Mathe ist übertrieben hässlich, Frau Bachmayer - Amelie Bachmayer - E-Book

Mathe ist übertrieben hässlich, Frau Bachmayer E-Book

Amelie Bachmayer

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Beschreibung

"Was wollt ihr denn mal werden?" - "Hartz IV. Vom Amt lebt sich bestens! Ich sprech da aus Erfahrung", sagt Victor und grinst frech. Der Rest der Klasse ist sofort angestachelt: "Was geben Sie Hausaufgaben auf? Bringt doch nix." - "Und wieso ham wir freitags in den letzten beiden Stunden noch Unterricht? Lassma bisschen mit dem Handy daddeln und chillen." Ich dachte, dass ist eine Realschulklasse, dabei studieren die jetzt schon auf Hartz IV. Frau Bachmayer erzählt mit einem Faible für Situationskomik von verstaubten Kollegen, WTF-Momenten im Klassenzimmer und planlosen Eltern. Wahre Geschichten aus dem völlig abgedrehten Schulalltag. »Was wollt ihr denn mal werden?« — »Hartz IV. Vom Amt lebt sich bestens! Ich sprech da aus Erfahrung«, sagt Victor und grinst frech. Der Rest der Klasse ist sofort angestachelt: »Was geben Sie Hausaufgaben auf? Bringt doch nix.« — »Und wieso ham wir freitags in den letzten beiden Stunden noch Unterricht? Lassma bisschen mit dem Handy daddeln und chillen.« Ich dachte, das ist eine Realschulklasse, dabei studieren die jetzt schon auf Hartz IV. Frau Bachmayer erzählt mit einem Faible für Situationskomik von verstaubten Kollegen, WTF-Momenten im Klassenzimmer und planlosen Eltern. Wahre Geschichten aus dem völlig abgedrehten Schulalltag.

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Das Buch

»Was wollt ihr denn mal werden?« — »Hartz IV. Vom Amt lebt sich bestens! Ich sprech da aus Erfahrung«, sagt Victor und grinst frech. Der Rest der Klasse ist sofort angestachelt: »Was geben Sie Hausaufgaben auf? Bringt doch nix.« — »Und wieso ham wir freitags in den letzten beiden Stunden noch Unterricht? Lassma bisschen mit dem Handy daddeln und chillen.« Ich dachte, das ist eine Realschulklasse, dabei studieren die jetzt schon auf Hartz IV. Frau Bachmayer erzählt mit einem Faible für Situationskomik von verstaubten Kollegen, WTF-Momenten im Klassenzimmer und planlosen Eltern. Wahre Geschichten aus dem völlig abgedrehten Schulalltag.

Die Autorin

Amelie Bachmayer ist Mitte 30 und Lehrerin. Sie liebt ihren Job – aber natürlich gehen ihr ihre Schüler und Kollegen auch mal richtig auf den Keks. Dann lenkt sie sich mit Zumba, Wochenendtrips mit ihren Mädels und dem Smartphone ab. Seit Anfang 2015 bloggt sie bei bild.de über ihren Schulalltag.

Amelie Bachmayer

Mathe ist übertrieben hässlich, Frau Bachmayer

Eine Lehrerin zwischen den Stühlen

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-1299-6

© 2016 © 2016 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic®, München

E-Book: L42 AG, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Vor der ersten Stunde

Wir Lehrer haben eine ganz eigene Zeitrechnung. Nach unserem Verständnis besteht das Schuljahr im Wesentlichen aus vier Ferieneinheiten, die durch lange und stressige Arbeitswochen unterbrochen werden, von denen man sich in der knapp bemessenen Freizeit kaum erholen kann. Im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung rechnen Lehrkräfte nicht nur anders, sondern sie wissen auch alles besser. Ein recht eigenwilliges und skurriles Völkchen.

Ich bin eine von ihnen: Amelie Bachmayer, 35 Jahre alt, Single, Realschullehrerin. Ich gehe immer noch gerne zur Schule und habe zu meinen Schülern einen guten Draht. Mit der Mehrzahl der Eltern und Kollegen komme ich ebenfalls gut klar. Allerdings bestimmen auch hier Ausnahmen die Regel, und die haben es dann in sich.

Frisch erschöpft

Mann war das geil! Fast sechs Wochen Sommerferien. Da wird mir wieder bewusst, warum ich ursprünglich Lehrerin geworden bin.

Nach zwei Wochen Toskana mit meiner Tante und einer Woche Mallorca mit meiner Freundin und Kollegin Steffie bin ich einigermaßen erholt.

Der Rest der Ferien verging wie im Flug. Und nun ist das Ende nah. In drei Tagen werde ich wieder vor der Klasse stehen. Ich spüre ein leichtes Kribbeln im Bauch. Eine Mischung aus Vorfreude und Besorgnis. Einerseits freue ich mich darauf, einige meiner Kollegen und die Schüler aus meiner Klasse wiederzusehen, andererseits weiß ich, dass viele Probleme aus dem letzten Schuljahr mich auch in diesem wieder begleiten werden.

In der letzten Nacht vor Schuljahresbeginn schlafe ich immer schlecht. Ein Grund dafür ist natürlich der Rhythmuswechsel. Um halb sieben klingelt plötzlich wieder der Wecker.

Um sich allmählich an die Zeitumstellung zu gewöhnen, hat uns die Schulleitung freundlicherweise zwei Präsenztage vor Schuljahresbeginn aufgedrückt. Wer mag, kann da auch schon Unterricht vorbereiten, aber wer macht das schon?

