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Wenn das Kindermädchen unter Strom steht Was passiert, wenn plötzlich ein Roboter die Familienorganisation übernimmt? Familie Kalliske probiert es aus: nachdem ihnen schon wieder ein Babysitter weggelaufen ist, hat Papa Jens die Nase voll und bestellt kurzentschlossen auf einer Messe für künstliche Intelligenz Marie Bot. Und die krempelt das Familienleben ganz schön um. Ob das gut geht? Oder braucht es doch noch etwas mehr, um eine Familie zusammenzuhalten?
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Seitenzahl: 173
Veröffentlichungsjahr: 2024
Wenn das Kindermädchen unter Strom steht
»Die meisten Erwachsenen sind ziemliche Chaoten. Insbesondere meine Eltern.« – Karla Kalliske, 11 Jahre
Aber muss man sich deshalb gleich einen Roboter zulegen, der auf seine Kinder aufpasst? Mama und Papa wollen es jedenfalls ausprobieren: Nachdem ihnen wieder mal ein Babysitter abgesprungen ist, bestellen sie kurzentschlossen auf einer Messe für künstliche Intelligenz Marie Bot. Im Gegensatz zu ihrem kleinen Bruder Finn kann Karla Roboter nicht leiden. Wie soll man auch Spaß mit einem Roboter haben? Die haben doch nicht mal Gefühle.
Als Marie schließlich ankommt, stellt sie das Leben der Familie ganz schön auf den Kopf – und am Ende ist es ausgerechnet Karla, für die Marie über sich hinauswächst.
Ein Roboter als KIndermädchen – Mary Poppins 3.0!
Liza Szabo
Mit Illustrationen von Lindenblatt
In dem ihr meine Familie kennenlernt und vielleicht einen schlechten Eindruck bekommt
Erwachsene sind wirklich hoffnungslose Chaoten.
Wenn zum Beispiel Papa, der in einer Sache ganz gut ist, nämlich im Dinge-Finden, Mamas Tasche suchen würde und wenn Mama, die in einer anderen Sache ganz gut ist, nämlich im Pünktlich-Sein, Papa immer mal wieder an die Uhrzeit erinnern würde, dann könnte ich mich darum kümmern, dass Finn (während Papa versucht, pünktlich zu sein, und Mama ihre Tasche sucht) in all dem Chaos nicht noch Fußball spielt. Und alles würde in unserer Familie besser laufen. Garantiert!
Wumms! Ich habe diesen komplizierten Gedanken kaum zu Ende gedacht, da trifft mich Finns verdammter Fußball!
»Bist du doof?!«
Finn ist leider nur Finn. Also fragt mich lieber nicht, worin er gut ist. »Finn! Wie oft haben wir schon gesagt, kein Fußball in der Wohnung?!«
»Das ist kein Fußball, Papa, das ist ein Basketball!«
Finn versucht, vor mir wegzulaufen, was wirklich vollkommen sinnlos ist. Ich erwische ihn, noch bevor er den Flur verlassen hat.
»Hört sofort auf damit! Wie spät ist es, Jens?« Mama schreit immer, wenn sie auf der Suche nach ihrer Handtasche durch die Wohnung rennt.
»Viertel nach sieben«, sage ich und zerre an Finns Bein.
»O Gott! Ich muss los! Um halb acht muss ich die Kinokarten abholen!«
»Ich auch! O Gott, ich muss auch los! Der Elternabend fängt ja heute früher an, es geht um eure Klassenfahrt!«
Sollte jetzt hier nicht bald eine der Gurken auftauchen, haben Mama und Papa noch ein weiteres Problem: Auf keinen Fall bleibe ich nämlich mit Finn alleine zu Hause. Das fehlte noch!
»Wer kommt denn überhaupt? Hast du das abgeklärt, Susanne?!« Keine Antwort.
