Meat Market – Schöner Schein - Juno Dawson - E-Book
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Meat Market – Schöner Schein E-Book

Juno Dawson

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Beschreibung

Faszinierend, realistisch und gnadenlos gut – die britische Bestseller-Autorin Juno Dawson wirft einen spannenden Blick hinter die Kulissen der Modebranche. Jana Novaks Geschichte klingt wie das typische Model-Klischee: Eine schlaksige 16-Jährige, die nie zu den Hübschen zählte, wird auf der Straße entdeckt und über Nacht zum Star der Modebranche. Jana ist fasziniert von der neuen Welt, den vielen Chancen: Reisen, Partys, Begegnungen mit Kreativen und Promis. Aber schnell lernt sie auch die Schattenseiten kennen. Das, was sich hinter der schönen Fassade versteckt. Denn das Business ist hart, die jungen Models sind leichte Beute. Und je höher man steigt, desto tiefer der Fall ... Der perfekte Jugendroman mit einer starken jungen Heldin – diese authentische Geschichte aus der Welt der Models steckt voller Action und Emotionen und entwickelt einen unglaublichen Sog.

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Juno Dawson: Meat Market – Schöner Schein

Aus dem Englischen von Christel Kröning

Model sein, das ist der Traum vieler Mädchen. Jana hingegen hat nie darüber nachgedacht. Sie ist zwar groß, aber keine typische Schönheit. Trotzdem, als sie in einem Freizeitpark »entdeckt« wird, ergreift sie ihre Chance – mit unerwartetem Erfolg! Plötzlich ist sie Teil einer faszinierenden Welt: Sie reist nach New York und Paris, trifft Designer und Promis, verdient ordentlich Geld. Doch bald lernt Jana auch die Schattenseiten des Jobs kennen. Das, was sich hinter der schönen Fassade versteckt. Denn das Business ist hart, die jungen Models sind leichte Beute. Und nur allzu schnell verliert man jeglichen Halt …

Spannend, süffig, ganz nah dran: Es braucht Kraft und Mut, ein Model zu sein!

Wohin soll es gehen?

  Buch lesen

  Rat und Hilfe

  Danksagung

  Viten

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  Leseprobe

 

Vorbemerkung der AutorinMeat Market – Schöner Schein ist eine fiktive Geschichte, Themen wie sexuelle Gewalt, Essstörung und Abhängigkeit sind hingegen ernst zu nehmen und real.Rat und Hilfe bieten die hinten im Buch genannten Anlaufstellen.Juno x

 

»Mode sollte kein Gefängnis sein,sondern eine Realitätsflucht.«–  Alexander McQueen

 

– Okay, Kamera läuft.

– Was soll ich sagen?

– Warum du diesen Film machen willst zum Beispiel.

– Es ist an der Zeit dafür, denke ich.

– Warum jetzt?

– Keine Ahnung. Etliche Leute haben sich etliche Meinungen über mich gebildet. Wer ich bin. Was passiert ist. Jetzt will ich meine Seite der Geschichte erzählen.

– Cool.

– Gut. Wo soll ich anfangen?

– Na, am Anfang.

– Ähm …

– Lass dir Zeit. Wir haben es nicht eilig.

– »Es war einmal die Geburt eines kleinen Mädchens …«

– Okay, vielleicht nicht ganz am Anfang.

– Ich komme mir blöd vor.

– Du machst das super, versprochen.

– Ich schätze … es ging an dem Tag im Freizeitpark los.

– Dann fang da an.

GESCOUTET

Warum sind Kerle so scheiße?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir verfolgt werden. Und als ich jetzt wieder über die Schulter gucke, ist er, jawoll, immer noch da. So ein Widerling. Seit wir auf dem Weg zum Stealth noch pinkeln waren, schleicht er uns hinterher. Echt mal: Igitt. Es ist doch wohl offensichtlich, dass wir mit der Schule hier sind. Was zur Hölle stimmt nicht mit dem? Beschissene Mistkerle, alle miteinander.

Mein Handy vibriert in der Hosentasche. Ferd schreibt. Sie haben sich umentschieden. Jetzt wird’s der Swarm statt dem Stealth.

»Die andern stehen schon beim Swarm an«, gebe ich die Info an Laurel weiter. Sie sind vorgegangen, während ich mit Laurel auf dem Klo war. Mit Laurel und ihrer winzigen Konfirmandinnenblase.

Sie nickt. »Okay.«

An der Tidal Wave, der wir in großem Bogen ausweichen, um nicht durchnässt zu werden, biegen wir ab. Und während Laurel in einer Tour vor sich hin erzählt, werfe ich die Haare über die Schulter, um unauffällig nach hinten zu gucken.

Was zur verdammten Hölle? Der Kriecher ist immer noch da.

Okay. Jetzt mache ich mir langsam Sorgen.

»Nur, warum …« Ich versuche mich auf Laurels Worte zu konzentrieren. »… warum muss sie es so raushängen lassen? Ich meine, schon klar, Harrison ist jetzt ihr Freund, aber muss sie ihm deswegen ständig in den Haaren rumwühlen oder sich wie eine läufige Hündin an ihm reiben? Hat sie noch nie was von Würde gehört?«

Ein weiterer verstohlener Blick über die Schulter. Immer noch da. Scheiße. Er sieht aus wie um die dreißig. Nicht alt genug, um mein Vater zu sein, aber es fehlt auch nicht viel. Wir biegen jetzt auf den Weg ein, der in die Warteschlange vom Swarm mündet. Um uns her wird das Katastrophenszenario nach einer Alieninvasion imitiert: brennender Krankenwagen, Polizeisirenen, eine verkohlte Telefonzelle. Eigentlich ganz cool, nur –

»Jana, hörst du mir überhaupt zu?«

»Laurel«, sage ich und lege ihr den Arm um die Hüfte. »Schau jetzt nicht nach hinten, wir werden verfolgt.«

»Was?« Natürlich dreht sie sich sofort um.

»Laurel!«

Und dreht sich wieder zu mir. »Von wem? Dem Hipstertypen?«

»Exakt«, zische ich. »Seit dem Klo klebt er uns an der Hacke, da bin ich ganz sicher.«

»Im Ernst? Igitt! Was für ein Freak.« Auch Laurel greift zum Trick mit dem Haarezurückwerfen. »Oh mein Gott, Jana, er kommt auf uns zu.«

»Was?«

»Hallo! Entschuldigt bitte!«, ruft er.

Geht’s noch? »Lauf einfach weiter«, befehle ich Laurel. Zwar kommen auch wir nicht an jeder Baustelle vorbei, ohne dass uns irgendein Dreck zugerufen wird, aber so richtig verfolgt wurden wir noch nie. Ich kriege echt Angst. Sollte man sich nicht zumindest im verfickten Freizeitpark einigermaßen sicher fühlen können?

»Ihr zwei da, ganz kurz nur«, ertönt es in unserem Rücken.

»Hm, mal gucken. Vielleicht hast du ja was verloren oder so.«

»Nein, Laurel, wir sollten –«

Aber zu spät. Mit wenigen Schritten ist er bei uns. »Meine Güte, ihr habt vielleicht ein Tempo drauf. Seit Ewigkeiten versuche ich schon euch einzuholen.« Er streckt mir die Hand hin. »Hi, ich heiße Tom Carney. Ich bin …«

Der Swarm rattert samt schreienden Fahrgästen über unsere Köpfe hinweg und weht mir die Haare ins Gesicht.

»… bist du?«

»Was?«, rufe ich.

»Ich habe gefragt, wie alt du bist.«

Laurel verzieht das Gesicht. »Zu jung für dich, du Perversling.«

Der Mann, Tom, greift lächelnd in seinen Rucksack, zückt eine Visitenkarte und hält sie mir vor die Nase.

PRESTIGE MODELS

Tom Carney

Leiter der Abteilung Scouting

Ich blinzle. Während die Bahn ein zweites Mal über uns hinwegdonnert, bewegen sich seine Lippen. »Tut mir leid, was?«

»Ob du schon mal gemodelt hast«, wiederholt er. Er sieht nicht aus wie ein Pädophiler, wobei wohl auch nur die wenigsten wie einer aussehen. Vielmehr könnte er problemlos in einer Gruppe Shoreditch-Hipster untertauchen: Beanie, Plastikbrille, Karohemd und roter Bart. Wetten, er fährt Klapprad?

»Fragst du das im Ernst?«, fragt Laurel gerade. »Ob Jana schon mal gemodelt hat?

Ich ignoriere den Seitenhieb und antworte ihm. »Nein, noch nie«, nuschele ich. Ich hasse es, wie ich klinge, wenn ich nervös bin. Meine Stimme rutscht dann so tief, dass ich mich wie ein Riese anhöre. Wie ein Hagrid-O-Ton.

»Ist denn noch keine Modelagentur an dich herangetreten?«

»Nein«, antwortet Hagrid. Ist das real? Modelagentur? Moooment, geht es hier um Pornos? Wer würde denn bitte meinen flachen Arsch im Porno sehen wollen?

»Wow, das wundert mich«, sagt Tom Carney. »Wie alt bist du gleich?«

»Sechzehn.«

Glühende Junisonne auf meiner mit Fünfziger-Sonnencreme eingeschmierten käsigen Blässe. Die abgeschnittenen Jeansshorts kleben mir an der Haut. Ebenso das Nirvana-Shirt und die gammeligen Converse, die irgendwann einmal weiß waren. Der Klassenausflug in den Thorpe Park gilt als Belohnung nach der Prüfungsphase. Die Luft ist schwer von Nivea, Zuckerwatte, Würstchen, Senf und Ketchup.

