Märchen aus Irland -  - E-Book

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Beschreibung

Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis dieses Buches: Die Faulenzerin. Der Spruch der Moeren. Die gute Schwester. Der König mit den Bocksohren. Die drei Citronen. Die verzauberte Königstochter oder der Zauberthurm. Die Herrin über Erde und Meer. Der goldne Apfel des unsterblichen Vogels. Prinz Krebs. Die Schönste. Der Capitän Dreizehn. Der Drache. Der Riese vom Berge. Helios und Maroula. Das Schloss des Helios. Die Mutter des Érotas. Maroula und die Mutter des Érotas. Der Garten des Érotas. Tischtuch und Goldhuhn. Die Wunderpfeife. Der Garten des Charos. Gevatter Charos. Die siebenköpfige Schlange. Der Teufel und des Fischers Töchter. Die Sendung in die Unterwelt. Gott und die Riesen. Charos' Strafe. Der Vogel Gkión. Himmel und Meer. Die Neraïde. Die Neraïden an der Mühle. Der Wampyr. Der Teufel in der Flasche. Die Rache der Lámnissa. Die Arachobiten und die Lámnia. Der Drache von Koumariá. Die Räthselwette. Der Einsiedler auf dem Berge Liákoura. Alexander von Makedonien. Die Wirkung des Weines.

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Seitenzahl: 230

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Märchen aus Irland

Inhalt:

Geschichte des Märchens

Märchen aus Irland

1. Das weiße Kalb

2. Die erzürnten Elfen

3. Fingerhütchen

4. Die Mahlzeit des Geistlichen

5. Der kleine Sackpfeifer

6. Die Brauerei von Eierschalen

7. Der Wechselbalg

8. Die beiden Gevatterinnen

9. Die Flasche

10. Die Bekenntnisse des Thomas Bourke

11. Die verwandelten Elfen

12. Der verwünschte Keller

13. Der Schuhmacher

14. Herr und Diener

15. Das Feld mit Hagebuchen

16. Die kleinen Schuhe

17. Die Banshi von Bunworth

18. Die Banshi von Mac Carthy

19. Das Hexenpferd

20. Daniel O'Rourke's Irrfahrten

21. Das gebückte Mütterchen

22. Die verwünschte Burg

23. Springwasser

24. Der See Corrib

25. Die Kuh mit den sieben Färsen

26. Der verzauberte See

27. Die Erscheinung des O'Donoghue

Märchen aus Irland

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com

Geschichte des Märchens

Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).

Märchen aus Irland

1. Das weiße Kalb

In Tipperary liegt ein Berg so seltsam gestaltet, wie einer auf der Welt. Seine Spitze besteht aus einer kegelförmigen Kuppe, auf der ein kleines Haus zur Erlustigung in den Sommertagen aufgebaut war, das jetzt auch verödet seyn mag.

Bevor man aber jenes Haus baute oder einen Acker besäte, war dort ein geräumiger Weideplatz eingehegt, wo ein Hirte Tag und Nacht seine Heerde hütete. Grund und Boden gehörte von Alters her den Elfen und die verdroß es, daß der Rasen, auf dem sie sonst behend und lustig umher gesprungen waren, von den schweren Klauen der Ochsen und Kühe zertreten wurde. Das Gebrüll der Heerde klang ihren Ohren unerträglich und die Königin des Volkes entschloß sich endlich selbst, die Ankömmlinge wieder zu vertreiben. Als die Erntenächte kamen, der Mond über den Berg sein Licht ausgoß, das Vieh still und gesättigt auf dem Boden lag und der Hirte, in seinen Mantel eingewickelt, hin und her sinnend sich der Gesellschaft der Sterne erfreute, die über ihm flimmerten, da zeigte sie sich in verschiedenen, aber immer häßlichen und furchtbaren Gestalten vor ihm tanzend. Einmal erschien sie als ein mächtiges Roß mit Adlerflügeln und einem Drachenschweif, laut zischend und Feuer ausathmend. Plötzlich verwandelte sie sich in ein kleines Männchen, lahm an einem Bein, mit einem Ochsenkopf und von einer lodernden Flamme umkreist. Dann war sie ein großer Affe mit Entenfüßen und schlug ein Rad dazu, wie ein welscher Hahn. Aber ich könnte tagelang erzählen, wenn ich sagen sollte, was für Gestalten sie noch annahm. Sie brüllte, oder wieherte, oder blöckte, oder heulte, oder krächzte, wie bisher noch niemand auf der Welt hatte brüllen, wiehern, blöcken, heulen oder krächzen hören. Der arme Hirte bedeckte sein Gesicht, aber was half ihm das! Sie hauchte ihn nur einmal an und das Stück Mantel, das er mit aller Kraft vor die Augen drückte, war weggeblasen; nun stand er da, ohne sich zu rühren; nicht einmal seine Augen konnte er zuschließen: von unbekannter Macht gefesselt, mußte er diese schrecklichen Gesichte anstarren, bis sich sein Haar aufrecht erhob und die Zähne im Munde klapperten. Das Vieh aber riß wüthend aus, als wäre es von Bremsen gestochen und der Spuk dauerte, bis die Sonne über den Hügel schien.

