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Nach einem Unfall ist Jana (15) blind. Dadurch wird ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Sie ist völlig verzweifelt. Eigentlich wollte sie studieren, aber was kann eine Blinde schon studieren? Sie muss lernen, mit ihrer Blindheit zu leben. Dabei ist ihr Marek, ein junger Krankenpfleger, eine große Hilfe. Er macht Jana mit seinem Großvater bekannt, der ebenfalls blind ist, aber trotzdem alleine lebt. Langsam gewinnt Jana ihre Lebensfreude zurück. Sie entdeckt neue Perspektiven.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Inhaltsverzeichnis
Manchmal ist das Licht woanders
Im Krankenhaus
Die Diagnose
Blind und hilflos
Tröstlicher Besuch
Frühstück im Dunkeln
Umzug ins Mehrbettzimmer
Immer noch Freundinnen?
Geht das Leben wirklich weiter?
Der erste Spaziergang
Endlich zu Hause
In ein neues Leben
Das erste Date
Alte Freunde – neue Freunde
Neue Leidenschaft
Impressum
Von Ursula Eggers
Text copyright © 2021 Ursula Eggers
Alle Rechte vorbehalten
Es war dunkel. Stockdunkel. Nicht der kleinste Lichtschein war zu sehen. Ich hörte gedämpfte Stimmen, wie durch Watte. Mein Kopf schmerzte. Wo war ich bloß? Ich lag in einem Bett. War es mein eigenes? Es fühlte sich irgendwie anders an. Ich versuchte, meine Umgebung zu erkennen, aber es war zu dunkel und der Kopf tat mir so weh. Er fühlte sich an wie eingepackt.
Ich versuchte, mich an mein Zimmer zu erinnern. Rechts von meinem Bett musste das Fenster sein, direkt davor stand eine Straßenlaterne. Es hatte nach unserem Umzug eine Weile gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, dass es niemals richtig dunkel war wenn ich schlafen wollte. Ich drehte den Kopf. Heute war nichts zu sehen - gar nichts.
„Jana?“ Die Stimme meiner Mutter klang besorgt, aber irgendwie auch erleichtert.
„Mama! Was tust du mitten in der Nacht in meinem Zimmer? Warum machst du kein Licht an?“ Ich versuchte, mich im Bett aufzusetzen und tastete nach der Nachttischlampe. Meine Mutter hielt meine Hand fest.
„Oh, Jana! Ich bin ja so froh, dass du aufgewacht bist!“ Die Stimme meiner Mutter zitterte, ihre Hand auch. „Du… du bist…“
„Hallo Jana, ich bin Doktor Faust.“, sagte eine freundliche Männerstimme. Mir platzte fast der Schädel. Was für ein Durcheinander in meinem Zimmer und in meinem Kopf! Ich legte mich wieder zurück in mein Kissen. Langsam fasste ich an meine Stirn. Da war ein dicker Verband. Irgendetwas war passiert, dabei hatte ich doch nur schlecht geträumt, oder etwa nicht?
„Jana, bist du noch wach?“ Das war wieder die fremde Stimme. Ich nickte nur, war viel zu müde zum Sprechen. „Du hattest einen Unfall und bist jetzt im Krankenhaus.“ Aha, es war also doch etwas passiert. Aber die Stimme des Arztes klang so ruhig, dass es wohl nicht allzu schlimm sein konnte.
„Mein Kopf“, stöhnte ich leise. Die Schmerzen waren kaum noch auszuhalten.
„Hast du starke Schmerzen?“ Jemand ergriff meine Hand. Ich nickte. „Die Schwester gibt dir gleich ein Schmerzmittel, dann kannst du wieder schlafen.“ Es klapperte leise im Raum. Ich hörte Schritte. Dann schob mir jemand eine Tablette in den Mund und setzte mir ein Glas an die Lippen. Mühsam trank ich ein paar Schlucke Wasser. Dann muss ich wohl wieder eingeschlafen sein. Als ich das nächste Mal wach wurde, war ich etwas klarer im Kopf und konnte wieder ein wenig besser denken.
„Was ist eigentlich genau passiert?“ Ich konnte mich an gar nichts erinnern. “Und was soll dieser blöde Verband? Ich kann ja gar nichts sehen!“
„Du hattest beim Inlineskaten einen schweren Unfall, dabei hast du dir Verletzungen im Gesicht und eine Gehirnerschütterung zugezogen. Außerdem hast du dir noch ein Bein gebrochen.“ Doktor Faust klang, als sei es das Normalste auf der Welt, einen Unfall zu haben. Na ja, als Arzt sah er vermutlich täglich Verletzte, aber für mich war diese Situation völlig neu. „Wir haben einige Schnitte in deinem Gesicht genäht.“ Ich glaube, Doktor Faust redete noch weiter, aber ich verstand nichts mehr, hörte nur noch so etwas wie Wellenrauschen, dann war ich auch schon wieder eingeschlafen.
Plötzlich war ich hellwach! Ich hatte ein dringendes Bedürfnis, wie man so schön sagt. Hilflos lag ich in meinem Bett. Ich kannte mich hier nicht aus, also musste ich wohl oder übel nach dem Weg fragen.
„Hallo?“ Das klang sicher ziemlich zaghaft. Also versuchte ich es ein wenig lauter: „Hallo?“ Niemand antwortete. Zu blöd, dass ich diesen Kopfverband hatte! Sonst würde ich die Toilette schon allein finden. Aber so wusste ich nicht einmal, ob es Tag oder Nacht war. Genauso wenig konnte ich sagen, ob sich die Zimmertür rechts oder links von meinem Bett befand. Es war unmöglich, den Weg allein zu finden. Was sollte ich bloß tun? Ich hatte es wirklich eilig!
