Matchpointe - Serdar Somuncu - E-Book

Matchpointe E-Book

Serdar Somuncu

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Beschreibung

Die Wahrheit siegt vor dem Platz! Sportler sind heutzutage von einem Tross an Medizinern umgeben, die das körperliche Wohlergehen der Athleten garantieren. Aber wie steht es um die mentale Vorbereitung? Diese Frage treibt Tennisspieler genauso um wie Schauspieler, denn beide müssen vor Publikum auf den Punkt Leistung erbringen. Wie gehen sie mit diesem enormen Druck um, wenn die Galadarbietung gelingen soll?

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Seitenzahl: 106

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Serdar Somuncu

MATCHPOINTE

Ein Buch über Lampenfieber, Erfolg und Versagen

Inhalt

Titelseite

Vorwort

1. VOR DEM MATCHTennis und Theater

Tennis als Komplettspiel

Warum spiele ich?

Gegen oder um etwas spielen?

Ballspiele

Leistungsdruck

Industrialisierung

Parallelen

Die Qual der Wahl

Lampenfieber

Zwei unterschiedliche Stresstypen

2. IN DER PRAXISFokussieren und Verkrampfen

Motivation

Wer ist ich?

Ist es sogar möglich, die Rollen zu tauschen?

3. GRUNDSCHLÄGEVorhand, Rückhand, Position zum Ball und Bewegung

Fehlerquellen

Antizipation

Kopfarbeit

Schlagfolgen

Zählarten

Fehleranalyse

Selbstgespräche

Spielstände

Liste der Spielstände und Gedanken

Bei wem liegt der Druck? – Scoreboard pressure

Kondition

Vom Training zum Spiel

Dehnen und Strecken. Aufwärmen

Ball werfen und fangen

Ball mit Ball spielen

Einspielen

Volley

Schmetterball (Tafel 12/13/14)

Aufschlag (Tafel 15)

Return (Tafel 16)

Aufwärmübungen für Schauspieler

Atmen

Stimmbänder aufwärmen

Die Zwerchfellatmung

Zwerchfellatmung im Liegen

Zwerchfellatmung im Sitzen

Zwerchfellatmung in anderen Positionen

Crescendo und Decrescendo

Spitze Schreie

4. DAS MATCHDie Aufführung

Das erste Spiel

Aufschlag geht verloren

Der erste Satz

Mentale Kämpfe

Fragen, Zweifel, Antworten

Tiebreak

Satzgewinn, Satzverlust

Korrekturen

Die Entscheidung

Anzeigen

Impressum

Vorwort

Warum macht man manchmal Dinge falsch, die man sonst im Schlaf beherrscht, bloß weil es plötzlich um etwas geht? Und warum macht man oft vieles richtig, nur weil man nicht darüber nachdenkt?

Diese Fragen stellen sich wahrscheinlich Generationen von Menschen, die es sich in irgendeiner Weise zur Aufgabe gemacht haben, ihre Talente und Leidenschaften vor den Augen anderer auszuüben. Sportler, die gewinnen wollen, genauso wie Künstler, die öffentlich bestehen müssen. Sobald die Anwesenheit eines anderen hinzukommt, verändern wir unsere Perspektive auf das Geschehen und betrachten vor allem uns selbst mit Argwohn und Ungeduld. Kleine Fehler werden zu Katastrophen, Sieg oder Niederlage wird zur Schicksalsfrage. Ein seltsamer innerer Stress entsteht in solchen Situationen – aber warum ist das so? Und wie kann man trotzdem bei sich bleiben?

In diesem Buch geht es um die Verbindung zwischen Tennis und Theater. Es geht um die Art und Weise, wie ein Sportler seinen inneren Stress kompensieren muss, um erfolgreich zu sein, und um den Weg, den der Schauspieler wählt, um vor Publikum abzurufen, was die Zuschauer von ihm sehen und hören wollen.

Es geht auch um die Angst vor dem Versagen, um den Mut, vor seinen eigenen, aber auch vor den Ansprüchen der anderen zu bestehen, und um die Frage, warum wir in einer Leistungsgesellschaft leben, die stets von uns verlangt, das Richtige zur richtigen Zeit zu tun. Birgt nicht das Scheitern manchmal sogar mehr Chancen für eine Entwicklung als der Erfolg? Wie können wir unseren eigenen Maßstab zum Richtwert über gut und schlecht machen, ohne dabei in Frustration oder Verzweiflung zu geraten?

