Man befindet sich stets mittendrin, tut aber gerne so, als hätte man alles im Blick - Enno Ahrens - E-Book

Man befindet sich stets mittendrin, tut aber gerne so, als hätte man alles im Blick E-Book

Enno Ahrens

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Beschreibung

Eine Exkursion durch mein bisheriges Leben an besonders markanten Stellen. Es gab viele Vorkommnisse, besonders mit Nachbarn und Bekannten, die ich teilweise sogar life mitverfolgt habe; Erlebnisse wurden mir geschildert, von meinem Nachbarn Max etwa, mit dem ich zeitlebens immer mal wieder engeren Kontakt pflegte. Andere Nachbarn begegnete ich nur selten, und vieles erfuhr ich aus deren Getratsche. Ich habe alles in Fiktion und nach eigener Phantasie inszeniert und umgestaltet. So entstand ein Gewirk von zu mir parallel verlaufenden fiktiven Geschichten und auch welche, mit denen meine verknüpft waren. Habe die Episoden in kleine spannende, humorvolle oder nachdenkliche Geschichten verpackt, welche ich nahtlos aneinandergefügt habe.

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EPUB
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Seitenzahl: 122

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Enno Ahrens

Man befindet sich stets mittendrin, tut aber gerne so, als hätte man alles im Blick

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Man befindet sich stets mittendrin, tut aber gerne so, als hätte man alles im Blick

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Impressum neobooks

Man befindet sich stets mittendrin, tut aber gerne so, als hätte man alles im Blick

von Enno Ahrens

Kapitel 1

Ein phantastischer Autor

Es war nicht der scharfe Forscherblick durchs Mikroskop oder vom Observatorium aus in die Welt. B. hatte hinter Gleitsichtglas Beobachtungsposten bezogen, schloss meistens aufs Ganze im Fokus seiner Glasscheibe, vor der sich die Leute bewegten in ihrem Trott.

Der Eisregen hatte ihn abgekühlt, die Mäntel. Gewöhnlich kam er frühlings, auch sommers, an die Gardine; winters spannte es sich schlecht. Zum Herbst hin bückte sich eine Frau im Minirock nach Kastanien, zeigte ihm ihr Gesäß. Er hielt sich die folgenden Tage bedeckt mit 'nem Blatt vom Gummibaum, sah noch lange danach in seiner Phantasie ihre Locken locken. Verrückt war ihr Schlüpfer. Zutage traten ihre herbstwelken gekräuselten Strähnen. Spätsommers gekämmt, waren es noch flachsblonde Sonnenstrahlen gewesen, widerstrebten sie dem Plastikrahmen, der ihn aus ihrer Sicht umkränzte, haarsträubend, und kurz darauf war er weg vom Fenster.

Vor dem winterlichen Saisonkoma trieb es ihn ein letztes Mal heraus aus sich, den Schauplatz seiner Gelüste entlang, sammelte seine Literatenscheiße ein zum Entsorgen, aus Stolz in einem Kulturbeutel.

Das verrückte Platanenblatt vor der Scham seiner im Spätherbst stehenden, das zur leichten Beute im Auge des Tornados wurde, in seinem Innerauge, steckte er ebenso in den Sack wie ihren niedergestreckten Astralleib, nacktes Wildbret, inzwischen vom ersten Schnee zugedeckt, von seinem bösen Blick verschleppt, winterstarr im Märchenwald unter einem schmutzig-weißen Laken.

Im Frühjahr würde er sich von dem prachtvollen Kulturbeutel trennen, sich noch ein letztes Mal in dieser Literatenscheiße wälzen wollen, sich purgieren darin wie ein wilder Bär.

Untergrabene Gänge von Gedanken

und Gedankengängen

Käseschmierig von Geburt, aus düsterer Höhle, zeigt’ich der Welt den Steiß.

