Märchen aus Pakistan -  - E-Book

Märchen aus Pakistan E-Book

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Beschreibung

Sind, das Land am unteren Indus und Das erste Gebiet der vier großen pakistanischen Regionen, das von den Muslimen erobert wurde, steht im Mittelpunkt dieses Märchenbandes. Wir erfahren hier vom alltäglichen Leben im Islam, auch wie stark die Religiosität in dieser bäuerlichen Kultur verankert ist. Wie diese rund 50 Märchen das äußere Leben des Landes mit Farben und Gerüchen widerspiegeln, so geben sie auch eine andere Eigenheit wieder: sie sind voll von Musik, die mystischer Erfahrung und tiefer Frömmigkeit Ausdruck verleiht.

Die Diederichs-Reihe »Märchen der Weltliteratur« ist die umfassendste Sammlung ursprünglicher Erzählliteratur aller Völker und Zeiten. Sie versammelt das Schönste, was sich die Menschen je erzählt haben: Mythen und Legenden, Göttersagen und Dämonengeschichten, Feen- und Zaubermärchen, gewitzte Tierfabeln und herrliche Schwänke. Wer die Eigenart anderer Völker verstehen will, wird hier Wege abseits des Mainstreams finden. Eine moderne Märchenbibliothek für eBook-Leser.

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Seitenzahl: 388

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Inhaltsverzeichnis

1. Der Lohn fürs Geben, die Strafe fürs Nicht-Geben2. Immer gleich bleibt die Güte des Guten, die Bosheit des Bösen3. Der Kaufmann Schönster Edelstein4. Der Teller, die Melone und das Messer5. Liebe für einen Groschen6. Der Maulwi und der Eseltreiber7. Die vier Prinzen8. Zwanzig Fragen9. Sie hat Augenschminke aufgetragen, aber es nicht richtig gekonnt10. Mitgefühl11. König Holzfäller12. Der kluge Blinde13. Das Wohlgefallen des Herrn14. Glück und Unglück15. Der königliche Räuber16. Der Halb-Freund und der ganze Freund17. Wie der Herr, so’s Gescherr18. Der Ausgleich19. Manches ist vergangen, manches wird vergehen20. Liebe kennt keine Entfernung21. Der Zauberer Aflatun22. Sedyan Fee23. Weiß-Rose-Fee24. Prinz Gul Munir25. Der leprakranke König26. Der kluge Affe27. Das Butterhaus28. Fürst Gutschmutsch und Wezir Tschitschmitsch29. Kaiser Sahne-Ahne und das Weidevieh30. Sultan Schakal31. Der Schakal und der Gammler32. Der Schakal und die alte Frau33. Das Zeugnis des Schakals34. Der Schakal und der Hase35. Die Gazelle und das Krokodil36. Der Hahn, das Stierkalb, der Hammel und das Kamel37. Die Stacheln des Igels38. Die schlaue Ratte39. Das kahle Zicklein40. Die Hochzeit des Fröschleins41. Der König und die flügellahme Krähe42. Der Storch und die Störchin43. Die Spätzin und der Spatz44. Der Schakal und der Sperling45. Die Schlange und der Schlangenbeschwörer46. Der Tod von Man MossirroCopyright

1. Der Lohn fürs Geben, die Strafe fürs Nicht-Geben

an sagt, daß es irgendwann einmal einen Fakir gab, der in eine Stadt kam und da ausrief: »O ihr Geschöpfe Gottes! O Gemeinde des Propheten! Gebt mir um Gottes willen eine Frau als Almosen!« Manche Leute fingen auf diese Bitte hin an zu lachen, andere fingen an mit ihm mehr oder weniger zu reden, und andere wieder mißhandelten ihn und stießen ihn zur Seite – aber er hörte nicht auf, diese Bitte immer zu wiederholen. Von einer Stadt zur anderen, von der zweiten in die dritte ging er auf diese Art durch viele Städte, aber niemand gab ihm eine Frau als Almosen. Die Leute gaben ihm zu verstehen: »Fakir, wenn du in Gottes Namen unser Leben wünschst – das ist bereit; aber wie sollen wir dir unsere Ehre (d.h. Frau) geben?« Der Fakir durchwanderte jenes Land Ort um Ort, aber er traf keinen großzügigen Menschen, der seine Bitte erfüllte. Als er in der letzten Stadt dieses Reiches mit jenem Ruf begann, ging dort gerade die Sonne unter. Aber es blieb noch eine Ecke der Stadt übrig, weshalb der Fakir sich dachte: ›Da könnte man auch noch mal reinstechen!‹ Er ging hin und rief auch dort aus: »O ihr Geschöpfe Gottes! O Gemeinde des Propheten! Um Gottes willen, gebt mir eine Frau als Almosen!‹

Ein Mann, der gerade vor drei Tagen geheiratet hatte, kam aus der Tür und sagte zu dem Fakir: »Junger Mann, was willst du haben?« Der Fakir antwortete ihm: »Um Gottes willen will ich eine Frau haben.« Dieser Mann trat in sein Haus und fragte seine Frau: »Ich möchte dich als Almosen um Gottes willen geben – was meinst du?« Die Frau antwortete: »Mich haben Vater und Mutter dir übergeben; tu, was immer dir gefällt – du kannst sogar noch alle Sachen dem Räuber nachwerfen!« Jener Mann sagte zu der Frau: »So soll es sein. Bade dich und zieh weiße Kleider an!« Dann gab er all das Geld, das er hatte, der Frau und übergab diese dem Fakir.

Der Fakir nahm die Frau mit und ging dorthin, wo er hergekommen war; aber als jener arme Ehemann nach Hause kam, erschienen Verwandte und Nachbarn und bedrängten ihn und beschimpften ihn. Nach und nach gelangte diese Angelegenheit bis zu den Ohren des Königs, der es ungehörig fand, daß solch ein Mann ganz ohne Eifersucht in seiner Stadt wohnte, und ihn deswegen aus der Stadt jagte.

Dieser Mann legte nun in tiefem Schweigen Fakir-Gewänder an, verließ die Stadt, und wen immer er zu Gesicht bekam, den fragte er: »Was ist der Lohn fürs Geben und die Strafe fürs Nicht-Geben?« Die Leute pflegten zu ihm zu sagen: »Wie sollen wir das wissen?« Deswegen durchwanderte er viele Städte, aber niemand konnte ihm Antwort auf seine Frage geben. Schließlich kam er in eine Residenzstadt, und dort fragte und fragte er und stellte auch diese Frage dem König. Der König war sehr klug; er ehrte den Fremden und sagte zu ihm: »Fakir, von hier sind Hunderttausende weggegangen, aber nicht zurückgekehrt – wie sollen wir wissen was dem großen Freunde genehm ist?« Der Fakir sagte: »Herr, ich werde jenen Freund befragen.« Der König sagte zu ihm: »Fakir, daß du aufrichtig bist, steht fest, deshalb wirst du bestimmt dein Ziel erreichen. Wenn du den großen Freund triffst, dann lege ihm doch um Himmelswillen in meinem Namen dar: Gib mir Armen Kinder, und wenn die Lampe leuchtet, will ich sterben!« Der Fakir sagte zu ihm: »Herr, wenn ich den Freund treffe, dann werde ich es sagen.«

