Männerherzen in der dunklen Jahreszeit - Homo Schmuddel Nudeln - E-Book

Männerherzen in der dunklen Jahreszeit E-Book

Homo Schmuddel Nudeln

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Beschreibung

Diesmal lautet das Motto: dunkle Jahreszeit. Die Bandbreite reicht von Halloween bis Neujahr. Wenn es draußen dunkel wird, zünden wir eine Kerze an und denken an die, die es nicht so gut haben wie wir. Liebe Autorinnen und Autoren haben deshalb nach ihren Tastaturen gegriffen und Geschichten verfasst, um Spenden zu sammeln und denen zukommen zu lassen, die ein Licht in der Dunkelheit benötigen. Wie immer erhalten die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz Berlin sämtliche Einkünfte, um sie an Bedürftige zu verteilen. 1. Die Sache mit der Nikomaus Cookie – Sissi Kaipurgay 2. Glücksflockenkugel - Tess Noctua 3. Dessert zum Verlieben - Ann Salomon 4. Begegnung zu Samhain - Raven le Fay 5. Novemberregen - Karo Stein 6. Glück in der Silvesternacht - Amalia Zeichnerin 7. Warten auf J. – Lois Nabakow 8. Eine Tasse Liebe – Sabine Reifenstahl 9. Galaxy Harmony – Erinnerungen - Ann Salomon 10. Schrottwichteln – P. R. Jung 11. Jessys Neuanfang - Homo oder Hetero, das ist hier die Frage – Jan Jürgenson Warnhinweis: Enthält Zucker, Dialekt, Spuren von Sahne und Nüssen

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Sache mit der Nikomaus Cookie – Sissi Kaipurgay

1.

2.

3.

4.

Glücksflockenkugel - Tess Noctua

Prolog - Alvar

Lukas

Dessert zum Verlieben - Ann Salomon

Begegnung zu Samhain - Raven le Fay

Novemberregen - Karo Stein

Glück in der Silvesternacht - Amalia Zeichnerin

Warten auf J. – Lois Nabakow

ERSTER AKT

ZWEITER AKT

DRITTER AKT

Eine Tasse Liebe – Sabine Reifenstahl

Galaxy Harmony – Erinnerungen - Ann Salomon

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Schrottwichteln – P. R. Jung

Jessys Neuanfang - Homo oder Hetero, das ist hier die Frage – Jan Jürgenson

Männerherzen

in der dunklen Jahreszeit

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Copyright Texte: bei den Autoren

Fotos: Depositphotos_5797970_l-2015, Shutterstock 393984700, 71723296

Cover-Design: Lars Rogmann

Korrektur: Aschure, Bernd Frielingsdorf, Sissi!

Kontakt:https://www.sissikaipurgay.de/

Sissi Kaiserlos/Kaipurgay

c/o Autorenservice Karin Rogmann

Kohlmeisenstieg 19

22399 Hamburg

Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

für den 38. Band der Homo Schmuddel Nudeln lautet das Motto: dunkle Jahreszeit. Die Bandbreite reicht von Halloween bis Neujahr.

Wenn es draußen dunkel wird, zünden wir eine Kerze an und denken an die, die es nicht so gut haben wie wir. Liebe Autorinnen und Autoren haben deshalb nach ihren Tastaturen gegriffen und Geschichten verfasst, um Spenden zu sammeln und denen zukommen zu lassen, die ein Licht in der Dunkelheit benötigen.

Wie immer erhalten die Schwestern der Perpetuellen Indulgenz Berlin sämtliche Einkünfte, um sie an Bedürftige zu verteilen.

Danke, dass du das Buch gekauft hast und damit ein Teil des gemeinnützigen Projektes bist.

Im Namen aller Autorinnen und Autoren wünsche ich eine besinnliche Advents- und Weihnachtzeit sowie einen guten Rutsch ins Neue Jahr.

Im Nudelgewand

Sissi Kaiserlos

Die Sache mit der Nikomaus Cookie – Sissi Kaipurgay

Moritz lebt mit seiner Schwester und Nichte in einer Wohnung. Eines Abends trifft er in der Küche auf eine Maus, die sich für den Nikolaus hält. Na ja, nur für einen von angeblich vielen Nikoläusen, die sich Nikomäuse nennen. Bei einer Scheibe Käse kommen sie ins Gespräch.

1.

Moritz horchte auf. Hatte sich etwas im Flur bewegt? Er lauschte angestrengt. Nach einigen Momenten senkte er den Blick wieder auf die Buchseite, die er gerade las.

Erneut vernahm er ein verdächtiges Geräusch. Mit einem genervten Seufzer legte er seine Lektüre auf den Couchtisch und ging nachsehen. Die Tür zum Kinderzimmer war geschlossen, also geisterte Nicki nicht herum. Seine Nichte hätte sie nämlich offenstehenlassen.

Er schaute in die Küche. Auf dem Tisch stand der Teller mit dem Käsebrot, das Nicki nach einem Bissen verschmäht hatte. Später wollte er es vielleicht essen. Bis dahin sollte er es in den Kühlschrank stellen.

Als er den Raum betrat, stieß er mit dem Fuß gegen etwas, das daraufhin über den Fliesenboden schlidderte. Verwundert ging er zu der Ecke, in der es gelandet war und hob es auf. Es handelte sich um eine Art Rucksack. Wie hießen diese Dinger noch? Ach ja, Kiepe. Nicki besaß einen Haufen Playmobil, doch dafür, um dazuzugehören, war es zu groß. Außerdem schien es aus Holz, nicht aus Plastik zu bestehen.

Er legte das Teil auf den Tisch, schnappte sich den Teller und ging zum Kühlschrank.

Ein jammernder Piepslaut veranlasste ihn, misstrauisch rüber zu Nickis Zimmer gucken. Erneut erklang das Piepsen. Die Quelle schien ganz in der Nähe, und zwar auf Bodenhöhe, zu sein. Er scannte den Fußboden. Schaute da, hinter dem Tischbein, nicht ein langer Schwanz hervor? Vorsichtig, um, was auch immer sich dort versteckte, nicht zu verscheuchen, ging er in die Hocke. Tatsächlich: Es handelte sich um einen Schwanz. Im nächsten Moment lugten zwei schwarze Knopfaugen um die Ecke. Eine Maus!

„Hunger!“, ertönte ein hohes Stimmchen.

Erneut spähte er in Richtung von Nickis Zimmer. Unverändert war deren Tür geschlossen. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Tischbein.

„Ich hab soooooo dollen Hunger!“ Flehentlich guckten ihn die Knopfaugen an.

Eine sprechende Maus? Moritz sah sich nach allen Seiten um, ob sich seine Schwester irgendwo versteckte und ihn zum Narren hielt. Dann hätte er sie jedoch nach Hause kommen hören. Selina war nach dem Abendbrot aufgebrochen, um mit ihren Freundinnen um die Häuser zu ziehen. Gewöhnlich kehrte sie, wenn sie mit ihren Mädels unterwegs war, erst gegen Mitternacht zurück.

„Du da?“, piepste es zu seinen Füßen.

Lautlos hatte sich die Maus herangeschlichen. Sie stellte sich auf ihre hinteren Pfoten und beäugte begehrlich den Teller in seinen Händen.

„Darf ich den Käse haben? Biiiiiiiite! Ich ster-her-herbe vor Huuuuuunger.“

Das klang so eindringlich und verzweifelt, dass er weich wurde. Er nahm die Käsescheibe vom Brot und hielt sie dem Tierchen vor die Schnauze. Die Maus schnappte sich ihre Beute und schleppte sie unter den Tisch. Dort ließ sie sich auf ihrem Hintern nieder und begann, die Scheibe in einem Affenzahn zu verspeisen.

