Mega Awkward - Voll peinlich, aber gut drauf - Beth Garrod - E-Book

Mega Awkward - Voll peinlich, aber gut drauf E-Book

Beth Garrod

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

LEBEN gegen SELBSTACHTUNG: 1 zu 0

Die 15-jährige Bella ist die Größte – wenn es darum geht, ihr Leben zu versemmeln. Prädestiniert durch ein Mundwerk, das ihrem Hirn nicht gehorcht, und die Fähigkeit, sich binnen Sekunden vor jedem Typen bis auf die Knochen zu blamieren. Doch als sie Zac kennenlernt, steht für Bella fest, er MUSS sie zum Schulball begleiten. Dem entgegen steht allerdings ein Geheimnis, das so mega awkward ist, dass Bella bei ihrem Hirn am liebsten auf »delete« drücken würde. Was kann da also noch schiefgehen? Oh, ja, genau: absolut alles!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 417

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DIE AUTORIN

© privat

Beth Garrod schreibt schon seit einer Ewigkeit für Teenager, und Erfahrung im Awkward-Sein sammelt sie schon ihr ganzes Leben. Sie hat für die BBC ge­arbeitet, Radio 1, Disney und seit ­Neuestem für MTV. Momentan lebt sie im Osten von London und träumt davon, sich einen Hund anzuschaffen. »Mega Awkward« ist ihr erster Roman.

Mehr über cbj auf Instagram unter@hey_reader

BETH GARROD

VOLL PEINLICH, ABER GUT DRAUF

Aus dem Englischen von Catrin Frischer und Petra Koob-Pawis

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

1. Auflage 2019 Erstmals als cbt Taschenbuch August 2019 © 2016 Beth Garrod Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »Super Awkward« bei Scholastic Children’s Books, einem Imprint von Scholastic Ltd, London © 2019 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten Übersetzung: Catrin Frischer und Petra Koob-Pawis Umschlaggestaltung: *zeichenpool, München unter Verwendung des Originalumschlags von © Scholastic Ltd MP · Herstellung: eR Satz und E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-21777-8V001www.cbj-verlag.de

Für meine Familie, die alte und die neue. Und für alle, die sich schon einmal mega akward gefühlt haben. Ihr rockt.

Kapitel 1

Tadá! Jetzt ist es offiziell. Mein Leben ist scheiße. Ich habe es schon immer geahnt, aber dieser Camping-Trip hat es endgültig bestätigt. Ich, Bella Fisher, befinde mich geradewegs auf der Einbahnstraße Richtung Loser-Town. Und das ist keine Straße, bei der man mal eben an der Tanke halten und ein Päckchen Haribo kaufen kann, um sich besser zu fühlen.

Ist es eigentlich normal, in meinem Alter schon eine so hohe Peinlichkeitsquote zu haben? Ich lebe seit fünfzehneinhalb Jahren auf diesem Planeten und an vier dieser Jahre kann ich mich nicht einmal erinnern (abgesehen von damals, als ich mit dreieinhalb an einer Packung Eis geleckt hab und meine Zunge dann eine Stunde lang daran festgeklebt hat, aber das zählt nicht). Schon in meinem zarten Alter habe ich auf der Mega-peinlicher-Mist-Liste fast alles abgehakt. In der Schule aufgetaucht, ohne zu merken, dass eine Unterhose in meiner Socke steckt … check. Unseren durchgeknallten Geografielehrer aus Versehen »Mum« genannt … abgehakt. Und das sogar zweimal, obwohl er eindeutig ein Mann ist. Einen Baseball ins Gesicht bekommen mit Bluterguss am Kinn, dass es aussah, als hätte ich einen Bart – Volltreffer, und das ausgerechnet am Tag vor der Schulmodenschau.

Warum passiert so etwas immer nurmir? Und warum ständig? Ja, alle anderen dürfen sich drüber schlapplachen, aber versetz dich doch mal für eine Sekunde in meine Lage! Die Welt ist ein saugefährlicher Ort. Es würde mich nicht wundern, wenn ich eines Tages in der Kramschublade unterm Waschbecken – in die Mum alte Geburtstagskarten, halbverbrannte Räucherstäbchen und leere Batterien reinschmeißt – einen irren Vertrag finde, den sie bei meiner Geburt unterzeichnet hat:

Liebe Mrs Fisher,

mir ist durchaus bewusst, dass es sich bei einer Geburt um ein schwieriges Unterfangen handelt, aber Ihre Tochter hat es innerhalb der ersten dreißig Sekunden ihres Lebens geschafft, einen Urinstrahl abzusondern, der mich, einen hoch angesehenen Arzt, mit der Wucht eines Düsenantriebs ins Auge getroffen hat. Es tränt immer noch. Daher bleibt mir nichts anderes übrig, als folgende Regeln für das Leben ihrer Tochter aufzustellen.

Besten Dank

Ein hoch angesehener Arzt

BELLAS LEBENSREGELN

Bella sollte einen Alarm-Geruch verströmen, den jeder auch nur halbwegs coole Junge sofort wittert, damit er ihr auf jeden Fall aus dem Weg geht. Dieser Geruch sollte das Aroma einer Furzwolke haben.

Bellas Lachen sollte sich anhören wie das Schnauben eines Pferdes. Gelegentlich von Rülpsern und Schluckauf begleitet.

Sobald irgendwo eine Party stattfindet, zu der wirklich ALLE kommen, müsste Bella weit weg öde Ferien mit der Familie verbringen. Besagte »Ferien« sollten vorzugsweise aus endlos langen Urlauben auf muffeligen Campingplätzen am Ende der Welt bestehen, wo ihre Mum sie mit Vorträgen über die wohltuende Wirkung von Beckenbodenübungen bombardiert.

Bella sollte ein heimlicher Nerd werden. Aber nicht auf die coole, schicke Geek-Art, sondern eher auf die Mathe-und-Physik-Streber-Art.

Bella sollte grundsätzlich durch Mathe und Physik rasseln.

Und zum Schluss: Was auch immer Bella tut oder sagt, um jemanden zu beeindrucken, sie sollte immer – IMMER – das genaue Gegenteil bewirken.

Uff, genauso könnte dieser Vertrag aussehen. Memo an mich: muss dringend die Schublade durchsuchen. Sollte da was zu finden sein, hätte es allerdings auch Vorteile, weil ich dann nicht selbst an der Tragik meines Lebens schuld wäre, sondern alles auf das Schicksal und meine Mum schieben könnte. Und gegen das Schicksal ist man machtlos, sagt Mum (was sie allerdings nicht daran hindert, mit rotem Kuli die Aussagen ihres Horoskops zu korrigieren, die ihr nicht in den Kram passen).

Letztes Jahr hat sie für ihre Abba-Fansammlung ein Pappmodell von Benny online ersteigert. Sie hat sich keine Sekunde lang gefragt, warum die Versandkosten für ein 18 Zentimeter großes Figürchen so hoch waren. Der Gedanke, es könnten 1,8 METER sein, ist ihr nicht gekommen. Wenn meine Schwester Jo und ich jetzt auf die untere Toilette gehen, sind wir auf Augenhöhe (oder besser gesagt auf Hosenhöhe, urgh) mit dem lebensgroßen Pappmodell eines bärtigen Schweden. Ab und zu holt Mum ihn aus der Toilette, um Vertreter schon an der Haustür in die Flucht zu schlagen oder potenzielle Einbrecher abzuschrecken.

