über arabische Bewässerungstechnik. Die Mauren hatten moderne Kanalisationssysteme auf iberischem Boden eingeführt. Die wurden seit der Rückeroberung in den befreiten Gebieten zwar weitergenutzt, doch ihre Funktionsweise wurde nicht hinreichend verstanden. Im Lauf der Zeit verfielen die meisten Anlagen, weil fachmännische Instandhaltungsarbeiten nicht durchgeführt wurden. Ignacio hingegen wusste, wie wichtig gute Bewässerungsanlagen für die Ernte waren, und machte sich die Mühe, so viele Schriften und Anlagen zu studieren wie möglich. Dabei überraschten ihn die Eleganz und Klarheit dieser Gewerke, die Wirtschaftlichkeit der Bauten und die Geschicklichkeit, mit der die Mauren die vielfältigen Herausforderungen bewältigten. Sein Wissen darüber mündete in den Vorschlag, den er nun Miguel präsentierte.

„Der Regen geht seit Jahren zurück, Ihr könnt Euch nicht mehr darauf verlassen. Eure Ernten werden immer karger ausfallen. Bis zum heutigen Tag setzt Ihr Ochsenkarren ein, um Wasser aus dem Tajo zu holen, weil der Weg zum Jarama für Eure Wagen zu unwegsam ist“, begann Ignacio.

„Ja“, brummte der Alte missmutig.

„Seht Ihr denn nicht, dass die Wagen einen weiten Weg zurücklegen und zu wenig Wasser bringen, um Eure Felder zu versorgen?“, fragte Ignacio.

„Doch, natürlich sehe ich das. Aber kein Ochse schafft den kürzeren Steilweg zum Jarama! Das wäre ein großer Vorteil, aber es geht nicht.“ Miguel schüttelte ungeduldig den Kopf.

„Wie wäre es, wenn Ihr keinen einzigen Mann bräuchtet, sondern nur eine kluge Idee und etwas Geld?“, fragte Ignacio und blinzelte den Alten herausfordernd an.

„Und wie sollte das gehen?“, entgegnete Miguel. Neugierig hob er den Blick.

Ignacio zeichnete die Grundstruktur eines einfachen Kanalsystems, ließ jedoch wichtige Angaben weg. Mehrmals schon hatten Dritte seine Lösungen gestohlen, als er in naiver Unwissenheit über Gier und Missgunst großzügig Skizzen und Details preisgab, ohne zuvor seine Leistungen durch Kontrakte abgesichert zu haben.

Miguels Miene hellte sich auf, doch der gerissene Landherr versuchte, das zu verbergen. Er verstand wenig von Geometrie, von Gefälle und von Hebelkraft, stattdessen verfügte er über Instinkt und Schläue. „Du bist mir ja ein ganz Gescheiter! Wenn ich dir deine Idee bezahle, verschwindest du und lässt mich mit den Problemen allein. Was, wenn deine Zeichnungen falsch und nutzlos sind? Wer zahlt mir dann den Schaden? Der Herr im Himmel?“

Jetzt hatte Ignacio ihn da, wo er ihn haben wollte. „Nun, Herr Miguel, da weiß ich Rat. Lasst uns etwas Neues wagen!“

„Wie meinst du das?“

„Ich gebe Euch etwas von meinem Geld zum Bau der Anlage dazu, und Ihr versprecht mir einen bestimmten Teil Eurer jährlichen Ernte. Die Idee bekommt Ihr umsonst!“, erklärte Ignacio und schaute dabei möglichst gleichgültig.

Der Großgrundbesitzer witterte Betrug und versuchte, mittels seines scharfen Blicks dahinterzukommen. Also fixierte er Ignacio mit einem Gesichtsausdruck, in den er jenen Hochmut und jene Ablehnung packte, die bei Verhandlungen so oft die gewünschte Wirkung zeigten. Doch Ignacio hielt dem Blick stand, ohne Anzeichen von Zweifel.

„Also gut, ich hoffe, du wirst deinem Ruf gerecht. Nun lass uns alles besprechen.“

Details der anschließenden Diskussion zwischen den beiden wurden nie bekannt, aber es steht fest, dass dieser Kontrakt den Grundstein für Ignacios Aufstieg zu einem vermögenden Mann legte. Zu jener Zeit schafften es nur wenige seines Standes, durch Klugheit und Wissen reich zu werden.

Im Jahre 1460, Ignacio stand im achtunddreißigsten Lebensjahr, blickte er zurück. Was mit einem Bewässerungskanal angefangen hatte, der jedes Jahr reichen Gewinn abwarf und mittlerweile von Miguels Sohn bewirtschaftet wurde, hatte weitere Geschäfte nach demselben Prinzip nach sich gezogen. Er löste Probleme, die seine Partner nicht allein lösen konnten, und brachte allen Beteiligten Gewinn. Dabei behielten die Kontrakte ihren Vorteil langfristig, und zeigten hohe Ertragskraft.

Vor zwei Monaten hatte Elodia Ignacio den ersehnten Sohn geboren, und sie nannten ihn Yago. Yago erwies sich als kräftiges Kind, das ihnen viel Freude bereitete. Elodia war eine von drei Töchtern des Züchters von Merinoschafen, der Ignacio vor Jahren um Hilfe gebeten und einen erfolgreichen Kontrakt mit diesem geschlossen hatte.

Ignacio wiegte den Kleinen zärtlich im Arm und sah wohlwollend, dass Yago ihn anlächelte und mit seinen Händchen nach dem starken Arm des Vaters zu greifen versuchte.

Er dachte über sein bisheriges Leben nach, und ihm fielen die zahlreichen Investitionen ein, die alle auf dieselbe Art entstanden waren: Jemand kämpfte mit einem Problem, Ignacio fand die Lösung und gab auf eigenes Risiko Geld, um daraus Ertrag zu erzielen.

