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Fabian steht kurz vor seinem 18. Geburtstag und hat nach dem Abitur einen erholsamen Sommer vor sich. Mit seinen Freunden verbringt er die heißen Sommertage am See und als er dann auch noch die hübsche Maya kennenlernt, scheint sein Leben perfekt - doch das ändert sich schlagartig in einer verheerenden Nacht. Maya verschwindet spurlos und für Fabian beginnt ein tödliches Rennen gegen die Zeit. Doch besonders viel davon bleibt ihm nicht, denn die Situation scheint immer mehr zu eskalieren...
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Seitenzahl: 191
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11 – Vater
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15 – Maya
„Weiter nach außen, Fabi!“
Der Ball fliegt einmal quer über das halbe Spielfeld, bis er schließlich wenige Zentimeter vor mir landet. Mit einer schnellen Bewegung nehme ich den Ball mit, renne über die grüne Wiese und schieße auf das Tor. Naja, zumindest war das meine Absicht, denn letztendlich flog der Ball eher in Richtung Eckfahne. Mist.
Eine halbe Stunde später ist das Spiel beendet und ich trotte erschöpft zur Kabine.
„Da war heute definitiv mehr drin, Jungs!“, ruft Paul. Er ist einer dieser Trainer, die niemals zufrieden sind – nicht einmal nach einem Unentschieden gegen den Tabellenzweiten.
„Hey Fabi, kommst du nachher noch mit zum See? Die anderen sind auch dabei.“
„Heute eher nicht mehr. Muss noch für meine letzte mündliche Prüfung lernen.“
„Scheiße, stimmt ja. Die hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm. Naja, dafür kannst du doch auch noch eine Nachtschicht einlegen, Spaß geht vor. Komm schon!“ Luke ist ein richtiger Sturkopf, das war er schon immer. „Also gut, aber nicht so lange.“
„Sehr gut, mein Freund. So muss das sein! Also um sechs an der Brücke?“
Ich nicke und packe währenddessen meine Fußballschuhe in meine Sporttasche. Wenn ich um sechs am See sein sollte, hätte ich jetzt noch gut zwei Stunden zum Lernen. Ich bin echt froh, wenn ich mit Deutsch auch noch meine letzte Prüfung hinter mich gebracht habe. Danach kann die große Freiheit endlich beginnen und damit auch die schönste Jahreszeit: der Sommer.
Langsam schlendere ich in Richtung der Fahrradstellplätze. Mein Rad kann man schon von Weitem erkennen, die orangene Lackierung sticht aus den anderen Fahrrädern deutlich heraus. Eigentlich wäre es dringend mal an der Zeit, dass ich mir ein Neues kaufe; immerhin habe ich dieses schon seit mittlerweile fünf Jahren und es kommt nicht allzu selten vor, dass ich von anderen auf mein „Kinderrad“ angesprochen werde. Doch für den Moment muss es noch herhalten, denn meine aktuellen Ersparnisse sollen für meinen neuen Laptop dienen. Mein altes Gerät hat vor knapp zwei Wochen seinen Geist aufgegeben. Und mein Geburtstagsgeld muss ebenfalls dafür herhalten, denn seitdem ich meinen Job als Zeitungsausträger vor vier Monaten gekündigt habe, vermehrt sich mein Erspartes nur noch durch das Taschengeld von meinen Eltern und meiner Oma.
Mittlerweile bin ich schon kurz davor, in die Straße einzubiegen, wo ich seit meiner Geburt wohne. Die Siedlung hier macht auf Außenstehende einen sehr freundlichen Eindruck aufgrund der ganzen Alleen mit den blühenden Bäumen sowie den noblen Häusern am Straßenrand. Ich finde es einfach nur öde. In meinem Viertel war das Aufregendste, was so passieren konnte, dass einer der Nachbarn wieder mal auf die tolle Idee kam, ein langweiliges Straßenfest zu veranstalten. Selbst meine Eltern haben noch nie so wirklich gewirkt, dass sie sich auf solche Feste freuen – und trotzdem schleppen sie mich immer wieder mit.