Ständig schärft sie mir ein, dass ich keinen Kontakt mit Fremden aus dem Internet aufnehmen soll. Wer sich nicht an diesen Rat hält? Meine Mum! Und genau deshalb sind wir nun auf dem Weg zu dem spaßfreisten Ort unserer Galaxy, den ihr eine wildfremde Person namens MysticBabs in einem Forum namens HippyAndHappy empfohlen hat. Schrillen da nicht bei jedem die Alarmglocken? Mum zufolge ist Babs eine »spirituell erleuchtete Frau« – ich tippe eher auf einen Zwölfjährigen, der sich für besonders lustig hält. Sie (oder er, wer weiß) hat meine Mum davon überzeugt, dass der Weg zum inneren Glück nicht darin besteht, samstagabends Dermot O’Leary anzuschmachten – einen TV-Moderator mit einer Vorliebe für klatschenge Hosen und daher Schwarm aller Mütter –, sondern darin, die eigenen Chakren neu auszurichten. Eine dubiose Internetsuche später hatte Mum meine Schwester und mich ins Auto geschubst und uns dazu verdammt, den Rest der Ferien – und damit unsere letzten Tage in Freiheit – auf dem Campingplatz von Black Bay zu verbringen, wo Mum das Spaßpaket Glücklich mit Meditation gebucht hatte.

Es war einfach nicht zu fassen. Selbst als unser brauner Mini, der älter ist als Jo (Mum nennt ihn Vintage, wir ihn den Todesengel) aus unserer Einfahrt bog. Ich unternahm einen letzten verzweifelten Versuch.

»Mum, ich weiß, dass du dringend an deinen Chakren arbeiten musst, aber kannst du nicht ohne uns fahren? Bitteeeeeee …« Mum drehte »Dark Pipe of The Moon« (ein Pink Floyd Coveralbum mit Panflöte, echt jetzt?) auf volle Lautstärke, um zu demonstrieren, dass sie sich nicht umstimmen lassen würde.

»Was willst du denn alleine zuhause anfangen, Bells? Kannst du mir auch nur einen Grund nennen, warum ich gegen das Gesetz verstoßen und dich unbeaufsichtigt zurücklassen sollte?« Sie warf einen prüfenden Blick in den Rückspiegel, um sicherzugehen, dass ihr leuchtend pinker Lippenstift nicht verschmiert war. Anscheinend war Tod durch Langeweile in ihren Augen kein ausreichender Grund. »Winkt Benny zum Abschied, Mädchen!«

Wie zum Protest schob ich meine Hände unter den Hintern.

»Meine große Schwester kann doch auf mich aufpassen … STIMMT’S, JO?! Sie muss sich auf den Trip des Uni-Leichtathletikteams vorbereiten. Ich wette, sie hat Unmengen an Zeug zu packen. Bestimmt muss sie, ähm, Trainingshosen bügeln und ähm … ihre Turnschuhe schnüren?« Die Welt des freiwilligen Sports ist mir schon immer ein Rätsel gewesen. »STIMMT’S, JO?« Der kunstvolle Dutt meiner Schwester wippte auf und ab, als ich mein Knie von hinten in die Rücklehne rammte, um die richtige Antwort aus ihr herauszuschubsen. Immer darf sie vorn sitzen. Kein Wunder, dass sich meine Beine noch kürzer anfühlen als sie ohnehin schon sind. Wie üblich sprang mir Jo sofort zur Seite … HAHA, guter Witz.

»Hast du genug Platz da hinten? Vielleicht merkst du es nicht, aber du trittst mich immer wieder.« Geschwisterliche Loyalität ist für sie ein Fremdwort. »Oh, wie seltsam, jetzt haben die Tritte aufgehört. Und danke für deine Fürsorge, aber ich habe bereits gepackt. Bin schon seit Tagen fertig – du weißt doch, dass ich meinen Kram gerne frühzeitig erledige. So vergisst man nichts. Übrigens, hast du daran gedacht, deine Bücher mitzunehmen – du wolltest doch, dass ich dir bei den Hausaufgaben helfe.«

Augen. Roll. Irgendwann, vor sehr, sehr langer Zeit, ist Jo einmal so alt wie ich gewesen. Aber ich denke, Mums alternative Ersatzkakao-Torte hat sie an ihrem dreizehnten Geburtstag mit einem Schlag ins dreißigste Lebensjahr katapultiert – wo sie seither feststeckt. Dieser Urlaub würde schrecklich genug werden, da wollte ich ihn nicht auch noch zum Arbeiten nutzen. So bescheuert war ich dann auch wieder nicht.

»Danke der Nachfrage, aber ich habe schon alles erledigt. Was glaubst du denn, was ich gestern den ganzen Tag in meinem Zimmer gemacht habe?« Bella: 1 zu 0.

»Ich schätze, du hast deine Nagellackfläschchen farblich zu einem Regenbogen geordnet, stundenlang Selfies geschossen, die so aussehen sollen, als wären sie ganz spontan entstanden, und eine Collage mit Zitaten aus Anna-Kendrick-Filmen zusammengestellt.« Spiel, Satz und Sieg für Jo. Genau das hatte ich getan.

»Stalkerin«, zischte ich unter der Kopfstütze hindurch.

»Loserin«, zischte sie zurück und lehnte sich nach hinten, sodass ich ihre braunen Haare im Gesicht hatte.

»Schluss jetzt, alle beide«, schaltete sich Mum entnervt ein. »Wir haben eine vierstündige Fahrt vor uns. Black Bay ist so etwas wie das Saint-Tropez von Wales, also hört mit dem Gezicke auf. Andere wären froh, wenn sie mit euch tauschen könnten.«

Das bezweifelte ich.

»Nenn mir eine Person, Mum, nur eine.«

Sie dachte nach. »Hm … Benedict Cumberbatch ist ein großer Fan von Black Bay.«

»WIE BITTE? Sherlock macht dort Urlaub?«

»Na ja, der Angestellte seiner Lieblingsreinigung macht dort immer Ferien. Anscheinend haben die beiden einen sehr ähnlichen Geschmack, was Hosen angeht – und das gilt höchstwahrscheinlich auch für Ferienorte.«

Widerstand war zwecklos.

Sieben Stunden und drei Pinkelpausen später erreichten wir mitten in der Nacht unser Ziel. Der einzige Lichtschein kam von einem Willkommensschild, das stolz verkündete: »BLACK BAY CARAVAN PARK – PARTY LIKE IT’S 1999.« Auf den ersten Blick hatte der Park tatsächlich Ähnlichkeit mit Saint-Tropez – aber nur, wenn man sich darunter kein sonnenüberflutetes französisches Yachtparadies, sondern ein hundert Prozent britisches Schlammfeld vorstellte. Im Inneren unseres winzigen Wohnwagens gab es mehr Orange- und Brauntöne als auf einer Kostümparty, bei der sich die Gäste als fischstäbchenfressende Otter verkleidet haben. Alles war genau wie befürchtet – nur noch ein bisschen schlimmer.

Wie zum Teufel sollte ich die nächsten fünf Tage überleben? Gab es nicht irgendein Regierungsgremium gegen den massiven Missbrauch von Schulferien, an das ich mich wenden konnte? Da ich keinen Empfang hatte, konnte ich weder Nachrichten abrufen noch Hilferufe senden. Also gab ich mich Mum geschlagen und fing an, meine Sachen auszupacken.

Meine Definition von Auspacken – alle Kleider aus dem Koffer kippen, sodass man sie leicht wiederfindet, und gleichzeitig nach einem Ring wühlen, den ich offenbar zuhause vergessen hatte – brachte mir bei Mum weniger Bonuspunkte ein als Jos traditionelle Kleiderbügel-Methode. Daher – Überraschung, Überraschung! – bekam meine ordnungsfanatische, schleimerische Schwester das Sofabett, und ich musste mich mit einer Klappliege begnügen, die tagsüber als Wohnzimmertisch diente.

Als ich das Teil endlich richtig ausgeklappt hatte, schnarchte Mum mir bereits die Ohren voll.