Plötzlich traf ihn eine Erkenntnis. Wieso hatte er das nicht früher gesehen?

Ignacio erstellte eine Liste seiner erfolgreichsten Projekte.

Bewässerungsanlagen in der Landwirtschaft, Wolle vom Merinoschaf, Produktion von Keramik, Produktion von Damaszenerstahl, Produktion von Glas, Anbau von Baumwolle und Feigen. Und es gab etwas, das die unterschiedlichen Tätigkeiten miteinander verband, etwas, das, wie ein Konzentrat aus Ignacios Handeln, die zuverlässige Vorhersage von Erfolg ermöglichte. Nach einigem Überlegen verstand er, dass eine Gemeinsamkeit die vielen Kontrakte umspannte, das Geheimnis seines Erfolges: die Mauren mit ihrem Ideenreichtum, mit ihrer Tatkraft und ihrer Leistung auf zivilisatorischem Gebiet!

Zwar hatte das christliche Spanien die islamische Macht bis auf die kleine Enklave in Granada vernichtet, doch deren Wissen nutzten sie nicht. Ignacio verbrachte Tage über dem Gedanken, was diese Erkenntnis bedeutete und wie er sie später dem Kleinen in seinen Armen weitergeben könnte, der, unschuldig und wohlbehütet, noch nichts wusste von den dunklen Wolken am Horizont, die seinen Vater in die Hölle bringen würden.

Ignacio beschloss, mit den Arabern zusammenzuarbeiten. Fortan reiste er oft in den Süden und suchte die Nähe zu bedeutenden arabischen Männern. Nach einiger Zeit akzeptierte man ihn, später fasste man Vertrauen.

Die Gewährung des unbeschränkten Zugangs zum Hafen von Almeria trug maßgeblich zur Ausdehnung seiner Handelsgeschäfte bei.

Spiegel des Meeres, die arabische Bedeutung von Almeria, stand für eine hoffnungsvolle Prophezeiung: In wenigen Jahren verdoppelte Ignacio seine Handelsumsätze und spiegelte sein Lebenswerk über der Achse des Mittelmeeres nach Algerien, Tunesien, Marokko und Ägypten, bis ins Königreich Neapel, nach Korsika, Sardinien, Florenz und sogar Griechenland. Später folgte die weitere Eroberung des Ostens bis ins Osmanische Reich hinein. Ignacio zog dabei Nutzen aus der Handelsflotte seiner neuen Freunde, denen im Gegenzug Frachteinnahmen willkommen waren. Darüber hinaus brachte er arabische Waren ins eigene Land und verbreitete arabisches Handwerk aus Granada über die neuen Handelswege.

Es war eine prächtige und blühende Zeit. Der heranwachsende Yago sah und lernte Dinge, die den meisten Gleichaltrigen und Freunden verborgen blieben. Sein Vater brachte ihm in diesen frühen Jahren wesentliche Fertigkeiten der Araber bei. Daneben machte er körperliche Ertüchtigung sowie den Umgang mit unterschiedlichen Waffen und verschiedenen Kampftechniken zum Schwerpunkt der Ausbildung seines Sohnes.

„Köstlich. Was ist das?“, fragte Agustin den fünfzehnjährigen Yago.

„Das sind Feigen aus der Nähe von Tunis“, antwortete Yago.

„Wo ist Tunis?“

„Tunis ist ganz, ganz weit weg am Ende des Meeres. Vater und ich waren mit dem großen Schiff dort“, sagte Yago voller Freude.

„Kann ich einmal mitkommen auf deine Reisen?“, wollte Agustin wissen.

„Nein, du musst deinem Vater helfen. Die Arbeit in unserer Fabrik macht sich nicht von selbst! Außerdem brechen Vater und ich schon morgen auf, diesmal nach Madrid“, belehrte Yago seinen Freund.

Jorge, Agustins Vater, einer von achtzig Arbeitern in Ignacios Keramikmanufaktur, ermahnte diesen oft: „Agustin, überleg dir gut, wer wirklich ein Freund ist! Meide diejenigen, deren Brot wir essen! Und meide die Freunde des Islam!“

„Was sind Freunde des Islam?“, fragte der Junge.

„Jene, die Handel mit Ihnen treiben und Qahwa trinken“, brummte sein Vater zornig.

„Aber Kaffee schmeckt mir gut, Yago hat mir welchen gegeben“, beharrte Agustin.

Daraufhin ohrfeigte der Vater ihn heftig: „Qahwa ist so widerlich wie die Araber selbst und wie alle, die sie schützen!“

Das verstand der kleine Agustin nicht, doch die Worte brannten in seinem Herzen.

Als Ignacio und Yago Madrid erreichten, plagte den Vater das schlechte Gewissen. Einerseits florierten seine Geschäfte und machten ihn mithilfe der Araber zu einem reichen Mann. Und jetzt traf er sich mit deren ärgsten Feinden, den Juden! Seine maurischen Freunde durften das niemals erfahren. Deshalb wusste nur Yago davon.

Dieses Treffen stand am Ende eines langen Weges, in dessen Verlauf ein Herrscherpaar verbunden und ein Land geeint worden war. Als Lohn für seinen Beitrag würde nun Ignacios größter Wunsch erfüllt.

„Möchtest du wissen, warum wir in Madrid sind?“

Yago schaute den Vater mit großen Augen an. „Ja.“

„Vor einigen Jahren habe ich den Mann schon einmal getroffen. Er ist Jude und einer der mächtigsten Männer des Landes. Königin Isabella von Kastilien und auch König Ferdinand von Aragon schätzen seine Dienste als Berater und Finanzier.“

Yago empfand Stolz darüber, dass sein Vater ihm etwas so Wichtiges anvertraute.