Vor allem aber geht es darum zu verstehen, wie wir Menschen manchmal funktionieren.

1. VOR DEM MATCH

Tennis und Theater

Ich spiele nicht besonders gut Tennis, aber ich gebe mir Mühe. Als Kind habe ich lieber Fußball gespielt, und nachdem ich irgendwann aufgehört habe zu kicken, wechselte ich erst zum Badminton und später zum Tennis. In meiner Kindheit galt Tennis als elitärer Sport. Nicht jeder konnte es sich leisten, Mitglied in einem Verein zu werden und sich eine teure Ausrüstung zu kaufen. Zum Tennis gehörten nicht nur die passende Kleidung, sondern auch Manieren und Etikette. Ähnlich wie beim Golf war es nicht jedem gegönnt, in den Genuss dieser feinen Sportart zu kommen.

Deshalb war Fußball eher der Sport der Unterschicht, während Tennis mehrheitlich von Kindern reicher Eltern gespielt wurde. Natürlich kannten auch wir Fußballkinder die Tennisstars, Björn Borg und John McEnroe, auch wir schauten uns selbstverständlich die großen Finale in Wimbledon an und schwärmten für die Ausstrahlung der Spieler. Manchmal spielten wir auch selbst vor unserer Haustür und imitierten dabei die großen Stars. Mit Federballschlägern aus Holz und einem Ball aus Schaumstoff kurbelten wir die Rackets in unseren Händen genauso wie die Profis ungeduldig hin und her, streckten uns zu Aufschlägen und zählten die Punkte, natürlich nur auf Englisch.

Aber eigentlich erschien uns das ganze Spektakel um den gelben Filzball eher als etwas Unerreichbares aus einer anderen Welt. Es hatte mit uns genauso wenig zu tun wie das Umfeld, in dem man sich bewegen musste, um Mitglied in einem Tennisverein zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht als Kind schon begonnen habe, Tennis zu spielen.

Ich habe sehr spät, genauer gesagt erst im Alter von 35 Jahren, angefangen, Tennis zu spielen. Zum einen, weil es inzwischen leichter geworden ist, sich bei einem Verein anzumelden, zum anderen aber auch, weil Tennis, spätestens seit dem großen Boom in den 90er Jahren um Boris Becker und Steffi Graf, mittlerweile zu einer Art Volkssport geworden ist und man heutzutage überall die Möglichkeit hat, günstig zu spielen.

Alles, was man braucht, sind ein Schläger, ein Platz und ein Partner. Ich schreibe ganz bewusst Partner, denn wenn man beginnt, Tennis zu spielen, weiß man noch nicht, wie sehr die eigene Einstellung das Spiel beeinflussen kann und wie aus dem Partner, der einen positiv fordert, schnell ein Gegner wird, der einen angreift und unter Druck setzt.

Aber worum geht es eigentlich beim Tennis, und was ist das Besondere an diesem Sport, der aus meiner Sicht so sehr wie kein anderer von der mentalen Verfassung der Spieler lebt?

Tennis ist vor allem ein Einzelsport, bei dem ein Ball innerhalb vorgegebener Grenzen ins Feld gespielt wird. Das Problem ist, dass der Spielpartner das Gleiche tut, und zwar im besten Fall so, dass er den Punkt gewinnt.

Hier beginnt das Besondere an diesem Spiel.

Anders als bei Mannschaftssportarten steht man sich im Tennis eins zu eins gegenüber, man misst sich nicht nur, indem man versucht, schneller oder genauer als der andere zu sein, man duelliert sich regelrecht, man führt einen psychologisch-physischen Kampf um jeden einzelnen Ball, und gleichzeitig muss man zwei Komponenten auf einmal beherrschen: die Geschicklichkeit, den Ball im Spiel zu halten, und die Aggression, den Partner ans Limit zu bringen und zu Fehlern zu zwingen. Allerdings kann man selbst bei den großen Könnern der Szene immer wieder sehen, dass auch langjährige Erfahrung, ausgefeilte Technik und Siegeswille manchmal nichts nützen, wenn man einen schlechten Tag erwischt und dem Partner einfach alles gelingt, während man selbst die einfachsten Schläge und Bewegungen nicht mehr zustande bringt. Obwohl Sie kaum Fehler machen, gleitet Ihnen das Spiel allmählich aus der Hand. Sie werden ungeduldig und wechseln von einer Idee zur anderen, Sie verlieren mehr und mehr die Kontrolle, und am Ende schmeißen Sie frustriert den Schläger in die Ecke und schwören sich, nie wieder ein Match zu bestreiten.