»Sag ihm das doch nicht«, schimpft Laurel und zieht mich an der Hand. »Nachher ist er pädophil. Lass uns einen Lehrer suchen.«

»Es ist gut, dass ihr misstrauisch seid. Fallt bloß nicht auf Pseudo-Talentscouts rein. Aber ich bin ein echter, versprochen. Prestige gehört zu Londons besten Adressen in der Branche. Ihr könnt mein Büro anrufen oder auf unsere Website schauen. Wie heißt du?«

Ich habe keine Ahnung von Mode und so, aber von Prestige habe ich tatsächlich schon mal gehört. Weil sie Clara Keys vertreten. Alle in der Winstanley lieben Clara. Sie ist eine von uns. »Ich heiße Jana. Jana Novak.«

»Schöner Name. Woher kommst du?«

»Battersea, Winstanley-Siedlung.« Die Frage nach meiner Herkunft höre ich immer, wenn ich meinen Nachnamen sage. »Aber meine Eltern kommen aus Serbien.«

»Wundervoll. Weißt du, wie groß du bist?«

Verdammt zu groß. »Nicht genau.« Ich zucke die Schultern. »Vielleicht eins achtzig?« Über eins achtzig will ich nicht sein. Ich gehe beim Messen schon immer ein bisschen in die Knie, nur für den Fall.

Eine weitere Bahn voller Schreihälse fährt vorbei. »Hör zu«, sagt Tom, »nimm meine Karte. Die Telefonnummer steht auf der Rückseite. Ich will dich zu nichts drängen, aber wenn du Interesse hast, besprich dich doch mit deinen Eltern und dann vereinbaren wir einen Termin im Büro.«

Laurel stellt sich mehr oder weniger zwischen uns. »Dein Ernst, Kumpel?«

»Absolut. Das ist mein Job.« Er lächelt breit und seine Zähne sehen zu perfekt aus – wie schneeweiße Monopoly-Häuser –, um echt zu sein. »Ich gehe auf Festivals, in Freizeitparks, überall dahin, wo viele Teenager sind, um neue Talente zu entdecken. Verrückt, ich weiß.«

»Cooler Job«, sagt Laurel mit großen Augen. »Was ist mit mir? Könnte ich ein Model sein?«

Oh, Honey, bitte nicht. Autsch. Doch Tom spielt mit und tritt einen Schritt zurück, um sie in Augenschein zu nehmen. Laurel ist wesentlich hübscher als ich. Sie hat eine niedliche Stupsnase und Allergische-Reaktion-Lippen, von denen Jungs einer abzugehen scheint. »Wie heißt du?«

»Laurel Ross.«

»Nun, Laurel, du bist definitiv ein hübsches Mädchen, aber wie groß bist du?«

»Eins fünfundsechzig«, antwortet Laurel betrübt. »Aber größer in High Heels!«

Tom nickt mitfühlend. »Leider kommen für uns nur Mädchen infrage, die größer als eins siebzig sind.«

»Kate Moss ist nicht größer.«

Tom lächelt. »Aber Kate Moss ist Kate Moss.«

»Oh. Okay.«

»Also, Jana, wenn du dich bei uns melden würdest, wäre das großartig. Ich würde mich sehr freuen.«

Laurel steht der Mund offen. Wie verrückt tippt sie auf ihrem Handy herum. Ich sehe zu Tom und schüttele den Kopf. »Ich? Sind Sie sicher?«

Er grinst. »Jana, ganz ehrlich, es ist mir unbegreiflich, dass du nicht längst gescoutet wurdest. Deine Eltern sollen sich bei mir melden, ja? Hab einen schönen Tag. Und immer hübsch Sonnencreme benutzen.«

Nachdem er in einer spanischen Touristengruppe verschwunden ist, frage ich mich, ob ich ihn nur halluziniert habe. Vielleicht vertrage ich die Landluft nicht.

»Oh mein Gott, Jana! Ist das gerade wirklich passiert?« Aha, wenn Laurel ihn auch gesehen hat, muss er wohl echt gewesen sein. Sie hüpft von einem Fuß auf den anderen, als müsste sie schon wieder pinkeln. »Na komm! Lass uns das sofort Sabah und den anderen erzählen!«

Ich zucke die Schultern und betrachte die glänzende Visitenkarte in meiner Hand. Fahre mit dem Daumen über die aufgeprägten Buchstaben. Sie fühlt sich teuer an. Ich muss an Charlie den Schokoladenarsch und seine goldene Eintrittskarte denken.

 

– Das war er. DER GROSSE AUGENBLICK.

– Wie meinst du das?

– Ab da hat sich … alles verändert.

– Zum Guten oder zum Schlechten?

– …

– Jana?

– Zum Guten. Erst mal.

PRESTIGE

Alle Novaks sind ziemlich groß geraten. Dad auf jeden Fall, Mum eigentlich auch, Milos: eindeutig. Was blieb mir also anderes übrig?

Vor dem Spiegel in meinem Zimmer, das unterm Dach liegt und daher überall diese nervigen Schrägen hat, muss ich mich immer leicht bücken. Richtig aufrecht stehen kann ich ungelogen nur ganz in der Mitte.

War es am Ende doch nur eine Halluzination? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendwer mich irgendwas modeln lassen würde. Ja, ich bin verdammt groß, und Models haben groß zu sein, aber das da im Spiegel ist doch ein überdimensionaler, ungelenker Freak. Ich tue nur so, als würde ich die Spötteleien in der Schule nicht hören: Riesin, She-Hulk, Madame Maxime, Transe, Goliath, Lady Frankenstein, Slenderman (den fand ich sogar irgendwie witzig), Bohnenstange, Olive Oyl, Queen Kong – ich kenne sie alle. Und wenn es nicht um meine Größe geht, geht es um mein Gewicht: Oh, die muss magersüchtig sein. Guck mal, wie klapprig ihre Beine sind! Als würde sie auf Stelzen laufen! Um dem entgegenzuwirken, esse ich oft und mit großer Geste Käsechips. Ach so, dann wohl Bulimie.

Jedenfalls bücke ich mich vor meinem Spiegel und habe den einen Bikini angezogen, den ich besitze. Lila mit dunkelblauen Punkten. Einmal hatte ich ihn in Gebrauch – vor zwei Jahren auf Mykonos –, fühlte mich aber zu nackt darin, um ihn öffentlich zu tragen, und zog die gesamte Woche lang mein T-Shirt nicht aus. Kam so goth-artig käsig, wie ich hingefahren war, auch wieder zurück. Heute werde ich das Ding doch noch vor Fremden tragen müssen. Wurde mir schon angekündigt. Ist wohl nur fair, dass sie meinen Körper in Augenschein nehmen wollen. Der sieht nur leider ganz merkwürdig aus. Ist kein heißer Kardashian-Körper. Nicht mal ansatzweise. Statt Titten und Arsch nichts als Gräten und Gelenke. Als hätte ein Beutel Knochen das Laufen gelernt. Und dank der von Dad geerbten Hakennase bin ich nicht mal vom Gesicht her irgendwie niedlich.

Die Jungs in der Schule stehen auf Emily Potter (D-Körbchen) oder Tiana Blake (Doppel-D), nicht auf mich. Was vollkommen okay ist, weil ich ja Ferdy habe, und solange er mich mag, kümmert mich alles andere einen Scheiß.

Boah. Was zur Hölle soll man anziehen für einen Modelagenturtermin? Ich habe keine hübschen Klamotten. Hübsche Klamotten passen mir nicht. Ich muss zu den »Überlängen« greifen, weil mir sonst die Ärmel nur bis zum Ellbogen gehen.

Letzten Endes entscheide ich mich für eine Skinny-Jeans, mein schwarz-weiß gestreiftes T-Shirt, das laut Laurel französisch und damit schätzungsweise irgendwie modisch aussieht, und ziehe dazu die unvermeidlichen einst weißen Converse an.

Obwohl mein Magen vor Nervosität auf die Größe einer Rosine geschrumpft ist, stapfe ich die Treppe hinunter zum Frühstück. Genauso ging es mir während der Prüfungen, die ich auf Imodium und Hoffnung hinter mich brachte.

»Seht her, da kommt das Model«, verkündet Milos. Sarkastischer kleiner Mistkerl.

Im Vorbeigehen kriegt er eins auf die Ohren. »Halt die Klappe.«

»Mum! Hast du das gesehen? Jana hat mich tätlich angegriffen!«

»Kein Wunder«, sagt Mum und reicht mir einen Teller, auf dem ein Bagel liegt. »Bitte iss.«

»Wahrscheinlich trage ich einen Hirnschaden davon, aber was soll’s.« Beleidigt lässt Milos seinen Teller in die Spülmaschine fallen und verschwindet im Bad, um sich für die Schule fertig zu machen. Er muss noch zwei Wochen weiter büffeln. Dumm gelaufen, Arschnase.

Als ich Nutella auf meinen Bagel schmiere, knurrt mein Magen. Vielleicht will er ja doch was zu tun kriegen. »Tee für dich? Kaffee? Saft?« Mum sitzt nie still, auch jetzt flattert sie schon wieder im Zimmer umher wie eine Motte auf Crack. Ich frage mich, ob wir deswegen alle so dünn sind. Weil wir nicht relaxen können.

»Saft, bitte. Ist noch Apfel da?«

»Milos hat ihn getrunken. Orange ist da.«

»Mum, der Apfelsaft soll für mich sein. Milos trinkt ihn mit Absicht leer! Er mag ihn eigentlich nicht mal!«

Mum wirft die Arme hoch. »Ich kaufe neuen später.«

»Wo ist Dad?« Die Tür, die von der Küche in unseren kleinen Garten führt, steht offen. Vielleicht frühstückt er ja draußen. Heute scheint wieder ein herrlicher Tag zu werden. Der heißeste Juni seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, so sagen sie in den Nachrichten.