„Er kennt die Königshäuser der Welt und die großen Fürsten. Und viele Geheimnisse der Mächtigen.“ Ignacio beugte sich zu seinem Sohn hinab und machte eine bedeutungsvolle Geste. „Er knüpft ein Band zwischen Ländern, Thronen und Fürsten …“

Der Sohn hörte ihm unsicher zu.

„Abraham Senior ist zehn Jahre älter als ich und wurde in Segovia geboren. Ich kenne ihn seit sieben Jahren. Wir haben gemeinsam wichtige Dinge getan. Du kennst doch die Fabrik, in der wir den feinen arabischen Stahl herstellen?“

„Ja.“

„Abraham Senior ist mein Partner, wir haben dieses Geschäft gemeinsam aufgebaut. Wegen des Erfolgs hat Abraham Senior mich auch in andere Dinge einbezogen.“

„Ihr sprecht in Rätseln, Vater.“

„Ich erkläre es dir. Vor sechs Jahren, im Jahre 1469, haben Isabella, die vor einem Jahr den Thron von Kastilien bestieg, und Ferdinand von Aragon sich vermählt. Das war keine Liebesheirat, sondern das Ergebnis schwieriger Verhandlungen von wenigen Eingeweihten.“

Ignacio konnte den Gedanken nicht beenden, weil der Junge ihn unterbrach: „Und Ihr beiden gehört zu diesen Eingeweihten?“, fragte Yago.

Ignacio lächelte stolz: „Du begreifst schnell! Die treibende Kraft war Abraham Senior, aber ohne meine Hilfe hätte er es nicht geschafft. Damals habe ich sehr viel Zeit und Geld aufgewendet, damit die beiden die Ehe eingehen können.“

„Wie habt Ihr das gemacht?“, wollte Yago wissen.

„Das, mein Sohn, bleibt ein Geheimnis. Abraham Senior und ich haben einen Schwur geleistet, niemals über Einzelheiten zu sprechen, auch nicht gegenüber dem eigenen Fleisch und Blut.“

„Und warum trefft Ihr Euch gleich mit ihm? Es ist doch vollbracht, oder?“, fragte der neugierige Junge.

„Ja, es ist alles so gekommen, wie wir es geplant haben. Doch Abraham Senior hat mir dafür etwas versprochen. Die Zeit für meinen Lohn ist nun gekommen!“

Yago wurde unruhig, weil die Miene seines Vaters sich veränderte. Ignacio sah besorgt aus, seine dunklen Augen funkelten unstet.

„Welchen Lohn erwartet Ihr?“

„Denk nach … Was fehlt uns?“, befahl der Vater.

„Ich weiß es nicht!“

„Land! Wir besitzen kein eigenes Land.“

Als Ignacio und Abraham Senior am Nachmittag zusammentrafen, fiel Ignacio zuerst das veränderte Äußere des Alten auf. Dieser hatte stark zugenommen, die wenigen Haare waren schneeweiß. Sie begrüßten sich freundlich. Dennoch war Ignacio nervös.

Es wurde ein langer Nachmittag. Dabei erörterten sie wieder die Folgen der Ehestiftung für die Zukunft des Landes. Zum entscheidenden Punkt kam Abraham Senior, ohne dass Ignacio ihn dazu auffordern musste: „Und nun bekommt Ihr, was Euch zusteht.“

Ignacio bezwang seine Gefühle, als er sah, wie Abraham Senior ein dickes Dokument auf den Tisch legte. Es war versiegelt und machte einen offiziellen Eindruck. „Ich, ich möchte …“, begann Ignacio zögernd.

„Ihr müsst nichts sagen. Ich weiß, was dieser Moment für Euch bedeutet.“ Senior machte sich an den Akten zu schaffen. „Der König lässt seinen persönlichen Dank durch mich übermitteln. Hier ist Euer Lohn, Ihr habt ihn verdient!“ Abraham Senior überreichte Ignacio feierlich die Urkunde.

Nun hielt er das Papier in den Händen, das ihn zum Eigentümer einer vierzig Hektar großen Olivenplantage in Villanuovo machte. Sie war vor langer Zeit angelegt worden und nach zahlreichen Wirren an die Krone gefallen.

Ignacio übersiedelte mit seiner Familie zu ihrem neuen Lebensmittelpunkt, der eigenen Olivenplantage in Villanuovo. Mit Dienern, Arbeitern und Freunden baute er ein großes Wohnhaus und studierte die Kunst des Olivenanbaus. Er behielt die vorhandene Sorte Comicabra bei, lichtete den Hain und vergrößerte die Anbaufläche, wenngleich die Pflanzen erst nach sieben Jahren ihre volle Ertragskraft erreichten. Darüber hinaus nutzte er sein Wissen über Bewässerungstechnik und schuf ein Kanalsystem, das seinesgleichen suchte.

Bereits drei Jahre später war Ignacios Farm weit über Kastilien und Aragon hinaus bekannt wegen der Qualität der geernteten Früchte. Den größten Teil gab Ignacio in seine Handelskontore, die lebhaften Zuspruch der Kunden verzeichneten. Außerdem fragten seine arabischen Partner große Mengen nach.

Zuletzt errichtete er eine große Steinkirche in der Nähe des Baumes, wo man nach der Überlieferung der Alten den ersten Setzling der riesigen Plantage gepflanzt hatte. Sein Dank an Gott, der so gut zu ihm gewesen war.

Fünf unbeschwerte Jahre gingen ins wohlbestellte Land. Arbeiter, Bedienstete und Freunde hatten sich an das Landleben unter der Krone Aragons gewöhnt, als eines Tages eine Gruppe von sechs Männern durch das Hoftor geritten kam. Yago, der bald seinen zwanzigsten Geburtstag feiern würde, stand vor dem Haus und schaute die Reiter prüfend an.

