Marlene Torvett und das Märchen vom Glück - Jana Jürß - E-Book

Marlene Torvett und das Märchen vom Glück E-Book

Jana Jürß

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Beschreibung

*** Mörderische Idylle *** Marlene Torvett hatte ihr neues Zuhause bewusst gewählt: Inmitten der idyllischen Landschaft der Mecklenburgischen Seenplatte in der beschaulichen Kleinstadt Neustrelitz. Doch als eine Leiche im Zierker See treibend gefunden wird, kann sie gar nicht anders, als dies persönlich zu nehmen. Sie mischt sich in die Ermittlungen ein. Mit Witz und Charme wickelt sie nicht nur den mürrischen Hauptkommissar Babuske um den Finger, sondern deckt ein Netz aus Intrigen, Gier und Macht auf, das tief unter der Oberfläche verborgen liegt. Als dann ein zweiter Mord geschieht und eine junge Frau verschwindet begreift Marlene Torvett, wie gefährlich ihre Gegner in Wirklichkeit sind und dass selbst sie nicht mehr sicher ist. "Er kannte kein Gefühl, welches seine unbändige Lust zu quälen, weniger werden ließ. Und es gab niemanden, außer ihm selbst, den er schonen wollte. Alle verdienten, was sie bekamen!"

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Das Märchen vom Glück

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Jana Jürß

Marlene Torvett

und das Märchen vom Glück

Mord im Land der tausend Seen

Band 1

Kriminalroman

 

Die geschilderte Handlung ist frei erfunden.

Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind zufälliger Natur.

© Jana Jürß

IMPRESSUM

MadeByJuerss

Jana Jürß

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

 

Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung und Satz: FUERMA

Umschlagabbildung: Jana Jürß/Pixabay

www.jana-juerss.de

Das Märchen vom Glück

Sie sind allein, denn die Mutter kehrt

Zu Nacht erst vom Felde zurück.

Durchs Fenster rauschet die Linde,

Und die Alte erzählet dem Kinde

Das sonnige Märchen vom Glück.

Sie erzählt vom verwunschenen Königssohn

Und der boshaft grollenden Fee,

Vom Schloß am Felsenstrande

Vom wilden Wogengebrande

Und der Fischerhütte am See.

Und der Prinz vertrauerte Jahr um Jahr

Als Schlange im dumpfigen Grund.

Er wand sich in glühenden Ketten;

Ein Kuß nur konnte ihn retten,

Ein Kuß von rosigem Mund.

Des Fischers liebliches Töchterlein

Trug hohen, herrlichen Sinn;

Sie sprengte die Ketten von Golde;

Er aber machte die Holde

Zu seiner Königin!

Großmutter schweigt und das Spinnrad schnurrt,

Und das Mägdlein sitzt wie gebannt;

Und es faltet die Hände im Schoße

Und heftet das Auge, das große,

Starr träumend an die Wand.

Großmutter, wie schön, o wie einzig schön!

Großmutter, o wäre das wahr!

Großmutter, mir würde nicht bange,

Wie gerne umarmt ich die Schlange

Trotz Schauer und Todesgefahr!

Warum nur hat man das alles erdacht,

Wenn’s nie sich auf Erden begab?

Mir wird in der Seele so wehe,

Wie in des Kirchhofs Nähe,

Wie vor des Vaters Grab!

Sei stark, du zitterndes Kinderherz,

Und dränge die Thränen zurück!

Uns alle hat es belogen,

Uns alle hat es betrogen,

Das sonnige Märchen vom Glück!

(Ernst Eckstein)

 

Kapitel 1

Am See

Niemand hatte sie gesehen, da war sie sich sicher. Viele Male war sie diesen Weg gegangen, immer, wenn sie nachts aus dem Fenster der elterlichen Wohnung gestiegen war, um ein paar Stunden bei ihrem Freund verbringen zu können. Die Abkürzung am See ersparte ihr wertvolle Zeit. Durch die Straßen würde sie wenigstens doppelt so lange brauchen. Bislang war sie nie jemandem begegnet, morgens um fünf schlief die Stadt und der See wurde von allen in Ruhe gelassen. Keine Jogger, kein Walker, keine Hunde. Sie liebte diese absolut friedliche viertel Stunde, die sie für den Heimweg brauchte. Der Unfrieden würde sie früh genug wieder umschließen. Die Eltern, die an ihr zerrten, die nicht einsehen wollten, dass sie erwachsen geworden war, dass sie ihr eigenes Leben zu leben wünschte, dass sie einen Mann liebte, der ihrer Meinung nach nicht gut genug war.