Der Fakir verließ den Ort und wanderte und wanderte, bis er zu einer Stadt kam. Was sah er – über die Bewohner dieser Stadt fiel der Regen des Fluches, und die Leute hatten nackte Leiber und hungrige Bäuche. Er wunderte sich sehr und fragte die Leute: »Was ist der Lohn fürs Geben und was ist die Strafe fürs Nicht-Geben?« Die Leute sagten: »Du willst wohl, daß wir dich mit Gewalt zu Erde machen? Auch uns hat Gott erschaffen und aufgezogen, und du fragst uns, was wir von diesem tyrannischen Gott wissen?« Der sagte: »Ich werde jenen Tyrannen befragen.« Als er sich zum Weitergehen aufmachte, sagte ein Mann zu ihm: »Fakir, wenn du Gott begegnest, dann frage ihn doch bitte in unserem Namen, in was für eine Hölle wir gekommen sind!« Der Fakir sagte ihm das zu und ging weiter.

Nach einigen Tagen kam der Fakir in einen Wald. Nachdem er den ganzen Tag umhergeirrt war, kam ihm schließlich an einer Stelle ein offener Platz zu Gesicht, in dessen Mitte er auf einem winzigen Hochsitz zwei Personen sah. Als er näher kam, sagte er: »Der Friede sei mit euch!« Die eine Person schwieg, aber die andere antwortete: »Und mit dir der Friede!« Der Fakir sagte: »Junger Mann, laßt mich eine Nacht hierbleiben, seid bitte so gut!« Die Person, die da stumm gesessen hatte, gab ihm zur Antwort: »Du Unglücksmensch, schämst du dich nicht? Auch uns hat Gott erschaffen und aufgezogen. Seit wir denken können, sind wir nicht von diesem Hochsitz heruntergekommen. Am ganzen Tag kommt nur ein kleiner Topf mit Wasser und ein Brot, das essen wir auf – und die Plattform ist so winzig, daß kaum eine Person darauf schlafen kann; deswegen schlafen wir umschichtig. Und dann haben wir auch noch die Kälte im Winter zu ertragen. Wir haben nicht so viel Kraft, daß wir von hier heruntersteigen, uns in den Schutz eines Baumes setzen, um uns vor der Kälte zu schützen oder wiederum in der Sonnenhitze des Sommers im Schatten eines Baumes unseren Rücken kühlen zu können! Und jetzt kommst du noch als Gast zu uns, als ob du hier beim Vorbeigehen ein Stadthaus gesehen hättest!« Der arme Fakir verstummte und zog sich zurück, als die andere Person, die auf seinen Gruß geantwortet hatte, zu ihm sagte: »Fakir, komm und steig auf den Sitz.« Er sagte zu dem Bruder: »Bruder, gib du uns bitte nicht von deinem eigenen Brot und Wasser. Wir schlagen uns schon selber durch, und du behalte bitte den Schlafplatz.« Der Fakir kletterte auf den Hochsitz. Kaum war ein Augenblick vorüber, als durch göttliche Macht ein Brot und ein kleiner Topf mit Wasser kamen. Der Gast, der den Fakir zum Übernachten eingeladen hatte, pflegte sonst immer das Brot zu teilen, jetzt aber sagte er zu dem Bruder: »Bruder, teil du das Brot, damit du nicht später sagst: Wegen des Gastes hat er für sich einen viel größeren Anteil von dem Brot genommen, oder er hat mehr Schlucke Wasser getrunken!« Derjenige, der den Gast nicht eingeladen hatte, der sagte: »Wie könnte ich dir jetzt das Verteilen überlassen?« Sprach’s und teilte das Brot und Wasser und aß seinen Teil auf. Sein Bruder und der Fakir sagten »Im Namen Gottes« und aßen das restliche Brot und tranken das Wasser. Durch Gottes Macht – von einem Stückchen Brot so groß wie ein Fingernagel und von einer Handvoll Wasser wurden sie reichlich satt. So verbrachten diese beiden die Nacht. Zur Nacht hatte der, der den Gast nicht aufgenommen hatte, einen erquickenden Schlaf, aber der Fakir und sein Bruder unterhielten sich die ganze Nacht. Als die Sonne aufstieg, sprang der Fakir von dem Hochplatz herab und sagte: »Was ist der Lohn fürs Geben und die Strafe fürs Nicht-Geben?« Derjenige, der ihn nicht eingeladen hatte, sagte zu ihm: »Du bist doch ein richtig ungezogener Kerl! Wie sollen wir denn wissen, was dieser grausame Gott für ein Ziel hat, daß er uns in dieses Unglück gestürzt hat!« Der Fakir sagte: »Mein Lieber, ich werde diesen Grausamen fragen.« Derjenige, der ihn aufgenommen hatte, sagte zu ihm: »Fakir, mir scheint es, daß in deinem Gesicht Zeichen der Güte sind. Du wirst bestimmt zu dem großen Freund gelangen, und wenn du den Freund triffst, dann leg ihm doch bitte in unserem Namen dar: ›Herr, in was für eine Plage sind wir da gekommen?‹« Der Fakir antwortete: »Ja, mein Lieber, wenn ich zum Freunde gelange, werde ich ihm das bestimmt darlegen.«

Der Fakir wanderte und wanderte weiter und kam zu der Wüste der zwölf Berge. Was sah er – eine schwarze Schlange hatte sich dort mächtig aufgerichtet! Der Fakir bekam Angst, aber er faßte sich ein Herz und sagte: »Friede sei mit dir!« Die Schlange sagte: »Und mit dir der Friede!« Der Fakir fragte sie: »Freund, was ist der Lohn fürs Geben und die Strafe fürs Nicht-Geben?« Die Schlange antwortete: »Fakir, seit ich denken kann, habe ich auf diesem Hügel gelebt; mit meinem Fauchen habe ich die zwölf Berge verbrannt, aber bis jetzt habe ich nichts zu essen und zu trinken bekommen. Ich kann nicht von hier weggehen – was soll ich dir antworten? Das weiß nur jener Herrscher!« Der Fakir sagte: »Freund, ich werde jenen Herrscher fragen.« Die Schlange sagte zu ihm: »Wenn du den Herrscher triffst, dann lege ihm doch in meinem Namen dar: ›Herr, ist mir in dieser Welt auch ein guter Tag zugeteilt, oder bin ich ganz vergessen?‹« Der Fakir sagte: »Meine Liebe, wenn ich den Herrscher treffe, dann werde ich ihm das irgendwie sagen.«