Der Wortführer fragte: „Bist du Yago, Sohn des Ignacio von Villanuovo?“

„Wer will das wissen?“, gab Yago patzig zurück.

„Der junge Mann kennt mich nicht, aber sicherlich meinen Namen: Abraham Senior! Und nun bringe mich zu deinem Vater!“

Yago unterdrückte ein Schnauben, ging zum Haus und meldete dem Vater den Besuch. Ignacio war überrascht, bat den Partner herein und ließ dessen Gefolge bewirten. „Welch ein freundliches Geschick bringt Euch so unerwartet zu mir?“

Abraham Seniors Miene wurde ernst, und mit zusammengepressten Lippen sagte er: „Können wir uns ungestört unterhalten?“ Daraufhin führte Ignacio ihn ins Kontor und schloss die Türen.

 „Ihr genießt mein Vertrauen“, begann Abraham sofort, nachdem sie sich gesetzt hatten. „Daher frage ich Euch ohne Umschweife. Die Krone plant die endgültige Vertreibung der Araber aus Spanien. Man weiß, dass es eines längeren Zeitraumes bedarf, um Granada kriegerisch zu säubern. Doch man ist fest entschlossen. Ich habe den Auftrag, besonderen Freunden und Vertrauten der Krone das Begehr zum Aufbringen der nötigen Mittel für den Krieg an Euch heranzutragen.“

Ignacio schluckte.

Abraham Senior bemerkte es und ergänzte sofort: „Ich weiß um Eure Geschäfte mit den Arabern.“

Verblüfft schaute Ignacio seinem Partner in die Augen. Der hatte nie erwähnt, dass er darüber Bescheid wusste. Wahrscheinlich war der Geschäftssinn des Juden stärker als sein Abscheu gegenüber Ignacios verwerflichem Paktieren mit dem Erzfeind.

„Bedenkt nun, Ihr seid von iberischem Blut und Ihr seid Bürger des gerade vereinigten Spanien. Schaut auf Euer wohlbestelltes Land und erinnert Euch daran, dass die Krone stets auf Eurer Seite war … Und jetzt bitten die Hoheiten Euch um Hilfe!“

Die versteckte Drohung entging Ignacio nicht, und seine Stimme zitterte, als er antwortete: „Bei Gott, wie könnte ich meinen Herrschern diesen Wunsch versagen? Ihr habt recht, mich an die Treuepflichten zu gemahnen.“

Umgehend besprachen sie die Einzelheiten der nötigen Finanzierungsgeschäfte, der zu erwartenden Zinsen und anderer Vergünstigungen. Ignacio brachte seine Bedenken wegen der Treulosigkeit gegenüber den arabischen Freunden zur Sprache, doch Abraham Senior wusste genau, wie man Ignacio überzeugte. Nach mehr als drei Stunden eingehender Beratung wurde der Handel geschlossen und die Übereinkunft besiegelt.

„Ich habe noch eine wichtige Bitte an Euch. Zu meinem Schutz darf mein Name in Zusammenhang mit dem Kriegsgeschäft nicht genannt werden.“ Ingacio räusperte sich. „Und zum Fortbestand meiner Handelsketten im arabischen Raum.“

„Ihr habt mein Wort!“, erklärte Abraham Senior feierlich.

Unter dem angelehnten Fenster des Kontors saß Agustins

Vater Jorge und hörte jedes Wort. Er verachtete die Araber, wie alles Fremde, deshalb gefiel ihm die Vorstellung vom Kriegszug. Doch es gab jemanden, den hasste er noch mehr. Jemanden, der ihm sagte, was er zu tun hatte, der über seine Zeit verfügte und ihm den Müßiggang versagte. Jorge hatte es satt, sein Leben in Ignacios Diensten zu fristen.

Nun hatte er den Schlüssel zu seinen Ketten gefunden.

Berlin,Gegenwart

Adrian von Zollern und Sebastian Krix suchten in dem hinausströmenden Publikum den Blickkontakt zu Wallenschweder. Ohne seine technische Grundausrüstung konnte der Gerichtsmediziner nicht viel machen, doch die beiden sahen ihn über die Leiche gebeugt. Dann wandte er sich zur Frau des Opfers und bestätigte mit resigniertem Kopfschütteln den Tod ihres Mannes. Als er sie ein wenig beruhigt hatte, schuf er einen Sicherheitsring um die Leiche, damit die Neugierigen keine Spuren zerstörten.

Ringsum sorgten die Ordner für Ruhe in der Menge und räumten den Saal, Reihe für Reihe.

„Bitte verlassen Gebäude!“

Die beiden Freunde schauten in das gereizte Gesicht einer ausländischen Ordnungskraft.

„Der Herr dort …“, dabei zeigte Adrian auf Wallenschweder, „… ist Gerichtsmediziner. Bis die offiziellen Ermittler eintreffen, bleiben wir und sichern den Tatort!“, ergänzte er.

„Sie nich könne bleibbe da!“

„Doch!“, antwortete nun Sebastian. „Oder wie sind Ihre Instruktionen für einen Mordfall im Opernhaus?“

„Sie sagge Mord?“, stammelte der Mann überrascht.

„Ja, Mord. Hat man Ihnen nicht gesagt, warum der Saal geräumt wird?“

„Nein“, entgegnete der Ordner, „solle schicken alle raus. Wegge Unfall.“

„Gut, dann tun Sie das!“, forderte Wallenschweder, der zu ihnen getreten war, und streckte ihm zur Bekräftigung seinen Dienstausweis hin.

Nun ließ der Mann sie in Ruhe.

Die Frau saß zusammengesunken in ihrem Sessel und wimmerte leise, als die Freunde sich zu ihr setzten. „Was ist passiert?“, fragte Adrian vorsichtig.