Ein possierlicher Anblick. Moritz setzte sich ebenfalls auf den Boden, um ihr beim Essen zuzugucken und nachzudenken. Konnten alle Mäuse sprechen oder war sie eine Ausnahme? Wo kam sie her? Ihm waren keine Löcher aufgefallen, durch die das Tierchen passen könnte.

Inzwischen hatte die Maus den Käse verputzt. Sie leckte sich die Pfoten ab, strich sich über die Schnurrhaare und begab sich auf alle Viere. „Gib mir meine Kiepe wieder“, verlangte sie.

„Erst verrätst du mir, wieso du sprechen kannst.“

Die Maus schnaubte. „Was ist das denn für eine doofe Frage?“

„Normalerweise sprechen Tiere nicht.“

„Ich bin kein Tier ...“ Sie richtete sich auf ihre hinteren Pfoten auf und funkelte ihn an. „... sondern eine Nikomaus.“

„Was soll das denn bitteschön sein?“

„Nikomäuse füllen an Nikolaus die Stiefel der Kinder. Das weiß doch jeder.“

„Der Nikolaus macht das. Allerdings ist der nur eine Sagengestalt. In Wirklichkeit erledigen das die Eltern der Kinder.“

Die Maus schnaubte erneut und zeigte ihm einen Vogel. „Schön wär’s. Dann hätten wir im Herbst nicht solchen Stress.“

Das Tierchen hatte eindeutig nicht alle Latten am Zaun. Da man Irre nicht provozieren sollte, beließ er es dabei. „Und wie heißt du?“

„Cookie. Pronomen es.“

„Ist das dein Nachname oder willst du damit andeuten, dass du dich weder weiblich noch männlich fühlst?“ Griff die Genderei jetzt auch schon auf Mäuse über?

„Manchmal fühle ich mich wie das eine, manchmal wie das andere.“

„Und wo kommst du her? Oder wohnst du in meiner Küche?“

Cookie schüttelte den Kopf. „Ich darf dir nicht sagen, wo meine Butze ist. Du bist zwar ganz nett für einen Leut, aber es ist trotzdem verboten.“

In diesem Moment knallte beim Nachbarn die Wohnungstür so laut zu, dass es nicht zu überhören war. Jemand stampfte die Treppe runter.

Cookie spitzte ihre Ohren und piepste: „Au Backe! Da hat’s gekracht.“

Sie lauschten, bis unten die schwere Haustür ins Schloss fiel, dann richtete Cookie das Wort an ihn: „Was ist denn nun mit meiner Kiepe?“

„Möchtest du noch ein Stück Käse?“ Moritz wollte ihre Unterhaltung unbedingt fortsetzen. Schließlich traf man selten im Leben eine sprechende Maus. Eigentlich nie, doch darüber dachte er lieber nicht nach.

Ihre Schnurrhaare zitterten, die Knopfäuglein wurden riesengroß. „Yommi!“

Er stand auf, holte aus der Packung, die im Kühlschrank lag, eine weitere Scheibe und setzte sich wieder hin. „Wie viele seid ihr denn in eurem Bau?“

Den Blick auf die Käsescheibe gerichtet, antwortete Cookie: „Viele.“

„Zehn? Zwanzig? Ihr müsst sehr viele sein, um all die Stiefel zu füllen.“

Sie nickte lediglich.

„Und wie transportiert ihr das ganze Zeug? In deine Kiepe passt ja kaum etwas rein.“

„Zwei Kekse haben da locker drin Platz.“ Cookie stellte sich auf ihre Hinterpfoten und grabschte nach dem Käse, den er ihr vor die Nase hielt. Die Scheibe hinter sich her schleifend huschte sie unter den Tisch. Darüber, wann der Boden zuletzt gewischt worden war, wollte Moritz auch lieber nicht nachdenken. Es war eh nicht sein Magen, in dem der Staub landete.

Da Cookie mit Fressen beschäftigt war, schnappte er sich die Kiepe und inspizierte sie. Vorher hatte er gar nicht bemerkt, dass etwas Rotes darin steckte. Er zog es heraus. Es entpuppte sich als winzige Nikolausmütze.

„Lasch meine Mütsche in Ruhe!“, schimpfte Cookie mit vollen Backen.

Moritz verdrehte die Augen und stopfte sie zurück in die Kiepe. „Wieso heißt du eigentlich Cookie? Wäre Keks nicht passender?“

„Der Schef schagt, wir müschen unsch verdenglischen.“ Cookie schluckte den Bissen runter. „Unser Chef ist sehr modern.“

In der Piepsstimme schwang Stolz mit.

„Und wieso bist du eigentlich in meiner Küche?“

„Vanilleschucker“, erwiderte Cookie, die wieder vom Käse abgebissen hatte. „Aber du hascht schowasch nicht.“

Das bedeutete, dass die Maus in den Schränken gewühlt hatte. Er schüttelte sein Unbehagen ab. „Wir backen nur ganz selten.“

Cookie nuschelte: „Wasch für eine Schande.“

„Was macht ihr eigentlich nach Nikolaus? Seid ihr auch für Weihnachten zuständig?“

Cookie schüttelte den Kopf. „Wir schammeln Vorräte für den nächschten Nikolausch.“

Die Logistik dürfte in Anbetracht der kleinen Transportmittel tatsächlich einige Zeit in Anspruch nehmen. Moment! Glaubte er den Scheiß etwa? Es war faktisch unmöglich, dass Mäuse in aller Welt die Stiefel füllten. Andererseits saß in seiner Küche ein sprechendes Exemplar.

Selbiges verleibte sich das letzte Stück Käse ein und schloss genüsslich die Äuglein. Wenn das niedliche Tierchen Nicki in die Finger fiele, es hätte nichts zu lachen. Seine Nichte würde es wahrscheinlich in Barbieklamotten stecken.

„Aah! Das war soooooo lecker!“ Cookie rieb sich den Bauch. „Aber jetzt muss ich weiter und Vanillezucker auftreiben. Sonst gibt’s Ärger mit dem Chef.“ Sie trippelte zu ihm rüber. „Kriege ich meine Kiepe?“

Er händigte das Gewünschte aus.

Flink schulterte sie die Kiepe. „Danke für den Käse“, piepste sie und flitzte an ihm vorbei.

Als er sich in Richtung Flur drehte, sah er nur noch ihren Schwanz um die Ecke huschen.

Eine Weile saß er da und grübelte, ob er unter Halluzinationen litt. Dafür hatte die Maus aber verdammt echt gewirkt. Einziger Beweis für Cookies Besuch: zwei verschwundene Käsescheiben. Vielleicht hatte er sie gegessen und dabei mit sich selbst gesprochen.

Zurück im Wohnzimmer ließ er sich auf der Couch nieder. Er konnte sich nicht dazu durchringen, weiter in dem Buch zu lesen. Gesundheitsmanagement war interessant, sonst würde er es nicht studieren, doch im Moment lag sein Fokus woanders. Eigentlich auf gar nichts. Moritz fühlte sich, als hätte er eine Gehirnwäsche hinter sich.

Irgendwann – er hatte ins Leere gestarrt – vernahm er Geräusche im Flur. Es klang, als ob ein kleines Tier über den Boden trippelte. Sein Blick wanderte zur Tür. Im nächsten Augenblick kam Cookie um die Ecke. Die Maus trug nun die rote Mütze und in der Kiepe steckten kleine Papiertüten, bei denen es sich vermutlich um Vanillezucker handelte.

