Märchen aus Portugal -  - E-Book

Märchen aus Portugal E-Book

0,0

Beschreibung

Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 170

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Märchen aus Portugal

Inhalt:

Geschichte des Märchens

Märchen aus Portugal

Der alte Querecas

Die Hirtentasche

Die Spinnerinnen

Nelke, Rose und Jasmin

Der Zaubermeister

Der Zauberlehrling

Der Soldatengraf

Die kleine Sardine

Wald-Marie

Die Gräfin mit der Rose

Das siebenfarbige Pferd

Das stumme Mädchen

Der Satinschuh

Die Stiefmutter

Goldhaar

Die kleine Schreinerin

Die Bauerstochter

Die Häßliche, die hübsch wurde

Der verzauberte Fisch

Der Feigenbaum

Das Mädchen vom Balkon

Die schöne Braut

Die Braut des Raben

Der Prinz, der sein Glück aufs Spiel setzte

Die kluge Marie

Das weiße Kaninchen

Die drei goldenen Apfel

Der Sergeant, der in die Hölle hinabstieg

Das Rätsel des Königs

Der Ochse Cardil

Der Kämmerer des Königs

Die heilige Helena

Die zehn Zwerge der Tante Grünwasser

Die beiden Freunde

Gevatter Teufel

Die Buckligen

Die naschhafte Frau

Die stotternden Schwestern

Der Räudige, der Rotznasige und der Krätzige

Der Schatz des Gehenkten

Die Lügenkette

Bohnen-Manuel

Mir ist etwas auf den Kopf gefallen!

Heiraten und sich scheiden lassen

Der Blinde und der Junge

Der Blinde und der Spartopf

Der Geizhals

Das Zeichen des Adels

Die essende Statue

Die Rätselsprüche

Die fünf Berufe

Die Tochter, die ihren Vater säugte

Liebesbeweis

Ohne Abendbrot

Der Ursprung der Wildschweine

Die Zauberflöte

Sage von der Mutter des Heiligen Petrus

Der Bauer und der Einsiedler

Das Gewand Christi

Die Legende vom Paradies

Der vergrabene Schatz

Der Wucherer und der Heilige Antonius

Die Stimmen der Tiere

Die zweihundert Hammel

Die drei Tauben

Novellenhafte Sprichwörter

Warum das Schaf stumm ist.

Märchen aus Portugal

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com

Geschichte des Märchens

Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).

Märchen aus Portugal

Der alte Querecas

Es waren einmal drei sehr arme Schwestern, die von ihrer mühseligen Arbeit lebten. In jener Gegend gab es ein Haus, in dem niemand wohnen wollte, weil man darin nachts lautes Geschrei und schreckliche Dinge hörte. Um Miete zu sparen, baten die Mädchen darum, daß man sie in jenem Haus wohnen ließ. Da sie die Beherzteste war, richtete sich die Jüngste im obersten Stockwerk ein. Eines Nachts, als sie sich gerade hingelegt hatte, hörte sie eine Stimme schreien: "Ich falle!". "Dann fall' nur" antwortete ihr das Mädchen, und aus einem Loch in der Zimmerdecke fiel ein Bein. Darauf ertönte von neuem derselbe Schrei: "Ich falle!" "Dann fall' nur" wiederholte das Mädchen. Und auf diese Weise fielen die Arme, der Rumpf, bis sich schließlich vor ihr ein schon alter und kahlköpfiger Mann befand. Der Alte ging langsam auf das Mädchen zu und fragte es: "Hast du keine Angst vor mir?" "Nein". "Recht so! Du bist die erste und einzige Person, die der Furcht mich zu sehen widersteht. Zur Belohnung für deinen Mut nimm diese Börse, und wenn du dich in irgendeiner Bedrängnis siehst, sage immer: ›Der alte Querecas steh' mir bei!‹"

Das Geld der Börse ging nie zu Ende, und die drei Schwestern begannen im Wohlstand zu leben. Unterdes hatte die Jüngste allmählich das Gefühl, daß so oft sie sich in ihr Zimmer einschloß, irgendjemand sich neben sie auf das Bett zu legen schien. Sie dachte daran, daß es wohl der alte Querecas wäre und sie empfand dabei einen gewissen Abscheu. Um sich jedoch Gewißheit zu verschaffen, zündete sie eines Nachts plötzlich das Licht an, und da sah sie neben sich einen schönem Jüngling liegen, der eingeschlafen war. Sie war so in seinen Anblick versunken, daß ihm ein Tropfen Wachs von der Kerze ins Gesicht fiel. Der Jüngling schreckte auf und sagte: "Oh, Unglückselige, was hast du getan! Du hast den Zauber erneuert, der beinahe zu Ende ging! Nun wirst du mich nie wiedersehen."

Das Mädchen weinte sehr, und die Tränen rannen noch heftiger als sie erkannte, in welcher Lage sie sich befand. Da entsann sie sich der zweiten Gabe und sprach: "Der alte Querecas steh' mir bei." "Da bin ich, und ich weiß wohl, warum du mich rufst. Es gibt nur eine Möglichkeit das Unglück, das du dir selbst zugefügt hast, zu beheben. Nimm diese drei Knäuel und geh' immer, immer weiter, bis sie ganz abgewickelt sind. Wo immer das auch sein mag, bitte darum, daß man dir dort eine Nachtherberge gibt."

Das Mädchen weinte, weil es seine Schwestern verlassen mußte, aber es wollte unbedingt den Zauber jenes Jünglings brechen. Sie ging und wanderte bis sie schließlich nach langer Zeit auf einen Palast stieß, der von einem prächtigen Garten umgeben war. Sie spähte durch das Schlüsselloch und sah drinnen einen Saal, in dem viele Frauen an hübschen Brautkleidern nähten und Kinderkleidchen schneiderten. Sie fürchtete sich, an jene Tür zu klopfen, und ging um den Palast herum, bis sie einen Gärtner traf, den sie um Herberge bat. Der Gärtner antwortete ihr: "Weißt du, in wessen Haus du dich befindest, daß du auf diese Weise um Herberge bittest?" "Was ich weiß ist, daß ich mich vor Müdigkeit nicht mehr auf den Beinen halten kann; und es ist für ein Almosen." Der Gärtner hatte Mitleid mit dem Mädchen und wies ihm einen Winkel im Strohschober. Mehr tot als lebendig legte sie sich nieder und brachte daselbst einen Knaben zur Welt. Alles verwandelte sich in ein sehr sauberes und reiches Zimmer. Als der Gärtner am nächsten Tage kam, war er voller Erstaunen über das, was er sah. Sogleich ging er der Königin Bericht zu erstatten, welche sich ebenfalls von dem Wunder überzeugen wollte. Als sie zu der Stelle kam, an der sich das Mädchen aufhielt, rief sie beim Anblick des Kindes: "Oh, Frau, wer ist der Vater dieses Knaben?"

Das Mädchen schämte sich sehr, weil es dies nicht sagen konnte. In seiner Verwirrung erzählte es den Vorfall mit dem alten Querecas. Da erinnerte sich die Königin: "Dieser Knabe ist das Ebenbild meines Sohnes, der verschwand, ohne daß ich je ein gutes noch ein schlechtes Lebenszeichen von ihm erhalten hätte."

Die Königin nahm das Mädchen mit in den Palast und trug Sorge dafür, den Knaben zu baden. Als sie ihn auszog, entdeckte sie auf seinem Rücken ein großes Mal. Sie schaute genau hin und sah, daß es ein kleines Schloß mit einem Schlüsselchen war. Sie wollte zusehen, ob sie es wohl öffnen könnte, fürchtete sich aber und sagte der Mutter, sie solle probieren, ob sie das Schlüsselchen umdrehen könne. Sogleich wie die Mutter den Schlüssel in die Hand nahm, öffnete sie das Schloß, und auf der Stelle brach der Zauber des Prinzen, der seine Freiheit dem Mut jenes Mädchens verdankte, mit dem er sich alsbald verheiratete.

Die Hirtentasche

Es war einmal eine arme Witwe, die hatte nur eine Tochter, welche nie von ihrer Seite wich. Andere Mädchen aus der Nachbarschaft baten sie, ihre Tochter am Vorabend der Johannisnacht mit ihnen gehen zu lassen, um im Fluß zu baden. Das Mädchen ging mit der Gruppe. Bevor sie sich in das Wasser begaben sagte ihr eine Freundin: "Nimm deine Ohrringe ab und lege sie auf einen Stein, denn sie könnten dir ins Wasser fallen." So tat das Mädchen. Als sie im Wasser planschten kam ein alter Mann des Wegs, und wie er die Ohrringe auf einem Stein liegen sah, nahm er sie und steckte sie in seine Hirtentasche.

Das Mädchen war sehr bekümmert als es das sah, und es lief dem Alten, der sich schon weit entfernt hatte, hinterdrein. Der Alte sagte ihm, daß er die Ohrringe zurückgeben würde, sofern es sie in der Tasche suchen würde. Das Mädchen machte sich daran, die Ohrringe zu suchen, und der Alte schlug die Tasche über ihm zu, warf sich die Tasche auf den Rücken und verschwand. Als die anderen Mädchen ohne ihre Gefährtin zurückkehrten, jammerte die arme Witwe ohne Hoffnung, ihre Tochter wiederzusehen. Sobald der Alte das Gebirge überquert hatte öffnete er die Hirtentasche und sagte zu der Kleinen: "Fortan sollst du mir helfen den Lebensunterhalt zu verdienen. Ich gehe durch die Straßen und bettle, und wenn ich sage: Singe, Tasche, sonst spürst du den Stock ... dann mußt du unbedingt singen. Gib gut acht."

Überall wo der Alte durchkam, waren alle über jenes Wunder erstaunt. Er kam in eine Gegend, wo schon die Nachricht von einem Alten umlief, der eine Hirtentasche singen ließ, und viele Leute umringten ihn, um sich von dem Wunder zu überzeugen. Nachdem der Alte gesehen hatte, daß schon genügend Neugierige versammelt waren, hob er den Stab und sagte: Singe, Tasche, sonst spürst du den Stock ...

Daraufhin hörte man folgenden Gesang:

Ich stecke in dieser Tasche,

wo ich mein Leben verlieren werde,

aus Liebe zu meinen Ohrringen,

die ich an der Quelle ließ.

Dieser Vorfall kam den Behörden zu Ohren und sie versuchten herauszubekommen, wo der Alte Quartier genommen hatte. Sie suchten eine Schankwirtin auf, die sich herbeiließ, die Tasche untersuchen zu lassen, wenn der Alte schlafen würde. So geschah es. Sie fanden da das arme Mädchen, das sehr traurig und krank war, und das alles erzählte, und da erfuhr man auch von dem Fall der Witwe, der man die Tochter geraubt hatte. Die Kleine ging mit den Amtspersonen, die die Tasche mit allem möglichen Unrat zu füllen befahlen, so daß diese, als sie der Alte am nächsten Tage vorführen wollte, nicht sang. Er verprügelte sie mit seinem Stab und da verstreute sich über den Boden all jener Unrat. Das Volk zwang ihn, den Unrat aufzulecken, und dann wurde er in das Gefängnis gebracht und das Mädchen nach Hause zu seiner Mutter.

Die Spinnerinnen

Es war einmal eine Mutter, die hatte eine Tochter, und sie dachte nur daran, sie gut zu verheiraten. Sie ging zu einem Flachshändler, und bat ihn, ihr ein Bund Flachs zu verkaufen, damit ihre Tochter alles an einem Tage spönne. Sie trug den Flachs nach Hause und sagte ihrer Tochter: "Du mußt mir dieses Bündel Flachs noch heute spinnen, denn morgen hole ich mehr. Wenn ich nach Hause zurückkomme, will ich den ganzen Flachs gesponnen vorfinden." Die Kleine setzte sich an die Tür und weinte, ohne zu wissen wie sie der Mutter gehorchen sollte. Da kam eine alte Frau vorbei: "Mein Fräulein, was habt ihr, daß ihr so weint?" "Was soll ich wohl haben! Meine Mutter will mit Gewalt, daß ich ihr an einem Tag ein Bund Flachs spinne, und ich kann nicht spinnen." "Laßt gut sein, denn ich spinne Euch alles, wenn Ihr mir versprecht, mich am Tage Euer Hochzeit dreimal Tante zu nennen."

Das Mädchen blickte in das Haus hinein und sah, daß der Flachs durchwühlt und ganz gesponnen war.

Am nächsten Tag ging die Mutter in das Geschäft, pries die Geschicklichkeit ihrer Tochter sehr und verlangte ein neues Bündel Flachs, damit sie es spönne. Die Kleine setzte sich an die Tür, weinte und hoffte, daß die Alte des Vortages vorüberkäme. Da kam eine andere: "Mein Fräulein, was habt Ihr, daß Ihr so weint?" Die Kleine erzählte ihr von den Aufträgen, die ihre Mutter ihr erteilt hatte. "Nun, wenn Ihr mir versprecht, daß Ihr mich am Tage Eurer Hochzeit dreimal Eure Tante nennen werdet, so soll der Flachs gesponnen sein." Die Kleine versprach dies, und als sie in das Haus hineinschaute, sah sie den Flachs geordnet und fertig gesponnen. Die Mutter ging ein neues Bündel Flachs holen, und es wiederholte sich derselbe Vorfall, bis eine dritte Alte vorüberkam, die ihr mit dem gleichen versprechen alles erledigte.

Der Kaufmann, der von jener Geschicklichkeit wußte, wollte das Mädchen sehen, fand, daß sie hübsch und klug war, und wollte sie heiraten. Die Mutter war darüber sehr froh, denn der Bräutigam war sehr reich. Der Kaufmann schickte ihr ein großes Geschenk mit vielen Spinnrocken und Spindeln, damit wenn sie heirateten, alle ihre Mägde spönnen. Am Tage der Hochzeit hielt man ein üppiges Mahl, an dem alle seine Freunde teilnahmen. Als sie bei Tisch saßen, klopfte eine alte Frau an die Tür: "Ach, wohnt hier wohl die Braut?" "Kommt herein, meine Tante, setzt Euch hierher, meine Tante, eßt etwas, meine Tante." Alle waren verdutzt eine so bucklige Alte mit einer so großen Nase zu sehen. Aber sie schwiegen. Einige Augenblicke später klopfte es an die Tür, es war eine andere Alte. "Wohnt hier wohl die Braut, die heute geheiratet hat?" "Ja, meine Tante, kommt herein, meine Tante, eßt mit uns, meine Tante." Die Alte setzte sich, und alle waren erstaunt über die gewaltige Verkrüppelung, die ihr Kinn aufwies. Aber man setzte das Mahl fort. Abermals klopfte es an die Tür. Es war wieder eine Alte, die dieselbe Frage stellte. "Tretet ein, meine Tante, wir haben hier auf Euch gewartet, meine Tante, Ihr müßt mit uns essen, meine Tante." Auch diese Alte, die ganz bucklig und deren Rippen nach außen gekehrt waren, verursach- /warte kein geringeres Erstaunen. Aber diesmal fragten die Neugierigen und besonders der Bräutigam, warum jene Tanten so große Verkrüppelungen hätten. Da sagte die erste: "Ich habe eine solche Nase, weil ich sehr, sehr viel gesponnen habe, und die Grannen des Flachses haben mich so gemacht." "Und ich, mein Neffe, habe ein solches Kinn, weil ich viel gesponnen habe, und durch das viele Kräuseln der bin ich so geworden." "Nun, Neffe, ich habe diesen Buckel behalten, weil ich immer in einem Winkel saß mit dem Spinnrocken am Gürtel." Sobald der Ehemann dies hörte, erhob er sich und packte die Rocken, Spindeln, Haspeln und Hecheln und warf alles auf die Straße hinaus, wobei er erklärte, daß in seinem Haus nie wieder gesponnen werden sollte, weil er nicht wollte, daß seiner Frau ähnliches Unglück zustieße.

Nelke, Rose und Jasmin

Eine Frau hatte drei Töchter. Als die Alteste an einem Fluß spazierenging, sah sie eine Nelke im Wasser, bückte sich, um sie zu ergreifen, und verschwand darin. Am folgenden Tag stieß der anderen Schwester dasselbe zu, denn sie sah im Fluß eine Rose. Schließlich verschwand auch die Jüngste, denn sie wollte eine Jasminblüte erhaschen. Die Mutter der drei Mädchen war sehr traurig und sie weinte und weinte, bis sie einen Sohn gebar, und als dieser ein Mann geworden war, warum sie so sehr weinte. Die Mutter erzählte ihm, wie es dazu kam, daß sie ihre drei geliebten Töchter verlor. "Nun, Mutter, dann gib mir deinen Segen, denn ich will, durch die Welt ziehen und sie suchen." Und er ging fort. Unterwegs begegnete er drei Burschen, die heftig miteinander stritten. Er ging zu ihnen und sagte: "Holla, was gibt's?" Einer von ihnen antwortete: "Ach, Herr, mein Vater hatte ein Paar Stiefel, einen Hut und einen Schlüssel, die er uns hinterließ. Wenn man die Stiefel anzog und zu ihnen sagte: Stiefel, tragt mich fort, dann verschwand man, wohin man wollte. Der Schlüssel öffnet alle Türen, und setzt man sich den Hut auf den Kopf, dann sieht einen keiner mehr. Unser ältester Bruder will alle drei Sachen für sich behalten, und wir wollen, daß sie durch das Los aufgeteilt werden." "Das läßt sich regeln,"