Sie streckte mir den ihren hin, ein wahres Arschgesicht. Hatte mich daran verschluckt, verharrte in eigener Dunkelheit. Ein Maulwurfsdasein. Meine Rache war jedoch süß. Kandisberge versetzte ich, gehörige Brocken ins Licht zwischen die Leute geworfen. Sie schmolzen dahin, ärgerten sich grau an meinem Scheinhaufen. Kein Maulwurf weiß es – aber ich immer noch füttere die Hoffnung, den Nacktmull um mich; nur wächst ihm kein Fell. Zuhause habe ich meine Fenster mit Blumen verstellt, in den langen Diskonächten den Geist mit Drogen. Meine derzeitigen Vergnügungen entarten zunehmend

in einen Umkehrprozess zur Lebensfreude, bedeuten Spießrutenlaufen vorbei am schmerzhaften Bewusstwerden grau erlebter Alltagsrealität, sind Rettungsversuche auf scheinbare Glücksinseln.

Offenbar hat sich der Blick, die Gewohnheit, mit der ich alles automatisch erledigte, verändert. Nur das Bewusstsein hat es noch nicht angepasst,

wird untergraben von Unzufriedenheit; das Wissen um sie tritt zunächst vage auf

im verborgenen Spiel geistiger Hemisphären. Die Magenader singt gegen Angst

domauf vom Puls vergangener Zeit. Auf seichtem Seelengrund die Badener Spätlese spült Trübsinn aus der Wohlstandswampe, inkarnierter Humor,

dem Fugentod entwichen, fängt zu stinken an, ein bleierner Rettungsring sucht Auftrieb – vor den Spätmeldungen der letzte Furz. Ohne Würde ist der Mensch wie ein Akku ohne Spannung.

Ich krame in den cerebralen Schließfächern, stöbere unkoordiniert herum in jenem hermetisch zur Außenwelt abgeschotteten Gezeitenraum, fern der Raumzeiten.

Wenn ich nicht gerade Kandisberge versetze, bewege ich mich im Kreis auf meinem Gedankenstrahl. Circulus vitiosus – alles andere wäre vermessen. Ich hatte zu viele große Denker erlebt, mit kleinen Brettern vor den Köpfen, womit sie sich zierten. Man riss sie ihnen herunter, zimmerte sich komplette Hütten draus. Columbus wusste, die Erde ist rund und man kommt so an seinen Aufbruchspunkt zurück. Ich laufe ebenso herum, denn wer sich nicht fortbewegt, würde Amerika nicht entdecken, weder aufs verschollene Bernsteinzimmer treffen noch zu sich selber finden.

Den muffigen Schleier über den Erinnerungen werde ich außerdem wieder einmal lüften müssen wie die Matratze im Frühling. Erlebnisse einer kalibrierten Vergangenheit öffnen sich in die Gegenwart, doch sie sind nicht in der Lage ihren innewohnenden Glücks- oder Unzufriedenheitszustand freizusetzen für mich im Jetzt. Ich denke an meine Exgeliebte Nadine – trockene Bilanzen, Historie, mit der man zufrieden sein kann, die aber nicht wiederverwendbar ist, um einen in der Gegenwart zu befriedigen oder exzessiv zu enttäuschen. Nadine versuchte stets ihre Ehre, gerade wenn diese besudelt war und das Gewissen sie drückte, demonstrativ wie ein weißes Friedenstuch herauszuhängen, beschwörend kundzutun, aber gleichzeitig behielt sie den Finger am Abzug des Gewehres und irgendwann ging es in immer die gleiche Richtung los. Unsere Freundschaft war nicht mehr wert als eine Verbindung, die scheinbar entsteht, wenn man Wasser mit Sand in einem Glas verquirlt.

Wunderschönes Eisblumengespray haftete an den Butzenscheiben, als ich Nadine aus den Augen verlor und sie sich wieder einmal bereitwillig vom Gärtnersohn Franz, meinem ungeliebten Nachbarn, ficken ließ. Ich hätte gern weggesehen, aber der Blick hinaus war vereist. Jahre zuvor hatte ich noch versucht, Franz aufzuklären, hatte ihm an einem Beispiel klar gemacht, was „paradox“ bedeutet:

„Franz“, sagte ich, „wenn man dieses Teil nach dem Bad trocken rubbelt, umso nasser wird es.“ Fragte Franz: „Was für ein Teil soll denn das sein?“ Ich darauf: „Die Möse einer Frau.“