„Ich … ich weiß es nicht. Mein Mann und ich haben die Aufführung genossen. Plötzlich …“, sie schluchzte laut, „… sackt er einfach zusammen und …“ Nun wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt.

Wallenschweder zog Adrian zu sich: „Sie befinden sich an einem Tatort! Ich fordere Sie auf, nichts anzufassen!“

Adrian von Zollern nickte.

Mittlerweile breitete sich eine kreisförmige Blutlache auf dem Boden aus, deren groteskes Zentrum der Tote bildete. Ein Dolch ragte aus seinem Hals. Der Kopf lag leicht schräg, die Zunge hing aus dem geöffneten Mund, und das Gesicht war grässlich verzerrt. Beide kannten Leichen nur aus dem Fernsehen, ohne zu ahnen, welch schwer zu ertragendes Synapsenfeuerwerk ein Toter auslöste, besonders wenn er so zugerichtet war.

„Trotz Wallenschweders Verbot will ich mehr herausfinden“, flüsterte Adrian.

„Er wird uns aber nicht so einfach gewähren lassen“, entgegnete Sebastian.

„Okay, wir lassen besondere Vorsicht walten.“ Er betrachtete die Rückseite des Halses und den Dolch. Dessen Länge schätzte er auf siebzehn Zentimeter, wenn man die Tiefe des Halses zum sichtbaren Teil der Waffe addierte. Die Waffe wirkte altmodisch und sah dennoch aus wie neu. Keine Spuren von Oxidation oder Abnutzung.

Sebastian wies mit dem Finger auf den Dolch: „Sieh mal, da oben!“

„Was meinst du?“

„Da oben am Griff!“

Adrian verengte die Augen, doch er sah nichts. Daraufhin nahm Sebastian selbst noch einmal die obere Rundung des Griffs in Augenschein und sagte: „Aha!“

„Du gehst mir auf den Wecker.Was siehst du denn da?“, fragte Adrian verständnislos.

Sebastian deutete auf das Ende der Klinge.

Adrian beugte sich vor. „Hmm“, brummte er, „Ja, die winzige Vertiefung habe ich übersehen. Ich kann aber nicht erkennen, was das ist.“

Sebastian nahm seine Brille ab und betrachtete das Dolchende. Wallenschweder warf ihm einen drohenden Blick zu. „Keine Sorge, ich schaue nur“, sagte Sebastian. „Könnte eine Gravur sein oder so was. Hm, ich erkenne zwei Zeichen. Vielleicht Zahlen … oder Buchstaben?“

Adrian schob ihn zur Seite, um selbst nachzuschauen. Doch er fand nicht mehr als sein Freund.

Ihre Köpfe waren noch über die Leiche gebeugt, als eine durchdringende Stimme krächzte: „Zollern, verschwinden Sie auf der Stelle von meinem Tatort!“

Die Freunde wären um ein Haar zusammengeprallt, als sie sich jäh aufrichteten.

„Von Zollern, so viel Zeit muss sein, Herr Ordna! Wenn Sie schon keine Zeit für ein Herr haben“, entgegnete Adrian.

Der neunundfünfzigjährige Clemens Ordna stammte aus Leipzig und gehörte bereits zu DDR-Zeiten der Kripo an. Obwohl er die Stasiuntersuchungen ohne Schaden überstanden hatte, wusste jeder, dass er mächtig Dreck am Stecken hatte. Bei einem Meter neunundsechzig Körpergröße brachte er es auf einhundertzwölf Kilogramm Gewicht, was, neben den niemals versiegenden Schweißperlen auf seiner Stirn, zu ständigem Schnaufen, schlechter Laune und üblem Körpergeruch führte. Aufgrund seines Gewichts ging er stets vornübergebeugt. Im Lauf der Jahre brachte das eine Verkrümmung des Rückens mit sich, so dass er, in Verbindung mit dem schwarz gefärbten Oberlippenbart, große Ähnlichkeit mit einem prustenden Walross hatte.

Ordna schnaufte wütend, während die blitzenden Schweinsäuglein Adrian von Zollern durchbohrten. „Schmidt, Klaffke, schmeißen Sie Zollern raus!“, blaffte er seine beiden Mitarbeiter an.

„Das sollten Sie lieber nicht tun, Herr Kriminalhauptkommissar“, erwiderte Adrian von Zollern ruhig. Seine dunkelgrauen Augen musterten Ordna streng.

„Schluss mit dem Theater. Raus!“ Ordna war außer sich.

„Ich bin im Auftrag von BND-Hauptabteilungsleiters Ponisega tätig. Ihnen muss ich sicherlich nicht erklären, dass er weisungsbefugt ist!“ Adrian legte eine wirkungsvolle Pause ein.

„Natürlich bleibt das Operative Ihre Sache, aber ich überwache die Arbeit!“, fügte Adrian von Zollern hinzu.

Inzwischen war Hans Schabowski zu ihnen gestoßen. Sebastian zog seinen Freund zur Seite: „Vorsicht, Schabowski ist ein Denunziant, und er ist Ordna hörig. Wo es ihm möglich ist, haut er seine Kollegen in die Pfanne.“

„Woher weißt du das?“

„Von seinem Kollegen Klaffke. Der hat früher für meinen Vater gearbeitet. Wir kamen ins Gespräch, und er hat mir damals verraten, dass er gerne Polizist werden würde. Ich habe meine Kontakte spielen lassen. Dafür gibt er mir gelegentlich Insiderinformationen aus dem Polizeipräsidium, die ich meistens an dich weiterleite“, sagte Sebastian und grinste.

„Du hast mir allerdings nie verraten, von wem du dieses Wissen beziehst“, bemerkte Adrian von Zollern. Solche Informationen hatten sich wiederholt als nützlich erwiesen bei der Arbeit für Hauptabteilungsleiter Ponisega, die gelegentliches Zusammenarbeiten mit Clemens Ordna erforderlich machte.