Sie schüttelte die störenden Gedanken ab, dachte an die fast eben noch gespürten Zärtlichkeiten, sprang umher wie ein junger Hund, und begann leise vor sich hin zu singen. Sie strauchelte über etwas, konnte aber gerade noch das Hinfallen verhindern, indem sie sich an einen Baumstamm rechts des Weges stützte. Zuerst ging sie weiter, aber nach wenigen Metern blieb sie stehen. War das, was sie stolpern ließ, nichts Hartes und nichts Kleines gewesen, was sie neugierig machte. Sie drehte sich bereits um, als ein Flüstern sich ihr näherte. Sie glaubte an ein Liebespaar und versteckte sich hinter den Büschen nahe des Ufers. Ein Lichtkegel hätte sie fast aufgespürt, was sie durch schnelles Ducken verhindern konnte. Ein weiterer Lichtkegel traf auf den Gegenstand, welcher sie zum Umdrehen bewegt hatte. Ganz deutlich erkannte sie, was da lag. Ein Mensch. Zwei weitere Menschen näherten sich diesem, setzten sich in Hocke vor ihm und schwiegen.

Einer packte etwas aus einem großen Rucksack, eine Leine, die sie an den Körper banden. Eine weibliche Stimme sagte ›Los jetzt, es wird bald hell‹ und sie zogen gemeinsam den Körper, der sich offenbar nur schwer bewegen ließ, mit großer Mühe zum kleinen Steg, welcher sich etwa zehn Meter weiter vorne befand. Die Lampen, so sah sie jetzt, mussten an ihren Köpfen befestigt sein, denn die Lichtkegel begleiteten diese beiden bei ihrer mit Stöhnen verbundenen Tätigkeit. Sie verhielt sich mucksmäuschenstill, traute sich nicht, den eingeschlafenen rechten Fuß zu bewegen und wünschte nichts mehr, als ein aufkommendes Niesen weiter unterdrücken zu können. Ihr war klar, dass vor ihren Augen ein Verbrechen geschah. Wie in einem Film. Und dass sie, wenn die da vorne sie sähen, ernsthaft in Gefahr sein würde. Dieser leblose Körper, mit dem die beiden sich abmühten, machte ihr Angst. Warum hatte der ihr ein Bein gestellt? Längst wäre sie zu Hause in ihrem Bett. Bei ihren Eltern.

Auf dem Steg machten sie das Seil los, eine männliche Stimme sagte laut ›Der und seine Märchen‹ und stieß den Körper in den noch träumenden See. Sie knipsten die Lichter aus und verschwanden, ohne sich noch einmal umzudrehen, in Richtung Sonnenaufgang.

Sie stand erst nach einer langen Weile auf, versuchte die kribbelnden Schmerzen im Bein zu ignorieren und schlich zum Steg. Der Ärmel eines karierten Hemdes hatte sich im Holz verfangen. Sie blickte in das ihr halb zugewandte Gesicht eines Mannes. Mehr konnte sie nicht erkennen. Ohne zu wissen weshalb, riss sie an dem Ärmel und gab dem Körper einen Stoß, damit er über den See treiben konnte. Sie dachte, es wäre vielleicht schöner für einen Toten über einen See zu schwimmen, der wärmenden Sonne entgegen, als an einem alten, kaputten Steg im Schatten der dicht am Ufer stehenden Sträucher gefesselt zu bleiben.

Kapitel 2

Im Seehaus

Frau Torvett hasste Langeweile, hervorgerufen durch Untätigkeit. Was hieß, sie musste etwas tun.

Nachdem sie in zügigen Schritten die fast zehn Kilometer um den Zierker See gegangen war, was sie jeden Tag nach ihrem ersten Frühstück, einer Tasse Kaffee, tat, wovon sie sich nur in ganz seltenen Ausnahmefällen abhalten ließ, setzte sie sich an ihren bereits sorgfältig gedeckten Tisch im Seehaus. Neben der Annehmlichkeit des hinterher nicht Aufräumenmüssens gab es Brot, Wurst und Ei (mit leicht flüssigem Eigelb) in der Qualität, wie sie es sich wünschte, doch in ihrem Heim aus mangelndem Interesse nicht täglich auf den Tisch bringen würde. Und die Gedanken, wenn sie über den See hinwegträumte, gleichgültig in welche Richtung, ließen sie für ihr Tagewerk in die jeweils passende Stimmung kommen. Marlene Torvett war eine freundliche Frau, lächelte gern, sprach, wenn sie Lust und die Notwendigkeit dazu verspürte, wie ein Wasserfall und hatte die Gewohnheit, ihre Mitmenschen mit Fragen zu löchern. Sie wusste von allen, mit denen sie zusammenkam, in kürzester Zeit oft mehr, als deren engsten Angehörigen. Wenn sie sich selbst einmal, was selten genug vorkam, kritisch betrachtete, bezeichnete sie sich als neugieriges Frauenzimmer. Freunde hatte Frau Torvett keine, wenigstens nicht in dieser Stadt. Die vielen Bekannten sahen sie mit Respekt. Sie war immer sehr gut gekleidet. So auch an diesem Morgen. Sie trug sportlich elegante Schuhe und eine edle helle Windjacke über einer schwarzen figurbetonten Hose. Als Neugierde sah es inzwischen niemand mehr, wenn sie fragte. Als Interesse wurde es bezeichnet. Fragte sie doch jeden. In einer Art, der niemand widerstehen konnte. Frau Torvett wusste immer den richtigen Ton anzuschlagen, den passenden Moment zu erwischen, die richtigen Fragen zu stellen.