Ich kroch unter die Decke und versuchte zu verdrängen, dass mein Kissen nach Schinken roch (der Wäscheschrank diente auch als Speisekammer). Dann stöpselte ich die Kopfhörer ein, die ich zwischen meiner Unterwäsche hergeschmuggelt hatte. Aber nicht einmal 5 Seconds of Summer und The 1975 konnten mich aufmuntern. Die Tatsache, dass ich in einer überdimensionalen Konservenbüchse festsaß, das Schnarchkonzert meiner Mutter ertragen musste und mein Bett nach Eau de Piglette duftete, war dabei noch nicht einmal das Schlimmste. Nein, etwas viel Schrecklicheres stand mir bevor. Das Schrecklichste seit Mum damals versehentlich ihre gesamte Fotogalerie auf mein Instagram-Profil hochgeladen hatte.

Den Rest der Woche in Black Bay zu verbringen, bedeutete nämlich, den kommenden Samstag zu verpassen. Das Event des Jahres. Die Party zum sechzehnten Geburtstag meiner besten Freundin. Mum kapierte nicht, was für eine Katastrophe das war. Ihrer Meinung nach reichte es völlig, dass unser Freundinnen-Trio am Tag vor meiner Abreise – Rachs eigentlichem Geburtstag – den letzten Punkt auf Rachs Bucket-List für das vergangene Lebensjahr abgehakt hatte (morgens, mittags und abends Pizza essen). Aber Samstag war der Tag der Großen Party. Es würde ein legendärer Abend werden: sturmfreie Bude, eine Playlist, an der wir sechs Monate gefeilt hatten, ein ganzer Kühlschrank voller Ben & Jerry’s – und das alles ohne mich.

Ich zog mir die Decke über den Kopf, um das Leuchten meines Displays zu verbergen, und versuchte noch einmal, Google Maps zu laden. Selbst wenn ich mich sofort zu Fuß auf den Weg machte, käme ich erst zwei Tage nach der Party zu Hause an. Und das, ohne zu schlafen oder zu essen oder Fotos im Frodo-Style zu posten, um alle an meiner abenteuerlichen Wandertour teilhaben zu lassen. Mein Schicksal war besiegelt. Die Ferienreise war offiziell zum Horrortrip geworden. Statt Berg und Tal zu durchwandern, krabbelte ich über den Teppich und den Unterwäschestapel und angelte mir eine Socke, die ich zuhause heimlich mit Karamellkeksen gefüllt hatte. Während ich mich leise durch den krümeligen Inhalt von vier Zehen mampfte, dachte ich darüber nach, wie schlimm das FOMO-Syndrom mich angesichts dieser verpassten Party wohl treffen würde.

Ich ahnte nicht, dass im selben Moment auch andere über die Party nachdachten und dass ihr perfekter Plan im Desaster meines Lebens enden würde.

Kapitel 2

Kann das Wetter einen verhöhnen? Als wären diese Ferien in der Hölle nicht schon schlimm genug, regnete es seit vier Tagen ununterbrochen. NICHT WITZIG, WOLKEN! Ihr habt meinen Bob in krause Ringellocken verwandelt, weshalb ich jetzt aussehe, als hätte ich Schamhaare auf dem Kopf.

Warum ist Black Bay nicht wie diese Ferienparks, in denen Lou (eine aus unserer Klasse, die zwei Jahre früher als alle anderen Mädchen einen Busen bekommen hat) immer den Sommer verbringt? Auf ihren Urlaubsfotos sehen diese Orte aus wie eine Real-Life-Version von 90210. Hier in Black Bay bin ich die Jüngste, abgesehen von ein paar Kindern, und die zählen nicht, denn ich hänge garantiert nicht mit Popel essenden Rotznasen ab. Igitt! Der Höhepunkt des Tages ist das Russisch Roulette am Buffet, bei dem täglich eine Lebensmittelvergiftung droht. Zumindest habe ich es geschafft, mich vor dem Kurs im Aktzeichnen zu drücken, den Mum und Jo heute besuchen. Ich erklärte ihnen, ich müsste an meinem Kostüm für den Abend arbeiten. Das klang würdevoller als: »ERNSTHAFT? GLAUBT IHR WIRKLICH, ICH WILL EUCH BEIDE DABEI HABEN, WENN ICH DAS ERSTE MAL EINEN ECHTEN PIMMEL SEHE?«

Ich stach mit dem Messer auf die Cornflakes-Packungen ein, aus denen ich mein Kostüm zusammenbastelte, als wären die Schachteln an dem verkorksten Abend schuld. Seit ich Rachel kenne, haben wir der Party zu ihrem Sechzehnten entgegengefiebert. Also praktisch seit ihrer Geburt.

Rachel alias Rachel ist die eine Hälfte meiner besten Freundinnen, Tegan und Rachel (sie ist natürlich die Rachel-Hälfte). Drei ist eine ungerade Zahl, aber was soll’s? Wir sind ein tolles Trio. Die beiden sind für mich so lebenswichtig wie das Atmen, sie bewahren mich jeden Tag davor, den Verstand zu verlieren. Ich glaube, ich weiß mehr über sie als über mich selbst. Tegan zum Beispiel ist ein echtes Genie. Vermutlich wird sie eines Tages das Land regieren. Außerdem beherrscht sie den Spagat vorwärts und seitwärts. Nicht dass sie als Premierministerin Spagat machen müsste – das macht sie nur bei Wettkämpfen mit ihrem Gymnastikteam. Auf ihren Socken stehen die Wochentage (die Schriftzüge stickt sie selbst auf, allerdings trägt sie verschiedene Tage am linken und am rechten Fuß).

Rachel ist permanent gut gelaunt und lächelt andauernd (sie sieht immer aus wie auf einem Foto mit dem Hashtag #lifegoals). Rachel bringt uns jeden Tag zum Lachen. Sie ist ständig mit krassen Kunstprojekten beschäftigt, zum Beispiel malt sie Hundebilder, die nur aus Dreiecken bestehen. Als unser Kunstlehrer eines ihrer Bilder in die Hände bekam, reichte er es sofort für einen Wettbewerb ein. Es hat natürlich gewonnen – und das obwohl es falsch herum aufgehängt war. Wenn Rachel ausnahmsweise einmal nicht zeichnet oder malt, kuschelt sie sich mit einem Buch auf die Couch (was merkwürdig ist, denn obwohl sie so viele schlaue Wörter in ihren Kopf hineinstopft, kommen manchmal ziemlich sinnlose Sätze wieder heraus). Außerdem kriegt sie Panik, wenn Gabeln sich in der Besteckschublade verhaken, und sie fürchtet sich höllisch vor Eichhörnchen. Sie schwört, dass sie einmal von einem Eichhörnchen gebissen worden ist (ihr Dad sagt allerdings, es wäre nur der verrückte Nachbarshamster gewesen).

Rachels Partys sind der Hammer (und das schon bei ganz normalen Anlässen). Aber die Party am Samstag ist seit einem ganzen Jahr in Planung. Rachels Haus ist gigantisch, und ihre megareichen Eltern werden dafür sorgen, dass es ein Fest wird, auf dem sich sogar Kendall und Kylie blicken lassen würden. Solche Eltern hätte ich auch gerne. Meine Mum hält sich schon für eine tolle Gastgeberin, wenn sie ausnahmsweise einmal Käsebällchen serviert, die nicht von einer Billigmarke stammen. Würg! Ihre Einladungen sind peinlicher als jedes Damenkränzchen.

Ich warf einen Blick auf mein Handy. Keinerlei Update von der Partyvorbereitung. Ich legte das Smartphone auf den Boden und versuchte, es mit reiner Willenskraft und vorwurfsvollen Blicken zum Leben zu erwecken. Mum beschwert sich oft, dass ich ständig am Handy festklebe, aber was kann ich denn dafür, dass sie eine technologiefreie Langweilerjugend hatte? Damals gab es nur Schnitzholz und Waschmaschinen und Wasserkessel und so ödes Zeug.