Es muss also ein ideales Gleichgewicht zwischen Aufmerksamkeit und Entspannung, offensiv und defensiv, kontrolliertem Spiel und Intuition geben, damit Sie ohne großartige Anstrengung an Ihr Ziel gelangen.

Tennis als Komplettspiel

Wie man dieses Ziel erreicht, ob es dazu eine Anleitung gibt, ist bis zum heutigen Tag selbst den erfahrensten Profis ein Rätsel geblieben. Aber immerhin gibt es Stellschrauben, die man an seinem Spiel verändern kann, um herauszufinden, wie man bestimmte Situationen besser meistern kann – oder wie man damit umgeht, dass man bestimmte Dinge vielleicht niemals erreicht. Denn vor allem geht es darum, den Spaß an diesem Sport zu entdecken und zu erleben. Viele Menschen verlieren in ihrem Ehrgeiz aus den Augen, dass Sport auch Entspannung bedeutet und die Probleme und Krisen des Lebens nicht auf dem Spielfeld gelöst werden können. Auch wenn das Erfolgserlebnis auf dem Platz manchmal im wahren Leben beflügeln kann und man sein Selbstbewusstsein daraus bezieht, dass man ein guter Spieler ist, so bleibt die größere Herausforderung, mit den Niederlagen des Lebens umgehen zu können und dieses vielleicht sogar exemplarisch am Spiel zu erlernen. Gerade diese Einstellung zu Sieg und Niederlage führt dazu, dass man lockerer wird und die Spiele nicht als ultimative Entscheidung betrachtet, sondern jedes Spiel als Teil eines fortschreitenden Lernprozesses sieht. Man lernt, die kleinen Fortschritte zu erkennen und zu schätzen, statt sich nur an den Ergebnissen messen zu lassen.

Natürlich gewinne auch ich gern ein Tennisspiel, aber ich habe akzeptiert, dass man nicht immer gewinnen kann, und gerade das ist aus meiner Sicht der Schlüssel zum Erfolg, wenn man dauerhaft Spaß an dieser Sportart haben will.

Eigentlich handelt es sich beim Tennis um einen taktischen Kampfsport, bei dem es vor allem darum geht, den anderen zu Fehlern zu zwingen, ihn auszustechen und es ihm so unmöglich zu machen, das Spiel zu bestimmen.

Gerade diese Mischung macht das Spiel zu einer besonderen Herausforderung, denn anders als zum Beispiel bei anderen Kampfsportarten, bei denen Kraft und Überlegenheit entscheidend sind, oder bei Mannschaftssportarten, bei denen einem seine Mitspieler zur Seite stehen, ist der Tennissport vor allem eine Auseinandersetzung mit sich und seiner Psyche, und die spielt einem gern dann einen Streich, wenn es auf etwas ankommt. Denn oft verhält sich die Spielrealität im Tennis anders zur Trainingsrealität. Ist man ein guter Trainingsspieler, so heißt das noch lange nicht, dass man auch ein guter Turnier- und Wettbewerbsspieler ist. Sobald das kompetitive Element hinzukommt, verändert sich das Spiel grundlegend, und das, was man vorher aus dem Stand beherrschte, scheint plötzlich verschwunden zu sein. Der Faktor Aufregung wird zur unberechenbaren Komponente.