Die Straße, in der ich wohne, glänzt nur so von Sauberkeit. Nicht eine Plastiktüte oder nur ein Papierschnipsel sind auf der Hauptstraße oder dem Gehweg zu finden. Dafür vollkommen überfüllte Vorgärten, wohin man auch nur schaut.
Dagegen besitzen meine Eltern noch relativ wenige Pflanzen und trotzdem ist der Kiesweg zu der Haustür regelmäßig mit Blättern übersät. Mit einer schwungvollen Kurve biege ich in unsere Einfahrt ein und stelle mein Rad in unserem kleinen Holzschuppen ab.
Rund zwei Stunden später bin ich gerade dabei, die Verhaltensweisen von Gretchen aus Goethes „Faust“ genauer zu analysieren als auf einmal mein Handy klingelt. Es ist mein Vater.
„Hi Dad, was gibts?“
„Für dich heute Abend eine sturmfreie Bude, Fabi! Mama und ich gehen um acht noch essen und ich wollte dir nur schnell Bescheid geben, dass es bei uns spät wird.“
Das war nichts Neues, meine Eltern gingen gefühlt jede Woche ein- bis zweimal Essen, ins Kino, ins Theater oder sonst irgendeinen Ausflug machen. Sie waren beide mit 38 Jahren im Vergleich zu den Eltern meiner Freunde noch sehr jung; bis heute bin ich mir nicht ganz sicher, ob sie mit 20 schon einen Sohn bekommen wollten – auch wenn sie immer wieder beteuern, dass´es doch so schön sei, in jungem Alter schon Eltern zu werden.
Um kurz vor sechs klingelt erneut mein Handy. Diesmal ist es Luke.
„Bist du schon auf dem Weg? Philipp und Jan sind schon da, Hannah kommt auch gleich.“ Mist, die Uhrzeit habe ich während dem Lernen total vergessen.
„Ich fahre gleich los, gib mir 15 Minuten.“ Ich höre Luke verärgert schnauben.
„Beeil dich oder du kannst alleine schwimmen gehen!“ „Witzig. Bis gleich.“
Schon während des Telefonats hatte ich begonnen, meine Badesachen zusammenzupacken.
„Da bist du ja endlich, Fabi. Hannah und ich waren schon im Wasser“, empfängt mich Philipp mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ich kenne ihn seit ich in die Oberstufe gekommen bin und seitdem sind wir ganz gut befreundet. Er legt schon immer enorm viel Wert auf sein Aussehen – nicht einen Tag habe ich ihn ohne perfekt gestylte Haare gesehen. Auch seine Markenklamotten sind ein Markenzeichen von ihm. Wortwörtlich. Auch heute trägt er eine seiner hochwertigen Hollister-Badeshorts.
„Wo warst du heute beim Spiel? Der Coach war ganz schön sauer als du ihm kurz vor Anpfiff geschrieben hast, dass du nicht kommst“, frage ich ihn.
„Ach, Paul soll mal nicht so ein Theater veranstalten, wir spielen sowieso nur Kreisklasse. Er glaubt doch nicht ehrlich, dass einer von unserem Team mal groß rauskommt.“ Philipp kann so ein toller Motivator sein. „Aber wenn du es genau wissen willst...“ Er schmunzelt und zieht dabei eine Augenbraue hoch. Ich weiß genau, was das zu bedeuten hat.
„Du hattest mal wieder ein Date?“, frage ich etwas gelangweilt.
„So ist es, mein Freund. Blond, hübsch, eine Figur...“
„Ja, ja, schon gut. Soll das was Festes werden?“
„Nee, keine Lust auf Beziehungsdramen. Nur was Lockeres, immerhin steht die mit Abstand heißeste Jahreszeit vor der Tür.“
Wie aufs Stichwort kommt Hannah in diesem Moment dazu.
„Na, über wen wird hier gelästert?“, spricht sie uns beide mit einem Grinsen im Gesicht an.
Seit ich sie kenne, schwärme ich ein bisschen für sie, doch sie spielt mindestens zwei Ligen über mir. Nicht umsonst hatte es auch Philipp schon bei ihr versucht, aber sie hatte ihn eiskalt abblitzen lassen. Bis heute will er sich das zwar nicht eingestehen, doch auch er kann nicht jedes Mädchen bekommen.