Sie winkte Jutta, einer der Stammbedienungen, die ohne zu fragen, nach einigen Minuten ein neues weißes Kännchen brachte und den dampfenden Kaffee in eine saubere Tasse goss. Frau Torvett kam bereits seit über einem Jahr fast täglich hierher und jede der Bedienungen kannte inzwischen die Gewohnheiten, manche nannten es Marotten, dieses Gastes: Sie trank höchstens zwei Tassen Kaffee aus derselben Tasse, nicht mehr. Und der Kaffee musste heiß sein. Und durfte nicht bereits eine Weile in der Küche gewartet haben. Das merkte Frau Torvett sofort. Wie alles andere, worauf sie Wert legte.

Jutta wusste auch, dass längst nicht der richtige Augenblick gekommen war, Frau Torvett anzusprechen. Erst musste diese mit ihren Zeitungen fertig geworden sein, die Teller von sich geschoben und eine Zigarette im rechten Mundwinkel haben.

Während Jutta noch überlegte, wie lange sie wohl an diesem Tag die Zeitung lesen würde und Frau Torvett so tat, als würde sie die ihr immer langweiligere WELT tatsächlich studieren, hörten beide, ohne es sich anmerken zu lassen, die Sirene eines Polizeiwagens. Als diese sich lauter werdend anscheinend dem Haus näherte, wagte Jutta doch ein Räuspern und Frau Torvett beschloss ihr Frühstück mit dem täglichen Ritual. Sie legte in aller Ruhe die Zeitung zusammen, schob das Geschirr von sich und zündete sich ihre erste Zigarette an. Erst dann sah sie Jutta erwartungsvoll an.

Noch ehe die üblichen gegenseitigen Fragen nach dem Befinden gestellt werden konnten, betraten zwei Männer das Lokal.

»Wer hat uns angerufen?«

Frau Torvetts Stirn legte sich in Falten. Sie mochte keine Unhöflichkeiten. Im Gegenteil. Sie legte großen Wert auf gutes Benehmen. Ihrer Meinung nach hatten bestimmte Berufsgruppen besondere Verpflichtungen in ihrer Vorbildfunktion. Sie kannte einen der Männer sehr gut. Es war Hauptkommissar Tony Babuske. Und wenn nun von einem Polizisten statt eines Grußes als Erstes eine Frage kam, konnte sie äußerst ungehalten werden.

»Guten Morgen, die Herren!« Die beiden drehten sich ihr zu.

»So viel Zeit muss sein, meine Herren. Ich muss Ihnen doch sicher keinen Verhaltensunterricht geben, oder?«

Der jüngere der beiden Männer wollte sich schon wieder den Bedienungen zuwenden, doch sein Kollege tippte ihm an den Arm.

»Entschuldigung, Frau Torvett. Guten Morgen, die Damen.«

Der Jüngere verstand nicht, warum sein Kollege ihm noch einmal, dieses Mal drängender, an den Arm tippte.

»Wir sind in Eile. Wir haben eine Meldung von einem Unbekannten bekommen, der hier im Seehaus sitzen will und ...«

Frau Torvett fiel ihm ins Wort: »Guten Morgen Herr Babuske, freut mich, Sie zu sehen. Wie geht es Ihrer Frau? Und wer ist Ihr Kollege?«

Tony Babuske zog den Jüngeren an ihren Tisch.

»Das ist Kommissar Reimers, seit vier Wochen bei uns. Kommt aus Thüringen.«

»Guten Morgen Herr Reimers und herzlich willkommen im schönen Neustrelitz.«

Sie streckte ihm die Hand entgegen, die Kommissar Reimers verwirrt ergriff und brummte: »Guten Morgen. Ääh vielen Dank. Frau Torvett, wenn ich den Namen richtig verstanden habe.«

Ihre Stirn lag noch immer in Falten. Hauptkommissar Babuske sah das mit Besorgnis und auch Kommissar Reimers fragte sich, was er falsch gemacht haben könnte.

»Ich bin hier nicht allein«, sagte sie mit einem Blick auf die Bedienung.

Frau Torvett sog tief an ihrer Zigarette, drehte sich dem Fenster zu und sah ein Polizeiboot über den See kommen.

Sie seufzte. Ihre Neugierde war nun inzwischen größer als der Ärger um das schlechte Benehmen eines Polizisten.

»Also, meine Herren, was ist los? Was können wir für Sie tun?«

Sie lächelte herzlich und bot beiden Männern Platz an ihrem Tisch an.

»Kaffee?«

Ohne die Antwort abzuwarten, rief sie: »Jutta, bringen Sie bitte Kaffee für die Herren und dann holen Sie Herrn Borbeck, der wird sicher gebraucht.«

»Frau Torvett. Also ein anonymer Anrufer hat uns mitgeteilt, dass im See hinter dem Seehaus eine Leiche schwimmt. Und dass er hier sitzen würde, um auf uns zu warten.«

»Haben Sie die Leiche bereits gefunden? Und war der Anrufer männlich oder weiblich?«

»Es soll ein Mann gewesen sein, wir nehmen sonst alle Anrufe auf, doch leider ist seit gestern die betreffende Technik ...«

Verlegen strich Hauptkommissar Babuske mit dem Zeigefinger über die Tischdecke.

