9,99 €
Manchmal ist es für Jonas ganz schön schwer, der Jüngste in der Familie zu sein. Jeder meint, an ihm herumerziehen zu können. Nicht nur Mama und Papa, sondern auch Daniel und Anika, seine Geschwister. Niemand nimmt ihn wirklich ernst. Dabei kann Jonas so richtig gefährlich und wütend sein: so wütend wie ein Löwe! Einfühlsam und voller Verständnis erzählt Kirsten Boie davon, wie schwer es ist, immer der Kleinste zu sein – zum Schmunzeln und Wiedererkennen. Ideal zum Vorlesen oder ersten Selberlesen. Mit Illustrationen von Philip Waechter
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 94
Veröffentlichungsjahr: 2020
Kirsten Boie
Manchmal ist es für Jonas ganz schön schwer, der Jüngste in der Familie zu sein. Jeder meint, an ihm herumerziehen zu können. Nicht nur Mama und Papa, sondern auch Daniel und Anika, seine Geschwister. Niemand nimmt ihn wirklich ernst. Dabei kann Jonas so richtig gefährlich und wütend sein: so wütend wie ein Löwe!
Einfühlsam und voller Verständnis erzählt Kirsten Boie davon, wie schwer es ist, immer der Kleinste zu sein – zum Schmunzeln und Wiedererkennen. Ideal zum Vorlesen oder ersten Selberlesen.
Mit Bildern von Philip Waechter
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Kirsten Boie wurde 1950 in Hamburg geboren, wo sie noch heute lebt. Sie studierte Deutsch und Englisch, promovierte in Literaturwissenschaften und war Lehrerin, bevor sie für Kinder und Jugendliche zu schreiben begann. Sie zählt zu den renommiertesten Autorinnen des modernen Kinder- und Jugendromans und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Großen Preis der Akademie Volkach und dem Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für ihr Gesamtwerk.
Philip Waechter wurde 1968 geboren. Er studierte Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Illustration an der Fachhochschule Mainz. Heute arbeitet er als freier Graphiker und Illustrator in der Ateliergemeinschaft LABOR in Frankfurt am Main.
Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden sich auf www.fischerverlage.de
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
Manchmal ist es nicht so schön, der Jüngste zu sein. »Nun aber ab ins Bett!«, sagt Mama, wenn Jonas nach dem Abendbrot noch im Wohnzimmer trödelt. »Sonst kommst du mir morgen früh wieder nicht aus den Federn!«
Zu Daniel und Anika sagt sie so was natürlich nicht. Die dürfen trödeln, so viel sie wollen, und ob sie morgens aus den Federn kommen, kümmert Mama anscheinend überhaupt nicht.
Und in die Schuhe schieben sie Jonas auch immer alles, wenn was passiert.
»Jonas hat mir schon wieder mein Schweizermesser geklaut, Mama!«, schreit Daniel, als er mittags aus der Schule kommt. »Es ist nicht mehr in der Schublade!«
»Jonas!«, sagt Mama. »Du weißt genau, dass du das Messer noch nicht haben darfst. Nun gib es Daniel mal ganz schnell zurück!« Dabei hat Jonas überhaupt nichts damit zu tun, dass das Messer verschwunden ist. Daniel hat es gestern Abend selber aus der Schublade genommen, um Löwenzahn für sein Zwergkaninchen zu schneiden, und dann hat er es neben der Haustür vergessen. Aber das verrät Jonas ihm nicht. Nicht, wenn Daniel sagt, dass Jonas das Messer geklaut hat. Nur weil er es sonst schon manchmal war!
Nein, Jonas hat eine ungerechte Familie, die immer denkt, Jonas ist alles gewesen, und deshalb sollen sie nun auch mal gefälligst selbst nach dem Messer suchen. Jonas verrät ihnen nicht, dass es neben der Haustür liegt, Jonas nicht.
Mit Abstand am Schlimmsten von allen ist Anika.
»Wasch dir die Hände!«, brüllt sie, wenn Jonas nachmittags vom Spielen reinkommt und Mama ist noch nicht von der Arbeit zu Hause. »Wie oft soll ich dir das noch sagen!«
»Pöh!«, sagt Jonas dann und streckt ihr die Zunge raus. »Du hast mir gar nichts zu sagen, jawohl!«
Aber das stimmt eben doch nicht, leider. Jonas hat jeder in dieser Familie was zu sagen, Daniel und Anika und Mama und Papa. Nur Papa, der ist zum Glück nicht so schlimm.
»Hallo, hallo, hallo«, sagt er manchmal sonntags, wenn sonst gerade überhaupt nichts los ist. »Ich wollte nur mal fragen, ob mein großer Junge mir vielleicht heute hilft, die Flaschen zum Container zu bringen?«
Und mit dem großen Jungen ist keineswegs Daniel gemeint, denk mal an, sondern Jonas. Jonas ist Papas großer Junge, und schließlich ist er ja auch der Einzige, der Papa gerne mit den Flaschen hilft.