Die armen Thiere magerten aus Mangel an Ruhe ganz ab, auch wollte das Futter bei ihnen nicht anschlagen; dazu kam ein Unfall auf den andern. Keine Nacht vergieng, daß nicht einige Stücke in einen Sumpf fielen, lahm wurden und gar umkamen; oder sie geriethen in den Fluß und ertranken. Kurz die Unfälle nahmen kein Ende und was die Sache noch schlimmer machte, es war kein Hirte mehr zu finden, der Nachts bei dem Vieh bleiben wollte. Eine einzige Erscheinung des Geistes reichte hin, auch dem unverzagtesten die Besinnung zu rauben. Der Eigenthümer des Weideplatzes wußte nicht, was er anfangen sollte. Er bot doppelten, dreifachen, ja vierfachen Sold, aber kein Geld konnte jemand bewegen, dem Grausen sich auszusetzen, das der Anblick des Geistes erregte. Sie selbst freute sich über den glücklichen Erfolg ihres Unternehmens und ließ mit ihren Quälereien nicht nach. Da die Heerde immer kleiner wurde und kein Mensch mehr wagte, in dem Bereich der Geister zu verweilen, so kam das stille Volk in großer Anzahl zurück. Jetzt sprangen sie wieder so lustig, wie sonst umher, berauschten sich an den Thautropfen der Eicheln und feierten ihre Feste unter den geräumigen Schirmen der Pilze.

Der arme, verwirrte Landmann wußte um sein Leben keinen Rath. Sein Vermögen nahm von Tag zu Tag ab, seine Leute waren in Furcht gejagt und der Termin, wo er die Pacht bezahlen sollte, rückte herbei. Was Wunder, daß er ganz trübselig aussah und sorgenvoll auf der Landstraße dahin wandelte. Nun lebte in der Gegend ein Mann, Namens Lorenz Hulahan, der blies die Pfeife besser als irgend einer in funfzehen Kirchsprengeln. Ein toller Rauschenblatt war Lorenz, aber sich fürchten das hatte er noch nicht gelernt. Reichte ihm jemand eine gute Herzstärkung, so nahm er es mit dem Teufel selber auf. Er hätte sich einem wüthenden Ochsen entgegengestellt und allein gegen einen ganzen Jahrmarkt geschlagen. Diesem Lorenz begegnete der Pachter einmal auf seinen sorgvollen Gängen, und auf die Frage, was denn die Ursache seines Kummers sey, erzählte er ihm sein Misgeschick.

"Wenns weiter nichts ist", rief Lorenz, "so gebt euerm Herzeleid den Abschied! Wären noch mehr Elfen auf dem Berg, als Kartoffelblüten in Eliogurty, sie sollten mich nicht in Furcht jagen. Ich müßte ja ein rechter Bärenhäuter seyn, ich, der ich keinen Menschen mit Fleisch und Bein fürchte, wollte ich vor einem solchen Balg von Gespenst nur daumensbreit zurückweichen."

