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*** Auf dem FLIEGENDEN TEPPICH um die Welt: die schönsten Märchen endlich wieder lieferbar! *** Islands Märchen erzählen von Königen und Prinzessinnen, von Raubzügen und Zauberwäldern, von Riesen und Zwergen, die dort gelebt haben sollen. So kommen hier nicht nur die Besonderheiten der isländischen Lebenswelt, sondern auch die kulturellen Einflüsse der einstigen Eroberer und Siedler, der Kelten und Wikinger, zur Sprache.
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Seitenzahl: 172
Veröffentlichungsjahr: 2014
Märchen aus Island
Märchen der Welt
Herausgegeben von Ursula Mackert
FISCHER E-Books
Einmal herrschte ein König über ein Land. Wie er aber hieß und wie das Land hieß, das wird nicht verraten. Der König war verheiratet und hatte eine Tochter mit Namen Isol, die war sehr schön.
Im gleichen Reich lebte ein Herzog, der hatte einen Sohn namens Fertram. Der stattliche Jüngling wurde am Königshof aufgezogen und spielte oft mit Isol, und obwohl sie beide sehr jung waren, liebten sie sich sehr. Als sie älter geworden waren, da verlobten sie sich, und auch ihre Eltern waren einverstanden.
Die Zeit verging – da geschah ein großes Unglück: Die Königin starb. Der König trauerte über die Maßen und saß lange auf ihrem Grabhügel. Endlich kamen seine Minister und sagten, daß ihm die Trauer nichts helfe und er die Staatsgeschäfte nicht vernachlässigen dürfe. Der König seufzte. Und als die Minister sich anboten, eine neue Frau zu suchen, gab der König seine Einwilligung und ging heim ins Schloß.
Ein Schiff wurde für die lange Reise ausgerüstet, und die Minister segelten bei günstigem Wind ab. Lange segelten sie durch dichten Nebel, sie verloren die Richtung und irrten während des ganzen Sommers auf dem Meer umher. Endlich erblickten sie etwas Dunkles am Horizont, steuerten drauflos und erreichten Land. Sie verließen das Schiff und durchwanderten das Land nach allen Richtungen, bis sie entdeckten, daß sie auf einer Insel waren.
Nach einer Weile fanden sie ein schönes Haus. Ein Mann stand in der Tür und spaltete Holz. Zwei Frauen saßen in der Nähe auf Stühlen; eine war schön und jugendlich, die andere älter. Die Ältere kämmte sich gerade mit einem goldenen Kamm die goldblonden Haare. Als sie die Leute kommen sah, strich sie sich die glänzenden Haare aus der Stirn, grüßte freundlich und fragte nach dem Begehren der Fremden. Da erzählten die Abgesandten des Königs alles, was sich zugetragen hatte.
»Ähnlich erging es auch uns«, sagte die Frau, als sie geendet hatten. »Ich habe vor kurzem meinen Mann, einen König, verloren. Wikinger kamen ins Land und erschlugen ihn; ich konnte flüchten mit meiner Tochter und dem Knecht.«
»Wollt Ihr nicht mit uns kommen und Königin unseres Königs werden?« fragten die Abgesandten. Sie lehnte jedoch mit großem Dank ab. »Er ist doch nur ein kleiner König«, meinte sie, »der aber, mit dem ich verheiratet war, hatte Macht über zwanzig gekrönte Könige. Wäre es nicht unter meiner Würde, Frau eures Königs zu sein?«
Die Minister drangen nur noch mehr in sie, mit ihnen zu ziehen. Und so ließ sie sich schließlich erweichen, schenkte dem Knecht das Haus mit allem, was darin war, und nahm ihre Tochter mit an Bord. Sie bekamen guten Wind, und die Fahrt dauerte nur wenige Tage.
Als der König die Schiffe von ferne erblickte, ließ er sich in einem goldenen Wagen zum Strand fahren. Die Königin mußte sich neben ihn in den Wagen setzen, und er fühlte gleich große Liebe zu ihr. Sie fuhren in die Stadt, und es wurde ein großartiges Hochzeitsfest veranstaltet, zu dem alle Größen der benachbarten Länder eingeladen waren. Es wurde viel getrunken, und die Gäste erhielten kostbare Geschenke. Die ganz arm gekommen waren, gingen als Reiche fort. Und nachdem das Fest zu Ende war, trat die Königin in alle Würden und Rechte ein, die ihr zustanden.