Zwiegespalten betrete ich am Montagmorgen das Schulgebäude, einen grauen Betonbau aus den 70er Jahren. Glücklicherweise im Grünen, sonst wäre es in diesem Gemäuer kaum auszuhalten.

Lange Zeit war es ein Schulzentrum, bestehend aus Haupt- und Realschule, wobei es für jede Schulform eine eigene Schulleitung und eigene Klassentrakte gab. Auch die Lehrerzimmer waren strikt getrennt. Die elitären Realschullehrer wollten mit den Hauptschullehrern auf keinen Fall etwas zu tun haben. Vor drei Jahren wurden dann im Rahmen einer Reform die Schulformen zusammengelegt. Das sah so aus, dass Realschullehrer und Hauptschullehrer an getrennten Tischen saßen und nur miteinander sprachen, wenn nötig.

Mittlerweile hat sich viel geändert. Es gab eine große Pensionierungswelle und neue jüngere Kollegen kamen dazu. Jetzt heißen die Schulen Oberschulen, ein völlig irreführender Begriff, denn unter den Oberschulen kommt nichts. Die Oberschule ist eine Restschule. Wer es nicht aufs Gymnasium oder die Integrierte Gesamtschule geschafft hat, landet bei uns. In den Klassen 5 und 6 werden noch alle Schüler zusammen unterrichtet. Ab Klasse 7 trennen wir dann in Haupt- und Realschulzweig.

Bei der Dienstbesprechung in unserem nun einheitlichen Lehrerzimmer blicke ich in lauter frische und gebräunte Gesichter. Beinahe fröhlich begrüße ich meine Kollegen: »Na, habt ihr euch gut erholt?«

Prompt erhalte ich Standardantworten wie: »Na ja, es geht so. Die Ferien hätten ruhig noch drei Wochen länger gehen können«, oder: »Ich habe gerade angefangen, mich zu erholen, und schon geht es wieder los«.

Bevor mich die jammernden Kollegen zu sich runterziehen, stürze ich mich auf das Frühstücksbuffet. Das gibt es leider nur zu Schuljahresbeginn, bezahlt aus der schwarzen Kasse der Schulleitung, sollte aber zum täglichen Angebot gehören.

Mit ein paar belegten Brötchen setze ich mich an meinen Tisch. Auf meine Tischgruppe habe ich mich am meisten gefreut. Neben mir sitzt Steffie, meine Lieblingskollegin. Sie ist im Personalrat und darum immer auf dem neuesten Stand, was den aktuellen Klatsch und Tratsch im Lehrerzimmer betrifft. Links von mir sitzt Werner, ein Alt-68er, der stets gelassen bleibt und für jeden Schüler Verständnis hat. Gegenüber lächelt mich Roswitha warmherzig an. Sie ist die gute Seele am Tisch und sorgt für ständigen Süßigkeitennachschub. Neben ihr kaut unsere Biotante Frau Hermann ihre Ökomöhrchen und mitgebrachten Dinkelkekse. Da sich ihre Gespräche immer nur um Schule drehen, reduzieren sich meine Konversationen mit ihr zumeist nur auf »Hallo« und »Tschüs«. Dann gibt es noch Menke, unseren leicht aufbrausenden Kollegen, der unter den Schülern eher als der »Giftzwerg« bekannt ist und den arroganten Seminarleiter Krautmann, der bei uns am Tisch auch als der »Dienstagsmann« betitelt wird. Denn schließlich ist er nur dienstags in der Schule, während er nach eigener Aussage die restlichen Tage mit ganz wichtigen Unterrichtsbesuchen und Seminarveranstaltungen verbringt. Dabei sieht man ihn häufig mit jungen Damen im Café sitzen: »Dienstgespräche« mit seinen Referendarinnen.

Mein Wunsch nach einem gemütlichen Tischfrühstück wird zerstört, als Menke lautstark zu schimpfen beginnt: »Ach du Schande, ich hab 28 Schüler bekommen und einer davon ist Leon aus der 6b.«

»Den hast du bekommen?«, fragt Frau Hermann entsetzt.

»Pass bloß auf, der ist so was von faul, und die Mutter ist total anstrengend.«

Mitleidig schütteln alle am Tisch die Köpfe. Bevor ich etwas dazu sagen kann, tippt mich Steffie an: »Und? Hast du neue Klassen?«

Ich schiele auf meinen Einsatzplan. Ehrlich gesagt hatte ich bis jetzt noch keinen Blick drauf geworfen. Schließlich war ja klar, dass ich meine Zehnte in Englisch und Deutsch als Klassenlehrerin zu Ende führe.

Daran hatte sich auch nichts geändert, aber: »Shit, ich muss Englisch in einer Fünften unterrichten!«

Nun schauen mich alle mitleidig an. Niemand, aber auch wirklich niemand, will eine Fünfte unterrichten. Die fünften Klassen sind nervig, laut und kaum auszuhalten. Völlig undiszipliniert. Mit Kuschelpädagogik kommt man da nicht weit.

Zudem soll ich in der 8b Deutsch und Erdkunde unterrichten. Dabei hab ich von Erdkunde keinen blassen Schimmer. Das bedeutet, ich brauche dringend das aktuelle Lösungsheft zum Buch.

»Hast du denn schon deinen Unterricht vorbereitet?«, fragt Steffie mich vorsichtig. Ich schüttele nur den Kopf.