Cookie stoppte vor der Couch, zog sich die Mütze vom Kopf und drehte sie in seinen Pfoten. „Du-hu?“

„Ähm ... ja?“

„Der Leut in der Butze neben dir ist sehr traurig.“

„Shit happens.“ Nebenan wohnte ein schwules Pärchen, bei dem es in letzter Zeit oft laut geworden war.

„Ja, ich weiß, aber ...“ Cookie seufzte. „Wenn Sunny heult, kann ich das auch nicht aushalten.“

„Wer ist Sunny?“

Cookies betrübte Miene hellte sich auf und seine Knopfaugen begannen zu strahlen. „Sunny ist der schönste Mäuserich der Welt. Er hat glänzendes Fell, tiefschwarze Augen und gaaaanz lange Schnurrhaare.“

„Ist er dein Freund?“

Cookie seufzte abermals. „Sunny steht nur auf Mäusinnen. Darum wäre ich ja auch lieber eine Sie.“

„Und was hat das mit meinem Nachbar zu tun?“

„Na ja ...“ Cookie senkte den Blick und fummelte an der Mütze herum. „Ich hab gedacht, du könntest ihn vielleicht trösten. Er weint ganz doll.“

„Wie stellst du dir das vor? Ich kann doch nicht einfach bei ihm klingeln.“

„Wieso nicht?“

„Weil man dafür einen Grund braucht.“

Cookie spähte zu ihm hoch. „Aber er weint doch.“

„Ich kenne ihn kaum.“

„Dann ... dann bring ihm ein Stück Käse.“

Amüsiert schmunzelnd schüttelte er den Kopf. „Das funktioniert nur bei Mäusen.“

„Ach so ...“, murmelte Cookie sichtlich enttäuscht.

„Ich könnte bei ihm anklopfen und fragen, ob er auch ein Mäuseproblem hat“, schlug Moritz vor.

„Was ist ein Mäuse-Problem?“

„Das ist, wenn kleine Nagetiere in Schränken wühlen und Vanillezucker stehlen.“

Cookie stemmte beide Pfoten in die Hüften. „Ich hab nicht gestohlen! Ich hab den Zucker nur mitgenommen!“

Sollte er der Maus die Definition für Diebstahl um die Ohren hauen? Ach, egal. Cookie war zu niedlich, um ihm lange böse zu sein.

„Was ist denn nun? Tröstest du ihn?“, maulte Cookie.

„Warum machst du das nicht?“

„Weil ich zurück in meine Butze muss. Ich bin schon viel zu lange unterwegs. Das gibt Mörder-Ärger mit dem Chef.“

„Also gut. Ich kümmere mich darum.“

Cookies Maulwinkel bogen sich hoch. „Du bist der Beste. Ich bin dann mal weg.“ Sprach’s, stülpte sich die Mütze über und flitzte davon.

2.

Etwas später stand Moritz vor der Tür des Nachbarn. So lange, wie er bei seiner Schwester lebte, also rund vier Jahre, wohnte nebenan Daniel Berger. Der zweite Bewohner war irgendwann dazugekommen.

Er betätigte die Türglocke. Es dauerte einige Moment, bis er Schritte vernahm. Das Mietshaus war total hellhörig. Als es gebaut wurde, hatte sich noch niemand Gedanken über Isolierung gemacht.

Die Wohnungstür wurde einen Spalt geöffnet. Daniels Augen waren gerötet.

„Hi. Ich wollte fragen, ob du Lust hast, mit mir ein Glas Wein zu trinken“, sagte er das Sprüchlein, das er ersonnen hatte, auf.

Daniel lächelte traurig. „Ich glaube, ich bin heute keine angenehme Gesellschaft.“

„Das macht nichts. Ich brauche nur mal eine Verschnaufpause vom Lernen.“

Daniel zögerte. Verständlich. Sie kannten sich ja bloß vom Sehen und hatten lediglich ein paarmal, wenn Nicki dabei war, ein paar belanglose Worte gewechselt. Seine Nichte besaß null Berührungsängste, sonst wäre wohl noch nicht mal das passiert.

„Und ich trinke nicht gern allein. Meine Schwester ist unterwegs, Nicki pennt ... na ja, die darf eh noch keinen Alkohol“, redete er weiter. Für die Nummer schuldete Cookie ihm was, sofern sie sich überhaupt je wiedersahen.

„Okay. Aber ich bringe den Wein mit“, gab Daniel nach.

„Klasse. Ich lass die Tür offen, damit du nicht klingeln musst und Nicki damit weckst.“ Er schenkte Daniel ein Lächeln und kehrte in seine Wohnung zurück.

Seit der Erzeuger seiner Nichte abgehauen war, lebte er bei seiner Schwester. Es war eine Win-Win-Situation. Er half ihr mit Nicki, so dass sie weiter ihre Arbeit machen und ihre Freizeit genießen konnte. Dafür musste er neben seinem Studium weniger jobben, weil er bloß einen geringen Mietanteil zahlte.

Er räumte ein bisschen im Wohnzimmer auf. Es lag immer irgendwelches Spielzeug herum, obwohl er Nicki oft ermahnte, Ordnung zu halten. Die Kleine war eben chaotisch, genau wie seine Schwester. Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm.

Ein Räuspern im Flur kündigte den Nachbarn an. Daniel spähte um den Türrahmen. „Hi.“

„Komm rein.“ Moritz machte eine einladende Geste in Richtung Couch, dem einzigen Sitzmöbel im Raum.

Damit Nicki mehr Platz zum Spielen hatte, war der Raum spärlich möbliert. Ein paar Regale, das übliche Entertainment-Center, Couch und dazu passender Tisch. Dafür gab es in der Küche einen großen Esstisch, an dem auch gemalt und gebastelt wurde.

„Setz dich doch“, bat er. „Ich hole nur schnell die Gläser.“

In der Küche ertappte er sich dabei, nach Cookie Ausschau zu halten. Keine Maus weit und breit.

Als er mit zwei Weingläsern ins Wohnzimmer zurückkam, stand Daniel vor einem der Regale und studierte die darin stehenden Buchtitel. Die Lektüre gehörte überwiegend Selina, weshalb sich darunter Sachen befanden, die er niemals lesen würde. Beispielsweise lustige Frauenromane. Dass es solche Kategorie gab, war ihm gar nicht bewusst gewesen, bis Selina ihm davon erzählt hatte.

Daniel gesellte sich zu ihm auf die Couch. Die Weinflasche war bereits entkorkt. Moritz war kein Kenner, nahm jedoch an, dass ein Tropfen mit einem derart hübschen Etikett gut sein musste.

Er schenkte ihre Gläser voll und hob seines hoch. „Auf einen angenehmen Abend.“

Daniel prostete ihm zu und nippte am Wein. Die Rötung um die Augen war inzwischen weniger auffällig. Lediglich ein bitterer Zug um den Mund wies darauf hin, dass es seinem Nachbarn nicht gut ging.

„Vermutlich hast du mitbekommen, dass Sergej vorhin ausgezogen ist. Er war ja ziemlich laut“, sagte Daniel.

„Ist er nicht schon ein paarmal ausgezogen?“ Türenknallen gehörte zu Sergejs Standardrepertoire. Jedenfalls nahm Moritz an, dass es nie Daniel gewesen war, der seinen Zorn an der Wohnungstür ausließ.

„Ja, aber diesmal endgültig.“ Daniel seufzte und drehte das Glas in den Händen, den Blick gesenkt. „Im Grunde der richtige Schritt, trotzdem tut es weh.“

Darauf wusste er nichts zu erwidern.