»... ja, die Technik, die entsprechende, ist defekt seit gestern. Ersatz kommt erst heute im Laufe des Tages. Heißt es wenigstens.«

Frau Torvett lächelte ihn verständnisvoll an. So etwas passierte immer im falschesten Moment.

»Und was ist mit der Leiche?«

Kommissar Reimers mischte sich ins Gespräch: »Frau Torvett, ich weiß gar nicht, ob wir Ihnen das alles sagen dürfen. Vielleicht sind Sie ja Zeugin oder Derartiges.«

Sie verstand diesen Einwand. Herr Reimers war noch jung und neu hier in der Stadt und kannte sie nicht.

»Reimers, es ist in Ordnung. Frau Torvett, ja, sie, gewissermaßen ...«

Als Hauptkommissar Babuske nach den passenden Worten suchte, fiel ihm auf, dass er selbst nicht mit Worten beschreiben konnte oder besser nicht wollte, warum er ihr die Dinge erzählte. Jeder erzählte ihr alles. Niemand fragte warum. Man tat es einfach. Sie hatte das Vertrauen der meisten Menschen in dieser Stadt.

»... also, das ist bei Frau Torvett in Ordnung. Fertig.« Kommissar Reimers kam dies sehr merkwürdig vor, doch der Ton des Vorgesetzten ließ ihn seine Einwände schlucken, so schwer es ihm auch fiel. Aber er hatte vor, sich in dieser Stadt einzuleben, wollte schnellstmöglich Fuß fassen und manchmal war es einfach besser, den Mund zu halten. Er nahm sich vor, diese Frau, die für ihn alt, aber trotzdem irgendwie anziehend war, im Auge zu behalten. Er wollte seine Freundin fragen oder besser seine ›Schwiegereltern‹, was es mit ihr auf sich hatte.

Babuskes Telefon klingelte, während er es sich ans Ohr hielt, nickte er mehrmals, sagte Dinge wie: ja, nein, das hab’ ich mir fast gedacht, ach ne und am Ende gut, wir kommen, ruf schon mal Spurensicherung und Verstärkung und den Chef natürlich, ne warte, den rufe ich lieber selbst an.

Anschließend sah er erst Frau Torvett, dann Kommissar Reimers bedeutungsvoll an, schlug mit der flachen Hand auf den Tisch: »Sie haben sie tatsächlich gefunden. Die Leiche. Der Anrufer hat sich keinen Scherz erlaubt. Wir müssen hin. Reimers, pass hier auf, dass niemand das Haus verlässt. Nimm schon mal die Personalien von allen auf.«

Gerade als Jutta mit dem Kaffee aus der Küche kam, gingen der Hauptkommissar und Frau Torvett mit schnellen Schritten durch die gläserne Hintertür.

 

Kapitel 3

Ein Toter

Marlene Torvett hatte in ihrem Leben bereits einige Tote gesehen, aus beruflichen Gründen versteht sich. In den vielen Jahren als Krankenschwester, bevor sie nach Neustrelitz zog. Sie erinnerte sich besonders an ihren ersten Toten, einen dicken, alten, krebszerfressenen Mann und auch an ihre Frage damals, nachdem sie andere, ebenfalls an Krebs erkrankte Menschen gepflegt hatte, warum dieser Mann noch immer so dick gewesen war, als er starb. Waren die meisten anderen doch am Ende ihrer Leidensgeschichte vollkommen ausgemergelt. Für den Moment reichte ihr, was der Zustand der Leiche verriet. Sie kannte den Mann, dessen Leiche man im Zierker See treibend gefunden hatte. Ein erschreckender Anblick selbst für sie, was sie sich natürlich nicht anmerken ließ. Sie sah zu, wie Taucher den Mann bargen, wie ein Arzt die notwendige Untersuchung machte, um den offiziellen Tod festzustellen. Sie hörte die ersten, sehr voreiligen Vermutungen der verschiedensten Anwesenden, kniete sich neben den eingetroffenen Rechtsmediziner, um den Kopf des Toten sowie dessen Kleidung eingehend betrachten zu können. Das Gesicht wies verschiedene sichtbare Blutergüsse auf und ein paar offensichtliche Löcher im Hemd ließen annehmen, dass er niedergestochen wurde.

