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Rund 140 Mythen der Aborigines aus neun verschiedenen Regionen des australischen Kontinents zählt dieser einzigartige Band. Sie handeln von All-Vater und All-Mutter, von totemischen Ahnen und deren Erdwanderungen. Diese Zeugnisse wunderbarer magischer Erzählkunst vermitteln das Bewusstsein einer archaischen Traumzeit.
Die Diederichs-Reihe »Märchen der Weltliteratur« ist die umfassendste Sammlung ursprünglicher Erzählliteratur aller Völker und Zeiten. Sie versammelt das Schönste, was sich die Menschen je erzählt haben: Mythen und Legenden, Göttersagen und Dämonengeschichten, Feen- und Zaubermärchen, gewitzte Tierfabeln und herrliche Schwänke. Wer die Eigenart anderer Völker verstehen will, wird hier Wege abseits des Mainstreams finden. Eine moderne Märchenbibliothek für eBook-Leser.
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Seitenzahl: 332
Veröffentlichungsjahr: 2014
Zu Anbeginn ruhte die Erde in steter Finsternis, Kälte und Stille. Die Erde war eine weite kahle Ebene ohne Form, ohne Bewegung, ohne Laut. In ihr ruhte Mudungkala, eine alte blinde Frau mit drei Säuglingen, dem Knaben Purukupali, und den beiden Mädchen Wuriupranala und Murupiangkala. Sie ruhte lange Zeit reglos und stumm. Dann erhob sich Mudungkala und brach durch die Decke der Erde. Sie trug ihre Kinder auf ihren beiden Schultern und kroch am heutigen Südostende von Melville Island auf die finstere Ebene. Dann nahm sie ihre Kinder und hielt sie gegen ihre Brust, während sie sich auf den Knien rutschend einen Weg durch die Finsternis tastete. Derart wanderte sie zunächst nach Norden, und Wasser begann in ihrer Kriechspur aufzuwallen. Das Wasser formte die Meeresenge zwischen Melville Island und der Coburg Peninsula auf dem Festland. Dann kroch Mudungkala nach Westen und schuf die Nordufer von Melville Island. Gelegentlich machte die alte Frau dabei Abstecher ins Landesinnere und schuf dergestalt verschiedene Meeresbuchten, einen Fluß, und den Eingang der Meeresenge zwischen Melville und Bathurst Island. Alsdann kroch Mudungkala in einem weiten Bogen nach Süden und Osten und formte dabei die West- und Südküste von Bathurst-Island. Dabei kamen ihr Zweifel an der Größe des Insellandes, das sie schuf. Daher begab sie sich nach Norden zum Eingang der Meeresenge, den sie bereits gebahnt hatte, und das Wasser, das in ihrer Spur folgte, trennte von nun an Bathurst Island, die Westinsel des Tiwilandes, von der großen Insel im Osten. Daraufhin tastete Mudungkala sich durch die Meeresenge zurück und kroch dann nach Osten, um zu ihrem Ausgangsort zurückzukehren. Dabei schuf sie die weite Meeresenge, die Melville Island nach Süden hin vom Festland trennt. Nachdem Mudungkala das Inselland geschaffen hatte, setzte sie ihre Kinder auf Meville Island ab und schuf Pflanzen und Tiere für sie. Dann entschwand sie nach Süden, und niemand weiß, wohin sie sich begab.
Mudungkalas Sohn Purukupali und seine beiden Schwestern Wuriupranala und Murupiangkala wuchsen rasch heran und ließen sich in dem neuen Land nieder. Purukupali zog aus zu den Stätten der Seelenkinder Pitipitui, von wo er seinen Schwestern Seelenkinder mitbrachte, und so vermehrte sich die Bevölkerung der Insel. Purukupalis Schwester Murupiangkala hatte eine Tochter, die wiederum zwei Töchter und einen Sohn Tukumbini gebar. Tukumbini hatte eine Tochter Bima, die Purukupalis Frau wurde. Auch Purukupalis andere Schwester Wuriupranala hatte Nachkommen. Die verschiedenen Familien verteilten sich über die Insel und gründeten ihre eigenen Lagerstätten. Purukupali brachte Seelenkinder zu seiner Frau Bima, die sie an die anderen Frauen im Land verteilte. Purukupali und Bima selbst bekamen einen Sohn, der Djinini hieß.
Die ersten Bewohner des Tiwilandes kannten weder Licht noch Wärme. Sie mußten ihre Nahrung im Dunkeln suchen und roh verzehren. Eines Tages saßen die beiden Männer Jurumu und Mudati beisammen und rieben zwei Holzstäbe gegeneinander. Plötzlich sahen sie einen Funken in einem der Stäbe glimmen, wo die Reibungshitze das pulverisierte Holz zum Glühen gebracht hatte. Jurumu, den diese unbekannte Erscheinung sehr erstaunte, legte das glühende Holz auf das Mark einer abgestorbenen Pandanuspalme und fachte es durch Blasen weiter an. Der glühende Funke wurde dabei größer und größer, und die Verwunderung der beiden Männer schlug in Furcht und Entsetzen um, als die Glut im Mark der Palme plötzlich in Flammen ausbrach. Jurumu und Mudati eilten zu Purukupali und flehten ihn an, die furchtbare Erscheinung rasch zu zerstören, bevor sie großes Unheil brachte. Doch als Purukupali sich der brennenden Flamme näherte und erkannte, daß sie Licht verbreitete und Wärme spendete, erklärte er den beiden verängstigten Männern, daß sie eine segensreiche Entdeckung gemacht hatten, die der Menschheit viel Gutes bringen konnte, da sie nicht nur Finsternis und Kälte vertreiben, sondern auch ihre rohe Nahrung in schmackhafte gegarte Speisen verwandeln würde. Daraufhin rief er seine Schwester Wuriupranala herbei, überreichte ihr einen Feuerbrand, den er an dem brennenden Baum angezündet hatte und gebot ihr, das Feuer stets zu hüten und am Leben zu erhalten. Alsdann gab er dem Mann Tjarapa einen kleineren Feuerbrand, und bald hatte jede Familie ein licht- und wärmespendendes Feuer.