Der Fakir blieb über Nacht dort und ging am Morgen wieder weiter. Er gelangte in eine Steppe und sah dort eine Stute stehen. Ihr Schwanz reichte bis in die Erde, und Krähen tanzten scharenweise über ihr. Ganz in Blut getaucht stand sie da und war nahe am Sterben. Als der Fakir ihr näherkam, sagte er: »Frau Engelin, Friede sei mit Euch!« Die Stute sagte: »Und mit dir der Friede!« Der Fakir fragte: »Was ist der Lohn fürs Geben und die Strafe fürs Nicht-Geben?« Die Stute sagte: »Fakir, seit ich geboren bin, bin ich hier so festgehalten. Ich habe nicht so viel Kraft, daß ich von hier weggehen könnte, oder daß ich ein ganz klein wenig Gras mit meinem Maul von dieser Weide nehmen könnte, oder daß ich den Schweif heben und die Krähen wegfliegen lassen könnte! Was soll ich dir denn für eine Antwort geben? Das weiß nur der Herrscher!« Der Fakir sagte: »Ich werde diesen Herrscher fragen.« Die Stute sagte zu ihm: »Wenn du den Herrscher triffst, dann frage ihn doch bitte in meinem Namen, für welche Tat ich die Strafe erdulde?«

Der Fakir sagte: »Gnädige Frau Engelin, wenn ich den Herrscher treffe, dann werde ich ihm das bestimmt unterbreiten.«

Der Fakir zog weiter und weiter und kam zu einem Fluß. Was sah er – eine Person mit lichtvollem Antlitz, einen Stock in der Hand, saß dem Fluß zugewandt. Der Fakir sah nur den Rücken, als sich ihm alle Schleier öffneten und er ihm zu Füßen fiel. Er unterbreitete ihm: »Herr, was ist der Lohn fürs Geben und die Strafe fürs Nicht-Geben?« Der mit dem lichtvollen Gesicht sprach: »Fakir! Zuerst muß man den anderen Gutes wünschen!« Der Fakir verstand und erwiderte: »Ja, Herr! – Ein König sehnt sich nach Kindern.« Jene Gestalt sagte zu ihm: »Und wer ist der zweite?« Er sagte: »Herr, die Bitten der Nackten, Hungrigen.« Da kam ihm die Antwort: »Diese haben Gottes Haus entehrt und es mit Schmutz gefüllt und über ihm ein Weinhaus gebaut – solange sie nicht bereuen und die Moschee reinigen, so lange wird dieser Regen des Fluches weiter auf sie fallen!« Der Fakir sagte: »Herr, und die Leute auf dem Hochsitz?« Er sprach: »Die laß jetzt!« Dann sagte der Fakir wieder: »Herr, welche Antwort soll ich der Schlange geben?« Die lichtvolle Gestalt sagte zu ihm: »Diese Schlange hat die Schätze von sieben Königen an ihre Brust gedrückt – so lange sie die nicht um Gottes willen hergibt, so lange wird die Schlange nicht von jenem Ort wegkommen!« Dann sprach der Fakir im Namen der Stute. Die Antwort wurde ihm zuteil: »Diese hat sich geweigert, dem Menschenkind zu gehorchen. So lange sie dem Menschensohn nicht gehorcht, so lange wird sie in diesem Zustand bleiben!« Der Fakir legte ihm dar: »Herr, was ist der Lohn fürs Geben und die Strafe fürs Nicht-Geben?« Jene Gestalt sagte zu ihm: »Kehre von hier zurück. Wenn du zu dem König kommst, dann wird am nächsten Morgen dem König ein Sohn geboren werden. Laß du ihn in die Hofversammlung holen, laß ihn auf dem Thron schlafen und frage ihn nach der Antwort.«

Sprach’s, und dann verschwand die Gestalt, und der Fakir kehrte um und zurück. Als er zu der Stute kam, fragte sie ihn: »Fakir, hast du den Freund getroffen?« Er sagte: »Ja, gnädige Frau Engelin.« Die Stute sagte zu ihm: »Hast du in der Freude über den Freund meine, der Armen, Sache vergessen oder nicht?« Der Fakir sagte: »Nein, gnädige Frau Engelin! Über dich ist folgender Spruch ergangen: solange du das Menschengeschlecht nicht auf dir reiten läßt, so lange wirst du in diesem Zustand bleiben. Diese Strafe ist dir hier zugeteilt und in der künftigen Auferstehung wird dir noch eine andere Strafe auferlegt werden!« Die Stute sagte: »Fakir! Ob nun andere Leute kommen oder – lieber Himmel! – nicht kommen ... sei du so gut und reite auf meinem Rücken!« Der Fakir rief Gott an und strich ihr über den Rücken, da bekam sie im Nu einen richtigen Schwanz. Dann sagte er »Im Namen Gottes« und saß auf, und im Nu kam er bei der Schlange an. Als die Schlange ihn so zufrieden sah, sagte sie: »Fakir, du hast bestimmt den Freund getroffen – du hast doch wohl nicht in der Freude darüber mich Arme vergessen?« Der Fakir sagte: »Nein, meine Liebe: über dich ist der Spruch ergangen, daß unter dir die Schätze von sieben Königen vergraben sind, und so lange du die nicht für Gottes Sache in Almosen ausgibst, so lange wirst du hier sein.« Die Schlange sagte zu ihm: »Bruder, nimm du sie doch mit dir und nimm sie an, damit ich befreit werde!« Der Fakir sagte: »Meine Liebe, ich habe die Welt aufgegeben; jetzt interessieren mich diese Schätze überhaupt nicht. Aber ich werde dir solche Leute schicken, die Reichtum nötig haben!« Das versprach der Fakir der Schlange und ging geradewegs auf den Wald zu, wo die beiden Leute auf ihrem Hochsitz gesessen hatten. Da sah er, daß nur noch der leere Sitz dastand. Von dort ging er wieder in jene Stadt, auf die der Regen des Fluches fiel. Die Person, die ihm das gesagt hatte, die fragte ihn: »Fakir, hast du den Freund getroffen?« Der Fakir sagte: »Jawohl, mein Lieber!« Der andere fragte ihn: »Du hast uns doch hoffentlich nicht vergessen?« Der Fakir sagte: »Nein, aber ihr habt Gottes Haus entweiht, und so lange ihr das nicht reinigt und bereut, so lange wird dieses Unheil nicht aufhören.« Als der Mann das Wort des Fakirs hörte, fing er an zu lachen und sagte: »Wo hast du denn diese Lüge her ... ? Der hat den Freund getroffen! In unserer Stadt gibt es gar keine Moschee, wie könnten wir es denn da entehren?« Der Fakir sagte: »An dem Platz, wo ihr ein Weinhaus gebaut habt, darunter liegt die Moschee. Grabt mal und seht nach!« Einer sagte: »Der will nur unsere Vergnügungsstätte kaputt machen, deshalb soll man ihm nicht gehorchen!« Ein anderer sagte: »Hört auf ihn und stellt das einmal fest, grabt mal und sucht es zu bestätigen; wenn es sich als Lüge herausstellt, dann schlagt ihn tot!« Schließlich nahm man das Wort des letzteren an, und sie fingen an, auf den Fakir hörend, den Platz des Weinhauses aufzugraben. Da sahen sie, daß da eine richtige Moschee lag, und sie begriffen es alle, und sie ehrten den Fakir. Als die Leute der Stadt bereut hatten, da begann durch Gottes Macht der Regen der Gnade auf sie zu regnen. Der Fakir sagte zu den Leuten der Stadt: »Geht alle mit mir zusammen, und ein jeder bringe sein Tragtier mit sich!« Die Männer gehorchten ihm sogleich. Als sie sich der Schlange näherten, da schrieen die Männer auf: »Fakir, du hast uns von einem Unglück befreit und nun willst du uns in ein zweites stürzen!« Aber der Fakir sagte zu ihnen: »Ich gehe euch voran; das Leben ist allen lieb. Macht euch keine Sorgen, die Schlange wird euch überhaupt nicht belästigen!« Als sie bei der Schlange ankamen, da übergab die Schlange das gesamte Vermögen dem Fakir und bat ihn um Erlaubnis, fortzugehen. Der Fakir sagte zu ihr: »Geh nur, aber geh nicht dorthin, wo alle diese Leute sind, sonst geben die noch vor Angst den Geist auf.« Die Schlange ging zur anderen Seite fort und der Fakir verteilte die Schätze an jene Männer und gab die Stute jener Person, die ihm beim ersten Mal gesagt hatte, er solle beim Freunde vorstellig werden.