»Aber du hast doch nur drei Wochen, bis die 8b im Praktikum ist, da musst du doch die Arbeiten schon bald eintragen!«

Menke schaut mich streng an. »Das wird ein verdammt kurzes Schuljahr!«

Kaum eine halbe Stunde hier, schon fühle ich mich wieder völlig gestresst. Dabei schien ich beim Betreten des Lehrerzimmers noch allen Herausforderungen gewachsen. Doch nun ist alles irgendwie wieder wie vor den Ferien. Überall wird gejammert und gemeckert –, dabei sind die Schüler noch gar nicht da.

Die Dienstbesprechung verläuft wie gewohnt langweilig. Tausend Ankündigungen der Schulleitung. Der Terminplan für die nächsten Wochen ist rappelvoll. Das meiste könnte man sich sparen, wenn sich alle hier auf ihr Kerngeschäft konzentrieren würden, nämlich den Schülern etwas beizubringen. Zum Glück habe ich mein Tablet dabei. Wie lang dauert es denn noch bis zu den Herbstferien? Auweia, sechs ganze Wochen! Das wird hart. Ich schaue rüber zu Steffie. Die surft auch gerade im Internet und lächelt.

Ich raune ihr zu: »Na, wo wollen wir denn in den Herbstferien hinfahren?«

Sie zwinkert: »Ich hab gehört, auf Gran Canaria soll's im Herbst noch schön warm sein.« Das klingt gut, schnell tippe ich es bei Google ein.

»Vorher machen wir auf der Klassenfahrt aber noch Berlin unsicher!«, flüstere ich ihr zu.

Aller Anfang ist …

Nach dem vielen Regen der letzten Tage scheint heute natürlich die Sonne, ich beschließe, zur Schule zu radeln. Auf dem Schulhof winken mir schon die ersten Schüler aus meiner Klasse zu.

»Hey, Frau Bachmayer, mit dem Fahrrad?«

»Morgen, Frau Bachmayer.«

»Läuft bei Ihnen?«

»Hatten Sie schöne Ferien?«

Fröhlich winkend verschwinde ich im Fahrradkeller.

Zu Beginn eines neuen Schuljahres herrscht im Lehrerzimmer immer besonders viel Wirrwarr. Nach einer allgemeinen Reinigungsaktion steht nichts mehr an seinem üblichen Platz. Wer vor den Sommerferien nicht sein gesamtes Material, das sich auf den Tischen türmte, mitgenommen hat, kann jetzt zusehen, wie er alles wiederfindet.

Außerdem gibt es ein zusätzliches Problem, das sich auch jedes Jahr in ähnlicher Form wiederholt. Einige Kollegen sind nicht mehr da, weil sie die Schule gewechselt haben oder pensioniert worden sind, andere sind dafür gekommen. Es gibt wenige höfliche Kollegen, die zunächst fragen, wo sie sich hinsetzen können. Die meisten aber setzen sich einfach auf den nächsten freien Stuhl. Das führt natürlich zu Konflikten.

Eine eher unscheinbare Kollegin mittleren Alters hat sich auf Menkes Stuhl gesetzt. Er ist schon lange an der Schule und hat natürlich seinen Stammplatz. Er baut sich vor der Kollegin auf und blickt sie zornig durch seine Hornbrille an. Mit seinen dicken Wurstfingern deutet er auf den besetzten Stuhl.

»Das ist mein Platz!«, keift er sie an, packt die Stuhllehne und hält sich daran fest.

Im Lehrerzimmer wird es schlagartig leise, und plötzlich sind alle Augen auf Menke und die neue Kollegin gerichtet.

Erschrocken springt die Kollegin auf. »Mir wurde gesagt, hier im Lehrerzimmer gibt es keine festen Plätze.«

Im Hintergrund kichern ein paar Kollegen.

Langsam lockert der Giftzwerg seinen festen Handgriff und lässt die Stuhllehne wieder los. Als ihm bewusst wird, dass er einen ganz schönen Aufriss um eine eher kleine Sache gemacht hat, versucht er, zurückzurudern.

Schuldbewusst verschränkt er die Arme vor seiner Brust und sagt leise: »Ja, eigentlich ist das so, aber hier sitze nun mal ich.« Dabei betont er das »hier«, denn wo er recht hat, hat er recht.

Verdattert zieht die neue Kollegin weiter an den nächsten Tisch, um dort etwas verunsichert nach einem freien Sitzplatz zu fragen.

Steffie grinst ihn spöttisch an. »Gleich am ersten Schultag wieder einen auf dicke Hose machen, was?«

Ich beobachte das Ganze teilnahmslos. Meine Motivation ist gleich null. Wie erwartet habe ich in der Nacht kaum ein Auge zugemacht und keine Lust, gleich vor der Klasse zu stehen. Eigentlich müsste ich meine Zehnte gleich begrüßen, aber die Klassenlehrerin der 5a hat es vorgezogen, schon am ersten Schultag krank zu sein – angeblich eine Migräneattacke.

Kurz bevor ich in meine Klasse stiefeln will, fängt mich der Konrektor ab.

»Du, Amelie, kannst du dich um die 5a kümmern? Wir haben sonst niemanden, der das machen kann. Die Zehnte kann auch mal 'ne Stunde allein bleiben. Gib denen einfach 'ne Aufgabe. Dir wird schon was einfallen.«

Verwirrt schaue ich ihn an, aber bevor ich Einspruch erheben kann, ist er auch schon verschwunden. Jetzt habe ich gleich zwei Klassen am Hals. Mit der Zehnten gibt es kein großes Problem. Die sind froh, dass sie ihre Ruhe haben. Ich lasse sie mit dem Auftrag zurück, ihr schönstes Ferienerlebnis aufzuschreiben. Danach eile ich ein Stockwerk tiefer, wo die jüngeren Schüler untergebracht sind.