Ich schlitzte eine weitere Cornflakes-Schachtel auf. Wenn Tegan und Rachel hier wären, könnten wir sogar in Black Bay unseren Spaß haben. Wenigstens hatte Jo versprochen, mir bei meinem Projekt »Überlebe den heutigen Abend« beizustehen. Um mich auf andere Gedanken zu bringen, wollten wir nach dem Zeichenkurs auf die Pop-Swop-Night des Campingplatzes gehen. Das sollte so ein Kostüm-Karaoke-Abend werden. Okay, es wird keine geniale Party mit meinen Freunden und auch keine X-Factor-Tour in Wembley, aber besser als nichts. Außerdem wird niemand je davon erfahren. Was auf dem Campingplatz von Black Bay passiert, bleibt auf dem Campingplatz von Black Bay.

Darf. Nicht. Aufs. Handy. Schauen. Das war die reinste Qual. Meine Augen wurden wie magnetisch angezogen. Zum Glück sitzen sie fest in ihren Augenhöhlen, sonst würden sie herauspoppen und am Display kleben bleiben wie gruselig glotzende Eisenspäne. Längst war das kein Handy mehr, sondern ein Folterinstrument. Als ich zum letzten Mal nachgeschaut hatte, zeigte es 20 Uhr 28 an. Wenn ich es schaffte, erst wieder um 22 Uhr einen Blick darauf zu werfen, hatte ich schon das erste Drittel der Party überstanden. Dem Pre-Party-Gossip zufolge (Mikey hat es Rachel erzählt, die es Tegan erzählt hat, die es mir erzählt hat) würde Luke wahrscheinlich mit Lou, dem Knutsch-Wanderpokal der Schule, rummachen. Ob mich das trifft? Mich? Ja, verdammt, aber das würde ich natürlich nie zugeben. Am liebsten würde ich es nicht einmal mir selbst eingestehen. Klar, dass ich eine mega-schlechte Lügnerin bin.

Nicht zu fassen, dass ich jemals mit Luke zusammen gewesen bin. Er steht für das EX in Extremidiot. Dieser Vollpfosten war mein erster richtiger Freund. Anfangs war ich echt happy, aber dann stellte er sich als Totalkatastrophe heraus, für die man mindestens Level fünf im Umgang mit Jungs erreicht haben sollte. Ich habe noch nicht einmal das erste Level geschafft, bei dem man lernt, Händchen zu halten, ohne Schweißausbrüche zu kriegen, und erfährt, was an Cricket so toll sein soll. Ich bin Anfängerin im Boyfriend-Business, und Luke ist einer, der selbst Taylor Swift den Stoff für mindestens drei Songs liefern könnte.

Luke und ich haben nicht mehr miteinander geredet, seit ich kurz vor Weihnachten vorschlug, dass wir uns vielleicht nicht mehr ganz so oft sehen sollten, woraufhin er lachend erklärte, dass es für ihn von Anfang an nichts Ernstes gewesen sei. Die Nachricht machte blitzschnell die Runde, und ich bekam im Schulflur Highfives dafür, dass ich als Erste den Spieß umgedreht und ihn abserviert hatte. Ich war so sauer auf Luke, dass ich mir nicht die Mühe machte, das Gerücht richtigzustellen. Grrr. Könnte ich bitte mit der Delete-Taste seine Existenz auslöschen?

20 Uhr 30. Verdammtichhabgeguckt. Ich bin absolut mies im Einhalten von Versprechen, die ich mir selbst gegeben habe. Ich muss mir versprechen, es in Zukunft besser zu machen.

Ich fragte mich, was inzwischen abging. War Lou schon zur menschlichen Diskokugel mutiert in einem ihrer berüchtigt enganliegenden schulterfreien Glitzertops? Würde Mikey endlich mit Tegan über seine Gefühle sprechen? Hatte Rachel bereits unabsichtlich die ersten Herzen gebrochen? Sie will nicht bewusst gemein sein, das könnte sie gar nicht, aber wenn man die leibhaftige Ausgabe einer Disney-Prinzessin ist, dann passiert so was eben. Ihre Haare sehen aus, als würden sie im Wind wehen, auch wenn sie gar nicht im Freien ist. Gesunder Menschenverstand ist allerdings nicht gerade ihre Stärke. Einmal hat sie zu mir gesagt: »Ich weiß, dass der erste April der Anfang eines Monats ist, mir fällt nur nicht ein welcher.«

20 Uhr 32. Argh. Waren ernsthaft nur zwei Minuten vergangen, seit ich zum letzten Mal mein Handy gecheckt hatte? Hörte diese Tortur denn nie auf? Zumindest wusste ich nun, wie es sich anfühlte, das wichtigste Event des Jahres zu verpassen. Es war ein bisschen so, als müsse man an Weihnachten krank im Bett bleiben, nur eine Million Mal schlimmer.

Ich konnte den morgigen Tag kaum erwarten, dann waren wir endlich wieder auf dem Weg nach Hause. Es war fast schon peinlich, wie sehr ich mich darauf freue, nach Appleton zurückzukehren. Appleton ist der Prototyp einer Kleinstadt, in der es nichts zu tun und nichts zu sehen gibt. Das einzige Highlight ist ein bizarrer Felsen, der aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet, wie William Shakespeare aussieht. Leider ist das nur ungefähr 0,5 Sekunden lang interessant. Ich lebe schon seit 15,5 Jahren da und das sind ziemlich viele Sekunden. Zum Glück leben auch meine Freunde dort, sonst wäre ich vermutlich Englands jüngste Einsiedlerin, was wie der Titel einer schrägen TV-Show klingt, die ich mir in meiner Einsamkeit wahrscheinlich sogar reinziehen würde.

Ich schnippte eine abtrünnige Cornflakes-Flocke weg, die an meinem Knie klebte, und versuchte, mich darauf zu konzentrieren, für mein Do-it-yourself-Kostüm die Verpackungen aufzureißen. Eigentlich sollte es BDDIY heißen: Bella-don’t-do-it-yourself (denn es war so ziemlich die mieseste Idee, die ich je hatte). Während ich Nagellack auf die Pappe tropfte und die Einzelteile zusammenklebte, redete ich mir ein, dass die Idee nicht mies, sondern geradezu genial war.

PIEP.

ENDLICH! Ein Lebenszeichen der Außenwelt. Der Name, der auf meinem Display erschien, traf mich mit der ganzen Wucht eines Tennisballs, den man direkt vor die Brust bekommt. Luke. WARUM hat Gott Smartphones erfunden? Und warum lässt er zu, dass man auf Campingplätzen ab und zu Handyempfang hat, wenn er es noch nicht einmal schafft, dort für heißes Wasser zu sorgen – ganz zu schweigen von Essen, das keine beige Pampe ist. Check mal deine Prioritäten, alter Rauschebart! Vielleicht hatte er mir aus Versehen geschrieben, weil er das Handy in der Arschtasche hatte (Luke, nicht Gott). Ich öffnete die Nachricht. Drei Worte.

Rate mal, wer?

Doch das war noch nicht alles. Er hatte ein Foto geschickt. Ein Foto, bei dessen Anblick sich mir der Magen verknotete, noch bevor ich richtig kapiert hatte, was darauf zu sehen war. Ein weiterer Beweis dafür, dass ich mit dem Bauch denke statt mit dem Kopf.