Vor langer Zeit war alles Wasser auf der Erde Süßwasser. Eines Tages waren die beiden Männer Puruti und Jirakati dabei, in einem Sumpf Fische zu fangen, als sie bemerkten, daß sich die Blätter der Wasserlilien so stark bewegten, als schwämme ein großes Tier zwischen den Stielen der Lilien. Puruti ergriff seinen Speer und schleuderte ihn zwischen die Blätter, wo er das Tier vermutete. Doch war es kein Tier, das die Bewegung verursacht hatte, sondern seine eigene Mutter, die die Wurzeln der Wasserlilien sammelte. Purutis Speer durchbohrte ihren Hals, und mit einem Schmerzensschrei erhob sich die Frau aus dem Wasser und stürzte sich in das nahegelegene Meer, wobei sie aus Furcht und Schmerz eine Menge Wasser ließ. Ihr Blut und ihr Harn verunreinigten das frische Wasser des Meeres und verwandelten es in Salzwasser. Die verwundete Frau verwandelte sich in den Storch Jabiru, der nun am Rand der Süßwasserlagunen lebt. Ihr Sohn Puruti verwandelte sich in den Fischadler, und Jirakati, sein Gefährte, in den weißköpfigen Seeadler.
Jirakupai war ein ausgezeichneter Speermacher. Er verstand es nicht nur, vorzügliche männliche Speere, die Tunkaringa, herzustellen die eine Reihe von Widerhaken an einer Seite der Speerspitze aufweisen, sondern er fertigte auch sehr gute, kleine, weibliche Speere, die Tunkaguni an, deren Speerspitzen an beiden Seiten mit langen Widerhaken versehen sind. Eines Tages, als Jirakupai gerade eine Anzahl dieser Speere vollendet hatte, wurde er von einer Bande von Unholden überfallen, die ihn aus einem Hinterhalt angriffen und viele Speere in seinen Rücken schleuderten. Jirakupai zog die Speere aus seinen Rükkenwunden, wobei er jedesmal laut aufheulte, und warf sie zurück auf seine Angreifer. Dann ergriff er seine eigenen Speere und stürzte sich mit gellenden Schreien in die See.
Jirakupais Frauen verwandelten sich in den Nachtreiher und den Mangrovenreiher, um der Gefangennahme und Vergewaltigung zu entgehen. In der folgenden Nacht verwandelte Jirakupai sich in das Salzwasserkrokodil. Die Speerwunden auf seinem Rücken waren verheilt, hatten aber tiefe Narben und Furchen hinterlassen, sein Mund hatte sich durch die vielen Schmerzensschreie in ein langes Maul verwandelt, und sein Bündel Speere war in einen langen Schwanz umgestaltet, an dessen Ende die Widerhaken eines männlichen Speers emporragten.
Mudati und Jurumu, die das Feuer entdeckt hatten, waren lange Zeit Gefährten, bis sie sich eines Tages wegen einer Frau zerstritten. Die junge Frau hieß Parabruma, und beide Männer begehrten sie als Gattin. Parabruma war Mudati sehr zugetan, und Jurumus Eifersucht trieb ihn zu einem schändlichen Racheakt. Jurumu schnitzte eine Anzahl scharf zugespitzte Stäbe, die er in dem Grasnest eines Bandikuts versteckte, so daß ihre Spitzen nach oben deuteten. Er bedeckte die scharfen Stäbe sorgfältig mit Gras. Dann ging er zu Mudati und schlug ihm vor, gemeinsam mit ihm auf Bandikutjagd zu gehen. Jurumu führte Mudati zu dem Bandikutnest, in dem er die spitzen Hölzer versteckt hatte, und gab vor, von Jagdeifer gepackt zu sein. In gespielter Aufregung bedrängte er seinen Jagdgefährten, auf das Nest zu springen, bevor das Bandikut entweichen konnte. Aber Mudati wollte lieber warten, bis das Bandikut aus dem Nest lief, damit er es mit seinem Speer erlegen konnte. Jurumu mußte all seine Überredungskunst anwenden, um Mudati davon zu überzeugen, daß sein Vorschlag der erfolgversprechendere war. Schließlich sprang der ahnungslose Mudati mit voller Wucht auf das Nest, das Jurumu in eine gemeine Falle für ihn hergerichtet hatte. Laut schrie er, als die scharfen Hölzer seine Füße durchbohrten, und er fiel nieder auf die Erde. Dann verwandelte er sich in einen Häher und flog davon.
Sobald Jurumu den Häher entschwinden sah, eilte er zu Parabruma, doch diese lehnte seinen Heiratsantrag empört ab, da sie über seine Missetat an Mudati Bescheid wußte. Enttäuscht und erzürnt über die Ablehnung ergriff Jurumu sein Wurfholz und hieb Parabruma damit über beide Wangen, bis ihr die Gesichtshaut in langen Fetzen von Lippen und Wangen herabhing. Um Jurumus Zorn zu entweichen, verwandelte sie sich in den Maskenkiebitz. Noch heute trägt dieser Vogel die länglichen Hautlappen als Merkmal, und sein Ruf ist der Klageruf Parabrumas, mit dem sie sich in die Lüfte erhob.