Schon auf dem Flur vor der Klasse kommen mir die schreienden kleinen Monster entgegen.

»Sam hat mich geschlagen!«

»Kim hat mich Hure genannt!«

»Opfer, polier isch Fresse!«

Ich nehme mir vor, den Schülern freundlich zu begegnen und mich ihnen positiv zuzuwenden. Aber spätestens beim Betreten des Klassenraums sind meine guten Vorsätze verpufft. Da wird geschrien, gepöbelt, gepetzt und geschlagen. Also stehe ich vor der Klasse und warte erst mal, ob die Schüler mich registrieren und zur Ruhe kommen – wie naiv von mir.

Der oberschlaue Seminarleiter Krautmann empfiehlt mir in solchen Situationen allen Ernstes spezielle Handzeichen wie zum Beispiel das Stille-Zeichen. Meine Schüler finden das zum Brüllen komisch. Als Nächstes versuche ich es mit dem gesamten pädagogischen Repertoire, das die Gurus bei meiner letzten Fortbildung abgeseiert haben. Verdammte Theoretiker! Es fruchtet alles nichts.

In solchen Momenten könnte ich jegliche pädagogische Maßnahme zum Mond schießen und einfach nur sinnlos herumbrüllen. Darf ich aber nicht.

Da kommt mir plötzlich die Erleuchtung. Im letzten Schuljahr hatte ich eine WhatsApp-Gruppe für meine Klasse eingerichtet. Also schicke ich ihnen einen Morgengruß aufs Smartphone. Die Schüler gucken interessiert, und als ich ein paar passende Arbeitsaufträge nachliefere, fangen die ersten tatsächlich an zu arbeiten. Unser Thema: Die coolsten Sprüche bei Facebook. Alles individualisiert, differenziert, kompetenz- und schülerorientiert aufbereitet. Und plötzlich wird es in der Klasse leise. Sollen sich doch die Eltern nachher über die Nutzung der Handys im Unterricht beschweren. Manchmal sind eben doch die unpädagogischen Maßnahmen die besseren, denke ich zufrieden und entspanne mich etwas. Heute Mittag kann ich auf meine Yogamatte zum Runterkommen und zwei Tafeln Schokolade als Nervennahrung verzichten. Als ich auf mein Smartphone schaue, steigt meine Laune merklich. 23 Nachrichten von meinen Schülern. Sie finden meinen Unterricht geil.

… Keksverlust

Nachdem ich mich in den nächsten beiden Stunden in meiner Zehnten ein wenig vom morgendlichen Stress erholt habe, ist es mir tatsächlich gelungen, für die vierte Stunde einen Fachlehrer ohne eigene Klasse aufzutreiben, der mich vertritt. Auf diese Weise komme ich in den Genuss einer Freistunde, die ich allerdings gleich zum Kopieren von Unterrichtsmaterialien nutzen muss. Im Anschluss noch schnell ins Lehrerzimmer, um mir – vor dem großen Ansturm der Kollegen auf die Kaffeemaschine – einen Latte zu ziehen.

Noch bevor es zur Pause geklingelt hat, trudeln bereits die ersten Kollegen im Lehrerzimmer ein.

Mit dem Pausengong erscheint auch Steffie, die sich schnurstracks zu ihrem Platz begibt, den Deckel ihrer Keksdose hochreißt und laut aufschreit: »Wer hat meine ganzen Kekse weggefressen? Das kann doch gar nicht sein, die waren doch vor 'ner Viertelstunde noch da!« Sichtlich gestresst braucht sie die Nervennahrung dringender denn je.

»Woher willst du das denn wissen? Hattest du nicht Unterricht?«, grinse ich sie an.

»Äh«, sie zögert einen Moment, und dann platzt es aus ihr heraus, »ich war ja nur mal kurz im Lehrerzimmer, um ein paar Materialien für meine bescheuerten Schüler zu holen. Dabei habe ich mir für den Weg noch schnell einen Keks genommen, und nun ist die Keksdose leer. Das ist doch eine Riesensauerei! Man kommt ausgehungert aus dem Unterricht, und dann das. Ich könnte denjenigen umbringen!«

Wütend schaut Steffie in die Runde. Ihr Blick bleibt an mir hängen.

»Hattest du nicht 'ne Freistunde?«

Ich fühle mich ertappt. Dabei habe ich nur zwei Kekse auf dem Weg zum Kopierraum genascht.

»Nee, ich hab nur zwei Stück gegessen und war danach kopieren.«

»Also, wer kann es dann gewesen sein?«

Am Tisch erscheint Roswitha, die ihren Unterricht mal wieder endlos überzogen hat und erst jetzt in die Pause kommt.

»Ich glaub, ich hab da so 'ne Ahnung.«

Alle schauen Roswitha gespannt an.

»Vorhin musste ich noch mal kurz ins Lehrerzimmer, und wisst ihr, was ich da beobachtet habe?«

»Nee, nun erzähl schon.«

»Also, ich gehe zu meinem Fach, um ein paar Bücher für meinen Unterricht zu holen. Neben meinem Fach ist doch das Schließfach vom Krautmann.«

»Hat der überhaupt ein Fach? Der ist doch nie hier.«

»Wer ist denn überhaupt dieser Krautmann?«, fragt eine der neuen Kolleginnen.

