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*** Auf dem FLIEGENDEN TEPPICH um die Welt: die schönsten Märchen endlich wieder lieferbar! *** In zahlreichen Märchen treiben Mörder, Diebe, Räuber und andere grausame Gestalten ihr Unwesen, ihre Vergehen bringt oft erst »die Sonne an den Tag«. Eine andere Spezies sind die Schelme und Meisterdiebe. Sie genießen die Bewunderung aller – für die Geschädigten bleibt nur der Spott.
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Seitenzahl: 186
Veröffentlichungsjahr: 2014
Märchen von Mördern und Meisterdieben
Märchen der Welt
Herausgegeben von Volker Ladenthin
FISCHER E-Books
Die Märchen in diesem Kapitel erzählen von Gaunern, Meisterdieben und ihren Spießgesellen, allesamt Mitglieder einer ehrenwerten Gesellschaft. Zwar sind es Schurken, Beutelschneider, Gesindel mithin, die hier ihr Unwesen treiben, aber bewundert werden sie doch. Mit List und Mut führen sie ihre Geniestreiche durch. Kein Ding scheint ihnen unmöglich, denn sie haben allesamt eine grundsolide Ausbildung, an deren Ende das Meisterstück steht.
Es saßen einmal drei Handwerksburschen ganz still und traurig in einem Wirtshause beisammen; denn sie konnten keine Arbeit bekommen und hatten nur noch fünf Kreuzer miteinander zu verzehren. Und wie sie nun so dasaßen, trat ein fremder Herr zu ihnen hin und fragte, warum sie denn so betrübt wären? Da klagten sie dem Manne ihre Not, daß ihr Geld zu Ende sei und sie gar nichts verdienen könnten. Sprach der fremde Herr zu ihnen: »Ei, deshalb dürft ihr nicht so traurig sein, da ist wohl noch Rat zu schaffen! Wenn ihr mir einen Gefallen tun wollt, so soll euch das Geld nie ausgehen.« Da fragten sie, was denn das wäre? Darauf sagte der Fremde: »Ihr dürft nichts weiter reden, man mag euch fragen, was man will, als diese Worte: der erste von euch muß immer antworten: ›Wir alle drei!‹, der zweite: ›Um’s Geld!‹, der dritte: ›Und so ist’s recht!‹ Wenn ihr das tut, so werdet ihr keine Not mehr leiden.«
Da sahen die Handwerksburschen sich verwundert an und wollten’s nicht wagen, weil sie sich fürchteten; allein da der fremde Herr versicherte, daß ihnen kein Leid dadurch geschehen werde, so versprachen sie es ihm und erlaubten ihm sogar, daß er ihnen eine Ader aufschlug, worauf dann ein jeder mit seinem eigenen Blute dies Versprechen unterschrieb. Darauf verschwand der Mann.
Die drei Handwerksburschen hatten aber, seitdem sie mit ihrem Blute unterschrieben, die Sprache verloren und konnten gar nichts mehr hervorbringen, als die Worte: »Wir alle drei«, was der eine sprach, worauf dann jedesmal der andere versetzte: »Um’s Geld!« und der dritte hinzufügte: »Und so ist’s recht!« Alsbald fühlten sie aber, daß ihre Taschen voll Geld waren; deshalb besuchten sie nur gute Gasthäuser und ließen sich das Essen und Trinken schmecken und bezahlten alles wie vornehme Herren, indem sie von dem hingegebenen Geld, wenn’s zuviel war, nichts wieder zurücknehmen wollten.
So kamen sie auch einmal in ein vornehmes Wirtshaus und setzten sich an den Tisch. Da fragte der Wirt, ob sie etwas zu trinken haben wollten? »Wir alle drei!« sagte der eine. »Das kann ich mir denken!« antwortete der Wirt. »Um’s Geld!« versetzte der zweite. »Ja freilich«, sagte der Wirt, »umsonst ist der Tod.«
»Und so ist’s recht!« fügte endlich der dritte Handwerksbursche hinzu. »Das versteht sich!« sprach der Wirt und lachte und ging hin und holte für jeden einen Schoppen Wein. Und als sie den Wein getrunken hatten, fragte der Wirt wieder, ob sie auch etwas essen möchten? »Wir alle drei!« sprach der erste, und dann der zweite: »Um’s Geld!« Der dritte: »Und so ist’s recht!« Da sah der Wirt groß auf, und auch die Gäste, die da waren und das mit anhörten, verwunderten sich über die sonderbaren Leute; denn sie brachten weiter nichts vor, als eben diese drei Redensarten.