Jurumu, seine Gattin Narina und deren Bruder Kilpuruni lebten zusammen in einem Lager. Kilpuruni war unverheiratet und sehnte sich nach einer Frau. Eines Tages begann er, seine eigene Schwester zu begehren. Narina hatte sich in den Wald begeben, um Nahrung für ihren Gatten zu sammeln. Kilpuruni war ihrer Spur gefolgt, und als er sie fand, bat er sie um etwas Eßbares. Narina bot ihm Opossumfleisch an, doch er behauptete, ihm schmecke diese Sorte Fleisch nicht sehr. Da bot sie ihm Honig an, doch er lehnte auch den Honig ab. Nachdem Narina ihm noch mehrere Nahrungsmittel angeboten und er sie jedesmal abgelehnt hatte, gestand Kilpuruni, daß er keine Nahrung, sondern Narina selbst begehrte. Entsetzt wehrte Narina seine Annäherungsversuche ab und wies ihn darauf hin, daß Geschwisterliebe unmöglich sei, doch Kilpuruni bedrängte sie so sehr mit Schmeicheleien, Worten und Gesten, daß sie seinem Verlangen schließlich doch nachgab und seinen Wunsch erfüllte. Danach hatte sie jedoch ein so schlechtes Gewissen, daß sie reumütig zu ihrem Mann ins Lager zurückkehrte und ihm von dem Vergehen berichtete. Jurumu war sehr erzürnt und bestrafte Narina auf der Stelle, doch erwähnte er seinem sündigen Schwager gegenüber nichts von dem Vorfall. Er zog es vor, einen günstigen Moment abzuwarten, um sich an Kilpuruni zu rächen. Eines Tages befanden sich beide Männer auf einem Beutezug und waren auf einen hohen Eukalyptusbaum geklettert, um nach Honig zu suchen. Da zeigte Jurumu seinem Schwager ein wildes Bienennest am Ende eines langen Astes und bat ihn, dieses Nest auszuheben. Als Kilpuruni vorsichtig auf das Nest zu kletterte, schlug Jurumu den Ast ab, und Kilpuruni fiel aus dem Baum. Der schwere Ast fiel auf Kilpuruni, ehe dieser Zeit hatte, sich zu erheben, und drückte ihn breit und platt. Kilpuruni verwandelte sich in die flache Deckenechse. Narina, seine Schwester, verwandelte sich in den schwarzen Kakadu, und der rachelustige Jurumu stieg als Adler in die Höhe, der auch heute noch Ausschau hält nach der Deckenechse, dem Verführer seiner Frau.
Purukupali und Bima hatten einen kleinen Sohn Djinini. Bima nahm Djinini tagsüber mit auf Nahrungssuche, und wenn er müde wurde, legte sie ihn in den Schatten eines Baumes zum Schlafen. Purukupali und Bima waren glücklich miteinander, bis eines Tages ein anderer Mann namens Tjarapa Bima dazu überredete, den schlafenden Djinini eine Weile sich selbst zu überlassen, und mit ihm zu gehen. Tjarapa schmeichelte und bedrängte Bima so lange, bis sie schließlich einwilligte und ihren schlafenden Sohn verließ, um sich mit Tjarapa in den Busch zu stehlen. Es war ein sehr heißer Tag, und Bima vergaß die Zeit. Als sie endlich zu ihrem Kind zurückkehrte, war der Schatten des Baumes längst weitergewandert, und Djinini lag tot in der grellen Sonnenhitze. Als Purukupali erfuhr, wie sein Sohn umgekommen war, kannte seine Trauer und seine Empörung keine Grenzen. In blinder Wut hieb er mit seinem Wurfholz auf Bima ein, um sie für ihre Eigensucht und Pflichtvergessenheit zu bestrafen. Bima entfloh in den Wald. Tjarapa, dessen Reue über den traurigen Ausgang seiner Begehrlichkeit für Bima groß war, flehte Purukupali an, ihm den Leichnam Djininis zu überlassen, damit er ihn in drei Tagen wieder zum Leben erwecken könnte. Doch Purukupali forderte Tjarapa zum Zweikampf. Beide Männer fochten einen langen und erbitterten Kampf und fügten einander tiefe Wunden zu, bis sie schließlich völlig erschöpft und schwerverwundet zu Boden fielen. Dann erhob sich Purukupali und nahm seinen toten Sohn in die Arme. Rückwärts schreitend watete er in die See und verkündete dabei, daß von nun an allen Lebewesen auf der Erde das gleiche Schicksal wie seinem Sohn, der Tod, beschieden sei. An der Stelle, wo Purukupali mit Djinini versank, bildete sich ein gewaltiger Wasserstrudel, der auch heute noch so gefährlich ist, daß sich niemand in seine Nähe wagt. Tjarapa ergriff seinen Feuerbrand und stieg damit in den Himmel auf, wo er sich in den Mond verwandelte, der heute noch die Narben der Wunden trägt, die ihm Purukupali zugefügt hatte. Auch Tjarapa unterliegt dem Schicksal des Todes und stirbt immer wieder, doch nach drei Tagen ruft er sich jedesmal wieder ins Leben zurück und tritt seine Himmelswanderung aufs neue an. Bima, die in den Wald geflohen war, nahm die Gestalt des Brachvogels an, dessen laute Klagerufe noch heute allnächtlich das Leid verkünden, das Bima um den Tod ihres Kindes und um das Unheil empfand, das ihr Handeln der Welt bescherte.
