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Timo liebt Haie und das Meer, aber besonders liebt er Papa! Timo hat einen großen, uralten Haifischzahn am Strand gefunden – ein schöneres Geschenk für seinen Papa, der nicht mit in den Urlaub fahren konnte, gibt es nicht! Papa musste arbeiten, es gab ein gutes Jobangebot, das glaubt zumindest Timo. Wie schön es sein wird, ihm von Italien zu erzählen: vom Strand, vom Meer und vom Tauchen. Und dann kommt alles ganz anders. Denn tatsächlich hat Timos Vater die Familie verlassen – im Haus ist sein Zimmer leer. Nur ein abgefallener Knopf von Papas Lieblingshose liegt auf dem Boden. Zum Glück ist Timo jetzt nicht allein. Zum Glück hat er seinen besten Freund Donnie und Mama und Onkel Hanno! Und manchmal ist er stark wie ein Hai.
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Seitenzahl: 109
Veröffentlichungsjahr: 2025
Timo liebt Haie und das Meer, aber besonders liebt er Papa!
Timo hat einen großen, uralten Haifischzahn am Strand gefunden und weiß genau: Der ist für Papa. Ein schöneres Geschenk aus dem Urlaub in Italien gibt es nicht. Denn Papa ist nicht mitgekommen. Er hatte ein tolles Jobangebot und ist zu Hause geblieben. Doch als die Familie heimkehrt, ist er verschwunden. Sein Zimmer ist leer. Nur einen abgefallenen Knopf seiner Lieblingshose findet Timo.
Was ist passiert?
Zum Glück ist Timo jetzt nicht allein! Zum Glück hat er seinen besten Freund Donnie, seine Mama und Onkel Hanno! Und manchmal ist er stark wie ein Hai.
Eine Geschichte über Freundschaft und Zusammenhalt
Zsazsa von Ammon
Mit Bildern von Hildegard Müller
Mama hatte entschieden, über Nacht zu fahren. So konnten wir den Tag noch am Strand verbringen, und ich würde trotzdem rechtzeitig zum ersten Schultag nach Hause kommen. Sie hatte die Rücksitze umgeklappt und uns zwischen den Koffern ein Lager aus Kissen und Decken gebaut. Durch die Heckklappe konnten wir sehen, wie die Sonne das Wasser erst golden und dann orange färbte. Es war wunderschön. Aber es machte mich auch ein bisschen traurig, denn es würde ein ganzes Jahr dauern, bis wir es zum nächsten Mal wiedersehen konnten.
Mein kleiner Bruder Tobi quengelte, dass er doch gesagt habe, dass er hier nie wieder wegwolle! Und dass er außerdem überhaupt nicht müde sei!
Aber kaum hatte Mama den Motor angelassen, war er schon eingeschlafen.
Ich wäre auch gerne noch länger geblieben, denn ich bin am allerliebsten am Meer, egal an welchem. Später möchte ich nämlich Hai-Forscher werden, und Haie leben in allen Meeren der Welt.
Ich schaute aus dem Rückfenster auf das glitzernde Wasser, bis es nicht mehr zu sehen war. Jetzt leuchteten nur noch die Lichter am Armaturenbrett, sonst war es ganz dunkel. Außer, wenn das Licht einer Straßenlaterne durch unser Auto wischte. Dann konnte ich sehen, dass an Tobis Backe etwas Sand klebte, der aus seinen Haaren gerieselt war. Das sah lustig aus. Aber als ich mich selbst hinlegte, merkte ich, dass auch aus meinen Haaren Sand rieselte und dass er sich schon überall auf und unter den Decken verteilt hatte. Egal wie ich mich hinlegte, es pikste und kratzte. Aber ich fand es nicht schlimm. So nahmen wir noch etwas vom Urlaub mit nach Hause, und die Palme im Wohnzimmer würde sich bestimmt über etwas frischen Sand freuen. Ich hoffte nur, dass ich ihn beim Aufwachen nicht zwischen den Zähnen haben würde.