»Das ist so ein Fuzzi vom Studienseminar. Der hält sich für was Besseres, fliegt hier einmal in der Woche ein, klopft kluge Sprüche, setzt sich an irgendeinen Tisch, schaufelt die Kekse weg und ist auch gleich wieder verschwunden.«

»Aber was ist jetzt mit dem Krautmann?«

»Ihr werdet es nicht glauben. Sein Fach stand einen Spalt auf, und wisst ihr, was ich gesehen habe?«

»Nein, nun sag doch endlich. Mach's nicht so spannend.«

»In seinem Schrank lagen mindestens fünf verschiedene Kekspackungen und eine große Keksdose.«

»Dieses Schwein! Frisst anderen die Kekse weg und bunkert selbst welche in seinem Schrank.«

»Na warte, wenn ich den erwische. Wo ist sein Fach?« Schnurstracks läuft Steffie hinter Roswitha her, greift in das offene Fach und holt eine ungeöffnete Packung Kekse heraus. Mit einem Ruck reißt sie diese auf und verteilt sie auf dem Tisch.

»Bitte, bedient euch.« Sie lächelt schelmisch und stopft sich schnell eine Handvoll davon in den Mund. Damit ist die Pause gerettet. Da wir noch keinen festen Stundenplan haben, ist heute zum Glück schon nach der fünften Stunde Schluss. Für den Anfang reicht das auch völlig.

Härter als Fack ju Göthe

In der kommenden Nacht schlafe ich schon etwas besser. Relativ ausgeruht betrete ich das Schulgebäude. Ich nehme nur am Rande wahr, dass sich einige Kollegen über den Vertretungsplan aufregen, denn ich bin diesmal nicht davon betroffen. Gut gelaunt begebe ich mich in meine Klasse.

Nachdem wir gestern nur organisatorische Dinge besprochen haben, können wir heute endlich unser Unterrichtsgespräch über die schönsten Ferienerlebnisse führen. Geschrieben haben meine Schüler natürlich nichts. Dennoch hege ich die leise Hoffnung, dass sie, nun in der zehnten Klasse angekommen, endlich bereit sind, mal etwas für die Schule zu tun und nicht nur Chillen und das neue Smartphone im Kopf haben.

Also frage ich in die Runde: »Und, was habt ihr so in den Ferien gemacht?«

»Gechillt.«

»Geschlafen.«

»Freunde getroffen.«

»Nichts.«

Damit ist das Unterrichtsgespräch auch schon beendet.

Da ich sonst keinen Unterricht vorbereitet habe und die Schüler auch noch keine Bücher haben, versuche ich, einen kreativen Schreibprozess in Gang zu bringen. Angesichts des schönen Wetters gehen wir raus und machen uns auf den Weg zu einem in der Nähe gelegenen Ententeich. Die Schüler sollen sich von der Umgebung inspirieren lassen und dann überlegen, was in dieser Umgebung alles passieren könnte. Vom Mordfall bis zur Liebesgeschichte ist alles erlaubt. Die Schüler sammeln ihre Ideen zunächst in Gruppen und schreiben dann in Einzelarbeit ihre Geschichten. Gelungener Unterricht.

Kurz vor Beginn der vierten Stunde kommt mein Schulleiter mit drei schüchtern dreinblickenden jungen Frauen auf mich zu.

»Frau Bachmayer, Sie haben drei Praktikantinnen von der Uni. Können die jetzt gleich schon hospitieren?«

Na klar, warum nicht? Können sie gleich mal in den tatsächlichen Schulalltag reinschnuppern. Dafür eignet sich die 8b, in der ich anschließend Unterricht habe, ganz wunderbar.

Summer, Jaqueline, Romy, Bahir, Pascal, Tyler, Kimberly, Yasin und Co. mustern die Neuen interessiert, die Jungs pfeifen beim Anblick der blonden Praktikantin. »Aufstehen«, sage ich streng.

»Aber selbstverständlich, Frau Bachmayer«, säuselt Tyler und zwinkert mir zu.

Kaum haben sich die Praktikantinnen auf ihren Stuhl fallen lassen, beginnt der alltägliche Wahnsinn. Leon kippelt wie wild mit seinem Stuhl hin und her, die Mädchen holen ihr Haarspray und ihre Schminkspiegel hervor, und Tyler spielt mit Papierkügelchen und einem selbstgebastelten Korb an der Tafel Basketball.

»Haltet alle die Fresse!«, schreit Damian als Klassensprecher herum und schubst Tyler gegen die Wand.

»Ey, du Vollpfosten!«

»What the fuck?!«

»LOL!«, schreien die anderen.

»Setz dich nach deinen Platz! Frau Bachmayer hat gesagt, wir sollen uns beneeehmen!!!«, ruft Joyce und sprüht sich dabei mit billigem Deo ein.

Ich habe währenddessen bereits fünf Namen an die Tafel geschrieben. Als Nächstes erfolgt der Rauswurf, was die Klasse meistens wenig bis gar nicht interessiert. Zu meiner Erleichterung beruhigen sie sich etwas, und ich kann mit meinem Einstiegsbild fortfahren. Aufgabe: Was seht ihr auf dem Bild?

»Ist das 'ne Straßennutte, Frau Bachmayer?«

»Ich glaub, die hat 'ne Line gezogen.«

»Ey, Devin so wie letztes Wochenende, weißt noch? Wir beide … Das war hamma!«, grölt Tyler und haut Pascal mit der flachen Hand auf den Rücken.