„Wir lästern nie, Hannilein. Das überlassen wir euch Mädchen!“, antwortet Philipp.
„Dass ich nicht lache. Kommt ihr jetzt nochmal mit in den See?“, fragt sie.
Wie sollte man da nein sagen können? In ihrem roten Bikini hätte wohl jedes männliche Wesen den Weg mit ihr ins Wasser angetreten. Als kleine Kinder waren wir beste Freunde gewesen und haben praktisch jeden Tag etwas zusammen unternommen. Doch in der Schulzeit haben wir uns leider etwas voneinander distanziert – unsere Freundschaft ist dennoch erhalten geblieben.
Wenn ich mal ein Problem habe, weiß ich immer, dass ich zu Hannah gehen kann und sie ein offenes Ohr für mich hat. Andersherum ist es genauso.
Als ich am späten Abend den Weg nach Hause antrete, ist es bereits stockdunkel. Unsere Wohnsiedlung sieht aber selbst in der Nacht aus wie der friedlichste Ort der Welt. Bis auf das Eingangslicht ist es komplett finster in unserem Haus, was so viel bedeutet, dass meine Eltern immer noch nicht daheim sind.
Das erste, was ich machen will, ist etwas essen. Zum Glück gibt es in unserem Kühlschrank ein eigenes Fach nur für Tiefkühlpizzen. Mein Dad hat es extra nur für mich angelegt, wenn ich spontan mal Hunger bekomme. Was ziemlich oft vorkommt.
Nachdem ich den Ofen in unserer hochmodernen, komplett weißen Küche angeschmissen habe, gehe ich in mein Zimmer, um mir ein Prospekt mit Laptops nochmal genauer anzusehen. Oh Mann, wenn ich doch nur etwas mehr Geld hätte… so ein Gaming-Laptop wäre doch was Feines.
„Dann hättest du mal besser nicht deinen Job gekündigt“, schießen mir sofort die Worte meiner Mutter durch den Kopf. Irgendwo hat sie bestimmt recht, aber ich hatte wirklich keine Lust mehr, jedes Wochenende Zeitungen in meiner Nachbarschaft abzuliefern. Anschließend bekam ich dann immer noch Ärger, weil „Bitte keine Werbung“-Sticker auf dem Briefkasten angebracht waren. Außerdem nahmen sich irgendwelche Leute einfach Zeitungen von meinem Stapel, rissen dabei die Schutzplane auseinander und ich durfte dann am nächsten Morgen sämtliche über den Boden verteilte Zeitungen wieder einsammeln. Nein danke, ich hatte wirklich genug davon.
Als ich gerade etwas vertiefter durch das Prospekt stöbere, erschreckt mich plötzlich das Klingeln an der Haustür. Besuch erwarte ich keinen mehr und um diese Uhrzeit – es ist immerhin bereits nach 22 Uhr – kommt für gewöhnlich auch kein Postbote mehr vorbei.
Langsam laufe ich nach unten in die Küche. Ich habe schon von genügend Einbrechergeschichten gehört; vielleicht hat jemand mitbekommen, dass ich heute Abend alleine Zuhause bin. Okay, vielleicht bin ich etwas zu paranoid. Es klingelt erneut und ich öffne langsam die Tür. Was ich dann zu Gesicht bekomme, übertrifft allerdings sämtliche meiner Vorstellungen: Weder ein unangekündigter Besucher, noch ein Einbrecher steht vor meiner Tür, sondern ein Mädchen in meinem Alter.
„Hi“, spricht sie mich mit einem Lächeln an. „Sorry, dass ich so spät noch aufkreuze. Ich hoffe, du hast noch nicht geschlafen oder so.“
Bleib cool, Fabi. Ganz locker wirken.
„Äh...nein.“
Toll gemacht. Lockerer kann man gar nicht wirken. Chapeau. Mehr bekomme ich auch nicht heraus. Ein Mädchen steht vor meiner Tür. Um 22 Uhr.
„Ist alles okay bei dir? Du siehst etwas verwirrt aus“, fragt sie mit einem skeptischen Gesichtsausdruck.