Die Tochter der Königin hieß ebenfalls Isol, wie die Königstochter. Sie war jedoch nicht so schön und wurde deshalb von den Leuten Isol die Schwarze genannt. Die hübsche Königstochter nannte man Isol die Lichte.
Isol die Lichte wohnte in einem Turm mit vielen Dienerinnen. Ihre liebsten waren Eya und Meya, die begleiteten sie auf allen Wegen.
Bald nach der Hochzeit rüstete der König zu einer Reise durch seine Länder, und seine neue Königin bestärkte ihn darin sehr. Er nahm auch Fertram auf die lange Fahrt mit. Wie fiel dem der Abschied von Isol, seiner lichten Braut, schwer!
Die Flotte war abgesegelt, da kam eines Tages die Königin zur Königstochter und fragte mit großer Freundlichkeit, ob sie nicht mir ihr in den Wald hinausgehen wolle, um sich zu erfreuen. Isol war froh darüber und folgte mit ihren beiden Dienerinnen Eya und Meya der Königin. Auch die schwarze Isol schloß sich ihnen an. Fröhlich scherzend gingen die Frauen durch den Wald. Da kamen sie zu einer tiefen Grube, vor der sie stehenblieben. Ehe sich’s die Königstochter und ihre beiden Dienerinnen versahen, stießen die Königin und ihre Tochter sie hinein und lachten ganz unmäßig darüber. »So ist es nun gekommen!« schrie die Königin, »statt daß du, Isol, Fertram zum Mann bekommst, wird ihn nun die schwarze Isol bekommen!«
Die Grube wurde zugedeckt, und Mutter und Tochter kehrten in die Stadt zurück. Heimlich legten sie Feuer an den Turm, in dem die Königstochter gewohnt hatte, und er brannte in Rauch und Funken nieder, als hätte er nie jemanden beherbergt. Die Königin steckte ihre Tochter in die Kleider von Isol, der lichten, und alle Leute glaubten den Betrug. Nur wenige sprachen davon, daß die Tochter der Königin nicht mehr gesehen worden war; sie wurde nicht vermißt, denn ihr Ruf war der schlechteste gewesen.
Die armen Opfer in der Grube mußten unterdessen elendig verhungern. Nur Isol überlebte, denn sie hatte von ihrer Mutter am Totenbett eine goldene Schere und einen Gürtel bekommen, der jeden Träger vor dem Hungertod bewahrt. Mit der Schere schnitt sie sich Stufen und gelangte so aus der Falle. Nachdem sie ihre toten Gefährtinnen betrauert hatte, kam sie auf eine Lichtung vor der Stadt. Sie beschloß, sich so zu verkleiden, daß man sie nicht erkennen würde, fertigte sich ein Kleid aus Blättern und ging in die Stadt hinunter. In der Küche der Burg fand sie eine barmherzige Köchin, die ihr etwas zu essen gab. Da sie äußerst geschickt im Nähen war, durfte sie bleiben, um die Kleider auszubessern und die Hosen zu flicken. Als man sie, die so hübsch und fingerfertig war, nach ihrem Namen fragte, antwortete sie: »Ich heiße Näfrakolla.«
Nun kam der König mit Fertram von der Reise zurück. Die Königin und ihre Tochter gingen ihnen entgegen, und alle fuhren im goldenen Wagen in die Stadt zurück. Fertram wollte wissen, wo Isol geblieben sei. Und die Königin erzählte, daß bald nach ihrer Abfahrt der Turm abgebrannt und Isol in den Flammen umgekommen sei. Wie war Fertram darüber traurig! Die listige Königin aber bat ihn, aus einem Becher zu trinken, und als er das getan hatte, da konnte er sich nicht mehr an seine Isol erinnern. Die Macht der Königin und ihres Tranks ging so weit, daß Fertram einwilligte, ihre Tochter zur Frau zu nehmen, und sofort wurde der Hochzeitstag bestimmt. Als die Braut aber die Hochzeitskleider anfertigen sollte, wurde sie sehr verlegen. Sie konnte keine Nadel richtig führen. In ihrer Not ging sie zur Köchin und bat um Rat. Die Köchin erzählte ihr von Näfrakolla, die wunderbar zu nähen verstehe. Darüber war die Tochter der Königin hocherfreut, holte Stoff und Zubehör, ging zu Näfrakolla und bat sie, ihr die Kleider anzufertigen. Näfrakolla willigte ein und nähte alle Kleider.