Eine Stunde später saß sie wieder an ihrem Tisch im Seehaus, die Zeitung unmissverständlich vor sich. Sie musste nachdenken. Frau Torvett kannte den Toten als fröhlichen Menschen mit sehr guten Manieren. Seine Frau saß, wenn auch noch nicht sehr lange, an der Kasse im Supermarkt in der Strelitzer Straße. Er selbst arbeitete in Hamburg und kam nur jedes zweite Wochenende nach Hause. Beide hatten einen gemeinsamen fünfzehnjährigen Sohn, der das Gymnasium besuchte. Der Mann war gelernter Tischler, er hatte in ihrem Haus einiges repariert und neu gebaut, als er noch seine eigene kleine Tischlerei in Altstrelitz hatte, bis vor einigen Monaten. Sie wusste nicht, warum er die verkauft hatte. Jetzt aber wollte Frau Torvett es wissen, schnell. Der Mann war weder eines natürlichen Todes noch durch Selbstmord gestorben. Für diese Erkenntnis brauchte sie nicht den Autopsiebericht abwarten. Aber darin könnten viele andere wichtige Dinge stehen, die ihr weiterhelfen würden. Mord, nun gut. Sie stöhnte leise auf. Sie war in diese Stadt gezogen, weil gerade hier alles so friedlich und unaufgeregt war. Alles plätscherte vor sich hin, über Jahre. Die Weiße Brücke und die Liebesinsel am See spielten in manch einer ihrer Romane wiederkehrende Rollen. Sie brauchte die mecklenburgische Luft und die vielen Seen genau wie das Atmen.

Ein tiefes Hüsteln unterbrach ihren Gedankengang. Vor ihr stand Tony Babuske: »Darf ich, Frau Torvett?«

Sie nickte.

»Schöner Schlamassel. Mord, wie es aussieht und so etwas in unserer Stadt. Hoffentlich nichts, was die Medien über uns herfallen lässt. Wir brauchen die Touristen.«

Daran hatte sie auch schon gedacht. Und sich selbst gescholten: von wegen gut, dass der Tote kein Ausländer war und hoffentlich ist der Täter kein Ausländer ...

Sie unterbrach Babuske: »Wann ist mit den ersten Ergebnissen zu rechnen? Sie wissen schon: Tatort, Todesursache, Spuren und so weiter.«

Er hob die Schultern: »Ist nicht unbedingt einfach hier. Wir haben ja keine eigenen Rechtsmediziner, die bringen ihn nach Neubrandenburg. Und die Neubrandenburger sind nicht immer so gut auf uns Neustrelitzer zu sprechen. War zwar früher Bezirksstadt und wir nur Kreis, aber bekannter und beliebter war und ist Neustrelitz, was soll man da machen. Bei dem letzten Mord vor ein paar Jahren gab es mehr Kompetenzgerangel als Unterstützung. Wir haben damals fast eine Woche auf erste Ergebnisse warten müssen.«

»Das können wir uns nicht leisten, Herr Babuske. Wir werden die Sache beschleunigen müssen. Wenn die bis morgen früh nichts liefern, fahren wir gemeinsam nach Neubrandenburg.«

Ihre Stimme war freundlich wie immer, doch etwas härter als bei einem privaten Gespräch. Er konnte sich gut vorstellen, dass diese Frau alles durchsetzen konnte, wenn sie es wollte. Was ihn ein klein wenig beruhigte, denn er fürchtete sich vor diesem Fall, vor dieser Aufgabe. Gerade nach der fast misslungenen Aufklärung der letzten großen Raubserie im letzten Jahr. Frau Torvett hatte ihn nicht nur vor dem Zerriss der Presse gerettet, sie hatte es auch geschafft, ihn vor einer Dienstaufsichtsbeschwerde zu bewahren. Ihr Einfluss auf die Obersten der Behörden war phänomenal. Ihr Geld mochte eine Rolle dabei spielen, aber sie hatte eine gewisse Art und Weise, andere Menschen von etwas zu überzeugen, woran diese eben noch nicht einmal gedacht hatten. Noch ein Reinfall wollte Babuske sich jedenfalls nicht erlauben. Es würden bei einem Mord zu viele Menschen in die Stadt kommen, in sein Revier und die Nase in Dinge reinstecken, die nicht die ihren waren. Und denen er sich mit all ihrem aufdringlichen und besserwisserischen Gehabe nicht gewachsen fühlte. Wie er seinen Chef einschätzte, blieb die meiste Arbeit an ihm hängen, wie immer. Dass er am Morgen mit Reimers den Anruf verfolgte, war reiner Zufall. Denn gerade, als er mit ihm die Akten der aktuellen Einbruchserie durchging, waren die Streifenkollegen gesammelt bei einer Auffrischung der Dienstvorschriften ein Stockwerk über ihm, somit unerreichbar für jegliche Telefonanrufe. Inzwischen war Hauptkommissar Babuske sehr froh über den Ablauf der Geschehnisse. Anfangs befürchtete er noch, seine hastigen Anrufe nach Polizeiboot und Hundestaffel könnten etwas übertrieben wirken.

Doch das Boot hatte sich bereits bezahlt gemacht und die Hunde würden schon bald etwas finden, auch wenn bislang niemand genau wusste, wo sie den Tatort suchen sollten, suchten sie.

»Konnte Herr Borbeck Ihnen etwas sagen? Hat er eine Ahnung, wer Sie angerufen haben könnte?«

Die Fragen schreckte Babuske aus seinen Gedanken. »Borbeck, nein, der weiß nichts. Hat nichts gesehen und gehört. Ich habe ihn aber für morgen ins Büro bestellt. Zusammen mit seiner Frau.«

»Haben Sie die Witwe bereits informiert?« »Nein.«

Die nächste Hürde. Es war seine Aufgabe, die Frau zu verständigen und sie auch noch zu befragen. Diese Dinge konnte er weder Reimers und erst recht keinem anderen überlassen. Wie gern würde er das seinem Chef zuschieben. Auf der anderen Seite wusste er, wie unsensibel Oberrat Schärf sein konnte.