Ich schicke Tyler vor die Tür und Pascal in die Klasse nebenan. Als ich wieder in die Klasse komme, ist der ganze Boden vor dem Pult nass. Die Jungs haben mit ihren Trinkflaschen Fußball gespielt, die Mädchen glotzen konzentriert auf ihre Handys.

»Nun ist Schluss!«, schreie ich. »Hefte raus, es wird abgeschrieben!« Leider besitzen nur wenige der Schüler ein Heft oder wenigstens einen Stift. In den Taschen der Mädchen – hauptsächlich gefälschte Designertäschchen – befinden sich nur Kajal, Lipgloss, Haarbürsten, Kaugummi, Spiegel und das Smartphone. Zum Glück hat Luna einen Block dabei und verteilt bereitwillig Papier. Die Schüler stöhnen lauthals.

»Was denn los, Frau Bachmayer, warum haben Sie so schlechte Laune? Wir ham' doch nix verbrochen!«

Ich bleibe hart, und nach kurzer Zeit herrscht endlich mal so etwas wie Stille. Nach der Stunde schauen mich die drei Praktikantinnen völlig schockiert an.

»Sind die immer so?«

»Ja, meistens«, antworte ich betont gelassen.

Alle drei schütteln entsetzt die Köpfe.

»Das ist ja schlimmer als bei Fack ju Göthe!«

»Yep«, denke ich, »willkommen in der Praxis!«

Nach zwei Stunden Deutsch in einer ruhigen siebten Klasse ist auch der zweite Schultag überstanden. Zum Glück ist es jetzt erst halb zwei, und ich kann meinen wohlverdienten Mittagsschlaf auf dem Sofa genießen.

Kleptomanische Kollegen klauen Klopapier

Neben meinen lieben Kollegen und der Schulleitung gibt es an unserer Schule natürlich auch noch anderes Personal. Eine wohltuende Abwechslung bietet dabei unser Schulassistent Herbert.

Herbert ist wahrlich kein Hektiker. Er ist auch der Einzige in einem Umfeld von nervösen Hysterikern, der eine 40-Stunden-Woche hat. Wenn unsere verpeilte Kollegin Schultze-Klarmann in letzter Sekunde vor ihrem Unterricht einen Stapel von Arbeitsblättern kopiert haben möchte oder im PC-Raum mal wieder alles abgestürzt ist und nur der Schulassistent helfen kann, bleibt er entspannt und löst alle Probleme sofort und ohne viel Aufhebens.

Ohne ihn läuft an unserer Schule gar nichts. Sein Büro mit angeschlossenem Technikraum für Drucker, Fotokopierer und diverse Medien ist normalerweise eine Oase der Ruhe.

Als ich heute Morgen sein Reich betrete, ist dort allerdings die Hölle los.

Frau Molke-Schwarzbach keift herum: »Wo ist die große Schere, die hier sonst immer liegt?«

Menke steht kurz vor seinem üblichen cholerischen Anfall: »So ein Scheiß! Kein Druckerpapier. Keine Sau legt hier jemals neues Druckerpapier nach.«

»Und wo ist das Tonpapier, das ich für meine Collagen brauche?«, flucht die Kunstkollegin vor sich hin.

Zu allem Übel kommt auch noch der Konrektor herein und beschwert sich: »Kein Klopapier auf der Lehrertoilette. Zum Glück habe ich es noch rechtzeitig bemerkt.«

Herbert lehnt sich in seinem Schreibtischsessel gemütlich zurück und lacht sich halb tot.

»Das Klopapier hat jemand geklaut! Erst gestern ist eine Palette mit Klopapier angeliefert worden.«

»Und das Druckerpapier scheint ja auch weg zu sein«, giftet Menke. »Und was ist mit der großen Schere?«

Es gongt, und plötzlich sind alle verschwunden. Ich habe zum Glück erst zur zweiten Stunde und noch ein wenig Zeit zum Plaudern. Hinter vorgehaltener Hand vertraut mir Herbert an, dass er sich schon lange nicht mehr über den Schwund an Druckerpapier, Stiften, Büchern und nun wohl auch noch Klopapier wundert. Sogar die Putzfrauen haben eine lange Liste mit Dingen, die von Lehrern aus der Küche entwendet werden: Geschirrspültabs, Spüli, Kaffee, und selbst das Geschirr schwindet. Und wehe dem, der seine Kekse oder Süßigkeiten auf einem der Lehrertische liegen lässt. Die sind innerhalb von Sekunden vernichtet. Letzteres zumindest wusste ich schon.

Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man fast meinen, einige von uns lebten vom Mindestlohn und könnten diese Dinge nicht bezahlen.

Kopfschüttelnd spaziere ich mit meinen Kopien ins Lehrerzimmer. Dort herrscht rege Aufregung. Frau Hermann steht mit hochrotem Kopf vor dem Kollegium und klatscht in die Hände.

»Ich habe mir heute für meine Mittagspause Suppe mitgebracht und in der Küche in den Kühlschrank gestellt.«

Fassungslos zeigt sie in Richtung Küche.

»Als ich gerade die Milch aus dem Kühlschrank holen wollte, fiel mir auf, dass die Suppe nicht mehr da ist. Wer von euch hat meine Suppe entwendet?«

Der Apfel fällt nicht weit beim Elternabend

Kaum hat die Schule wieder begonnen, habe ich das Gefühl, die sechs Wochen Sommerferien seien schon ewig her, und ich fiebere, so wie viele meiner anderen Kollegen auch, bereits den Herbstferien entgegen. Mit Ferienvisionen rette ich mich durch stressige Schulalltage: Ich am Strand mit einer eiskalten Margarita in der Hand oder am Pool mit lauter knackigen Typen, die mich mit ihren muskulösen Oberkörpern zu beeindrucken versuchen. Doch leider lässt mir der Unterricht viel zu selten Raum, mich den süßen Verlockungen, wenn auch nur in der Fantasie, hinzugeben.