Der Hochzeitsmorgen kam heran. Da ging die Tochter zu ihrer Mutter, der Königin, und gestand ihre üble Lage, denn die Stunde der Geburt ihres Kindes sei da, das sie vom alten Knecht Kolur empfangen habe.
»Ich kann dir helfen«, sagte die Königin. »In der Küche sitzt ein Mädchen namens Näfrakolla. Geh zu ihr, sie soll sich an deiner Stelle auf die Brautbank setzen.«
»Wird sie nicht schwatzen?«
»Glaub’ mir, sie wird nicht mehr sagen, als was ich will«, erwiderte die Königin.
Die schwarze Isol ging in die Küche und bat Näfrakolla, an ihrer Stelle zur Hochzeit zu gehen. Näfrakolla willigte ein und ließ sich von der Königin die Brautkleider anlegen. Als sie ihr die Reitärmel anzog, sagte Näfrakolla:
»Gut passen die Ärmel
der Eignerin Arme.«
Die Königin erwiderte, alle wüßten ja, daß Näfrakolla die Kleider genäht habe, und gab ihr die Handschuhe. Da sagte Näfrakolla:
»Ich weiß es sehr wohl
welche Finger sie nähten.«
»Gewiß, gewiß«, sagte die Königin, »nun sei aber nicht schwatzhaft.«
Man ritt in den Wald, um sich zu unterhalten. Als die Gesellschaft an den Ruinen des niedergebrannten Turms vorbeikam, sagte Näfrakolla:
»Früher warst du schön und rein,
jetzt bist du schwarz mein Kämmerlein.«
Fertram hatte gehört, aber nicht verstanden, was sie gesagt hatte. Sie kamen an einem Bach vorbei. Da sagte Näfrakolla:
»Nun bin ich gekommen zum Lindenbaum,
wo sich Fertram und Isol, die lichte,
Treue schwuren für alle Zeit,
wird er sie halten noch heute?«
Fertram fragte, was sie gesagt habe. Sie schwieg. Als sie weiterritten und an der tiefen Grube vorbeikamen, sagte sie:
»Hier liegen Eya und Meya,
meine lieben Kammermädchen;
ich entkam durch die Goldschere,
die Goldschere meiner Mutter.«
Abermals fragte Fertram sie, was sie meinte, sie wollte aber keine Antwort geben. Schließlich kehrte man ins Schloß zurück. Plötzlich ging das Pferd der vermeintlichen Braut durch, und Näfrakolla rief dabei:
»Spring nur, spring nur, Skurbein,
allein wirst du schlafen heut Nacht,
und ein junger König wird dann kommen.«
Wieder wollte Fertram den Sinn ihrer Worte gedeutet haben, aber Näfrakolla schwieg.
In der Stadt angekommen, wechselten Isol und Näfrakolla die Kleider, kein Mensch wußte davon, außer der Königin. »Was hast du mit dem Kind getan?« fragte die Königin ihre Tochter.
»Ich habe es gegessen, liebe Mutter«, sagte Isol.
»Das war recht, liebe Tochter«, entgegnete die Königin.
