Marie und die drei Geheimnisse - Judith Wilms - E-Book

Marie und die drei Geheimnisse E-Book

Judith Wilms

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Beschreibung

Eine hinreißende und inspirierende Erzählung für alle, die sich auf dem Weg der emotionalen Heilung befinden.  Wir alle möchten Schmerz vermeiden – oder ihn so schnell wie möglich heilen. Marie muss erkennen, dass sie nach der Trennung von Tim am liebsten alles tun würde, um wieder glücklich zu sein. Doch die Dinge, die sie findet, sind eher ein schnelles Pflaster für ein gebrochenes Herz, das man jedoch mit der gleichen Geduld behandeln muss wie einen gebrochenen Arm. Auf einer griechischen Insel findet sie, wonach sie nie gesucht hat, aber dringend benötigt: einen alten, weisen Mann, der ihr liebevoll den Weg weist. Er versorgt sie nicht nur mit Heilkräutern, sondern erzählt von den Geheimnissen seines Lebens. Marie erlangt durch diese einzigartige Begegnung tiefgreifende Erkenntnisse, die ihr eigenes Leben für immer verändern werden.  

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Seitenzahl: 183

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Impressum

© eBook: 2024 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2024 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

Gräfe und Unzer ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Ariane Hug

Lektorat: Ulrike Auras

Bildredaktion: Simone Hoffman

Covergestaltung: ki 36 Editorial Design, München

eBook-Herstellung: Chiara Knell

ISBN 978-3-8338-9339-1

1. Auflage 2024

Bildnachweis

Coverabbildung: Shutterstock

Illustrationen: Shutterstock

Fotos: Jana Reichert Photography

Syndication: www.seasons.agency

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GRÄFE UND UNZER VERLAG

Marie: »Das klingt ja, als würden Sie mir total vertrauen, Ari. Mehr, als ich mir selbst vertraue.«

Ari winkte ab: »Es ist völlig normal, dass Sie in solch einer Zeit verunsichert sind. Und bis Sie sich wieder selbst vertrauen – das ist, nebenbei bemerkt, ganz und gar essenziell – bis es so weit ist, übernehme ich das für Sie. Eine kleine Weile. Niemand muss ganz allein und immer stark sein.«

Dieser Satz traf mich mit voller Wucht. Niemand muss ganz allein und immer stark sein. Wieso verlangte ich es dann von mir?

Auf der Suche nach Heilung

Nichts war so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich meine, Griechenland – das klingt doch nach Sonne, Strand und weißen Gebäuden mit blauen Kuppeln? Aber mich hatte es auf diese ionische Insel verschlagen, deren Strand aus Kieseln bestand, die in den Fußsohlen piksten. Und heute Morgen bei der Yogastunde am Meer waren der Himmel bedeckt und die Temperaturen so frisch gewesen, dass ich bei allen Übungen meine Fleecejacke anbehalten hatte. Ich war nicht wie sonst nach einer Yogastunde erfrischt oder wohlig erschöpft. Traurig war ich zurück zu meiner kleinen Ferienwohnung getrottet. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich seufzte. Vielleicht brauchte ich erst einmal eine Tasse Kaffee für meinen Start in diesen Tag, in diese Auszeit. Schließlich war ich erst gestern Abend hier angekommen, genau wie alle anderen. Danach würde ich im Dorf einkaufen gehen, um meinen Kühlschrank zu füllen. Das Nötigste – Kaffee, Toast für das erste Frühstück und natürlich eine Flasche griechisches Olivenöl – hatte die Veranstalterin unserer Reise, Kim, freundlicherweise schon in unseren Wohnungen untergebracht. Jede dieser kleinen Einheiten war modern, kastenförmig und so angelegt, dass nur eine Person darin wohnen konnte. Denn diese Auszeit hier war explizit für Alleinreisende.

