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April 1994 und das an sich ruhige Civitavecchia erblüht. Doch selbst eine warme Meeresbrise lässt die miese Stimmung des Superintendent Detective des CID, Jack McCooper, nicht welken. Nicht nur wird ihm der letzte Fall entzogen - was ein Sonderauftrag des MI6 war -, sondern ihm wird auch noch ein junger Musterknabe aus Rom zum Praktikum zugeteilt. Dabei arbeitet er doch lieber alleine. Doch ein Mord, den er als Gefälligkeit dem hiesigen Commissario gegenüber aufklären muss, entpuppt sich als neue Fährte zu seinem MI6-Fall. Als McCooper damit einen Fuß in die Tür der Mafia zu bekommen scheint, merkt er, dass ein schwarzes Schaf das Gleichgewicht stört. Darauf hat er mal so richtig keine Lust und sobald er versteht, welche der Indizien seinen eigentlichen Fall betreffen würden, wirft er alle seine Spuren zu dem Mord über Bord, um endlich seinen Flüchtigen zu fangen. Lange Verhöre, eine Verfolgungsjagd, eine Razzia, sowie ein weiteres Opfer sind von Nöten, um McCooper endlich ans Ziel zu bringen. Und natürlich wird nebenbei auch der Mord aufgeklärt. Tom Crady fokussiert die Detektivromankultur der 50er/60er, der Polizeiserien der 80er/90er und erweitert die Blickwinkel auf die Plattitüden und Stereotype mit der scharfen Linse der Gegenwart.
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Seitenzahl: 247
Veröffentlichungsjahr: 2024
McCooper
Ein Mann für Recht und Ordnung
Band 1 -Der tödliche Winkel- von Tom Crady
© 2024 Tom Crady
Lektorat: Peter Benesch
Coverdesign und Illustration: Daniela Stochlinski
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5,
22926 Ahrensburg, Germany
ISBN
Softcover 978-3-384-15947-2
E-Book 978-3-384-15948-9
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg,
Deutschland.
Widmungen
Ich danke – stellvertretend für die ganze Arbeitsgruppe – Eric Edelbauer, der die Romanfigur McCooper miterschaffen hat und auch an der Gestaltung der Szenerie in Civitavecchia und fast aller Figuren mitbeteiligt war.
Eric ist übrigens auch Pate für Maverick Jones.
Des Weiteren danke ich allen, die dazu beigetragen haben, mich bei der Entstehung und Gestaltung dieses Werks zu inspirieren – allen Familienmitgliedern und allen Freunden, Gästen und Kollegen der letzten 24 Jahre und der durch sie entstandenen Situationen, die ich verarbeiten konnte.
In Erinnerung an David und Klaus.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Widmung
Jack
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Ricardo Taleri
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Magnolia Ligano
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Jack McCooper
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Maverick Jones
Jack McCooper
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Magnolia Ligano
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Albertino Canones
Pierro Micos
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Albertino Canones
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Jack McCooper
Maverick Jones
Jack McCooper
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Jack McCooper
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Jack
Oben in der Questura, wie die Polizeibehörde in Italien so schön hieß, wurden die Stimmen langsam lauter.
Alle diskutierten ihre Rolle in diesem Fall, den ich gerade abgeschlossen hatte.
Aber wir – mein neuer Partner, meine Chefin Ligano und ich – hatten uns in die Verhörräume verkrochen, um unsere Ruhe zu haben.
Denn selbst Ligano hatte das Arbeitsfieber gepackt und war spontan bereit, den Endbericht für mich zu schreiben, so wie sie es im Verlaufe der letzten Tage bereitwillig vorschlug, nur um mich zum Arbeiten zu motivieren.
Lange hatte ich nicht nur das Gefühl, der Einzige zu sein, der hier arbeitete, sondern auch der Letzte, der an dem eigentlichen Auftrag dran war.
Jetzt waren alle eifrig dabei, drum konnte ich dieses Angebot nicht ausschlagen.
Denn, wenn ich etwas noch mehr hasste, als nach einem halben Jahr erfolgloser Suche einen Bericht zu schreiben – wie ich es vor einer Woche schon tun sollte –, dann ist es nach so ein paar Tagen voller Spannung, einen Bericht zu schreiben.