"Rede nicht so frech, Lorenz", erwiderte der andere, "du weißt nicht, wers mit anhört, doch wenn du deine Worte wahr machst und meine Heerde eine Woche auf dem Rücken des Bergs hütest, so soll deine Hand in meine Schüssel tauchen, so lange bis die Sonne zu einem dünnen Lichtchen herabgebrannt ist."

Der Handel ward abgeschlossen und als der Mond hinter dem Felsen hervorkam, stieg Lorenz auf den Berg. Der Pachter hatte ihm erst vorgestellt, was das Haus vermochte, auch mit einem frischen Trunk sein Herz gestärkt. Lorenz nahm oben seinen Sitz auf einem großen Stein unter einer Höhle, den Rücken gegen den Wind und holte seine Pfeifen hervor. Er hatte noch nicht lange darauf geblasen, als sich die Stimme der Elfen hören ließ, tönend wie ein leiser Strom von Musik. Nun aber brachen sie in lautes Gelächter aus und Lorenz konnte deutlich einen sagen hören: "Was, wieder ein Mensch in dem Elfenkreiß! geh hin, Königin, und laß ihn seine Verwegenheit fühlen!"

Sie flogen fort und Lorenz fühlte, wie sie gleich einem Mückenschwarm vorbeizogen; als er aufblickte, sah er zwischen sich und dem Mond eine große, schwarze Katze, die auf den Spitzen ihrer Pfoten stand, einen krummen Buckel machte und miaute, daß es klang, wie das Geräusch einer Wassermühle. Dann schwoll sie auf bis zu den Wolken und auf ihrem linken Hinterbein sich herumdrehend wirbelte sie so lange, bis sie auf den Boden fiel, von welchem sie in der Gestalt eines Lachses aufsprang, der eine weiße Binde um den Hals hatte und ein paar Stulp-Stiefel an. "Nur zu, mein Schatz", sagte Lorenz, "willst du tanzen, so will ich pfeifen!" und setzte an. So verwandelte sie sich bald in dieses bald in jenes Ungeheuer, aber Lorenz blies immer zu, ohne sich irre machen zu lassen. Zuletzt verlor sie die Geduld, wie Frauen pflegen, auf deren Schelten man nicht achtet, und verwandelte sich in ein Kälbchen, so weiß wie Milch und mit Augen so sanft, wie die meiner Liebsten. Sie kam spielend und schmeichelnd herbei und dachte ihn in der Güte von seinem Geschäft abzubringen und ihm dann einen Streich zu spielen; aber Lorenz war nicht zu überlisten und als sie herankam, setzte er seine Pfeifen ab und sprang auf ihren Rücken.

Wenn du von dem Gipfel des Elfenberges westwärts nach dem Weltmeer schaust, so erblickst du den königlichen Fluß Shannon, wie er, gleich einer See sich ausbreitend, in stolzem Lauf durch die Stadt Limerick fließt, um sich endlich mit dem Ocean zu vermischen. Der Mond schien hell und glänzend über das ferne Gebirg. Funfzig Boote schwammen hin und her auf dem lieblichen Strom und der Gesang der Fischer stieg fröhlich von den Ufern in die Höhe.

Lorenz saß, wie ich schon erzählt habe, auf dem Rücken des weißen Kalbs und die Elfin wollte ihren Vortheil nutzen. Von der Spitze des Bergs sprang sie in einem Satz über den Fluß Shannon hinweg, durchflog in einer Secunde drei volle Stunden und sich auf einem entlegnen Damm niederlassend, schlug sie aus und warf den Lorenz auf den weichen Rasen. Aber wie er da lag, sah er ihr gerade in das Gesicht, strich sich über die Haare und rief: "wahrhaftig gut gemacht! das war kein schlechter Sprung für ein Kalb!"