Am Abend begaben sich alle Leute zur Ruhe. Der Bräutigam lag bereits im Bett, und die Braut entkleidete sich. Als sie zu ihm ins Bett kam, sagte er: »Warte noch! Du kommst mir nicht eher ins Bett, bevor du mir nicht gesagt hast, was du gesprochen hast, als dir die Ärmel angezogen wurden.«
»Habe ich etwas Besonderes gesagt? Ich erinnere mich nicht daran«, antwortete Isol. »Aber ich will die Königin fragen.« Sie ging zu ihrer Mutter. »Was hat das abscheuliche Mädchen gesagt, als ihr die Ärmel angezogen wurden?«
Die Königin überlegte, dann sagte sie: »Gut passen die Ärmel der Eignerin Arme.«
Mit dieser Antwort lief Isol zu ihrem Bräutigam zurück. Dann wollte sie zu ihm hinauf auf das hohe Bett. Er entgegnete aber: »Nein, warte noch! Was sagtest du, als dir die Handschuhe angezogen wurden?«
»Es wird wohl nichts Merkwürdiges gewesen sein, ich erinnere mich nicht.«
»Du wirst es mir aber sagen«, entgegnete er, »eher kommst du mir nicht herauf ins Bett.«
So lief sie wieder zu ihrer Mutter, fragte, was Näfrakolla gesagt habe, ging zurück und wurde von Fertram weiter ausgefragt. So verging die halbe Nacht, und keiner kam zur Ruhe. In Fertram begannen schlimme Ahnungen zu wachsen. Es kam ihm die Erinnerung an seine richtige Braut zurück.
Er nahm plötzlich sein Schwert, das hing oben an der Bettstatt, und durchbohrte die falsche Braut. »Es soll wahr sein, daß ich diese Nacht allein schlafe, wie es Näfrakolla gesagt hat!« schrie er, denn er erkannte nun die Wahrheit.
Vom Lärm herbeigelockt, kam die Königin ins Zimmer gestürzt. Sie raste, als sie sah, was sich da im Blut wälzte. Fertram durchbohrte auch sie, und sie starb sofort. Nun sandte man nach Näfrakolla, sie mußte alles erzählen, was sich zugetragen hatte. Wie freute sich der König, daß er von dieser Unholdin befreit war. Und das Festmahl wurde aufs neue begonnen.
Da gab’s auf den Tischen
gepfefferte Pfauen,
gesalzne Seefische,
Mimiam und Timiam
und vieles andere mehr.
Da wurde getrunken
Primet und Klaret
und Wein Garganus.
Goldkisten zog man auf den Boden,
die Gäste erhielten Geschenke;
reich zogen die von dannen,
die ganz arm gekommen waren.
Fertram wurde alsbald König,
sie hatten Kinder und Kindeskinder,
gruben Wurzeln und Kräuter,
und nun geht dieses Märchen nicht mehr weiter …
Es lebte einmal ein alter Mann mit seiner alten Frau in einer schlechten Hütte. Sie hatten drei Töchter; die älteste hieß Signy, die zweite Asa, und die dritte hieß Helga. Die beiden ältesten verbrachten eine glückliche Zeit, die Eltern liebten sie sehr und erfüllten ihnen alle Wünsche. Helga hingegen wurde nicht so geliebt, sie mußte alle Geschäfte verrichten, die unangenehm und beschwerlich waren. Sie mußte alle grobe Arbeit tun, in der Küche sein, das Essen bereiten, putzen und reinigen. Von all dem hielten sich die Schwestern fern. Im Winter saßen sie wie zwei Prinzessinnen auf einer Bank, im Sommer sonnten sie sich, gingen in schönen Kleidern spazieren und dachten an nichts anderes als an ihre Schönheit.
Dennoch beneideten sie Helga. Denn obwohl die Jüngste nur in Lumpen gehüllt war und auf dem Aschenhaufen schlafen mußte, so war sie doch die Schönste von allen, und das ärgerte die beiden anderen sehr.
Da kam einmal ein hübscher und wohlgekleideter Mann und bewarb sich um Signy. Den Eltern und Signy gefiel der Mann, er war eine gute Partie, und so wurden sie einig. Der Mann nahm Signy sogleich mit; sie waren aber noch nicht weit von der Hütte entfernt, als er sich plötzlich verwandelte und zu einem Riesen mit drei Köpfen wurde.
Er fragte Signy: »Willst du getragen oder gezogen sein?«
»Trag’ mich«, entgegnete Signy zitternd, es schien ihr das Angenehmere zu sein.
Der Riese ließ sie auf einem seiner drei Köpfe Platz nehmen und trug sie in seine Höhle. Hier führte er sie in einen Keller, band ihre Hände auf den Rücken, schlang ihre Haare um eine Stuhllehne und ging fort, nachdem er den Keller verschlossen hatte.