Als Purukupalis Neffe Tukumbini vom Tod seines Onkels erfuhr, rief er die Urbewohner des Tiwilandes zu einer großen Pukamunizeremonie, dem Begräbnisfest, zusammen. Nach Beendigung der Pukamunizeremonien, die auch heute noch im Tiwiland nach der Tradition der ersten Feier abgehalten werden, versammelte Tukumbini die Festteilnehmer und legte ihnen die Gebote und Gesetze dar, die von nun an den Lauf des Lebens bestimmen würden. Er erklärte ihnen ihre Verhaltensmaßregeln und erläuterte ihnen die Gesetzlichkeiten, nach welchen zukünftige Ehen geschlossen und Stammeseinteilungen und -Beziehungen geregelt seien. Dann legte Tukumbini die Einteilung der Zeit in Tag und Nacht fest und sandte sein Volk zurück zu ihren alten Lagerplätzen, wo sie ihre Totemstätten einrichten sollten. Wuriupranala, die Sonnenfrau, und Tjarapa, der Mondmann stiegen in den Himmel auf, um ihre ewigen Wanderungen anzutreten. Auch die anderen Himmelsgestirne zogen in ihr neues Land, und auf der Erde verwandelten sich die Einwohner in die verschiedenen Tier- und Pflanzentotems. Tukumbini selbst verwandelte sich in den gelben Honigfresser, dessen Gesang in der Morgendämmerung die Menschen weckt und den neuen Tag ins Leben ruft.
Unter den vielen Leuten, die an Purukupalis Pukamunizeremonien teilnahmen, befanden sich die Maludaianini. Obwohl die Männer der Maludaianini viele Frauen besaßen, stahlen sie sich häufig mit den Frauen anderer Männer in den Busch, was schließlich so viel Eifersucht und Ärger verursachte, daß zwischen den Maludaianinimännern und den anderen männlichen Teilnehmern der Pukamunifestlichkeiten ein erbitterter Kampf ausbrach, in welchem viele Maludaianini ihr Leben verloren. Daraufhin entflohen die übrigen Maludaianini, die noch mit ihrer zeremoniellen Körperbemalung geschmückt waren, in den Nachthimmel hinauf, wo sie die Milchstraße bildeten. Ihre Frauen wurden die zahlreichen Sterne in der Nähe der Milchstraße. Wenn sich heute nach dem Untergang der Sonnenfrau die Nacht über die Erde breitet, und die Sterne und die Lichter der Milchstraße zu leuchten beginnen, reiben die Maludaianini den getrockneten Schweiß von ihren Körpern, der dann zur Erde schwebt und in die Augenlider der Menschen rieselt. Dann werden die Lider so schwer, daß sie ständig zufallen und sich schließlich nicht mehr öffnen, bis Tukumbini am nächsten Morgen die Menschen wieder in einen neuen Tag singt.
Während der Vorbereitungen für Purukupalis Begräbnisfeier hatten die Fischmänner die großen Grabpfosten geschnitzt und bemalt und mit dekorierten Flechttaschen versehen, und Pipinjawari, ihr Anführer, hatte diese Arbeiten beaufsichtigt. Während die Zeremonien abgehalten wurden, riefen die Fischmänner zu einem Wettbewerb im Speerweitwurf auf. Pipinjawari war der geschickteste und erfahrenste Speerwerfer, und sein Speer flog weiter als die der anderen Wettbewerbsteilnehmer. Doch bei seinem gewaltigen Speerwurf verrenkte sich Pipinjawari sein Rückgrat so sehr, daß seine Wirbelsäule brach und durch seine Rückenhaut drang. Die Speere aber verwandelten sich in Eukalyptusbäume, und Pipinjawaris Speer ist nun der höchste Baum in diesem Wald. Als später die Beerdigungsfeierlichkeiten zu Ende gingen, erwarteten die Fischmänner von Pipinjawari eine Entlohnung für ihre Arbeit an den Grabpfosten. Doch ihr Anführer wollte dieser Verpflichtung nicht nachkommen, was die Fischmänner so erboste, daß sie ihn mit ihren Speeren bedrohten. Um seiner verdienten Strafe zu entkommen, sprang Pipinjawari in das nahe Meer und verwandelte sich in den Königsfisch mit seiner hohen Rückenflosse, der gebrochenen Wirbelsäule Pipinjawaris. Daraufhin verwandelten sich auch die anderen Fischmänner in Fische, in den Sägefisch Jidat, in den Haifisch Taduwala, in Pulajerapi, die Meeräsche. Sie haben die Verfolgung des Königsfisches bis auf den heutigen Tag nicht aufgegeben, denn häufig kann man beobachten, wie Pipinjawari durch das Wasser eilt und in hohen Sprüngen aus den Wellen seinen Verfolgern zu entkommen sucht.