Sie betrachtete ihn einen Augenblick, dann nahm sie ihre wahre Gestalt wieder an und sprach: "Lorenz, du bist ein tüchtiger Bursche, willst du den Weg auch wieder zurück machen?" "Freilich", antwortete er, "wenn Ihr es zufrieden seyd." Sie verwandelte sich wieder, Lorenz setzte sich auf den Rücken des weißen Kalbs und mit einem zweiten Sprunge waren sie auf der Bergspitze zurück.

Da sprach die Elfin in ihrer natürlichen Gestalt: "du hast dich so unerschrocken gezeigt, Lorenz, daß, so lange du die Heerden hier auf diesem Berg hütest, du weder von mir noch einem der meinigen sollst gestört werden. Der Tag dämmert, geh hinab zu deinem Herrn und sage ihm das; und wenn du noch sonst einen Wunsch hast, will ich ihn erfüllen." Darauf verschwand sie.

Die Elfin hielt Wort. So lange Lorenz lebte, zeigte sie sich nicht auf dem Berg. Aber er ward ihr auch nicht durch Bitten lästig. Er blies seine Pfeifen, trank auf seines Herrn Kosten, ruhte sich hinter dem Ofen aus und sah dann und wann nach der Heerde. Er starb endlich und ward in einem grünen Thal der schönen Landschaft Tipperary begraben. Ob das stille Volk nach seinem Tode wieder auf den Berg gezogen ist, kann ich nicht sagen.

2. Die erzürnten Elfen

Wer nicht beständig in Furcht vor den Geistern lebt, der thut wohl, gewißlich haben sie dann weniger Gewalt über den Menschen; wer aber gar keine Rücksicht auf sie nimmt oder gar nicht an sie glaubt, der handelt sehr unklug, sey es Mann, Weib oder Kind.

Es heißt mit Recht: "an guten Sitten trägt keiner schwer," oder: "Artigkeit kostet kein Geld," und doch gibt es Menschen, die so verstockt sind, daß sie sich einer Artigkeit schämen. Diese sollten sich an Caroll O'Daly ein Beispiel nehmen. Das war ein junger Bursche aus Connaught, groß und stark gewachsen und in seiner Heimath gewöhnlich Teufel Daly genannt.

Er pflegte von einem Orte zum andern zu ziehen ohne daß irgend eine Furcht ihn zurückhielt. Er gieng zu jeder Stunde der Nacht über einen verfallenen Kirchhof oder sonst einen Platz, wo die Elfen gerne hausten. Auch trat er aus einer Wohnung in die andere ohne das Zeichen des Kreuzes zu machen oder Glück auf! zu sagen.

Es begab sich, daß er einmal in der Grafschaft Limerick umherzog und sich auf dem Weg nach der ehrwürdigen Stadt Kilmallock befand. Gerade am Fuße von Knockfierna erreichte er einen Mann von würdigem Ansehen, der auf einem weißen Pferdchen dahintrabte. Die Nacht war herangekommen und nachdem sie sich gegenseitig mit Artigkeit gegrüßt hatten ritten sie eine Zeit lang nebeneinander her, ohne viel Worte zu wechseln. Endlich fragte Caroll O'Daly seinen Gefährten, wie weit er noch reite?

"Nicht lange mehr euern Weg", antwortete der Pachter, von dem er das Aussehen hatte, "ich will bloß auf die Spitze dieses Berges."

"Und was treibt Euch in der Nachtzeit dahin?" fragte O'Daly.

"Wenn Ihrs doch wissen wollt", antwortete der Pachter, "das stille Volk."

"Die Elfen meint Ihr?" rief O'Daly.

"Redet leise!" sagte der andere, "oder es könnte Euch übel bekommen." Mit diesen Worten wendete er sein Pferdchen seitwärts nach einem schmalen Pfad, der den Berg hinauf führte, indem er dem Caroll gute Nacht und glückliche Reise anwünschte.

"Der Gesell", dachte Caroll, "hat nichts gutes vor in dieser lieben Nacht und ich wollte darauf schwören, es treibt ihn zu dieser Stunde etwas ganz anderes auf den Berg, als die Elfen oder das stille Volk!"