Apropos knackig: Leider hat unser Kollegium diesbezüglich nur recht wenig zu bieten. Der einzig ansehnliche Typ sitzt am Nebentisch: Andreas. Groß, dunkelhaarig, durchtrainiert – aber leider mit einem silbernen Ring am Finger. Und somit absolut tabu. Auf jeden Fall lässt er das deutlich durchblicken, indem er bei jeder Gelegenheit von seiner Frau erzählt und stets im »Wir« antwortet.

»Hey, Andi, hattest du ein schönes Wochenende?«

»Ja, wir hatten ein ganz entspanntes Wochenende!«

Wen interessiert bitte schön wir? Ich hab dich doch gefragt, du Vollpfosten!

Neben den Ferien versüßen Steffie und ich uns den Schulalltag auch gern mit ein paar Lästereien. Vor allem unsere Kollegen bekommen dabei ihr Fett weg. Bleibt alles unter uns, deswegen dürfen wir das. Gerade in letzter Zeit sind zwei unserer Kollegen ganz besonders in unseren Lästermittelpunkt geraten. Nämlich Lara und Nils. Beide verheiratet mit Kindern. Nicht miteinander, das wäre ja nichts Besonderes. Mit unterschiedlichen Partnern. Und seit geraumer Zeit glucken die beiden auffällig zusammen rum. Da wir nicht die einzigen sind, die ihnen eine Affäre unterstellen, werden sie nicht müde, ständig zu betonen, dass sie ja nur gute Freunde seien. Gute Freunde, die immer zusammen zur Schule fahren und auf Klassenfahrt gehen, die Pausenaufsichten gemeinsam verbringen und auf dem Abschlussball zusammen erscheinen wollten, dort aber komischerweise nie angekommen sind. Angeblich hatten sie sich verfahren.

Und so stecken unsere Köpfe auch heute wieder tuschelnd zusammen, als Birte meine Schulter antippt.

»Amelie, ich hab doch morgen meinen Elternabend in der 5a. Es wäre nett, wenn du dich als Englischfachlehrerin den Eltern vorstellen könntest.«

»Muss das sein?«, will ich ihr spontan antworten, behalte es aber lieber für mich. Auf Elternabende habe ich prinzipiell keinen Bock.

»Natürlich, ist doch kein Problem!«, säusele ich stattdessen.

Und da mir leider so spontan keine Ausrede eingefallen ist, warum ich denn nicht kann, sitze ich nun auf dem Elternabend der 5a. Birte beginnt mit einer kurzen Vorstellungsrede. Schon nach kurzer Zeit wird klar, welche Eltern besonders viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Eine Mutter sticht besonders hervor.

Jeder zweite Satz aus ihrem Mund: »Also an der Grundschule meiner Tochter haben wir das aber so gemacht.«

Sie ist es auch, die die auf Elternabenden übliche Diskussion über die schweren Schultaschen der Schüler anleiert. Und keiner von Birtes Vorschlägen stellt sie zufrieden. Innerlich zähle ich bereits bis zehn, da wir nach einer halbstündigen Diskussion noch nicht einmal beim ersten Programmpunkt angekommen sind.

Schließlich einigen sich alle darauf, Fächer für die Bücher der Kinder anzulegen (war in der Grundschule auch so).

Nach und nach kämpft sich Birte durch jeden Programmpunkt. Beim Thema Wandertag überbieten sich die Helikoptereltern gegenseitig.

»Mit dem Ort bin ich nicht einverstanden. Da muss was mit mehr Kultur her!«

»Wie stellen Sie sicher, dass meinem Sohn dort nichts passiert?«

»Meine Tochter muss im Bus vorne sitzen, sonst wird ihr schlecht.«

Die Grundschulmutti will ihre Tochter erst gar nicht alleine fahren lassen, das (Jetzt kommt's!) habe sie in der Grundschule auch immer so gemacht.

»Wir sind aber nicht mehr in der Grundschule!« Dieser Satz brennt mir so sehr auf der Zunge, dass ich kurz davor bin, ihn laut herauszuschreien. Stattdessen atme ich tief durch. Birte hat nun mein vollstes Mitgefühl. Und schon ist eine weitere typische Fünftklässler-Elternabend-Diskussion ausgebrochen. Nämlich: Mein Kind muss im Unterricht ganz vorne sitzen. Begründung:

– Bescheinigte Hörschwäche

– ADHS

– Hochbegabung

– Brille

– Lese-Rechtschreib-Schwäche

– Dyskalkulieoder

eine andere Ausrede, die sich die Eltern haben einfallen lassen.

Nun stehen wir vor dem großen Problem, dass 20 von 25 Schülern unbedingt vorne sitzen müssen.

Erst beim ungeliebten Programmpunkt Wahlen zum Elternvertreter wird es endlich mal mucksmäuschenstill, und alle sehen betreten zu Boden. Nach nicht enden wollenden Minuten zeigt plötzlich die Grundschulmutti auf: »Ich mach das doch gerne. Hab ich in der Grundschule auch schon gemacht.«

Ich schicke ein leises Stoßgebet zum Himmel.