»Hat nicht Simone gesagt, sie kommt? Mist, oder war das Miriam?«
»Du musst anrufen! Jens? Ruf bitte mal Miriam, Mareike oder Simone an und frag, was los ist!«
Finn, der inzwischen ohne Aussicht auf Rettung in meiner Armbeuge klemmt, schreit weinerlich: »Miriam? Bloß nicht! Ich hasse diese Miriam!«
Da klingelt es. Vor der Tür steht Simone. Mama und Papa starren sie an, als käme sie direkt vom Mars. Dann atmen sie durch. Schuhe zu, Tasche unter den Arm, Küsschen und weg sind sie.
Puh. So sieht ein ganz normaler Abend bei meiner Familie aus, Familie Kalliske. Eigentlich eine ganz normale Familie – bis zu jenem Tag im September.
Aber das erzähle ich besser der Reihe nach.
In dem ihr erfahrt, was in unserer Familie Gurken sind und warum es bei uns mindestens einmal in der Woche Gurkensalat gibt
Ich fange mal damit an, dass unsere Eltern ziemlich viel arbeiten. Eigentlich viel zu viel. Das sagen sie sogar selbst. Papa ist Redakteur beim Rundfunk, wobei er nicht selber ins Mikrofon redet, leider, sondern nur aufschreibt, was die anderen sagen sollen. Und Mama ist Architektin. Seit Kurzem ist sie zuständig für die Verschönerung eines riesigen Einkaufszentrums. Sie findet das toll. Ich verstehe nicht, was daran toll sein soll. Weil seit dieser Einkaufszentrumsverschönerei ist es mit ihrer Arbeit noch schlimmer geworden.
Deshalb kennen Finn und ich inzwischen auch unheimlich viele Babysitter. Vermutlich fast alle. Zumindest in unserer Stadt. Babysitter sagen übrigens nur Mama und Papa. Finn und ich haben dagegen protestiert, weil wir ja gar keine Babys mehr sind, aber sie sagen es trotzdem. Wir nennen die Leute, die abends bei uns auf dem Sofa sitzen und aufpassen, dass wir nicht toben und rechtzeitig schlafen gehen, und die Anna, Nadine, Lara, Justus, Shaila, Lars und Conny, Jessica, Charlotte oder Jan-Peter heißen, einfach nur Gurken.
Einige von denen kommen nur ein einziges Mal, andere kommen regelmäßig, wie zum Beispiel Simone. Die ist ganz in Ordnung. Lars und Conny waren eigentlich auch ganz nett, aber die haben vor allem auf unserem Sofa rumgeknutscht, sodass Finn und ich Lachkrämpfe bekamen und nie rechtzeitig im Bett waren. Dann ist auch schon Ebbe.
Neben den ganzen Gurken gibt es noch Oma Hilde. Sie ist Papas Mama und passt jede Woche einmal auf uns auf, manchmal auch öfter. Oma Hilde ist einfach die Beste. Aber ihr geht’s gerade nicht so gut und Papa sagt, sie muss vielleicht sogar operiert werden.
Wie ihr euch vorstellen könnt, finden wir diese ständig wechselnden Gurken blöd. Also: richtig blöd. Zwar dürfen wir manchmal einen Film mitgucken; ab und zu bleiben wir auch länger auf und spielen noch was. Aber das sind die mittellustigen Ausnahmen in einer endlosen Folge sehr, sehr trauriger Abende.
Besonders seit wir umgezogen sind. Das hatte auch mit Mamas neuer Arbeit zu tun. Wir wohnen jetzt zwar näher an Oma Hilde dran, aber die Abende ohne Mama und Papa sind in der neuen Wohnung noch dunkler und dauern irgendwie auch länger. Mama sagt, das ist eine Frage der Gewöhnung. Aber wir wohnen hier jetzt schon ein halbes Jahr und von Gewöhnung keine Spur.