„Nee, es ist alles in Ordnung. Geht doch, ich kann wie ein normaler Mensch sprechen.
„Ähm… was führt dich denn zu mir?“ Das klingt doch schon eher nach einem vollständigen Satz.
„Ich bin mit meiner Familie vorgestern hierhergezogen und kenne noch niemanden. Gestern meinte eine ältere Frau – wie hieß sie noch gleich – irgendetwas mit Schubert… Egal. Sie meinte, hier wohnt jemand in meinem Alter. Eigentlich ist es nicht so meine Art, unangekündigt irgendwo hereinzuschneien, aber heute Abend war mir echt langweilig. Ich hoffe, das ist kein Problem.“
„Nein, nein. Wie heißt du eigentlich?“
„Oh, sorry. Habe total vergessen, mich vorzustellen. Ich bin Maya. Und du?“
„Ich bin Fabian, aber meine Freunde nennen mich alle nur Fabi. Ist zur Gewohnheit geworden.“
„Okay, Fabi“, antwortet Maya mit einem Augenzwinkern.
„Willst du hineinkommen? Wird langsam ziemlich kühl hier drau0ßen.
„Oh, danke, gerne.“
Erst als sie näher kommt, fallen mir ihre tiefbraunen Augen auf. Ihre langen blonden Haare hat sie zu einem Zopf zusammengebunden; sie sieht in ihrem weißen Oberteil und der hellblauen Jeans echt spitze aus. Und betritt gerade mein Haus wohl angemerkt. Träume ich?
„Wie lange wohnst du schon in dieser Gegend?“, fragt mich Maya während sie ihre Schuhe auszieht.
„Schon immer. Ich bin noch nie umgezogen. Wo hast du denn vorher gewohnt?“
„Ich komme aus einem Vorort, etwa eine Stunde entfernt von hier. Meine Eltern haben ein neues Jobangebot bekommen im letzten Jahr und haben nur noch darauf gewartet, bis ich mein Abitur in der Tasche hatte. Jetzt will ich in der Nähe nach einem Studienplatz schauen.“
Wir setzen uns an den Küchentisch. Jetzt erst bemerke ich, dass der Ofen noch an ist.
„Oh, verdammt, meine Pizza!“ Zum Glück ist sie nur dunkelbraun und noch nicht schwarz geworden.
„Willst du auch etwas?“, frage ich etwas schüchtern.
„Das wäre total lieb von dir – ich habe seit heute Mittag nichts Gescheites mehr gegessen.“
Ich schneide ihr ein großes Stück ab und versuche mich dabei nicht allzu sehr vollzukleckern.
„Danke“, nimmt sie das Stück dankend in die Hand. „Was ist mit dir? Hast du dein Abi auch schon?“
„Habe übermorgen meine letzte Prüfung. Muss noch Deutsch mündlich machen.“
„Ich bin zum Glück letzte Woche schon fertig geworden.
Mein letztes Fach war Englisch.“
„Dafür wäre ich viel zu schlecht“, schmunzle ich. Es macht mich schier wahnsinnig, wie süß sie aussieht, wenn sie mit ihren Haaren spielt, welche mittlerweile offen über ihre Schulter hängen.
„Bist du denn schon 18? Ich vermute, du wohnst nicht alleine in diesem großen Haus.“
„Das wäre schön. Ich bin noch 17, aber werde demnächst auch 18. Meine Eltern sind heute Abend essen und Geschwister habe ich keine. Wie sieht es bei dir aus?“
„Bin schon 18. Ich hatte im März Geburtstag. Meine Eltern sind noch ziemlich gestresst vom Umzug und meine kleine Schwester weint andauernd, weil sie zurück in unser altes Haus will. Dabei ist unser Neues viel größer und moderner, die Umgebung sieht außerdem auch sehr schick aus.“
„Kann ziemlich langweilig werden. Aber es gibt ein paar ganz nette Orte, die kann ich dir bei Gelegenheit mal zeigen, wenn du möchtest.“
„Klar, gerne.“ Sie lächelt.
„Was machst du so in deiner Freizeit?“, fragt sie mich nach einer kurzen Essenspause.