„Sorry, dass ich dich damit volllabere“, fuhr Daniel fort und zeigte auf das Fachbuch, das auf dem Couchtisch lag. „Was studierst du?“

„Gesundheitsmanagement.“

„Das sind doch die Leute, die in der Führungsriege von Pflegeeinrichtungen sitzen, oder?“

Moritz nickte. „Überwiegend ja. Es gibt aber auch andere Jobs. Ich hab nach der Schule ein freiwilliges soziales Jahr in einer Einrichtung für Menschen mit Handicap gemacht. Das hat mich darauf gebracht, mich dahingehend zu spezialisieren.“

„Wirst du den Pflegenotstand beheben?“ Daniel lehnte sich zurück und wirkte ehrlich interessiert.

„Dafür müsste ich in die Politik gehen. Das ist mir aber zu anstrengend. Bis man eine Position innehat, in der man überhaupt Änderungsvorschläge einbringen kann, hat man sich den Hintern an Stammtischen plattgesessen.“

„Stimmt. Das System sollte man auch überdenken.“

„Ganz meine Meinung. Dass uns Leute ohne jegliche Fachkompetenz regieren und haufenweise Berater bezahlen, – zumeist auch noch Verwandte und Bekannte, die genauso inkompetent sind – um diesen Mangel auszugleichen, ist schon ziemlich schräge.“

„Lass uns lieber nicht über Politik reden, sonst kommen wir über kurz oder lang auf den Rechtsruck, der die Republik erschüttert.“

„Und was machst du so beruflich?“

„Ich arbeite bei einem Großhandel für medizinisches Zubehör.“

„In welcher Position?“

„Als Einkäufer. Vor zehn Jahren, als ich damit angefangen habe, war es noch entspannt. Inzwischen muss ich den Lieferanten auch noch den letzten Cent aus den Rippen pressen.“

„Tja ... der Kapitalismus lässt grüßen.“

„Wie geht’s Nicki?“, wechselte Daniel das Thema.

„Bestens. Na ja, soweit ich das beurteilen kann. Sie kann schon ihren Namen schreiben und ein paar Worte lesen. Demnächst will Selina mit ihr zu so’nem Intelligenztest für Hochbegabte.“

„Die Arme. Hoffentlich ist sie ein normalbegabtes Kind.“

Als hätte seine Nichte ihren Namen gehört, erklang nebenan ein Geräusch. Moritz horchte auf. Als er einen kläglichen Laut vernahm, erhob er sich. „Sorry. Ich muss mal eben nach der Kleinen schauen.“

Nicole saß in ihrem Bett und weinte. Sie hatte schlecht geträumt. Es dauerte ein Weilchen, sie zu beruhigen und dazu zu bewegen, sich wieder hinzulegen.

„Ich lass die Tür einen Spalt auf“, versprach er ihr. „Dann kannst du das Licht sehen und uns hören.“

„Hast du Besuch?“, wollte sie wissen.

„Unser Nachbar Daniel ist da.“

Prompt setzte sie sich hin. „Ich will ihm hallo sagen.“

Moritz seufzte. „Aber danach gehst du wieder ins Bett.“

Sie nickte eifrig.

Es kam, wie es kommen musste: Sie wollte unbedingt bei ihnen sitzen und auch etwas trinken. Da sie bereits Zähne geputzt hatte, bekam sie ein Glas Wasser. Während er selbiges besorgte, flitzte sie in ihr Zimmer und holte eines ihrer Bücher. Daniel musste ihr daraus vorlesen. Zum Glück wirkte es auf sie beruhigend. Bald fielen ihr die Augen zu.

Moritz trug sie in ihr Zimmer, deckte sie zu und küsste sie auf die Stirn. Er liebte die kleine Maus wie sein eigenes Kind. Na ja, im Grunde war sie das ja auch fast.

Der Rest des Abends verlief ohne weitere Störung. Ihre Unterhaltung drehte sich um alles Mögliche, über Filme bis hin zu aktuellen Ereignissen.

Zum Abschied, als er Daniel zur Tür brachte, verabredeten sie, sowas mal zu wiederholen.

Beschwingt von dem Rotweingenuss begab sich Moritz ins Bad und verrichtete seine abendliche Routine. Aus dem Spiegel überm Waschbecken schauten ihm strahlende Augen entgegen. Er hatte Daniels Gesellschaft sehr genossen und freute sich auf ein baldiges Wiedersehen.

Am nächsten Morgen hielt er Nicki davon ab seine Schwester, die wohl erst weit nach Mitternacht heimgekehrt war, zu wecken. Nach dem Frühstück gingen sie auf den Spielplatz. Die Temperaturen waren einigermaßen erträglich, allerdings nur, solange man sich bewegte. Nicki tat das ausgiebig, indem sie rutschte, auf dem Klettergerüst rumturnte und mit den anderen Kindern Fangen spielte. Moritz hingegen saß auf einer Bank und fror bald bis auf die Knochen. Da sich Nicki so gut amüsierte, dass er sie unmöglich zum Heimgehen überreden konnte, stand er schließlich auf und begann, umherzulaufen.

Als er schon dachte, dass seine Zehen gleich abfallen würden, tauchte seine Nichte vor ihm auf und verkündete, unbedingt ein Eis essen zu wollen. Er ließ sich breitschlagen, mit ihr in das nahegelegene Einkaufscenter zu gehen. Dort war es geheizt und die Eisdiele bot auch warme Getränke an.

Bei ihrer Rückkehr – er hatte die Gelegenheit genutzt, um ein paar Lebensmittel zu kaufen – sah er eine bekannte Gestalt vor der Haustür stehen: Sergej. Kurz darauf trat der Typ ins Gebäude. Also hatte Daniel ihm geöffnet.

Moritz musste anhalten, weil er plötzlich Schmerzen im Brustkorb spürte.

„Was ist denn?“, maulte Nicki und zog an seiner Hand.

Langsam setzte er sich wieder in Bewegung. Die Vermutung, woher der Anfall rührte, gefiel ihm gar nicht. Sich in Daniel, der offenbar weiterhin eine Beziehung mit Sergej hatte, zu verlieben, wäre eine Riesendummheit.

Im Treppenhaus, als sie an Daniels Wohnungstür vorbeikamen, fühlte er erneut den Stich ins Herz. Scheiße! Es war also wirklich passiert. Er musste Daniel aus dem Weg gehen, bis die Vernarrtheit abgeklungen war.

Abends war er mit seiner Lerngruppe verabredet. Am folgenden traf er sich mit ein paar Leuten in einer Kneipe, um Dart zu spielen und an dem darauf wieder mit den Kommilitonen, mit denen er an einem Projekt arbeitete.

Immer, wenn er die Wohnung verließ oder zurückkam, war er versucht, an Daniels Tür zu lauschen. Er schaffte es, dem Drang zu widerstehen. Schließlich war er kein Stalker.

Die nächsten Tage verliefen ereignislos. An den Abenden hoffte er einerseits, dass Daniel bei ihm läutete, andererseits fürchtete er sich davor. Seine Gefühle wurden nicht weniger. Im Gegenteil: Seine Verliebtheit schien noch zuzunehmen.

Am Freitagabend klopfte es an der Wohnungstür. Seine Schwester war unterwegs, Nicki bereits im Bett. Er ging in den Flur, wobei sich sein Herz ängstlich verkrampfte. Ein Blick durch den Spion bestätigte seine Befürchtung: Daniel stand vor der Tür.

Leider kam nicht infrage, den Besucher zu ignorieren, denn er wusste ja aus Erfahrung, dass man jedes Geräusch im Haus hörte. Er öffnete die Wohnungstür, bemüht, eine neutrale Miene zur Schau zu stellen. „Hi.“

Daniel hielt eine Flasche Rotwein hoch. „Hast du Lust auf ein Glas Wein?“

In gespieltem Bedauern schüttelte er den Kopf. „Tut mir leid, aber ich bin total im Stress. Vielleicht ein anderes Mal.“

Daniel versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. „Schade. Dann klingele doch einfach bei mir, wenn es dir mal passt.“ Sein Nachbar wandte sich um und verzog sich in die gegenüberliegende Wohnung.