Höchste Konzentration war angesagt, doch meine Gedanken wanderten noch. Ligano war sichtlich bereit, die ganze Story zu hören. Wir hatten Zigarillos, Whiskey und jede Menge Akten, Steckbriefe, Notizen und Tonbänder auf dem Tisch im Verhörraum ausgebreitet und es war genug Papier in Liganos Schreibmaschine.
Ich tastete meine Jackentaschen nach den Zigarillos ab, zog mir die Streichhölzer des Reviers aus der Hosentasche und zündete mir eine an. Ligano spannte die erste Seite ein.
Maverick Jones, mein neuer Partner und Kollege – wie ich ihn nach diesem Fall doch gerne nenne, so war er doch vor ein paar Tagen noch als Praktikant eingeteilt – nahm sich den ersten Steckbrief vor: Meinen.
Als er vom DIA – der Kriminalagentur zur Bekämpfung der Mafia in Rom – zu mir geschickt wurde, hatte er noch einen lupenreinen Lebenslauf von mir vom Scotland Yard ausgehändigt bekommen. Ich sollte ihn durchaus nicht enttäuschen, aber die Augen öffnen.
Die Realität der Theorie lernt man nirgendwo anders besser als in einem Praktikum.
Inzwischen war mein Lebenslauf von ihm randvoll gespickt mit Ergänzungen. Und das freute mich.
Trotzdem bat er mich noch einmal, in Ruhe zu erzählen, wie ich die ganze Sache erlebt hatte.
Denn die Frage war ja:
Was macht einer wie ich – Superintendant des CID, Scotland Yard, in Italien?
„Urlaub ja wohl nicht“, begann ich zu erzählen, noch bevor ich zu meinen eigenen Aufnahmen über den Fall kommen sollte.
„Mir war vor ein paar Tagen auch noch lange nicht nach Urlaub, auch wenn es einem hier die ganze Lebensweise abverlangen würde. Andere würden sich dem sicher hingeben, mich bremste es einfach aus.
Denn eigentlich hatte mich das MI6 mal wieder inoffiziell von meinem Brötchengeber ausgeliehen und so war ich zusammen mit Agenten von Interpol, des KGB und der SISMI zur Vereitelung einer größer angelegten schurkischen Untergrundbewegung zur Unterstützung der FBI strike forces in den USA.
Lange Geschichte, anderer Fall.
Die Aktion war für alle schon abgeschlossen, der ´Capo di tutti capi´ längst gefasst und weitere verheerende Blutbäder, wie einst das Valentins-Massaker, verhindert. Aber ich war noch lange nicht fertig.
Die Spur meines letzten Flüchtigen führte mich nach Civitavecchia, Italien.
Dank der Beziehungen meines Vorgesetzten Chief Jackson zum Geheimdienst in Italien wurde ich freundlich im Netzwerk desDIA aufgenommen und konnte dort im Büro des MI6 in Civitavecchia unterkommen.
Ich arbeitete einige Monate hier, auch Undercover, denn ich war mir sicher, dass es noch einiges zu tun gäbe, selbst wenn ich ihn dann hatte.
Obwohl ich in Amerika schon einiges zu Ende gebracht hatte, hatte ich das Gefühl, noch an etwas Größeren dran zu sein. Ich hatte tatsächlich am Anfang hier das wahnwitzige Gefühl, ich könnte Europa von der Mafia befreien oder zumindest noch weiterzukommen als alle anderen, die schon aufgehört hatten.
Die roten Fäden nach Russland waren offensichtlich.
Aber die Spur erkaltete nach und nach und ich war langsam am Verzweifeln. Vom Scotland Yard und vom MI6 aus bat man mich schon einige Male, wieder nach London zurückzukehren.
Ich war kurz davor, dem nachzukommen, da landete ein lokaler Fall auf meinem Schreibtisch.
Geschuldet des typisch italienisch-familiären Arbeitsumfeldes fand Magnolia Ligano, die Leiterin meiner Abteilung, …“
„Warum so förmlich, Cooper, ich bin doch direkt neben ihnen“, lachte Ligano.
„Ich dachte, Maverick mag es, wenn alles korrekt ist und seinen Platz hat“, schmunzelte ich und fuhr fort.
„Also, sie hielt es für angebracht, mir einen Mord anzuvertrauen, dessen Auflösung ihrem guten Freund und ortsansässigen Commissario nicht gelang. Und das war im Nachhinein auch gut so. Denn so kam eines zum anderen.