In demselben Wirtshaus übernachtete aber auch ein reicher Kaufmann, der führte viel Geld bei sich und schlief dicht neben ihnen. Da hörten sie um Mitternacht ein Geräusch in dem Nebenzimmer und ein Geschrei, was aber alsbald still ward. Dann vernahmen sie ganz deutlich die Stimme des Wirtes, der befahl, daß man die Geldsäcke forttragen sollte, und sie konnten sich nun wohl denken, was da geschehen sein mochte, blieben aber mäuschenstill liegen, weil sie Angst hatten. Wie es nun Tag wurde und alles aufstand, ging der Wirt in das Zimmer, wo der Kaufmann geschlafen hatte und erhob ein Geschrei: »Mörder! Mörder!« und lief zum Gericht und zeigte es an, daß ein Kaufmann über Nacht in seinem Hause ermordet worden sei, und daß er schweren Verdacht gegen drei Handwerksburschen hege, die dicht neben dem Kaufmann geschlafen hätten.
Da kam das Gericht herzu und fand den Kaufmann in seinem Blute liegen, nahm dann auch sogleich die drei Handwerksburschen gefangen und fragte sie, ob sie den Mann ermordet hätten? Da sagte der erste: »Wir alle drei!« Der zweite: »Um’s Geld!« Der dritte: »Und so ist’s recht!«
»Ei, ihr gottlosen Menschen!« rief der Richter und befahl, daß man sie fortführte. Und weil man in ihren Taschen so viel Geld fand, wie man es sonst bei Handwerksburschen nicht antrifft, und sie ganz unverhohlen die Mordtat bekannten, so wurden sie zum Tode verurteilt und zum Richtplatz hinausgeführt. Als sie nun aber geköpft werden sollten, da rief eine unsichtbare Stimme: »Halt!« Und mit einem Male fühlten die Handwerksburschen, daß sie wieder reden konnten und erzählten nun alles, wie es ihnen ergangen war und wie sie nichts weiter als die drei Antworten auf alle Fragen hätten geben können; zugleich aber zeigten sie den Richtern an, daß der Wirt selbst den Kaufmann umgebracht und seine Geldsäcke ihm weggenommen habe.
Da wurde der Wirt festgesetzt, und als man das Geld mit dem Namen des ermordeten Kaufmanns bei ihm fand und seine Schuld offenbar war, erhielt er seine Strafe; die drei Handwerksburschen aber zogen nach der Angst, die sie ausgestanden, fröhlich von dannen, und hatten nun Geld genug ihr Leben lang.
Früh vorher lebte in einer Gegend ein Birmanssohn. Dieser verkaufte seinen Acker für drei Klafter Tuch, belastete damit seinen Esel und begab sich nach einem andern Lande. Auf dem Wege sah er einen Haufen Kinder, die eine Maus um den Hals mit einem Strick gebunden ins Wasser warfen, und wieder herauszogen und hatte Mitleid und sprach: »Handelt nicht so, Kinder! Laßt doch die Maus lieber laufen.« Die Kinder aber antworteten: »Wir lassen sie nicht laufen. Du hast dich darum nicht zu bekümmern.« Hierauf sprach der Birmanssohn: »Was soll ich euch geben für die Maus?« Nachdem er ein Klafter Tuch gegeben hatte, ließ er die Maus laufen.
Indem er weiter fortging, sah er wieder einen Haufen Kinder, welche einen Affen gefangen hielten. »Springe doch!« sprachen sie zu dem Affen und schlugen ihn. Weil der Affe aber sehr jung war, riefen sie unaufhörlich: »Springe ordentlich!« und schlugen ihn. Der Mann hatte Mitleid mit dem Affen und sprach zu den Kindern: »Laßt den Affen laufen.« Weil die Kinder ihn aber nicht laufen ließen, gab er noch ein Klafter Tuch hin und ließ das Tier in einen Hain laufen.
Als der Birmanssohn hierauf seinen Weg verfolgt hatte, fand er nicht weit von der Stadt einen Haufen Kinder, welche einen jungen Bären gefangen hielten und durch Reiten sehr peinigten. Aus Mitleid gab er sein übriges Tuch hin und ließ den Bären im Wald los.
Weil nun alles Tuch weggegeben war, dachte der Birmanssohn, seinen Esel treibend, bei sich: »Ich kam hierher, um zu handeln. Da meine Waren weg sind, so geh’ ich in den Palast des Khans und stehle.«
So denkend, band er den Esel im Dickicht des Waldes an, ging in die Vorratskammer des Khans, nahm einen Ballen Seide auf den Rücken und machte sich davon.
Die Khanin erblickte ihn aber am Eingang und rief laut: »Der Palast ist bestohlen!« Sogleich kamen Leute zusammen, der Dieb ward gefangen und vor den Khan geführt.
»Weil du so eine ungeziemende Tat begingst«, sprach der Khan, »so lege man dich in einen Kasten, verschließe den Kasten mit einem eisernen Nagel, und werfe ihn ins Wasser.«
Nach diesen Worten ward zwar der Kasten ins Wasser geworfen, blieb aber an einem Holzstück hängen. Da nun die Luft im Kasten sehr eng ward, so fehlte nicht viel, und der Birmanssohn wäre erstickt, als oben etwas am Nagel zu zerren anfing. Indem der Birmanssohn durch die entstandene Spalte blickte, ward er die Maus gewahr, die er gekauft und losgelassen hatte.
Die Maus sprach aber: »Warte, bis ich meine Gefährten herbeirufe.« Da der Birmanssohn wieder Luft schöpfte, so erstickte er nicht. Die Maus führte aber den Affen herbei und erzählte ihm den Vorfall. Der Affe erweiterte die Spalte, und der Bär öffnete den Kasten mit Gewalt, daß der Mann heraus kam und sich auf einen Grasplatz niederließ. Alle drei brachten ihm hierauf Obst und mancherlei andere Speisen und Getränke. Am andern Morgen erblickte der Mann außerhalb des Flusses einen hellen Schein, und sandte den Affen hin. Der Affe brachte ihm ein Vogelei, und dies war ein Wunderstein.
Da wünschte sich der Birmanssohn aus dem Wasser und erlangte seinen Wunsch. Mitten auf einem großen Platze stieg ein Palast hervor, mit Ställen für Pferde und Maultiere und anderen Gebäuden. Mancherlei Bäume wuchsen da. Brunnen füllten sich mit Arschaanwasser. In dem Palast aber waren kostbare Sachen im Überfluß. Was der Birmanssohn gewünscht, ward alles bei wachenden Augen erlangt.
Einige Zeit darauf kamen angesehene Kaufleute nach dieser Gegend, sahen und staunten. »Was ist das?« riefen sie aus, »sonst war hier ein wüster Platz, und jetzt hat sich so wunderbar alles verändert.« Der Anführer der Kaufleute begab sich zu dem Birmanssohn und befragte ihn über dies Wunder. Als ihm dieser die Ursache erzählt und den Wunderstein gezeigt, da sprach Ssardawagi: »Nimm alles, was wir haben, aber gib uns diesen. Alle unsere Pferde und Lasttiere, mit allen Ladungen sind dein. Nur diesen Talisman überlaß uns.«
Auf diese Worte nahm Ssardawagi den Wunderstein. Der Birmanssohn aber fand sich beim Erwachen mitten im Fluß, auf dem vorigen Grasplatz. Alles war verschwunden.