„Ich spiele Fußball hier im Verein. Ich treffe ich mich oft mit Freunden, mit denen ich auch manchmal zu einem See in der Nähe fahre. Sonst gibt es bei mir nicht so viel Spannendes. Und bei dir?“
„Ich war früher im Turnverein, aber vor zwei Jahren habe ich aufgehört. Das viele Training wurde mir in der Oberstufe mit den ganzen Klausuren zu stressig. Ansonsten bin ich gerne draußen, schwimme ganz gern und erkunde oft neue Umgebungen, wie du dir wahrscheinlich schon gedacht hast“, sagt Maya mit einem Zwinkern. „Sonst habe ich auch immer die meiste Zeit mit meinen Freundinnen verbracht. Das wird jetzt natürlich schwieriger aufgrund der Distanz zu ihnen, aber ich werde hoffentlich neue Freunde finden.“
„Bestimmt.“ Wenn Luke mich jetzt sehen könnte, wie ich mit Maya am Tisch sitze… das wird er mir niemals glauben.
„Hast du noch Hunger?“, deute ich auf ihren leeren Teller hin.
„Nein, danke, das war echt genug.“
Eine halbe Stunde später verabschiedet sie sich mit einer Umarmung von mir und verlässt das Haus. Ich schaue ihr noch kurz hinterher, komme mir dann aber wie ein verliebter Idiot vor und schließe schnell die Tür. Lächelnd räume ich das dreckige Geschirr in die Spülmaschine und gehe zurück in mein Zimmer. Maya scheint wirklich nett zu sein; außerdem lächelt sie gefühlt in Dauerschleife. Und ihr Lächeln sieht wirklich wunderschön aus. Wir hatten uns noch über alle möglichen Dinge wie Schule, Sport, unsere Eltern und den Ort hier unterhalten. Sie wirkte tatsächlich nicht gelangweilt von mir – ein Wunder. Wie sie mir erzählt hat, spielt sie genauso gerne wie ich Gitarre und als sie vorgeschlagen hat, ein Lied mal zusammenzuspielen, habe ich natürlich sofort zugesagt.
Kurz vor Mitternacht kreisen meine Gedanken immer noch um Maya als auf einmal mein Handy klingelt. Es ist eine unbekannte Nummer. Als hätte es heute noch nicht genug Überraschungen gegeben.
„Hallo, hier ist Fabian Förster“, melde ich mich.
„Hi, ich bin es nochmal kurz.“ Es ist Maya, der ich vor nicht einmal zwei Stunden meine Handynummer gegeben hatte und schon rief sie mich an!
„Hey Maya, was ist los?“ Will sie sich etwa mit mir verabreden?
„Entschuldige bitte die zweite kurze Störung heute. Ich habe meinen Büchereiausweis verloren, den brauche ich noch für meine alten Bücher. Habe ich den vielleicht bei dir liegen gelassen?“ Schade, kein Treffen.
„Ich schaue kurz nach“, antworte ich ihr und melde mich nach kurzem suchen in der Küche wieder.
„Nein, bei mir ist leider nichts.“
„Okay, schade. Dann muss ich ihn wohl irgendwie auf dem Heimweg verloren haben. Ich werde ihn morgen suchen. Trotzdem danke!“
„Wo wohnst du denn eigentlich?“, frage ich noch kurz vor dem Auflegen.
„Das verrate ich dir ein anderes Mal. Nicht, dass du ein kleiner Stalker bist und morgen vor meinem Fenster sitzt.“
„Hey, so bin ich nicht...“, rufe ich empört.
„Kleiner Scherz. Gute Nacht, Fabi!“
„Gute Nacht, Maya.“
Kurz darauf liege ich im Bett und höre, wie meine Eltern nach Hause kommen. Hoffentlich sehe ich Maya bald wieder, denke ich mir und schlafe mit der Zeit ein. Was für ein Tag.
Liebe Maya,
du hast vermutlich keine Ahnung, wer ich bin. Und vermutlich wirst du diesen Brief hier auch niemals bekommen, doch trotzdem möchte ich ihn schreiben.