Dann ging der Fakir geradewegs zum König. Als der König auf seinem Gesicht ein Strahlen sah, begriff er, daß sein Wunsch erfüllt war. Er ließ den Fakir neben sich auf dem Thron sitzen und fragte ihn über seine Begegnung mit dem Freunde. Der Fakir sagte zu dem König: »Dein Wunsch wird sich morgen erfüllen.« Der König hatte diese Nacht den Fakir bei sich aufgenommen. Als es Morgen wurde, traf sich die Hofversammlung, und der Fakir und der König hatten sich auf den Thron gesetzt, als eine Amme angerannt kam und den König zur Geburt eines Sohnes beglückwünschte. Im ganzen Hofstaat verbreitete sich große Freude, und der Fakir und der König waren sehr glücklich. Der Fakir sagte zu dem König: »Laßt das Kind sofort hierher kommen!« Der König befahl der Amme, das Kind nach dem ersten Trinken an der Mutterbrust zuerst zu dem Fakir zu bringen. Die Amme badete das Kind in Wohlgerüchen und Ambra, wickelte es in seidene Windeln, legte es auf ein goldenes Tablett und brachte es herbei. Als der Fakir und der König das Kind sahen, kamen sie vom Thron herunter. Der Fakir nahm der Amme das Tablett ab, setzte es auf den Thron und sagte zu dem König: »Nun ist dieser Thron das Eigentum dieses Kindes.« Der König sagte: »Ehrwürdiger Fakir, ich brauche ihn auch.« Dann nahm der Fakir den Jungen am kleinen Finger und sagte zu ihm: »Sohn – was ist der Lohn fürs Geben und die Strafe fürs Nicht-Geben?« Das Kind gab keinerlei Antwort. All die Leute, die in der Hofversammlung saßen, ärgerten sich innerlich: ›Wie blöd ist doch der König, daß er einen so verrückten Fakir mit sich auf dem Thron sitzen läßt, der noch nicht mal so viel Verstand hat, daß er weiß, daß neugeborene Kinder nicht sprechen können!‹ Aber aus Furcht vor dem König waren alle still. Der Fakir fragte zum zweiten Mal, aber es kam ihm keine Antwort. Schließlich beim dritten Mal drückte er den kleinen Finger des Kindes kräftig und sagte: »Sohn, auf Gottes Befehl sag uns und laß uns hören, was der Lohn fürs Geben und die Strafe fürs Nicht-Geben ist!« Das Kind sprach das Glaubensbekenntnis und sagte: »Fakir, hinter dem Palast des Königs ist die Hütte eines Schikaris, in dessen Haus ist eine Sau aufgezogen worden, die jetzt ein Ferkel geboren hat – frage das!« Der König und die Hofleute waren höchst erstaunt. Der Fakir bat den König, das Ferkel holen zu lassen. Auf Befehl des Königs rannten die Laufburschen sofort los und brachten das Ferkel des Schikaris direkt her. Der arme Schikaṛi, zitternd und bebend, legte das Ferkel auf den Teppich und setzte sich weit weg. Der Fakir fragte das Ferkel dieselbe Frage. Das Ferkel gab zur Antwort: »Fakir, wir sind zwei Brüder, von einem Vater und einer Mutter geboren. Gott hat uns ein übles Geschick gegeben und uns auf einem Hochsitz sitzen lassen. Du bist gekommen und hast bei uns die Nacht verbracht; ich habe dich nicht übernachten lassen wollen und habe viel geredet, aber mein Bruder hat dich bei sich übernachten lassen und hat dir Brot zu essen und Wasser zu trinken gegeben und hat selbst gewacht, um dir Platz zum Sitzen auf dem Hochsitz zu geben. Die Macht Gottes hat uns von dort fortgenommen und uns hier gelassen. Mein Bruder lebt glücklich im Hause des Königs, als Same des Besitzers des Thrones im Leibe der Prinzessin, und der sitzt nun hier auf dem königlichen Thron, und ich im Hause eines Schikaris, Samen des Schweines aus dem Leibe einer Sau, und so werde ich denn Schweinesohn genannt. Dieser mein Bruder hat den Lohn für das Geben, und ich habe die Strafe für das Nicht-Geben, wie du mit eigenen Augen sehen kannst.«

Als die anderen all dies sahen, verfielen sie in tiefes Nachdenken, aber der Fakir geriet in Ekstase und schrie auf Khair qabūl, madad rasūl! (Das Gute wird angenommen – Hilfe, Prophet!) und rannte von dort weg.

Als er nach einiger Zeit zu sich kam, da sah er, daß er am Ufer eines Flusses stand. Als er das reine Wasser sah, war er zufrieden: ›Jetzt hat der Herr auch meine gute Tat angenommen! Ich habe keinen anderen Wunsch mehr; deswegen will ich in dem Wasser baden und Allah Allah rufen!‹ Mit diesem Gedanken legte er Rosenkranz und Bettlerschale ab, legte die kreuzförmige Sitzstütze hin, sagte »Im Namen Gottes« und sprang in den Fluß. Als ihm das Wasser über den Kopf kam, da war das nicht Fluß und nicht Wasser! Er war in einem Garten angelangt. Als er den Garten sah, wunderte er sich sehr und sagte: »Dies ist doch nicht ein Garten dieser Welt!« Ströme von Milch und Teiche voll Honig sah er, und da wurde es ihm gewiß, daß dies das Paradies war. Und als er noch ein bißchen weiter voranging, da war da jener Fakir, dem er um Gotteslohn seine Frau gegeben hatte; der zog an einem Seil und bewegte eine Schaukel. Er ging noch etwas weiter, als seine eigene Frau von der Schaukel sprang und ihrem Mann zu Füßen fiel. Beide waren sehr glücklich, sich wiederzutreffen.