„Kann nicht sein“, widersprach der ständig besserwisserische Franz, „habe ich schon längst bei der scharfen Liesbeth von nebenan ausprobiert.“

„Siehste Franz“, entgegnete ich, „das ist ja das Paradoxe – ich auch.“

Nun versiegele ich geschwind dies Erinnerungsfach als Mahnmal für die Ewigkeit, öffne weiter entfernt ein Fenster. Auch hier streicht mir der störrische Blick hinter die unpassierbare Krümmung die Geige nicht, obwohl ich frühlingstrunken suche sie zu entblättern, meine geflutete Leidenschaft zum Entlauben. Im freien Fall befinde ich mich längst, schwerelos im All, über den kindlichen Horizont von der rasanten Erde gestolpert in die Flugangst.

Es zeigt sich eine von Rost angefressene Landmine auf der Lauer. Eine Schnecke kommt des Weges, will gerade vorbeiziehen, als die Landmine sie aufhält: „Wohin des Weges, meine Beste?“ Das Weichtier erschrickt: „Ich will über diesen Berg hier.“ Die Landmine erwidert: „Liebe Schnecke, was willst du einen so beschwerlichen Aufstieg machen. Du brauchst nur durch mein Rostloch zu kriechen, den Zünder auslösen, und ich werde dich sogleich über den Hügel heben.“ Und so erfüllte sich für die Landmine ein blitzartiges, aber herrlich hochexplosives Leben. Ja, das Glück gebührt den Gewitzten. Die Schnecke war ich. Auch dieses Türchen schließe ich ohne Erregung.

Im vorletzten Fach meines kreisrunden Gedankenganges sehe ich meine Frau Ellen auferstehen und wie wir dasitzen auf einer Parkbank in unserem letzten gemeinsamen Urlaub auf Teneriffa. Zuweilen war mir diese eheliche Geborgenheit wie Käseglocken über brennenden Kerzen. Und Ellen konnte so tröstlich sein … Ich höre uns noch sprechen: „Wie die Zeit vergeht.“ Sie darauf: „Ja, schau meine grauen Strähnen.“ Ich: „Ach, was soll ich erst sagen, drei Haare sind mir geblieben.“ Sie: „Aber sie haben immer noch diesen wundervollen Schimmer.“

Mein damaliger Chef Jonny Rothschild hatte aber einen weitaus schillernderen Mercedes 600. In diesem brannte sie konsequenterweise mit Jonny durch. Voll in die Scheiße …? Eine sichere Form von Glück wäre, wenn man mitten in der Großstadt mittig in einen Kuhpabs träte, wo mittendrin sich ein unverdautes mittelmäßiges vierblättriges Kleeblatt befände und mitten drauf ein Marienkäfer säße, der dann noch das Glück hätte, unversehrt aus der Nummer zu entfleuchen mitten in der Nacht.

Klappe zu und zum letzten, wichtigsten und alles in Frage stellenden Bereich, dem Lebenssinn an sich – gibt’s den?, – wage ich einen Einblick. Aber leider, in Gesichtsfalten und Gehirnfalten habe ich keine Erkenntnis zu verbuchen gehabt – elende Leere. Unsere Ideale sind wie Rockzipfel, die uns voraus eilen. Die Wahrheit über unsere Welt war mir nicht mit Vernunft zu ergründen, so probiere ich es zukünftig mit Nonsens. Früher ging ich immer in die Natur, um Trost zu finden, denn ihr Busen ist am größten, oder ich legte mich in einen Sarg zur Probe, seit die Glühwürmchen verglimmt schienen, und nachdem meine letzte Liebschaft mich hier hocken ließ in sinnlos gewordenem Möbelplüsch, während meine Blicke beim Abschied sich an sie klammerten wie rammelgeile Kaninchen und es mir vorkam, als hallten ihre Highheels nach mir trotzend auf dem Asphalt vor dem Wohnblock zwischen dem Spalier von rosarotem Rugosa.

Wollte mich in jener lauschigen Nacht stürzen im Kick mit dem Strick um den Hals am Brückengeländer gezurrt, oh Heureka – in unbekannte Tiefen. Dann bremste mich dieser Widerhall, im Gehör das Mahnen ihrer Highheels auf dem Asphalt, und ich rannte zurück durch’s Spalier von rosarotem Rugosa.