»Arbeiten.«

»Ach. Wollte er nicht mitkommen?«

»Geht nicht. Frühschicht.« Dad arbeitet als Bahnführer auf der Bakerloo Line. Blöde Frühschicht. Zumindest er ist auf meiner Seite. Mum hingegen … »Jana. Bist du dir sicher, du willst dahin?«

Ich verdrehe die Augen und nehme einen großen Schluck Orangensaft. »Bäh, der mit dem Fruchtfleisch? Eklig. Warum kaufst du immer –«

»Jana Katharina.« Uff. Das war ein Rüffel.

Ich seufze. »Dad ist doch auch dafür.«

»Hier geht es nicht um deinen Vater. Was denkst du?«

»Ich denke …« Den Rest des Satzes formuliere ich mit Vorsicht, weil Mum nie etwas vergisst und potenziell jedes Wort bei künftiger Gelegenheit gegen mich verwenden würde. »Ich denke, dass man immerhin mal hingehen und gucken könnte, was sie zu sagen haben. Meinst du nicht?« Sie verzieht das Gesicht, als hätte sie sich drei Zitronenscheiben auf einmal in den Mund geschoben. Das ist ihre NICHT-GLÜCKLICH-Miene. »Mum?«

»Ich denke, wenn du willst modeln, kannst du das in zwei Jahren machen, nach deinem Abschluss.«

Sie versteht es nicht. Normalerweise verkneife ich mir Widerworte, aber das hier ist etwas anderes. Es ist nicht wie damals mit zwölf, als ich aus einer Laune heraus Geige lernen wollte. Einerseits hat Mum natürlich irgendwie recht. Modeln war nie mein Traumberuf oder so. Vielmehr wollte ich als Kind entweder Stewardess oder Dinosaurier werden. Andererseits ist mir die Möglichkeit mit dem Modeln einfach so in den Schoß gefallen. Das kann ich doch nicht ignorieren.

»Mum, überleg doch mal. Was, wenn hier gilt: jetzt oder nie? Was, wenn ich nur diese eine Riesenchance kriege, und wenn ich die nicht ergreife, dann – peng – platzt die Sache? Was, wenn sie mich in zwei Jahren nicht mehr wollen? Was, wenn ich dann mein Leben lang ein Was-wäre-gewesen mit mir herumschleppen muss? Ich will mich auf dem Sterbebett nicht fragen müssen, was ich alles verpasst habe. Deswegen lass mich das jetzt bitte ausprobieren.«

Mum lächelt. »Du hast ein Problem.« Sie zwickt mir sanft ins Kinn. »Dein Problem ist, du bist viel zu schlau.« Ich lache. Sie räumt weiter die Spülmaschine ein. »Immer dein Großvater hat das zu mir gesagt.«

Über ihn oder meine Großmutter spricht sie eigentlich nie. Milos und ich haben gelernt, nicht nach dem Krieg zu fragen.

Mit einem einzigen Happs verputze ich die zweite Bagelhälfte. »Vielleicht wollen sich mich eh gar nicht haben«, sage ich. »Vielleicht hatte Tom Carney einen Sonnenstich.« Man bedenke die Beanie bei fünfundzwanzig Grad im Schatten.

Zur Poland Street fährt man am besten von Clapham Junction aus. Nachdem ich mir nach dem Frühstück die Zähne geputzt habe und einen kleinen Nervositätsschiss losgeworden bin, nehmen Mum und ich die Abkürzung zur Bahnstation. Mum sagt, als Dad und sie nach England kamen, war unsere Siedlung noch eine richtig üble Gegend, in der sich nie ein Polizist blicken ließ und jede Woche wer abgestochen wurde. Doch mittlerweile, wenn man von den grottenhässlichen Gebäuden mal absieht, lässt es sich in der Winstanley ziemlich gut leben. Auf der neuen Grünfläche kann man schaukeln und rutschen, rechts und links der Straße wurden Bäume gepflanzt und vom karibischen Café an der Ecke her riecht’s den ganzen Tag nach Jerk Chicken. Worüber will man da meckern?

Wir nehmen die Overground bis Vauxhall und steigen von dort in die Victoria Line um. Selbst fürs Handygedaddel bin ich zu nervös und starre stattdessen aus dem Fenster, während Mum die Metro durchblättert. Weil Mum an jeder Ecke Mörder und Terroristen wähnt, lässt sie mich nur ungern allein in die Innenstadt fahren (und »allein« bin ich in ihrer Welt auch dann, wenn Laurel, Sabah, Ferdy oder Robin dabei sind). Trotzdem finde ich natürlich den Weg zum großen Topshop im Schlaf. Mum weiß hingegen mit London immer noch nicht richtig was anzufangen. Die Stadt macht sie fertig, sagt sie. Manchmal redet sie sogar davon, »wieder nach Hause« zu gehen. Worunter wiederum ich mir nichts vorstellen kann.

Jedenfalls hat sie seit dem Thorpe Park mehr als einmal mit Tom Carney telefoniert, der ihr – ungeachtet der Tatsache, dass die Agentur natürlich dick und fett bei Google Maps steht – eine detailverliebte, idiotensichere Wegbeschreibung geliefert hat. Dass ich überhaupt hinfahren darf, kostete ihn einige Überredung. Wahrscheinlich dachte Mum, dass er mich als Sexsklavin verkaufen will oder etwas in der Richtung. Erst der Satz »Mrs Novak, wir vertreten Clara Keys« besänftigte ihr Misstrauen. Von ihr hat selbst meine Mum schon gehört. Wie könnte es anders sein, schließlich wohnen wir in Claras Viertel. Na ja, früherem Viertel.

Beim Aussteigen am Oxford Circus ignorieren wir einen gruseligen Typen mit Zahnlücken, der mich als »hübsches Liebchen« betitelt – London, oder? Hier wird’s nie langweilig. Bis zum Büro von Prestige sind’s nur ein paar Schritte über die Oxford Street. Obwohl die Rushhour schon lange vorbei ist, sind hier unzählige Londoner unterwegs, die kaum je von ihren Handys aufsehen.

Ich merke deutlich, dass auch Mum nervös ist. Sie hat sogar Make-up aufgelegt. Das macht sie sonst nie. Mit ihrem blumengemusterten Sommerkleid, das sie sich vor zwei Jahren für ihren und Dads zwanzigsten Hochzeitstag gekauft hat, würde sie eher auf eine Gartenparty passen als in die City. In der Pflege arbeitende Geflüchtete aus Serbien fügen sich wohl nicht einfach von selbst in die Londoner Fashionszene ein. Ich mich eher auch nicht. Hoffentlich muss ich keinen Test über Klamotten, Designer und so ablegen. Den würde ich gründlich versemmeln.

»Okay, wir sind da«, stellt Mum das Offensichtliche fest. PRESTIGE MODELS verkündet das bestimmt teure Glasschild über der Tür. Ansonsten ist von außen kein Unterschied zu einem x-beliebigen Büro feststellbar. Ich hatte irgendwie was … Abgefahreneres erwartet.

»Mum, mir ist ein bisschen schlecht.« Wie gesagt, ich wollte noch nie Model werden. Nie im Leben wäre mir das von selbst eingefallen. Obwohl es sich genau wie etwas anfühlt, das ich sein wollen sollte. Ich meine, wer wäre das nicht gerne? Erkennt man doch schon am Wort: ein Modell sein, ein Vorbild. So aussehen, wie ein Mensch aussehen sollte.

»Alles gut«, sagt Mum. »Die haben dich eingeladen, oder? Die freuen sich auf dich.«

Gutes Argument. Bringen wir’s hinter uns. Könnte ich bloß aufhören, so nervös zu sein. Hoffentlich habe ich keine Schweißflecken unter den Achseln. Schweißflecken sind weder französisch noch modisch. Ach, ich schäme mich einfach in Grund und Boden, weil mein Erscheinen hier mir so vorkommt, als würde ich sagen: »Hi, ich bin Jana, und ich bin so was von hübsch genug, um Model zu werden.« Dabei weiß ich doch ganz genau, dass ich mich nur in den Wald stellen müsste, um mit einer Elchkuh verwechselt zu werden.

Tatsächlich war Ferdy derjenige, der mich auf der Rückfahrt vom Thorpe Park von der Idee überzeugt hat. Ich hatte das Ganze eigentlich schon als absolut lächerlich verworfen, er aber sagte: »Models sollen nicht hübsch aussehen, sie sollen einen in ihren Bann ziehen. Und das tust du.«

Mein Ferdy. Ich liebe ihn.

Und natürlich habe ich die Sache auch mal weitergedacht. Stellt man sich aufs Dach von Ferdys Plattenbau, kann man jenseits der Themse die schicke Flussseite sehen: Fulham, Chelsea, die protzigen Apartmenthäuser mit ihren Glasfronten, Balkonen und Dachgärten. Und wer wohnt da wohl? Verdammte Models, die wohnen da.

Reich und berühmt. Jeder will reich und berühmt sein, oder?

Mum wagt den ersten Schritt hinein und ich folge ihr.

Als Nächstes schnappe ich nach Luft. Hinter der Tür ist es hell, sehr hell. Weiß wie in einer Zahnpastawerbung. Als beträte ich eine andere Dimension. Die Zeit bleibt kurz stehen und dann …

Dann läuft sie weiter. Wir stehen in einem Vorzimmer. Das im Grunde auch in eine Zahn- oder Tierarztpraxis führen könnte. Direkt vor uns ist ein Empfangstresen. Die Frau dahinter muss ein Ex-Model sein, da sie zu etwa siebenundachtzig Prozent aus Wangenknochen besteht. Na ja, welche Modelagentur würde sich auch schon eine alte Schabracke ins Vorzimmer setzen? »Hallo«, begrüßt sie uns mit einem herzlichen Lächeln.