Ich habe dich gestern Abend auf dem Heimweg gesehen und ich war sofort von dir begeistert. Ich glaube sogar, dass du mir einmal zugelächelt hast – nein, ich bin mir sogar sicher!
Woher ich weiß, wie du heißt? Du hast auf dem Fußgängerweg deinen Büchereiausweis verloren, den habe ich sorgfältig mitgenommen und bewahre ihn jetzt für dich auf.
Maya – dein Name ist so wunderschön wie du selbst, wie die Sonne im Sommer, wenn sie auf die vielen bunten Blumen scheint. Meine Mutter meinte schon immer, ich sei ein kleiner Poet. Meine liebevolle und aufrichtige Mutter. Sie starb leider bei meiner Geburt, aber ich spreche regelmäßig mit ihr. Ja, sie ist immer für mich da und liebt mich von ganzem Herzen. Und was ist mit meinem Vater? Der ist für mich gestorben – im Gegensatz zu meiner Mutter. Hat nur noch gesoffen seit meiner Geburt und mir die Schuld an Mutters Tod gegeben. Dabei ist er doch Schuld – hätte er sich mal besser um sie gekümmert. Ständig habe ich mich mit ihm gestritten, bis wir schließlich fast gar nicht mehr miteinander gesprochen haben. Doch als ich schlechter in der Schule geworden bin, begegnete er mir immer aggressiver. Erst schrie er, dann drohte er mir und schließlich stand er mit dem Gürtel vor mir. Bis heute rieche ich noch in dunklen Momenten seinen jämmerlichen alkoholischen Geruch und sehe seinen pechschwarzen Gürtel auf mich zurasen. Immer wieder.
Aber das interessiert dich bestimmt gar nicht, denn ich bin mit 16 von Zuhause abgehauen. Seitdem habe ich ihn nur noch ein einziges Mal gesehen als er vor fünf Jahren in meinem Betrieb auftauchte, weil er nicht glauben wollte, dass ich einen vernünftigen Job gefunden habe. In diesem Moment habe ich mich ihm so überlegen gefühlt, denn ich hatte mir ein eigenständiges Leben aufgebaut – ganz ohne ihn, nur mithilfe meiner liebevollen Mutter, die niemals aufhören wird, an mich zu glauben.
Klar, ich habe auch nur eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung und stehe sieben Stunden täglich am Fließband – aber ich bin nicht auf meinen Vater angewiesen und das ist sowieso die größte Genugtuung für mich.
Ich will aber lieber über etwas Schönes schreiben – über dich, Maya. Ohne dich richtig zu kennen, weiß ich genau, was für ein liebevoller und gutherziger Mensch du bist. Du erinnerst mich an meine Mutter. Warum sind wir uns davor nie begegnet? Vielleicht sollte es nicht so sein.
Ich bin aber sehr schüchtern und traue mich nicht, dich anzusprechen. Wahrscheinlich wäre das für andere Leute sogar seltsam – immerhin bin ich zehn Jahre älter als du. Für mich ist das nicht komisch. Was sagt das Alter denn schon aus? Ich wüsste nur zu gern, wann wir uns wiedersehen werden. Ich hoffe bald.
Vielleicht schreibe ich irgendwann nochmal einen Brief an dich, wer weiß. Oder vielleicht kann ich ihn dir eines Tages sogar mal vorlesen – wenn wir beide auf einer Wiese liegen, die Sonne auf uns scheint und niemand außer uns beiden da ist.
Bis hoffentlich bald
L.
Heute ist der Tag der Deutschprüfung gekommen. Nun wird sich zeigen, ob sich die ganzen Analysen gelohnt haben, die ich über Faust, den Werther und den Sandmann gemacht habe.
Neben mir sitzt Luke, dem sichtlich anzumerken ist, dass er doch besser etwas mehr für die mündliche Prüfung gelernt hätte.
„Oh Mann, Fabi, das wird gar nichts. Ich habe das so richtig im Gefühl. Hätte ich die Bücher doch wenigstens einmal komplett gelesen.“ Da muss ich kurz grinsen bei dem Gedanken daran, dass ich die Bücher alle mindestens dreimal durchgearbeitet habe.