„Sie überwachen … was …?“ Ordnas Stimme überschlug sich fast, und er schnappte nach Luft.

„Ihre Arbeit am Tatort“, antwortete Adrian seelenruhig.

Es schien so, als wollte Ordna sich auf Adrian von Zollern stürzen. Doch der deutete auf sein Handy und mahnte Stille an. Adrian fühlte sich nicht ganz wohl bei der Sache. Wenn Ponisega ihm jetzt eine Abfuhr erteilte, fehlte die Legitimation.

„Ponisega.“

„Guten Abend, Herr Ponisega.“

„Herr Dr. von Zollern!“, begrüßte ihn der verwunderte BND-Hauptabteilungsleiter, „da sehen wir uns monatelang nicht, und jetzt habe ich in einer Woche gleich zweimal das Vergnügen. Es ist übrigens Samstagnacht, nach 23:00 Uhr“, tönte es aus dem Hörer.

Adrian hatte die Uhrzeit vergessen. „Tut mir leid, es ist dringend.“ Nun berichtete er vom Geschehen in der Oper. Adrian wusste, dass Ponisega mehrmals auf den Polizeipräsidenten eingewirkt hatte, damit der Ordna in eine reine Verwaltungstätigkeit versetzte. Doch selbst Ponisega musste feststellen, dass Ordna von irgendwelchen Seilschaften gedeckt wurde. In seiner klaren Art sagte Ponisega: „Sie haben falsch gehandelt, und Sie haben dort auch keinerlei Befugnisse.“

Adrian von Zollern erklärte Ponisega, wie seltsam ihm der Mord vorkam und dass er in Anbetracht des ungewöhnlichen Tatorts wie

auch der Tatwaffe Zweifel hegte, ob der Bürokrat Ordna mit seinen unmotivierten Mitarbeitern die richtigen Schlüsse ziehen würde.

„Dr. von Zollern, ich mag Sie, und ich schätze Sie. Dennoch warne ich Sie, nie wieder ohne Rücksprache solche Entscheidungen zu treffen! Apropos: Kommen Sie bitte morgen um elf Uhr in mein Büro!“

Adrian von Zollern schluckte.

Ponisega fuhr fort: „In Anlehnung an das Treffen im Esplanade habe ich von Kant einen Entwurf für unsere operative Zusammenarbeit erstellen lassen. Die aktuelle Situation zeigt ja eindrucksvoll, dass es so nicht weitergehen kann. Und jetzt holen Sie KHK Ordna ans Telefon!“

Ein ungutes Gefühl beschlich Adrian, als Ordna den Apparat nahm. Ordna witterte etwas, sein hämisches Grinsen ließ darauf schließen. Sebastian, der die meisten Mitarbeiter Ordnas kannte, beobachtete, wie Schmidt, Klaffke und ein weiterer Beamter den Tatort um die Leiche weiträumig mit Polizeiband sicherten.

Clemens Ordnas Miene verfinsterte sich, während er mit Ponisega telefonierte. Schließlich legte er auf und wandte sich etwas weniger aggressiv an Adrian von Zollern als zuvor. „Okay, von Zollern, Sie fassen nichts an am Tatort. Und ich höre mir Ihr Gequatsche an.“

Adrian von Zollern atmete tief durch.

„Also, was ist hier passiert?“, wollte Clemens Ordna wissen. Wallenschweder gab daraufhin einen knappen Bericht über Todesursache und erste Eindrücke von dem Toten. Bis auf das Ensemble und sonstiges Personal der Deutschen Oper waren nur wenige Zuschauer geblieben, die sich leise im Foyer unterhielten. Ordna ließ seine Mitarbeiter die Personalien aufnehmen. Doch die anschließende Befragung der Zuschauer ergab wenig Aufschlussreiches.

„Ich komme morgen Nachmittag zu Ihnen, um Ihre ersten Ermittlungsergebnisse einzusehen“, sagte Adrian abschließend.

Der Kriminalhauptkommissar schnaubte etwas Unverständliches und stapfte zu seinem Dienstwagen. Dabei nickte er unwillig.

Als die Spurensicherung den Tatort freigab und die Polizisten in Begleitung von Sebastian, Adrian und den Angestellten das Opernhaus endgültig verließen, zeigte die Uhr bereits zwei Uhr morgens.

„Warum rufst du mich nicht an?“

Die Nachttischuhr zeigte 8:34 Uhr, viel zu früh für den schlaftrunkenen Adrian von Zollern. „Oh, wie schön, dass du dich meldest“, säuselte er voller schlechtem Gewissen in den Hörer.

„Untersteh dich, mir was vorzulügen!“ Petras Stimme hob zum Orkan an, der Adrian gleich mit der Wucht sich abgelehnt fühlender weiblicher Leidenschaft hinwegfegen würde.

Petra Bleureuther war jung. In Bezug auf Adrians Freundin, wenn man sie so bezeichnen durfte, wandelte Sebastian den Namen gern etwas ab: Sie sollte besser Blauäuger heißen, meinte er. Dieser tiefsinnige Humor zielte auf Petras Naivität, die in Bezug auf Adrian offenbar sämtliche Schutzschilde weiblicher Intuition abschaltete. Vielleicht lag es an ihrem Alter, jedenfalls hielt sie Adrian für einen Vertreter des männlichen Geschlechts, der zu einer echten Beziehung fähig war. Eine Fehleinschätzung, die Petras mangelnde emotionale Reife bewies. Doch dieses Manko stand in umgekehrt proportionalem Verhältnis zur sonstigen Auffassungsgabe der jungen Frau. Nachdem sie zwei Schulklassen übersprungen hatte, hatte sie im Alter von sechzehn Jahren das Abitur als Jahrgangsbeste abgelegt. Genauso erfolgreich und zügig absolvierte sie ein Physikstudium samt Promotion und war nun, mit dreiundzwanzig Jahren, bereits hochgelobte Projektleiterin der angesehenen Unternehmensberatung McAnderson & Cie.