Leider hatte ich die Botschaft der Highheels gründlich missverstanden und musste mich in die unfreiwillige Einsiedelei ergeben. Und nun ist das Erste, was ich machen werde, ich begrüße den nächsten Mitmenschen um mich, Dimitrippi, einen User im Internet, und interessiere mich, wie es ihm so ergeht in seiner Vorstellung von Wahrheit und empiristischem Wahn, als wenn ich mich daran erwärmen könnte…

Soweit eine Skizzierung meines Daseins aus vergangenen Tagen.

Dies war nur eine Kurzfassung, eine Exkursion durch mein bisheriges Leben an besonders markanten Stellen. Jedoch gab es viele weitere Vorkommnisse, besonders mit Nachbarn und Bekannten, die ich teilweise sogar life mitverfolgt habe; Erlebnisse wurden mir geschildert, von meinem Nachbarn Max etwa, mit dem ich zeitlebens immer mal wieder engeren Kontakt pflegte. Andere Nachbarn begegnete ich nur selten, und vieles erfuhr ich aus deren Getratsche.

So entstand ein Gewirk von zu mir parallel verlaufenden Geschichten und auch welche, mit denen meine verknüpft waren.

Das alles hat bestimmt Einfluss genommen auf meine Sicht der Welt, und ich habe diese Episoden und Erlebnisse, auch die, in jene ich involviert wurde, meist in kleine Geschichten verpackt, welche ich nachfolgend nahtlos aneinandergefügt habe.

Kapitel 2

Interessant fand ich den Bericht von dem extremen Wunderkind Max aus seiner Vergangenheit, und habe eine Geschichte draus geformt:

Maxens Mama: „Junge, du bist ein Phänomen.“

Das erste Mal war sie sprachlos gewesen, als Max vom Wickeltisch in die Biotonne gestürzt war, und er urplötzlich Kauderwelsch sprechen konnte. Zuvor hatte er keine zusammenhängenden Silben herausgebracht. Nun plötzlich waren es ganze Wörter. Weil keiner genau sagen konnte, welche Sprache es denn sei, nannten sie es Kauderwelsch.

Ein paar Jahre danach. Max stand kurz vor der Feier seines siebten Geburtstages und war aufgeregt, weil diesmal der Sohn eines arabischen Scheichs zu Besuch kommen sollte. Mama hatte ihn eingeladen. Max fuhr mit seinem neuen Fahrrad, einem Geschenk von Tante Adele, die schon in der Frühe angereist war, gegen den nächsten Laternenpfahl, und konnte augenblicklich fließend Arabisch sprechen. Mama war vor lauter Freude minutenlang stumm geblieben, mit Tränen der Rührung in den Augen. Eigentlich hatte er sich nur ein paar Brocken Arabisch angeeignet gehabt, aus einem Fremdsprachenlexikon, um den Scheichjungen zu überraschen.

Später konnte er prompt fließend Tschechisch, obwohl er lediglich einige Sprachfetzen von fluchenden tschechischen Panzergrenadieren aufgeschnappt und sie nachgeäfft hatte, als er neugierig einen ihrer Panzer inspizierte und ihm die Einstiegsluke auf den Schädel gefallen war.

Dann kam er in die Pubertät, eine schwierige Phase für einen schüchternen Jungen wie ihn. Bis zu seinem dreiundzwanzigsten Lebensjahr hatte Max kein Mädchen heimgeführt, ja, nicht einmal angesprochen. Ihm fehlten die richtigen Worte. Zu seinem vierundzwanzigsten Namenstag hatte Mutti eine Überraschung für ihn. In seinem Zimmer sollte sie liegen. Er war aufgeregt. In seinem Bett lag ein unbekanntes Fräulein, splitterfasernackt. Er bekam einen Schock, musste ins Krankenhaus, war stumm geworden. Nur Mama plapperte in einer Tour.