Einige Momente guckte Moritz die geschlossene Tür an, bevor er seufzte und ins Wohnzimmer zurückkehrte.

„Wer war das?“, rief Nicki.

„Nur der Nachbar“, erwiderte er.

„Daniel?“

Nebenan erklang ein dumpfes Geräusch. Nicki war aus dem Bett gesprungen, schlussfolgerte er und stand mit einem neuerlichen Seufzer vom Sofa auf. Es würde garantiert einige Zeit in Anspruch nehmen, bis wieder Ruhe eingekehrte.

3.

Gegen halb zehn – vor ungefähr einer Stunde hatte er Nicki das zweite Mal gute Nacht gesagt – vernahm er das Trippeln von Pfoten auf den Flurdielen. Sein Blick wanderte zum Türrahmen.

Knopfaugen spähten um die Ecke. „Huhu! Hast du ein bisschen Käse für eine arme, hungrige Nikomaus?

Erfreut über das Auftauchen der Maus erhob er sich und folgte ihr in die Küche. Im Kühlschrank befand sich ein Stück Emmentaler, von dem er einen kleinen Würfel abschnitt. Cookie, der neben seinen Füßen lauerte, grabschte danach, als er es ihm hinhielt, klemmte es sich ins Maul und flitzte unter den Tisch.

Er setzte sich auf den Fußboden. „Wie läuft es mit der Nikolaus-Bäckerei?“

„Schuper!“, antwortete Cookie mit vollen Backen.

„Und wie läuft es mit Sunny?“

Cookie hielt mitten im Kauen inne und ließ den Kopf hängen. „Nischt scho schuper.“

„Das tut mir leid.“ Er rückte näher an den Tisch, streckte den Arm aus und strich mit der Fingerkuppe über die rote Mütze. „Andere Mäusemütter haben auch schöne Söhne.“

„Isch will aber nur Schunny.“

Tja ... warum sollte es Cookie auch besser gehen als ihm? „Möchtest du ein paar Nüsse zu deinem Snack haben?“

Die Knopfaugen leuchteten auf. „Yommi!“

Moritz holte aus dem Schrank, in dem Backzutaten aufbewahrt wurden, eine Tüte Haselnüsse und legte ein paar vor der Maus ab. „Vielleicht solltest du deinem Sunny Komplimente machen. Oder ein paar Blumen schenken.“

Cookie, der gerade nach einer Nuss griff, erstarrte und schaute ihn mit einem Fragezeichen über der Stirn an.

„Blumen sind die bunten Dinger, die draußen wachsen.“

„Ich weiß, was Blumen sind, aber sowas schenkt man doch keinem Mäuserich.“

„Wieso nicht?“

Die Maus zupfte sich an den Schnurrhaaren. „Hm ... gut, ich kann’s mal versuchen.“

Eine Weile war nur Cookies Schmatzen zu vernehmen. Moritz guckte dem Mäuschen, dem die Mütze im Eifer des Gefechts immer tiefer auf die Nase rutschte, gern beim Fressen zu. Der Anblick war total entzückend.

Nach getaner Arbeit putzte sich Cookie, rückte die Nikolausmütze zurecht und schaute ihn eindringlich an. „Warum ist der Leut in der Butze neben deiner immer noch traurig? Hast du ihn nicht getröstet?“

„Natürlich hab ich das. Keine Ahnung, was da wieder los ist.“

„Schenk ihm Blumen. Darüber freut er sich bestimmt.“

Nachdem er selbst diesen Vorschlag gemacht hatte, konnte er Cookie schlecht einen Vogel zeigen. „Das macht man eigentlich nur, wenn man jemanden besonders mag.“

Cookie legte den Kopf schief. „Magst du ihn nicht?“

„Doch, aber da gibt es ein Problem und das heißt Sergej.“

„Probleme haben einen Namen?“, wunderte sich Cookie.

Wie sollte er das erklären? „Daniel und Sergej sind ein Paar. Sergej würde eifersüchtig werden, wenn ich seinem Partner Blumen schenke.“

„Da drüben ist nur ein Leut.“

„Das bedeutet nicht, dass die beiden nicht mehr zusammen sind.“

„Woran sieht man, ob zwei Leut zusammen sind?“

„Zum Beispiel daran, dass zwei Zahnbürsten im Bad stehen oder beide Betthälften benutzt sind. Es kann aber auch sein, dass ...“ Moritz brach mitten im Satz ab, da sein Gesprächspartner an ihm vorbei jagte, um den Türrahmen bog und aus seinem Blickfeld verschwand. Irritiert kratzte er sich am Kinn. Hatte er etwas Falsches gesagt?

Er stand auf, packte den Käse zurück in den Kühlschrank und die Nüsse zu den Backzutaten. Gerade als er sich anschickte, die Küche zu verlassen, fegte Cookie um die Ecke. Die Maus bremste scharf, wofür sie sich mit beiden Vorderpfoten auf den Boden stemmte. Dennoch rutschte sie ihm auf die Zehen.

„‘zeihung“, stieß Cookie hervor und schaute zu ihm hoch. „Es schläft nur einer in dem Nest von dem Leut und es gibt nur eine Bürste.“

Also wohnte Sergej zumindest nicht mehr bei Daniel. Ein Beweis für den endgültigen Bruch war es trotzdem nicht. „Es ist unfein, in den Wohnungen von anderen Leuten rumzuspionieren.“

Cookie richtete sich auf, ein Bild der Empörung. „Hab nicht spioniert! Hab bloß geguckt!“

In Punkto Schönreden war die Maus ein Meister. „Ich kann Daniel trotzdem keine Blumen schenken, weil um diese Zeit kein Blumenladen geöffnet hat.“

Cookie kniff die Augen zusammen und zwirbelte ihre Schnurrhaare mit der rechten Pfote. Das sah wie eine Denkerpose aus. „Ich weiß was! Du schenkst ihm Kekse.“

„Sowas hab ich nicht vorrätig.“

„Mist.“ Cookie ließ sich auf seinem Hintern nieder und stützte die Schnauze in seine Pfoten. „Ich weiß zwar, wo ganz viele sind, aber wenn ich welche abzweige und erwischt werde, kriege ich Mörderärger mit dem Chef.“

Plötzlich hörte Moritz Geräusche, die auf das Herannahen eines weiteren Nagers schließen ließen. Im nächsten Moment spähten schwarze Knopfaugen um den Türrahmen. Bei seinem Anblick zuckte die zweite Maus zurück.

„Hast du einen Kumpel mitgebracht?“, erkundigte sich Moritz.

„Nö. Wieso?“, brummelte Cookie.

„Weil wir Besuch haben.“

Cookie fuhr hoch, guckte sich nach allen Seiten um, reckte seine Nase in die Luft, schnupperte und trippelte in den Flur. „Was machst du denn hier?“, vernahm er die Piepsstimme.

„Du bist schon so lange weg, da hab ich mir Sorgen gemacht“, erwiderte die andere Maus. „Wieso redest du mit dem Leut? Das ist verboten!“

„Der Leut ist aber gaaaaaanz lieb.“

Erneut linsten kurz Knopfaugen um die Ecke. Moritz bemühte sich um einen harmlosen Eindruck.

„Und er hat gaaaanz viel Käse und Nüsse“, fuhr Cookie fort.

„Yommi! Meinst du, er gibt mir was davon?“

„Wir fragen ihn mal“, beschloss Cookie.