Er atmete tief den Zigarettenrauch von Frau Torvett ein: »Also, das muss ich gleich erledigen. Hoffentlich ist sie zu Hause und nicht im Supermarkt. Und hoffentlich hat es ihr noch niemand gesagt. Bislang habe ich den Namen nicht herausgegeben.«

Frau Torvett schüttelte den Kopf. »Wir sollten gleich zu ihr fahren. In meinem Wagen. Nicht in einem Polizeifahrzeug.«

Als Babuske nicht sofort aufsprang, wedelte sie ungeduldig mit ihrer Hand: »Na dann los, Herr Babuske, bevor jemand anderes uns zuvorkommt.«

Sie stand auf, zog sich sorgfältig die Jacke über und verließ, gewiss, er würde ihr folgen, das Seehaus.

Bevor er ihr nacheilte, gab er Kommissar Reimers, der in einem Nebenzimmer saß und sämtliche mögliche Zeugen in seine Handykartei aufnahm, kurz ein Zeichen, dass er telefonisch erreichbar wäre.

Vor der Tür steuerte der Hauptkommissar auf den Einsatzwagen zu. Er nickte ihr zu, fast wie eine Aufmunterung. Frau Torvett reagierte nicht darauf. Sie tat sogar, als würde sie nicht bemerken, was er vorhatte. Sie schritt den kleinen Weg entlang rechts zum Parkplatz und stellte sich vor ihren Wagen. Den sie vorhin hatte offenstehen lassen. Auch der Schlüssel steckte noch. Vielleicht hat sie recht, dachte er, als er schon eingestiegen war. Vielleicht ist das auffällige Auto fehl am Platze einer frisch gewordenen Witwe. Und vor allem die Nachbarn würden sich garantiert nicht nur die Nasen an den Scheiben plattdrücken. Womöglich wäre kein Schritt zur Haustür möglich, weil die ganze Schwentner Straße sich versammelte, um die Obrigkeit in Empfang zu nehmen. Er strich nervös über das schwarze Lenkrad. Scheiße. Sie hat recht. Und ich sitze wie ein Narr hier drin und kann es nicht zugeben. Ein Hupen drang zu ihm, dass ihn von seinen Überlegungen erlöste. Frau Torvett stand mit ihrem Sportwagen weniger Meter hinter ihm auf dem Rasen. Verdammt. Er schüttelte den Kopf, musste aber doch grinsen. Eigentlich hatte er keine Zeit für solche Sperenzchen, aber sie sollte nicht denken, dass er aus männlicher Eitelkeit heraus nicht mehr klar denken konnte. Er stieg aus, griff sich den Schlüssel, hob ihn so weit hoch, dass sie ihn sehen konnte und rannte damit ins Seehaus.

Als er zurückkam, setzte sich wortlos neben sie und war froh, dass sie ohne irgendeine Bemerkung losfuhr.

»Sie wissen, wo wir hinmüssen?« Er fragte einzig, um das ihm peinliche Schweigen zu brechen.

»Seit wann lebe ich in dieser Stadt?«

Babuske schüttelte die Schultern. Als wenn er das wüsste.

Gefühlt hundert Jahre, aber zugezogen war zugezogen.

»Lange genug, um zu wissen, wo die Schwentner Straße ist, mein lieber Babuske. Ich komme schon ohne Stadtplan klar.«

Er brummelte Unverständliches als Antwort und griff zum Handy und zog es umständlich aus der Hosentasche.

»Rufen Sie mal den Bruder von Herrn Klein an. Wir werden ihn brauchen. Soweit ich weiß, hat sie nicht viele Verwandte in der Stadt, oder?«

Er zuckte mit den Schultern. Ihre Frage traf ihn wie ein Stich, der nicht wirklich verletzt, aber doch ärgerlich ist. »Meinen Sie, ich weiß von jedem in der Stadt, wie die Verwandtschaftsverhältnisse sind? Ich habe genug mit meiner Eigenen zu tun.«

Ärgerlich las er die Nachricht auf dem Display, die ihm zahlreiche Anrufe ankündigte. Er ließ es auf lautlos und steckte es in die Innentasche seiner Jacke. Den Reißverschluss zog er schnell zu. Am liebsten hätte er das Ding aus dem Fenster geworfen. Die Fahrt war glücklicherweise kurz, und als sie vor dem fünfstöckigen Wohnblock hielten, dachte er schon nicht mehr an seinen verletzten Stolz, sondern ausschließlich an die Frau, der er gleich mitteilen musste, dass ihr Mann einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war. Genau diese Worte dachte Babuske, da ihm die Amtssprache im Dienst nicht einmal in den bloßen Gedanken abhandenkam. Sie stiegen beide fast gleichzeitig aus und schlossen fast wie im Duell die Türen. Er wusste nicht, was ihn erwartete, aber womöglich lag eine Tote oben in der Dreiraumwohnung.