»Hallo«, sagt Mum, und ich bin heilfroh, dass ich nichts sagen muss, sondern mich darauf konzentrieren kann, nicht vor Aufregung in die Hose zu machen. Mum holt ihr bestes Oxford-Englisch hervor, das sie sonst nur am Telefon oder beim Elternabend benutzt. »Es ist ein Termin vereinbart. Für Jana Novak.«

Die Empfangsdame braucht einen Moment, bevor sie auf meinen Namen reagiert. »Ach, genau. Ein Termin mit Tom, richtig? Lassen Sie mich nachfragen, ob er Sie schon empfangen kann oder noch im Meeting sitzt. Eine Sekunde, bitte.« Sie greift zum Telefon und wählt eine Nummer.

Die erwarten mich tatsächlich. Das Ganze ist kein schlechter Scherz. Die Begegnung im Thorpe Park war keine Slushietrip-Hallu.

»Er ist gleich bei Ihnen. Setzen Sie sich doch kurz.«

Von der mintgrünen Chaiselongue aus – ganz schön nobel, die Hütte – kann ich ein Büro ausmachen, in dem von zwei inselgroßen weißen Schreibtischen eine immense Geschäftigkeit ausgeht. Zwischen durcheinanderklingelnden Telefonen sind Gesprächsfetzen auf Englisch und Französisch zu hören. Der kleine Couchtisch vor uns ist bestückt mit Vogue, Elle, Tatler und Harper’s Bazaar. Ein Flatscreen an der Wand gegenüber zeigt in wechselnden Bildern die neuesten Engagements der Prestige-Models. Obwohl ich von fast keiner den Namen wüsste, denke ich hier und da: Ach, die kennste doch. Unterschiede gibt es kaum zwischen ihnen. Goldenes Haar, goldener Teint, goldene Beine, goldenes Gold. Keine von ihnen sieht auch nur annähernd aus wie ich.

Auf einmal muss ich an die Schulaufführung in der ersten Klasse denken, bei der wir unseren Mums und Dads etwas vorsingen sollten. Unsere Englischlehrerin Miss Skipsey hatte »English Country Garden« ausgesucht und alle verkleideten sich als Blumen, Falter oder Igel. Bis auf mich. Natürlich. Laurel eine Narzisse, Sabah ein Schmetterling, ich … ein Kraut. Zu einer grünen Strumpfhose und einem alten sumpfbraunen Pulli von Dad bekam ich das Gesicht in der Farbe von Moos angemalt. Ich war ein verdammtes Kraut.

Clara Keys, die diesen Monat offenbar das Cover der australischen Vogue ziert, erscheint auf dem Flatscreen. Wie eine schwarze Barbie sieht sie aus mit ihren riesigen Disney-Augen, den vollen Lippen und der berühmten makellosen Haut. Wobei natürlich ihre märchenhafte Geschichte sie genauso ausmacht wie ihr Gesicht (und ihre Beine). Das traurige Pflegekind, das von Familie zu Familie gereicht wird. Das sich eines Tages im McDonald’s an der Clapham Junction einen McFlurry gönnt, genau wie ich schon tausendmal, und dort gescoutet wird. Das wenige Wochen später auf der London Fashion Week läuft und ab da die neue Naomi genannt wird. Doch abgesehen von ihrer Hautfarbe ist sie keine Naomi. Sie ist Aschenputtel. Die zur Prinzessin wurde.

Ein Mädchen setzt sich in den Sessel gegenüber von Mum und mir. Sie sieht eindeutig wie ein Model aus. Zahnstocherarme umschlingen eine Prestige-Fotomappe und unter feinen, sandblonden Haarsträhnen spähen dunkel geränderte Augen hervor. Sie ist groß, aber sehr zierlich, wie ein Vogel vielleicht, und wirkt ein bisschen so, als wäre sie gerade aus einem sehr hohen Nest gefallen. Wir könnten ungefähr gleich alt sein, sie allerdings scheint seit mindestens einem Monat nicht geschlafen zu haben.

Wenn sie darauf aus sind, bin ich am Arsch.

»Jana! Hallo!« Strahlend kommt Tom mit großen Schritten und ausgebreiteten Armen auf uns zu. Ich stehe auf, um ihm die Hand zu schütteln, werde aber in eine Umarmung gezogen. Hmm, bin kein Fan. Ich mag meinen Tanzbereich.

»Wie geht es dir? Vielen Dank fürs Kommen.«

»Kein Problem«, murmele ich. Mit fremden Erwachsenen zu reden, die keine Lehrer sind, ist komisch. Wobei. Mit Lehrern zu reden ist auch komisch. Ich vermeide es nach Möglichkeit. »Das hier ist meine Mum.«

»Hallo, Mrs Novak. Wie schön, Sie endlich persönlich kennenzulernen. Wollen wir dann zu den anderen? Sie sind schon ganz gespannt!«

Kurz will ich fragen, wie viele Leute mich denn erwarten, aber das klänge irgendwie gaga. Ich hatte gehofft, wir würden uns nur mit ihm treffen. Muss ich gleich im Bikini vor einem ganzen Publikum auf und ab laufen? Das will ich nicht. Nein danke.

»Hier entlang zur Treppe. Oben sind die Konferenzräume.« Mum und ich folgen ihm durch das Großraumbüro, in dem kaum jemand den Kopf für uns hebt. Eine Frau mit halb blonden, halb blauen Haaren schreit auf Französisch in ihr Telefon, feuert ungefähr tausend Worte pro Minute ab. Irgendwer in Frankreich hat so richtig verkackt.

Am nächsten Tisch wird ein absurd schöner Typ mit fluffigen roten Haaren angekeift: »Verdammt noch mal, Seamus!«, ruft das Mädchen und rauft sich die Haare. »Ich gebe hier alles, um dir Aufträge zu verschaffen! Da kannst du dich doch zumindest BEIM KUNDEN BLICKEN LASSEN!«

Doch Seamus ist zu stoned für eine Reaktion. Er könnte schwerlich noch desinteressierter dreinblicken.

Tom führt uns eine schmale Treppe hinauf in den ersten Stock, von dessen Flur wir durch Glaswände in weitere Büros gucken können. Eines sieht aus wie dieses TV-Studio von The Apprentice, in dem Trump immer seine Bewerber angeschnauzt hat. Zum Glück lassen wir es links liegen und betreten ein weniger Furcht einflößendes Zimmer, in dem sich weitere Sitzgelegenheiten um einen weiteren Couchtisch gruppieren. Ach, guck mal, da steht sogar eine Schale dekorativer grüner Äpfel, die bestimmt nie gegessen werden. »Setzen Sie sich doch.«

Das Sofa wird bereits von zwei Frauen okkupiert. Von einer sehr coolen Asiatin mit türkisem Pixie-Schnitt und einer zur Empfangsdame passenden Version des Supermodels im Ruhestand. Mit diesen Schlüsselbeinen könnte sie einem die Augen ausstechen. »Tag auch!«, sagt Pixie-Schnitt und steht zur Begrüßung auf. »Ich bin Ro. Leiterin der Abteilung New Faces. Ich freue mich, dich kennenzulernen, Jana.«

»Hi.«

»Hallo, Jana, und ich bin Cheska DeBrett, ich leite die Abteilung Frauen.« Zugegeben sieht sie original so aus, als könnte sie locker die Abteilung Alle Frauen der Welt leiten. Wie eine Göttin steht sie mir gegenüber – keinen Zentimeter kleiner als ich, goldene Locken. »Nimm doch Platz. Möchte jemand einen Tee oder einen Kaffee?«

Ich schüttle den Kopf, aber Mum sagt Ja zu dem Tee, für den Tom eine Praktikantin losschickt, bevor er sich zu uns setzt.

»Wie fühlst du dich?«, schnurrt Cheska an mich gewandt mit einer aufregend rauchigen Stimme. Diese Frau wurde zu hundert Prozent kontrolliert biologisch in Chelsea angebaut. Da verwette ich meinen Arsch drauf.

Ich zwinge meine Hände, sich auf meinen Knien still zu verhalten, und kreuze die Beine wie eine Lady. »Leider bin ich sehr nervös. Tut mir leid«, lasse ich mit dumpfer Stimme verlauten.

»Nicht doch, Liebes!«, ruft Ro. »Du musst dir überhaupt keine Sorgen machen. Wir wollen dich doch nur mal persönlich kennenlernen. Deine Fotos haben uns schon sehr gefallen, von daher musst du das hier überhaupt nicht als Test betrachten, versprochen!« Beide Porträts, die ich per E-Mail geschickt habe, eins von vorne, eins von der Seite, liegen vor ihr auf dem Couchtisch.

Die Praktikantin kommt mit einem Tablett herein, auf dem eine Karaffe Wasser mit Gläsern und Mums Tee stehen.

»Seit Tom dich im Thorpe Park entdeckt hat, kann er gar nicht mehr aufhören, von dir zu reden«, sagt Cheska.

»Allerdings! Im Ernst, Jana, es ist mir immer noch ein Rätsel, wo du dich die ganze Zeit versteckt hast. Du bist die Entdeckung des Jahrzehnts!«

Ich merke, wie ich feuerrot werde.

»Tom! Jetzt überfahr das arme Mädchen nicht so«, tadelt ihn Cheska und gießt mir ein Glas Wasser ein.