„Luke Breitner, Sie sind jetzt an der Reihe!“, ruft plötzlich eine Lehrerin, der anzusehen ist, dass sie sich heute schon durch einige Prüfungen durchgeschlagen hat. „Wünsch mir Glück!“, raunt Luke mir beim Gehen zu. Das wird er definitiv brauchen.
Zwei Stunden später sitze ich mit Luke und noch einigen anderen Jungs aus meinem Jahrgang in einem Eiscafe. „Wenn es fünf Punkte werden, mache ich Luftsprünge!“ Lukes Prüfung war wie zu erwarten schlecht verlaufen. Meine Prüfung lief gut, es kamen zwei Figuren dran, die ich detailliert vorbereitet hatte. Jetzt waren wir alle aber erst einmal froh, die Abiturprüfungen hinter uns gebracht zu haben. Der Sommer kann jetzt endlich kommen!
Maya hatte sich seit unserem Kennenlernen leider nicht mehr bei mir gemeldet. Ob sie eventuell andere, neue Freunde gefunden hat? Vielleicht war sie gerade auch nur viel mit dem Umzug beschäftigt.
Am Abend treffe ich mich noch mit den anderen am See. Die erleichterte Stimmung ist allen anzumerken. Auch ich bin länger denn je im Wasser. Wir feiern auf der Wiese mit lauter Musik und genießen einfach den Moment. Luke schlendert mit zwei Bier in der Hand zu mir herüber.
„Na, ich würde sagen, die haben wir uns mehr als verdient.“
Wir stoßen an und das kühle Bier wirkt an dem warmen Sommerabend sehr erfrischend. Die Musikbox spielt dazu die ersten Klänge von „Forever young“ von Alphaville – der Song beschreibt mein momentanes Gefühl wohl am passendsten. Bald steht mein 18. Geburtstag an, ich muss vorerst nichts mehr lernen und meine Freunde sitzen alle hier mit mir am See.
Fast schon nostalgisch blicke ich über das ruhige Wasser und bemerke erst gar nicht, dass ich von hinten mehrmals angetippt werde.
„Fabi?!“ Es ist Philipp.
„Hey, sorry, war gerade in Gedanken.“
„Merke ich. Würde dir aber empfehlen, wieder in die reale Welt einzutauchen. Denn da vorne fragt ein Mädchen nach dir – und die sieht echt scharf aus. Wie hast du das denn bitte angestellt, Fabi?“
Schnell drehe ich mich um. Es wird doch wohl nicht… Doch, sie ist es tatsächlich. Aus einigen Metern Entfernung kommt Maya lachend auf mich zugelaufen. „Hi“, ruft sie mir schon von Weitem zu.
„Hey! Was machst du denn hier?“
„Naja, eure Musik ist kaum zu überhören.“ Sie zwinkert mir zu. „Du hast mir doch erzählt, dass du heute deine letzte Prüfung hast. Da habe ich mir gedacht, dass du bestimmt bei dem See bist, den du mir beschrieben hast.“ „Woher kennt ihr euch?“, fragt Philipp dazwischen. Ich kann ihm ansehen, dass er Maya am liebsten vor mir kennengelernt hätte.
„Ich bin neu hier in der Nachbarschaft und habe mich mit Fabian etwas unterhalten, weil ich hier noch niemanden kenne.“
„Oh, das können wir gleich ändern. Ich stelle dich den anderen mal vor“, meint Philipp mit einem breiten Grinsen. Manchmal hasse ich ihn.
„Das ist lieb von dir, aber ich würde lieber zuerst eine Runde schwimmen gehen. Kommst du, Fabi?“
Rumms. Das hatte gesessen. Philipps blödes Grinsen verschwindet augenblicklich.
„Okay, dann bis später. Viel Spaß euch“, sagt er und wendet sich dabei schon Hannah zu, die gerade in unsere Richtung kommt.
„Solche Typen gehen mir echt auf die Nerven. Dem war in den Augen schon abzulesen, was der von mir will. Nein, danke.“
Grinsend laufe ich mit Maya zum See. Endlich ein Mädchen, das nicht auf Philipp abfährt.