Männer Gottes -  - E-Book

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Beschreibung

Ein Jahresbegleiter in 12 Kapiteln entlang biblischer und historischer Männergestalten (wie Martin von Tours, Franz von Assisi, Franz Jägerstätter). Namhafte Autoren erläutern die verschiedensten Lebenssituationen, "Stände", Berufsgruppen und krisenhafte Erfahrungen der Männergestalten. Lebensbrüche und Bewältigungsstrategien werden sichtbar und können Veränderungsimpulse für heutige Männer sein.

Autoren sind u.a.: Pierre Stutz, Abt Johannes Eckert, Wunibald Müller, Thomas Söding

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Benedikt Lautenbacher SJ, Andreas Ruffing (Hrsg.)

MÄNNER GOTTES

12 Porträts aus Bibel und Tradition

Ein Jahresbegleiter

Kösel

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Copyright © 2013 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlag: fuchs_design, München

ISBN 978-3-641-10885-4V002

www.koesel.de

Inhalt

Vorwort

Erzbischof Ludwig Schick

Januar

Sebastian: Kraftvoll und verletzbar

Pierre Stutz

Februar

Jakob: Der Mann der Konflikte – von Gott gesegnet

Andreas Ruffing

März

Josef: Der heilige Eunuch

Peter Modler

April

Konrad von Parzham: Im Hintergrund leben

Paulus Terwitte

Mai

Jeremia: »… als brenne in meinem Herzen ein Feuer«

Wunibald Müller

Juni

Paulus: Wahre Stärke – jenseits von Leistung

Christoph Walser

Juli

Benedikt von Nursia: Auf der Suche nach einer guten Balance!

Johannes Eckert

August

Franz Jägerstätter: Glauben wie ein Kind – handeln wie ein Mann

Benedikt Lautenbacher

September

Tobias und Tobit: Über Männerrollen und Männerleben

Martin Rosowski

Oktober

Franz von Assisi: Wild und Weise

Markus Hofer

November

Martin von Tours: Engagiert die Gleichheit mit dem Nächsten leben

Christian Herwartz

Dezember

Jesus von Nazaret: Gottes Mann auf Erden

Thomas Söding

Autorenverzeichnis

Vorwort

Bamberg, im März 2013

»Männer Gottes«, so lautet prägnant und unmissverständlich der Titel des Buches.

Zwölf Autoren stellen in diesem Buch zwölf Männer aus Bibel und Kirchengeschichte vor. Sie sind davon überzeugt, dass die Männer, deren Leben sie beschreiben, heutigen Männern etwas zu sagen haben. In den Hoffnungen und Ängsten dieser zwölf Männer, in ihrem Glauben und in ihren Zweifeln, auf ihren Wegen und manchmal auch auf ihren Irrwegen spiegeln sich Erfahrungen wider, die Männer heute genauso noch machen oder machen können. Zwölf Porträts – für jeden Monat eins – sind auf diese Weise entstanden; sie sind aus allen Zeiten und Epochen genommen: Der Bogen spannt sich vom Alten zum Neuen Testament, von der frühen Kirche und dem Mittelalter bis in die Zeit des Nationalsozialismus. Unter den porträtierten Männern befinden sich sehr bekannte Gestalten wie Paulus und Franz von Assisi, aber auch weniger bekannte wie Konrad von Parzham und Franz Jägerstätter. Die zwölf Männer unterscheiden sich nach Herkunft, Bildung und Lebensweg. Die sozialen, kulturellen und religiösen Umstände, unter denen sie lebten, sind vielfältig. Ihr Mann-Sein gestalten sie vor dem Hintergrund der Rollenerwartungen und Rollenzuschreibungen ihrer Zeit. Sie sind keine uniformen Mainstream-Gestalten, sondern Männer, die ihren je eigenen Weg suchen und gehen und dafür auch Widerspruch und Ablehnung in Kauf nehmen.