»Frau Torvett, wir müssen auf alles gefasst sein. Es ist nicht selten, dass der Mörder im familiären Umfeld zu finden ist.«

Sie nickte. So ein paar Diebe zu fassen, war die eine Sache. Das war nicht mal gefährlich, geschweige sehr traurig. Dies hier hatte eine ganz andere Qualität.

»Sie glauben, dass dort oben etwas nicht in Ordnung ist?« Frau Torvett sah die Fensterreihe hoch, die Balkone waren schon herbstlich kahl, nur wenige hatten winterfeste Heide oder Christrosen in den hängenden Kästen.

»Möglich ist es. Erst einmal wissen wir nur von einem gewaltsamen Todesfall. Mehr nicht. Aber mehr, als uns Sokrates zugetraut hat.«

»Ach, diese Auslegung ist purer Unsinn!« Sie atmete schwer. Bevor er etwas erwidern konnte, winkte sie ab. »Das ist jetzt gleichgültig. Außerdem geben sogar studierte Philosophen das so weiter, obwohl die es wissen müssten. Kommen Sie, der Eingang ist es doch, oder?«

Die letzten Schritte war jeder in seinen Gedanken gefangen.

»Hallo! Hallo!« Eine Männerstimme drang zu ihnen. Und ein fast kahler Kopf streckte sich weit vom unteren Balkon des Nachbareingangs. »Sie wollen zu Ulrike. Das sehe ich sofort. Die ist weg. Soll ich eben zu Ihnen kommen oder wollen Sie Kaffee? Türkisch kann ich machen.« Der Mann hob seine Stimme mit jedem Wort an.

»Kommen Sie zu uns, wir haben keine Zeit. Und schreien Sie nichts so.« Babuske kannte solche Nachbarn. Egal, was Frau Klein getan hatte, es war ganz sicher nicht unbeobachtet geschehen.

»Er ist aufgeregt. Aus dem Grunde ist er einfach lauter.« Frau Torvetts Erklärung half ihm momentan nichts, im Gegenteil. Er wusste selbst am besten, dass auch er manchmal laut wurde. Allerdings konnte er das bei anderen Menschen nicht ertragen. Endlich kam der Kahlköpfige zu ihnen und blieb mit in die Seiten gestützte Arme vor ihnen stehen. Auf dem Balkon hatte er deutlich älter gewirkt. Als er nun vor ihnen stand, sahen sie einen Mann, der nicht mal fünfzig sein mochte.

»Ah, Sie sind doch die Frau ...« Er schob die sehr hellen Augenbrauen hoch und begann zu lächeln.

Frau Torvett nickte. »Das spielt keine Rolle momentan. Ich begleite lediglich den Herrn Hauptkommissar Babuske.

»Ich versteh’ schon. Frauen können so was besser. Der Wolfgang, ja, der war ein Guter.« Er grinste leicht, was intelligent wirken sollte.

»He, jetzt sagen Sie mir erst einmal, wie Sie heißen, woher Sie vom Tod Ihres Nachbarn erfahren haben und dann, was Sie über den Verbleib von Frau Klein wissen.« Zu übertriebenen Höflichkeitsfloskeln hatte er weder Zeit und erst recht keine Lust.

»Schon gut, Herr Hauptkommissar. Ich bin Jochen. Ist wichtig, klar. Der Wolfgang, also, meine Olle hat mich gerade angerufen. Die putzt im Rathaus. Die kriegt da alles mit. Ähm die Ulrike. Die war gar nicht da heute. Martin auch nicht. Irgendwie sind die alle unterwegs.«

»Wann ist sie weg? Und wie heißen Sie weiter, Jochen?« Frau Torvett war Babuske zuvorgekommen, die Fragen hatte er stellen wollen, allerdings in einem anderen Ton. »Mensch, weiß ich nicht. Ich habe bloß noch keinen von denen gesehen heute. Martin muss ja in die Schule und Ulrike steht immer früh auf und bringt als Erstes morgens den Müll runter.«

»Herr ...« Babuske überlegte die nächsten Schritte. Gefahr im Verzug oder Durchsuchungsbeschluss abwarten.

»Schuldigung, Jochen Hanser heiß ich.«

»Geht’s um Wolfgang? Was ist passiert? Eben ruft meine Tochter an, dass der arme Wolfgang tot ist.«

Eine Frau hatte die Haustür von innen aufgerissen. »Das ist ja ein Ding. Gerade den. Der war immer so nett.« Ihr Gesicht spiegelte tatsächlich Bestürzung wider.

»Herr Babuske, wir müssen dringend in die Wohnung und vor allen weg von der Haustür, sonst haben wir gleich einen Menschenauflauf. Vielleicht gehen wir erst einmal zu Ihnen?«

»Gern, die Kinder sind in der Kita, wir haben Ruhe. Ich wohne gleich hier unten.«

Frau Torvett nickte der Frau zu. Babuske musste zugeben, dass das erst einmal die bessere Alternative war als der Sportwagen. Selbst da würden sich bald alle um sie scharren.