Dass dieser neue Fall meine eigentlichen erloschen geglaubten Bemühungen wieder zum Erglimmen brachte, merkte man am besten beim Verhör des Ehemanns der Ermordeten, das wir gleich am Anfang führten. Wir saßen hier nebenan in den Verhörräumen der Questura, da wir im Stützpunkt keine eigenen hatten. Sie, Ligano, waren außer Rand und Band“, lachte ich und startete das erste Tonband, auf dem ich über unsererstes Verhör berichten sollte.
Jack McCooper
„Warum verhören wir den überhaupt?“, wurde ich zu Recht gefragt. Verdammt, was hatte Ligano Recht.
Jemanden wie ihn auszufragen, hatte fast keinen Sinn. In keinem Land, das ich kannte. Ein Immobilienhai kommt einem Mafioso noch am nächsten.
Doch ich ließ mir nichts anmerken:
„So sind wir doch schon einen ganzen Schritt weiter,
Frau Kollegin. Kapitel für Kapitel!“
„Seien sie nicht so spitzfindig, Cooper!
Solange Sie hier arbeiten, bin ich Ihre Vorgesetzte!“, grummelte sie – eine Zigarette halb im Mundwinkel.
Sie zündete sie sich an. Die Nerven lagen blank.
Wir wussten, dass die Bearbeitung dieses Falls nur eine Gefälligkeit war und der eigentliche Auftrag damit auf der Strecke blieb. Aber es musste sein.
Keiner von uns wollte zu lange für ihren Freund Commissario Jean Rossé in diesem schwülen Kellerloch sein.
Doch eins musste noch richtiggestellt werden:
„McCooper, Signora, Mc! Cooper. Das ist wie ein Titel. Das ist schottische Tradition!“
„McCooper!“, sagte sie barsch und knallte mit der flachen Hand auf den Tisch.
„Jetzt machen Sie schon. Verhören Sie ihn, bevor sein Anwalt da ist“, blaffte sie und betete kurz ein paar Rosenkränze fluchend gen Himmel. „Sie können froh sein, dass er uns seine Geschichte erzählen will.“
Ich stand langsam auf und ging zum Einwegspiegel. Ich schaute in den hier so genannten ´stanza degli interrogatori´ rein und drehte meinen neuen Zigarillo mit den Fingerspitzen hin und her und überlegte.
Nach einer kurzen Denkpause sagte ich:
„Jeder hat hier das Recht auf seine Sicht der Dinge.
Jeder darf hier im Verhörraum seine Geschichte erzählen. Danach verflechten wir die Erzählungen zu einer kompletten Geschichte. Praktisch zu einem Knoten. Daraus wird der Strick für den Täter!“
„Schön gesagt, Cooper … McCooper. Jetzt machen Sie!“
„Gut. Sie halten den Anwalt auf.“
„Ja“, schnaufte sie und verließ den Raum.
Ich nahm mir das Feuerzeug vom Tisch und ging ebenfalls. Auf dem Weg in den Nebenraum gab mir mein neuer Praktikant vom DIA die Personenakte.
Wir betraten beide den Raum und ich las laut vor, während wir Platz nahmen:
„Ricardo Taleri, 54, Immobilienmakler von Beruf. Schön, schön. Für Italien sieht Ihr Lebenslauf fast lupenrein aus.“
Er schaute mich nahezu regungslos an, doch das eine kleine Zucken bemerkte ich schon.
Ansonsten lächelte er und blieb genauso gelassen wie jemand, der sich heute in der Mittagspause im Park in der Sonne baden konnte. Als er sich in die harte Lehne gleiten ließ, wusste ich schon, dass seine Geschichte lang werden würde und ich musste mir das gefallen lassen.
So ein Mann hat viele Freunde.
Er konnte mir mit einem Anruf alles besorgen oder alles verbauen. Natürlich bangte ich um meinen eigentlichen Fall, bei dem ich nach so langer Zeit in der Endphase war. Der eigentliche Grund, wieso ich von Amerika und diesem FBI und Mafia-Krieg aus hier gelandet war und wieso ich mit der SISMI und dem DIA zusammenarbeitete.
Ich setzte mich, breitete die Fotos der Beweise auf seinem Steckbrief aus und nickte zu Maverick.
Dieser schloss wortlos die Tür, schaltete das Diktiergerät in der Mitte des Tisches an und setzte sich neben mich.
Er holte mit einer nervigen, ausladenden Geste den Block aus der inneren Jackettasche – wie er das immer tat, seit wir uns kannten – und blätterte seine Notizen auf.