Alleinreisend … Nachdenklich nippte ich an meinem Kaffee, der nicht besonders gut schmeckte. Viel saurer und beißender als der, den Tim uns morgens immer in unserer schönen Münchner Altbauwohnung aufgebrüht hatte. Tim, der wahrscheinlich gerade Umzugskisten packte. In den nächsten Tagen würde er in seine eigene Bleibe ziehen. Und damit ich nicht danebenstehen und das mitansehen musste, hatte ich kurzerhand diese Yoga- und Meditationsreise gebucht. Irgendetwas von Heilung und Meer und Rückzug hatte in der Beschreibung im Internet gestanden. Das und die Tatsache, dass der Termin kurzfristig passte, hatte mir gereicht, mehr hatte ich gar nicht wissen wollen. So langsam dämmerte mir aber, dass es hier im Mai doch immer noch kühl sein konnte. Und dass ich mich nun einmal nicht in einem Sommerurlaub auf Santorin befand, sondern zu Saisonbeginn auf Lefkada – einer winzigen Insel, von der ich zuvor noch nie gehört hatte und die nur zwei Flugstunden von München entfernt lag. Nach meiner Rückkehr würde ich selbst eine Wohnung suchen und umziehen müssen, denn unser Schmuckstück war viel zu groß und teuer für mich allein. Ganz abgesehen von den Erinnerungen, die in jedem Zimmer auf mich warteten. Ich schluckte den bitteren Gedanken gemeinsam mit dem Kaffee hinunter. Heilung und Meer und Rückzug fühlten sich gerade eher nach Herzschmerz und Fleecejackenwetter und Einsamkeit an. Noch vor einem Jahr hätte ich mir nie und nimmer träumen lassen, dass ich einmal nicht einen Strandurlaub mit Tim buchen würde, sondern eine Reise, die speziell für Menschen wie mich konzipiert war: für die Verlassenen, für die Schnell-weg-Wollenden, für die Linderung-Suchenden. Für die, die nach sieben Jahren plötzlich vor einem Scherbenhaufen standen, den sie noch nicht recht begriffen. Nein, nichts war so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Weder diese Reise – noch mein Leben.

Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, mich umzuziehen, und war kurzerhand in Yogahose und Fleecejacke losgegangen. Im Dorf konnte man sich glücklicherweise schnell zurechtzufinden. In der Hauptstraße reihten sich die wichtigsten Läden aneinander: eine kleine Bäckerei mit vielen süßen Teilchen, deren Namen ich nicht kannte, ein Café, das um diese Zeit noch geschlossen war, ein Supermarkt, der eher die Größe eines Tante-Emma-Ladens hatte und dessen Gemüseauslage vor dem Schaufenster prall gefüllt war, ein paar Marktstände mit lokalen Spezialitäten und zum Schluss der Touristenkiosk mit Postkarten, Sonnenbrillen und Landkarten neben der winzigen Apotheke.

Als ich mir in der Bäckerei eine kleine, mit Spinat gefüllte Pastete und ein paar in Honig getauchte Kekse besorgte, einfach nur, indem ich ungeschickt darauf zeigte, war ich schon etwas beschwingter. Die Bäckerin war sehr freundlich, und es schien sie nicht zu stören, dass ich – leider – kein Griechisch sprach. Mit einem Wortschwall zeigte sie auf diverse Brote, aber ich lehnte dankend ab. Freundlich lächelnd reichte sie mir meine Tragetasche und zeigte mir den Preis mit den Fingern, sodass ich sie verstehen konnte. Lachend verabschiedeten wir uns voneinander, jede in ihrer eigenen Sprache.