»Ich komm schon!«, schreit Jonas, und dann schleppen sie fast eine halbe Stunde lang leere Flaschen aus dem Vorratskeller in den Autokofferraum, und dann fahren sie zusammen zum Container und donnern die Flaschen oben durch das runde Loch, dass die Scherben nur so spritzen.
»So eine Schweinearbeit, Großer, was?«, schnauft Papa, als er Jonas zum zwanzigsten Mal hochhebt, damit der eine Flasche durch das Loch pfeffern kann.
»Aber was für eine Schweinearbeit, Papa, Mensch ehrlich«, sagt Jonas und hört glücklich zu, wie unten das Glas kaputtkracht.
Aber Papa ist eben leider nicht so viel zu Hause. Bloß immer Daniel und Anika und nachmittags Mama. Und darum ist es manchmal nicht so schön, der Jüngste zu sein.
Dass der Sommer vorbeigeht, merkt man daran, dass die Blätter bunt werden. Zuerst werden sie rot und gelb und braun, und dann fallen sie ab. Dann sind die Bäume nackt und kahl, und man muss warten, bis es wieder Sommer wird. Leider dauert das meistens ziemlich lange.
Jonas mag den Winter nicht so besonders. Immer muss man sich einen Schneeanzug anziehen und dicke Stiefel und bei ganz kaltem Wetter sogar Handschuhe. Jonas mag lieber, dass Sommer ist.
»Aber im Winter ist Weihnachten«, sagt Anika, die Jonas sowieso immer widersprechen muss. Aber diesmal hat sie recht.
»Und Nikolaustag«, sagt Daniel, »und Silvester und Fasching.«
»Und es gibt Schnee«, sagt Anika. »Man kann rodeln und Schneemänner bauen.«
»Der Zwerg doch nicht!«, sagt Daniel und gibt Jonas im Vorbeigehen einen Stoß.
»Kann ich wohl!«, schreit Jonas. Dann drückt er sein Gesicht wieder gegen das Küchenfenster und guckt nach draußen.
»Nur jetzt nicht«, sagt er trübsinnig. »Jetzt ist kein Schnee. Jetzt ist gar nichts.«
»Das ist Oktober«, sagt Anika. »Oktober ist blöd und November auch, aber dann wird es besser.«
Jonas schüttelt den Kopf. »Nee, wird es nicht«, sagt er düster, aber dann fällt sein Blick auf etwas Wunderbares, das Mama heute gleich nach dem Kindergarten hinter die Garderobe geklemmt hat, damit es nicht kaputtgeht: Jonas’ Laterne.
»Aber Laternenzeit ist«, sagt Jonas zufrieden. »Jeden Abend.«
Und Laternenzeit ist es wirklich. Im Kindergarten haben sie selber Laternen gebastelt aus buntem, durchsichtigem Papier, jedes Kind eine eigene. Da muss Mama jetzt innen eine Kerze reinkleben, und dann können sie alle zusammen durch die Straßen laufen und Laternenlieder singen, Mama, Papa, Daniel und Anika und natürlich Jonas. Nur dunkel muss es sein.
»Laternenzeit, du Baby«, sagt Anika und schnippst mit dem Finger. »Da ist doch nichts los.« Dann geht sie nach oben in ihr Zimmer, Hausaufgaben machen. Jonas muss keine Hausaufgaben machen. Wer im Kindergarten ist, hat keine Hausaufgaben, und das ist ungerecht. Manchmal stöhnt Jonas beim Mittagessen trotzdem wie Daniel und sagt: »Ach, wie fürchterlich, was wir heute wieder für Hausaufgaben haben! Diese doofe Schule!« Aber dann lachen alle und sagen, Jonas soll sich freuen, dass er damit noch nichts zu tun hat. Das tut Jonas aber gar nicht. Wie soll er sich freuen, wenn Daniel und Anika den ganzen Nachmittag in ihren Zimmern hocken und keiner darf sie stören? Da hätte Jonas lieber auch was zu tun, sonst ist es ihm so langweilig.
Und nicht mal den großen Frederik kann er besuchen, weil der seit dem Sommer auch in die Schule geht und Hausaufgaben machen muss. Alles Mist, denkt Jonas.
Da klingelt es an der Haustür.
»Na?«, sagt Frederik.
Jonas hüpft vor Aufregung auf und ab. »Frederik?«, sagt er. »Ich hab gar keinen zum Spielen, Frederik. Spielst du mit mir?«
»Hm«, sagt Frederik und tritt mit seinem Gummistiefel gegen die Fußmatte. Er schiebt die Unterlippe vor. »Mal sehen.«
Jonas denkt ganz scharf nach. Irgendwas muss ihm jetzt einfallen, damit Frederik mit ihm spielt, aber nichts fällt ihm ein, gar nichts.