Finn behauptet zwar, er sei fast acht und brauche überhaupt keinen Aufpasser mehr, aber das ist Quatsch. Ohne mich hätte der wachsweiche Knie. Garantiert.
Jedenfalls müssen Mama und Papa sich nicht wundern, dass wir protestieren, wenn sie abends wegmüssen oder, noch schlimmer, wegwollen, also freiwillig irgendwo hingehen, ins Kino zum Beispiel! Wie kann man nur um eines schnöden Vergnügens willen einfach seine Kinder allein lassen in dieser großen fremden Stadt?!
Und was noch dazukommt: Unsere Eltern kriegen das manchmal nicht besonders gut hin mit den ganzen Gurken. Dann kommt die eine nicht oder es stehen auf einmal drei vor der Tür und es gibt einen großen Gurkensalat. So wie eben. Nur manchmal noch schlimmer. Aber wie gesagt: Erwachsene sind hoffnungslose Chaoten. Und aus diesem Grund kam irgendwann Marie zu uns. Marie Bot.
In dem ich erzähle, wie mein Bruder Finn in einen Bann gerät
Mein Bruder und ich gehen natürlich in die Schule. Müssen wir. Obwohl ich, ehrlich gesagt, viel lieber andere Sachen mache. Vor allem, seit wir die Schule gewechselt haben. Ich könnte schwören, dass meine neue Klassenlehrerin, Frau Jessen, irgendwie nur aus Versehen Lehrerin geworden ist. Sie hätte Kranführerin oder Bäckerin werden sollen. Da ist man einfach mehr so für sich. Oder mit Teig. Jedenfalls nicht mit Kindern. Eine richtige Freundin habe ich auch noch nicht gefunden. Finn schon. Er findet jeden Tag neue Freunde. Der ist einfach nicht so wählerisch.
Aber ich wollte ja von Marie erzählen! Also: An einem verregneten Septembertag klemmen Finn und ich wieder mal in einem proppenvollen Bus von der Schule nach Hause. Mir ist klar, dass ich für ein Wettrennen keinen guten Startplatz habe: Ich drängele wie blöd, aber vor mir türmt sich ein Berg Leute, während Finn direkt an der Tür steht und grinst. Poleposition. Wenn er als Erster hier rauskommt, hol ich ihn nicht mehr ein. Der Bus hält, Finn hechtet ins Freie und rast los. An der Ampel habe ich ihn eingeholt. Obwohl längst grün ist, steht er da und glotzt mit offenem Mund auf ein Plakat.
»Was ist los?«, frage ich.
»Das ist neu. Was ist das?«, fragt Finn.
Auf dem Plakat steht ROBOTERMESSE. Darunter lacht ein Junge einen metallisch blitzenden Roboter an.
»Werbung«, sage ich.
»Für Roboter?«
»Hm. Für eine Messe für Roboter.«
»Was ist denn eine Messe?«
»Das ist ’ne Ausstellung. Da kann man sich neue Sachen angucken. Bücher, Autos, Spielzeug oder eben Roboter. Komm jetzt!«
Ich sprinte los, voller Hoffnung, unser tägliches Wettrennen noch für mich zu entscheiden. Doch Finn starrt auf das Plakat und rührt sich nicht von der Stelle. Das Wettrennen ist gelaufen.
Ich will jetzt nicht sagen, dass Roboter nur was für Jungs sind, das wäre altmodischer Quatsch. Aber es ist schon so, dass Finn von allem Automatischen, Fliegenden, Ferngesteuerten absolut fasziniert ist. Deswegen steht er jetzt auch wie gebannt vor dem Plakat. Er kann nicht anders. Der Anblick der metallisch blitzenden Maschine auf dem Plakat hat ihn verzaubert. Er scheint nicht mal zu merken, dass ihm die ganze Zeit Regen auf den Kopf pladdert.