Gab es ein Emoji für: Ich kotze gleich im Wohnwagen? Das hätte ich jetzt dringend gebraucht. Auf dem Display meines Handys war Luke zu sehen – eine Beleidigung für meine Augen, ein Anschlag auf mein Einsiedlerdasein. Er tat das, was er am besten konnte. Streckte die Daumen hoch. Zwinkerte in die Kamera. Achtete nicht auf das arme Mädchen, das er gerade küsste, denn wie immer drehte sich alles nur um ihn. War das Lou? Auf dem Foto war von ihr nicht viel mehr als ein violetter Hut mit breiter Krempe zu sehen, der aus mehr Stoff bestand als Lou normalerweise am ganzen Körper trug. Warum schickte er mir das? Seit unserer Trennung hatten wir nicht einmal Blickkontakt gehabt, ganz zu schweigen von Telefonkontakt. Warum also schrieb er mir aus heiterem Himmel eine Nachricht? Glaubte er etwa, ich würde mich darüber ärgern? Das tat ich natürlich – aber wie kam er dazu, mir das zu unterstellen? Es ergab keinen Sinn.

Ich rief Rachel an. Anrufbeantworter. Auf meine Textnachrichten bekam ich keine Antwort. Bei Tegan war es das Gleiche. Ich probierte es sogar bei Mikey, obwohl der keine ganzen Sätze herausbekommt, sobald er in ein elektronisches Kommunikationsgerät sprechen muss. Shitshitshit.

Eigentlich konnte es mir egal sein, was Luke machte. Es war ja nicht so, als hätte ich noch Gefühle für ihn. Also warum war dann ich so sauer? Von allen Menschen auf der Welt müsste ich mich selbst doch am besten kennen – aber irgendwo in meinem Körper gibt es einen geheimen Winkel, in dem sich Informationen verstecken, an die mein Gehirn nicht herankommt.

Ich darf unter KEINEN UMSTÄNDEN antworten. Sonst glaubte er noch, es würde mir etwas ausmachen. Ganz egal, was ich wirklich dachte, viel wichtiger war, was er denkt, was ich dachte. WWBT? Was würde Beyoncé tun? Ja, ich war eine starke, unabhängige Frau, die sich nicht davon beeindrucken ließ, dass ihr Ex auf ihrem Stolz herumtrampelte, während sie zu Einzelhaft im Wohnwagen verdonnert war.

Rate mal, wem das egal ist?

Ups. Kaum hatte ich auf Senden gedrückt, bereute ich es auch schon. Na ja, eigentlich hatte ich es schon bereut, bevor ich auf Senden gedrückt hatte, aber so etwas wie Logik hat mich noch nie von schlechten Entscheidungen abgehalten. Okay, ich war eine starke, unabhängige Frau mit der Willenskraft von jemandem, der einmal eine ganze Jumboschachtel Toffees gegessen und danach alles wieder herausgekotzt hatte. Dabei hasse ich Erdbeergeschmack.

Mein Handy piepste.

Hoffe, du bist okay. Keine Panik, aber Luke erzählt rum, dass er mit T geknutscht hat Info ist falsch. Ich wiederhole FALSCH. Lange Geschichte – erklärs dir, wenn du wieder da bist. KEEP CALM! Akku fast leer. Vermiss dich. R xxx

WTW?!? Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, hat da Winston Churchill oder wer auch immer dem britischen Volk eine Textnachricht geschickt nach dem Motto »Hey, passt mal auf, eventuell könnte es sein, dass sich Ärger zusammenbraut«?

Wie konnte Rachel nur diese Textbombe auf mich abwerfen? Sie weiß doch, wie sensibel (um nicht zu sagen unausgeglichen) ich bin. Was meinte sie mit lange Geschichte? Und warum konnte sie nicht einfach ihren Akku aufladen?!

Ich sah mir Lukes Foto genauer an. Auf den ersten Blick hatte der Hut wie eine harmlose Kopfbedeckung ausgesehen. Leider erschwerte er die Beweisaufnahme. Wen küsste Luke da? Warum behauptete er, es wäre ausgerechnet die Person gewesen, von der wir beide wussten, dass sie ihn niemals küssen würde? Ich versuchte, meinen nagenden Zweifel an letzterer Tatsache zu ignorieren. Dann zoomte ich das Foto heran und suchte nach einer Strähne von Tegans schwarzem Haar. Außer Lukes selbstzufriedenem Grinsen war nichts zu sehen. Ich schickte das Foto an Rachel.

WTW ist das? Ich DREH DURCH. Ruf mich an! Ruf. Mich. Aan.

Ich wartete etwa fünfzehn Sekunden, dann schickte ich die gleiche Nachricht an Tegan. Nichts passierte.

Habt ihr meine Nachrichten bekommen? Ruft an! Dringlichkeitsstufe 1000000000.

Kapierten sie denn nicht, wie ernst die Lage war?

SOFORT.

War das zu viel verlangt? Ich schickte ein extra »Bitte« hinterher. Aber egal wie sehr ich mit meinem Handy herumfuchtelte, es kamen keine Empfangsbestätigungen durch. Waren die Nachrichten überhaupt rausgegangen?

Frustriert knallte ich das Erstbeste, was ich in die Hand bekam, auf den Tisch. Unglücklicherweise war es eine offene Cheerio-Box. Das Zeug flog wie Frühstückskonfetti durch die Luft.

Ich fing an, wie wild die kleinen Fieslinge wegzuschnippen.

Da ahnte ich noch nicht, dass ich meinen Dreamboy kennenlernen würde, noch bevor ich die letzten Cheerios aus meiner Unterhose geangelt hatte.

Kapitel 3

»Ähm, bitte sag mir, dass das nicht der ekligste Hautausschlag aller Zeiten ist?«

Jo hat ein Talent dafür, in den unpassendsten Momenten aufzutauchen. Beim Anblick des klebrigen Cheerios in meiner Achsenhöhle wurden ihre grauen Augen ganz groß.

»Und warum stehst du auf einem Stuhl und streckst die Arme in die Luft?« Sie beäugte mich misstrauisch. Mit einem Fingerschnippen entfernte ich das Cheerio.

»Ich schicke eine Nachricht.« Ich wedelte mit meinem Handy über dem Kopf und versuchte, das verstörende Wasserfarbengemälde eines nackten Mannes zu ignorieren, das meine Schwester achtlos aufs Sofa geworfen hatte. Sie hatte kein Detail ausgelassen. Wirklich gar keines.

»Okay …« Jo warf mir den halb missbilligenden, halb herablassenden Blick zu, der achtzig Prozent ihres gesamten Mienen-Repertoires ausmacht. »Was ist denn jetzt schon wieder los?«

»Es geht um die Party … alles sehr kompliziert.« Immer noch kein Signal.

»Was heißt kompliziert? Ich habe in meinen Uniprüfungen eine glatte Eins geschafft, also kapiere ich möglicherweise ja, worum es geht.« Dann dämmerte es ihr. »Ohhhh. Meinst du etwa Jungs-kompliziert?«

»Vielleicht.«

»Vielleicht ja oder vielleicht nein?«

»Vielleicht ja, okay?! Ich habe gerade eine total merkwürdige Nachricht von Luke bekommen und bin kurz vorm Durchdrehen.«

Sie musterte mich von Kopf bis Fuß, was nicht sehr schwer war, da ich ja auf einem Stuhl stand. »Was heißt hier durchdrehen? Du siehst aus, als wärst du komplett überschnappt. Ist dir eigentlich klar, dass du eine Kombi aus Pappkarton, Clown-Unterhosen und meinem Tanktop trägst? Ich kann mich übrigens nicht daran erinnern, dass du mich um Erlaubnis gefragt hättest.«

»Das ist meine Mopsunterhose.«

»Und mein Tanktop.«

»Es gehört zu meinem Kostüm, das ich gerade bastle.«

»Es ist mein Tanktop.«

Sie konnte so nervig sein.