„Bitte sehr, Signore Taleri“, lud ich ihn mit einem entsprechenden Fingerzeig zum Reden ein.
Taleri holte unglaublich umständlich lange Luft und dann begann er einen Monolog, der sich gewaschen hatte: „Ich fuhr gerade mit meinem Cabrio die Straße am Meer entlang. Einem Fiat 124 Spider aus den siebziger Jahren. In Saphire-grün, die Lieblingsfarbe meines alten Herrn. Wissen Sie, ich …“
„Holen Sie tatsächlich jetzt so weit aus, Taleri?“
Ich rollte mit den Augen und schmiss mich nach hinten in den Stuhl, dass er nur so knarzte.
Er lächelte mild und fuhr unbeeindruckt fort:
„Das find ich wichtig zu wissen über das Auto.
Es ist mein Auto. Klar habe ich viele Autos, keine Frage. Überall im Land. Ein Hobby von mir. Genau wie Immobilien. Aber dieses Auto ist ein Geschenk von tieferem Wert. Ein Geschenk meines Vaters, was mich immer daran erinnern sollte, was Freiheit bedeutet. Als …“
„Wieso glauben Sie, die Bindung zu Ihrem Dad wäre uns wichtig, Signore Taleri?“, versuchte Maverick wie ein waschechter Praktikant sein Glück, ihn zu einer kürzeren Geschichte zu überreden.
Die Fragestellung ging natürlich nach hinten los.
Das war mir fast schon klar. Aber, um ehrlich zu sein, musste auch ich mir eine andere Strategie einfallen lassen.
„Warten Sie. Ich erkläre es Ihnen“, setzte Taleri wieder ein. Es folgte eine Geschichte über die Trennung seiner Eltern nach 40 Jahren, wie seine Mutter nach St. Tropez zog und sein Vater nach Sizilien – und so weiter.
Ich versuchte zu erkennen, was wichtig war und was nicht, aber Maverick gab sein Bestes, alles niederzuschreiben, was Taleri sagte.
Taleris Vater hatte also einen Weinbau und einen Autohandel, aus dem der Fiat 124 Spider stammte, den Taleri am besagten Abend fuhr. Aber diese Info brachte uns vorerst keinen Deut weiter.
Er holte sein Pfeifenset aus der Jackettasche und begann sich nebenher eine Pfeife zu stopfen. Ich nahm diese Gelegenheit wahr, mir einen Zigarillo anzuzünden. Ich spürte, wie er meine grämenden Stirnfalten praktisch nachzeichnete und erkannte, dass auch ich lieber einen Schluck Grappa dazu gehabt hätte. Maverick wedelte empört über den Rauch mit den Unterlagen.
Taleri erzählte weiter davon, dass irgendwann sein Vater vor der Tür stand – sterbenskrank –, zusammen mit seinem Bodyguard und seinem Notar und ihm den Autohandel sowie das Auto vermachte. Das Weingut bekam die Mutter. Ab da hörte ich wieder genauer hin.
Denn es ging um Besitz und Erbe. Ein gutes Motiv für einen Mord. Ein Mord unter Familienmitgliedern geht meistens nur ums Geld.
„Den Stift zum Unterschreiben dieser Verträge reichte mir einer der Begleiter, der sich als der Notar und Buchmacher herausstellte. Auch ein guter Freund der Familie, sagte Vater. Wissen Sie, Leute, die der Familie Gutes tun, sind immer Freunde der Familie. Vielleicht liegt es an Vaters Vergangenheit. Nicht selten hing er früher mit den Frischlingen der Mafia rum, die inzwischen bekannte Größen im Geschäft sind. Wer auf dieser Ebene in einem aufstrebenden Ort wie Civitavecchia groß rauskommen will, kann das nur mit Unterstützung der Mafia tun.“
Das war ein Satz, der meine Thesen auch zu meinem eigenen Fall festigte. Wie wahr war das!
Ich stieg wieder ein in Taleris Geschichte:
„Sein Notar überreichte mir noch den Umschlag, um den es Ihnen hier geht. Bis heute weiß ich nicht, was das war. Meine Holde zeigte ihn mir nie. Und bis jetzt war mir das egal.“
„Bis zu Ihrem Mord, meinen Sie?“, stichelte Maverick unnötigerweise nach und kassierte einen meiner unzähligen bösen Blicke, die ich ihm zuwarf, seit wir uns kannten. „Nur für das Protokoll“, sagte er entschuldigend, auf das Diktiergerät schauend.