Was macht diese zwölf Männer zu »Männern Gottes«? Zuallererst, dass in ihrem Leben Gott vorkommt und von ihnen Raum bekommt. Sie erfahren Gott auf je eigene Weise. Sie lassen sich von Gott anrühren und in Bewegung setzen. Mit ihrem Leben geben sie anderen Männern ein glaubwürdiges Zeugnis: Gott ist auch in meinem Leben erfahrbar und will darin wirken.

In den »Richtlinien für die Männerseelsorge und kirchliche Männerarbeit« des Jahres 2003 heißt es unter »II. Aufgaben – und Handlungsfelder«: »Die Kirche bestärkt daher die Männer in der Suche nach ihrer Eigenheit und Besonderheit. Sie sagt ihnen, dass mehr in ihnen steckt, als sie in der gegenwärtigen Situation aus sich machen, und dass ihnen durch Christus ein reicheres Leben verheißen ist, als sie je aus eigener Kraft gestalten können.«

Damit beziehen sich die Richtlinien auf die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils »Gaudium et spes« Nr. 22 (Christus, der neue Mensch): »Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst kund und erschließt ihm seine höchste Berufung. [… Er, der] ›das Bild des unsichtbaren Gottes‹ (Kol 1,15) ist, er ist zugleich der vollkommene Mensch, der den Söhnen Adams die Gottebenbildlichkeit wiedergab, die von der ersten Sünde her verunstaltet war.«

»Männer Gottes« sind die, die durch den Sohn Gottes, Jesus Christus, der auch schon im Alten Bund ›geheimnisvoll‹ wirksam war, zu vollkommenen Menschen werden.

In den Richtlinien für die Männerseelsorge und die kirchliche Männerarbeit wird zudem ausdrücklich darauf hingewiesen: »Die katholische Männerseelsorge und die kirchliche Männerarbeit setzt biografisch an den Lebenssituationen und Lebensvollzügen der Männer an […] und ermuntert sie, ihr Mannsein zu gestalten.« Wenn das Buch »Männer Gottes« Biografien von Männern Gottes vorstellt, dann geschieht dies auch mit dem Ziel, in der Auseinandersetzung mit den Biografien anderer die eigene Biografie zu entwickeln, das heißt: an Männern Gottes ebenfalls zum Mann Gottes zu werden.

In einem Interview sagt der tschechische Theologe Tomáš Halík: »Glaube ist nicht in erster Linie das Handeln einer Institution oder einer Doktrin. Es geht um Lebensgeschichten, in denen sich der Glaube verkörpert und die ganz unterschiedlich ausfallen können.« Und er fügt hinzu: »Auf diese Weise kann man im Übrigen auch die Verehrung der Heiligen innerhalb der katholischen Kirche Protestanten nahebringen.« Halík beschließt seine Antwort, indem er feststellt: »Jede ihrer Lebensgeschichten ist eine kreative, bisher noch nicht da gewesene Interpretation des Glaubens angesichts der Zeichen der Zeit« (HK 67 2 / 2013, S. 72–73).

Heilige und Selige sowie alle »Männer Gottes« führen zu Jesus Christus, damit in ihm die Menschen zu dem werden, was sie sein können und sollen, vollkommene Menschen in Jesus Christus.

Deshalb ist es sehr sinnvoll, dass Abschluss und Höhepunkt der zwölf Biografien »Jesus von Nazaret« selbst bildet.

Das Buch »Männer Gottes« lädt Männer und ebenso Frauen aller christlichen Konfessionen sowie alle Interessierten ein, sich Monat für Monat auf einen dieser zwölf Männer Gottes einzulassen und in der Begegnung mit ihm ganz persönlich für sich zu entdecken: Ja, auch ich bin in meinem Leben dazu gerufen, Mann oder Frau Gottes zu sein!

Mein Dank gilt Autoren, Herausgebern und Verlag, die dieses Buch verfasst und veröffentlicht haben. Es möge viele Leser und Leserinnen finden, viele ansprechen und auf ihrem Glaubens- und Lebensweg weiterbringen.