Indem er dort trauernd saß, kamen die drei Gefährten und fragten: »Was ist dir geschehen?« Als er alles erzählt, sprachen jene: »Wahrlich, du bist ein unglücklicher Mensch. Wohin ging aber der Mann mit dem Stein? Wir drei wollen ihn suchen gehen.«
Als nun alle drei anlangten bei dem mächtigen Ssardawagi, sprachen Bär und Affe zur Maus: »Für uns beide ist wohl der Eingang versperrt, aber du, Maus, schau umher, wo der Wunderstein liegt.«
Die abgeschickte Maus kroch durch das Schlüsselloch in die Wohnung, sah in einem geschmückten Gemach den schlafenden Ssardawagi und an dem Ende des Pfeils den Wunderstein. Der Pfeil aber war in einen großen Reishaufen gesteckt, neben welchem zwei angebundene Katzen lagen. Der Katzen wegen wagte es die Maus nicht, sich dem Wunderstein zu nahen, kehrte daher zu ihren beiden Gefährten zurück und erzählte, was sie gesehen hatte. »Nun, so ist kein Mittel mehr!« sprach der Bär, »laßt uns also zurückgehen.« Der Affe aber sprach: »Es ist wohl noch ein Mittel vorhanden. Maus, geh zurück zu Ssardawagi und benage sein Haar und in der folgenden Nacht sieh zu, wer neben dem Kissen angebunden sein wird.«
Die Maus ging und benagte das Haar. Als aber Ssardawagi am Morgen aufwachte und sein Haar benagt fand, da ward er unwillig und sprach: »Diese Nacht haben die Mäuse mein Haar benagt. Damit solches nicht wieder geschehe, binde ich die Katzen hier an.«
Der Bär und der Affe fanden sich gegen Abend vor der Tür ein und sprachen zur Maus: »Geh, und entwende den Wunderstein.« Die Maus ging und war froh, daß am Reishaufen keine Katzen kauerten, aber der Pfeil war so hoch, daß sie den Wunderstein gar nicht fassen konnte. Sie ging also leer wieder zurück. »Nun, so ist kein Mittel mehr«, sprach der Bär, »laßt uns also zurückgehen.« Der Affe aber sprach: »Es ist wohl noch ein Mittel vorhanden. Maus, geh und wühle im Reishaufen, bis der Pfeil umfällt, und dann nimm den Wunderstein und hole ihn im Mund hierher.«
So sprach der Affe und sandte die Maus fort. Die Maus nahm darauf den Talisman und brachte ihn bis zum Schlüsselloch, aber nicht weiter, denn der Wunderstein war zu groß. Sie ließ daher den Wunderstein liegen und ging zu ihren Gefährten zurück. »Nun, so ist kein Mittel«, sprach der Bär. »Der Affe und wir beide können nicht durch das Schlüsselloch kriechen. Darum laßt uns wieder zurückgehen.« Der Affe aber sprach: »Es ist wohl noch ein Mittel vorhanden. Maus, dir habe ich am Schwanz einen Faden befestigt, dann geh und fasse den Wunderstein mit allen vier Füßen, ich ziehe dich an dem Faden herauf.«
Durch den angebundenen Faden wurde der Wunderstein durch das Schlüsselloch gebracht, aber die Maus war sehr müde. Der Affe nahm den Wunderstein in den Mund und setzte sich auf den Bären, und die Maus legte sich in das Ohr des Bären. Der Bär wanderte seinen Weg fort, setzte durch einen Fluß und sprach: »Wunderstein, Affe, Maus, ich trag euch alle drei – bin ich nicht stark?« Die Maus schlief, und der Affe wollte nicht reden, um nicht den Wunderstein zu verlieren. Da sprach der Bär zürnend: »Wollt ihr nicht antworten, so werf ich euch beide ins Wasser.« Nun sprach der Affe: »Wirf nicht!« So sprechend fiel der Wunderstein aus dem Mund ins Wasser.