Wie jedes Jahr waren wir in den Sommerferien in Trapani in Italien gewesen. Dort hat Mama ein kleines Ferienhaus von ihren Eltern geerbt. Trapani liegt an der Nordküste von Sizilien im Mittelmeer. Weit vom Ufer entfernt schwimmen manchmal Heringshaie vorbei. Und manche Weißen Haie kommen extra hierher, um ihre Jungen zu bekommen, denn das Wasser ist warm, und sie finden genug zu fressen.
Unser Nachbar in Trapani ist ein alter Fischer. Er heißt Camilo, und seine Haut ist rotbraun von der vielen Sonne. Auf der Wange hat er einen großen schwarzen Fleck. Mama sagt, es sei Hautkrebs. Aber Camilo lacht nur, wenn sie das sagt.
»An irgendetwas muss man ja sterben«, meint er. Das stimmt wohl, aber ich möchte nicht, dass Camilo stirbt, denn er ist mein Freund. Jedenfalls noch nicht so bald.
Manchmal nimmt er mich in seinem kleinen Fischerboot mit hinaus aufs Meer. Vor vielen Jahren ging ihm einmal ein kleiner Hai ins Netz, ein Baby-Mako, kaum einen Meter lang. Makos sind wunderschön: Sie sind bläulich am Rücken und weiß am Bauch. Das ist eine perfekte Tarnung, denn von unten sind sie hell wie der Himmel und von oben blau wie das Wasser. Sie haben eine spitze Schnauze und sind die schnellsten Schwimmer im Meer. Bevor Camilo ihn zurück ins Meer warf, durfte ich ihn anfassen. Wenn man einem Hai vom Kopf zum Schwanz streicht, fühlt seine Haut sich an wie Samt. Wenn man wieder zurückstreicht, wie Schmirgelpapier. Der kleine Hai zappelte wie wild, und ich konnte sehen, dass er mehrere Reihen dreieckiger Zähne hatte, jeder einzelne mit kleinen scharfen Zacken versehen. Das sah sehr gefährlich aus. Schließlich warf Camilo ihn wieder ins Wasser, und er verschwand blitzschnell in die Tiefe. Seitdem liebe ich Haie, und mittlerweile weiß ich fast alles über sie.
Man muss sehr geduldig sein, um sie im Meer zu entdecken, aber das bin ich. Ich kann lange sitzen und warten, ohne zu sprechen und ohne dass mir langweilig wird. Papa sagt, das sei die wichtigste Voraussetzung für einen guten Forscher!
Wenn man Glück hat und scharfe Augen, kann man zwischen den Felsen am Strand Haizähne finden. Camilo hat mir einige geschenkt, und dieses Jahr hatte ich sogar selber großes Glück, denn ich habe einen Zahn gefunden, der fast so lang ist wie Tobis kleiner Finger. Camilo sagte, er stamme von einem Kurzflossen-Mako und sei ein guter Schutz. Wovor genau, hat er nicht gesagt. Er redet nicht viel.
Ich habe lange überlegt, was ich mit dem Zahn mache. Ob ich ihn als Anhänger um den Hals trage, wie Camilo das macht, ob ich ihn an meine Wand hänge oder ob ich ihn in eine Schachtel in meinen Schreibtisch lege, sodass nur ich ihn anschauen kann.
Aber schließlich habe ich entschieden, ihn Papa mitzubringen, denn er konnte dieses Jahr nicht mit nach Sizilien kommen. Er hatte nämlich einen großen Auftrag, den er sich nicht durch die Lappen gehen lassen durfte, wie er sagte.
Papa ist Industriekletterer. Er arbeitet auf Strommasten, Fabrikschornsteinen, Kirchtürmen, manchmal auch auf sehr hohen Bäumen, auf jeden Fall immer in sehr großen Höhen. Er muss sich gut mit Seilen sichern und weiß daher alles über Knoten. Respekt vor der Höhe und die richtigen Knoten sind das Allerwichtigste, sagt er. Er darf nicht leichtsinnig sein und keinen Fehler machen, denn herunterfallen tut man genau einmal. Danach ist es aus und vorbei. Mama sagt, er dürfe auf keinen Fall vergessen, dass er nicht Spiderman ist.