»Meine liebe Jana«, ergreift Ro wieder das Wort. »Du bist außergewöhnlich, ist dir das bewusst?«

Ja toll, was zur Hölle soll man darauf sagen? »Äh. Okay. Danke?«

Cheska lächelt. »Lass mich raten. In der Schule machen sie sich über dich lustig, stimmt’s?«

Peinlich. Ich weiche Mums Blick aus. »Manchmal nennen sie mich Giraffe oder so. Aber im Basketball bin ich trotzdem eine Niete.«

Ich ernte allgemeine Erheiterung. »Guck mal da rüber.« Cheska weist durch die Glaswand in den Flur, wo Reihe um Reihe ein Hochglanzmodelfoto neben dem anderen hängt. »Jedes dieser Mädchen wurde mal Freak genannt, oder Bohnenstange oder Stabheuschrecke … und viele von ihnen bestimmt auch Giraffe. Aber jetzt verdienen sie dank uns Tausende Pfund mit ihrem Aussehen.«

»Jana, du hast einfach einen … absolut einzigartigen Look«, verkündet Ro und trinkt unter munterem Eiswürfelgeklimper den letzten Schluck Latte aus ihrem Glas. »Ich sage es geradeheraus: Du bist nicht die herkömmliche Werbeschönheit. Aber wenn ich mir dich im Bereich Editorial oder auf dem Laufsteg vorstelle … OH MEIN GOTT! Da wirst du wortwörtlich durch die Decke gehen.«

Sie meint sprichwörtlich, nicht wortwörtlich, aber egal. »Glauben Sie wirklich?«

»JA!«, intonieren Ro, Cheska und Tom gleichzeitig. »Und duz uns doch bitte, so machen wir das alle in der Branche, okay?«, fügt Cheska hinzu. Dann fällt ihr Blick zur Tür. Die gleich danach AUFKNALLT und den Weg frei macht für einen Wirbelsturm rot gefärbter Korkenzieherlocken. Sofort nehmen Tom, Cheska und Ro eine strammere Haltung an. »Hallo, hallo, hallo. Achtet gar nicht auf mich.« Die Besitzerin der Locken ist älter als die anderen drei. Ende vierzig vielleicht. Ihr Outfit ist der Wahnsinn. Sowohl sprich- als auch wortwörtlich: Zum Nadelstreifenkleid mit Slippern von (wie auf ihnen zu lesen ist) Gucci trägt sie mehr Schmuck, als ich je an einer einzelnen Person gesehen habe. »Ich musste einfach noch vorbeikommen, um einen Blick auf Toms neues Herzensprojekt zu werfen.«

»Jana«, stellt Tom vor, »das ist Maggie Rosenthal. Sie leitet unsere Agentur.«

Ich halte die Luft an, um keine Schnappatmung zu kriegen. Als ich sie das letzte Mal im Fernsehen gesehen habe, hatte sie noch eine andere Haarfarbe, aber jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Maggie Rosenthal. Kaum eine Nachricht aus der Modebranche kommt ohne ihr Gesicht aus. Sie war es auch, die am Meckes vorbeiging, als Clara Keys mit ihrem McFlurry hinter der Scheibe saß.

»Hallo, meine Schöne. Und das muss deine Mum sein.« Sie schüttelt ihr die Hand.

»Ich bin Rita. Rita Novak«, stellt Mum sich vor.

»Freut mich, Sie kennenzulernen. Also gut, Jana. Dann lass dich mal ansehen.« Mit diesen Worten reißt sie mich abrupt aus meinem Staunen heraus. Was? »Aufstehen. Na los!«

Ich tue wie geheißen.

»Steh gerade, Liebes. Gutes Mädchen. Wahnsinnsgröße. Knapp eins achtzig?«

»Glaube ja.«

Sie umkreist mich und scannt mich von oben bis unten wie eine von diesen Kabinen am Flughafen. »Hervorragend. Hast du ein Haargummi dabei, Schätzchen?«

»Ähm … nein. Tut mir leid.«

»Hier, nimm.« Cheska reicht mir eins.

»Wunderbar, Darling, bindest du dir dann jetzt bitte die Haare zurück?«

»Klar.« Gesagt, getan.

»Entschuldige meine Ausdrucksweise, Liebes, aber deine Knochenstruktur ist ein arschgeiler Hammer. Entschuldigung auch an Sie, liebe Mum.« Sie zwinkert übertrieben in Mums Richtung. »Aber ein neuer Haarschnitt muss her, oder, Ro?«

Ro nickt weise, als hätte sie die Frage kommen sehen. »Du nimmst mir die Worte aus dem Mund.«

»Welche Schuhgröße hast du, Schätzchen?«

»Vierzig.«

»Wie heißt die Praktikantin?«

»Nevada«, antwortet Tom.

»Nevada!«, brüllt Maggie Richtung Flur. »High Heels, Größe vierzig, bitte!« Dann legt sie mir behutsam die Hand unters Kinn und dreht mein Gesicht von rechts nach links. »Versteh das nicht falsch, Herzchen, du hast ziemlich maskuline Züge. Augenbrauen, Profil. Steh ich verflucht noch mal drauf. Sehr androgyn. Androgyn ist so was von modern.«

Mir wurde schon oft gesagt, dass ich wie ein Mann aussehe, aber niemand hat es je als Kompliment gemeint. Als Nevada ins Zimmer huscht, trägt sie eine Furcht einflößende Kreuzung aus Schuh und Stelze in Händen. Schwarzes Lackleder, rote Sohle. Mir ist klar, was als Nächstes kommt. »Soll ich in denen laufen?«

»Ja, bitte.«

»Ich … ähm … komme nicht so gut klar in hohen Schuhen.« Was mir beim Schulball in High Heels passiert ist, behalte ich lieber für mich, muss ja keiner wissen, dass ich auf einen Rollstuhlfahrer gefallen bin.

»Was nicht ist, kann ja noch werden. Rein in die Dinger, Schätzchen, und lauf einfach mal für uns«, sagt Maggie und drückt meinen Arm.

Ich werde aufs Neue rot, während ich mich umständlich hinsetze, um meine Converse auszuziehen. Auf meinen Socken sind kleine Herzchen drauf. Typisch Jana. Als ich sie von meinen Füßen rolle, bleiben die Abdrücke vom Bündchen zurück. Im Innern der Stilettos steht »Louboutin«. Die haben hier Louboutins rumfliegen. Lässig. Sabah und Laurel werden anfangen zu heulen, wenn ich ihnen das erzähle.

Nachdem ich hineingeschlüpft bin, hole ich tief Luft.

»Gib einfach dein Bestes«, sagt Cheska. »Bevor ich mit dem Modeln anfing, habe ich auch nie High Heels getragen. Warum sollten du und ich das auch? Bei unserer Größe. Die gute Nachricht ist: Auf hohen Schuhen laufen kann man lernen. Groß und schön sein nicht.«

»Einmal bis zur Tür und wieder zurück«, sagt Tom. »Du musst dabei gar nicht versuchen, wie ein Model auszusehen. Einfach laufen.«

Ich hole ein weiteres Mal tief Luft und drücke mich mit beiden Armen aus dem Sessel hoch. Sofort beschweren sich meine Zehen: Hey, warum quetschst du uns in ein Dreieck? Ein Fuß ist nicht dreieckig! Ich kenne Modenschauen aus dem Fernsehen. Ich habe Next Top Model gesehen. Ich weiß, dass Models nicht wie normale Menschen laufen. Als Clara Keys bei der Victoria’s Secret Show war, hat sie diese Über-Kreuz-Schritte gemacht. Soll ich die auch versuchen? Oder einfach nur darauf achten, mir nicht die Beine zu brechen.

Ich nehme die Tür ins Visier und laufe los. Meine Knöchel fühlen sich sehr wackelig an. Der eine Schuh ist etwas zu groß und scheint mir gleich vom Fuß fallen zu wollen. Auf einmal bin ich wieder vier, trage meinen Peppa-Wutz-Schlafanzug und lache mich tot, während ich in Mums riesigen Stöckelschuhen umherstakse. Dads Schnappschuss davon steht zu Hause auf dem Kaminsims.

»Guck nach vorne, meine Schöne, nicht auf deine Füße«, ruft Maggie, als ich bei der Tür ankomme.

Ich drehe mich um und trete den Rückweg an. Da knickt mein linker Fuß um und ich gerate ins Stolpern.

»Keine Fäuste machen, Liebes. Du siehst aus, als würdest du eine Schlägerei anfangen wollen.« Auf meine Hände habe ich überhaupt nicht geachtet. »Lass die Arme schwingen. Entspann das Gesicht.«

Die zweite Runde laufe ich etwas lässiger. Lege sogar ein bisschen an Tempo zu.

»Alles klar, Herzchen, das reicht erst mal«, sagt Maggie. »Gott segne dich, du hast es ehrlich versucht.«

»War ich so schlecht?«

Tom lächelt mich an. »Es war in Ordnung. Wir haben schon viel Schlimmeres gesehen.«

»Absolut«, stimmt Ro zu. »Das lässt sich hundertprozentig noch hinbiegen.«

Endlich sagt auch Mum was. »Bedeutet das, Sie wollen Jana … einstellen?«

Tom, Ro und Cheska schauen zu Maggie, die sich in einer dramatischen Pause suhlt. »Mrs Novak, ich sage das nur selten, deswegen erlauben Sie mir bitte, es zu genießen. Ich lasse Ihre Tochter nicht eher gehen, bis sie bei uns unterschrieben hat. Wenn es sein muss, verbarrikadiere ich höchstpersönlich diese Tür.« Maggie grinst mich verschmitzt an. Dann lehnt sie sich über den Couchtisch und nimmt meine beiden Hände in ihre. »Jana, Darling, es wäre eine verdammte Ehre für uns, dich bei Prestige Models unter Vertrag zu nehmen. Was sagst du?«

AUFBAU

»Was bedeutet das?«, fragt Ferdy. »Oh Mist, warte, wir müssen das Lagerfeuer ausmachen, sonst erwischen die uns wieder.«

Wir spielen Final Fantasy.

Ich bin zurück in der realen Welt. Meiner Welt. Unserer Welt.