Danach sagte die Frau zu demjenigen, der die Schaukel bewegte: »Guter Mann, geh du jetzt aber fort, denn der Besitzer dieser Schaukel ist gekommen!« Dann setzte sie ihren Ehemann auf die Schaukel und begann selbst die Seile zu ziehen. Und ein solches Wiedersehen wie sie hatten, so eines möge hoffentlich der ganzen Welt beschert sein!

2. Immer gleich bleibt die Güte des Guten, die Bosheit des Bösen

er König aller Könige ist ja Gott selbst, aber auf der Erde, auf einem Stückchen Erde, da herrschte ein König. In seinem Reich wurde mit Gerechtigkeit und Recht regiert, und Löwe und Lamm tranken zusammen. Doch man sagt ja, daß Böses und Gutes zusammen an einem Ort erscheinen, damit der Unterschied zwischen beiden klar werde; deshalb lebten in dem Reich dieses Königs alle, Gute wie Böse.

Eines Tages sagte der König zu seinem Wezir: »Wie viele üble Kerle in meinem Lande immer wohnen mögen, gib mir deren Namen, damit ich sie aus dem Lande jage, damit von Gottes Geschöpfen auch die Plage entfernt werde, die noch übrig ist.« Da faltete der Wezir die Hände und sprach zum König: »Möget Ihr lange leben, Verehrungswürdiger, immer gleich bleibt die Güte des Guten und die Bosheit des Bösen! Seid Ihr nur weiterhin zu allen gut; dann, wenn trotz Eurer Güte irgend jemand noch Böses tut, dann wird Gott der Erhabene selbst von ihm Rechenschaft verlangen. Behandelt sie weiterhin mit Güte, dann wird Gott Euch belohnen.« Aber der König ging absolut nicht von seiner Meinung ab und sagte: »Solange ich das Böse nicht mit der Wurzel ausrotte, solange soll mir Brot und Wasser verboten sein!«

Der Wezir dachte bei sich: ›So lange bis Recht wirklich Recht wird, so lange werden auch zu Unrecht manche gestraft werden; deswegen muß man erreichen, daß der König für einige Zeit seinen Widerstand aufgibt, bis ich Untersuchungen über die richtigen üblen Kerle angestellt habe, damit nicht etwa irgendein armer Mensch zu Unrecht gestraft werde!‹ So sagte er zum König: »Lebet lange, Verehrungswürdiger! Da gibt es eine Sache, die ich Euch erzählen möchte; gestattet, daß ich sie vorbringe.« Der König willigte ein. Dann begann er seine Rede und sagte:

»In einer Stadt lebten zwei Freunde. Der eine hieß Gut, und der andere Bös. Sie konnten es ohne einander überhaupt nicht aushalten und pflegten immer miteinander zu verkehren. Doch wie man so sagt, jeder Mensch wird durch seine Gewohnheit gezwungen, und so wurden diese beiden Freunde auch durch ihre Gewohnheiten gezwungen, so wie das mit der Schildkröte und dem Skorpion der Fall war: Gut tat immer Gutes und Bös immer Böses.«

Der König fragte den Wezir: »Was ist denn nun wieder diese Geschichte von der Schildkröte und dem Skorpion?« Der Wezir antwortete: »Majestät! Die Sache ist so, daß eines Tages eine Schildkröte den Fluß überqueren mußte. Sie machte sich bereit, stand auf und ging los. Da begegnete ihr unterwegs ein Skorpion, der zu ihr sprach: ›Sag mir – wohin hast du dich aufgemacht?‹ Die Schildkröte antwortete ihm: ›Ich muß auf die andere Seite des Flusses, denn dort bin ich zu einem Familientreffen der Schildkröten eingeladen.‹ Da sagte der Skorpion zu ihr: ›Freund, ich habe dringend etwas auf der anderen Seite des Flusses zu tun; aber hier gibt es keine Fähre. Sei doch so gut und bring mich dorthin; dann werde ich dir sehr verbunden sein.‹ Die Schildkröte sagte zu ihm: ›Mein Lieber, ich bin bereit, an jenes Ufer zu gehen, aber du bist ein ehrloses Insekt – wie könnte ich mich auf dich verlassen? Unterwegs könntest du stechen, und wer soll dich dann tragen?‹ Da antwortete der Skorpion ihr: ›Freund, du tust mir etwas zugute, und da sollte ich dich stechen – wie könnte das möglich sein!‹ Schließlich ließ die Schildkröte den Skorpion auf ihren Rücken klettern und begann im Fluß zu schwimmen. Als sie in die Mitte kam, da kam ihr ein Geräusch – tack tack tack – zu Ohren. Sie begann hierhin und dorthin zu blicken – woher konnte denn mitten im Fluß ein Geräusch – tack tack tack – kommen? Mit großer Mühe wandte sie den Kopf um und sah – verflixt noch mal! –, daß der Skorpion seinen Stachel auf ihren Rücken schlug. Sie sagte zu ihm: ›He, Skorpion! Was machst du denn da?‹ Da gab ihr der Skorpion zur Antwort: ›Freund, ich bin durch meine Gewohnheit gezwungen.‹ Darauf sagte die Schildkröte zu ihm: ›Wenn das deine Gewohnheit ist, dann wäre es schädlich, dich am Leben zu lassen!‹ Sprach’s, tauchte unter, tief ins Wasser, und der Skorpion glitt von ihrem Rücken und ertrank im Fluß.« Als der Wezir diese Geschichte fertig erzählt hatte, sagte er: »Lang lebe der König! So wie in dieser Geschichte waren auch die beiden Freunde Gut und Bös von ihren Gewohnheiten gezwungen, obwohl sie durch das Band der Freundschaft verbunden waren. Nun schön, auf Gottes Befehl sagte Gut eines Tages zu seinem Freunde Bös: »Freund, wie viele Tage sind schon vergangen, daß wir gar nicht irgendwo nach draußen gegangen sind! Laß uns gehen und irgendein fremdes Land umkreisen und durchreisen, und erfahren, wie der Wind in der Welt weht.« Das sagte Bös: »Mein Guter, ich habe nicht einen Heller; es sei denn, daß du ein paar Kröten hast, dann könnten wir gehen. Sonst heißt es nachher: Für das angebundene Tier gibt’s weder Gras noch Wasser! ›Kirn kein Wasser – das ist verlorene Liebesmüh!‹ Wer sich nicht selbst rühren kann, bekommt nichts. Tu nichts, was so unnütz ist wie Wasser zu kirnen, dabei kommt nichts heraus!«

Gut sagte zu ihm: »Freund, ich habe ein paar Kröten; ich habe auch ein bißchen Reisevorrat für ein-zwei Monate. Komm, damit wir ein paar Länder durchwandern!« Da nahmen die beiden Freunde Reisezehrung mit sich und zogen aus dem Dorf hinaus.