Erzbischof Dr. Ludwig Schick

Januar

SEBASTIAN: KRAFTVOLL UND VERLETZBAR

Pierre Stutz

»Ich habe es satt, hungrig zu sein«, sagt Klemens Manzl, ein Teilnehmer bei der Vorstellungsrunde an einem Besinnungswochenende zum Thema »Authentisch sein«. Die anderen Gruppenmitglieder horchen auf. Die Zeit scheint für einige Momente stillzustehen. Da bringt einer in wenigen Worten auf den Punkt, was tief in uns als Sehnsucht angelegt ist: anerkannt zu sein mit seiner bedürftigen Seite. Da will einer nicht mehr übersättigt werden mit oberflächlichen Überlebensstrategien. Ein Mann bringt sich kraftvoll mit seiner verletzlichen Seite ein. Diese Spur entdecke ich auch beim heiligen Sebastian, der vielen durch die unzähligen Gemälde bekannt ist, auf denen ein schöner Jüngling zu sehen ist, dessen Brust mit Pfeilen durchbohrt ist. Kaum ein Heiliger wurde in der Kunst so oft dargestellt wie Sebastian. Von seiner Herkunft und seinem Leben wissen wir wenig. Der Legende nach soll er in Narbonne oder in Mailand aufgewachsen sein. In Rom wird er als Hauptmann der Prätorianergarde am kaiserlichen Hof Diokletians geschätzt. Zuerst verheimlicht er seinen christlichen Glauben, um dank seiner hohen Stellung vielen christlichen Glaubensgenossen in den Gefängnissen beistehen zu können. Als seine christliche Überzeugung bekannt wird, verurteilt ihn Kaiser Diokletian zum Tode durch Bogenschießen. Durchbohrt von vielen Pfeilen wird er liegen gelassen, obwohl er noch nicht tot ist. Irene, eine fromme Witwe, pflegt ihn gesund. Diese Grenzerfahrung stärkt ihn innerlich. Nach seiner Genesung wagt er sich wieder an den kaiserlichen Hof. Er klagt den Kaiser öffentlich wegen seiner grausamen Christenverfolgungen an und wird danach um das Jahr 288 im Zirkus zu Tode gepeitscht.

Sein Martyrium wird in Rom erstmals im Jahre 354 bezeugt. Heute noch erinnern an der Via Appia die Basilika San Sebastiano fuori le mura (Sankt Sebastian vor den Mauern) und die Sebastian-Katakomben an ihn. Sein Gedenktag ist der 20. Januar. Ab dem 6. Jahrhundert wird er zum Schutzheiligen gegen die Pest, später wird er zum Patron der Sterbenden, Schützen, Soldaten, Kriegsinvaliden, Eisengießer, Steinmetze, Gärtner, Waldarbeiter und Töpfer und heute ist er auch eine Schwulen-Ikone als Patron gegen Aids.

Bilder machen Leute

Höchst spannend ist die Entwicklung, die sich in den unzähligen Darstellungen des Sebastian in der Kunstgeschichte entdecken lässt. Ab dem 5. Jahrhundert wird er als Krieger mit Schild und Schwert dargestellt, danach als betagter, in Ketten gefesselter Soldat. In der Renaissance, ab dem 15. Jahrhundert, wird Sebastian immer jünger und immer schöner und er verliert seine Kleider! Eine erotische Dimension klingt an. Das Motiv des ersten Martyriums, in dem er mit Pfeilen beschossen wird, setzt sich bis heute durch. In den wenigen Informationen zum Leben des heiligen Sebastian und in der Art und Weise, wie sich das Bild eines Mannes im Laufe der Jahrhunderte verändert und wie ein Mann in seiner Schönheit, seiner erotischen Lebenskraft und seiner Verletzlichkeit dargestellt wird, entdecke ich folgende aktuelle Männerthemen:

Geradestehen für sein Leben

Sebastian steht gerade für sein Leben, für seine Überzeugung. Er tut dies mit Entschiedenheit und Klugheit. Vorerst teilt er seine christliche Grundhaltung nicht mit, sondern er lebt sie in leidenschaftlicher Gelassenheit. Geschickt setzt er seinen Handlungsspielraum als Hauptmann ein, um Verfolgten und Entrechteten beistehen zu können. Geradestehen für seine Werte und authentisch sein bedeutet, mit Weisheit abzuwägen, wo sich auch strukturell etwas verändern lässt oder wo es anzunehmen gilt, »nur« in seinem persönlich-beruflichen Umfeld sehr viel Gutes bewirken zu können. Deshalb bleibe ich seit vielen Jahren den Tag hindurch beim Aufstehen einen Moment stehen. Ich schließe die Augen, atme tief durch und lasse mich innerlich aufrichten, damit ich geradestehen kann für meine Talente und meine Fehler. In meinem unscheinbaren Dastehen verbinde ich mich mit Menschen auf der ganzen Welt, die auch auf- und einstehen für die Menschenrechte und den Schutz der Natur. Sie stärken meine Hoffnung im Glauben an das Gute im Menschen.

Mann als Opfer

Irgendwann muss der Leidensdruck so groß geworden sein, dass Sebastian sich entscheidet, zu seiner innersten Überzeugung zu stehen. Wir wissen nicht, ob er dies freiwillig tat oder ob er verraten wurde. In den Legenden, die rund um ihn entstehen, wird berichtet, dass er auch andere Männer zum Martyrium ermutigt haben soll. Solche Texte befremden mich erst einmal: jung zu sterben, um sich einen Logenplatz im Himmel zu sichern? Zu einer gesunden Spiritualität gehört für mich ein kritisches Hinterfragen eigener Handlungsmotive, die einem zuerst gar nicht bewusst sein können. Zugleich hilft es uns nicht weiter, wenn wir zu schnell unbeliebte Worte wie »sich aufopfern« aus unserem Leben abspalten. Die Zunahme von Burn-out zeigt drastisch, dass immer mehr Männer ungesund leben und dass es ein Irrtum ist, zu meinen, vor allem Frauen würden sich aufopfern. Männer sind auch in Gefahr, gelebt zu werden, weil sie ihre Gesundheit, ihre Beziehungen auf den Leistungsaltären der Firmen opfern. Die Begegnung mit Sebastian zeigt mir, dass es heilsam ist, gut hinzuschauen, wie wir mit den täglichen Herausforderungen des Berufsalltags umgehen, um nicht resigniert und ohnmächtig in einer Opferrolle stecken zu bleiben. In einer Welt, in der alles immer schneller und machbarer werden soll, braucht es ein waches Bewusstsein für eine gute Balance. Es bedeutet, sich selber ernst zu nehmen mit seiner schöpferischen Lebenskraft und seiner Begrenztheit. Es gilt, achtsam die Signale unseres Körpers und unserer Psyche wahrzunehmen und sie so zu deuten, dass ein gesunder Lebens- und Arbeitsrhythmus entstehen kann. Das schreibt sich leicht, bleibt jedoch eine Gratwanderung, ein Leben lang. Wir können Schritt für Schritt, wenn wir einander bekräftigen, Widerstand wagen für mehr Lebensqualität. Sie kann sich entfalten, wenn wir regelmäßig Distanz schaffen zur Hektik. Sportliche Betätigungen wie Joggen, Schwimmen, Fußball, Krafttraining und meditative Übungen wie Yoga, Qigong, Tai-Chi können uns inspirieren, um sich auch den Tag hindurch Nischen des Aufatmens zu schaffen. Wir können uns selbst unterbrechen, um Sorge zu tragen für unsere Gesundheit und für ein gutes Arbeitsklima.