Nur wenn es gelingt, das im Training erlernte Spiel in den Wettbewerb zu übertragen und den Umschaltprozess zwischen den beiden Versionen so schnell wie möglich zu vollziehen, kann man auf Dauer seine Fertigkeiten effektiv einsetzen. Und dazu gehört auch die mentale Auseinandersetzung mit sich selbst. Tennis ist zugleich auch immer ein innerer Prozess und der Versuch, seinen Verstand so weit auszuschalten, dass die Abläufe, die man zuvor automatisiert hat, ins Unterbewusstsein wandern und dort, besonders in Drucksituationen, abgerufen werden können, ohne dass man dafür mehr Aufwand betreiben muss, als sich zu konzentrieren, sich auf seine Fähigkeiten zu verlassen und seine Ängste vor einer Niederlage zu vergessen.

Die Regeln des Tennisspiels sind denkbar einfach. Es gibt weder Abseits, noch gibt es Fouls und Elfmeter. Es wird einfach Punkt für Punkt gezählt, und wer als Erster eine bestimmte Anzahl an Punkten erreicht, der gewinnt. Aber gerade das macht den Reiz dieser Sportart aus. Ein Tennisspieler muss in jedem Augenblick voll präsent sein, jeder Ballwechsel im Matchverlauf ist entscheidend. Doch nicht nur das Match an sich, sondern auch die innere Haltung und die Idee des Spiels, das man an diesem Tag vor sich hat, sind ausschlaggebend über Sieg oder Niederlage. Geht man bereits mit der Ahnung und der Angst auf den Platz, dass es schiefgehen könnte, oder mit der Gewissheit, dass es gut laufen wird? Zumal zur gleichen Zeit, in der man diesen inneren Kampf mit sich austrägt, ein Partner auf der anderen Seite des Spielfelds steht, der genau die gleiche Aufgabe zu bewältigen hat und mit aller Gewalt verhindern will, dass wir unser Ziel erreichen.

Warum spiele ich?

Spielen ist so alt wie die Menschheit. Ob mit Gegenständen um etwas, oder gegen etwas um Gegenstände, Spielen unterhält nicht nur, sondern bereitet zugleich auch auf den Ernst des Lebens vor. Tierjunge spielen, um zu lernen, wie sie jagen. Sie balgen und toben, werfen sich auf ihre Geschwister wie auf ihre spätere Beute.

Auch wir Menschen erlernen durch das Spiel Fähigkeiten, die uns gut durchs Leben manövrieren. Das Kleinkind bekommt eine Rassel geschenkt, um seine Sinne zu schärfen und seinen Tastsinn auszubilden. Es lernt durch das Spiel zu verstehen, und gleichzeitig entwickelt es einen Sinn für sich und seine Umwelt. Das solitäre Spielen des Kindes mit seiner Rassel ist nichts anderes als das Herumtoben eines Katzenkindes mit einem Bündel Wolle. Neben dieser edukativen Form des Spieltriebs gibt es noch viele andere Formen der spielerischen Auseinandersetzung des Menschen mit sich und seiner Umgebung. Vor allem im Wettbewerb bildet der Mensch einen Bezug zu sich und seinem sozialen Kontext. Er lernt, zu riskieren, abzuwägen und zugleich sein Wissen und seine Talente für sich zu nutzen, um so den größtmöglichen Erfolg zu erreichen – etwa den Sieg in einem Tennismatch.

Mit dem partnerschaftlichen Spielen wird zudem ein Aspekt trainiert, der in verschiedenen Formen des späteren Lebens eine große Bedeutung bekommt: die Auseinandersetzung mit einem anderen.

Der Spiel-Begriff ist weit zu fassen. Es gibt viele Arten von Spielen. Brettspiele wie Backgammon oder Schach, deren Vorgänger bereits vor vielen Jahrtausenden gespielt wurden, Kartenspiele, die sich über die Jahrhunderte hinweg über alle Kulturen verbreitet haben, Ballspiele, Geschicklichkeitsspiele bis zu den Gesellschaftsspielen heutiger Tage.

Auch ein Schauspieler spielt eine Rolle. Spielen ist also eine Tätigkeit, die der Realität zwar ähnelt, sie aber lediglich nachstellt. Ein Spiel ist niemals »echt«, es ist immer nur ein Abbild der Realität. Indem wir spielen, verstehen wir uns und das Leben. Durch das Spiel erlernen wir nicht nur zu überleben, wir geben dem Leben auch eine weitere Facette hinzu. Wir verstehen und begleiten es durch eine vereinfachte Form.

Gegen oder um etwas spielen?