"Die Elfen!" wiederholte er, "sollte ein vernünftiger Mensch den kleinen Rothkäppchen nachlaufen? einige behaupten wohl, daß es solche Geschöpfe gibt, andere leugnen es. So viel weiß ich aber, daß mich kein Dutzend davon erschrecken sollte, ja keine zwei Dutzend, wenn sie nicht größer sind, als ich sagen höre."

Während diese Gedanken ihm durch den Kopf giengen, richtete er seine Augen beständig auf den Berg, hinter welchem der Vollmond in aller Pracht aufstieg. Er bemerkte auf einer Erhöhung gerade vor der Mondscheibe die schwarze Gestalt eines Mannes, der ein Pferd leitete und zweifelte nicht, daß dies derselbe Mann sey, mit dem er des Weges gekommen war.

Der Entschluß ihm zu folgen fuhr blitzschnell durch seine Seele; Muth und Neugierde zusammen hatten jede Bedenklichkeit verscheucht. Ein Lied vor sich hin brummend stieg er ab, band sein Pferd an einen alten Dornstamm und stieg unerschrocken den Berg hinan. Er folgte dem Pfade in der Richtung, die der Mann mit dem Pferdchen genommen hatte; dann und wann erblickte er ihn wieder und nahm ihn zu seinem Ziel. Beinahe drei Stunden lang stieg er mühsam auf dem rauhen und manchmal sumpfigen Pfad, bis er endlich zu einem grünen Rasen auf der Spitze des Berges gelangte, wo er das Pferdchen in aller Freiheit und Ruhe grasen sah. O'Daly schaute sich rings nach dem Reiter um, er war nirgends zu sehen. Bald aber entdeckte er in der Nähe des Pferdchens eine Oeffnung in dem Berg, gleich der Mündung eines tiefen Schachts, und erinnerte sich in seiner Kindheit manche Erzählung von der schwarzen Höhle des Bergs Knockfierna gehört zu haben: sie sey der Eingang zu der Wohnung, welche das stille Volk mitten im Berge inne habe und einmal sey ein Mann, Namens Ahern, Landmesser in diesem Theil der Grafschaft, welcher mit einer Schnur versucht habe, die Tiefe der Höhlung zu ergründen, an eben dieser Schnur hinabgezogen worden, ohne daß man je wieder etwas von ihm gehört habe: und manches andere dieser Art. "Das sind alte Weibergeschichten!" dachte O'Daly, "und da ich den weiten Weg gemacht habe, so will ich an die Hausthüre klopfen und sehen, ob die Geister daheim sind."

Und ohne sich weiter zu bedenken, faßte er einen gewaltigen Stein, so dick, ja so dick, als seine beiden Hände, und schleuderte ihn mit aller Kraft in die Oeffnung. Er hörte, wie er hinabsprang und von einem Felsen zum andern mit gewaltigem Getöse abprallte; er bog sein Gesicht vor, um zu vernehmen, ob der Stein auf dem Grund niederfiele. Aber derselbe Stein, den er hinabgeworfen hatte, kam mit nicht geringerer Gewalt, als er hinunter gesprungen war, wieder zurück und gab ihm einen solchen Schlag ins Gesicht, daß er über Hals und Kopf von einer Klippe zur andern taumelnd, den Berg hinabrollte, viel schneller, als er hinaufgestiegen war.

Am folgenden Morgen fand man Caroll O'Daly neben seinem Pferde liegend, seine Haut war geschunden und zerrissen, die Augen geschlossen und die eingedrückte Nase entstellte ihn auf sein Lebtag.

3. Fingerhütchen

Es war einmal ein armer Mann, der lebte in dem fruchtbaren Thale von Acherlow an dem Fuße des finstern Galti-Berges. Er hatte einen großen Höcker auf dem Rücken und es sah gerade aus, als wäre sein Leib heraufgeschoben und auf seine Schultern gelegt worden. Von der Wucht war ihm der Kopf so tief herabgedrückt, daß wenn er saß, sein Kinn sich auf seine Knie zu stützen pflegte. Die Leute in der Gegend hatten Scheu, ihm an einem einsamen Orte zu begegnen und doch war das arme Männchen so harmlos und friedliebend wie ein neugeborenes Kind. Aber seine Ungestaltheit war so groß, daß er kaum wie ein menschliches Geschöpf aussah, und boshafte Leute hatten seltsame Geschichten von ihm verbreitet. Man erzählte sich, er besitze große Kenntniß der Kräuter und Zaubermittel, aber gewiß ist, daß er eine geschickte Hand hatte, Hüte und Körbe aus Stroh und Binsen zu flechten, auf welche Weise er sich auch sein Brot erwarb.