Wuriupranala, eine der ersten Frauen, hatte vor langer Zeit von ihrem Bruder Purukupali einen Feuerbrand erhalten mit dem Auftrag, das Feuer stets zu hüten und am Leben zu erhalten. Nach Purukupalis Tod wurde sie die Sonnenfrau, die jeden Morgen einen hohen Berg am östlichen Horizont besteigt, um ihre Wanderung über den Himmel anzutreten. An manchen Tagen pudert sich die Sonnenfrau mit rotem Ocker, bevor sie ihren Weg beginnt, und der Ockerstaub fliegt in den Himmel und in die Wolken, so daß die Menschen auf der Erde das Morgenrot sehen. Auf ihrem Weg in den Zenith sammelt Wuriupranala ihre Nahrung, die sie am Mittag in einem heißen Feuer röstet. Dann wird es auf Erden in der grellen Sonne so unerträglich heiß, daß die Menschen sich in den Schatten zurückziehen und ruhen, bevor sie am Nachmittag ihre Arbeit wieder aufnehmen. Auf ihrer Wanderung durch den Nachmittag sammelt die Sonnenfrau wiederum Nahrung, die sie ihrem Gatten Andjalui, dem Süßwasser mitbringt. Auch abends, wenn Wuriupranala sich dem westlichen Horizont nähert, schmückt sie sich häufig mit rotem Ocker und rötet dabei den Abendhimmel vor einem leuchtenden Sonnenuntergang. Dann löscht sie den flammenden Feuerbrand bis auf einen Funken Glut, den sie bis zum folgenden Morgen am Leben hält. Wenn eine Gewitterwolke die Sonne verbirgt, dann hat Andjalui die Sonnenfrau in sein Lager geholt. Nachdem Wuriupranala ihren Feuerbrand gelöscht hat, ruht sie eine Weile auf einem Berg neben einer Lagune. Dann tritt sie ihren Rückweg nach Osten durch die Unterwelt Ilara an, wobei der glühende Funke am Ende ihres Feuerbrandes ihr den Weg weist.
Tjarapa war nach seinem gewaltigen Zweikampf mit Prukupali als Mond in den Himmel gestiegen. Der Mondmann trägt immer noch die Narben im Gesicht, die seine schweren Verwundungen hinterließen. Zwar hatte Purukapali nach dem Kampf verfügt, daß alle Wesen der Schöpfung nach ihrem Tod nie wieder auferstehen würden, doch Tjarapa, der Mondmann entgeht diesem Vermächtnis, da sein Leben drei Tage nach seinem allmonatlichen Tod sich stets wieder erneuern wird. Wenn Tjarapa neu zum Leben erwacht, beginnt er sofort damit, Unmengen von Mangrovenkrebsen zu verschlingen, wovon er innerhalb von zwei Wochen fett und kugelrund wird. Doch seine Freßgier nimmt jedesmal ein schlimmes Ende, denn nach zwei Wochen beginnt er todkrank zu werden, bis er am Ende der beiden Wochen völlig dahinsiecht. Kurz bevor der Mondmann stirbt, sehen die Menschen nur noch sein Skelett, den schmaler und schmaler werdenden Halbmond, und seinen Geist Imunka, den Teil der Mondkugel, die mit bloßem Auge nur schwach zu erkennen ist.
Wailu, eine Lagune auf Melville Island ist die Totemstätte des Süßwassermannes Andjalui. Außer ihm wohnen an dieser Stätte der Regenbogenmann Maratji, die Froschfrau Quork Quork und deren drei Kinder, die den Regen bringen: ihr Sohn Pakadringa, der Mann der Gewitterstürme, und ihre beiden Töchter Tomituka und Bumerali. Tomituka ist die Frau der Monsunregen, und Bumerali ist die Frau der Blitzschläge. Die drei Geschwister wandern in den Wolken, die sich zu Beginn der Regenzeit sammeln, und Pakadringas dunkle rollende Donnerstimme kündet der Menschheit aus der Ferne an, daß seine Schwester Tomituka nun bald den Regen niedersenden wird. Bumerali, die stets ihren Mann und ihre vielen Kinder mit sich führt, besitzt lange Steinbeile, mit denen sie die Erde schlägt, wobei sie häufig schweren Schaden anrichtet. Wenn ihre Kinder ihr nicht gehorchen und in wildem Spiel von Wolke zu Wolke springen, herrscht sie sie wütend an, und ihre Stimme erschallt als der laute Donnerschlag, der unmittelbar auf einen Blitz folgt. Quork Quork, die Froschfrau und Mutter der drei Regenbringer beginnt vor Freude zu quaken, sobald sie die Stimme ihrer Kinder vernimmt und die ersten Regentropfen auf die Erde niederfallen. Niemand wird es wagen, einen Frosch zu töten, da sonst ihre Kinder Pakadringa und Tomituka schwere Gewitterstürme zur Erde niedersenden würden, bis jedermann ertrunken wäre.
Die Tiwi auf Bathurst- und Melville Island glauben, daß das Weltall aus vier übereinanderliegenden Welten besteht: der Unterwalt Ilara, der Erde, wo die Menschen leben, dem Himmel Juwuku und der Oberwelt Tuniruna.
In der Unterwelt Ilara ist es stets finster, und die einzigen Wesen, die sie betreten, sind die Sonnenfrau Wuriupranala und der Mondmann Tjarapa. Ilara besteht aus zwei felsigen Bergketten, zwischen denen ein tiefes Tal liegt. Eine Quelle entspringt auf einem Berg, und die Sonnenfrau und der Mondmann können sich auf ihrem unterirdischen Rückweg nach Osten an ihrem Wasser erfrischen. Ansonsten aber ist Ilara eine öde finstere Welt, in der sich weder Pflanzen noch Tiere befinden.
Die über Ilara liegende Erde ist flach und so schmal, daß jeder, der sich zu weit von den Ufern des Tiwilandes entfernt, über den Rand der Erdscheibe stürzt. Die Sonnenfrau geht am östlichen Rand der Erde auf und steigt an ihrem westlichen Rand wieder in die Unterwelt. Die Erdscheibe selbst hat eine begrenzte Tiefe, und wenn man ein tiefes Loch in sie hineingraben würde, erreichte man die Unterwelt.
Über der Erde liegt die Welt des Himmels Juwuku, in dem sich des nachts die Sternenleute aufhalten, und durch den die Sonnenfrau und der Mondmann ihre Wanderungen machen. Während der Regenzeit sind auch der Gewittermann Pakadringa und seine beiden Schwestern Tomituka, die Monsunfrau, und Bumerali, die Frau des Blitzschlags mit ihrer Familie in dieser Himmelswelt zu Hause.