Endlich bin ich an der Reihe, mich vorzustellen.

»Sind Sie etwa die Lehrerin, bei der unsere Kinder ihr Handy im Unterricht benutzen durften?«

Anklagend blicken mich alle Augenpaare an.

Warum können die Gören zu Hause nicht einfach die Schnauze halten? Mittlerweile arbeite ich in dieser Klasse sogar mit Psychotricks. Erpressung ist einer davon. Die Drohung »Wenn du nicht sofort aufhörst, rufe ich jetzt gleich deine Mutter an« ist mit bereits gezücktem Handy in der Hand durchaus wirksam. Zum Glück haben die Schüler das nicht ausgeplaudert. Schließlich ist auch das pädagogisch gesehen nicht vom Feinsten. Von nun an werden sie als Strafe das Handy nicht mehr benutzen dürfen.

Auch nicht, wenn sie eher mit ihren Aufgaben fertig sind. Dann muss ich mir wohl andere Maßnahmen der qualitativen Differenzierung überlegen.

Doch auf Rechtfertigung habe ich heute auch keinen Bock. Also gehe ich voll in die Offensive.

»Zu Recherchezwecken ist die Nutzung des Handys durchaus sinnvoll«, beginne ich. »Ich wollte das sowieso heute ansprechen, da es vor allem für den Englischunterricht eine gute App zum Vokabellernen gibt. Wenn Sie einverstanden sind, würde ich das Handy gern mehr für solche Zwecke nutzen. Damit Ihre Kinder auch mal etwas Sinnvolles damit machen.«

Gib den Eltern das Gefühl, sie haben Mitbestimmungsrecht, und du hast gewonnen. Allerdings nicht zu viel, sonst herrscht Anarchie. Birte klappt ihren Mund auf, macht ihn jedoch schnell wieder zu.

»Handys sind aber doch im Unterricht verboten?«, entnehme ich lediglich ihrem fragenden Blick. Ich schaue entschlossen zurück. Muss man sich an jedes Verbot halten? Ich habe auch nichts gegen das Kaugummikauen, solange mir die Schüler nicht schmatzend ihre gelben Zähne zeigen. Bei einigen führt das Kaugummi dazu, dass ich mich überhaupt zu ihnen hinunterbeugen kann, ohne die ganze Zeit die Luft anhalten zu müssen.

»Die Idee finde ich gar nicht schlecht!«, meldet sich ein Vater.

Bevor eine neue Diskussion losbricht, nutze ich die Gunst der Stunde.

»Gut, dann stimmen wir ab! Wer ist dagegen?«

Fünf verhaltene Finger. Entschieden. Und wer hier gepetzt hat, werde ich noch rausfinden.

Beim Programmpunkt Verschiedenes geht es noch mal rund: Der Mathelehrer könne nicht erklären, die Deutschlehrerin schreibe zu schwere Arbeiten und diese fielen deshalb schlecht aus (zu Hause und bei der Nachhilfe habe das Kind noch alles gekonnt), die Caféteria verkaufe ungesundes Essen, der Klassenraum sei zu ungemütlich. Nach drei Stunden beendet Birte schließlich den Elternabend. Viel zu lang. In der Hinsicht muss sie noch Einiges lernen.

Bevor ich mich aus dem Staub machen kann, steuert die neue Elternvertreterin zielstrebig auf mich zu.

»Frau Bachmayer, ich habe da noch ein Anliegen!«

O nein, was kommt denn jetzt noch?, denke ich genervt.

„Könnten Sie bitte darauf achten, dass meine Tochter in Ihrem Unterricht genug gefordert wird? Sie ist nämlich hochbegabt und hat sich bis jetzt in Ihrem Unterricht ein wenig gelangweilt.«

Ich starre sie mit offenem Mund an. Henrieke hochbegabt? Ich muss mich beherrschen, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. An der Miene der Mutter erkenne ich jedoch, dass es ihr voller Ernst ist.

»Sie wissen schon«, setzt diese fort, »gestalten Sie Ihren Unterricht interessanter, und sorgen Sie dafür, dass meine Tochter ausreichend gefordert wird.«

Scheinbar wertet sie meine Sprachlosigkeit als Zustimmung, denn sie setzt gleich wieder an: »Eins noch: Als sie meine Tochter heute ermahnt haben, leise zu sein, hat sie gar nicht geredet. Das war nämlich Marie, die hat geschwatzt.«

Ich bin immer noch sprachlos. Da ich mich keine Sekunde länger mit dieser Frau abgeben möchte, nicke ich nur und blicke zu Birte rüber. Die sieht aus, als hätte sie gerade einen Triathlon hinter sich gebracht.

»Komm mit«, ich hake mich bei ihr unter, »lass uns noch auf ein Glas Wein ins Charly's gehen!«

Im Charly's treffen wir uns vor allem nach Elternabenden, Elternsprechtagen oder Dienstbesprechungen, um den Abend noch in gemütlicher Runde ausklingen zu lassen. Schenkt man den Erzählungen unserer älteren Kollegen Glauben, wurde das vor zwanzig Jahren traditionell mit einem Schnaps schon zu Beginn des Wochenendes, also mit dem letztem Gong gemacht, und zwar mitten im Lehrerzimmer.

Da diese Zeiten vorbei sind, bietet das Charly's eine gute Alternative zum Lehrerzimmer. Dort angekommen begrüßen uns Steffie, Andreas, Werner und Roswitha, die bereits das eine oder andere Gläschen Rotwein intus haben.

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