Wenn die Zeit neben ihrem anstrengenden Job es zuließ, würde sie der Karriere noch den Master-Abschluss einer amerikanischen Elitehochschule hinzufügen und anschließend zur jüngsten Partnerin gekürt werden, die ihr elitärer Arbeitgeber je in diesen Rang gehoben hatte.

Da sie eine schöne Frau war, hatte sie jede Menge Verehrer. Die kalte Arroganz ihrer Ausstrahlung verbreitete nicht genügend Schrecken; zahlreiche Männer verfielen ihr und mussten damit leben, dass sie abgewiesen wurden. Petras in eisige Schönheit verpackte Intelligenz hatte auch Adrian überwältigt, als sie Auswahlkandidatin eines Stipendienprogramms gewesen war und er Juror.

Gegen seine Überzeugung ließ der deutlich Ältere damals mehr aus dem One-Night-Stand werden. Sie telefonierten häufiger, sahen sich aber nur selten, da Petra Blaureuther in München lebte.

„Wir haben ein Projekt in Berlin – wichtiger Kunde. Daher kann ich leider nicht bei dir übernachten“, sagte Petra.

Adrian atmete unhörbar aus.

„Stattdessen bin ich mit dem Team im Four Seasons.“ Sie würzte die Worte mit einem Hauch von Erotik. „Ich will dich sehen!“

„Das lässt sich einrichten“, war Adrians etwas zu lässige Antwort.

„Was fällt dir ein …“, entlud sich Petra nun doch, „… mich wie einen gewöhnlichen Termin zu behandeln? Das ist doch wohl nicht dein Ernst, dieser Ton …“

„Entschuldige ...“, lenkte Adrian hastig ein, „… ich bin gestresst. Klar, ich freue mich auf dich.“

„Gar nicht so schlecht, dass Petra mich geweckt hat“, dachte Adrian beim Duschen und überlegte, was für ein konkretes Angebot Ponisega ihm nachher wohl vorlegen würde.

Fast pünktlich fand er sich zwei Stunden später in Ponisegas Vorzimmer ein, wo dessen Sekretärin ihn argwöhnisch musterte.

„Herr Ponisega wartet bereits auf Sie“, sagte die strenge Dame säuerlich und winkte ihn zum Hauptabteilungsleiter durch.

„Herr Dr. von Zollern! Nehmen Sie doch bitte Platz, um 11:13 Uhr …“, sagte er nachsichtig lächelnd.

„Sorry, aber Sie wissen ja, Sonntagmorgen und …“

„Schon gut. Also, ich komme sofort zum Punkt.“

Adrian setzte sich seinem Chef gegenüber in einen der Polstersessel, als Frau Kantrösel klopfte und mit gedämpfter Sonntags-Arbeitslaune nach den Getränkewünschen fragte. Wenig später brachte sie zwei Tassen Kaffee.

„Wie lange kennen wir uns nun schon?“, eröffnete Ponisega das Gespräch.

Darüber musste Adrian von Zollern nicht nachdenken. „Seit wir zum ersten Mal über meine Dissertation gesprochen haben. Vor mehr als vierzehn Jahren!“

„Erinnern Sie sich, wann Sie erstmals einen Auftrag für mich neben ihrem eigentlichen Job bearbeitet haben?“

„Wie könnte ich das jemals vergessen? Das war in dem Jahr, als ich meine Doktorarbeit abgeschlossen habe.“

„An wie vielen Projekten haben Sie seitdem gearbeitet?“

Adrian rutschte unruhig auf dem Sessel hin und her. „Da kann ich nur raten. Zwischen vierzig und fünfzig?“

„Wir haben insgesamt vierundvierzigmal ohne vertragliche Grundlage zusammengearbeitet!“, sagte Ponisega knapp.

Adrian nickte.

„Das war bisher soweit in Ordnung. Ihre Analysen brachten Sie nicht in Berührung mit potenziellen Gefährdungen, und die Außenkontakte beschränkten sich auf wenige unvermeidliche Ausnahmen.“ Er lächelte. „Meist war das Kriminalhauptkommissar Ordna.“

Adrian von Zollern lächelte zurück.

„Unsere neue Zusammenarbeit bezieht operatives Arbeiten mit ein. Allerdings kommt eine klassische Agententätigkeit für Sie natürlich nicht in Frage.“ Ponisega erhob sich jetzt und schaute aus dem Panoramafenster.

„Um unsere Vorstellungen in vertragliche Form zu gießen, hat sich Kant mit den zuständigen Abteilungen ganz schön ins Zeug gelegt. Auf meinen ausdrücklichen Wunsch, weil ich Sie unbedingt bei uns haben will! Auch wenn es nur zeitweise sein wird.“

Ponisega drehte sich abrupt um und schaute Adrian von Zollern ins Gesicht. „Was wir hier vorhaben, Herr Dr. von Zollern, ist eine behördliche Ausnahmeregelung. Für die Kant und ich einige Hebel im, wie Sie es ausdrücken würden, verkrusteten Behördenapparat in Bewegung gesetzt haben.“ Er nahm einen Schluck Kaffee. „Das Ergebnis ist hier“, sagte er und holte ein einige Papiere aus seinem Schreibtisch. „Bevor Sie lesen und unterschreiben, möchte ich etwas Außervertragliches zwischen uns klarstellen. Ich werde alles tun, damit Sie Ihre unorthodoxen Methoden auch zukünftig zur Anwendung bringen können. Aber nur bis zu einem gewissen Grad. Verstehen wir uns in diesem Punkt?“

Adrian von Zollern nickte.