Im Supermarkt gönnte ich mir ein dickes Stück frischen Feta und eine Portion Oliven, die der Ladenbesitzer aus einem großen Eimer schöpfte. Die wunderschöne Schrift auf den Verpackungen im Regal konnte ich zwar nicht lesen, aber Spaghetti und Tomatensoße erkannte ich trotzdem. So viel Fremdes, mit dem ich zurechtkommen musste, in dem ich mich neu finden musste. Genau wie in meinem eigenen Leben, das sich zurzeit so fremd anfühlte. Als ich auf die Straße hinaustrat, brach die Sonne zwischen zwei Wolken hervor. Ich blinzelte nach oben, atmete tief durch und beschloss, dass ich mich nicht unterkriegen lassen würde. Heute war schließlich erst der erste Tag dieser Reise. Vielleicht würde es immer ein bisschen besser werden.

Ich schlenderte weiter zu den Marktständen. Einer davon bestand aus einem einfachen Holztisch, der schon leicht verwittert aussah. Er war über und über von Päckchen mit Kräutern und Teemischungen und von Fläschchen mit Tinkturen bedeckt. Fasziniert betrachtete ich die Bezeichnungen, die sowohl auf Griechisch als auch auf Englisch auf den liebevoll beschriebenen Etiketten standen: Es gab nicht nur Salbei, Lavendel und Kamille, sondern auch Mischungen von Bergkräutern, Auszüge aus Ringelblumen und spezielle Tees, die fantasievolle Namen trugen. Bestimmt hatte der alte Mann, der an dem Tisch saß, sie selbst gesammelt und zusammengestellt. »Gute-Nacht-Tee« stand da auf Englisch oder »Frischer-Morgen-Tee«, »In-der-Mitte-ruhen-Tee« neben »Auf-dem-Weg-Tee«. Besonders angetan hatten es mir aber die als Heiltees gekennzeichneten Mischungen. »Heilendes Herz« stand da, und das Zellophan gab rötliche Blütenblätter in der Mischung preis, »Klare Erkenntnis«, »Sonniges Gemüt« und »Bei sich ankommen«, das Fenchelsamen zu enthalten schien.

Ob der alte Mann mit dem wettergegerbten, tiefbraunen Gesicht, dem schlohweißen Haar und dem weißen, kurz geschnittenen Vollbart mich beim Stöbern die ganze Zeit durch seine Sonnenbrille beobachtete, konnte ich nicht recht sagen. Er trug ein kariertes Hemd, eine graue Jeans und stützte sich, obwohl er saß, auf einen schwarzen Stock.

»I’d like to buy these«, versuchte ich es auf Englisch. Schnell zeigte ich auf die verschiedenen Heiltees und ein Fläschchen mit selbst gemachtem Lavendelöl.

Nach einem kurzen Moment, in dem ich bereits mein Portemonnaie zückte, antwortete der Mann knarzig: »Nur eins.«

Er hatte Deutsch gesprochen. Überrascht hielt ich in meiner Bewegung inne. Es klang nicht, als wäre er Deutscher, aber offenbar konnte er meine Sprache gut. Zudem hatte er sofort erraten, dass ich keine Engländerin war.

»Wie bitte?«, fragte ich und ließ mein Portemonnaie sinken.

Er wedelte ungeduldig mit seiner freien Hand über die Produkte auf seinem Tisch. »Ich verkaufe Ihnen nur eine Packung. Oder meinetwegen ein Fläschchen.«

Seine Worte trafen mich wie ein kalter Windstoß. Zum einen, weil er wirklich fließend Deutsch sprach, zum anderen, weil er so unglaublich unhöflich war.

»Wieso?« Die Frage rutschte mir raus, doch im nächsten Moment dachte ich: »Egal, was er für Gründe hat. Ich muss schließlich gar nichts bei ihm kaufen, wenn der so unverschämt ist.«

Am Marktstand nebenan wandte sich der untersetzte Verkäufer zu uns und sagte etwas auf Griechisch zu dem alten Mann. Es klang beschwichtigend. Aber der alte Kauz reagierte nicht auf seinen Kollegen.