»Blöde Kuh.«

»Diebin.«

»Schhhhh. Merkst du nicht, dass ich gerade einen Nervenzusammenbruch habe? Hör auf, an mir herumzunörgeln, und sag mir, dass alles wieder gut wird.«

»Alles wird gut.«

»Nein! Mit Überzeugung bitte!«

»Ich werde nicht lügen. Bei dir ist nie alles gut … außerdem ist es mein Tanktop.«

Ich zog einen Stuhl hervor und setzte mich im Schneidersitz darauf, damit Jo nicht meine babyzarten Beine sah und dahinterkam, dass ich ihren versteckten Rasierer gefunden hatte. Das Ablenkungsmanöver war erfolgreich. Sie setzte sich neben mich und ich holte tief Luft.

»Luke behauptet, er habe mit Tegan rumgeknutscht.«

»Niemals!« Ihr ehrliches Entsetzen war eine Honigpackung auf meiner Seele.

»Doch.«

Also war da was faul an Lukes Behauptung. Jo wusste genauso gut wie ich, dass Tegan zu den Guten gehört. Tegan ist eine von denen, die warme Augen haben und im Netzball Außenverteidigerin spielen. Bei ihr kann man sich darauf verlassen, dass sie bei Partydramen die Wogen glättet statt sie zu verursachen.

»Jetzt wird mir langsam klar, wieso du ausflippst.«

»ICH FLIPPE NICHT AUS!«

Jo zog ihre Augenbrauen hoch und blickte vielsagend auf mein Handy, mit dem ich immer noch wild herumwedelte.

»Natürlich nicht. Sieh mal, es gibt bestimmt eine logische Erklärung dafür. Du weißt doch, wie es ist, wenn Partys aus dem Ruder laufen.«

»Nein, weiß ich nicht …«

Es sei denn, sie spielte auf Mums Pilates-Übernachtungspartys an, aber da gab es nur einen Overkill an Fußgeruch und grünem Tee.

»Auf Partys passiert doch ständig irgendein Quatsch. Dafür sind Partys da – für blödes Zeug, das normalerweise nicht passieren würde.«

Ich durchquerte unseren Wohnwagen auf der ganzen Länge von einem Meter, legte mich auf die Couch und schloss die Augen, als wäre ich gerade mitten in einer Therapiesitzung bei meinem Psychiater.

»Bitteeee, sag mir, dass ich das Opfer von »Die versteckte Kamera« bin, nur dass hier nirgendwo Kameras sind und es kein bisschen lustig ist.«

»Ich … das kann ich nicht. Hast du versucht, sie anzurufen?«

»Klar. Keine Antwort.«

»Ahh, und jetzt willst du noch eine Nachricht schicken.«

»Langsam verstehe ich, warum du bei deinen Prüfungen immer so gut abschneidest, du Genie.«

»Hey, ich wollte nur helfen. Zeig mal her.«

Ich zeigte ihr die wichtigsten Nachrichten und versuchte gleichzeitig, meine eigenen, etwas irren Antworten vor ihr zu verbergen.

»Hör mal, womöglich ist alles nur halb so wild. Ich war mal in einer ganz ähnlichen Situation.«

»Wirklich?«

»Na ja, nicht ganz, ich war immer nur mit Jungs zusammen, die mehr auf mich standen als ich auf sie.«

DANKE FÜR DEN HINWEIS! Genau das habe ich gebraucht. Und das von jemandem, der sogar noch gut aussieht, wenn er nachts AUFS KISSEN SABBERT. Jo registrierte meinen gedanklichen Würg-Anfall gar nicht, sondern sprach einfach weiter.

»Also, einer der Jungs, mit denen ich etwas hatte – Owen, der Schauspieler, weißt du noch? –, hat nach ein paar Dates Rosanna angebaggert.«

Rosanna war Jos beste Freundin und die eine Hälfte von RoJo, dem preisgekrönten Crosscountry Lauf-Duo. Anscheinend hatte Jo zur Abwechslung mal etwas Hilfreiches beizusteuern.

»Wir haben uns ausgesprochen und konnten schließlich die lustige Seite daran sehen – dass wir nämlich beide auf einen Typen reingefallen sind, der sein Geld damit verdient, sich als Hamburger zu verkleiden.« Sie lachte, als wäre das Ganze ein guter Witz. »Also merk dir: BFs sind wichtiger als BoyFs.«

Warum musste ich ausgerechnet ein wandelndes Lexikon als Schwester haben, mit einem unerschöpflichen Vorrat an inspirierenden Instagram-Zitaten, die jeder liked, ohne sie je zu befolgen? Ich verdrehte die Augen unter meinen geschlossenen Lidern.

»Nimm’s mir nicht übel, Jo, aber ihr zwei seid auch nicht ganz normal. Nur dass du es weißt: Tegan hat Luke nicht abgeknutscht, kapiert?«

»Egal, du kannst sowieso nichts dagegen tun, solange du hier bist. Also reg dich einfach nicht auf.«

»Ich reg mich nicht auf. Ich denke nur nach. Sehr ausführlich. Und sehr lange.«

»Warum denkst du dann nicht über etwas nach, das du ändern kannst? Wie zum Beispiel, mein Top auszuziehen oder den Rest von deinem Kostüm anzuziehen, um mir den freien Blick auf deinen Hintern zu ersparen. Du kannst natürlich auch allein hierbleiben und die nächsten drei Stunden damit verbringen, dein Handy anzustarren. Ich bezweifle allerdings, dass du genug Kraft in den Oberarmen hast.«

Was für Alternativen! Eine so bescheuert wie die andere. Also gut, wenn Jo mich nicht in Ruhe leiden ließ, würde ich es eben in aller Öffentlichkeit tun. Ich blickte auf meine Pappkarton-Kreation, die fast den ganzen Platz auf dem Boden einnahm: ein riesiger Pfeil, größer als ich, gebastelt aus roten Cornflakes-Schachteln, die ich aus unserem Müll gefischt hatte (und vermutlich dem der Nachbarn). Ich hatte sogar ein Loch reingeschnitten für mein Gesicht. Trotz aller Anstrengungen sah es leider nicht nur aus wie Müll, es roch auch so. Tja.

Morgens hatte ich schon mal probehalber den Prototyp anprobiert. Mum hatte nicht kapiert, dass mein Kostüm eine Hommage in dankbarer Erinnerung an One Direction sein sollte. Allerdings erkannte sie eine Popkultur-Anspielung selbst dann nicht, wenn man heftig mit dem Zaunpfahl, ähm Pfeil winkte, und ihr dabei unbeabsichtigt eins auf die Nase gab.

Das Handy ständig im Blick, riss ich eine Packung mit drei Rollen Tesafilm auf und fing an, die Kreation an meinem Körper zu befestigen.

Hundertvierundzwanzig Blicke aufs Display, fünf Beyoncé-Powersongs, vier an den seltsamsten Stellen klebende Cornflakes, drei emotionale Zusammenbrüche und eine lebensgefährliche Puder-und-Toupier-Aktion später war ich startklar.

Wenn meine Nachricht an Luke der erste große Fehler dieses Abends gewesen war, dann war mein Kostüm der zweite. Ich zupfte an meinem Outfit und fühlte mich wie eine Kreuzung aus Laternenpfahl und rotem Monopoly-Häuschen. Um alles zusammenzuhalten, hatte ich Jos Gürtel ganz eng schnallen müssen; es war nur eine Frage der Zeit, bis ich wegen Sauerstoffmangels umkippen würde.

»Jo. Mal ehrlich, glaubst du, die Leute kapieren, was ich darstellen will?«

Jo musterte mich und schien zu dem Schluss zu kommen, dass Ehrlichkeit nicht die beste Strategie war.

»Na ja, schlimmstenfalls zeigen alle auf dich. Da du ja selbst so etwas wie ein Zeiger bist, kannst du kaum etwas dagegen haben.«

Ich nickte betont zuversichtlich und fegte mit meinem Pfeilspitzenkopf beinahe die Deckenlampe herunter. So müssen sich Aliens fühlen.

»Wenigstens zeige ich nach oben, es kann also nur aufwärts gehen. Willst du dich nicht auch umziehen?«

»Ich? Du hast das rote Top geklaut, das ich tragen wollte. Ich gehe einfach als eine der ausgeschiedenen Kandidatinnen der letztjährigen X-Factor-Staffel.«

»Aber hier wird sich keiner mehr an sie erinnern.«

»Genau.« Ihre Argumentationsstrategien hatte sie eindeutig von Mum gelernt. Erst verwirren, dann zuschlagen. »Glaub mir, wenn wir erst mal dort sind, geht es dir gleich viel besser. Alle sind kostümiert. Und diese schräge Familie – du weißt schon, wo alle immer die gleichen Hosen anhaben – schießt garantiert noch weiter übers Ziel hinaus als du.«

Ich kam mir zwar total dumm vor, aber gleichzeitig war ich für jede Ablenkung dankbar, daher machten wir uns auf den Weg. Sowohl Jo als auch ich trugen Jo-Schuhe, was für sie leicht, aber für mich mit meinen um zwei Schuhgrößen kleineren Füßen echt schwierig war. Wir gingen bzw. stolperten (Jo bzw. ich) zur Gemeinschaftshalle, ohne zu ahnen, dass halbtaube Rentner, die zu Brieanna die Hüften schwangen, bald das geringste unserer Probleme sein würden.

Worte können nicht ausdrücken, wie peinlich es war, durch die großen Flügeltüren in den viel zu grell beleuchteten Partysaal zu treten. Wenn es eine olympische Medaille für Simultan-alle-Gespräche-zum-Verstummen-Bringen gäbe, stünde ich ganz oben auf dem Siegertreppchen. Die Holztür quietschte extra laut, damit auch ja alle Augen auf uns gerichtet waren. Nicht, dass man es als menschlicher Riesenpfeil nötig hätte, zusätzliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Von den etwa hundert Leuten, die sich versammelt hatten, war kein einziger kostümiert.

Eine Frau in Personalkleidung kam herbeigeeilt. Ihr enthusiastisches Dauerlächeln war das genaue Gegenteil meines entsetzten Gesichtsausdrucks.

»Oh, ihr zwei Hübschen. Was für ein Anblick!« Sie sagte »ihr«, aber eigentlich meinte sie nur mich, das Pappkarton-Monster. »Dein Kostüm ist ja wirklich … interessant. Wie süß von dir! Du hast dir so viel Mühe gemacht, obwohl wir ja in der aktualisierten Einladung geschrieben hatten, dass nur die Mitarbeiter im Kostüm kommen sollen.«

Inmitten einer Ansammlung von ältlichen Pärchen, die sich weder als Riesenpfeil noch als sonst was verkleidet hatten, war das Timing für diese Nachricht nicht gerade optimal. WELCHE VERDAMMTE EINLADUNG?! Die Frau redete ungerührt weiter.

»Wir haben uns entschieden, die eigentliche Kostümparty abzusagen, weil eine besonders begeisterte Familie vorzeitig abreisen musste. Eines der Kinder hat sich eine Gehirnerschütterung zugezogen, nachdem es wiederholt mit dem Kopf gegen eine Steinmauer gerannt ist.«

OMG. Der Familylook-Junge hatte es geschafft, sich ins Krankenhaus einliefern zu lassen. Was für ein genialer Fluchtplan! Warum war ich nicht auf die Idee gekommen?

Die überfreundliche Organisationstante drehte sich langsam um die eigene Achse. »Ich bin Mariah Carey, seht ihr?«

Ich sah es nicht, es sei denn Mariah hatte einen Nebenjob als Sprechstundenhilfe. Als ich Jo anblickte, schossen kleine Dolche aus meinen Augen. Wieso hatte sie davon nichts mitgekriegt? »Volle Punktzahl für dein fantastisches Pfeilkostüm. Bist du eine von den Pointer Sisters?«

Zorn und Scham ließen mich am ganzen Körper zittern, ich sah aus wie eine bebende Kompassnadel.

»DAS. IST. EINE. HOMMAGE. AN. ONE DIRECTION. WAS SONST?«

Na toll. Mein Lautstärkeregler hatte sich zusammen mit meiner Würde verabschiedet.

Jo formte mit den Lippen ein lautloses »Sorry«, aber wenn sie nicht wie durch ein Wunder plötzlich die Fähigkeiten von Doctor Who besaß, dann würde ein kleines Sorry nicht die Erinnerungen all dieser Menschen hier auslöschen können. Sogar die Miniwürstchen im Blätterteig schienen sich vor Lachen zu krümmen. Meine Augen fingen an zu brennen, wie immer, wenn ich kurz vorm Losheulen war.

Ich hatte genau zwei Möglichkeiten: hierbleiben und in Tränen ausbrechen oder abhauen.

Ich entschied mich für die klassische Variante und tat beides. Mit meiner übelsten Stakkato-Schluckauf-Tränenstimme sammelte ich weitere Extrapunkte auf dem Loser-Konto, als ich Jo anbrüllte, wie zum Teufel sie die aktualisierte Einladung hatte übersehen können.

Zuhause war mein Ex gerade dabei, mein Dasein zu ruinieren, und jetzt war auch mein Campingplatzleben ein einziger Scherbenhaufen. Von allen Seiten erntete ich mitleidige Blicke, als ich mich seitlich durch die Tür zwängte (und dabei eine Girlande mit Partywimpeln abräumte), um zurück zum Wohnwagen zu fliehen. Ich wollte nur noch in mein Tischbett kriechen und mich vor der Welt verstecken.

Keine Ahnung, wie ich dabei vergessen konnte, dass ich keinen Schlüssel hatte, aber ich tat es. Vielleicht lag es daran, dass ich den schlimmsten Abend meines Lebens durchlitt. Also musste ich einen Riesenumweg zu dem Restaurant machen, wo Mum an einem Speeddating für Veganer teilnahm (ein jährlich stattfindendes weiteres Highlight der Campingplatz-Community). Es ist ziemlich anstrengend, über eine längere Strecke hinweg wutentbrannt davonzustürmen. Aber ich behielt mein Tempo bei. Wenn Jo mich ganz normal gehen sah, würde sie denken, ich sei bereits darüber hinweg.

Aber ich würde NIE darüber hinwegkommen.

Zum Glück war kaum jemand im Restaurantbereich. Leider auch Mum nicht, die nirgendwo zu sehen war. Stattdessen traf ich auf einen desinteressierten Kellner, der den Boden wischte. Er sah betont über mein Kostüm hinweg und auch darüber, dass ich mehr Mascara im Gesicht hatte als auf den Wimpern. Gelangweilt leierte er eine Nachricht meiner Mutter herunter. Anscheinend war sie den ganzen Abend weg und hatte ihr Handy ausgeschaltet, um bei einer Veranstaltung namens »Mit Yoga durch die Menopause« ihren inneren Frieden zu finden. Außerdem ließ sie ausrichten, dass noch Thunfisch im Kühlschrank sei, falls ich Hunger hätte. Warum nur hatte ich neben allem anderen auch noch eine vollkommen irre Um-die-Fünfzig-Hippie-Mum statt einer total normalen Wir-fahren-in-den-Sommerferien-nach-Spanien-Mum?

Aufgebracht stapfte ich in die kalte Nacht hinaus. Was jetzt? Was war schlimmer – in die Wärme der Pop-Swop-Party zurückzukehren oder einen langsamen Kältetod zu erleiden? Ich wankte zurück zur Halle, um meine Möglichkeiten auszuloten. Auf der Bühne kündigte ein Mann gerade die Höhepunkte des Abends an: Pearls Allowed (eine Girl-Band aus rüstigen Rentnerinnen), Oldplay (der Name sagte alles) und BigMacFly (eine Coverband der Weight Watchers). Ich entschied mich für den Kältetod. Resigniert trottete ich zum Wohnwagen zurück, um dort zu warten, bis Mum mit ihren postmenstruellen Panda-Posen fertig war.