»Kann man auf so einer Messe Roboter sehen?«
»Ja, Blitzmerker, da kann man Roboter sehen. Das ist der tiefere Sinn einer Robotermesse.«
»Da will ich hin.«
Hab ich’s nicht gesagt? Er kann nicht anders. Und Finn wäre nicht Finn, würde er es nicht schaffen, da auch hinzukommen: Eine Woche lang bettelt er Mama und Papa an, hartnäckig und ohne jede Selbstachtung. Dann hat er Papa so weit.
In dem wir sie kennenlernen: Marie Bot vom Babysitter-Team
»Roboter sind technische Apparaturen, die dazu dienen, dem Menschen Arbeit abzunehmen«, erklärt Papa.
»Können die auch selbst denken?«, fragt Finn.
»Hm. Also die werden von Computerprogrammen gesteuert und können, na ja, in einem gewissen Maß auch selbst denken. Vielleicht nicht ganz so wie wir ...«
»Wie denn dann?«
»Keine Ahnung. Anders eben. Mehr wie ein Taschenrechner, etwas fantasieloser vielleicht.«
»Aha.« Finn ist sichtlich enttäuscht.
Ich selbst habe mich nie gefragt, was genau ein Roboter eigentlich ist. Hätte mir jemand die Frage gestellt, ich hätte gesagt, ein Roboter ist irgendwas sehr Schlaues. Bisher habe ich allerdings noch keinen in echt gesehen, nur mal im Fernsehen oder auf Bildern. Jedenfalls bin ich neugierig geworden auf diese Taschenrechnergehirne, und als Papa und Finn zur Messe losziehen, gehe ich mit.
Die Messe findet in mehreren riesigen Hallen statt, jede einzelne so groß wie ein Fußballfeld. Es ist jetzt leider unmöglich, alles zu erzählen, was wir da gesehen haben. Das wäre dann nämlich ein Buch für sich, und zwar ein ziemlich dickes: Roboterstaubsauger, Roboterrasenmäher, Roboterhaarschneidemaschinen, Robotertoaster, Kochroboter, Backroboter, Einkaufsroboter und sogar einen Roboterkrankenpfleger. Jedenfalls sind wir nach drei Stunden Roboterroboterroboter vollkommen geschafft. Wir, das heißt Papa und ich. Finn natürlich überhaupt nicht, der will noch weiter in Halle 5, 6 oder 7. Aufgeregt studiert er die Wegweiser und zerrt uns hinter sich her.
Als Papas Handy klingelt, ahne ich schon, dass es Oma Hilde ist. Papa wirkt besorgt. Er nickt immer wieder stumm, als ob Oma Hilde das sehen könnte. Bevor er aufgelegt hat und ich fragen kann, was eigentlich los ist, stelle ich fest, dass Finn verschwunden ist. Auch das noch. So ein Mist!
Ja. Und so habe ich Marie kennengelernt.
»Hallo, ich bin Marie Bot und ich glaube, ich habe deinen Bruder aufgegabelt.«
Vor mir steht eine Frau, ungefähr so groß wie ich, mit einer Art Kasperpuppengesicht: spitze Nase, roter Mund, lustige Augen, Pferdeschwanz. An der Hand hält sie Finn.
»Das ist doch dein Bruder, oder? Der kleine Mann hat sich verlaufen.«
Finn reißt sich los. »Erstens: Ich bin kein kleiner Mann. Zweitens: Ich hab mich nicht verlaufen. Ich wollte zur Halle 5! Da werden Flugroboter vorgeführt!«
Die Frau lächelt uns an. »Seid ihr denn allein hier?«
»Und wenn? Das geht Sie gar nichts an!«, blafft Finn. In diesem Moment kommt Papa um die Ecke.