„Ja. Ist schon ok. Bevor er ging, gab er mir noch den Schlüssel zu dem Fiat. Meine erste große Liebe. Ja, ich weiß, meine Frau konnte das Auto gar nicht leiden.
Genau wie Papas Geste mit diesem Umschlag, welcher sofort im Safe landete.
„Der Umschlag ist wenigstens eine brauchbare Information in den letzten fünfzehn Minuten.“
Ich schaute genervt auf die Uhr und in den Spiegel.
„Gestern dann war jedenfalls …“
„Ah, geht’s tatsächlich schon um den besagten Tag?“, brummte ich. Eher zu mir, doch Maverick stieß mich mit dem Ellbogen in die Seite.
Ich rappelte mich auf und fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht. Jetzt ging es um die Fakten. Jetzt ging die Geschichte erst richtig los.
„Also, Taleri …“, sagte ich zuversichtlich, „…dann erzählen sie mal Ihre Version des Abends.“
Mein Kollege öffnete die Tür, damit unser beider Qualm entfleuchen konnte. Taleri war am Wort.
Jack
„Eine schöne Einleitung. Ich verstehe nicht ganz, wieso Sie den Bericht nicht selber schreiben wollen“, lobte mich Ligano.
„Es war ja auch meine eigene Geschichte. Ich hör mich selber gerne reden. Die Geschichten der anderen sind es, worüber ich mir Sorgen mache.“
„Deswegen haben wir ja auch die Aufzeichnungen hier“, fuhr Maverick fort.
„Wenn ich es aufschreibe, werde ich die einzelnen Perspektiven der Verhöre einfach wie Kapitel mit dem Namen des Erzählenden beginnen. Ich hab mir da schon Gedanken gemacht, Cooper. Keine Angst“, brüskierte sich Ligano.
„Dann müssen Sie aber unsere Befragungen dazwischen kenntlich machen, sonst …“
„Ich bitte Sie, Cooper!“, unterbrach sie mich.
Maverick schlug ungeduldig Taleris Steckbrief auf, legte das Band in das Diktiergerät und drückte ´play´.
Ricardo Taleri
Der Jüngere hatte wohl Angst, ich würde meine Geschichte abbrechen. Ich hatte die Position, auch ohne Anwalt nichts zu sagen oder so viel zu erzählen, wie ich will, aber, um ehrlich zu sein, musste ich mir selber noch einmal zuhören und alles vor meinem geistigen Auge rekapitulieren lassen.
Also:
Gestern war dann einer der ersten idyllischen Frühsommertage. Ich meine, es war ja schon Mitte April.
So wolkenlos und warm, dass ich extra noch den Umweg am Meer entlangmachte, um mir endlich mal wieder etwas von der Entspannung zu gönnen, von der mein Vater immer sprach. Ich bin ja immer noch in der Baubranche, müssen Sie wissen.
Ich kam gerade von einem Golf-Vorbereitungsturnier. Ein großes Wiedersehen.
Lissy, meine Frau, konnte diesem verlogenen Getue in den Golfclubs nie etwas abgewinnen, so ließ sie sich wiedermal mit Migräne von mir entschuldigen.
Stattdessen wollte sie zu den Nachbarn, die immer so entzückende Gartenpartys machten.
- „Wo sie auch war, aber nur kurz“, ergänzteder jüngere Partner McCoopers.„Ja, wie die Nachbarn selbst sagten, hatte sie später tatsächlich Migräne …“, grummelte ich – der Ironie bewusst.„Laut den Nachbarn zumindest, als wir sie befragten …“, fiel mir McCooper kleinlich ins Wort. -
Ich parkte also bei der Rückfahrt in einer Aussichtsparkbucht entlang der Straße oberhalb des kleinen Hafens und schaute in die Bucht.
Es war wohl kurz nach halb sieben.
Ich beobachtete die Schiffe, wie sie von dem sanften Wellengang fast schon hypnotisch hin- und her wankten. Die späte Nachmittagssonne glitzerte orange über dem Meer und ein paar kleine diesige Wolken zogen am Horizont auf.
Ich rauchte eine Pfeife und als ich auf die Uhr schaute, merkte ich erst, dass ich zwei Stunden später heimkommen würde als sonst.