»Warum hast du denn geklingelt, Frederik?«
Frederik guckt ihn böse an. »Frag nicht so viel!«, sagt er. »Ich will zu dir rein.«
Und das ist ja nun wunderbar. »Ja, Frederik?«, sagt Jonas glücklich und geht einen Schritt zurück, damit Frederik reinkommen kann.
Aber da kommt natürlich schon wieder diese Anika von oben. Wenn man will, dass sie unten bleibt, dann geht sie rauf, und wenn man sie nicht brauchen kann, kommt sie runter. Garantiert.
»Du weißt genau, dass du die Haustür nicht so lange offen lassen sollst!«, sagt sie zu Jonas. Dann schnauzt sie Frederik an. »Mit Gummistiefeln auf den Teppich, du hast sie wohl nicht mehr alle!«, und dabei packt sie Frederik an der Schulter und schiebt ihn wieder nach draußen.
»Du hast mir gar nichts zu sagen!«, brüllt Frederik. »Du bist ja nicht die Mutter!«
»Jawohl!«, schreit Jonas, und mit seinem strumpfsockigen Fuß stampft er einmal ganz fest auf dabei.
Aber Anika ist überhaupt nicht beeindruckt. »Zieh dich an«, sagt sie zu Jonas.
»Dann kannst du mit dem da draußen spielen. Rein kommt der mir heute nicht.«
Jonas guckt zu Frederik hin, der maulig vor der Haustür steht. »Ja, Frederik?«, fragt er.
Frederik zuckt mit den Achseln, und Achselzucken ist nicht Weggehen. Achselzucken ist beinahe ja.
Jonas zieht sich im Düsentempo seine Gummistiefel an, und dann geht er mit Frederik nach draußen, und sie sind zwei Raketen, die mit hundert Kilometer Geschwindigkeit am Zaun entlangsausen. Aber lange macht das keinen Spaß. Frederik hat schon seinen Motor ausgeschaltet, und wenn er sich noch doller langweilt, lässt er Jonas vielleicht gleich stehen und geht zu einem großen Jungen aus seiner Klasse. Und dann hat Jonas wieder keinen zum Spielen.
»Brrrm!«, macht Jonas darum, und zum Schluss hin wird er immer leiser, bis der Motor ganz aus ist. »Frederik? Wollen wir mal Bergsteiger sein?«
»Bergsteiger?«, fragt Frederik und fliegt noch eine kleine Haarnadelkurve, bis er direkt vor Jonas landet. »Ohne Berge?«
Jonas schüttelt den Kopf. Jetzt hat er sich was ausgedacht, da ist nicht mal Frederik drauf gekommen.
»Da drüben«, sagt Jonas und zeigt mit dem Finger die Straße runter.
Da hinten haben die Bauarbeiter vor einer Woche ganz viele Gruben ausgebaggert. Das werden lauter neue Häuser, sagt Mama, aber erst mal sind nur die Gruben da und zwei große Berge mit Erde: einer ganz gelb, das ist die normale Erde, und einer ganz schwarz, das ist Mutterboden, der liegt extra. Wenn die Häuser fertig sind, kommt der Mutterboden in den Gärten wieder obendrauf, damit auch was wachsen kann.
»Da rauf«, sagt Jonas. Die Berge sind ziemlich riesig. Und die Bauarbeiter sind schon seit einer Woche nicht mehr da.
»Hm«, sagt Frederik. Ein kleines bisschen sieht er schon so aus, als ob er Lust hat.
»Frederik?«, sagt Jonas. »Ich hol uns auch ein Bergsteigerpicknick. Für uns beide ganz allein. Nur du und ich.«
»Hm«, sagt Frederik, aber dann rennt er doch neben Jonas her bis zur Haustür. Die hat Anika für Jonas angelehnt gelassen, und deshalb können sie auch ganz schnell in die Küche schleichen und sich Jonas’ Kindergartentasche schnappen. Die füllen sie aus dem Kühlschrank und aus der Obstschale voll, und zum Schluss holen sie sich noch eine Flasche Apfelsaft und zwei Plastikbecher. Die nimmt Mama zum Picknick auch immer mit.
Bis zum Berg sind sie wieder Raketen, aber beim Aufstieg sind sie echte Bergsteiger, Frederik mit der Flasche und Jonas mit der Tasche um den Hals. Es ist gar nicht so einfach, weil der Berg ganz matschig ist und bestimmt so hoch wie ein Haus.
Tausende von E-Books und Hörbücher
Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.
Sie haben über uns geschrieben: