Märchen, die den Kindern helfen - Gerlinde Ortner - E-Book

Märchen, die den Kindern helfen E-Book

Gerlinde Ortner

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Beschreibung

Märchen und Geschichten zur Therapie kindlicher Verhaltensstörungen heranzuziehen, entspricht den Neigungen und Bedürfnissen des Kindes. Denn Kinder lieben Märchen, und sie können aus ihnen lernen. Wie die Helden der Geschichten lernt das Kind, Schwierigkeiten zu überwinden, Ängste abzubauen, Probleme zu lösen. Da ist zum Beispiel Martin, der auf seiner Traumreise zu den Zwerghunden seine Angst vor Hunden ablegt. Oder Vera, die im Durcheinanderland der Schlamper Ordnung halten lernt. Das Katzenkind Liesi entdeckt, wie schädlich das Nägelbeißen für gesunde Katzen ist, der Prinzessin Hosenass verhilft eine Wunderblume zu einem trockenen Bett. Völlig ohne Zwang wird das Kind durch die Märchen zu einer Änderung seines Verhaltens motiviert. Dabei ist jedem der über zwanzig behandelten Probleme eine Geschichte gewidmet. Um die Anregungen in die Praxis umsetzen zu können, benötigt das Kind die Hilfe und Anleitung von Erwachsenen. Was Eltern dazu wissen müssen, erfahren sie in der Einleitung und den Kommentaren im Anschluss an die Geschichten.

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Gerlinde Ortner

Märchen,die den Kindern helfen

Geschichten gegen Angstund Agression, und wasman beim Vorlesendarüber wissen sollte

Für Kinder von 3 bis 9 Jahren

www.kremayr-scheriau.at

ISBN 978-3-7015-0576-0 Copyright © 2004/2015 Buchverlage Kremayr & Scheriau/Orac, Wien Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Barbara Köszegi Typografische Gestaltung, Satz: typic®/wolf, Wien Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Die entwicklungsbedingten Krisenphasen

Voraussetzungen für Verhaltensveränderung

Erlernen von Verhaltensweisen

Wenn Ihr Kind nicht schlafen gehen will

Ich will noch nicht ins Bett

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind Albträume hat

1-2-3, Angst vorbei

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind sich vor Hunden fürchtet

Martins Traumreise zu den Zwergenhunden

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind Angst vor dem Zahnarzt hat

Die Meerjungfrau

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind trödelt

Das Strahlenkindchen

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind unordentlich ist

Vera im Durcheinanderland

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind Schimpfwörter verwendet

Das Wichtigmännchen

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind unfolgsam ist

Ritterspiel

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind Nägel beißt

Das Katzenkind Liesi

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind nicht essen will

Die gefräßige Maus

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind nicht im Kindergarten bleiben will

Gregor und sein Teddy

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind den Unterricht stört

Der Clown mit der hupenden Nase

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind ausgespottet wird

Knirps, Kugelrund und Bohnenstange

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihr Kind zu Aggressivität neigt

Thomas und der schwarze Rabe

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn Ihre Kinder streiten

Bammer und Flapsi, die Bärenkinder

Was Eltern dazu wissen müssen

Gegen aggressives Verhalten

Luri, das Wisnopinto-Kind

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn die Eltern verreisen

Die Tränenkugel und der Liebesgrußkalender

Was Eltern dazu wissen müssen

Gegen Unsicherheit und soziale Hemmungen

Der kleine Schornsteinfeger

Was Eltern dazu wissen müssen

Mit Versagen und Enttäuschung umgehen lernen, verlieren können

Der weiße Geist Huh

Was Eltern dazu wissen müssen

Wenn die Eltern streiten

Die Zauberbrille

Was Eltern dazu wissen müssen

Die Eltern sind geschieden

Die kleine, dicke Dame

Was Eltern dazu wissen müssen

Für Kinder von allein Erziehenden, gegen Verlustangst

Die Fledermaus

Was Eltern dazu wissen müssen

Stichwortverzeichnis

Vorwort

Die Idee, diese „therapeutischen“ Geschichten für Kinder und Erwachsene zu schreiben, entstand im Lauf meiner Arbeit mit so genannten „verhaltensschwierigen“ Kindern. Die meisten hätten meine psychologische Beratungsstelle gar nicht aufsuchen müssen, wären ihre Eltern über die Gesetzmäßigkeiten in der Entwicklung und beim Lernen von Verhaltensweisen informiert gewesen. Aus Unwissen handeln sie häufig über die ­seelischen Grundbedürfnisse ihres Kindes hinweg und bringen zu wenig Verständnis für störendes Verhalten und für manche entwicklungsbedingten Probleme auf.

In diesem Buch sind Märchen bzw. Geschichten als Mittler, als Bestandteil eines hilfreichen Dialogs zwischen Erwachsenen und Kindern, gedacht. Es werden konkrete Anleitungen zur gemeinsamen Problembewältigung angeboten. Jedoch sind die Geschichten und deren Erläuterungen nicht als Problemlöser schlechthin geeignet.

Dieses Märchenbuch soll nicht ein weiteres Exemplar in der unzähligen Reihe der „Lehrbücher für Eltern“ sein. Es erfordert kein Erlernen neuer Erziehungsstrategien, es bedarf keines Umlernens. Es wird nur mehr Betonung auf die richtige Beachtung des Kindes gelegt. Die Geschichten und dazugehörigen Erläuterungen sollen den Eltern eine gewisse Unterstützung bieten, ihr Kind richtig zu motivieren, es besser in seiner Problematik zu verstehen und nicht durch zwar gut gemeinte, aber falsche Art von Zuwendung das Fehlverhalten ihres Kindes zu verstärken.

Das Hauptziel des Buches ist es, die Eltern-Kind-Beziehung zu stärken und den spannungsfreien Kontakt zu fördern. Das Kind soll sowohl in seinem Empfinden wie auch in seinem Fehlverhalten ernst genommen und verstanden werden. Es reicht nicht, wenn die Kinder die Geschichten vorgelesen bekommen. Nur das gemeinsame Besprechen der Geschichten, Bezug nehmend auf die derzeit bestehende Problematik, auf aktuelle Konflikte, auf das Empfinden des Kindes, führt zum Verstehen und Verstanden-Fühlen.

Einleitung

Vielen Eltern fällt es schwer, ihr Kind entsprechend zu motivieren. Statt es anzuspornen, neigen sie ungewollt dazu, das Kind zu entmutigen. Die Voraussetzung für richtige Motivation ist, dass die von den Eltern gestellten Anforderungen den momentanen Möglichkeiten und Fähigkeiten des Kindes entsprechen und dass sie in einer kindgerechten Sprache erfolgen. Märchen sind hervorragend dazu geeignet, sprachliche und mentale Barrieren zwischen Kindern und Erwachsenen zu überwinden. Wie sehr Kinder auf sie ansprechen, habe ich oft und oft erlebt. In meiner Tätigkeit als Kinderpsychologin habe ich die vorliegenden Märchen als therapeutische Hilfe wiederholt erfolgreich eingesetzt. Die Kinder identifizieren sich erfahrungsgemäß mit den Helden und Heldinnen der Geschichten und übernehmen mit Begeisterung die zur Problemlösung angebotenen Ideen und Lösungsvorschläge: Zauberspruch, Kopfkissenüberraschung und Rittersignale motivieren das Kind dazu, sich in spielerischer Weise mit seinen Problemen zu beschäftigen und aktiv an seinem Verhalten zu arbeiten.

Die Märchen sind in gleicher Weise an Kinder und Erwachsene adressiert. Die Geschichten sind bewusst mit wenig „action“ erdacht, um möglichst Angstauslöser oder Aufregungen zu vermeiden.

Nehmen Sie die Märchen als Modell, um selbst Geschichten zu erfinden, die Sie an die Interessen und Bedürfnisse Ihres Kindes, an seine Erlebniswelt individuell anpassen. Verpacken Sie in Ihre Geschichten Lösungsstrategien, an denen sich das Kind orientieren kann, sodass es sich mit Ihrer Unterstützung freudig an diesem spielerischen Umlernprogramm teilnimmt. Ermutigen Sie auch Ihr Kind, sich Geschichten auszudenken, in denen man einem Jungen oder Mädchen bei einer bestimmten Problematik hilft.

Die theoretischen Teile des Buches sind den Erwachsenen vorbehalten. Eine allgemeine Einleitung sowie Erläuterungen zu den einzelnen Geschichten bieten eine Einführung in die Themen Erziehung und Verhaltensmodifikation und erklären die Grundsätze richtigen Motivierens. Außerdem finden Eltern darin praktische Anleitungen für den Umgang mit Kindern und ihren Problemen.

Die entwicklungsbedingten Krisenphasen

Die gröbsten Erziehungsfehler werden während der Krisenphasen gemacht. Einerseits aus fehlendem Verständnis, andererseits, weil die Eltern sich bemüßigt fühlen, sich dem „schwierigen“ Kind besonders intensiv zu widmen. Das Kind wünscht sich natürlich die vermehrte Zuwendung der Eltern. Steht es nun häufig auf Grund seines störenden Verhaltens im Mittelpunkt, so wird dieses „Schlimmsein“ durch die unmittelbare Beachtung verstärkt und tritt auch dann noch auf, wenn es nicht mehr mit der entwicklungsbedingten Krisenphase in Beziehung zu bringen ist.

Ich möchte Ihnen einen kurzen Überblick über das Entwicklungsgeschehen während der naturbedingten Krisenphasen geben.

Die Entwicklung des Kindes geht nicht gleichmäßig vor sich. Auf relativ ruhige Perioden, in denen es neu ­Erlerntes trainiert und Kräfte für den nächsten Entwicklungsschub sammelt, folgen Krisenphasen, in denen es Neues erwirbt und eine höhere Entwicklungsstufe erreicht. Während dieser Perioden steht das Kind unter enormer seelischer und körperlicher Belastung. Es ist labil, besonders empfindlich, hat Schwierigkeiten und macht daher auch Schwierigkeiten.

In den ruhigen Entwicklungsperioden sollen Eltern mehr darauf achten, dass sie einen konsequenten Er­ziehungsstil durchhalten, bei dem ihr „Nein“ auch ein ­solches bleiben muss. Regeln und Verbote müssen aufgestellt und auf ihr Befolgen muss geachtet werden. Stellen Sie jedoch nur wirklich notwendige Regeln und Verbote auf, die Sie dem Entwicklungsstand des Kindes anpassen. Untersagen Sie dem Kind nicht mal dies oder jenes, nur weil es Ihnen gerade lästig ist. In den Krisenphasen dürfen Sie den konsequenten Erziehungsstil lockerer handhaben. Der Seelenzustand des Kindes hat Vorrang vor gutem Benehmen. Natürlich müssen auch hier Regeln vorgegeben werden und gewisse Verbote bestehen bleiben. Motivieren Sie das Kind, stärken Sie es, damit es Ihren Forderungen gerecht werden kann.

Siebter und achter Lebensmonat

Im siebenten bis achten Lebensmonat: erste Unterscheidung zwischen „bekannt“ und „unbekannt“. Daher ist „Fremdeln“, also Unsicherheit Fremden gegenüber, eine völlig normale Reaktion. Wenn das Kind zu wenig Geborgenheit erfahren hat, wenn sich ständig andere Betreuungspersonen um das Kind kümmern, dann fällt das „Fremdeln“ aus. Kommt es zu extremen Angstreaktionen, dann hat die Mutter sich und ihr Kind zu sehr von sozialen Kontakten abgeschottet und das Kind vereinnahmt.

Zweites Lebensjahr

Im zweiten Lebensjahr ist keine Krisenphase zu verzeichnen. Ich möchte dieses Alter nur im Hinblick auf den ­erforderlichen unterschiedlichen Erziehungsstil zum folgenden Lebensjahr erwähnen. Das Ein- bis Eineinhalbjährige ist noch ein so genanntes „Augenblickswesen“. Es lässt sich leicht um- und ablenken, von äußeren Impulsen unmittelbar aktivieren. Das Selbstständigkeitsstreben muss einerseits unterstützt werden, andererseits sollen klare Barrieren aufgestellt sein. Das Kind muss lernen, dass es Grenzen gibt, die zu respektieren sind. Da es aber schnell vergisst, müssen Verbote durch ein kurzes „Nein“ (keine Erklärung! Das Kind versteht die Begründung noch nicht) immer wieder wiederholt werden. Konsequenz ist oberstes Erziehungsgebot. Diese starre Erziehungsform darf hingegen beim zweieinhalbjährigen Kind nicht mehr angewendet werden.

Drittes Lebensjahr

Im dritten Lebensjahr dürfen Sie beim Nicht-Einhalten gewisser Gebote durchaus ein Auge zudrücken. Das „Nein“ reicht nun nicht mehr. Sie müssen auf das Kind eingehen, es motivieren, Verbote kurz begründen. Die Erziehung muss sich also nach dem Entwicklungsstand des Kindes orientieren. Im dritten Lebensjahr, der „Trotzphase“, kommt es zu einem seelisch und geistig enorm bereichernden Entwicklungsschritt, bei dem das Kind auf Ihr Verständnis angewiesen ist. Jetzt besteht erstmalig die Gefahr, einschneidende Erziehungsfehler zu begehen, die nur mühsam auszumerzen sind. Deshalb möch­te ich auf diesen äußerst wichtigen Lebensabschnitt in der Entwicklung eines Kindes näher eingehen. Das Kind ist nun kein „Augenblickswesen“ mehr. Es beobachtet, es verinnerlicht, es kann Pläne machen, in die Zukunft denken, auf die Vergangenheit zurückgreifen. Da sich diese geistigen Prozesse nach dem zweiten Geburtstag erst entwickeln, ist das Kind in diesem erweiterten Denken noch untrainiert und schwerfällig. Es kann sich nicht flexibel ein- und umstellen, es ist in seiner Gedankenwelt gefangen. Wird es aus dem Planen, aus seinen Vorstellungen abrupt durch eine Forderung der Eltern herausgerissen, protestiert es vehement oder ignoriert das Ansinnen der Eltern. Dieses Verhalten ist für Sie sicher nachvollziehbar, wenn Sie sich vorstellen, Sie versuchten gerade höchst konzentriert ein neues Computerprogramm zu entschlüsseln. Just in dem Augenblick, in dem Sie glauben, eine Vorstellung davon zu haben, wie es funktionieren könnte und diesen Versuch gleich umsetzen ­wol­len, kommt Ihr Partner mit der völlig unerwarteten ­Forderung: „Komm schnell, wir müssen noch vor Laden­schluss zum Baumarkt fahren.“ Wie würden Sie empfinden, wie reagieren? …! Sie sind im Denken geschulter als Ihr Kind, Sie haben gelernt sich zu beherrschen, Sie sind geistig flexibler – und dennoch kommt es auch bei Ihnen zu einer deutlichen Abwehrreaktion oder Blockade. Ihr Kind reagiert mit Zorn, Trotz oder Ignorieren, ein unangenehmes Verhalten, das ihm nicht anzulasten ist. Sie können solche Trotzreaktionen des Kindes nicht immer vermeiden, da nicht abzuschätzen ist, wann Sie das Kind gerade in seiner Vorstellungswelt stören. Bei einigen Situationen jedoch gelingt es durch den „Monolog-Trick“ das Kind auf Ihre Forderung einzustellen, ohne das Protestverhalten auszulösen. Der „Monolog-Trick“ ist ein vor dem Kind durchgeführtes Selbstgespräch, in dem Sie das Kind langsam zum elterlichen Programm hinführen. Das heißt, verpacken Sie Ihre Forderung in eine attraktive Schilderung der durchzuführenden Tätigkeit, wie z. B: „Wenn wir jetzt gleich fortgehen, dann hören wir wahrscheinlich wieder das Piepsen aus dem Park. Was das wohl sein mag? Eine Maus? Ein Vogel? Wir brauchen nur Richtung Kindergarten gehen und beim Park gut aufpassen, dann entdecken wir vielleicht, wer gestern dort so zart gepiepst hat.“ Durch dieses bildreiche Selbstgespräch lenken Sie das Interesse des Kindes auf das neue Programm, ohne es radikal aus seiner Vorstellungswelt zu reißen. Die kleine Mühe dieser Verpackung Ihrer Forderung lohnt sich. Sie ersparen sich und dem Kind ein länger anhaltendes Protestgeschrei.

Im dritten Lebensjahr entwickelt sich auch die Fantasie des Kindes. Eine geistige Bereicherung und seelische Belastung zugleich, da der neu erworbene Fantasiereichtum auch viele Ängste auslöst. Vermeiden Sie daher, dem Kind in diesem Alter aufregende Märchen und Geschichten zu erzählen oder Video- bzw. DVD-Filme zu zeigen, die Spannung erzeugen. Wenn das Kind Fernsehsendungen oder Videofilme zu sehen bekommt, dann immer in Ihrer Anwesenheit! Sprechen Sie an­schließend mit dem Kind sofort über den Inhalt des ­Filmes, um das Kind gegebenenfalls zu entlasten. Ver­suchen Sie auch, radikale Veränderungen im sozialen Umfeld zu vermeiden (Streitmilieu, Trennung, Übersiedelung). Nicht nur durch die geistige Bereicherung ist das Kind im dritten Lebensjahr erheblich belastet, auch durch das neu entstandene soziale Empfinden. Es wirbt bewusst um guten sozialen Kontakt, um liebevolle Zuwendung, es leidet unter Missstimmung. Sein sozialer Stellenwert in der Familie muss klar definiert und durch entsprechende Zuwendung gefestigt sein. In diesem Alter kommt es auch zum ausgeprägten „Ich-Erleben“: „Ich bin der Schöpfer dieser Dinge. Ich kann! Ich will! Ich kann dies und jenes bewirken und auslösen.“ Das „Ich-Erleben“ erzeugt Willenskraft und Selbstbehauptung. Wie bei jedem anderen Entwicklungsschritt auch, der neu erworben ist, kann er noch nicht flexibel an die jeweilige Situation angepasst werden. Es kommt daher zu vehementen Willensäußerungen, die kaum Kompromisse zulassen. Proteste, Weigerung, Trotz sind altersge­mäße Reaktionen. Das „Ich-Erleben“ und die Rückmeldung vom „Du“ haben höchste Bedeutung und ­bilden die Basis für späteres soziales Verhalten und Selbst­wert­gefühl. Gegen den dritten Geburtstag sollten diese genannten Entwicklungsschritte vollzogen sein. Dann erst ist das Kind reif für den Kindergarten.

Viertes bis siebtes Lebensjahr

Hat das Kind im dritten Lebensjahr die geistige Weiterentwicklung voll ausleben dürfen, hat es die Basis für sein Selbstwertgefühl und für soziales Verhalten erworben, dann wird es im vierten Lebensjahr interessiert, offen sein und die Eltern nur mit ständigen „Warum-Fragen“ nerven. Es ist körperlich sehr aktiv und hat Freu­de am Herumtollen mit anderen Kindern. Im fünften Lebensjahr beruhigt sich die „Sturm- und Drangzeit“, das Kind sammelt Kräfte für den im sechsten ­Lebensjahr beginnenden Gestaltwandel von der Kleinkindform zur Schulkindform. Dieser Gestaltwandel be­lastet das Kind nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Das körperliche und seelische Gleichgewicht ist gestört. Das Kind schläft schlechter, wird wieder ängst­licher, krankheitsanfälliger, „launenhaft“, und unordentlicher. Auch hier gilt, wie beim Dreijährigen: in der Erziehung ein Auge zudrücken; nicht Konsequenz um jeden Preis durchsetzen; weniger das Verhalten des Kindes werten, sondern auf den Gefühlszustand eingehen, die Persönlichkeit des Kindes anerkennend hervorheben. Das Kind erwirbt in diesem Alter nach und nach das „Regelbewusstsein“ – ein Entwicklungsschritt, der für die Schulreife erforderlich ist. Es achtet streng da­rauf, dass sich andere an die Regeln halten, findet aber nichts dabei, selbst die Regeln umzustoßen oder zu durchbrechen. Erst knapp vor Schuleintritt soll es auch von sich aus bereit sein, Regeln zu akzeptieren.

Achtes bis neuntes Lebensjahr

Im achten bis neunten Lebensjahr besteht keine in der Fachliteratur bezeichnete Entwicklungskrise. Und doch erlebt das Kind in diesem Alter eine sich auswirkende Belastung. Hat es zuerst den Eltern absolut vertraut, ist dann der Lehrer, die Lehrerin zur akzeptierten Autorität geworden, so erkennt das Kind plötzlich, dass Erwachsene unzulänglich sind, dass sie Fehler haben, lügen, mit zweierlei Maß messen. Das Kind verliert dadurch ein wenig an Vertrauen und somit an Geborgenheit. Das ­Resultat: freches Verhalten. Kontrollieren Sie Ihr eigenes Verhalten. Seien Sie möglichst gerecht und selbstkritisch. Geben Sie Fehler zu. Das Kind achtet nun mehr auf die Meinung Gleichaltriger.

Zehntes bis zwölftes Lebensjahr

Der hohe Stellenwert eines gesicherten Freundeskreises zeigt sich besonders im zehnten bis zwölften Lebensjahr, in der Höhe der reifen Kindheit, der neuerlichen sehr gesunden „Sturm- und Drangzeit“. Es ist vorwiegend das „Alter der Jungs“. In dieser Entwicklungsphase sollen Kinder sich nicht nur körperlich austoben dürfen, es soll auch der Kontakt mit Gleichaltrigen in Gruppen gefördert werden. Es ist eine wichtige Vorbereitungszeit für die Pubertät.

Vorpubertät und Pubertät

In der Vorpubertät kommt es – besonders merkbar bei Mäd­chen – zu Stimmungsschwankungen („himmelhochjauchzend zu Tode betrübt“), zu wechselweiser Ablehnung und Zuneigung. Models, Film- oder Popstars sind die unkritisch Angeschwärmten, denen man unbedingt nacheifern möchte. Alles im Verhalten wirkt überzeichnet. Der schulische Leistungsabfall bahnt sich an.

In der Pubertät kommt es zur Verinnerlichung. Die He­ranwachsenden werden sensibler, empfindlicher, labiler, sind nicht mehr leistungswillig. Sie werden uneins mit sich selbst, haben Probleme mit sich und anderen. Sie haben nicht die Kraft, sich für andere einzusetzen, sich zu engagieren. Sie fühlen sich wohl in Cliquen, sind aber wenig kommunikativ. Der junge Mensch fühlt sich unverstanden und allein, ist generell verunsichert. Entweder blockt der bzw. die Heranwachsende ab, verschließt sich oder kompensiert durch extremes Auftrumpfen, zeigt Aggression und Protestverhalten. Der junge Mensch ist auf der Suche nach Identifikation – oft mittels Gegenidentifikation mit dem Elternhaus und unkritischem Angleichen an „in“-Modelle und extreme Gruppen. In dieser Krisenphase sollten Eltern Äußerlichkeiten (Kleidung, Benehmen, Verhalten) so weit wie möglich ignorieren und vorwiegend durch verständnisvolles Ansprechen der Gefühle dem Kind vermitteln: „Ich nehme dich ernst.“ Vertrauensvorschuss geben im Sinne von: „Ich glaube an dich, weil du ‚DU‘ bist.“ Keine negative Intention unterstellen, nicht bevor­munden. Forderungen über die Gefühlsebene bringen, Ansprechen der Fairness. Auch in dieser Krisenphase dem Kind immer wieder seinen positiven Stellenwert in der Familie und bei Freunden vor Augen halten. Das ­Erziehungsziel: Festigen des Selbstwertgefühls.

Voraussetzungen für Verhaltensveränderung

Es gibt gewisse Erziehungsnormen, die während der gesamten Entwicklung des Kindes Gültigkeit haben. Die folgenden Tipps und Richtlinien sollen Ihnen helfen, Erziehungsfehler zu vermeiden und damit Verhaltens­problemen Ihres Kindes vorzubeugen.

Sie wissen zumeist, was Sie dem Kind erlauben, was Sie ihm untersagen müssen, Sie haben bestimmte Vorstellungen und Ziele, die Sie in der Erziehung Ihres Kindes verwirklichen wollen. Sie kennen Ihr Kind in all seinen Stärken und in all seinen Schwächen. Sie bemühen sich, dem Kind die günstigsten Voraussetzungen zu bieten, Sie meinen es bei all Ihren Interventionen sicher gut und wollen das Beste für Ihr Kind. Dennoch sind Konflikte, Verhaltens- und Kontaktprobleme nicht immer zu verhindern. Kinder werden oft gefühlsmäßig überfordert und in ihrem Empfinden allein gelassen – sei es nun aufgrund einer schwierigen familiären oder einer veränderten sozialen Situation, sei es aufgrund von ungewollt mangelndem Verständnis seitens der Eltern oder anderer Bezugspersonen.

Die Erziehung sollte nur in zweiter Linie aus Geboten, Verboten, Richtlinien und Leistungsforderungen bestehen. Das Hauptaugenmerk einer guten Erziehung muss auf die seelische Stabilität des Kindes, auf den Aufbau des Selbstwertgefühls, der sozialen Kompetenz gerichtet werden. Erst auf dieser Basis ist es dem Kind möglich, den Erziehungsrichtlinien Folge zu leisten.

Wie bewirken Sie beim Kind eine gute seelische Sta­bilität? Es gilt, den seelischen Grundbedürfnissen, die jeder Mensch (also auch SIE!) hat, zu entsprechen: ernst genommen, verstanden und geschätzt zu werden! Das bedeutet, dass Sie bei Ihrem Kind zuerst einmal zwischen „Verhalten“ und „Sein“ unterscheiden müssen. Viele ­Eltern begehen den Fehler, ihre liebevolle Zuwendung vom erwünschten Verhalten ihres Kindes abhängig zu machen. „Ich kann das Kind doch nicht loben, wenn es sich falsch verhält!“, ist oft das zynisch gebrachte Gegenargument. Kein vernünftiger Mensch erwartet von Ihnen, dass Sie das Kind für unangepasstes Verhalten belohnen. Aber Sie dürfen dem Kind auch keine bösen Absichten unterstellen. Kein normales Kind verhält sich negativ, ohne dass dieses Verhalten durch eine ­Ursache (seelische Konflikte, Gefühlslasten, Unsicherheit …) bedingt oder durch Modelllernen sowie Elternreaktionen verstärkt und somit aufrechterhalten worden ist.

Wenn sich das Kind also negativ verhält, so ist es deshalb nicht negativ – eine Aussage, die jedem klar ist. Dennoch erziehen viele Eltern ihr Kind entgegen dieser simplen Tatsache, sie setzen „Verhalten“ mit „Sein“ gleich.

Durch diesen Fehlschluss scheint es auch vielen Eltern so schwer zu fallen, ihrem Kind Vertrauen zu schenken. Wem sonst im Leben sollten Sie vertrauen dürfen als Ihrem eigenen Kind?! Bevor Sie Zweifel anmelden, möch­te ich daran erinnern, dass ich nicht vom Verhalten spreche. Bei keinem Menschen, nicht einmal bei mir selbst, würde ich dem Verhalten Vorschuss-Vertrau­en schenken. Zu viele bewusste und unbewusste seelische Vorgänge, Gefühlsregungen, äußere Bedingungen, soziales Geschehen usw. beeinflussen das Verhalten.

So ist zum Beispiel die Aggression ein durchaus negatives Verhalten; ihr Seelenhintergrund, die emotionalen Vorgänge hingegen, sind für mich zum Teil sogar schätzenswert! Keine Sorge, ich breche damit nicht eine Lanze für die Aggression. Ich möchte nur aufzeigen, wie wichtig es ist, hinter die Kulisse eines Verhaltens zu schauen. Es gilt, sich zuerst mit den inneren Vorgängen auseinander zu setzen und dann erst das Verhalten zu beurteilen.

Was steckt also sehr häufig hinter der Aggression? Empfindsamkeit, Unsicherheit, das Unvermögen, mit Konflikten umzugehen, geringe Frustrationstoleranz, Verletzt-, Gekränkt-, Enttäuscht-Sein, sich einer Situation gegenüber ohnmächtig, sich angegriffen, abgelehnt, einsam zu fühlen. Ein Gefühlsstau, ein innerer Überdruck, der sich entladen muss.

Welche Bedürfnisse liegen diesem Empfinden zugrun­de? Das Bedürfnis nach Wertschätzung, danach, ernst genommen zu werden, nach verständnis- und liebevoller Zuwendung. Also die Grundbedürfnisse aller Menschen, ohne deren Erfüllung keine innere Stabilität zu erreichen ist.

Das heißt natürlich nicht, dass jeder, dessen Grund­bedürfnisse nicht erfüllt werden, aggressiv reagiert oder gar den Freibrief für Aggression erhalten soll. Soziale Unsicherheit, ängstliches oder verschlossenes Verhalten sind die logischer erscheinenden Konsequenzen feh­lender innerer Stabilität und mangelnden Selbstwertgefühls. Ob gehemmtes oder aggressives Verhalten zu einer typischen Reaktionsweise auf äußere und innere Konflikte wird, hängt sehr wohl von der Erziehung (Verstärkung und somit „Belohnung“ des Verhaltens durch Beachtung und Zuwendung, keine erlernten Verhaltensalternativen) und von sozialen Mustern (Modell-Lernen) ab. Weiters wirkt sich aggressives Reagieren oft als unmittelbares Erfolgserlebnis aus, weil man damit das erwünschte Ziel erreicht (man steht im Mittelpunkt, andere geben nach, man flößt „Respekt“ ein, man kann sich entladen …). Das verstärkt dieses Verhalten. Beim Ängstlichen hingegen wirkt das Vermeiden belastender Situationen verstärkend auf die Inkompetenz.

Sie können nur zielführend gegen ein Verhalten vorgehen, wenn Sie zuerst seine psychischen Hintergründe erfasst haben und dadurch das „Sein“ des Betreffenden verstehen lernen.

Wenn Sie Unarten, unangepasstes Verhalten des Kindes ändern wollen, dann richten Sie sich nach den Lehr­sätzen: Das Kind will um jeden Preis beachtet werden – lieber in negativer Weise als gar nicht! Jede Art von Zuwendung (egal, ob positiv oder negativ!), die sofort auf ein bestimmtes Verhalten des Kindes erfolgt, bewirkt, dass dieses Verhalten häufiger auftritt! Zuwendung (ermahnen, loben, kritisieren, gut zureden) und somit beachtet werden wirkt belohnend. Über die Zuwendung erhält das Kind auch seinen sozialen Stellenwert, der für die Orientierung der Persönlichkeit, für das Selbstwertgefühl – wie jeder Erwachsene aus eigener Erfahrung weiß – vonnöten ist. Deshalb holt sich auch ein Kind, das seitens der Eltern ausreichend gelobt wird, oft durch unangepasstes Verhalten die Bestätigung seines Stellenwertes, im Sinne von: „Ich kann etwas bewirken, ich kann mich, wann immer ich möchte, ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.“

Die richtige Erziehungs-Alternative: Beziehen Sie sich anerkennend auf ein bereits gezeigtes erwünschtes Verhalten des Kindes, auf positive Erfahrungswerte. Äußern Sie sich wertschätzend über das Kind, geben Sie dadurch Vertrauensvorschuss („…weil du so und so tüchtig, stark, liebevoll …bist, weiß ich, dass du mich sicher nicht enttäuschen, nicht traurig machen, etwas zerstören, unterlassen…hast wollen. Du schaffst es ganz gewiss, dich so und so zu verhalten, denn du bist doch tüchtig, stark, liebevoll …“) Erst dann, falls erforderlich, instruieren Sie das Kind, warum das Fehlverhalten abzulehnen ist, und demonstrieren Sie ihm – falls erforderlich –, welche Konsequenzen daraus entstehen (z. B. Entzug von Vergünstigungen, von Zuwendung – nicht aber von Liebe!).

Bedenken Sie: Kaum jemand, vermutlich auch nicht Sie, ist durch abwertende Kritik, durch Ablehnung und Aburteilen zu motivieren, sein Verhalten zu ändern! Stärken und stabilisieren Sie Ihr Kind durch Anerkennung. Anerkennung hat nichts mit Verzärteln und Lobhudelei zu tun. Anerkennung, im Sinne eines positiven Feedbacks (einer positiven Rückmeldung) sollte dem Kind nach folgenden Punkten (so oft wie möglich!) vermittelt werden:

• Beziehen Sie sich auf eine konkrete Situation, beschreiben Sie diese kurz.

• Sagen Sie, was Sie bei Ihrem Kind beobachtet haben, was Ihnen positiv aufgefallen ist und was das Ihres Erachtens über das Kind, über seine Qualitäten, Fähigkeiten, guten Eigenschaften aussagt.

• Betonen Sie Ihr Empfinden und was diese Erkenntnis für Sie persönlich bedeutet. Heben Sie damit Ihre innige Beziehung zum Kind hervor.

Allein durch die Anerkennung erfüllen Sie die bereits ­genannten wesentlichen Grundbedürfnisse jedes Menschen: ernst genommen und geschätzt werden! Jetzt gilt es noch, sich im Verstehen des Kindes zu üben. Die Vo­raussetzung dafür kennen Sie bereits: die Fähigkeit, zwischen „Verhalten“ und „Sein“ zu unterscheiden, die seelischen Vorgänge, die Gefühle des Kindes zu erkennen und diese verständnisvoll anzusprechen. Damit ist nicht einer der üblichen Sätze gemeint wie „Ich versteh’ ja, dass du dich … fühlst, aber du musst doch einsehen, dass …“ Dem Kind etwas aus- oder einzureden, es in ­seinem Empfinden nicht ernst zu nehmen, ist weit vom wirklichen Verstehen des Kindes entfernt.

Gerade Gefühle betreffend ist es äußerst wichtig, offen miteinander zu reden. Sie stechen damit weder in ein Wespennest, noch reißen Sie damit eine Wunde auf. Der beste Trost ist, verstanden zu werden! Und das gelingt nur, wenn die Gefühle des anderen erkannt und ernst genommen werden.

Wenn Sie selbst sehr traurig sind: Wollen Sie, dass man Ihnen Ihr Empfinden ausredet, es Ihnen untersagt, es bagatellisiert, Sie in Frage stellt? Sicher nicht! Die ­üblichen Reaktionen („So schlimm ist das ja gar nicht“, „Reiß dich zusammen“, „Lenk dich ab, steigere dich nicht so hinein“, „Es wird schon wieder“, „Es gibt Tragischeres“ usw.) machen Sie wahrscheinlich noch trauriger, im besten Fall wütend.

Nur das Annehmen, das Bejahen des Gefühls (ohne es zu dramatisieren) durch die simpelste, banalste Reaktion, wie z. B. „Du bist traurig, nicht wahr? Ich kann mir vorstellen, dass so eine Enttäuschung sehr wehtut“, ist unmittelbar mehr Hilfe als der beste Ratschlag. Lassen Sie sich durch das Verhalten nicht davon ablenken, nach dem Gefühlshintergrund zu forschen. Sprechen Sie verständnisvoll die Gefühle an, bevor Sie sich auf das Verhalten beziehen und Lösungsmöglichkeiten anbieten.

Vergessen Sie nicht, dass Sie dem Kind als Modell dienen. Leben Sie daher auch dem Kind vor, wie man mit Gefühlen umgeht. Reagieren Sie nicht nur in bestimmter Weise aufgrund eines Gefühls, sprechen Sie Ihr Empfinden auch unmissverständlich als klare Information aus. Stehen Sie zu Ihren Gefühlen! Zeigen Sie dem Kind, dass es keine Schwäche ist, Gefühle zu haben, dass Gefühle immer richtig sind. Nur wer Gefühle erkennt und bejaht, der kann damit umgehen lernen. Er verhindert den „Ventileffekt“ falschen Verhaltens aufgrund eines nicht steuerbaren Überdrucks von aufgestauten Gefühlen.

Wertschätzung durch Anerkennung, Verstehen und Verständnis, indem die Gefühle angesprochen werden – damit gelingt es leichter, Ihr Kind zu motivieren, anzu­spornen, es zu stärken.

In diesem Sinne möchte ich mein Buch verstanden wissen.

Erlernen von Verhaltensweisen

Ganz gleich, ob sich das Kind in einer Ruhe- oder Krisenphase befindet, gilt folgender Grundsatz: Jedes Verhal­ten wird erlernt. Durch Lernen erwirbt das Kind gleichermaßen erwünschtes wie auch unerwünschtes Verhalten. Man unterscheidet:

Das Lernen am Modell durch Beobachtung und Nachahmung: Als Modell dient entweder ein so genannter „Prestigeträger“, also ein Vorbild, oder eine Person, die durch ein bestimmtes Verhalten Vorteile erzielt, die auf das Kind attraktiv wirken oder von ihm als äußerst angenehm erlebt und daher übernommen werden.

Das Lernen am Erfolg: Erhält das Kind unmittelbar auf ein bestimmtes Verhalten eine positive Verstärkung, so wird es dieses Verhalten wiederholen, um noch einmal begünstigt zu werden.

Fallbeispiel:

Eine Gruppe von sechs Kindern findet sich jeden Vormittag zusammen und wird von wöchentlich wechselnden „Tagesmüttern“ betreut. Die Anweisung einer der Mütter lautet: „Sprecht nicht mit vollem Mund. Ihr könntet euch verschlucken oder es fallen euch beim Sprechen die Bissen aus dem Mund.“ Stefan bemüht sich, den Bissen hinunterzuwürgen, um endlich der Mutter etwas mitteilen zu können. Aber Petra kommt ihm zuvor und erzählt, was sie sich so alles zum Geburtstag wünscht. Stefan versucht Petra zu unterbrechen, aber niemand hört ihn an. Beim nächsten Bissen platzt er mit seiner Mitteilung heraus, ohne sich die Mühe zu machen, die Speisereste zu schlucken. Diesmal hat er Erfolg. Er verschafft sich Gehör und muss sich nicht weiter beherrschen. Die später erfolgte Rüge der Tagesmutter erzielt keinerlei Wirkung im Vergleich zum unmittelbaren Erfolgserlebnis, ja doch angehört worden zu sein. Stefan wird nun das nächste Mal wieder gleich herausplatzen, ohne sich die Mühe zu machen, zuerst den Bissen hinunterzuschlucken. (Lernen am Erfolg)

Stefans Freund Paul ist genauso ungeduldig. Er lernt von Stefan, dass man leichter zum Erfolg gelangt, wenn man sich nicht an die Anweisungen der Tagesmutter hält. (Lernen am Modell)

Was als Erfolg, Belohnung, Bekräftigung oder Verstärker erlebt wird, ist individuell verschieden und situationsabhängig:

Beachtung: Wie bereits erörtert, ist Zuwendung, also be­achtet werden, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Nichtbeachtung, eine „Null“ zu sein, von der niemand Notiz nimmt, gilt als Strafe. Daher hat auch die negative Form des Beachtetwerdens (Kritik, Widerspruch, Ermahnung) Erfolg, besonders wenn sie das Kind häufiger ­erlebt als positive Zuwendung. Sie wissen ja bereits, es gilt die Devise: „Lieber negative Zuwendung erhalten als gar keine!“

Lob, Anerkennung: Sie sind ein wichtiges Lebens­elixier, spornen das Kind an und verstärken sein Selbstbewusstsein.

Privilegien wie zum Beispiel länger aufbleiben oder das Sonntagsprogramm in der Familie bestimmen zu dürfen.

Materielle Verstärker (etwa Süßigkeiten, Geschenke, Geld …): Vorsicht! Materielle Verstärker sollen nur se­kun­där, also an zweiter Stelle nach den „sozialen Verstärkern“ (Lob, Anerkennung, Zuwendung) geboten werden! Das Kind darf nicht dazu erzogen werden, dass es etwa nur dann bereit ist, den Mülleimer auszuleeren, wenn es dafür Geld erhält. Materielle Verstärker bietet man nur bei besonderen Leistungen als zusätzlichen Ansporn.

Fallbeispiel:

Die Tagesmutter stört, dass Stefan sich nun auch nicht an ihre ­Anweisung hält. Sie will aber keine Strafen einsetzen. Deshalb nimmt sie sich Zeit und redet Stefan lange gut zu. Dieses Zureden wird von Stefan als Belohnung erlebt. Noch wirkt es jedoch nicht als Verstärker auf sein Fehlverhalten, da er sich durch das Lob aufgewertet fühlt. Er wird sich vorerst also noch bemühen, um wieder Lob zu erhalten. So beherrscht er sich beim nächsten Mittagessen und spricht nicht, während er noch den Mund voll hat. Da aber Paul weiterhin mit jeder Mitteilung gleich herausplatzt, wird er von der Tagesmutter sofort ermahnt, Stefan bekommt keine Aufmerksamkeit. Paul erhält auf Grund seines unerwünschten Benehmens Zuwendung, Stefans Verhalten bleibt unbeachtet, sein Bemühen wird daher „bestraft“. In der Folge platzt also natürlich auch Stefan wieder mit vol­lem Mund heraus. Die Tagesmutter versucht es noch einmal mit gutem Zureden, Erklärungen und Ermahnungen. Stefan und Paul stehen im Mittelpunkt. Nun halten sich auch die anderen Kinder immer weniger an die Richtlinien beim Essen. Stefan und Paul übertreiben in ihrem Verhalten, spucken herum, nur um im Zent­rum der Aufmerksamkeit zu bleiben. Die Essenssituation wird für die Tagesmutter unerträglich, sie kann sich bei den lärmenden Kindern nicht durchsetzen. Strafen (wie zum Beispiel nach dem Essen nicht mitspielen dürfen) bleiben wirkungslos. Während die Strafe verzögert eintritt und völlig den Bezug zu dem unerwünschten Verhalten verliert, wirken die Ermahnungen, durch die sie im Mittelpunkt des Interesses stehen, als unmittelbare Belohnung.

Stefan beginnt die Tagesmutter abzulehnen. Sie wiederum stempelt ihn zu einem schwierigen Kind ab. So wird Stefan eine neue Rolle zugewiesen. Er spielt den Schwierigen weiter und setzt sich damit erfolgreich in Szene. Paul wiederum macht Dummheiten, damit die anderen über ihn lachen. Er genießt es, weiterhin als „Clown“ im Mittelpunkt zu stehen.

Die Tagesmutter hat also durch falsche Zuwendung und durch Beachtung zur unrechten Zeit die beiden zu „wichtigen“ Personen in der Kindergruppe gemacht. Auf diese Sonderstellung verzichtet niemand freiwillig!

Ich erinnere Sie an den Lehrsatz: Jede Art von Zuwendung (auch gutes Zureden, Ermahnen, Kritik), die unmittelbar auf ein bestimmtes Verhalten erfolgt, wirkt als Verstärker. Beachtet man ein Kind auf Grund bestimmter Verhaltensweisen, so wird es diese häufiger an den Tag legen.

Fallbeispiel:

Während der nächsten Woche ist eine andere Mutter an der Reihe, als Tagesmutter die Kinder zu beaufsichtigen. Auch sie gibt die Anweisung: „Sprecht erst, wenn ihr hinuntergeschluckt habt.“ Stefan plappert und spuckt dabei Speisereste aus, Paul macht dumme Bemerkungen, Petra macht sich über ihn lustig und spöttelt.

Die Tagesmutter ignoriert, dass die drei ihre Anweisung missachten und wendet sich an die paar Kinder, die nach wie vor versuchen, erst zu schlucken, dann zu reden: „Ich finde es super, dass es dir und dir gelingt so stark zu sein und zu warten, bis du den Bissen hinuntergeschluckt hast. Das imponiert mir, dass du und du so geduldig seid.“ (Verstärkung durch beschreibendes Lob) „Ich weiß, wenn ihr mir etwas mitteilen wollt, ist es sehr schwierig zu warten.“ (Verständnis zeigen) „Na­türlich sollt ihr alle Gelegenheit haben, von mir angehört zu werden. Ich bemühe mich, niemanden zu überhören. Damit ihr wisst, dass ich genau merke, wenn jemand gleich nach dem Hinunterschlucken etwas sagen möchte, nicke ich ihm zu. Ihr braucht daher nicht ungeduldig zu werden, weil ihr befürchtet, nicht zu Wort zu kommen. Ich bin auf jeden stolz, der sich die kurze Zeit während des Kauens beherrschen kann.“ (Moti­vation und Instruktion für die Weiterführung des erwünschten Verhaltens)

Während die Mutter mit den Kindern spricht, be­obach­tet sie unauffällig Stefan, Paul und Petra. Sofort, wenn sie merkt, dass einer von ihnen still wird und weiterkaut, wendet sie sich diesem Kind zu und lobt es: „Ich bin stolz darauf, dass du dich so beherrschen kannst.“ (Belohnung durch sofortige Zuwendung) „Wenn jemand mit vollem Mund spricht, kann er sich leicht verschlucken oder er spuckt dabei Speisereste aus. Das ist nicht angenehm und wie bei einem Baby. Wir beachten es gar nicht, da sehen wir ganz einfach weg.“ (Sie teilt dem Herumspucken einen geringen Stellenwert zu. Sie erklärt, was bei unerwünschtem Verhalten erfolgen wird, ohne dieses durch unmittelbare Beachtung zu verstärken.)

Die Tagesmutter muss die Kinder natürlich nicht ständig loben oder ihnen freundlich zunicken. Sie braucht nur so lange das erwünschte Verhalten der Kinder sofort zu bekräftigen, bis sie es erlernt haben. Auf allfälliges Lob darf man jedoch nie ganz vergessen, um das neu ­erlernte Verhalten zu stabilisieren.

Fallbeispiel:

Michael spielt im Kinderzimmer. Die Mutter ist froh, dass er sich allein beschäftigt und sie nicht stört. Sie sagt ihm das jedoch nicht, um ihn nicht vom Spiel abzu­lenken.

Nun wird Michael doch lästig. Die Mutter ermahnt ihn und fordert ihn auf, weiter brav zu spielen. Michael wendet sich kurz dem Spiel zu, beginnt aber gleich ­wieder, die Mutter zu ärgern. Sie schimpft mit ihm, ermahnt ihn noch­mals.

Michael erlebt, dass die Mutter ihn häufiger beachtet, wenn er, statt ruhig zu spielen, lästig wird. Um den erwünschten Erfolg zu erzielen, muss er also stören. Durch negatives Verhalten erzwingt sich Michael die Zuwendung, die ihm beim „Bravsein“ versagt bleibt. Die Mutter erreicht durch ihre falsche Reaktion also genau das Gegenteil des Erwünschten. Sie hätte mehrmals das Kinderzimmer betreten und durch ein konkreteres Lob ihre Freude über das „brave“ Kind zum Ausdruck bringen sollen.

Nichts ist selbstverständlich – schon gar nicht das „Brav­sein“! Jedes erwünschte Verhalten des Kindes (auch Routinetätig­keiten wie Essen, Waschen, Anziehen …) muss sofort lobend ­erwähnt werden, bis es zur Gewohnheit wird. Auch danach sollte man nicht ganz auf Lob verzichten, um die erlernten Verhaltensweisen aufrecht zu erhalten.

Unerwünschtes Verhalten dagegen darf nicht mit sofortiger Zuwendung beantwortet werden! Erst wenn das negative Benehmen abgeklungen ist, sollte man mit dem Kind darüber sprechen.

Wie reagiert man, wenn ein Kind gerade im Begriff ist, „schlimm“ zu werden?

• Man greift auf eine positive Alternativsituation zu­rück,

• ignoriert das negative Verhalten,

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