Der Auftrag, den er sich nicht durch die Lappen gehen lassen konnte, bestand darin, von einem Hubschrauber aus, über dem Wasser am Seil hängend, Schrauben an Windrädern anzubringen. Ich denke, da kann er Schutz wirklich gut brauchen! Auf jeden Fall besser als ich, denn ich mache in der Regel keine gefährlichen Sachen.
Beim Gedanken an Papas Gesicht, wenn ich ihm den Zahn geben würde, wurde ich ganz aufgeregt. Ich konnte es kaum erwarten. Am liebsten hätte ich den Koffer aufgemacht, um zu prüfen, ob der Zahn noch darin war. Aber wo sollte er denn sonst sein?
Mama hat Angst vor Haien, aber Papa versteht, dass sie mir so gut gefallen.
Als er in Trapani anrief, um mir zum elften Geburtstag zu gratulieren, versprach er mir eine Reise nach Gansbaai in Südafrika. Dort würden wir dann zusammen den Tauchschein machen! Und danach würden wir uns in einem großen Käfig ins Wasser senken lassen und Weiße Haie beobachten! Sie kommen ganz nah heran, denn sie sind sehr neugierig. Mama meint, ihr würde das Herz stehen bleiben, wenn sie so ein Maul voller Zähne mit Widerhaken vor sich sehen würde. Aber dann lacht Papa sie aus, denn auch das stärkste Hai-Gebiss kann keinen Stahlkäfig durchbeißen, sagt er. Und außerdem mögen Haie gar kein Menschenfleisch.
Aber Südafrika ist leider sehr weit weg. Der Tauchschein und der Flug dorthin sind teuer, und in den Käfig lassen sie einen auch nicht umsonst, sagt Mama. Außerdem ist sie strikt gegen Flugreisen, wegen der Luftverschmutzung.
Ich beschloss aber insgeheim, zu Hause trotzdem sofort mit dem Geldsparen anzufangen. Damit Papa nicht zu viele Überstunden machen musste.
Für mich ist das einfach, weil Mama Hundetrainerin ist, und ihre Kundinnen oft jemanden brauchen, der mit ihren Hunden spazieren geht. Ich mache das gerne. Von Mama weiß ich fast alles über Hunde, und die meisten kann ich gut verstehen. Daher habe ich auch keine Angst vor ihnen. Nicht einmal vor den »Verkorksten«. So nennt Mama die Hunde, die falsch oder gar nicht erzogen wurden.
Vom Geld, das Papa bei seinem tollen Auftrag verdiente, konnte er aber bestimmt auch einiges für Gansbaai auf die Seite legen.
Bei diesem Gedanken muss ich eingeschlafen sein, denn als ich wieder wach wurde, lag ich in meinem Zimmer in meinem Bett, und Mama sagte, ich solle aufstehen, damit ich den Schulbus nicht verpasste. Sie war blass und sah sehr müde aus, und ihre Augen waren ganz rot. Für Menschenaugen ist es eben sehr anstrengend, viele Stunden lang in der Dunkelheit durch eine Autoscheibe zu gucken. Für Haie wäre das überhaupt kein Problem.
Ich sprang sofort aus dem Bett. Mama hatte es in der Nacht nicht mehr geschafft, das Auto auszuräumen, und daher lief ich als Erstes nach draußen, um den Mako-Zahn für Papa zu holen. Noch im Auto klappte ich den Koffer auf und nahm ihn aus dem Seitenfach. Obwohl der Zahn wahrscheinlich lange im Wasser gelegen hatte, bevor er ans Ufer gespült wurde, waren die Widerhaken noch scharf. Ich schloss meine Hand trotzdem ganz fest um ihn, damit er ja nicht herausfiele. Dann stürmte ich die Treppen zurück nach oben und riss die Tür zu Papas Zimmer auf.
Ich hatte mir immer wieder vorgestellt, wie sehr Papa sich freuen würde, weil wir wieder zurück waren und weil ich ihm so ein tolles Geschenk mitgebracht hatte!