Männersolidarität

Die Witwe des Märtyrers Castulus entdeckt den schwer verletzten Sebastian mit Pfeilen in seiner Brust. Auch sie meint, er sei tot, und sie will ihn beerdigen. Dabei entdeckt sie, dass er noch lebt. Sie nimmt ihn auf und pflegt ihn gesund, eine berührende Tat. Nachdenklich stimmt mich die Abwesenheit anderer Männer. Wo sind sie? Wie drücken sie ihre Solidarität mit einem angesehenen Hauptmann aus? Wo sind jene Männer, denen Sebastian beigestanden ist?

Es ist mir schmerzvoll vertraut aus meiner Lebensgeschichte, dass ich mich mit meinen Verwundungen und meiner Verletztheit anderen Männern nicht zugemutet habe. Hand aufs Herz: Wann zeige ich meine eigene Bedürftigkeit und Verunsicherung einem anderen Mann, anderen Männern? Wann hole ich mir Hilfe und Unterstützung bei anderen Männern? Wer, was kann mich unterstützen, mich anderen Männern nicht erst zu zeigen, wenn ich wieder alles unter Kontrolle habe, sondern wenn ich selber nicht mehr ein noch aus weiß?

Wer oder was kann mir helfen, aus der Rolle des Einzelkämpfers hinauszuwachsen?

Männersolidarität beschränkt sich natürlich nicht nur auf das Mitteilen von Grenzerfahrungen, sondern auch das Anteil-nehmen-Lassen an Lebenslust, Erfolg und Leichtigkeit.

Mehr als meine Verwundungen

»Was immer sich an Verwundungen in meinem Leben angehäuft hat, ich will mein Leben nicht auf diese Verletzung reduzieren. Ich bin mehr als das und zu einem befreiten Leben gerufen …«, heißt einer meiner eindrücklichsten Tagebucheinträge, den ich vor zwanzig Jahren in einer verzweifelten Nachtstunde geschrieben habe. Diese lebensbejahende Grundhaltung findet sich in vielen Kunstwerken des heiligen Sebastian, die seit der Renaissance entstanden sind. Da begegnen wir einem verwundeten Mann, der jedoch durch seinen Blick und seine Körperhaltung ausdrückt, dass er innerlich nicht zerbrochen werden kann. Im Hit des Berliner Popduos Rosenstolz »Wir sind am Leben« heißt es »Ich kann deinen Herzschlag hören, keiner kann dich zerstören, du bist am Leben«. An dieser ver-rückten Hoffnung gilt es festzuhalten: zu vertrauen, dass wir am Schweren reifen und wachsen können und dass unser innerer göttlicher Kern unantastbar und unzerstörbar ist. Eine gewagte Aussage! Sie ist nie endgültig zu haben, sondern möchte lebenslänglich neu buchstabiert werden.

Leid soll weder gesucht noch verherrlicht werden, zugleich ist auch uns Männern aufgetragen, einen lebensbejahenden Umgang mit dem Leiden zu entfalten. Wir können einander unterstützen, um in den Erschütterungen des Lebens eine Wachstumschance entdecken zu können; nie ein für alle Mal, sondern im Auf und Ab, in der Spannung von Empörung und Annahme, von Widerstand und Ergebung (Dietrich Bonhoeffer): Dazu brauchen wir Weggefährten, die uns erinnern, dass wir mehr sind als unser Gedankenkarussell, als unsere Leistung und auch mehr als unsere Verwundungen, unsere Frustrationen, unser Misserfolg. Dies wird möglich, wenn wir unseren Schmerz nicht überspielen oder verdrängen, sondern auch anderen zumuten.