»Ach, ihr Touristen seid doch alle gleich! Ihr kommt hierher und denkt, das würde euch retten. Ein paar Tage Yoga, ein paar Tage Meditation, alles im Schnelldurchlauf. Dann noch Tees und Vitamine, aber nicht ein, zwei, sondern am besten fünf. Als ob das besser wäre. Schneller wäre.«

Ich stand vor Schreck wie festgefroren da und bewegte mich nicht. »Ari!«, schimpfte nun der korpulente Kollege. Aber der Alte war zu sehr in Fahrt.

»Ihr wollt doch die Heilung wie einen Ferrari!«

Dieser Satz traf mich wie eine Ohrfeige – die Heilung so sehr wollen wie einen Ferrari.

Was für ein Unsinn. Wütend stopfte ich mein Portemonnaie zurück in meine Jackentasche, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte wortlos davon. Ich marschierte den Weg zurück zu meiner Ferienwohnung, ließ die Tür hinter mir ins Schloss knallen und setzte meine Einkaufstüte mit Wucht auf der Anrichte ab. Wie unmöglich war dieser alte Mann doch gewesen, wie unverschämt! Es gelang mir nicht, meine Wut abzuschütteln, weder bei dem Genuss meiner Spinat-Pastete noch bei einem kleinen Spaziergang am Meer. Noch nicht einmal am Abend, als wir gemeinsam in der Reisegruppe das entspannende Yin-Yoga mit vielen ruhigen Positionen durchliefen, konnte ich den Satz so ganz vergessen. Er hinterließ ein kratziges Gefühl, so als ob meine Fleecejacke plötzlich ungemütlich geworden wäre.

Mit den Wellen gehen

Am nächsten Morgen fühlte ich mich ein winziges bisschen besser. Ich war sehr früh ins Bett gegangen und hatte schlafen können. Und heute Morgen, als wir uns für die Yogastunde am Meer versammelten, lächelten wir Teilnehmer einander schüchtern zu und wünschten uns guten Morgen. Keiner hier kannte den anderen, und es war nicht Sinn der Sache, als Gruppe zusammenzuwachsen, weshalb es in den nächsten Tagen auch nur wenige Gemeinschaftsveranstaltungen geben würde. Es ging eher darum, dass wir alle mit unserer eigenen Geschichte hergekommen waren und nach etwas suchten, das uns guttat. Dass jede und jeder in seiner eigenen Meditation, ihrer eigenen Yogaroutine finden sollte, was heilsam für ihn oder sie war.

John, der Yogalehrer mit englischem Akzent, machte schon am frühen Morgen einen furchtbar fitten Eindruck. Aber er zwinkerte uns zu und bekräftigte, was er bereits am ersten Tag gesagt hatte, dass wir in unserem individuellen Tempo mitmachen sollten. Der traumhafte Blick über das tiefblaue Meer beim Sonnengruß entschädigte mich dafür, dass ich mich heute eher steif fühlte und bei der Vorbeuge kaum mit den Fingerspitzen auf den Boden kam.

Nach Yoga, Meditation und einem leichten Frühstück fiel mein Blick auf den Stapel Bücher, den ich mitgebracht und sorgfältig auf meinem Nachttischchen abgelegt hatte. Fünf Stück und allesamt brandneu. Ich hatte mich wunderbar dabei gefühlt, mir alle zu gönnen. Jedes behandelte eine andere Facette dessen, was ich hier auf dieser Reise verarbeiten wollte. Alte Muster hinter sich lassen, zu sich selbst finden, sich wieder für die Liebe öffnen. Eines der Bücher behandelte ein altes hawaiianisches Vergebungsgebet, worauf ich sehr gespannt war. Ein anderes, wie man sich in nur 30 Tagen neu erfindet. Daneben hatte ich mein großes, rotes, neues Notizbuch gelegt. Zunächst hatte ich in der Buchhandlung gezögert, denn es war doch nicht ganz günstig gewesen, aber schließlich sagte ich mir, dass in meiner Situation eine Ausnahme erlaubt war. Der Gedanke, die ersten Seiten mit meinen Notizen und Beobachtungen in Griechenland zu füllen, hatte mich mit Freude erfüllt. Doch jetzt betrachtete ich es zweifelnd. Drehte es unschlüssig in meiner Hand. Das Notizbuch war so neu und wertvoll, dass ich nicht wagte, irgendetwas hineinzuschreiben. Und die Bücher … Ich seufzte. Gerade war mir gar nicht danach, mich in die Lektüre zu stürzen.