Moment mal! Vor einiger Zeit war meine Oma im Krankenhaus. Ich habe sie manchmal besucht. Über ihrem Bett hing so ein merkwürdiges Teil, an dem sie sich hochziehen konnte. Sie nannte das immer „Galgen“. An diesem Galgen hing auch ein Kabel mit Schaltern. So konnte sie jederzeit Licht anmachen oder mit einem Klingelknopf eine Schwester rufen. Vielleicht hing über meinem Bett ja auch so ein Galgen! Vorsichtig tastete ich nach oben und kam mir dabei ziemlich blöd vor. Wenn mich nun jemand beobachtete? Irgendwie erinnerte mich das Ganze an „Blinde-Kuh“-Spiele von früher. Die habe ich damals schon gehasst! Hoffentlich kam dieser blöde Verband bald ab!
Ah, da war ja das erhoffte Kabel. Aber auf welchen Knopf sollte ich nun drücken? Egal, die Zeit drängte, also drückte ich einfach auf beide. Kurze Zeit später öffnete jemand die Zimmertür.
„Schwester, ich … ich müsste mal wohin.“, stotterte ich. Es ist grässlich, mit einem Menschen zu reden, ohne ihn sehen zu können. Vielleicht drehte ich meinen Kopf ja in eine ganz falsche Richtung!
„Ich verstehe“, antwortete eine männliche Stimme. „Dann hole ich mal den Schieber.“
„Den was bitte?“ Panik stieg in mir hoch. Dieser Mann wollte mich doch wohl nicht zur Toilette begleiten!
„Die Bettpfanne.“ Diesmal klang die Stimme amüsiert. „Schließlich hast du ein Gipsbein, einen Kopfverband und außerdem einen Tropf an deinem linken Arm. Darum hat die Oberschwester bestimmt, dass du erst mal auf den Schieber gehst. Ich bin übrigens Marek und absolviere hier ein freiwilliges soziales Jahr.“ Ich hörte Schritte, dann Geklapper unter meinem Bett. Das war wirklich zu viel!
„Holen Sie die Schwester! Ich will keinen Schieber oder wie das Ding heißt. Und schon gar nicht von Ihnen!“ Es klapperte wieder.
„Schon gut“, brummte Marek gutmütig. „Ich versteh dich ja. Schwester Anna hat bestimmt Zeit für dich.“
Zwei Minuten später war Schwester Anna da. „Hallo Jana!“ Die Stimme klang fröhlich und Vertrauen erweckend. „Es tut mir Leid, aber an dem Schieber kommst du heute nicht vorbei. Also: Hose runter und Hintern hoch!“ Widerspruch war zwecklos, also fügte ich mich meinem grausamen Schicksal.
„Da du jetzt ja wieder wach bist, kannst du deine Medikamente auch schlucken. Also können wir den Tropf bald abnehmen. Morgen will Doktor Faust dein Bein noch mal röntgen. Vielleicht bekommst du dann einen Gehgips oder zumindest Krücken. Dann hast du den Schieber schnell vergessen.“
„Na, Gott sei Dank!“, seufzte ich. „Und der Kopfverband? Kann der morgen auch ab? Es ist furchtbar, nichts zu sehen. Ich weiß ja gar nicht wie spät es ist, noch nicht einmal, welche Tageszeit wir haben.“
„Es ist zehn Uhr abends. Morgen früh um sieben gibt es Frühstück, um acht hast du einen Termin bei Doktor Faust. Mit ihm kannst du deine weitere Behandlung besprechen. Hast du jetzt vielleicht noch einen Wunsch? Möchtest du etwas essen oder trinken?“
„Ich möchte gerne etwas zu trinken haben, wenn Ihnen das nicht zu viel Mühe macht.“ Zu blöd, wenn man gar nichts selber machen kann! Ich hasse es, andere Menschen um Hilfe zu bitten.
„Wasser oder Apfelsaft?“ „Wasser bitte.“ Ich hörte das Zischen der Kohlensäure, als Schwester Anna eine frische Wasserflasche öffnete, dann das typische gluckernde Geräusch beim Eingießen. Schwester Anna drückte mir das Glas in die Hand.
„Vorsichtig, es ist etwa dreiviertel voll.“ „Danke.“ Ich hob das Glas an meine Lippen und kippte es vorsichtig. Mist! Jetzt hatte ich trotzdem etwas verschüttet.
„Macht nichts“, tröstete Schwester Anna. „Ist ja nur Wasser. Das passiert oft.“ Schnell hatte sie meine Bettdecke trocken getupft und war wieder verschwunden.
„Frühstück ist da!“ Die Zeit war schnell vergangen. Ich hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein. „Guten Morgen, Jana. Mein Name ist Verena. Ich bin Lernschwester hier und soll dir beim Frühstück helfen. Wenn du magst, können wir uns einfach duzen.“ Ich nickte nur.
„Das Gesieze nervt mich manchmal und wir beide sind im gleichen Alter. So. Hier sind ein Vollkornbrötchen und eine Scheibe Graubrot, dazu Salami, Schnittkäse, Marmelade und Honig. Ach ja, ein gekochtes Ei habe ich auch noch für dich. Womit möchtest du anfangen?“
„Ich hab gar nicht so viel Hunger. Das Brötchen reicht mir.“ Ich versuchte, mich bequem hinzusetzen.
„Warte mal.“ Verena kam mir zu Hilfe und drückte mir ein kleines Plastikteil in die Hand. „Mit diesem Schalter kannst du das Rückenteil deines Bettes verstellen. Probier selber mal aus, wie du am bequemsten sitzen kannst.“ Ich drückte auf den Knopf. Es ging abwärts. Ich drückte den Kippschalter in die andere Richtung.