Kurze Zeit danach kam wieder ein Mann zu den Alten und wollte Asa heiraten. Er war vornehm gekleidet, sah gut aus und gefiel Eltern und Tochter. Es wurde beschlossen, daß er sie haben sollte, und er nahm sie gleich bei der Hand.
Sie waren noch nicht weit von der Hütte entfernt, als der Mann zu einem schrecklich großen Riesen mit drei Köpfen wurde. Er richtete die gleiche Frage an Asa, die er auch Signy gestellt hatte, und die Geschehnisse wiederholten sich, bis Asa im Keller eingesperrt war.
Zum dritten Mal kam ein stattlicher und stolzer Mann in die Hütte und bat um die Hand einer Tochter. Die alten Leute sagten aber: »Hört auf, guter Herr, wir haben ja keine Tochter mehr zu vergeben. Alle, die wir hatten, sind verheiratet.« Der Mann bestand jedoch um so eifriger auf seiner Werbung. »Ich weiß, daß ihr noch eine unverheiratete Tochter habt«, drängte er.
Da mußten die Alten endlich zugeben, noch eine Tochter zu haben. »Aber kein Mensch kann zu dieser Liebe empfinden«, sagten sie. »Sie ist ein häßliches Ding und dabei das nichtswürdigste Geschöpf der Welt.«
»Zeigt sie mir, ich will sie sehen!«
Helga wurde aus der Küche gerufen und dem Fremden vorgestellt. Er sah sie an und wollte sie besitzen. Und schließlich hatten die Eltern, die sehr verwundert über seine Hartnäckigkeit waren, nichts dagegen einzuwenden, daß er sie gleich mitnahm. Helga selbst wurde nicht gefragt.
Nach einer kurzen Wegstrecke verwandelte sich der Mann, wie früher, zu einem Riesen. Helga entschied sich jedoch dafür, gezogen zu werden, und so kamen sie in der Riesenhöhle an.
Da sagte der Riese zu Helga: »Du sollst die häuslichen Arbeiten verrichten, die Höhle fegen und reinigen, mein Essen bereiten, mir in allem zur Hand gehen und mein Bett machen.«
So verging einige Zeit. Während des Tages verrichtete Helga die Arbeiten in der Höhle, am Abend und am Morgen bediente sie den Riesen. Regelmäßig brachte der den Tag mit Jagen und Fischen zu, trug abends seinen Fang heim und ging dann an seine Mahlzeit, wobei er schlürfte, rülpste und schmatzte.
Ging er morgens aus dem Haus, gab er Helga, was sie brauchte. Sie bemerkte jedoch, daß der Riese immer selbst zu seinen Behältern und Verschlägen ging und sie nie zusehen ließ. Jedesmal nahm er auch die Schlüssel mit, wenn er die Höhle verließ. Das einzige lebende Geschöpf, von dem Helga sah, daß es sich in der Höhle befand, war ein winzig kleiner Hund, der ihr viel Vergnügen bereitete.
Sie bemerkte aber, daß er immer fortlief, wenn sie mit der Arbeit beschäftigt war, aber zurückkam, wenn sie ihn rief. Da er jedoch nicht gleich zurückkam, schloß sie, daß er weit von der Höhle weglaufe.
Eines Tages beschloß Helga, die Höhle genauer zu untersuchen. Sie kam an die versperrte Kellertür, vor der lag der Hund. Als sie durch das Schlüsselloch blickte, war es ihr, als sähe sie ihre beiden Schwestern gefesselt auf dem Stuhl, und wurde sehr betrübt darüber, denn sie hatte ein gutes Herz.