»Meinetwegen. Ich rufe kurz Reimers an, dass er das Nötigste veranlasst. Herr Hanser, wir kommen noch mal auf Sie zurück, wenn wir es für nötig halten.« Er ging ein paar Meter zur Straße, kam aber schon nach wenigen Sekunden zurück, wo Jochen Hanser gerade versuchte, sich durch die Haustür zu quetschen.

»Lassen Sie den Quatsch, Hanser. Kommen Sie, Frau Torvett. Es hat sich aufgeklärt. Fahren wir. Ich schreib mir eben schnell die Namen auf.«

Sie sagte nichts, verabschiedete sich zügig und war schon auf dem Weg zum Auto, als Babuske noch die Personalien der beiden Nachbarn notierte.

»Ist sie tot?«, fragte Frau Torvett, als sie in Richtung Markt abbogen?

»Nein. Sie wartet schon. Sie weiß Bescheid. Irgendein Hornochse hat ihr alles brühwarm erzählt. Oder ...«

Den Rest lief er offen und beide hingen ihren Gedanken nach, bis sie den Parkplatz hinter der Polizeiinspektion erreichten.

 

Kapitel 4

Ulrike Klein

Marlene Torvett gab sich die größte Mühe, ihre Ungeduld nicht zu zeigen. So gern sie Babuske mochte, aber er hatte, wie sie fand, nicht wirklich eine Hand für den Umgang mit trauernden Frauen. Am liebsten hätte sie ihn aus dem Zimmer geschickt, doch es war sein Dienstzimmer. Aus dem Grunde blieb ihr nichts anderes übrig und sie unterbrach ihn mitten in einer Frage: »Herr Babuske. Bitte, könnten wir einen Kaffee haben? Und gibt es irgendwo ein Raucherzimmer? Gönnen Sie uns doch eine Zigarette.«

Ihrer Stimme konnte niemand entnehmen, dass sie unzufrieden mit der Art der Befragung war. Ohne eine Antwort abzuwarten, stand sie auf, nahm ihre große rote Tasche vom Stuhl, holte die Zigaretten heraus, zählte Kleingeld für den Kaffeeautomaten aus der Geldbörse und öffnete die Tür. »Frau Klein? Kommen Sie mit? Ein paar Minuten Ruhe tun uns allen gut.«

Kommissar Reimers sah überrascht seinen Chef an, als der die beiden Frauen ungehindert in eine Pause entließ. Babuske hatte selbst gemerkt, dass er den falschen Ton angeschlagen hatte. Doch Frau Klein machte ihn nervös. Wie sie ihn anschaute aus ihren großen runden braunen Augen. Wie ein hilfloses angeschossenes Reh. Er fühlte sich als Mann gefordert und war doch hier in seiner Funktion als Polizist beziehungsweise als Ordnungshüter dafür da war, die Ordnung wieder eine werden zu lassen. Nicht um einen Gnadenschuss abzufeuern, wie die Frau es anscheinend wünschte und dies zeigte mit allem, was sie hatte. Verschiedenste Vorstellungen rannten durch sein Gehirn, eine davon, die sie selbst als Mörderin ihres Mannes zeigte und nun dieses Spiel mit ihm spielte. Frauen konnten so sein, das wusste er, manche zumindest. Er hatte eine von dieser Sorte schließlich geheiratet. Was ihm vor unzähligen Jahren noch interessant an ihr erschien, fand er heute meist nur noch anstrengend. Und dass Frau Klein freiwillig in sein Zimmer marschiert war, machte sie ihm nicht weniger verdächtig. Anscheinend hatten sie Kolleginnen informiert, die Namen konnte sie allerdings erst nach mehrfachem Nachfragen nennen. Der Buschfunk in dieser Stadt hatte schon immer besser funktioniert als alles andere.

»Reimers, sag mal, was hältst du von der Frau Klein? Du hast sie beobachten können, die ganze Zeit. Du kennst sämtliche Fakten.«

Jetzt schaute Reimers noch überraschter. Einen Vorgesetzten, der ihn um seine Meinung fragte, hatte er bislang noch nie gehabt.

»Sag es ganz spontan. Ohne nachzudenken. Das kannst du später noch. Erst mal dein jetziger aktueller Eindruck. Sei ganz ehrlich.«

Reimers kratzte sich mit dem linken kleinen Finger am Kopf, ein Zeichen, welches Babuske immer wieder bei ihm als eines der Begleitung eines Denkvorganges wahrnahm.

»Nicht nachdenken, habe ich gesagt. Sag, wie du ganz ehrlich über Frau Klein denkst, wie du sie siehst.«

Babuske blaffte seinen Kollegen absichtlich an. Was in der Regel half, um ihn, egal in welcher Situation, auf das Wesentliche zu bringen. Wie bei den meisten anderen auch.

»Sie ist eine tolle Frau. Attraktiv, vielleicht nicht sonderlich gebildet, hat ihren Mann anscheinend sehr geliebt, ist jetzt absolut hilflos, weiß von dem Geschehen gar nichts ... aber sonst, ja ...«

»Geht es etwas ausführlicher, Kollege? Was hast du beobachtet? Körpersprache und der vielen Dinge mehr.

---ENDE DER LESEPROBE---