Über dem Himmel erstreckt sich eine weitere Welt, die Oberwelt Tuniruna. Tuniruna ähnelt der Erde sehr, außer daß es dort kein Meer und auch sonst kein Salzwasser gibt und damit auch keine Pflanzen und Tiere, die auf der Erde in salzhaltigen Gewässern zu Hause sind. Die Bewohner von Tuniruna gehen ihren täglichen Verrichtungen nach wie die Menschen auf der Erde. Tagsüber halten sich auch die Einwohner der nächtlichen Himmelswelt Juwuku in Tuniruna auf, und während der Trokkenzeit richten die Bringer des Regens Pakadringa, Tomituka und Bumerali mit ihren Angehörigen ihre Lagerstätten in Tuniruna ein. Wenn die Sonnenfrau über den westlichen Rand der Erde entschwindet, erleuchten die Lagerfeuer der Bewohner Tunirunas diese Oberwelt taghell, wie die Sonnenfrau die Erde erhellt. Bevor die irdische Regenzeit einsetzt, sammeln sich in Tuniruna die Lebensgeister der dortigen Pflanzen und Tiere in Wassertropfen, in denen sie zu Beginn der Regenzeit in Pakadringas Gewitterwolken und in Tomitukas Monsunregenfällen zur Erde getragen werden, um neues Leben zu spenden.
Die Seelenkinder Pitipitui existieren schon zu Anbeginn. Ihnen wohnt die Lebenskraft inne, die sie später zu echten Menschenkindern verwandelt. Die Pitipitui wohnen in Totemplätzen, wo sie auf einen Vater warten, der sie zu ihrer zukünftigen Mutter bringen wird, in deren Leib sie dann zu einem Kind aus Fleisch und Blut heranwachsen. In der Urzeit brachte Purukupali seinen beiden Schwestern Seelenkinder, und später brachte er Seelenkinder zu seiner Gattin Bima mit dem Auftrag, sie an die anderen Frauen im Land zu verteilen. Bevor Purukupali in seinen Tod ging, verkündete er den Pitipituis, daß sie von nun an von einem Vater zu ihren Müttern getragen werden sollten. Sie erscheinen dann ihrem zukünftigen Vater in einem Traum und bitten ihn, ihnen eine Mutter zu geben, wenn er sich in der Nähe einer ihrer Totemstätten aufgehalten hat. Der Vater trägt das unsichtbare Pitipitui auf seinen Schultern zu seinem Lager, wo er seiner Frau verkündet, daß sie ein Kind gebären wird, und das Seelenkind dringt heimlich in den Leib seiner Mutter ein, wo es zu einem Menschenkind heranwächst.
Weit im Westen, wo der Himmel endet, wohnt ein Dämonenvolk in einer riesigen Rindenhütte. Es sind die Papinjuwaris, die Meteormänner mit ihren Familien. Die Meteormänner sind groß und stark und besitzen nur ein Auge, das so hell leuchtet wie ein funkelnder Stern. Häufig sieht man sie über den Nachthimmel eilen mit einem flammenden, funkensprühenden Feuerbrand in einer Hand und einer Kampfkeule in der anderen. Die Papinjuwaris werden sehr gefürchtet, da sie sich mit Vorliebe an dem Fleisch der Verstorbenen und dem Blut der Kranken laben. Da sie sich unsichtbar machen können, vermögen sie sich ganz nah an ihr Opfer heranzumachen, ohne entdeckt zu werden. Wenn eine Sternschnuppe niederfällt, wissen die Menschen, daß ein Meteormann nach einem Opfer sucht.
Die Paramanua sind Kobolde, die in großen unterirdischen Höhlengängen wohnen, deren Eingänge in hohlen Bäumen und Termitenhügeln verborgen sind. Sie sind nur etwa einen Meter groß, aber sehr kräftig und flink und halten sich zwischen den Bäumen versteckt. Die Paramanua besitzen lange Fangzähne und krallenhafte Finger- und Zehennägel, aber im allgemeinen sind sie trotz ihres furchterregenden Aussehens recht harmlos und den Menschen wohlgesinnt. Allerdings werden sie sehr böse, wenn jemand von ihnen spricht oder gar von einem Erlebnis mit ihnen erzählt. Sobald sie davon erfahren, machen sie den Erzähler auf lange Zeit schwach und krank. Daher spricht man nur ganz heimlich von ihnen und im Flüsterton. Wenn sich einer der Kobolde mit einem Menschen anfreunden will, beobachtet er ihn erst eine Zeitlang, bis er ihn eines Tages allein im Busch auf Nahrungssuche sieht. Dann beginnt der Paramanua seinen Schabernack zu spielen. Erst nähert er sich dem Mann hinterrücks und wirft seinen Speer auf ihn, eilt dann aber dem Speer in Windeseile nach und greift ihn, kurz bevor er sein Ziel erreicht, denn der Kobold will den Mann nicht wirklich töten, sondern sein eigenes Geschick auf die Probe stellen und dem Mann einige Streiche spielen, bevor er sich mit ihm anfreundet. Der ahnungslose Jäger zieht weiter seines Weges, doch sobald er stehenbleibt, schleicht sich der Paramanua von hinten her ganz nah an ihn heran und kitzelt ihn in der Rippengegend. Erschreckt wendet sich der Mann, um seinen vermeintlichen Feind zu stellen, doch der flinke Kobold hat sich mit einem raschen Sprung wieder hinter seinem Rücken versteckt und kitzelt ihn aufs neue, so daß sich der verwirrte Mann wieder erschreckt dreht, aber nichts Verdächtiges entdekken kann. Dieser Ulk währt so lange, bis der Mann schließlich erschöpft und schwindelig von der häufigen Dreherei zu Boden sinkt. Mit einer heftigen Ohrfeige nimmt der Kobold dem Mann das Bewußtsein und schleppt ihn zu seiner unterirdischen Wohnstätte. Dort wird der Mann von den Paramanuas in den folgenden Wochen mit soviel Freundlichkeit, Wohlwollen und Aufmerksamkeit behandelt, daß er recht bald seine Herkunft und seine Heimat vergißt und jegliches Zeitgefühl verliert. Dann eines Tages führt der Kobold seinen menschlichen Freund zurück an die Erdoberfläche und in seine Jagdgründe in der Nähe seines Lagers. Beim Abschied bittet er den Jäger, niemand etwas über das, was er sah und über seine Erlebnisse mit den Paramanuas zu erzählen. Dafür werde er ihm stets ein treuer Freund sein, ihn in Kämpfen beschützen und auf seinen Jagdzügen das Wild in seine Schußlinie jagen. Und da er als Kobold in die Zukunft sehen könne, werde er ihn von nun an stets vor Unheil und Mißgeschick bewahren. Falls der Mann aber seine Freundschaft mit ihm und damit die Quelle seines guten Glücks je preisgeben wird, werde er diesen Treuebruch mit Unglück und Krankheit oder gar mit dem Tod bestrafen.