Es war – ja – halb acht.
Das Golfturnier hatte ich zwar gewonnen, aber ich wusste: mein zu spätes Erscheinen hätte trotz unserer Liebe eine lange Fragerei nach sich gezogen.
So sind Frauen eben.
Ich fuhr in die schon etwas abkühlende Allee zu unserem Anwesen hin hoch – es war etwa acht Uhr.
Die Sonne schien gerade noch so auf unser Dach.
Wir hatten ja auch riesige Hecken. Momentan schien eigentlich alles schiefzugehen: Die Küchenhilfe wurde plötzlich nach Portugal deportiert, der Gärtner musste zur Familie – was ich schon damals nicht glaubte – und der Butler kündigte vor etwa zwei Wochen, weil er eine Zeit lang eben die Gärtnerarbeiten mitmachen sollte.
Beim automatischen Tor begann zu allem Überfluss die Mechanik zu versagen – wie Sie es auch erfahren durften, als Sie da waren, Cooper.
Mein Vater musste nie Rasen mähen oder Ähnliches. Wir sind eine hart arbeitende Familiendynastie, wir …
Jack
Hier unterbrach ich seine Ausführungen in diesem unsäglich schwülen Loch eines Polizeiverhörraumes.
Im Grunde erzählte er noch lange davon, wie gut es ihm und seinen Eltern ging, wie reich sie waren und trotzdem bodenständig. Er erzählte, dass er auf die Tradition pfiff, Betriebswirtschaft studieren ging und dort seine Frau kennenlernte. Sie war eher in einer alternativen Gruppe unterwegs
– Sie kennen sie ja noch: diese Hippies.
Sie spielten Songs von Bob Dylan und Pete Seeger und so weiter und protestierten für und gegen alles Mögliche.
Unter anderem gegen die Bebauung freier Natur für Profit. Das, was praktisch ein Immobilienhai wie Taleri eben so macht. Aber er konnte seine Identität verschleiern und ging ein paarmal mit ihr aus und so kamen sie zusammen, blablabla …“
„Haben Sie gerade die ganze romantische Geschichte weggeblablat, McCooper?“, schaute Ligano enttäuscht von der Schreibmaschine auf.
„Das sagte er auch. ‘Diese alten Kamellen. Diese jungen, spritzigen Schnulzengeschichten, die uns die Jungen heutzutage gar nicht mehr glauben würden, dass jemand Altes wie ich so etwas wie eine romantische und wilde Vergangenheit hat´, sagte er. Ich komme gerne noch einmal darauf zurück, wenn sie ein Drehbuch für eine schnulzige Romanze brauchen“, meckerte ich.
„Jedenfalls war – im Nachhinein betrachtet – das Wichtigste in seinen Ausführungen: der rothaarige Typ, mit dem sie sich damals in ihrem Studium verabredete – und das noch bevor Taleri und sie ausgingen – und die Verbundenheit zur Mafia, die immer im Hintergrund für das Wohl der Familie Taleri zu sorgen schien. Das war alles, was mich interessierte.“
„Und natürlich seine Geschichte, wie er dann seine Frau vorfand“, lenkte Maverick das Thema wieder zu den Aufnahmen des Verhörs.
Ricardo Taleri
Ich kam also in die Villa, stellte mein Golf-Bag in den Flur und hing meinen Mantel in der Garderobe auf. Eigentlich rechnete ich noch gar nicht so richtig mit meiner Frau, denn als ich die Auffahrt hochfuhr, konnte ich die Partybeleuchtung nebenan sehen.
Aber aus Gewohnheit rief ich nach ihr ins Haus hinein, während ich den Flur zur Küche entlangging.
Schon allein die Geschichte mit dem Sieg war so egoschmeichelnd, dass ich sie gerne von mir selbst ausgesprochen hörte. Also fing ich an, davon zu erzählen und schnappte mir einen Apfel aus dem Obstkorb. Während ich die Treppe hochging, entschuldigte ich mich für mein zu spätes Erscheinen und wollte mit einigen romantischen Gedanken einsetzen, davon zu erzählen, wie wir uns kennen gelernt haben. Aber ich kam nicht weit mit der Geschichte. Denn schon bei den ersten Worten meiner Erzählung hielt ich inne. Weil ich aus ihrem Arbeitszimmer nur ein leichtes Licht flackern sah.
Der Fernseher lief. Aber er war auf stumm geschaltet.