»Da seid ihr ja! Nächstes Mal wartest du bitte auf mich, Karla!«
Marie Bot wendet sich augenblicklich ihm zu: »Guten Tag, ich grüße Sie. Sie sind sicher der Vater! Ich heiße Marie Bot und gehöre zum offiziellen Babysitter-Team dieser Messe.«
Fassungslos starrt Papa sie an. »Sind Sie – äh – auch ein Roboter?«
»Natürlich! Ich bin ein Modell der Serie PerfectSolution HPXX2025. Sie haben zwei sehr nette Kinder. Wie heißen sie?«
»Äh …« Papa ist sprachlos.
»Also, ich bin Karla und der da heißt Finn«, übernehme ich für ihn.
»Schön.« Sie zwinkert uns kurz zu und spricht dann weiter mit Papa. »Sicher haben Sie auch oft Probleme mit Ihren Babysittern? Es ist nicht immer leicht, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, nicht wahr? Sie gehen einer verantwortungsvollen Arbeit nach, die Sie manchmal über das gesunde Maß hinaus in Anspruch nimmt, und deshalb sind Sie oft spät dran? Ja, und dann warten Sie verzweifelt auf den Babysitter, der aber einfach nicht kommen will. Sie erinnern sich manchmal auch nicht mehr genau, wer eigentlich gebucht war. Ihre Frau – sie arbeitet doch sicher auch, nicht wahr? – also, Ihre Frau und Sie haben deswegen vielleicht sogar Schuldgefühle. Damit sind Sie nicht allein. Ich kann Ihnen versichern: Das geht den meisten Eltern so!«
Entgeistert glotzen wir sie an.
»Und deshalb«, fährt Marie Bot unbeirrt fort, »deshalb gibt es mich! Ich bin die perfekte Begleitung für Ihre Kinder. Und perfekt meint hier: PERFEKT. Sie müssen mich auch gar nicht gleich kaufen. Sie können mich ganz bequem vier Wochen kostenlos zu Hause testen. Ich bin sicher, Sie werden mit mir mehr als zufrieden sein.«
Ein paar Sekunden ist es vollkommen still. So still, wie es in einer Messehalle auf einer Robotermesse eben sein kann. Wir schauen Marie Bot an wie einen mit Meerschweinchen geschmückten Weihnachtsbaum.
»Das ist ja ekelhaft«, rutscht es Papa schließlich raus.
»Ich bin nicht sicher, ob ich das jetzt richtig verstanden habe«, sagt Marie in einem freundlichen, doch, wie mir scheint, auch etwas strengeren Ton.
»Nichts.« Papa lächelt verlegen. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, aber wir müssen jetzt gehen.«
»Lassen Sie sich Zeit mit Ihrer Entscheidung, denken Sie in aller Ruhe darüber nach. Ihre Kinder werden mich mögen, das kann ich Ihnen garantieren.«
»Nichts wie raus hier«, murmelt Papa mit einem Gesicht, als hätte er in ein faules Ei gebissen, und schiebt uns Richtung Ausgang.
Als ich mich umschaue, winkt Marie uns lächelnd nach.
Auf dem Nachhauseweg gibt es natürlich nur ein Gesprächsthema. »Das ist krank, abstoßend, ekelhaft!«
»Ein Babysitter-Roboter? Ein Roboter zum Babysitten?«
Wir reden wild durcheinander.
»Wer, bitte, braucht denn einen Babysitter-Roboter?«, wettert Papa. »Also, die schrecken ja wirklich vor gar nix zurück!«
So wütend habe ich ihn wirklich schon lange nicht mehr erlebt.
Noch am selben Tag kommt Oma Hilde ins Krankenhaus. Papa sagt, ihr Herz muss beobachtet werden.
»Haben die da auch Pflegeroboter?«, fragt Finn.
»Auf jeden Fall!«, lacht Papa. »Bestimmt sind sogar einige der Ärzte Roboter.«
Aber sein Lachen klingt nicht sehr lustig.