Beide Mäuse tauchten in seinem Sichtfeld auf. Die zweite sah genauso aus wie Cookie, mit Ausnahme eines weißen Flecks an der Schnauze.

„Das ist Sunny, Pronomen er“, stellte Cookie seinen Kumpel vor. „Er hat gaaaanz dollen Hunger.“

Während sich die Mäuse unterm Küchentisch an einigen Käsewürfeln und einer Handvoll Nüsse gütlich taten, dachte Moritz über seinen Nachbarn nach. Daniel hätte doch niemals bei ihm geklingelt, wenn mit Sergej noch was laufen würde, oder? Es gab nur eine Möglichkeit rauszufinden, ob er vielleicht doch eine Chance hatte.

Als der letzte Krümel verschwunden war, erkundigte sich Cookie: „Kriegen wir Proviant für den Heimweg?“

Was für eine verfressene Maus! Moritz stopfte je einen Käsewürfel und einige Nüsse in die Kiepen der beiden, dann brachen die zwei auf.

„Bei den Leut heißen Probleme Sergej“, hörte er Cookie im Flur dozieren. „Und Leut schenken einander keinen Käse und keine Nüsse.“

„Arme Leut. Was bin ich froh, eine Nikomaus zu sein“, erwiderte Sunny.

Als ihr Trippeln verklungen war, begab er sich ins Bad und musterte sich im Spiegel. Wie üblich standen seine ungebärdigen Haare in alle Richtungen ab. Mit einer Bürste versuchte er, sie zu zähmen, doch sie widersetzten sich jeglichem Styling. Seufzend gab er schließlich auf. Letztendlich hatte Daniel ihn eh schon in diesem Zustand gesehen. Es war also überflüssig, sich jetzt noch in ein besseres Licht rücken zu wollen.

An der Garderobe schlüpfte er in Adiletten. In der Wohnung lief er auf Socken rum, aber im Treppenhaus zog er lieber Schuhe an. Man wusste ja nie, ob einer der Bewohner in Hundekacke getreten war und das Zeug überall verteilt hatte.

Nachdem er all seinen Mut zusammengekratzt hatte, bezog er vor Daniels Wohnungstür Aufstellung und drückte auf den Klingelknopf. Rasch näherten sich Schritte.

Daniel öffnete. Bei seinem Anblick verflüchtigte sich das Stirnrunzeln zugunsten eines Lächelns. „Hi. Mit dir hab ich gar nicht mehr gerechnet.“

„Hast du immer noch ... immer noch Lust auf Wein? Ich ... ich wäre jetzt dabei.“ Vor Aufregung stotterte er.

„Klar. Ich hol nur eben den Stoff.“ Daniel huschte davon, um mit einer Weinflasche in der Hand wieder aufzutauchen.

In seiner Wohnung bedeute er Daniel, den Zeigefinger über die Lippen gelegt, sich auf Zehenspitzen sowie stumm an Nickis Zimmer vorbei ins Wohnzimmer zu bewegen. Schmunzelnd gehorchte sein Nachbar.

Moritz ging in die Küche, holte Weingläser aus einem Schrank und einen Korkenzieher aus einer der Schubladen. Sein Herz pochte so schnell, dass ihm ein bisschen schwindelig war. Er lehnte sich gegen die Arbeitsfläche und atmete tief durch, bevor er sich zu Daniel gesellte. Die Tür lehnte er an, damit sie ein wenig Privatsphäre hatten.

Im Gegensatz zu dem Vogelnest auf seinem Kopf wirkte Daniels Haar wie frisch von einem Künstler gestylt. Es war gescheitelt und sah aus, als ob eine Brise die einzelnen Strähnen nach hinten wehte. Augen wie geschmolzene Schokolade guckten ihn unter irre langen Wimpern hervor an. Der Rest von Daniel war ebenfalls sensationell ... jedenfalls soweit er das beurteilen konnte, denn er besaß keinen Röntgenblick, um unter die Kleidung zu gucken.

Daniel entfernte den Korken und schenkte ihnen ein. „Ich freu mich, dass es doch noch geklappt hat.“

Darauf wusste er nichts zu erwidern. Seine Lüge war ihm schrecklich peinlich.

„Wie läuft‘s denn mit dem Studium?“, redete Daniel weiter.

„Momentan hab ich ziemlich viel zu tun, aber bald ist ja ein bisschen Pause.“ Zwischen Weihnachten und Neujahr war vorlesungsfrei. Dafür brummte vermutlich der Supermarkt, in dem er jobbte, wie verrückt.

Stille trat ein. Daniel schien gedanklich weit entfernt und Moritz kämpfte mit seinem Verstand, der ums Verrecken nichts Konstruktives produzierte. Es war echt ätzend, wenn Emotionen die Kontrolle übernahmen.

„Sag mal ...“, beendete er schließlich das Schweigen. „Hat sich das mit Sergej wieder eingerenkt?“

Daniel schüttelte den Kopf. „Neulich hat er seinen restlichen Kram abgeholt. Ehrlich gesagt bin ich erleichtert.“

„Wieso?“

„Weil das mit uns eh keine Zukunft hat. Wir sind zu verschieden. Ich bin eine Couchpotato, er ein Szenegänger.“

„Gegensätze ziehen sich an, sagt man.“

„Ausnahmen bestätigen die Regel.“ Daniel nippte am Wein.

Moritz hatte also freie Bahn. Allerdings stand in den Sternen, ob Daniel bereit war, etwas Neues einzugehen. Für One-Night-Stands war er nämlich nicht zu haben. Diesbezüglich war er ein Spießer.

Wieder breitete sich Stille aus. Daniel starrte ins Weinglas. Das beobachtete Moritz, der an einem imaginären Fussel an seiner Jeans herum zupfte, aus dem Augenwinkel.

Erneut sammelte er all seinen Mut zusammen und drehte sich zu Daniel, der sich gleichzeitig in seine Richtung wandte. Einen endlosen Moment guckten sie einander in die Augen. Er glaubte, eine unausgesprochene Frage in den schokobraunen Tiefen zu sehen.

„Es ... es tut mir leid, dass ich ... dass ich vorhin so doof zu dir war“, stammelte Moritz, abermals unter Hochspannung.

„Warst du doch gar nicht.“

„Na ja ... doch, irgendwie schon.“ Er verpasste sich innerlich einen Tritt in den Hintern. „Ich hatte gar nicht viel zu tun. Ich dachte nur, dass du und Sergej noch ... und da wollte ich nicht dazwischen ... verstehst du?“ Das wäre ein Wunder, so komisch, wie er sich ausgedrückt hatte.

„Heißt das ...? Willst du damit sagen, dass du ...?“ Ohne hinzusehen stellte Daniel das Weinglas auf den Couchtisch. „Dass wir ... dass zwischen uns ...? Dass da was ist?“

Moritz schaffte es lediglich zu nicken. Seine Kehle war wie zugeschnürt.

Daniels Gesicht kam näher. Seine Sicht verschwamm. Er spürte Lippen auf seinen. Sein Herz ging in den Überschlagsmodus.

Dem zärtlichen Kuss folgte ein zweiter und dritter. Er hörte auf zu zählen und schlang einen Arm um Daniel. Ihm war watteleicht zumute.

Irgendwann ließ sie das Geräusch eines Schlüssels, mit dem sich jemand an der Wohnungstür zu schaffen machte, auseinanderfahren. Atemlos von ihrer Knutscherei schauten sie sich an.

Moritz‘ Schwester rumorte im Flur, bevor sie ins Wohnzimmer trat. „Hi. Ich wusste gar nicht, dass du Daniel eingeladen hast.“

„Hab ich auch nicht. Ich meine, ich hab’s vorhin auch noch nicht gewusst.“ Moritz merkte, dass seine Wangen heiß wurden.