Fingerhütchenwar sein Spottname, weil er allzeit auf seinem kleinen Hut einen Zweig von dem rothen Fingerhut oder dem Elfenkäppchen trug. Für seine geflochtenen Arbeiten erhielt er einen Groschen mehr als andere und aus Neid darüber mögen einige wohl die wunderlichen Geschichten von ihm in Umlauf gebracht haben. Damit verhalte es sich nun, wie es wolle, genug es trug sich zu, daß Fingerhütchen eines Abends von der Stadt Cahir nach Cappagh gieng und da er wegen des lästigen Höckers auf dem Rücken nur langsam fortkonnte, so war es schon dunkel, als er an das alte Hünengrab von Knockgrafton kam, welches rechter Hand an dem Wege liegt. Müde und abgemattet, niedergeschlagen durch die Betrachtung, daß noch ein gutes Stück Weg vor ihm liege und er die ganze Nacht hindurch wandern müsse, setzte er sich unter den Grabhügel, um ein wenig auszuruhen und sah ganz betrübt den Mond an, der eben silberrein aufstieg.

Auf einmal drang eine fremdartige, unterirdische Musik zu den Ohren des armen Fingerhütchens. Er lauschte und ihm däuchte, als habe er noch nie so etwas entzückendes gehört. Es war wie der Klang vieler Stimmen, deren jede zu der andern sich fügte und wunderbar einmischte, so daß es nur eine einzige zu seyn schien, während doch jede einen besondern Ton hielt. Die Worte des Gesangs waren diese: Da Luan, Da Mort, Da Luan, Da Mort, Da Luan, Da Mort. Darnach kam eine kleine Pause, worauf die Musik von vorne wieder anfieng.

Fingerhütchen horchte aufmerksam und getraute kaum Athem zu schöpfen, damit ihm nicht der geringste Ton verloren gienge. Er merkte nun deutlich, daß der Gesang mitten aus dem Grabhügel kam und obgleich anfangs auf das höchste davon erfreut, ward er es doch endlich müde, denselben Rundgesang in einem fort, ohne Abwechslung, anzuhören. Als abermals Da Luan, Da Mort dreimal gesungen war, benutzte er die kleine Pause, nahm die Melodie auf und führte sie weiter mit den Worten: augus Da Cadine! dann fiel er mit den Stimmen in dem Hügel ein, sang Da Luan, Da Mort, endigte aber bei der Pause mit seinen augus Da Cadine.

Die Kleinen in dem Hügel, als sie den Zusatz zu ihrem Geistergesang vernahmen, ergötzten sich außerordentlich daran und beschlossen sogleich das Menschenkind hinunter zu holen, dessen musikalische Geschicklichkeit die ihrige so weit übertraf, und Fingerhütchen ward mit der kreisenden Schnelligkeit des Wirbelwindes zu ihnen getragen.

Das war eine Pracht, die ihm in die Augen leuchtete, als er in den Hügel hinabkam, rund umher schwebend, leicht wie ein Strohhälmchen! und die lieblichste Musik hielt ordentlich Tact bei seiner Fahrt. Die größte Ehre wurde ihm aber erzeigt, als sie ihn über alle die Spielleute setzten. Er hatte Diener, die ihm aufwarten mußten, alles was sein Herz begehrte, wurde erfüllt und er sah, wie gerne ihn die Kleinen hatten; kurz, er wurde nicht anders behandelt, als wenn er der erste Mann im Lande gewesen wäre.