Sie gingen und gingen und verließen ein Reich, und verließen ein zweites Reich, und kamen schließlich in ein drittes Königreich. Der König dieses Reiches hatte keine Söhne, aber er hatte eine Tochter. Doch durch die Macht des Allmächtigen hatte sich irgendein Leiden im Leib dieser armen Tochter eingenistet – sie hatte eine so schwere Krankheit, daß sie am liebsten sterben wollte. Wie viele Pirs und Fakire hatten Zaubersprüche rezitiert, Pandits und Mollas waren befragt worden, wie viele Gebete, Heilmittel, Zauberschnüre und Beschwörungen hatte man versucht – aber die Krankheit wurde nach dem Sprichwort ›Je länger die Nacht, desto mehr‹ immer stärker. Die Prinzessin hatte in Vollmondnächten ekstatische Zustände, und danach war sie wieder Stunden um Stunden ruhelos. Alle Leute dachten, ein Dschinn sei in die Prinzessin gefahren. Sie ließen auch die Zaubersprüche rezitieren, die dazu dienen, Dschinnen auszutreiben; sie ließen Musik und Instrumente spielen; sie ließen einige Fakire holen, aber alles das nützte überhaupt nichts. Der König, hilflos, erließ einen Aufruf: ›Dem Mann, der meine Tochter heilt und sie gesundmacht, dem gebe ich das halbe Königreich und die halbe Krone und verheirate meine Tochter mit ihm!‹ Als Gut diese Nachricht hörte, sagte er: »Gott der Erhabene möge die Prinzessin von ihrem Leiden erretten – wie herrlich wäre das!« Da sagte Bös lachend: »Fein, er möge dich belohnen; laß die nur leiden – die wird auch schon manchen gequält haben.«

Schön. Als es Morgen wurde, machten sich die beiden Freunde wieder auf und gingen weiter. Sie gingen und gingen und gerieten in eine Wüste. Dort quälte sie der Durst. Sie blickten hierhin und dorthin, ob sie vielleicht irgendein menschliches Wesen fänden, das sie nach der Spur von Wasser fragen könnten. Schließlich kam ihnen in einer Richtung ein Kameltreiber zu Gesicht. Sie begannen dorthin zu laufen. Sie liefen eine ganze Weile und kamen gerade noch kriechend dort an, da fielen sie völlig erschöpft hin. Dann fragten sie den Kameltreiber nach Wasser. Der sagte zu ihnen: »Dort drüben ist ein großer Banyan-Baum zu sehen; unter dem ist ein Brunnen; das hier ist gut für euch.« Schließlich waren sie bis zu dem Brunnen unter dem Baum gekrochen, aber an dem Brunnen war keinerlei Vorrichtung, um Wasser zu schöpfen. Die Qual des Durstes ließ sie fast ohnmächtig werden, und keiner hatte mehr die Kräfte, in den Brunnen zu steigen. Schließlich sagte Bös: »Freund, ich habe überhaupt keine Kraft mehr, ich kann nicht einen Schritt von hier kriechen oder in den Brunnen steigen. Nun geh du schon in den Brunnen! Ich werde ein Turbantuch um deinen Leib binden, und du steigst erst hinunter, trinkst Wasser, und dann befeuchtest du den Saum des Turbans und schickst den wieder zu mir, damit ich meine Kehle anfeuchte und dann ein bißchen ruhe und dich dann wieder herausziehe!« Da zog Gut alle seine Kleider aus und gab sie Bös, band einen Strick um den Leib und ging in den Brunnen hinab. Er trank sich satt, befeuchtete das Turbantuch, gab es Bös nach draußen, und der, nachdem er seinen Durst gestillt hatte, was tat er? Er nahm Guts Kleider und Geld samt dem Turban und machte sich davon. Der Arme wehklagte und jammerte sehr, aber wer hört schon einen, der in den Brunnen gefallen ist! Da trug der Arme all seinen Kummer mit Geduld, schwieg und vertraute auf Gott; er setzte sich geduldig in eine Vertiefung des Brunnenschachtes und begann die verschiedenen Seiten seines Geschicks zu betrachten. Oben aber hatte Bös die Kleider fortgetragen und kam geradewegs in die Stadt des Königs, dessen Prinzessin krank war.

Worte gehen rasch, Tage gehen nach ihrem eigenen Maß dahin. Die Stunden der Mühsal sind wenige – Gottes Barmherzigkeit ist groß, und wenn Gott sich zu einem wendet, dann werden schon irgendwelche Mittel bereitgestellt. Dieser Banyan-Baum, unter dem der Brunnen lag, stand in der Mitte eines Wüstengebietes, wohin von hier und da manchmal müde Reisende kamen und Mittagsruhe hielten. Gut sprach und sprach seine Gebetsformeln, bis die Sonne unterging. Der Arme saß noch immer in der Vertiefung des Brunnenschachtes, als plötzlich eine Schlange kam, platsch ins Wasser fiel und herumzuschwimmen begann. Gut holte tief Luft, als er sah, daß dies eine Kalandari Kobra war, durch deren Fall das Wasser fünf Fuß höher gestiegen war. Den armen Gut überfiel Angst: ›Jetzt, in diesem Augenblick werde ich sterben!‹ Er bemühte sich, sich ganz zu verstecken und saß noch zusammengedrückter in seiner Vertiefung. Nach einiger Zeit kam aus dem Baum, der über dem Brunnen war, eine Stimme: »Kalandari, bist du da?« Da antwortete die Schlange: »Ja, Dschinn Dschabra, ich sitze hier!« Der Dschinn fragte sie: »Gib mir Kunde vom heutigen Tage – was ist gewandelt, was ist gehandelt?« Die Schlange sagte zu ihm: »Freund, frag doch nicht! Heute war die Macht von hundert Schlangenbeschwörern über mir; sie haben vor meiner Schwelle Haufen von trockenen Kuhfladen hingelegt, und dann sind sie gekommen und haben angefangen, die Murli zu spielen, und die Macht der Musik der Murli hat meinen Geist ermüdet. Das Murli-Blasen eines Fakirs hat mich so berauscht, daß ich mich von meinem Platz erheben mußte, und in der urewigen Woge der Melodie habe ich mich wieder meiner Majestät erinnert. Ich bin außer mir gewesen, und in diesem Zustand habe ich solchen Schmerzensrauch ausgestoßen, daß die Kuhfladen alle zu brennen anfingen und die Schlangenbeschwörer, ihre Murlis spielend, vor Hitze wie Wasser wurden; dann kamen sie an eine Stelle, wo die Stimme der Murlis ganz sanft wurde und meine Seele langsam, ganz langsam wieder still und friedlich wurde ... Dann löste sich die Menge der Schlangenbeschwörer auf, und es gelang ihnen nicht, mich zu ergreifen; danach blieb ich noch eine lange Zeit berauscht von der Süße der Musik. O Dschinn Dschabra, man sagt, daß die Herrschaft der Musik über jeden Menschen, jeden Vogel, jedes Insekt und jedes Lebewesen reicht. Auch ich bin berauscht von jeder Melodie der Musik und gerate in Verzückung!«