Als sie über den Fluß waren, da sagte der Affe: »Du Bär bist doch wahrlich ein dummes Geschöpf.« Die Maus vernahm dies, und fragte: »Was gibt es?« Der Affe erzählte hierauf, was sich ereignet und sprach: »Aus dem Wasser den Stein zu schaffen ist schwerer als alles andere. Darum laßt uns nun zurückgehen.« Die Maus aber versetzte: »Ich will doch versuchen, den Stein aus dem Wasser zu schaffen. Ihr beiden setzt euch weiter hinauf.«
Da lief die Maus längs dem Fluß hin und her, und die Wasserbewohner sprachen: »Maus, was beunruhigt dich?« Die Maus erwiderte: »Habt ihr nicht vernommen, daß ein großes Heer anrückt, und daß ihr künftig nicht länger im Wasser wohnen sollt?« Auf diese Worte sprachen die Wasserbewohner: »Sprich doch, was jetzt zu tun sei.« Die Maus sprach: »Es bleibt kein anderes Mittel, als eine Mauer am Fluß aufzutürmen.« So sprach sie, und die Wasserbewohner brachten Steine aus dem Fluß. Die Maus nahm diese Steine und machte daraus eine Mauer. Als die Mauer schon spannehoch war, brachte ein Frosch den Wunderstein im Munde heraus, und sprach: »Das ist ein schwerer Stein.«
Die Maus zeigte den Stein den Gefährten, und sagte: »Da ist er!« Voll Freude sprach der Affe: »Diese Maus ist ein kluges Geschöpf.« Die Maus legte sich darauf wieder ins Ohr, der Affe setzte sich auf den Bären, und alle drei erreichten den Birmanssohn, der kaum noch am Leben war. Nachdem der Affe den Wunderstein ihm gegeben hatte, sprach der Birmanssohn. »Ihr Gefährten habt mir eine große Wohltat erzeigt.« Nach diesen Worten wünschte er sich wieder aus dem Flusse, und es entstand sogleich eine khanische Wohnung. Mancherlei Obstbäume und Blumen wuchsen umher. Mancherlei Arten von Vögeln ließen ihre Stimme hören. Der prächtige Palast war mit Pferden und Maultieren angefüllt. Als alles dies wünschend erlangt war, sprach der Birmanssohn: »Wenn der Wunderstein wirklich große Kräfte besitzt, so entstehe mir eine Gemahlin aus dem Reich der Aessuri Tàngàri.«
So sprach er, und sogleich entstand eine Tàngàritochter, von einem zahlreichen Gefolge begleitet. In Wohlsein und Freude lebte der Birmanssohn und bekam hundert holde reizende Söhne.
Es war einmal ein lustiger Student, der wurde von der hohen Schule relegiert, weil er seinem Jugendübermut zu sehr den Zügel schießen ließ. Seine Bücher und alles, was seine ohnehin armen Eltern ihm mitgegeben hatten, als er auf die hohe Schule ging, war schon längst verkauft, und so zog er an einem rauhen Tage im dünnen Samtwams und mit einer kleinen Studentenkappe bedeckt in die weite Welt. Nachdem er eine Zeit lang gegangen war, kam er in den Wald, und da fror ihn gar sehr und die Nacht brach auch herein, und er wußte nicht, wo er sein Haupt hinlegen sollte. Da sah er auf einmal im Walde ein Häuschen stehen, und da stand eine alte Hexe in der Tür, die winkte den jungen Burschen zu sich, der ging auch richtig zu ihr ins Haus. Darauf wies sie ihm sein Nachtlager an, und er schlief die ganze Nacht hindurch und erhob sich neu gestärkt am anderen Morgen, um weiterzuziehen. Da wollte ihn die alte Hexe nicht unbeschenkt ziehen lassen und gab ihm einen Mantel, der ihn unsichtbar machte, so oft er ihn umhing, einen Ring, der ihn allwissend machte, wenn er ihn an den Finger steckte, und eine Wurzel, vor der alle Türen aufsprangen.
Die Wurzel steckte der Student in seine Rocktasche. Den Mantel hing ihm die Hexe gleich selbst um und dabei sprach sie: »Es schadet nichts, wenn er dich jetzt sogleich auf deiner Reise auch unsichtbar macht, er hält doch warm und schützt dich vor dem Frost, der dich in dem dünnen Wams gewaltig plagen würde.«
Von nun an sann der Student auf nichts als tolle Streiche. Er begab sich sofort in die Königsstadt und da ging er geradewegs zur Schatzkammer. Diese sprang denn auch vor seiner Springwurzel sogleich auf und schloß sich wieder hinter ihm zu, und weil ihn wegen seines Mantels niemand sah, so bemerkte es nicht einmal die Wache vor der Schatzkammer, daß sich die Tür auftat. Und so holte der Student am hellen Mittage soviel Geld aus der Schatzkammer, wie er nur tragen konnte, und er ging von nun an Tag für Tag dorthin, um sich die Taschen zu füllen. So lebte er als ein gar großer Herr in der Residenz, und wenn er den Mantel nicht umhatte, so erschien er gar prächtig gekleidet. Oft aber ging er in seinem Mantel unsichtbar am hellen Tage über die Straße, und dann sah er den Frauen so kühn und keck ins Gesicht, daß ihn die Männer gewiß vor Eifersucht erschlagen haben würden, wenn sie es gewußt hätten. Aber daran war’s ihm noch nicht genug. Er schlich sich auch einmal zu dem König in seinem Mantel, und dem stahl er Krone und Seitengewehr, ohne daß er es merkte, denn er sah ja niemanden.