Ich beschloss, stattdessen einen der Spazierwege rund um die Anlage zu erkunden. Ich folgte der Straße, die vom Dorf wegführte und sich einen Hügel hinaufschlängelte. Von dort oben würde man bestimmt eine wunderbare Aussicht haben. Nicht lange, und die Straße wurde zu einem Weg, der an den letzten Wohnhäusern entlangführte und dann in einen schmalen Pfad überging. Links und rechts wuchsen Wildblumen, Kräuter und Büsche, die bereits jetzt in der Vormittagssonne einen ganz eigenen Duft verströmten. Neugierig stapfte ich den Hügel weiter hinauf, bis der Pfad endlich auch von Schatten spendenden Bäumen gesäumt wurde. Der Weg wandte sich nun in einer Linkskurve. Ich legte den Kopf in den Nacken und überlegte, welche Bäume das hier wohl waren. Knorrige Olivenbäume hätte ich erkannt, aber dieses Wäldchen hier bestand aus Nadelbäumen. Wohlig sog ich den Geruch ein. Das mussten wohl Pinien sein.

Erst viel zu spät senkte ich meinen Blick wieder und bemerkte, dass sich ein paar Meter vor mir ein alter Mann auf dem Weg befand. Er pflückte etwas vom Wegesrand – ein Kraut oder eine Blume – und sah mich nicht gleich, aber ich erkannte ihn sofort. Das karierte Hemd, die graue Jeans, das schlohweiße Haar und der schwarze Gehstock. Es war der unfreundliche Mann von gestern.

Für einen Moment überlegte ich, ob ich auf der Stelle kehrtmachen sollte. Wenn ich jemanden hier nicht treffen wollte, dann war es dieser Kerl. Doch noch bevor ich leise umdrehen konnte, blickte er auf und entdeckte mich. Und obwohl er seine schwarze Sonnenbrille trug, konnte ich an seinem Gesichtsausdruck ablesen, dass auch er mich sofort erkannte. Unschlüssig richtete er sich auf.

Gut, wenn das so war, dann würde ich nun einfach weitergehen. Ich wäre ja ohnehin bestimmt schneller als er und würde ihn hinter mir lassen. Also stapfte ich entschlossen los, aber bevor ich an ihm vorbeigehen konnte, kam er zwei Schritte auf mich zu.

»Hören Sie …«

Überrascht blieb ich stehen.

»Hören Sie, ich muss mich für gestern entschuldigen.«

Ich war so baff, dass ich nichts antworten konnte.

»Gestern war ein schwieriger Tag und ich … Ich habe ihn nicht gut verkraftet.«

Ich nickte nur.

»Gestern war der Todestag meiner Frau. Sie ist vor einem Jahr an Krebs gestorben.«

»Oh, das tut mir leid!« Sofort erschien mir die Szene von gestern in einem ganz anderen Licht. Der alte Mann hatte nichts gegen mich oder andere Touristen. Er hatte nur irgendwo ein Ventil gebraucht. Und das hatte rein gar nichts mit mir zu tun gehabt.

Er nahm seine Sonnenbrille ab und blickte mich an. Im Kontrast zu seiner braunen Haut leuchteten seine Augen so tiefblau, wie ich es noch nie gesehen hatte. Blau, klar und ruhig. Sein Blick traf mich direkt in meine Mitte.