Nach dem überwundenen Schock stellte Max aber zu Mamas Glück fest, dass er auf einmal die Worte draufhatte, um Mädchen imponieren zu können und Mama lud gleichzeitig zwei Girls ein in ihr Heim, die eine aus der mährischen Walachei gebürtig, die andere aus Syrien.

Den beiden fremdsprechenden Damen gegenüber war Max sprachlos geblieben. Der erlittene Schock hatte ihn der tschechischen wie auch der arabischen Sprache beraubt. Darüber war er so erschrocken, dass er auch noch seine Muttersprache verlor. Er verstand einzig nur noch Kauderwelsch. Papa klagte: „Jetzt haben wir ein verblödetes Genie in der Familie.“

Als Max ungeachtet dessen sein Kauderwelsch ins Internet reinstellte und viel Beifall erhielt, fand Mama es wiederum phänomenal, was er an ihrem erhobenen Daumen erkannte, ihrer extra für ihn erlernten Zeichensprache. Im Netz verständigten sie sich ebenfalls damit. Waren wohl auch behindert, dachte er so bei sich. Allerdings war sein Kauderwelsch in Wirklichkeit eine ganz normale Sprache eines total durchschnittlichen Jungen gewesen. Aber daran mochte Mama nicht denken.

Dann gab es ja noch den verhassten Gärtnersohn, dessen Familie in einem Nebengebäude untergebracht war, unweit von dem alten Herrenhaus, in dem ich mit meinen Eltern zur Miete wohnte.

Die Leute spotteten über die Gärtnerfamilie, und meinten, sie hausten wie die legendären Hempels, unteren deren Sofa sich Müll sammelte. Sie sollten damals aber eine glänzende Zeit erlebt haben. Die Nachbarn erzählten immer wieder im Dezember eine Episode:

„Mama, meine Pimmelspitze juckt.“ So soll der Gärtnersohn gesprochen haben. Seine Mutter darauf:

„Franz, es heißt Eichel; die Eichel juckt. Aber es ist normal, dass sie es tut, in der Adventszeit.“ Franz darauf:

„Ach ja, am Heiligabend muss ich sie ja jedes Mal waschen. Das ganze Haus wird geputzt. Nur der Garderobenspiegel wird mal wieder vergessen, weil die Klamotten ihn verdecken.“ Die Mutter soll entgegnet haben:

„Ja, so ist es bei uns Tradition. Und da wird auch unterm Sofa entrümpelt und Staub gesaugt.“

„Und Papa wird wieder sagen, nachdem du den Holzboden gebohnert hast: ‚Guck, Franz, jetzt kannste in `nen Spiegel schauen.“

Ja, an die Heiligabende, als Mama und Papa noch lebten, dachte Franz gerne zurück. Kurz zuvor hatte sich der Sommer gewendet und er nun auch seine Unterhose. Und mit Fug und Recht durfte er an diesem Tag seine Eichel Glans nennen, amüsierten sich die tuschelnden Nachbarn.

In dem alten Herrenhaus wohnten auch die von Wetzlow. Ihnen soll das Patrizierhaus ursprünglich gehört haben. Sie mussten es aber wohl verkaufen. Nun waren sie ebenfalls nur Mieter. Allerdings stand ihnen ein Riesenbereich zur Verfügung.

In der Parkanlage hinter dem alten Herrenhaus, an einem verwitterten Holzkreuz, hatte Miriam von Wetzlow ihre bösen Gedichte angeschlagen. Sie war damals Zwölf, ich Vierzehn. Sie hatte ihrem Teddy eine Schlinge um den Hals gelegt, ihm mein Namensschild angeklebt, und ihn an ihr Kreuz gehängt.

Ich hielt Miriam in einer abgründigen Ecke meines Seelenkellers gefangen. In Wirklichkeit lebt Miriam mit ihren Eltern in den USA seit zwanzig Jahren.

Als ich neulich in unseren Park ging, stand sie plötzlich wieder da, wo das Kreuz gestanden hatte. Es war Spätsommer, lau und bereits dämmerig, als die Leuchtkäfer ihr Schauspiel aufzogen, und mitten drin Miriam von Wetzlow mit immer noch blonden Haaren, und einem weißen Folklorekleid.

Und ich traute meinen Augen kaum.