»Verdammt, du hast recht. Mache schon.« Ich lasse Ignis zurücklaufen und die Flammen löschen. »Aufbau bedeutet … keine Ahnung … Aufbau halt.«

»Sehr hilfreich, Babe, vielen Dank.«

Ich schnaube abfällig und pausiere das Spiel, damit ich in Ruhe erklären kann. Weil ich im Gruppenchat schon mit Sabah und Laurel und zu Hause mit Milos alles durchgekaut habe, bin ich es eigentlich satt. Trotzdem schwinge ich jetzt die Beine herum, sodass ich nicht mehr den Fernseher, sondern Ferdy vor mir habe. Als ich seine Wange mit meinem nackten Zeh streicheln will, schlägt er danach, weil er Füße absolut eklig findet.

»Hör auf!«, fleht er. »Ich muss gleich kotzen.«

Vor lauter Lachen falle ich fast von der Bettkante. »Ich schätze, mit Aufbau meinen sie eine Art Training oder so. Obwohl ich laut Tom eigentlich schon zu alt dafür bin.«

»Du bist sechzehn.« Ferdy greift an mir vorbei nach den Sweet-Chili-Walkers-Sensations, den besten Chips der Welt. Ferdys Eltern arbeiten meist bis in den Abend und seine Schwester hat heute Schicht bei Asda, deswegen haben wir die Wohnung für uns. Umringt von Harley-Quinn-, Daenerys-Targaryen- und Deadpool-Postern hocken wir auf dem schmalen Bett in Ferdys winzigem Zimmer.

»Vielen Dank für die Info. Aber andere Mädchen fangen schon mit zwölf oder dreizehn an.«

Ferdy verzieht das Gesicht. »Abartig.«

»Da fangen sie nur mit dem Training an, die Aufträge werden erst ab sechzehn vergeben. Ist ja keine Kinderarbeit.« Er gibt mir die Chipstüte zurück. »Ferd, da sind ja nur noch Krümel drin. Ich hasse dich.«

Er grinst. »Das sind keine Krümel, sondern Bruchstücke. Ein kleiner, aber feiner Unterschied!« Mit diesen Worten drückt er mir einen Sweet-Chili-Kuss auf die Lippen. »Und was musst du da jetzt genau machen?«

»Na ja, ich fange an zu üben. Beim Termin konnte ich ja kaum geradeaus laufen. Du hättest dir bestimmt vor Lachen in die Hose gemacht, wenn du dabei gewesen wärst. Und nächste Woche schießen sie ein paar Fotos für mein ›Webbook‹. Ach richtig, dafür sollen mir offenbar noch die Haare geschnitten werden.«

Ferdys Augen werden groß. »Echt? Wie denn?«

»Keine Ahnung. Kürzer halt.«

»Und das willst du zulassen?«

»Ist mir egal.« Ich streiche durch meine nicht existente Frisur. Momentan fallen mir die Haare bis auf die Möpse und sind an den versplissten Spitzen immer noch etwas heller, weil ich Mum letztes Jahr so lange bekniet hatte, bis sie mir einen Ombré-Look erlaubte. Das Ergebnis konnte ich vom ersten Moment an nicht leiden. Statt »bronde« kam ein Gelbton à la Pissemopp dabei raus.

»Dafür, dass du heute eine Karriere als Supermodel angetreten hast, wirkst du erstaunlich entspannt.«

Ich zucke die Schultern. »Weil ich nicht darüber nachdenke. Mir wird nur komisch davon, deswegen lass ich es.«

»Komisch?«

Ich schüttle den Kopf und drehe an dem silbernen Totenkopfring herum, den er mir zum sechzehnten Geburtstag geschenkt hat. »Keine Ahnung. Es ist … viel auf einmal.«

»Du weißt, dass du das nicht machen musst.«

»Ja. Nein. Alles gut. Ich meine nur … Letzte Woche musste ich höchstens darüber nachdenken, ob ich fürs nächste Schuljahr die richtigen Fächer gewählt habe. Und Bio will ich jetzt schon wieder rauskicken. Bei dir und Sabs ist das was anderes. Ihr wisst ja schon, was ihr mal werden wollt.«

Er legt den Kopf schief. »Und du nicht?«

Ich zucke erneut die Schultern. »Das weißt du doch.« Ich habe nicht den leisesten Schimmer und das jagt mir eine Scheißangst ein. Man könnte unseren Jahrgang in zwei Gruppen aufteilen. Auf der einen Seite ahnungslose Deppen wie Heather Daley, die bei Love Island mitmachen und für ihren Bikini berühmt werden wollen – und auf der anderen Seite Leute wie Ferdy, die alles schon säuberlich geplant zu haben scheinen: welche Uni, welches Fach, welche Zukunft.

Ich weiß noch nichts. Und dieses Nichts ist so riesig, dass es mich manchmal zu erdrücken scheint. Ich kann einfach nicht sehen, was jenseits von Final-Fantasy-Spielen, Rummachen mit Ferdy, oder Chillen im Park mit Sabah und Laurel auf mich wartet. Es ist verdammt noch mal zu heiß, um an die Zukunft zu denken.

»Wenn ich da mitmache … verändert sich alles. Das macht mir Angst. Als würde mein Kopf implodieren. Kennst du das Gefühl? Ich … na ja. Ich dachte immer, irgendwann, wenn ich zweiundzwanzig bin oder so, ergibt sich bestimmt was für mich, einfach so. Ganz nach dem Motto: ›Hi, Süße, ich bin dein Job.‹«

»Vielleicht sagt der Modeljob ja genau das … halt ein paar Jahre früher als gedacht.«

So habe ich das noch gar nicht gesehen.

Er nimmt meine Hand. »Und, hey, ich verändere mich nicht. Egal, was passiert. Ich bleibe der Gleiche.«

Davon geht es mir besser. »Versprochen?«

»Versprochen.«

Und deswegen liebe ich Kai Ferdinand. Meinen Fels in der Brandung. Ich lege den Controller beiseite, küsse ihn und vergrabe die Hände in seinen langen schwarzen Haaren. Die nicht so lang sind wie meine, aber fast. Er löst sich kurz von mir, um die Brille abzunehmen, dann küssen wir uns weiter.

Es gibt ja solche und solche Küsse: einen Kuss halt oder einen … Startschuss. Der hier fühlt sich sehr nach Letzterem an. Nach einer Absicht, nach mehr. Wir legen uns hin und ich ziehe die leere Chipstüte unter meinem Po weg. Ferdy schiebt die Hände unter mein T-Shirt. »Hast du einen Bikini an?«

Den hatte ich ganz vergessen. »Ja, war für die Agentur.«

»Sehr Miss-America-mäßig.«

»Die Kinder sind unsere Zukunft, und so weiter. Weltfrieden!«

Es folgen weitere Küsse. Er zieht mein T-Shirt aus. Ich seins auch. Und dann mein Bikinitop, weil ich mir doof darin vorkomme. Wir schmiegen uns aneinander. Haut an Haut. Den Teil mag ich am liebsten. Seine Hände fahren daunenfederleicht über meine Hüfte, meinen Bauch, meine Nippel, und das fühlt sich so unglaublich an, dass ich mich wohlig winde und mir ganz kribbelig wird, also knöpfe ich seine Jeans auf und schiebe meine Hand in seine Boxershorts. Sein Schwanz ist hart und hat einen kleinen feuchten Fleck auf dem Stoff hinterlassen.

Als ich sanft zu reiben beginne, stöhnt Ferdy auf und ein Schauer durchläuft ihn. »Willst du …?«, frage ich.

»Ja.«

Jetzt müssen wir Glück haben. Er kickt seine Hose von sich und ich pelle mich aus meiner Skinny-Jeans. Dann klettert er so halb über mich hinweg, zieht die Nachttischschublade komplett heraus und nimmt sich eins von den Kondomen, die er darunter versteckt hat, damit seine Mum sie nicht findet. »Soll ich, oder willst du selber?«, frage ich. Ich nehme zwar die Pille, aber wir passen immer doppelt auf, weil die Gefahr einer Schwangerschaft noch viel Furcht einflößender ist als alle Modeljobs der Welt. Ich verspüre keinerlei Verlangen, mich der Winstanleyer Kinderwagenclique anzuschließen. Zumindest nicht für die nächsten zwanzig Jahre oder so.

»Besser, ich mache das«, sagt er, reißt die Packung auf und rollt sich das Gummi über. »So.«

Ich küsse ihn, er legt sich auf mich und ich öffne die Beine. Ich bin größer als er, aber in der Horizontalen ist das einerlei. »Bereit?«

Auf mein Nicken hin fängt er an. Es tut nicht mehr weh wie am Anfang, aber ich merke es immer noch deutlich. Ich beiße mir auf die Lippe. »Alles gut?«

»Ja.«

Er geht tiefer, wir stöhnen beide auf und ich umfasse seinen Po. Doch da verkrampft er sich, seine Hüften schnellen nach vorne. »Ach, scheiße«, zischt er, während er kommt. »Fuck. Jana. Scheiße. Es tut mir leid.«

Sein Körper erschlafft über mir. »Hey, es ist in Ordnung.« Ich umfasse sein Gesicht und küsse ihn. Sanfter diesmal. Nur ein Kuss.

Er löst sich von mir, streift das Kondom ab, knotet es säuberlich oben zu, wickelt zur Tarnung ein Tempo drum und wirft es in den Papierkorb. Dann fährt er mit der Hand an meinem Bein hoch. »Gerade nicht«, sage ich. Der Moment scheint vorüber.