Selinas Blick huschte zwischen Daniel und ihm hin und her. Ein breites Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. „Störe ich?“

„Nein“, antwortete Daniel, gleichzeitig sagte Moritz: „Ja.“

Ihre Mundwinkel bogen sich noch höher. „Ich wollte eh gleich ins Bett. Macht weiter mit dem, wobei auch immer ich euch unterbrochen habe. Gute Nacht.“

4.

Als sich die Tür hinter seiner Schwester geschlossen hatte, griff Daniel nach seiner Hand und verflocht ihre Finger miteinander. „Wollen wir in meine Bude umziehen?“

Moritz stahl sich ein Küsschen und nickte.

Mitsamt ihren Gläsern und der Weinflasche wechselten sie in Daniels Wohnzimmer. Obwohl er nur Augen für seinen Herzbuben hatte, bemerkte Moritz, wie schön der Raum gestaltet war. Sämtliche Farben, von braun bis hellgelb, harmonierten und vermittelten Gemütlichkeit.

Auf der Couch verwickelte Daniel ihn in eine Knutscherei, die in Petting ausartete. Als sie beide mit offenen Hosen und obenrum nackt dasaßen, schlug Moritz – heiser vor Lust – vor: „Wollen wir in dein Bett umziehen?“

Der Umzug ging nicht so glatt wie der erste vonstatten. Er kollidierte im Flur mit einer Kommode, Daniel mit einem Türrahmen. Am Ziel entledigten sie sich ihrer restlichen Klamotten. Wie bereits vermutet befand sich unter Daniels Kleidung ein ansehnlicher Körper. Aus der Mitte ragte ein ordentliches Kaliber hervor. Zeit, Minderwertigkeitskomplexe zu bekommen, ließ Daniel ihm nicht, sondern überfiel ihn mit dem nächsten Kuss.

Sie zerwühlten die Laken. (Tatsächlich war nur eine Betthälfte benutzt, genau wie Cookie erzählt hatte). Schlussendlich lief es darauf hinaus, dass Daniel ihnen zusammen einen runterholte. Dazu, weiterzugehen, war Moritz noch nicht bereit. Es wirkte auch nicht so, als ob Daniel mit dem Handjob unzufrieden wäre. Mit einem zufriedenen Seufzer kuschelte er sich an Daniels Schulter.

Plötzlich kitzelte etwas seinen Fuß. Er spähte nach unten und sah eine kleine, rote Mütze. Knopfaugen tauchten über seinen Zehen auf. Cookie winkte wild und verschwand aus seinem Sichtfeld. Er interpretierte das als: Folge mir. Lassie und Flipper hatten es ja auch immer so gemacht.

„Ich muss kurz pinkeln“, flunkerte er, hauchte Daniel einen Kuss auf die Lippen und krabbelte aus dem Bett.

Auf dem Flur wartete Cookie und flitzte in die Küche, als die Maus ihn erblickte. Er latschte hinterher.

„Ich hab dir was mitgebracht“, verkündete Cookie und drehte ihm den Rücken mit der Kiepe zu.

Er fischte zwei in Zellophan gewickelte Kekse heraus. Wie süß war das denn? Im Zwielicht – lediglich die Straßenlaternen spendeten ein wenig Helligkeit – konnte er nicht erkennen, um welche Sorte es sich handelte. Als er daran schnupperte, erhaschte er leckeren Zimt-Vanilleduft.

„Eigentlich brauchst du die wohl nicht mehr“, redete Cookie weiter und wandte sich wieder in seine Richtung. „Oder warum liegst du mit dem Leut im Nest?“

„Daniel mag mich sehr.“

„Ooooh!“, piepste Cookie. „Wie schööööön!“

„Nicht wahr?“

„Weißt du was?“ Cookie winkte erneut, woraufhin er sich runterbeugte. „Sunny mag mich auch.“

„Das ist ja toll.“

„Nicht wahr?“ Die Maus strahlte. „Er hat gesagt, dass er mit mir die Sterne angucken möchte.“

Anscheinend war Sunny ein Romantiker. „Danke für die Kekse.“

Plötzlich flammte die Deckenleuchte auf. Cookie stieß einen panischen Piepslaut aus und flüchtete hinter den Mülleimer. Moritz richtete sich auf und entdeckte Daniel, ebenfalls im Adamskostüm, im Türrahmen.

„Mit wem sprichst du da?“, verlangte Daniel zu wissen.

„Ähm ... ich ...“ Beim besten Willen fiel ihm keine Erklärung ein.

Pfoten trippelten über die Fliesen. Cookie stoppte neben seinen Füßen. „Hi. Ich bin Cookie. Pronomen: er.“

Mit ungläubiger Miene starrte Daniel die Maus an.

„Cookie ist eine Nikomaus und zuständig dafür, an Nikolaus die Stiefel der Kinder zu füllen“, ergänzte Moritz.

Daniel schien es die Sprache verschlagen zu haben.

„Er hat uns Kekse mitgebracht“, fügte er hinzu und zeigte Daniel die kleinen Köstlichkeiten.

„Ich ... also, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.“ Abwechselnd schaute Daniel die Kekse, Moritz und Cookie an.

„Kommt ihr ohne mich klar?“, erkundigte sich Cookie. „Sunny wartet auf mich.“

„Ich denke schon“, erwiderte Moritz, beugte sich runter und strich Cookie über Köpfchen. „Danke für alles.“

Die Maus flitzte an Daniel vorbei. Das Trippeln ihrer Pfoten verlor sich im Flur.

„Hab ich eben wirklich eine sprechende Maus mit roter Mütze gesehen?“, fragte Daniel im Flüsterton.

„Ich hab’s anfangs auch nicht glauben können, aber es gibt sie wirklich. Die Kekse sind der Beweis.“ Er hielt Daniel selbige auf seiner Handfläche hin.

Mit sichtlichem Misstrauen, als ob es sich um Gift handeln könnte, beäugte Daniel die Kekse.

„Gehen wir wieder ins Bett? Mir wird kalt.“

Daniel nickte, drehte sich um und marschierte voran.

Als sie sich in einen Kokon aus Decken gehüllt hatten, erzählte Moritz von Cookies Rolle in der ganzen Sache. Nachdem er geendet hatte, verspeisten sie die Kekse. Sie schmeckten himmlisch und zergingen auf der Zunge.

„Ich glaube, Cookie ist keine Nikomaus, sondern ein kleiner Amor“, sinnierte Daniel.

Dem stimmte Moritz uneingeschränkt zu. Er hoffte, dass Cookie mit Sunny genauso viel Glück wie er hatte.

Daniel rückte ihm auf die Pelle. Ein Kuss vertrieb sämtliche Gedanken an Cookie aus seinem Schädel. Wenig später löste sich sein Verstand in einem lustvollen Nebel auf. Es gab nur noch fühlen, schmecken und riechen.

Draußen, in der Dunkelheit, saßen zwei Mäuse mit roten Mützen Pfote in Pfote auf einer Grasnarbe und hatten nur Augen füreinander. Über ihnen funkelten Millionen Sterne.

ENDE

Glücksflockenkugel - Tess Noctua

Prolog - Alvar

Alvar sah die Liste der Gläubigen durch und seufzte.

„Verluste?“, wollte Santa wissen und nippte an seinem Kakao, der den ganzen Raum mit dem Aroma von Schokolade und Zimt erfüllte.

„Ja, wieder ein paar Hundert Menschen mehr, die den Glauben an Weihnachten verloren haben.“

Alvar ließ sich in den Sessel neben seinem Boss fallen und das Kissen in seinem Rücken begann blechern Feliz Navidad zu grölen. Was ihn wieder daran erinnerte, warum er sich normalerweise nicht setzen wollte.