In dem ich feststelle, dass Abstimmen manchmal auch nicht weiterhilft
Sonntag ist der Tag, an dem bei uns viel diskutiert wird. Unsere Eltern behaupten nämlich, sie seien demokratisch. Das bedeutet, dass man alles ausdiskutiert. Und wenn man sich nicht einig wird, muss abgestimmt werden. Damit es wenigstens in unserer Familie gerecht zugeht, sagen Mama und Papa.
Bei Stimmgleichheit, also Finn und ich auf der einen und Mama und Papa auf der anderen Seite, oder Mama und ich auf der einen und Papa und Finn auf der anderen, oder ich und Papa auf der einen und Finn und Mama auf der anderen, wird es kompliziert. Und weil wir zu viert in der Familie sind, wird es bei uns leider oft kompliziert.
Mama und Papa machen es sich sonntags wahnsinnig gern gemütlich. Finn und ich wollen lieber was unternehmen. Die Folge ist, dass wir uns abwechseln müssen. Einen Sonntag ist ein Mama-und-Papa-machen-es-sich-gemütlich-und-die-Kinder-müssen-gucken-wo-sie-bleiben-Sonntag. Und den anderen Sonntag heißt es: Finn-und-Karla-machen-jede-Menge-aufregende-Sachen-und-die-Eltern-müssen-mit.
Heute wäre nun eigentlich ein Mama-und-Papa-müssen-mit-Sonntag. Und obwohl Oma Hilde im Krankenhaus liegt und Papa sie besuchen will, hätte es ein ganz schöner Sonntag werden können. Wir hätten irgendwas mit Mama unternommen und nie wieder von einer Marie Bot gehört. Wir wären eine ganz normale Familie geblieben. Doch dann klingelt Mamas Handy. Und ausgerechnet ihre Chefin ist dran.
»Das ist jetzt wirklich ein Riesenmist«, sagt Mama. »Aber morgen ist ein wichtiger Abgabetermin und Torsten ist krank geworden – ohne mich geht das jetzt nicht.«
»Was bringt eigentlich diese ganze Abstimmerei«, frage ich wütend, »wenn hinterher irgendeine blöde Chefin kommt und alles über den Haufen schmeißt?«
Mama nickt nur ratlos und schweigt.
Was eigentlich unser Wir-machen-spannende-Sachen-Sonntag hätte werden sollen, endet absolut trostlos auf dem Sofa. Mit Justus, der schlimmsten aller Gurken. Kurz nachdem Mama gegangen ist, steht er grinsend vor der Tür, um uns in seine Obhut zu nehmen.
»Da habt ihr aber Glück«, sagt er, »dass ihr mich erwischt habt. Eigentlich war ich nämlich verabredet.«
»Wir auch. Wir waren auch verabredet«, sagt Finn, der traurig am Fenster sitzt und auf die Straße starrt.
Später, als wir schon im Bett liegen, murmelt er: »Also, ich würde diese Marie schon ganz gerne mal ausprobieren.«
»Wie bitte?!«
»Garantiert besser als dieser Justus. Eigentlich fand ich sie ganz nett.«
»Nett?!« Manchmal ist Finn mir einfach nur ein Rätsel.
»Na ja, sie gehört zum Babysitter-Team und hat ihren Job gemacht: Sieht mich alleine zwischen den Leuten rumrennen und denkt sich, hm, da kann doch was nicht stimmen, den bringe ich mal lieber seinen Eltern zurück. Die kann ja als Roboter nicht aus ihrer Haut, ich meine, das ist halt ihr Programm. Und dieses Programm läuft dann in ihr drin ab und sie muss sich dann danach richten, oder?«
»Na toll! Und so ein Ding willst du bei uns zu Hause haben?«, frage ich fassungslos.
»Klar. Warum denn nicht?«
In dem Finn und ich ein heimliches Gespräch unserer Eltern belauschen
Ein paar Tage später stürmt Finn in mein Zimmer. »Schnell, Karla, komm mal. Aber leise!« Er lotst mich vor die Badezimmertür, dahinter reden unsere Eltern. Eigentlich flüstern sie. Und wenn Erwachsene flüstern, geht es ja meistens um sehr interessante Sachen. Wir legen jeder ein Ohr an die Tür und lauschen – es plätschert! Aha, Mama liegt in der Badewanne.