Das war dem König natürlich nicht einerlei, er beriet sich insgeheim mit seinen Ministern, und nach ihrem Vorschlag rief er nach der Sitzung die Prinzessin zu sich und sprach zu ihr: »Mein Kind, wir wollen ein großes Fest veranstalten und dazu alle Welt einladen. Wer dann am Abend, wenn alle in unserem Garten lustwandeln, an dich herantritt und dir einen Kuß gibt, dem mache so leise wie möglich mit Kohle einen Strich ins Gesicht, denn der ist der Kühnste von allen, die zu dem Feste kommen, und der hat ganz gewiß auch meine Krone und mein Seitengewehr geraubt – ein anderer hätte sich’s nicht unterstanden. So komme ich wieder zu Krone und Seitengewehr, welche ich auf jeden Fall wieder haben muß, und du kommst zu einem Kuß, den ich dir sonst nicht eher gestatte, als bis zu deiner Verlobung mit einem mächtigen Prinzen.« Und so wurde alle Welt zu dem Fest eingeladen.
Während der König aber so mit seiner Tochter gesprochen, hatte der Student gerade den Ring am Finger, den ihm die Hexe gegeben hatte, und da wußte er jedes Wort, das der König zu der Prinzessin sprach. Am Abend, als es dunkelte, gingen alle in den Garten des Königs, um zu lustwandeln. Und da ging immer ein Hofherr mit einer Hofdame, und selbst der alte König führte seine Frau am Arm.
Wiewohl nun der Student gar begierig war, der Königstochter einen Kuß zu geben, so hatte er doch, wie die Gesellschaft in den Garten ging, erst seinen Mantel umgehängt und ging unsichtbar von einem Herrn zum andern und malte jedem Herrn einen Strich ins Gesicht, dem alten König aber zweie. Dann warf er den Mantel ab und suchte die Königstochter auf.
Sie war die einzige in der Gesellschaft, die allein ging. Einsam lustwandelte sie in den dunklen Gängen und wartete, ob nicht jemand käme, der den Mut hätte, sie zu küssen, wie ihr der alte König befohlen hatte. So trat der Student zu ihr und gab ihr einen herzhaften Schmatz. Sogleich malt ihm die Königstochter mit Kohle einen Strich ins Gesicht. Wie aber alle aus dem Garten wieder in den hellerleuchteten Königssaal ziehen, da ist der Student nicht der einzige, der einen Strich im Gesicht hat, sondern alle Hofräte und alle Offiziere, von dem ältesten General bis zu dem jüngsten Fähnrich trugen ihren schwarzen Strich. Den dicksten Strich hatten die Minister des Königs gerade unter der Nase, und die sahen einander gar sonderbar an, als sie das merkten, denn jeder von ihnen dachte, daß der andere die Königstochter geküßt hätte.
Als die Königstochter im Saal die vielen Striche in den Gesichtern sah und bemerkte, daß jeder Hofrat und jeder Leutnant sogar seinen Strich hatte, da verhüllte sie ihr Antlitz aus Scham vor ihrem Vater. Endlich sah sie diesem ins Gesicht, und da sah sie, daß der König zwei Striche hatte, und das bemerkte in dem Augenblick auch der König, der in einen der vielen großen Wandspiegel blickte, und darüber mußte er mit seiner Tochter herzlich lachen. Denn die Prinzessin war der Augapfel des Königs und er allein küßte sie jeden Tag.