Darauf bemerkte Fingerhütchen, daß sie die Köpfe zusammensteckten und mit einander rathschlagten und so sehr ihm auch ihre Artigkeit gefiel, so fieng er doch an sich zu fürchten. Da trat einer der Kleinen zu ihm hervor und sagte:

"Fingerhut, Fingerhut!

faß dir frischen Muth!

lustig und munter,

dein Höcker fällt herunter,

siehst ihn liegen, dir gehts gut,

Fingerhut, Fingerhut!"

Kaum waren die Worte zu Ende, so fühlte sich das Fingerhütchen so leicht, so selig, daß es wohl in einem Satz über den Mond weggesprungen wäre, wie die Kuh in dem Märchen von der Katze und der Geige. Er sah mit der größten Freude von der Welt den Höcker von seinen Schultern herab auf den Boden rollen. Er versuchte darauf, ob er seinen Kopf in die Höhe heben könnte, that es aber mit Vorsicht und Verstand, aus Furcht, er möchte ihn an dem Tafelwerk der großen Halle einstoßen. Dann aber schaute er rings herum mit der größten Bewunderung und ergötzte sich an all den Dingen, die ihm immer schöner vorkamen. Zuletzt war er so überwältigt von der Betrachtung des glänzenden Aufenthalts, daß ihm der Kopf schwindelte, die Augen geblendet wurden und er in einen tiefen Schlaf verfiel.

Bei seinem Erwachen war es voller Tag geworden. Die Sonne schien hell, die Vögel sangen und er lag gerade an dem Fuße des Riesenhügels, während Kühe und Schafe friedlich um ihn her weideten. Nachdem Fingerhütchen sein Gebet gesagt hatte, war sein erstes Geschäft mit der Hand nach seinem Höcker zu greifen, aber es war auf dem Rücken keine Spur davon zu finden, und er betrachtete sich nicht ohne Stolz, denn aus ihm war ein wohlgebildeter, behender Bursche geworden, und, was keine Kleinigkeit schien, er sah sich von Kopf bis zu Füßen in neuen Kleidern und merkte wohl, daß die Geister ihm diesen Anzug besorgt hatten.

Nun machte er sich auf den Weg nach Cappagh, er gieng so tapfer daher und sprang bei jedem Schritte, als wenn er es sein Lebtag nicht anders gewohnt gewesen wäre. Niemand, der ihm begegnete, erkannte Fingerhütchen ohne den Höcker und er hatte große Mühe, die Leute zu überreden, daß er es wirklich wäre und in der That, seinem Aussehen nach, war er es auch nicht mehr.

Wie es aber zu gehen pflegt, die Geschichte von Fingerhütchens Höcker wurde überall bekannt und viel Wesens davon gemacht. Meilenweit in der Gegend redete Jedermann, vornehm oder gering, von nichts als von dieser Begebenheit.

Eines Morgens saß Fingerhütchen an seiner Hausthüre und war guter Dinge. Da trat eine alte Frau zu ihm und sagte: "zeigt mir doch den Weg nach Cappagh."

"Ist nicht nöthig, liebe Frau," antwortete er, "denn das ist hier Cappagh, aber wo kommt Ihr her?"

"Ich komme aus der Gegend von Decie in der Grafschaft Waterford und suche einen Mann, der Fingerhütchen genannt wird und dem die Elfen sollen einen Höcker von der Schulter genommen haben. Da ist der Sohn meiner Gevatterin, der hat einen Höcker auf sich sitzen, der ihn noch todt drücken wird; vielleicht würde er davon erlöst, wenn er wie Fingerhütchen ein Zaubermittel anwenden könnte. Nun stellt Ihr Euch leicht vor, warum ich so weit her gekommen bin, ich möchte, wenns möglich wäre, etwas von dem Zaubermittel erfahren."

Fingerhütchen, das immer gutmüthig gewesen war, erzählte der alten Frau den Hergang ganz umständlich, wie es den Gesang der Elfen in dem Grabhügel fortgeführt, wie sie den Höcker von seinen Schultern weggenommen und wie sie ihm einen neuen Anzug von Kopf bis zu Füßen noch oben drein gegeben hätten.