Am Abend kam der Riese heim, und Helga gab sich sehr gesprächig. Sie trieb allerlei Scherze mit ihm, während er aß. Unter anderem wollte sie wissen, ob er mit ihrer Arbeit zufrieden sei. Er sei damit ganz zufrieden, brummte der Riese. Schließlich fragte sie ihn, wie sie selbst ihm gefalle. »Sehr gut«, brummte der Riese wieder, »schließlich habe ich dich deshalb geholt!«
»Wenn du mich mehr achtetest, als man seine Magd achtet, hättest du mir erlaubt, frei in der Höhle zu walten. Du hättest mir alle Schlüssel überlassen, damit ich deine Reichtümer genießen kann, die du zweifellos hast. So aber hältst du alles vor mir, deiner Magd, verschlossen.«
»Das ist richtig«, entgegnete der Riese. »Ich wollte dich auf die Probe stellen. Nun will ich dir aber nicht länger verbergen, daß ich bald unsere Hochzeit zu feiern gedenke, und deshalb sollst du nun auch alle Schlüssel bekommen. Nur einen Verschlag sollst du nicht aufsperren, auch wenn ein Schlüssel im Bund paßt. Ich rate dir, achte dieses Verbot!«
Helga nahm frohlockend den Schlüsselbund in Empfang und sagte: »Du hast brav gehandelt, ich sehe, du willst mich nicht betrügen. Und weil du mich bald heiraten wirst, werde ich gleich morgen damit anfangen, die Höhle gründlich zu reinigen und herzurichten, damit wir es gemütlicher haben als bisher.«
Darauf begaben sie sich zur Ruhe und schliefen ruhig die Nacht hindurch.
Am nächsten Tag ging der Riese wie gewöhnlich fort. Helga wartete sein Fortgehen ab und schloß dann sofort ungeduldig alle Verschäge und Behälter auf. Zuletzt kam sie zu der Tür, vor der ihr winziger Hund lag, und schloß sie mit dem verbotenen Schlüssel auf. Die Tür öffnete sich leicht, und Helga erblickte ihre erbarmungswürdigen Schwestern, die halb verhungert und heruntergekommen waren. Sie löste ihre Fesseln und pflegte sie dann, so gut es ging.
Die Schwestern berichteten alles, was sie zu berichten hatten. Sie behaupteten, der Riese habe sie zwingen wollen, das Bett vor der Hochzeit mit ihm zu teilen, und da sie sich geweigert hätten, habe er sie in diesen Verschlag gesperrt und sie mit wenigen Nahrungsmitteln knapp am Leben gehalten.
Als Helga das hörte, sagte sie: »Ich werde unversehens Rat schaffen, denn der Riese hat sich sträflich an euch vergangen. Ich werde euch zurückbringen lassen. Der Riese selbst wird es tun, und zwar in einem Sack, den ich mit alten Fischhäuten und Essensresten ausfüllen werde.«
Sie ließ die Schwestern auch sogleich in einen großen Sack steigen, füllte ihn ringsherum mit Speiseresten des Riesen und stellte den Sack dann an die hintere Wand der Höhle.
Als der Riese am Abend nach Hause kam, stellte sich Helga sehr betrübt. Er wollte wissen, was sie habe, da erzählte sie, ihre Eltern hätten kaum einen Bissen zu essen, während sie selbst im Überfluß lebte, und das mache sie sehr traurig. Ihre Klagen gingen dem Riesen zu Herzen. »Ich will Hilfe schaffen«, sagte er.
Da erwiderte Helga: »Ich habe bereits vorgesorgt. Du wirst wohl kaum die Reste deiner Mahlzeiten vermissen, nicht wahr? Die habe ich zusammengesucht und in diesen Sack dort getan. Nun ist er aber so schwer geworden, daß ich ihn nicht mehr tragen kann. Da hoffe ich, du wirst mir den Gefallen tun und ihn morgen zu meinen Eltern tragen. Ich verbiete dir aber, in dem Sack herumzuwühlen. Du kannst sicher sein, daß aus unserer Heirat nichts wird, wenn du dem zuwiderhandelst.«
Der Riese versprach, zu gehorchen, wenn sie alles für die Hochzeit vorbereiten wolle. »Morgen wollen wir heiraten«, sagte er.
Der Riese zeigte ihr alle Dinge, die er für die Hochzeit vorgesehen hatte. Das waren sehr viele. Er gab ihr auch das Brautkleid und bat sie, es bald anzuziehen, denn wenn er von ihren Eltern zurückkäme, würden auch die ersten Hochzeitsgäste zu erwarten sein. Sie beruhigte ihn, versprach, alles rechtzeitig bereit zu haben, und danach legten sie sich schlafen.