Einst hatten die Mädchen ein Stammesgesetz gebrochen und waren von den Medizinmännern durch Zaubergesänge in andere Wesen verwandelt worden, die eine Hälfte in Wassernixen, die andere Hälfte in Geistermädchen, die durch die Gegend der Termitenhügel zogen. Die Wassernixen betörten die einherwandernden Männer mit wundersamen Gesängen und mit ihrer eigenen Schönheit, während die anderen Geistermädchen ihr Aussehen verwandeln konnten und die Männer damit blendeten und narrten, daß sie sich in die Gestalt der von ihnen begehrten Frauen verwandelten. Der Zauber der Wassernixen war besonders gefürchtet, da sie ihre männlichen Opfer mit ihren scharfen Klauen erfaßten und festhielten, bis sie starben.
Die Yunggamurra Wassernixen waren sieben Schwestern, die in einem großen Teich lebten. Eines Tages entdeckte ein junger Jäger namens Manbuk die sieben Wassernixen und versuchte, sich ihnen heimlich zu nähern. Manbuk hätte gerne eines der Mädchen gefangen, doch ihre Körper waren mit einem glitschigen Schleim bedeckt, so daß kein Mann sie festhalten konnte. Man mußte sich entweder die Innenseite der Hände mit den rauhen Unterseiten von Feigenblättern aufrauhen oder das lange Haar der Nixen um eine Hand wickeln.
Doch ein weißer Kakadu sandte den Schwestern einen Warnruf. Da glitten die Wassernixen geräuschlos ins Wasser und tauchten in die Tiefen des Teiches, ohne die geringste Welle zu hinterlassen. Nur eine der Yunggamurra Schwestern war zu neugierig und wollte den Mann nochmals betrachten. Sobald sie jedoch auftauchte, ergriff Manbuk ihr langes Haar und wand es um sein linkes Handgelenk, zog das Mädchen aus dem Wasser und rannte mit ihr auf und davon, um den gefährlichen Klauen ihrer aufgebrachten Schwestern zu entgehen. Die Flucht gelang ihm aber nur, weil er über einen Flecken ausgebrannten Landes lief, dessen Boden noch heiß war, so daß ihn die Wassernixen nicht betreten konnten. Die sechs Wassernixen gingen zu ihrem Teich zurück, wo sie einen lauten Klagegesang um den Verlust ihrer Schwester anstimmten.
Auch Manbuk war nicht sonderlich zufrieden mit dem Erfolg seines Raubes, da die Wassernixe seine Sprache nicht verstand und sich furchtsam an ihn klammerte. Aber er erinnerte sich, daß ihm sein Onkel vor einiger Zeit erklärt hatte, wie man die Wassernixen aus ihrer Verwünschung erlösen konnte. Er setzte das Mädchen auf die Erde nieder und fachte ein großes Feuer an, in das er grüne Bambussprossen legte. Dann räucherte er die Wassernixe in dem dichten weißen Rauch, bis der graue Schleim sich von ihrer Haut löste. Zu seinem Entsetzen krochen aus allen Poren des Mädchens Scharen von Blutegeln, die in den Flammen des Feuers verbrannten. Schließlich verwandelte sich die Wassernixe in eine echte junge Frau, die Manbuks Sprache sprach und die Sitten und Bräuche seines Stammes verstand.
Der weiße Rauch des Reinigungsfeuers war inzwischen vom Wind zum Teich der Wassernixen getragen worden, und sobald diese erkannten, was geschehen war, stimmten sie einen Zaubergesang an, um Manbuk und seine neugefundene Frau Milajun in ihren Bannkreis zu locken. Eilig verließ das Paar die Gegend.
Milajuns Verzauberung in eine Wassernixe hatte ihr übermenschliche Gaben verliehen, die ihr trotz ihrer Rückverwandlung in eine Frau nicht verloren gegangen waren. Sie lockte die wilden Bienen aus ihren Nestern, so daß Manbuk ohne Mühe den Honig sammeln konnte. Sie ahmte die verschiedenen Vogelstimmen nach, bis die Vögel um sie kreisten und Manbuk sie mit seinem Wurfholz erlegen konnte. Und Milajuns Nähe ließ die Früchte des Waldes in ihren Hülsen erzittern, so daß das Paar nicht erst nach ihnen zu suchen brauchte. Daher führten Manbuk und seine hübsche Frau ein glückliches und zufriedenes Dasein.