Zum Glück gescheitert

»Zum Glück gescheitert« heißt der Slogan eines Männertages in Winterthur, zu dem eine Männergruppe eingeladen hat. Dem starken, erfolgreichen Mann, der cool (= unterkühlt) durchs Leben geht, setzen sie ein befreiendes Männerbild entgegen, in dem auch die Dünnhäutigkeit und das Scheitern seinen Platz haben darf. Vordergründig können wir auch von Sebastian sagen, dass er kläglich gescheitert ist. Er hat wie der Liebhaber des Lebens aus Nazaret wegen der Grausamkeit, der Ausbeutung und der Brutalität der Welt mit seinem Leben bezahlt. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit darf nie beschönigt werden. Wir können uns ihr entgegensetzen mit unserem engagierten Einsatz für eine Welt, die gerechter und zärtlicher werden kann. Trotzdem verpassen wir ein geglücktes Leben, wenn wir es auf Erfolg reduzieren. Wir werden krank an einem einseitigen Glückswahn, in dem das Leben nur mit seinen schönen Seiten lebenswert sein soll. Sebastian lädt mich ein, mir Zeit zu nehmen, um mich zu fragen, wo ich in meinem Leben aufgrund von durch-kreuzten Plänen und Hoffnungen zu mir selber und zu einer neuen Lebendigkeit befreit worden bin. Dies lässt sich sehr oft erst im Nachhinein würdigen, indem ich entdecke, wo, wie ich »zum Glück gescheitert« bin und wie ich durch eine schmerzvolle Zumutung in mir etwas integrieren konnte, was ich vorher von mir ferngehalten oder abgespaltet habe. Der Sänger Konstantin Wecker schreibt in seinem Buch »Die Kunst des Scheiterns«, dass im Annehmen der Begrenztheit von Glück wir wirklich glücklich werden können. Dies deckt sich mit meiner Umschreibung von Glück, die mir nach einer dreißigtägigen Schweigezeit zugefallen ist: »Glücklich bin ich, wenn ich auch jeden Tag unglücklich sein darf!!«

Der Clown Johannes Galli aus Freiburg im Breisgau spricht sogar von der »Lust am Scheitern« als Chance, um authentischer werden zu können. Er schreibt so tiefsinnige Sätze wie »Clown wird man erst, wenn man keine andere Möglichkeit mehr hat« oder »Der Clown tut immer im richtigen Moment genau das Falsche«.

In diesen Worten finde ich die Spur zu Sebastian, der in einem Umfeld des Machtmissbrauches die Unmenschlichkeit entlarvt. Sein Gewissensentscheid stärkt ihn, an Werten festzuhalten, auch wenn sie von einer Mehrheit mit Füßen getreten werden. Dadurch wird er zum Wegbegleiter für alle jene Männer und Frauen, die sich nicht an Ungerechtigkeit gewöhnen wollen. Sebastian kann uns inspirieren, für unsere Überzeugungen einzutreten, auch wenn sie im Moment nicht mehrheitsfähig sind. Er kann uns ermutigen, sich für Werte einzusetzen, im Wissen, dass wir selber die Früchte nicht ernten werden, weil ein langer Atem notwendig ist. Es bedeutet, dem Scheitern eine andere Bedeutung zu geben im Leben. Als erfolgsverwöhnter Mann habe ich lange gebraucht, um mich in meinem persönlichen Leben mit dem Scheitern anzufreunden. Nebst einer Psychotherapie und Gesprächen im Freundeskreis hat mir die mystische Spur eine neue Lebensgrundhaltung geschenkt. In meiner Verzweiflung habe ich in meiner zweijährigen Burn-out-Zeit seitenweise in mein Tagebuch geschrieben »ich gehe zugrunde«. Dies war für mich das Schlimmste, was einem Menschen passieren konnte. So wird diese Redewendung bis heute von den meisten verstanden und verwendet. Mitten in dieser allgemeinen Verunsicherung entdecke ich beim Mystiker Johannes Tauler (1300–1361) aus Straßburg, ein Weggefährte von Meister Eckhart, eine sinnstiftende Deutung eines Ganges in die eigene Tiefe. »Geh deinem Leben auf den Grund, geh deiner Angst vor Liebesentzug auf den Grund, geh deiner Überaktivität auf den Grund. Es kann sehr wehtun. Vertraue, dass du durch den Schmerz hindurch in eine neue Weite und Freiheit geführt wirst«, ließ Johannes Tauler mir ausrichten.