Nachdem die Schlange dies erzählt hatte, fragte sie den Dschinn: »Sag mir, was ist gewandelt, was ist gehandelt?« Da antwortete der Dschinn ihr: »Freund, heute ist Vollmondtag, da kam ich zur Kronprinzessin, der Tochter des Königs, und ließ mich in ihrem Körper nieder. Nun, mein Eintreten und ihr schreckliches Erzittern war eines – manches Amulett zum Verbrennen kam, manches Amulett wurde umgebunden, Heilmittel kamen und Medikamente, Parfüm wurde ausgesprengt und Weihrauch angezündet. Kurz, alle fingen an, Vorkehrungen zu treffen, aber ich mußte am heutigen Tag unbedingt bleiben. Dann kam der König selbst. Schließlich forderten sie sieben Sarindo-Spieler, um den Dschinn heute unbedingt zu vertreiben. Das Gezwitscher der Sarindos verschlang sich; sie zupften die Saiten, sie mischten die Melodien der Sarindos und zeigten alle Kunst auf den Saiten; dann, als sie die Saitenkünste beendet hatten, ließen sie ihre Stäbchen etwas ruhen und schärften sie, und schlugen die Saiten dann noch stärker, so daß mein Körper zu zittern begann. Als es Morgen wurde, da hat das Schwingen der Saiten mich so heftig berührt, daß ich außer mir geriet, in Ekstase fiel und zu schaukeln anfing, und während ich so schaukelte, erinnerte ich mich an meine majestätische Macht und wurde ganz in Entzücken aufgelöst. Die Sarindo-Spieler warteten, trieben mich mit ihren Schreien an, und schließlich flehten sie: ›Geh, laß doch die arme Tochter, trink den Becher, füge dich, komm doch bitte nicht wieder – der König beschwört dich!‹ Dann wieder entblößte ein Fakir den Kopf, das Haar öffnend, begann er den Kopf heftig zu bewegen. Während dieser Fakir seine Trommel schlug, begann er Schreie auszustoßen, Schrei über Schrei, springend und hüpfend ging er auf mich zu und schlug die Prinzessin. Aber davor war ich schon wieder zu mir selbst gekommen. Endlich, mit viel Getöse und Lärm, gingen auch die Fakire weg. Jetzt, als es Abend wurde, habe ich meine eigene Gestalt angenommen und bin gerade zurück. Das ist alles, was passiert ist – so ist unser ganzer Tag hingegangen!«

Eine Weile war tiefes Schweigen. Dann nach einer kleinen Weile begann die Schlange wieder zu reden. Sie fragte den Dschinn: »O Dschinn, nun, was für ein Mittel gibt es denn, damit du dein Eintreten in die Prinzessin beendest? Und wird sie dann wieder ganz gesund?« Der Dschinn sagte: »Der Baum, auf dem ich sitze – dessen Blätter sollen mit dem Wasser des darunterliegenden Brunnens gewaschen werden; sieben Jungfrauen sollen der Prinzessin das Wasser zu trinken geben, und dann werde ich mich für immer von jenem Platz entfernen und fortgehen.« Dann wieder fragte der Dschinn die Schlange: »Kalandari, nun gib schon Kunde – wie wirst du denn von den Schätzen der sieben Könige fortgelockt, und wem fällt dieser Besitz zu?‹ Da antwortete die Schlange: »Bruder, das ist eine ganz einfache Sache: an einem mondhellen Montag nimmt man eine Gazelle aus dem Walde, die wird mit dem Wasser von sieben Brunnen gewaschen; dann da, wo ich wohne, genau über dem kleinen Erdhaufen, wird die Gazelle getötet und ihr Blut dort ausgegossen, so daß ich für immer jene Erde verlasse.« So redeten sie und redeten sie, und als lange Zeit vergangen war, schwiegen sie und schliefen ein. Der arme Gut, der in der Vertiefung des Brunnens versteckt war, begann Gott zu bedrängen: »O mein Herr! Rette mich vor dieser Schlange!« Gott hörte sein Seufzen, und bis zum Morgen saß er sicher im Brunnen. Bevor die Sonne aufging, sprachen die Schlange und der Dschinn noch einmal miteinander und gingen dann beide fort.

Nachdem die Schlange und der Dschinn fortgegangen waren, kam durch Gottes Macht ein Hochzeitszug und stieg unter jenem Baume ab. Ein Mann hatte einen Eimer und kam, um Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen. Als der erste Eimer in den Brunnen herunterkam, da ergriff Gut ihn und bat und flehte den Wasserschöpfer an: »Um Gottes willen, hol mich hier heraus!« Der Wasserschöpfer bekam erst einen Schreck: »Was ist das bloß für ein Unglücksding, o Gott!«, aber dann holte er Gut heraus und gab ihm seinen eigenen Ajrak, um seine Blöße zu bedecken. Gut erzählte dann allen Männern im Hochzeitszug die ganze Geschichte, und einer von ihnen gab ihm ein Hemd, einer einen Turban, einer Hosen und einer Schuhe, und wieder andere halfen ihm mit Geld aus. Kurz, was immer Bös ihm weggenommen hatte, doppelt soviel erhielt er von den Hochzeitsgästen. Endlich verabschiedete sich Gut von ihnen, pflückte Blätter von diesem Baum, machte sich auf und ging und ging weiter, und schließlich kam er zu jener Stadt, wo die Prinzessin krank war.

Als es Tag wurde, ließ der König mit Trommelschlag verkünden: »Welcher Arzt oder Weise meine Tochter von ihrer Krankheit befreit, dem gebe ich das halbe Königreich, die halbe Krone und die Hand der Prinzessin!« Als Gut diese Proklamation hörte, ging er sogleich zum Großwezir und, nachdem er ihn begrüßt hatte, sagte er zu ihm: »Ich werde die Prinzessin heilen, wenn erlaubt wird, daß ich mit der Behandlung beginne.« Der Wezir gab dies sofort an den König weiter, der Gut rief und ihm gestattete, mit der Behandlung zu beginnen. Gut befahl den Dienern: »Bringt sieben neue Eimer und sieben neue Stricke, füllt sie mit dem frischen Wasser von sieben Brunnen!« Als sein Befehl ausgeführt war, da nahm er die Blätter des Banyan-Baumes, in dem der Dschinn wohnte, legte sie in einen Mörser und zerstieß sie. Dann goß er das aus sieben Brunnen stammende Wasser darauf, filterte das Wasser und machte von dem Rest ein Glas Blätter-Saft zurecht, den er mit Milch und Honig und anderem mischte. Dann befahl er, sieben Jungfrauen herbeizubringen. Sofort erschienen auf seine Anordnung hin sieben Jungfrauen, die dieses siebenfache Wasser der sieben Brunnen zu der Prinzessin brachten. Die Prinzessin sagte »Im Namen Gottes« und trank das Wasser. Daß sie das Wasser trank und gesund wurde, war eines – wohin gingen die Dschinnen und wohin gingen die Gespenster! Das Mädchen war ganz in Ordnung und in neuer Gesundheit und Frische! Am nächsten Tag erinnerte Gut den Wezir an das Wort des Königs. Als der Wezir dem König das sagte, sprach er: »Schön, laß nur die vierzehnte Nacht des Mondes vorbei sein, damit man sieht, ob die Krankheit sie ganz verlassen hat oder nicht – danach werden wir unser Wort einlösen.«

Worte gehen rasch, Tage gehen nach ihrem eigenen Maß dahin – schließlich war ein Monat vorbei, und der Prinzessin fehlte nichts mehr. Zwei Monde, drei Monde, und schließlich ging der vierte Mond vorüber, aber die Prinzessin wurde durch Gottes Güte immer gesünder und kräftiger. Da erinnerte Gut den Wezir an das Wort des Königs. Der Wezir ging sogleich hin und erzählte dem König die Sache. Da ging er in seinen Palast, besprach sich mit der Königin und ließ durch eine Dienerin die Zustimmung der Prinzessin holen. Dann rief der König den Wezir und befahl ihm: »Die Vorbereitungen für die Hochzeit sollen getroffen werden!« Sogleich wurden die Türen der Schatzhäuser geöffnet, und alle Leute wurden aus der Küche des Königs gespeist. Und nach sieben Tagen des Almosengebens wurde die Hochzeitszeremonie vollzogen; danach ließ der König neben seinem Palast einen besonderen Palast bauen, übergab ihn seiner Tochter und seinem Schwiegersohn, und die beiden, Mann und Frau, begannen Tage in großem Genuß zu verleben.

Durch Gottes Macht tauchte nach einigen Tagen Bös, der bettelnd herumlief, wieder am Palast von Gut auf. Als Gut ihn sah, umarmte er ihn, war sehr freundlich zu ihm, und nachdem er sich erkundigt hatte, wie es ihm ging, sagte er zu ihm: »Bravo, lieber Mann, bravo! Hast du seit jenem Tag gar keinen Versuch gemacht, herauszukriegen, was für Abenteuer dein Kamerad hatte, der in den Brunnen gefallen war – ob er noch lebte oder ob er tot war?« Bös schämte sich sehr und gestand seine Schuld ein. Gut, weil er an Gutes gewöhnt war, erwies ihm schließlich viel Freundlichkeit und ließ ihn einen ganzen Monat bei sich wohnen. Dann gab er ihm sieben Garnituren Kleider, und als er wegging, füllte er ihm die Satteltaschen mit Schätzen.

Als Bös sich von Gut verabschiedet hatte und mit allem Geld und Gut in der Stadt ankam, da fing er an, zu den Leuten zu sagen: »Wißt ihr denn auch, wer dieser Gut ist?« Da sagten die Leute zu ihm: »Er ist der Schwiegersohn des Königs und selbst ein König!« Da sagte Bös zu allen: »Mann! Woher sollte der ein König sein? Der ist der Schuster unseres Dorfes; der ist hierher gekommen und hat sich als Arztsohn ausgegeben und hat behauptet, auch ein König zu sein. Er hat mir all diese schönen Sachen deswegen gegeben, damit ich die Sache für mich behalte und dem König nicht die Wahrheit erzähle – schließlich habt ihr da ja so’nen richtigen Schuster ...!« Daraufhin verbreitete sich unter den Leuten das Gerücht, der Schwiegersohn des Königs sei ein Schuster. Schließlich kam dieses Gerede auch dem König zu Ohren, der sich mit seinen Weziren beriet und Gut kommen ließ, um ihn zu befragen. Gut erhob sich und sagte: »Lang möget Ihr leben, Verehrungswürdiger! Ich bin seit sieben Generationen König – wenn Ihr das nicht glaubt, so bin ich bereit, das zu beweisen!« Da sagte der König zu ihm: »Wenn das wahr ist, dann gib uns also den Beweis!« Da sagte Gut: »Herr, eines möchte ich noch erbitten – daß man aus dem Walde eine lebende Gazelle bringe, damit ich euch den Beweis geben kann!« Der König befahl, und in ein paar Tagen wurden viele Gazellen gefangen und hergebracht. Schließlich gefiel ihm eine Gazelle; die ließ er mit dem Wasser von sieben Brunnen waschen. Dann brachte er sie zu dem Erdhaufen, von dem die Schlange gesprochen hatte, und tötete sie im Namen Gottes. Als die Gazelle getötet war, ließ er ihr Blut genau auf den Erdhaufen fließen, unter dem die Schätze verschlossen waren. Als das Blut darauf tropfte, spaltete sich der Boden, auf dem der Erdhaufen lag, und eine große Schlange kam fauchend heraus und lief irgendwohin. Danach befahl Gut: »Jetzt soll hier gegraben werden!« Nachdem sie dort Tag und Nacht gegraben hatten, fielen ihnen die Schätze von sieben Königen in die Hand, die er in den Palast des Königs tragen und vor ihm aufhäufen ließ. Als die Prinzessin, der König und die anderen Leute diesen ganzen großen Schatz sahen, da schwand ihr Zweifel, ob er ein richtiger König war. Der König und die Prinzessin baten Gut um Verzeihung und sie lebten alle wieder innig vertraut miteinander.

Nach einer Reihe von Tagen kam auch Bös wieder in die Stadt und dachte sich: ›Ich will doch sehen, was sie mit Gut angestellt haben!‹ und so wandte er sich geradewegs zu Guts Palast. Als er kam, was sah er – verflixt nochmal! – das war ja noch mehr als zuvor! Er sagte keinen Ton, ging geradewegs auf Gut zu, fiel ihm zu Füßen und jammerte und sagte: »Freund, ich habe dir lauter Böses getan und du tust mir immer nur Gutes. Vielleicht kannst du mir jetzt verzeihen und mir um Himmels willen sagen, woher dir dieser Überfluß gekommen ist?« Da sagte Gut zu ihm: »Wenn du recht fragst, so ist mir all dieser Überfluß aus jenem Brunnen gekommen, in dem du mich gelassen hast und fortgegangen bist.« Und er erzählte ihm alles, was geschehen war.

Schließlich, was tat nun Bös? Als er Wegzehrung mit sich genommen hatte, ging er geradewegs zu jenem Brunnen, zog alle Kleider aus und ging hinein. Als die Sonne sank und der Dschinn und die Schlange bei ihren Wohnstätten ankamen, da begannen sie sich wie immer über die Ereignisse zu unterhalten. Zuerst rief die Schlange aus dem Brunnen und fragte den Dschinn: »Sag mir, in was lebst du jetzt?« Da sagte der Dschinn zu ihr: »Freund, letztes Mal, als wir miteinander hier über solche Sachen gesprochen haben, da muß doch ein Mensch hier versteckt gewesen sein, der unsere Unterhaltung gehört hat, und was für schreckliche Dinge wir dann erlebt haben, du und ich, das weißt du ja selbst! Deswegen untersuche heute erst einmal die ganze Umgebung, damit da kein Menschenkind sitzt!« Da sagte die Schlange zu ihm: »Untersuche du zuerst