Ich dachte mir, dass Lissy in ihrem Sessel eingeschlafen wäre und begann zu schleichen.
Ich wollte sie sanft wachküssen.
Ganz romantisch wollte ich sie ins Bett holen, wie in den alten Zeiten. Natürlich nützt schleichen nicht so viel, wenn man auf antiken Holzplanken läuft.
Das Zimmer war Lissys Zimmer und deswegen nach ihren Wünschen gestaltet, drum hatte es eben etwas rustikales Ländliches, was sie von ihrem Elternhaus her kannte.
Meine zwei Schritte knarzten heftig, aber sie rührte sich nicht. Ich sah Lissy von hinten, wie sie auf ihrem jägergrünen Samtsessel mit der hohen Rückenlehne saß. Auf ihrem Schoß lag die Tageszeitung.
Ich blieb kurz im Raum stehen, um die Atmosphäre auf mich wirken zu lassen. Die Sonne war fast weg und hinterließ einen roten Streifen am Horizont.
Durch das Fenster säuselte leise der Wind und spielte mit den Vorhängen. Die Wanduhr tickte.
Der Fernseher summte. Die Planke knarzte beim Weitergehen ein weiteres Mal und mein Herz bekam so ein komisches Ziehen. Irgendetwas stimmte nicht.
Irgendetwas fehlte. Ich wusste noch nicht genau, was es war. Als ich meine Hand sanft auf ihre Schulter legte, sackte sie vom Sessel zur Seite.
Die Zeitung fiel auf den Boden.
Mein Herz raste. Sie war tot.
– McCooper und sein Nebenmann und noch jemand hinter dem Spiegel – da war ich mir sicher – beobachteten meine Reaktion genau. Aber sie war eindeutig, fand ich. Ich hatte, wie an dem Tag auch, Tränen in den Augen. Ich erzählte wacker weiter: –
Wie versteinert stand ich da. Es schien sich alles um mich zu drehen. Auf ihrer Brust sah man Blut.
Überall. Vor lauter Panik wollte ich sie wieder geraderücken.
Es war Mord. Das war mir sofort klar. Es war eindeutig Mord. Ich lief hektisch Kreise im Zimmer.
Noch nie lagen Schönheit und Tod so dicht nebeneinander. Sie sah aus, als ob sie schlief, nur das eine, was fehlte, war ihr Atem. Ich wollte ihn für immer spüren, jetzt war es vorbei.
Nachdem ich am Sekretär die ersten Zeilen meiner Gedanken-Maschine niedergeschrieben hatte, kam ich wieder etwas zu Besinnung. Mein Schock und meine Trauer wandelten sich zu Wut und Tatendrang.
- „Zu Tatendrang? Wie meinen Sie das? Haben Sie etwas angefasst? Spuren verwischt? Etwas bewegt?“, fragte eifrig McCoopers Kollege.Ich schüttelte verneinend den Kopf. -
Ich sah mich im Zimmer um und überlegte nur, wer meine Frau einfach so ohne Grund umgebracht haben sollte.
Ich sammelte mich und stand auf. Ich schaute sie an und wischte mir die Tränen aus den Augen.
Es war so gespenstisch. Die Sonne war inzwischen weg und tränkte alles in einen silbergrauen Schleier.
Der Wind, der durch das Fenster mit den Vorhängen spielte, wurde spürbar kälter. Ich schloss die Fenster und ging ins Schlafzimmer nebenan.
Von da aus rief ich im Polizeipräsidium an.
Jack
Ich stoppte das Tonband und Ligano blickte auf.
„Das war alles? Das war Ihr Verhör mir Taleri?“, fragte sie mich verwundert. „Man sagte, sie wären einer der besten Männer des Scotland Yard. Sogar ich hätte noch ein paar Fragen gehabt. Man hätte ihn da schon festnageln können. Oder sind sie zu alt für den Scheiß?“, stichelte sie neckisch.
„Nein, nein, Ligano. Das Verhör geht noch weiter.
Aber, wie ich auch damals vor seiner Vernehmung erwähnte: Die Geschichten der Leute sind doch zeitlich der Reihe nach miteinander verbunden und so wollen Sie es doch auch aufschreiben, oder? Leugnen sie es nicht!“, grinste ich verschmitzt. „Sie möchten sich mit einem Kriminalroman zur Ruhe setzen. Da kommt Ihnen diese Geschichte hier gerade recht! Ich kenne ihre typischen handschriftlichen Notizen an der Wand in Ihrem Büro, die Sie sich selbst geschrieben haben“, sagte ich abgefeimt und schien damit ins Schwarze zu treffen.