Es war zu Beginn der Regenzeit, als Manbuk sich eines Tages mit Milajun, seiner Frau, im Schatten eines riesigen Feigenbaumes ausruhte, dessen Zweige bis an den Himmel reichten. Der rollende Donner in der Ferne brachte Manbuk einen eigenartigen Traum. Er sah in diesem Traum alles deutlich und hörte jeden Laut, doch konnte er sich nicht rühren. Er sah, wie sich aus dem Blätterdach über ihm eine Liane niedersenkte und über Miljuns Kopf hin und her schwang. Eine Stimme aus dem Baum befahl ihr, nach der Ranke zu greifen. Milajun tat, wie ihr befohlen, und wurde in die Höhe gehoben. Da rief sie ihren Mann um Hilfe, und ihr Ruf löste Manbuk aus seiner Unbeweglichkeit, doch zu spät, denn so sehr er sich bemühte, Milajun zu erreichen und zu befreien, es gelang ihm nicht. Untätig mußte er zusehen, wie seine geliebte Frau höher und höher getragen wurde.
Dann hörte er den Schlag einer Axt aus der Höhe des Baumes, und Milajun fiel mit der abgehackten Liane in den Teich zurück, aus dem Manbuk sie geholt hatte. Manbuk gelobte Milajun aufs neue, sie von dem Zauber zu befreien, der sie in den Teich versenkte. Plötzlich stand ein alter Mann neben ihm. »Ich bin Nartu«, sprach der Alte, »ich wohne unter der Erde in einer Höhle und sende täglich die Sonnenfrau auf ihre Wanderung. Du bist in Not, welches Leid ist dir widerfahren?« Manbuk berichtete, was sich zugetragen hatte, und Nartu hörte ihm aufmerksam zu. Dann gebot er dem jungen Mann: »Geh fünf Tage lang nach Westen, bis du zu meiner Lagerstätte kommst. Du kannst sie nicht verfehlen, denn neben dem Eingang zu meiner Höhle befindet sich ein verbrannter Hügel. Doch tritt nicht bei Nacht in die Höhle ein, da dich die Hitze der Sonnenfrau, die nachts unter der Erde schläft, gewiß töten wird. Betritt meine Höhle erst, wenn die Sonne am Himmel steht. Dann geh zu meiner Feuerstelle. Daneben wirst du ein klaffendes Loch finden, in das du einen Feuerbrand werfen sollst. Doch flieh aus der Höhle, sobald du das getan hast."
Nach fünftägiger Wanderung fand Manbuk die Höhle des Sonnenherrn. Furcht überkam ihn, als er in deren endlose Tiefe starrte, doch er folgte den Spuren einiger Felswallabies, die in der Höhle Zuflucht gesucht hatten, und nachdem er eine Zeitlang zwischen den schwarzen Felsbrocken und roten, mit Zeichnungen bedeckten Felswänden umhergeirrt war, stieß er auf die Feuerstelle des alten Mannes und fand das Erdloch, in das er seinen Feuerbrand warf. Sogleich ertönte aus den Tiefen der Erde ein mächtiges Rumpeln und Poltern, und ein heißer Wind wehte aus der Höhle, als Manbuk davonrannte. Auch die Sonnenfrau sandte einen heißen Wind aus der Höhle, und bald begann Manbuks Haut auszutrocknen, die Pflanzen und die Erde um ihn herum versengten, und die Flüsse und Wasserstellen begannen zu versiegen. Rasch fertigte sich Manbuk einen Wasserbehälter aus Rinde, um darin einen Notvorrat zu verwahren. Eine verheerende Dürre breitete sich über das Land. Die Bäume starben ab, und die Vögel fielen tot aus den Zweigen der Bäume. Endlich erreichte Manbuk den Teich, in dem Milajun verschwunden war. Der Teich hatte sich in einen erbärmlichen Schlammtümpel verwandelt, in dem sich sterbende Fische hin und her wälzten, und Krokodile sich träg einen Weg bahnten. Da entdeckte er einen kleinen Wassertümpel, aus dem klagende Stimmen ertönten. Dorthin hatten sich die Wassernixen mit ihrer Schwester zurückgezogen. Doch bevor Manbuk seine Frau Milajun aus dem Tümpel befreien konnte, begann ein sanfter Regen zu fallen, der den erschöpften Wasserkreaturen neuen Lebensgeist einflößte.
Die Wassernixen nahmen ihre Schwester in ihre Mitte und rannten mit ihr davon in die Richtung eines schweren Regenfalls. Manbuk verfolgte sie und sang dabei den Emugesang, um seine Beine so stark und geschwind zu machen wie die Beine des Emus. Er hatte die Wassernixen und Milajun nahezu eingeholt, als sie in dem Regenfall anlangten. Dort schwammen sie den Regen hinauf in den Himmel und damit aus Manbuks Reichweite. Mit einem Riesensatz sprang Manbuk selbst in den Himmel, doch es ist ihm bis auf den heutigen Tag nicht gelungen, die sieben Schwestern einzuholen. Die sieben Schwestern sind am Nachthimmel als das Siebengestirn zu erkennen, und Manbuk als das Sternbild des Orion.
Vor langer Zeit lebten zwei Geckobrüder in einem Land im Westen. Der ältere Bruder hieß Marlu, der jüngere Yaba.