Aber es war ganz anders. Es war so anders, dass in meinem Kopf alles durcheinandergeriet und ich eine ganze Weile lang gar nichts verstand:
Papas Zimmer war nämlich leer.
Ich meine, ganz leer: Es war nicht so, dass Papa nicht darin war – es war überhaupt nichts darin! Gar nichts! Nicht sein Bett, nicht sein Tisch, nicht sein Schrank, nicht die Bilder an der Wand und nicht die große Wanne, in der er seine Seile und Karabiner und Werkzeuge aufbewahrt. Nichts als ein bisschen Staub.
Kurz dachte ich, ich sei im falschen Zimmer. Aber das war natürlich völliger Unsinn, denn unser Haus hatte ja nicht über die Sommerferien plötzlich neue Zimmer bekommen.
In diesem Moment stürmte Tobi an mir vorbei. Ihm kam es wohl gar nicht komisch vor, dass Papa nicht da war, denn er hatte sofort die Idee, seine Holzeisenbahn aufzubauen. Noch nie zuvor hatte es nämlich so viel freie Fläche dafür gegeben!
Mama sagte, das sei wirklich eine tolle Idee, aber dass Tobi leider bis zum Nachmittag damit warten müsse, wenn er zurück aus der Kita käme, denn wir dürften auf gar keinen Fall den Bus verpassen.
Da merkte ich erst, dass Mama in der Tür stand.
»Wo ist Papa?«, fragte ich.
Aber sie hob nur ihre Schultern, und sie tat es auf eine Weise, dass ich begriff, dass sie es auch nicht wusste, und daher fragte ich erst mal nicht weiter nach.
Tobi und ich liefen in die Küche. Nach sechs Wochen würden wir zum ersten Mal wieder Müsli zum Frühstück bekommen. Darauf hatten wir uns beide schon seit Tagen gefreut. Aber jetzt freute ich mich nicht, denn dazu war ich viel zu durcheinander.
Als Tobi schon auf seinem Kinderstuhl saß und lautstark nach seiner Schüssel krähte, ging ich noch einmal zurück und öffnete ein zweites Mal Papas Zimmertür. Als könnte ich mich geirrt haben.
Natürlich war es immer noch genauso leer. Nur die Sonne schien jetzt durchs Fenster, und dadurch hatten sich vier helle Flächen auf dem Boden gebildet. In einer von ihnen lag ein einsamer Knopf. Ich erkannte sofort, dass es der Knopf von Papas Lieblingshose war, der mit den vielen Taschen, in die alles hineinpasste, was er über den Tag brauchte.
Ich stellte mir vor, wie Papa morgens in seine Hose schlüpfte und dann erst merkte, dass er sie gar nicht anziehen konnte, weil sie ohne Knopf nicht halten würde. Da tat er mir so leid, dass ich beinahe angefangen hätte zu weinen. Ich nahm den Knopf und steckte ihn in die Hosentasche, in der auch der Mako-Zahn lag. So waren beide in Sicherheit.
Dann ging ich zurück in die Küche, wo Tobi sich gerade einen riesigen Löffel Müsli in den Mund schob. Obwohl die Hälfte wieder zurück in die Schüssel fiel, hatte er dicke Backen wie ein Hamster und wirkte völlig zufrieden. Ich fragte mich, warum er es offensichtlich ganz normal fand, dass Papa weg war.
Mama stand an der Spüle und schnitt Obst für unsere Vesperdosen. Auf einmal rief sie ganz verzweifelt: »Oh nein! Ihr hättet doch nicht gleich ALLE Trauben anfressen müssen!« Ich verstand nicht, was sie meinte, denn ich hatte bestimmt keine Trauben angefressen, und also lief ich zu ihr. In der Spüle stand ein Sieb, in dem Mama die Trauben gewaschen hatte, und tatsächlich hatte jemand alle Trauben aufgebissen und die Kerne herausgefressen. Außerdem lagen kleine, dicke schwarze Würstchen darin, und Mama sagte: »Na, immerhin waren es weder Mäuse noch Ratten. Die kacken nämlich anders.«
Und dann fing sie an zu weinen.