„Deswegen – um die richtige Reihenfolge einzuhalten – habe ich jetzt hier am Band vorerst einen Teil der Aussage von Andrea Wrangler, der Sekretärin von Jean Rossé – dem Commissariovon Civitavecchia. Danach geht’s weiter im Haus von Taleri. So erzählt sich die Geschichte!“, sagte ich.
„Verstehe, Cooper … McCooper. Sie sind der Professor-Kriminalist hier“, antwortete sie eine Spur zu spitz.
Sie dämpfte ihre Zigarette aus und klopfte mir dann auf die Schulter: „Na dann, weiter im Text.“
Maverick fummelte die Kassette hervor und während ich sie startete, erzählte ich Ligano, was ich aus der Akte wusste:
„Andrea Wrangler, sechsundzwanzig, seit fünf Jahren arbeitet sie für den Commissario und kennt ihn in- und auswendig. Im Grunde ist sie nur die Tippse …“
„Sekretärin, Jack!“, mahnte mich Maverick.
„Jaja, Sekretärin. Aber wie gesagt, sieht sie sich eher als Janine Melnitz der Questura. Also sie arbeitet eher aktiv mit. Und somit ist sie eine wichtige Sichtweise auf den Fall.“
„Ja, ich versteh Sie schon, Cooper. Spielen Sie ab!“
„Aber Vorsicht, sie ist da manchmal etwas verträumt.
Ich spul noch etwas vor. Sie erzählt von ihrem Alltag, wie stressig er ist und besonders mit ihrem Vorgesetzten Commissario Jean Rossé, Franzose, der im Grunde als Frohnatur nur durch zwei Dinge zu reizen ist: Zu wenig gutes Essen, oder wenn jemand über ihn und sein schlechtes Italienisch spottet, welches noch schlechter wird, wenn er sich aufregt. Etwas über dreißig, immer gepflegtes Aussehen, immer frisch gebügelte, pastellfarbene Hemden und sogar seine Leinenhose war immer gebügelt. Wir kennen ihn ja.“
Andrea Wrangler
… Aber nun war endlich Feierabend.
Jean war gerade ermattet in die Küche gestapft, um sein am Morgen eingewickeltes Sandwich mit nach Hause zu nehmen.
Tacelli – ein blutjunger Carabinieri – wartete noch brav auf Jeans letzte Instruktionen an der Tür und ich packte meine Notizen zur Überarbeitung in meinen Rucksack. In dem Moment klingelte das Telefon.
Ich hasste mich selbst dafür, dass ich den Hörer noch abnahm. Während ich schnell auf die Zeitung neben mir die wichtigsten Sachen notierte, merkte ich, wie sich mein ´Feierabend-Gesicht´ zu einem stark besorgten Gesichtsausdruck änderte.
Das bemerkte auch Jean, der inzwischen sandwichkauend und eigentlich endlich wieder glücklich in der Tür stand.
„Uff, ´drea, das Sandwich! Es ist eine … beau rêve. Un Traum! Essen ist so …“
Doch seiner Stimmung sollte bald ein Ende gesetzt sein, weil ich wusste, dass Ricardo Taleri, der in der Leitung war, der Ehemann von Jeans bester Freundin war. So war mir klar, dass ich gleich beim Auflegen des Hörers einen schweren Job zu tun hatte. Nur zögerlich – Taleri war schon seit ein paar langen Sekunden aus der Leitung – entfernte ich den Hörer vom Ohr und legte ihn auf.
Jean hielt seinen letzten Satz immer noch inne und mampfte langsamer, dabei schaute er mich ungeduldig an.
Kleine Schweißperlen bildeten sich in Tacellis schönem, braungebranntem Gesicht. Denn auch er wusste, wie es um Jeans Launen bestellt war.
Noch saß ich wie versteinert da und verarbeitete die Informationen, in dem ich mit dem Bleistift auf die Notizen klopfte. Als ob es etwas verbessern könnte.
Ich entschied mich dafür, den Satz ´Signora Taleri wurde ermordet! ´ so schnell wie möglich rauszusprudeln. So schnell, wie der Satz draußen war, sah ich bei Jean die erste Träne über die Wange laufen.