»Bist du sicher?«

»Ja.«

Er plumpst neben mich auf die Matratze und streicht sich die Haare aus dem Gesicht. »Scheiße. Das ist so peinlich.«

»Babe, alles gut!« Ich stütze mich auf den Ellbogen, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Ich liebe es, dass du so heiß wirst.«

»So heiß, dass ich in die Hose abspritze?«

»Diesmal hast du’s bis rein geschafft.«

»Großer Applaus.«

»Es hat sich schön angefühlt.«

»Ganze fünf Sekunden lang.«

»Ferdy …«

Er sieht mich an und ich halte seinen Blick mit einer feierlich ernsten Es macht mir nichts aus-Miene fest. Zumindest hoffe ich, dass es so eine ist. Er lächelt ein bisschen. »Schätze, wir müssen weiter üben.«

Ich lächle zurück. »Falls ich dafür die Zeit finde. Schließlich muss ich auch noch Geradeauslaufen üben.« Er zieht mich in die Arme und ich lege den Kopf auf seine Brust. Dann schließe ich die Augen und lausche seinem Herzschlag.

Ich döse kurz weg, wache wieder auf und muss mich erst mal zurechtfinden. »Blöder Mist«, nuschele ich. »Wie spät ist es?«

»Kurz nach sechs.«

»Verdammt, ich hatte versprochen, um sechs zu Hause zu sein. Pünktlich zum Abendessen. Mum wollte da das Modelding mit Dad besprechen.«

Ich ziehe mir den Bikini und die Hose wieder an und suche unter dem Bett nach meinem T-Shirt. »Das klingt nicht gut«, sagt Ferdy und setzt die Brille wieder auf.

Ich verdrehe die Augen. »Mum kackt echt rum deswegen.« Er runzelt die Stirn. »Was ist?«, frage ich.

»Na ja«, fängt er an, »immer noch besser, sie macht sich Sorgen um dich, als dass sie sich wie eine von diesen penetranten Talentshow-Geiern à la Dance Moms aufführt.«

»Guter Punkt. Trotzdem muss ich jetzt echt los.« Ich verpasse ihm einen schnellen Abschiedskuss.

»Warte, ich begleite dich.«

»Bin mit dem Rad da. Alles paletti. Bis morgen, ja?«

»Ja.«

Ferd wohnt in Brannigan House, einem dieser Plattenbau-Hochhäuser, die sie abzureißen drohen, seit das mit dem Feuer im Grenfell Tower passiert ist. Flure und Fahrstühle hier muss man nicht mögen, aber die Wohnung an sich ist schön und groß und bietet eine abgefahrene Aussicht auf die Themse und die Battersea Power Station.

Beim Rausgehen ignoriere ich eine bedrohlich wirkende Girlsgang, die ausgerechnet da herumlungert, wo ich mein Fahrrad abgeschlossen habe. Zwar fühle ich ihre Blicke auf mir und ihr Gespräch verstummt, doch ich gucke einfach stur nach unten, schließe mit fliegenden Fingern auf und fahre davon, ohne mich umzudrehen. Das funktioniert so ganz gut mit den Gangs hier: Wenn man ihnen nicht blöd kommt, kommen sie einem auch nicht blöd. Wir verlotterten Indie-Kids tauchen auf ihrem Radar nicht weiter auf. Glücklicherweise kenne ich die Siedlung wie eine Zwillingsschwester, kenne jede Gasse, jede Abkürzung. Vorbei am Chicken Bucket, hinterm Waschsalon und dem Friseur lang, und schon bin ich in gerade mal fünf Minuten zu Hause.

Dort angekommen schließe ich mein Fahrrad ab und stürze in den Flur. Wie befürchtet hängt der schwere Geruch nach irgendeinem Eintopf in der Luft. (Wer hätte schließlich mitten in der Hitzewelle keinen Appetit auf Eintopf?) Wegen meiner Verspätung hat Mum jetzt bestimmt noch bessere Laune. »Tut mir leid!«, rufe ich und bin fast versucht, ein Bin nach dem Sex mit Ferdy eingeschlafen hinterherzuschicken, um damit gleich beiden Eltern den Rest zu geben.

»Jetzt aber schnell«, ruft Dad aus der Küche zurück. »Dein Essen wird kalt.«

Ich kicke meine Schuhe weg und tapse durchs Wohnzimmer. Sie haben schon angefangen. Im Hause Novak wird um sechs gegessen und auf niemanden gewartet. »Guckt mal, wer da kommt«, spöttelt Milos, »Cara Delevingne.«

»Soll ich jetzt beleidigt sein?«, frage ich und setze mich auf meinen Platz.

»Fangt gar nicht erst an«, mahnt Dad.

Ich lehne mich zu ihm hinüber und gebe ihm ein Küsschen auf die Wange. »Hallo, Tata.« Ich weiß, voll das Klischee, aber ich war immer schon Daddys kleines Mädchen. Nicht auf die schräge Art natürlich.

»Hallo, mein Mäuschen, wie lief’s heute?«

Ich sehe zu Mum, die auf einmal ganz fasziniert ist von dem Spargelstück auf ihrem Löffel. »Sie wollen mich unter Vertrag nehmen.«

Von Dad habe ich meine »eisblauen Augen« (Sabahs Worte, nicht meine) und fast schwarzen Haare geerbt. Unter seinen dichten Brauen hervor richtet er einen durchdringenden Blick auf mich. »Und was willst du?«

»Zoran«, mischt Mum sich ein. »Sie ist sechzehn …«

»Alt genug, um eine Meinung zu haben.«

Das bringt Mum erst mal zum Schweigen. »Ich gefalle ihnen offenbar. Sie finden, ich tauge gut für Modeschauen und Editorial, was so Kunstkram in Zeitschriften ist, glaube ich. Ooh, Kartoffelspalten!« Gierig schiebe ich mir eine in den Mund. Ich bin am Verhungern.

Milos setzt zu einer fiesen Bemerkung an, doch Dad erspürt das sofort und stoppt ihn mit erhobenem Finger. »Und willst du das denn?«, fragt er mich.

Das ist wohl die große Frage. Tausende Mädchen würden für so eine Chance glatt die eigene Oma abmurksen. Warum also freue ich mich nur so halb? »Schätze schon«, sage ich. »Da lässt sich gutes Geld mit verdienen. Hat Maggie gesagt.«

»Wer?«

»Die Besitzerin der Agentur«, erklärt Mum. »Sie ist … eine komische Frau.«

»Weiß aber, worüber sie redet«, werfe ich ein.

»Was ist mit der Schule? Mit dem Studium?«

Auch wenn ich mein Zeugnis noch nicht bekommen habe, sollte ich mich auf dem sicheren Weg Richtung Uni befinden. Denn außer in Sport habe ich überall richtig gute Noten, und mit denen geht man studieren, oder nicht? »Na, das mache ich ja trotzdem.« Genauer gesagt sollen wir alle im September aufs Hollyton College kommen. Und von da geht’s dann in zwei Jahren weiter zur Uni.

»Kannst du beides gleichzeitig?«

Ich zucke die Schultern. »Och, bestimmt.«

Mum und Dad tauschen einen Blick aus, durch den sie sich telepathisch abzusprechen scheinen. Ich hasse es, wenn sie das tun. »Frag dazu auf jeden Fall genau nach, bitte. Vielleicht rede ich auch selbst noch mit ihnen. Bildung ist sehr wichtig, mein Schatz.«

»Weiß ich doch. Und ihr sagt schließlich selbst, wie teuer die Uni ist.« Mum und Dad reden in letzter Zeit immer häufiger über Studentendarlehen und Studiengebühren und so, wenn sie glauben, dass ich es nicht mitkriege, weil ich in meinem Zimmer bin. Sie machen sich echt Sorgen. Und ich mir auch. So viel Geld haben wir nicht. »Wie wär’s, wenn ich das ein paar Jahre mache und mir dadurch was für die Uni verdiene?«

Sofort verändert sich etwas. Offenbar funke ich endlich auf der elterlichen Frequenz. Da nicht nur ich, sondern auch Milos auf die Uni will (mein Bruder ist ein Arsch, aber noch besser als ich in der Schule), lässt sich wohl auch ohne telepathische Fähigkeiten erkennen, dass Geld in den nächsten fünf Jahren ein Thema sein wird. Ein großes Thema, um genau zu sein. Dad verdient zwar tatsächlich ganz gut bei TfL, Mum hingegen arbeitet in Teilzeit und nur als Vertretung. Zwei Studiendarlehen, eine Hypothek und ein Auto? Alles auf einmal würde kaum gehen, möchte ich meinen.

Wenn ich nun aber für mich selbst bezahlen könnte … läge die Sache anders. Man stelle sich vor: einen Uniabschluss in der Tasche und kein Studiendarlehen an der Hacke, das zurückbezahlt werden will. Zu schön, um wahr zu sein.

Früher oder später hätte ich mir wahrscheinlich eh einen Job suchen müssen. Zwar wäre ich im Leben nicht auf einen Modeljob gekommen, aber das könnte immerhin vergnüglicher werden, als wie Ferdy im Starbucks Milch aufzuschäumen.

Mum ergreift wieder das Wort, sanfter diesmal. »Ich möchte nicht, dass die Schule links liegen bleibt, Jana.«

»Ich auch nicht.« Denn ich freue mich aufs Hollyton. Ganz ehrlich. Schule ohne Sportunterricht. Was will man mehr?

»Es wäre durchaus von Vorteil, wenn du an der Uni nicht nebenher arbeiten müsstest«, denkt Dad laut nach.

Ich ergreife meine Chance. »Also darf ich?«

»Wenn du es willst, ja«, sagt Dad, und Mum nickt, obwohl sie überhaupt nicht begeistert aussieht.

Okay, das wäre geklärt. Ich steige bei einer Modelagentur ein. Schräg hoch zehn. Jetzt allerdings, da die Entscheidung getroffen ist, scheint in meinem Bauch, unter den Kartoffelspalten hervor, ein kleines Glühwürmchen aufzuleuchten.

»Darf ich dann mit Davey und seinem Dad nach Korfu?«, schaltet Milos sich ein.