Für einen Moment starrte er in die züngelnden Flammen des offenen Kamins, der sich ihnen gegenüber befand.

Das Büro von Santa war eingerichtet wie ein Wohnzimmer, mit flauschigem Teppich und Bücherregalen, die mit Weihnachtsromanen vollgestopft waren. Alles garniert mit der geschmacklosesten und kitschigsten Deko, die man sich vorstellen konnte. Halb nackte Engelchen hingen von der Decke, glupschäugige Rentiere lauerten überall und ein debil grinsender, überlebensgroßer Schneemann in der Zimmerecke schien einen mit seinem Blick zu verfolgen.

„Jetzt schau nicht so böse!“, verlangte Santa.

Alvar sah ungläubig zu ihm hinüber. Den alten pausbäckigen Mann schien nichts aus der Ruhe bringen zu können.

„Unsere Existenz steht auf dem Spiel!“, begehrte er auf.

Santa schenkte ihm ein breites Lächeln. „Ich hab mir bereits etwas überlegt. Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten viel zu sehr zurückgezogen. Wir beobachten die Menschen aus der Ferne, Drohnen bringen ihnen an Heiligabend die Geschenke. Sonst sind wir nicht selten von einem Kind bei unserer Arbeit erwischt worden.“

Santa angelte nach einem Spekulatius, schob dann den Teller mit einer auffordernden Geste in seine Richtung, doch Alvar winkte ab. Geduldig wartete er, bis sein Boss von dem Gebäck abgebissen hatte und schließlich kauend fortfuhr.

„Wir müssen mehr Präsenz zeigen!“

„Präsenz zeigen?“, echote Alvar.

Bestimmt nickte Santa, klopfte sich Krümel aus dem weißen Rauschebart. „Genau! Wenn die Menschen uns nicht sehen, glauben sie auch nicht an uns.“

„Aber in Zeiten von Überwachungskameras und Smartphones ist die Gefahr doch viel zu groß, dass wir bei der Ausübung von Magie gefilmt werden!“, wandte Alvar ein. „Außerdem würden die Menschen uns heutzutage höchstens für verkleidete Einbrecher halten.“

„Magie lässt sich leicht mit einem Deepfake erklären.“

„Deep… Was?“

„Ach.“ Sein Boss winkte ab. „Diese schlauen Computer der Menschen erzeugen die verrücktesten Sachen.“

„Ähm …“ Alvar schüttelte den Kopf. „Wie auch immer … Was ist, wenn sie die Polizei rufen?“ Er tippte mit dem Finger gegen eine seiner lang gezogenen, spitzen Ohrmuscheln.

Sein Boss seufzte und bedachte ihn mit einem tadelnden Blick. „Hast du noch nichts von Body Modification gehört? Letztens habe ich eine Dokumentation darüber gesehen. Stell dir vor, es gibt sogar Menschen, die sich Hörner implantieren lassen! Die Knubbel auf der Stirn sehen aus wie bei jungen Rentieren.“ Santa grinste, als wäre das das Niedlichste, was er sich vorstellen konnte.

Alvar atmete tief ein und kniff sich in die Nasenwurzel. „Dann halten uns die Leute also höchstens für durchgeknallte Idioten. Super!“ Er warf die Hände in die Luft. „Ihren Glauben in uns wird das kaum stärken.“

„Du bist viel zu grummelig geworden.“ Santa erhob sich ächzend, legte ein Scheit Holz nach und kam anschließend auf ihn zu. „Ich habe bereits etwas vorbereitet.“

Er streckte die Hand aus. Die Luft darüber begann zu schimmern und plötzlich hielt er eine Schneekugel. Drei verschiedenfarbige Häuser waren darin zu sehen, bedeckt von glitzerndem Schnee.

Santa strahlte. „Das ist die Lösung unserer Probleme!“

Alvar blickte zwischen seinem Boss und der Kugel hin und her. „Eine Schneekugel …“

Tadelnd hob Santa einen Finger. „Das ist eine Glücksflockenkugel! Ein Elf wird mit einem Zauber an sie gebunden, und erfüllt dann dem Menschen, der die Kugel bekommt, seinen innigsten Weihnachtswunsch.“

Alvar war noch damit beschäftigt, den Sinn hinter Santas Worten zu verstehen, da begann die Magie auch schon, um ihn herumzuwirbeln. „Moment! Was …?“

Sein Boss grinste. „Als mein leitender Elf wirst du mit gutem Beispiel vorangehen. Und nebenbei wird dir etwas Abwechslung guttun.“

Alvar wollte protestieren, doch seine Stimme versagte, als Santa sich langsam in einen Riesen verwandelte. Oder schrumpfte er selbst immer mehr?

„Ich weiß schon ganz genau, zu wem ich dich schicken werde!“, dröhnte sein Boss irgendwo weit über ihm.

Und plötzlich stand Alvar inmitten von seltsam funkelndem Pulverschnee.

Lukas

Lukas eilte die Einkaufsstraße entlang, rückte den Lieferrucksack auf seinen Schultern zurecht. Er musste sich an Menschengruppen vorbeidrängen, die sich vor den weihnachtlich geschmückten Schaufenstern versammelt hatten.

Das sogenannte Fest der Liebe hatte sich in einen einzigen Konsumrausch verwandelt. Wenn sich eine Ladentür öffnete und er das Merry Christmas-Gedudel hörte, bekam er Gänsehaut. Er konnte beim besten Willen nicht verstehen, was alle an den Feiertagen so begeisterte. Nicht mehr zumindest … Schnell schüttelte er den Gedanken ab. Warum konnte nicht bereits Silvester und damit alles überstanden sein? Aber die zwei Wochen bis Weihnachten würde er jetzt auch noch irgendwie schaffen.

Endlich erreichte er die auf seinem Handy angegebene Adresse und klingelte.

„Ja?“, ertönte eine Stimme aus der Gegensprechanlage.

„Billys Cookieshop. Ihre himmlische Plätzchenlieferung ist hier!“, leierte er mit möglichst großer Begeisterung herunter.

Der Türsummer ertönte und er schlüpfte ins Treppenhaus. Schnell fischte er den verfluchten Haarreif aus seiner Jackentasche und setzte ihn auf, sodass ein flaumiger Heiligenschein über seinem Kopf hin und her wippte.

Das Logo von Billys Cookieshop zeigte einen geflügelten Keks auf puderblauem Grund. Irgendein Marketingtrottel war so auf die glorreiche Idee gekommen, nun, in der Vorweihnachtszeit, mit dem Slogan „Plätzchen, auf die sogar das Christkind neidisch wäre!“ zu werben. Und alle Lieferanten durften jetzt mit diesen albernen Dingern auf dem Kopf herumlaufen. Was er auf offener Straße geflissentlich vergaß …

„Zweites Stockwerk!“, hörte er jemanden rufen.

Also stapfte er die Stufen nach oben, bis er in der genannten Etage einer jungen Frau gegenüberstand.

Lukas schielte auf sein Handy. „Lieferung für Tanja Wirkes?“

„Das bin ich“, bestätigte die Frau und ihr Blick wanderte hinauf zu seinem Heiligenschein. „Direkt aus der Weihnachtsbäckerei, hm?“, meinte sie mit einem mitfühlenden Grinsen.

„Ja …“ Lukas lächelte zerknirscht, zuckte mit den Schultern und streifte seinen Rucksack ab.

Er kramte die Bestellung heraus und übergab sie, nahm das Geld entgegen.

---ENDE DER LESEPROBE---