Er fuhr fort: »Vergessen Sie also bitte alles, was ich gestern Blödes gesagt habe.«

Für einen Moment zögerte ich. Ich hätte einfach »ja« sagen und meines Weges gehen können. Aber da war diese eine Sache, die mich antworten ließ: »Nein. Wissen Sie was? Da war ein Satz, den ich seit gestern nicht vergessen kann. Vielleicht erklären Sie mir, was Sie damit gemeint haben? Denn irgendwie … haben Sie da vielleicht etwas Wahres gesagt.«

In seine Augen schlich sich ein verschmitztes Blitzen. »Etwas Wahres? Ich? Unmöglich.«

Er schmunzelte doch tatsächlich. Ich konnte nicht anders als lächeln. Vielleicht hatten wir beide gestern einfach keinen guten Start gehabt.

Ich machte einen Schritt auf ihn zu und hielt ihm meine Hand hin. »Ich bin übrigens Marie.«

Er blickte auf seine Hände – die eine auf den Gehstock gestützt, die andere voll mit Kräutern und seiner Sonnenbrille. »Oh!« Ich lachte, zuckte mit den Schultern und zog meine Hand zurück.

Er nickte mir zu. »Ich bin Ari. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

»Ari, Gestern haben Sie diesen einen Satz gesagt. Wären Sie vielleicht so freundlich, mir zu erklären, was Sie damit gemeint haben, dass wir die Heilung suchen wie einen Ferrari?«

»Ach so. Das.« Mit dem Gehstock zeigte er den Pfad entlang. »Wollen wir dabei ein paar Schritte laufen, wenn Sie die Gesellschaft eines so uralten Kerls wie mich nicht stört?«

Ich blickte in die Richtung, in der sich der Pfad zwischen den Bäumen verlor. Lächelnd antwortete ich: »Es wäre mir eine Ehre.«

Wir trotteten langsam voran. Obwohl Ari einen Gehstock verwendete, machte er keinen gebrechlichen Eindruck. Nur sehr leise schlug der Stock den Rhythmus unseres Spaziergangs auf dem sandigen Pfad.

Ich holte tief Luft: »Als Sie gestern gesagt haben, wir suchen die Heilung wie einen Ferrari, hat mich das wütend gemacht.«

Ari nickte nur. Er verstand offenbar, dass ich ihm seinen Ausbruch nicht zum Vorwurf machte.

»Aber ich war viel wütender als nötig …« Kurz biss ich mir auf die Lippe. »Und deswegen denke ich, dass an diesem Spruch irgendetwas dran ist. Ich weiß nur noch nicht, was.«

Ari hatte seine Sonnenbrille wieder aufgesetzt. Mir war, als würde ich dennoch einen freundlichen Zug um seine Augen erkennen.

»Was hat Sie denn am meisten daran gestört?«

»Na ja, zuerst fand ich das absurd. Ein Ferrari ist ein Statussymbol. Teuer und unnötig – es sei denn, man ist Autofan oder jemand in der Midlife-Crisis, der etwas kompensieren muss.«

Von der Seite sah ich, dass Ari das amüsierte. »Oh ja, davon gibt es einige! Wir alten Männer begehen so manche Dummheit. Über dieses spezielle Alter bin ich aber längst hinaus.«

»Das denke ich mir.« Für ein paar Schritte lächelten wir einfach nur vor uns hin. »Irgendetwas an diesem Bild von einem roten Ferrari …«

»Ein roter? Ich habe nicht rot gesagt. Ist er das in Ihrer Vorstellung?«

Ich stockte. Wie kam ich auf die Farbe Rot?

»So rot wie mein Notizbuch«, sagte ich leise, den Blick auf den Pfad gerichtet, fast schon zu mir selbst.

Ari wartete geduldig, bis ich weitersprach.