»Nein«, antworten Mum und Dad gleichzeitig.

Ich kann nicht einschlafen. Selbst durch das sperrangelweit aufgerissene Kippfenster weht nicht der geringste Lufthauch ins Zimmer. Unterhemd und -hose kleben mir an der Haut, während ich auf der Bettdecke alle viere von mir strecke.

Meine Gedanken wollen partout nicht abschalten. Irgendwer hat in meinem Kopf eine endlose Powerpoint-Präsi ans Laufen gebracht, die nun ein Bild nach dem anderen dazu abspielt, wie mein Leben als Model aussehen könnte.

Modenschauen, Fotoshootings, Musikvideos, Werbedrehs. Ruhm und Reichtum. Also: SCHOTTER. Seit ich denken kann, müssen wir jedes Geldstück zweimal umdrehen. Als Mum und Dad kurz vor meiner Geburt das Haus von der Stadt kauften, hat sie das fast in den Ruin getrieben. London ist scheißteuer.

Das heißt jetzt nicht, dass Milos und ich hungern müssen oder so. Wir haben Essen auf dem Tisch und Klamotten am Leib. Vielen geht es um einiges schlechter als uns. Jedes zweite Jahr fahren wir sogar in den Urlaub, wenn das machbar ist. Aber letztes Jahr ist das Auto kaputtgegangen, da mussten wir dann zu Hause bleiben.

Wir sind meilenweit davon entfernt, reich zu sein. Irgendeine Rechnung landet immer auf der Matte, irgendein Schulausflug will immer bezahlt werden, irgendwas gibt immer den Geist auf und muss ersetzt werden. Wir zählen schon nicht mehr mit, aus wie vielen Paar Schuhen Milos mittlerweile rausgewachsen ist, und Mum verbringt die Hälfte ihrer Zeit mit Stullenschmieren, weil sich niemand von uns schicke Sandwiches von Prêt à Manger und Konsorten leisten kann.

Aber was, wenn ich sie mir doch leisten könnte? Wenn ich mich zu den hochnoblen Mädchen mit den schneeweißen Kauleisten setzen könnte, die in Chelsea oder auf der Northcote Road Avocados brunchen? Drei Pfund der Kaffee, fünfzehn das Spiegelei auf Toast. Ferdy und ich könnten am Wochenende den Eurostar nach Paris nehmen, oder gleich einen Flieger nach Berlin. In ein hübsches Hotel einchecken, mit Balkon und großer Wanne im Bad.

Nicht mal mehr an Geld denken zu müssen, weil ja eh mehr als genug davon auf dem Konto liegt. Ein Traum.

Mittlerweile ist es fünf vor eins. Ich knipse meine Nachttischlampe an und krabble zum Plattenspieler. Dad hat ihn letztes Jahr auf dem Dachboden gefunden und wollte ihn schon wegwerfen, bevor ich das gute Stück gerettet habe. Ja, ich weiß, wie unangenehm hipsterig das ist, aber dieser kratzige Plattensound ist einfach das Größte für mich. An Musik lag auch noch einiges auf dem Speicher. Joy Division, The Cure, Roxy Music. Sie haben den Grundstock der Sammlung gebildet, die ich seitdem kontinuierlich erweitere.

Wäre ich mal früher auf die Welt gekommen, als die Musik noch richtig gut war. Blondie, The Runaways, Siouxsie and the Banshees, Kate Bush, Stevie Nicks. Mal im Ernst, wo findet man heute noch solche Hammerfrauen? Ich lege Rumours von Fleetwood Mac auf. Das vertraute Rauschen und Knistern ertönt, dann beginnt »Second Hand News«.

Schon wieder muss ich ans Modeln denken. Ein hübsches Mädchen werde ich nie sein können, so viel steht fest. Aber ein Teil von mir fragt sich, ob ich ein cooles Mädchen sein kann, so wie Debbie Harry oder Annie Lennox. Auf Barbiepuppen habe ich eh nie gestanden. Mir fällt ein, was Ferdy über Models gesagt hat: »Sie sollen einen in ihren Bann ziehen.« Und dann hat er noch hinzugefügt: »Models sollen keine Zuckerfeen sein.«

Ich lege mich wieder hin und versuche, mich auf den Songtext zu konzentrieren, auf Stevies Stimme statt auf das Gedankengeschepper in meinem Kopf.

Und tatsächlich, als Nächstes dämmert schon der Morgen. Die Flugzeuge fangen wieder an, in Heathrow zu starten und zu landen. Ich habe gar nicht gemerkt, wie ich eingeschlafen bin. Bin nicht mal bis zum Ende der A-Seite gekommen.

Ich liebe London bei Sonnenschein. Die Krawatten werden abgenommen, die verranzten Flip-Flops angezogen und alle streben dem nächsten Fleckchen Grün zu, nur für den Fall, dass dies Englands letzter Sommertag ist. Wir treffen uns bei Laurel, da sie den größten Garten hat. Ihr Dad, ein dauergebräunter Essex-Boy, ist Bauunternehmer und wohnt in der schönen Gegend am Battersea Park.

Weil die Prüfungen vorbei sind, hat Ferdy ein paar Extraschichten bei Starbucks übernommen und wird erst später zu uns stoßen. Laurel hat so einen tragbaren Lautsprecher für ihr Handy, deswegen müssen wir auf der Terrasse ihren höchst fragwürdigen Musikgeschmack ertragen. Ich meine, ich liebe sie über alles, aber das ist schon echt viel Ed Sheeran.

»Dann mal los, Miststück«, kommandiert Sabah und sieht mich über den Rand ihrer Sonnenbrille hinweg an. »Zeig uns deinen besten Walk.«

»Dein Ernst?«

»Ich kann immer noch nicht fassen, dass du die Louboutins mit nach Hause nehmen durftest«, sagt Laurel und sprüht ihre Arme mit Faktor dreißig ein. »Das ist so was von drüber!«

»Na, sie passen halt perfekt zu diesem Outfit«, sage ich und zwänge meine verschwitzten Füße in die Stilettos. Schwarze Lackleder-High-Heels zu abgeschnittenen Jeansshorts und einem Mein-kleines-Pony-T-Shirt. Das nenn ich mal einen Look.

»Der Gartenweg ist dein Laufsteg«, sagt Sabah, die heute ein pfirsichfarbenes Kopftuch zu einem schlichten, cremefarbenen Top und passendem Rock kombiniert. Sie sieht einfach immer absolut umwerfend aus und ihr Instagram-Feed – von HijabLondongirl – wird allmählich richtig beliebt. Sie hat jedenfalls mehr Follower als Laurel, Ferdy, Robin und ich zusammen.

»Nicht lachen«, bitte ich mein Publikum. Auf den Steinplatten läuft es sich noch schlechter als auf dem Teppichboden im Prestige-Büro. Ich versuche zu überspielen, wie steif und unförmig ich mich fühle, während ich im Stechschritt den Weg hinunterstampfe. Mit in die Hüfte gestützten Händen probiere ich vor dem Whirlpool ein, zwei Posen, dann laufe ich wieder zurück. »Und?«

Sabah und Laurel tauschen einen Blick aus.

»Mist, war es so schlecht?«

»Nein!«, sagt Laurel. »Wir haben nur … Ich …«

»Wir sind bloß nicht daran gewöhnt, dich in High Heels zu sehen, Babe«, ergänzt Sabah schnell.

»Richtig«, steigt Laurel wieder ein. »Genau das habe ich gemeint. Und, PS: Wie abgefahren lang sind deine Beine denn bitte? Ich hatte ja keine Ahnung!«

»Tja, das liegt daran, dass ich normalerweise nicht in Nuttentretern rumlaufe!« Ich kicke die Schuhe weit in den türkisblauen Himmel. »Bitte helft mir! Ich will nicht wie ein kompletter Idiot aussehen!«

»Null Problemo«, sagt Sabah. »Laurel, holst du mal Schuhe?«

Sowohl Sabah als auch Laurel haben winzige Prinzessinnenfüße, deswegen bringt Laurel hochhackiges Material aus ihrem Zimmer herunter. Sie selbst schnallt sich ein silbernes Riemchenteil vom Abschlussball an und Sabah leiht sich was Schwarzes mit hohem Keilabsatz.

»Wir brauchen bessere Musik«, verlange ich und tausche Laurels Handy gegen meins aus.

»Oi! Was wird das?«, fragt Laurel.

»Dreimal darfst du raten.« Doch da erklingen schon die ersten Akkorde von David Bowies »Fashion«.

»Perfekt!« Sabah klatscht in die Hände. »In unseren Herzen lebst du weiter, David.«

»Wer?«, fragt Laurel, worauf Sabah und ich die Augen verdrehen.

Sabah fängt an. Mit müheloser Eleganz und langen, selbstbewussten Schritten läuft sie den Weg hinunter. Ihr schöner Po wiegt dabei auf eine Art hin und her, die ich mit meiner platten Rückseite niemals hinbekäme. Vor dem Schuppen posiert sie, dann kommt sie zurück. Als sie auf halber Strecke ist, geht Laurel ihr entgegen. Ihr Gang ist weniger entspannt. Sie will sexy sein. Prestige-Tom sagte, dass man genau das vermeiden soll.

Trotzdem laufen beide wesentlich lässiger als ich. Eigentlich echt unfair. Bestimmt lieben sie das hier. Beide shoppen für ihr Leben gern Klamotten. Stundenlang können sie im Westfield von Laden zu Laden stromern, während Ferdy und ich eigentlich alles bei Beyond Retro oder Rockit kaufen. Sabah ist eine aufstrebende Instagram-Fashionqueen, verdammt noch mal. Laurel und sie scheinen mit hohen Hacken auf die Welt gekommen zu sein. Und ich? Ich bin halt groß und dünn. Genetischer Zufall.