„Und nun: Ich lasse Sie nicht ohne Unterschrift gehen! Oder anders ausgedrückt: Wenn Sie nicht unterschreiben, ist unsere Zusammenarbeit beendet. Was ich außerordentlich bedauern würde. Noch eine letzte Sache, bevor ich Ihnen Zeit zum Lesen gebe. Sie sind nach Ihrer Unterschrift kein Mitarbeiter des BND!“

„Und was heißt das?“

„Lassen Sie es mich umgangssprachlich formulieren: Wenn Ihnen etwas zustößt, wird der BND jede Zusammenarbeit mit Ihnen leugnen.“

Am späten Montagvormittag fuhr Adrian von Zollern ins Polizeipräsidium. Schon beim Betreten des Büros spürte er, dass Clemens Ordna die unkooperative Haltung fortsetzen würde.

„Von Zollern, mir ist immer noch nicht klar, was Sie hier wollen. Ich lasse Sie nicht ermitteln, und Sie dürfen keine Zeugen befragen!“

„Erst mal genügt es, wenn Sie mir sagen, was Sie über das Opfer, den Täter und die Waffe wissen.“

„Ich habe keine Zeit für Sie, gehen Sie mir bloß nicht auf den Wecker!“, schnaubte Ordna.

„Ist es nicht albern, wenn ich wieder Ponisega anrufe?“

„Albern ist Ihre Anwesenheit!“, knurrte er. „Also gut, ich hole Klaffke, der kann Ihnen was sagen.“

Wenig später kam Paul Klaffke herein und führte ihn in

den fensterlosen Raum nebenan. An den Wänden hingen Fotos vom Tatort, und auf dem Konferenztisch stand eine Reihe Ordner.

Können Sie schon etwas zum Fall berichten?“, fragte Adrian.

„Und ob!“, erwiderte Klaffke.

Klaffke nahm einen Ordner und schlug ihn auf. „Sehen Sie, hier sind Fakten zum Opfer und zur Familie des Opfers.“

Begierig nahm Adrian den bereits mit Aktenzeichen versehenen Ordner und begann zu lesen.

Manfred A. Bernau, 56 Jahre alt und Vorstandsvorsitzender der Alemania Banken eG in Berlin, stammte aus Köln. Die Begleiterin des Opfers war seine Frau, die 33 Jahre alte Olga Bernau, mit der er seit dreizehn Jahren verheiratet war und aus deren Ehe zwei Kinder hervorgegangen waren. Der jüngere Sohn war im Alter von vier Jahren ertrunken.

Erste Nachforschungen ergaben keine Unregelmäßigkeiten in der Bank oder in der Amtsführung des Getöteten. Doch eine ausführliche Untersuchung musste bis zum Montag warten.

„Das ist freilich noch sehr vorläufig. Wir haben eine Arbeitsgruppe gebildet, die von diesem Raum aus operiert. Wir konzentrieren unsere Nachforschungen auf das Arbeitsumfeld des Managers“, erklärte Klaffke.

„Was ist mit der Ehefrau?“, fragte Adrian.

„Was meinen Sie?“

„Sind Sie blind?“, sagte Adrian ungeduldig.

Klaffke blickte ihn fragend an.

„Okay, dann helfe ich nach: geschieden, Russin, ausgewandert, Asylantrag, älterer deutscher Mann, Bankier …“ Adrian unterbrach die Aufzählung und sah, wie Klaffkes Gesicht sich aufhellte.

„Sie meinen, da könnte was mit Geldwäsche oder Mafia sein?“, fragte er.

„Nicht in dieser plakativen Form. Aber spüren Sie doch mal der Tatsache nach, dass die Frau nach weniger als drei Monaten Asyl einen viel älteren deutschen Mann heiratet, der zufälligerweise Vorstand in einer Bank ist. Vielleicht beziehen Sie in dem Zusammenhang die familiären Hintergründe der Frau im Heimatland mit ein“, schlug Adrian von Zollern vor.

„Ich werd’s mit Rex, äh, mit Herrn Ordna, besprechen. Er hat mir gesagt, ich soll Ihnen sagen, dass Sie nichts ohne Rücksprache machen dürfen!“

„Ja, ja“, antwortete Adrian wegwerfend.

„Viel mehr haben wir noch nicht.“

„Was ist in dem verschlossenen Schrank da?“

Klaffke begann zu stottern: „D… das ist, also … da sind eigentlich … Da haben wir … also nur allgemeine Verwaltungs…“ Weiter kam er nicht. „Sie wissen, dass mir Zugang zu allen Akten gewährt werden muss. Also schließen Sie das Ding auf!“

„Auf Ihre Verantwortung!“ Klaffke öffnete den Schrank. Darin befand sich eine Anzahl leerer Ordner; nur einer enthielt Dokumente. Unglaublich! Ordnas Seilschaften hatten es bewerkstelligt, dass die Waffe bereits am Vormittag einer kriminalistischen Untersuchung unterzogen und fotografiert worden war.

Adrian betrachtete die Bilder. Beim Anblick eines Fotos spürte er ein Prickeln: Die Gravur gestern Nacht war keine Einbildung gewesen! Nun konnte er sie deutlich erkennen: „Ex.“

Als Adrian scharf die Luft ausstieß, fragte Klaffke sofort: „Haben Sie was gefunden?“

„Zumindest etwas, das näher untersucht werden muss. Wissen Sie, ob sich schon jemand darum kümmert?“ Er zeigte Klaffke das Foto.

„Nein, Ordna räumt dem keine Priorität ein.“

„Dann werde ich die Fotos mitnehmen und mich selbst darum kümmern.“

„Ich darf Ihnen die Fotos nicht geben.“