»Ich habe eine schwierige Trennung hinter mir und habe mir für die Reise einen ganzen Stapel Selbsthilfebücher gekauft. Plus knallrotem Notizbuch. Und eigentlich liebe ich solche Bücher, nur heute Morgen fühlte ich mich von diesem Stapel schier erschlagen. Ich glaube … Ich glaube, ich bin in fast so etwas wie einen Kaufrausch verfallen, weil ich mir erhofft habe, dass diese Bücher helfen.«

»Das tun sie ja sicherlich auch.«

»Natürlich! Aber ich dachte, je mehr, desto besser. Als ob der Kauf allein schon heilsam wäre.«

»Nun ja, wenigstens haben Sie keinen roten Ferrari gekauft.«

Ari lachte ein kratziges, sympathisches Lachen.

»Nein. Nur ein feuerrotes Notizbuch. Vielleicht wäre es besser gewesen, erst einmal nur eines dieser Bücher zu kaufen, sich wirklich Zeit zu nehmen und es Kapitel für Kapitel gründlich durchzulesen und durchzuarbeiten. Nicht schnell-schnell und weiter zum nächsten.«

»Nur eins?« Aris Mund verzog sich zu einem so schelmischen Lächeln, sodass ich sofort begriff.

Nur eins. Das hatte er mir gestern am Marktstand entgegengeworfen, als ich bei ihm gleich fünf Teepäckchen auf einmal hatte kaufen wollen.

»Nur eins«, bestätigte ich zerknirscht. »Sie hatten recht.«

»Es war gestern trotzdem unhöflich von mir und tut mir leid.«

Vor uns lichteten sich die Bäume. Zur Linken hatte man hier oben eine wunderschöne Sicht über das tiefblaue Meer, das in der Mittagssonne glitzerte. Rechts vom Pfad lag ein Felsbrocken, der sich als Sitzbank anbot. Wir nahmen Platz und ließen die Aussicht auf uns wirken. Die Weite. Das Licht über dem Wasser.

Vorsichtig platzierte Ari die gepflückten Kräuter neben sich auf den Stein, legte auch seine Sonnenbrille ab. Ebenso wie er reckte ich mein Gesicht in die wohltuende Sonne. Mir war, als würde der Piniengeruch noch von einer herben Note von Salbei durchzogen, die wohl von dem in der Sonne liegenden Kräuterbündel herrührte. Irgendwann begann Ari zu sprechen: »Meine Frau war Deutsche, aus Heidelberg.«

»Ach, deswegen sprechen Sie fließend Deutsch!«

Ari nickte. »Sie hat mir die Sprache beigebracht und alles Wichtige, was man über das Leben und die Liebe wissen muss. Und über Kräuter! Sie war diejenige, die die Tinkturen zubereiten und Tees zusammenstellen konnte. Ich war ausgebildeter Apotheker und gemeinsam haben wir viele Jahrzehnte lang eine Apotheke geführt, aber die Art, wie sie sich auf die Natur, die uns umgibt, besonnen und daraus die einfachsten und zugleich wirkungsvollsten Heilmittel hergestellt hat, ist mir geblieben. Mit viel Liebe fürs Detail. Mit viel Liebe für die Pflanzen, die uns das alles schenken. 44 Jahre waren wir verheiratet. Die Krebserkrankung war …«

Er sprach es nicht aus. Vielleicht langwierig? Vielleicht ein Schock?

»Es tut mir so leid«, flüsterte ich.

»Wir alle wünschen uns, dass der Schmerz schnell weggeht. Oder dass uns jemand sagt, wann genau er aufhört. Und außerdem haben wir Angst, dass der Schmerz vielleicht sogar niemals aufhört.«

Trotz der warmen Mittagssonne bekam ich eine Gänsehaut. Er hatte recht. Ich hatte Angst, wegen Tim ewig traurig zu sein. Es fühlte sich so unendlich an. Ich hatte mich nur noch nicht getraut, mir diesen Gedanken einzugestehen.