»Wir sollten es probieren, Jens«, hören wir sie nach einer Weile flüstern.
»Ich weiß nicht, ich finde den Gedanken wirklich sehr merkwürdig«, antwortet Papa. »Das ist doch völlig unnatürlich.«
»Was denn? Was ist unnatürlich? Was meint Papa?«, fragt mich Finn.
»Pssst! Ich verstehe sonst nichts.«
»… unsere Terminkalender«, höre ich Mama sagen. »Ich meine, wenn du jetzt wirklich auf achtzig Prozent gehst, verbringst du vielleicht etwas weniger Zeit im Büro. Etwas weniger, denn achtzig Prozent heißt ja in Wirklichkeit vermutlich fünfundneunzig Prozent. Und wir haben auch weniger Geld und das meiste wird weiterhin an die Babysitter gehen.«
»Wieso kriegen Babysitter denn so viel Geld?«, fragt Finn mich flüsternd. »Werden die irgendwie bestochen? Und warum heißt achtzig Prozent in Wirklichkeit fünfundneunzig?«
»Sei still und hör zu, ich kapier sonst auch nichts!«
Manchmal ist es wirklich, als ob Erwachsene in einer Art Geheimsprache reden. Man versteht zwar die einzelnen Worte, aber sie ergeben zusammengenommen keinen Sinn.
»… würde ja schon helfen, wenn du einigermaßen geregelte Arbeitszeiten …«
»Jens, bitte, ich bin Projektleiterin! Wir sollten wenigstens einen Versuch …«
»Was für ’n Versuch, Karla?«
Ich könnte meinen Bruder an die Wand klatschen! Kann der nicht einfach mal die Klappe halten? Jetzt hab ich das Wichtigste verpasst. Aus dem Bad dringt nur noch friedliches Plätschern.
Endlich höre ich wieder Mamas Stimme: »Außerdem: Wir können sie ja zurückgeben. Aber ich denke, gerade Finn und Karla werden sie lieben.«
»Warum sollten sie?«, sagt Papa.
»Man gewöhnt sich an alles. Und Kinder schneller als wir Erwachsenen.«
Wie bitte? Langsam dämmert mir was. Ich drücke mein Ohr, das schon ganz heiß ist vom Lauschen, noch fester gegen die Tür.
»Simone fängt nächsten Monat wieder an zu arbeiten. Und Oma Hilde fällt erst mal aus. Das bedeutet, wir müssen zwei neue Leute finden – mindestens.«
»O Gott«, stöhnt Papa. Dann gurgelt es. Mama hat den Stöpsel gezogen.
Ist das ihr Ernst?, frage ich mich. Haben sie etwa wirklich das vor, was ich vermute, das sie vorhaben? Mir bleibt keine Zeit, weiter darüber nachzugrübeln, denn in dem Moment geht die Badezimmertür auf und Finn und ich stehen sehr ungünstig im Türrahmen. Ertappt!
»Habt ihr etwa gelauscht?«, fragt Mama.
»Klar! Wir haben alles gehört! Alles!«, schreit Finn. »Ihr habt kein Geld mehr, weil das meiste für die Babysitter draufgeht! Und jetzt wollt ihr mit uns irgendwelche Versuche machen. Aber eins kann ich euch sagen: Ich werde mich ganz bestimmt nicht an alles gewöhnen!«
Ihr könnt euch sicherlich schon denken, was sich hier zusammenbraut. Mein kleiner Bruder nicht. Er ist wirklich noch sehr klein. Er hat keine Vorstellung von den Abgründen, die sich in der eigenen Familie auftun können.
In dem wir einen Pappkarton vor unserer Tür finden, der jede Menge Fragen aufwirft