Der Campingplatz war ungewöhnlich nebelverhangen. Oder lag es am Haarspray, das aus meinen toupierten Haaren staubte? Außerdem roch es nach in Essig eingelegten Birnen. Detektivisch schnüffelnd stellte ich fest, dass der Geruch von mir ausging. Wow, der Panikschweiß hatte mein Loser-Dasein auf ein ganz neues Level gehoben. Trotzdem musste ich mich irgendwie warmhalten, denn wenn ich jetzt starb, würde meine lächerliche Lebensgeschichte durch die Medien gehen und mein letztes schreckliches Schulfoto würde auf allen Kanälen zu sehen sein.

Vielleicht würden ein paar gymnastische Übungen aus dem Sportunterricht helfen? Einen Versuch war es wert. Ich schlenkerte mit den Armen und Beinen und versuchte, mich daran zu erinnern, was Mrs Nyatanga uns beigebracht hatte. Wie ging diese Schrittfolge noch gleich … seit-kreuz-rück-seit. Und jetzt ein bisschen herumhüpfen und mit den Armen wedeln. Ja, das klappte doch ganz gut. Mein Kostüm wackelte wie wild, aber das war eigentlich ganz lustig. Hocksprung. Hampelmann. Mir war schon ein kleines bisschen wärmer.

Einen Kick später erstarrte ich zu Eis.

Einen Kick später stand ich mit einem Fuß im Gefängnis.

Sport ist Mord. So viel steht fest.

Kapitel 4

»Dein Ellbogen ist in meiner Leiste.« Eine männliche Stimme meldete sich aus meinem Brustkorb. Was war das denn? Selbst ein Magen, der auf Weltklasseniveau knurren kann, bringt keine ganzen Sätze hervor.

»Sorry, könntest du vielleicht von mir runtergehen? Dein Ellbogen ist wirklich in meiner Leiste.«

Shit, es war nicht nur eine männliche Stimme, es war tatsächlich ein Kerl. Und er hatte allen Ernstes »Leiste« gesagt. Zu mir. Als wäre es das Normalste auf der Welt, mit einer Fremden über Leisten zu sprechen.

Sorry, Bella. Denk nach. Was genau war gerade passiert? Ich ließ die vergangenen fünfzehn Sekunden an mir vorbeiziehen. Enthusiastischer Hampelmann – jep. Mit dem Absatz im Schlamm stecken bleiben – check. Das Gleichgewicht verlieren wie eine Trickfilmfigur – erledigt. Mit gespreizten Beinen durch die Luft segeln – geschafft. Einen Schuh von sich schleudern wie ein Glitzergeschoss – bingo. Und das Sahnehäubchen auf der Fettnäpfchen-Torte? Mit Karacho auf einem großen knochigen Kissen landen – einem Kerl. Wow, volle Punktzahl.

Ich lief rum wie eine Wahnsinnige, und noch dazu wie eine, die es völlig normal findet, mit Fremden spontan horizontales Versteinern zu spielen. Aber wer – oder was – war da unter mir?

Ich blickte nach unten – aber vor meinen Augen war alles schwarz. Hatte ich bei dem Sturz mein Sehvermögen eingebüßt? Als ich im Dunklen herumtastete, stellte ich erleichtert fest, dass die Spitze des Riesenpfeils umgeknickt und über das ausgeschnittene Loch für mein Gesicht gerutscht war. Puh. Ich riss das Pappdreieck ab und beäugte neugierig meine menschliche Unterlage. Sie hatte Haare. Zerzauste braune Haare. Ein Gesicht. Ein zerknautschtes, schmerzverzerrtes Gesicht. Ein zerknautschtes, schmerzverzerrtes und umwerfend gutaussehendes Gesicht. WTF? OMG!

War meine männliche Matratze etwa Louis Tomlinson? Hatte ich Tommo womöglich zu Tode gequetscht? Harry würde mich umbringen. Wer hätte gedacht, dass er seinen Urlaub in Wales verbrachte? Ganz klar: Mein Schulfoto würde über sämtliche Bildschirme flimmern.

»Ähm, langsam fängt es echt an wehzutun.«

Ich hob den Kopf von dem Landekissen/der Brust/was auch immer und verschaffte mir einen Eindruck vom Tatort. Mein Ellbogen bohrte sich in etwas Warmes, Weiches und … in seine Jeans. An der Stelle, die nicht genannt werden darf! Wie PEINLICH! So hatte ich mir meinen ersten Kontakt mit diesem Jungs-Körperteil nicht vorgestellt. Ich entfernte meinen Ellbogen aus der Gefahrenzone und rappelte mich auf, bis ich wieder auf meinem Fuß stand. Auf einem, nicht auf zweien, denn der schuhlose Fuß schwebte eine Handbreit über dem Boden.

»Ughghgorrry.«

Statt mich zu entschuldigen, gab ich einen Laut von mir, als würde mich jemand beim Gurgeln kitzeln. Als mein Opfer aufstand, hatte ich volle Sicht auf den heißen Typen. Es war ein schlanker, süßer Superhottie mit Wuschelhaaren – und ich hatte womöglich sein bestes Organ verletzt. Nicht gerade ideal. Also versuchte ich es erneut.

»Ughghgorry. Soggy. Sorgy. Ich meine, sorry, tut mir echt leid.«

Zum Glück war mein Opfer damit beschäftigt, seine Jeans abzuklopfen, und sah daher nicht, wie meine Augen meine Lippen böse anschielten, weil sie totalen Blödsinn von sich gaben. Kommt schon, ihr beiden, arbeitet zusammen, ihr seid doch ein Team!

»Mach dir keine Gedanken, so was passiert.«

Ach ja? Schuhprojektile und spontane Besteigungen mochten für ihn vielleicht ganz normal sein, für mich waren sie es garantiert nicht. Aber wenn er den Coolen geben wollte, da konnte ich locker mithalten.

»Ich war gerade dabei, Hampelmänner zu machen. Um mich warmzuhalten. Ich habe mich ausgesperrt. Und ich trage praktisch nur Pappe am Körper. Das klingt zwar fast wie Jacke, ist aber nicht annähernd so warm. Eine sehr schlechte Kleiderwahl. Es sei denn, man ist ein Cornflake. Was ich aber nicht bin.«

Er sagte kein Wort.

Cool-Sein konnte ich also schon mal von der Liste meiner potenziellen Talente streichen. Ich blickte auf. Wow, er war richtig groß. Etwa 15 Zentimeter größer als ich – selbst mit Absätzen, besser gesagt einem Absatz (ich, nicht er).

»Ich habe mich nicht an dich rangeworfen. Äh, auf dich draufgeworfen. Ich bin nur gestolpert. Ehrenwort. Ich bin nicht … völlig gaga oder so.«

Mein Opfer sah mich belustigt an. Argh. Hatte ich Pausen zwischen den Worten gemacht oder war gerade das längste Mono-Wort der Welt aus mir herausgesprudelt? Würde er jetzt die 112 wählen?

Mein Schicksal hing in der Schwebe, während er gelassen den Kragen seiner Jeansjacke zurechtrückte und den grauen Pullover glattstrich, den er darunter trug.

»Gut zu wissen. Jetzt wird mir einiges klar.« Er lachte laut – aber auf eine sexy Art. Mein Magen machte einen Satz, wie er es sonst nur tat, wenn ich mit Mum im Auto saß und sie mit 40 km/h über die kleine Brücke vor unserem Haus bretterte. Hatte ich gerade ein lebendes Exemplar der seltenen Spezies Boyband-Cutie entdeckt?

Ich versuchte, ihn nicht anzustarren, während er Grashalme aus seinen zerzausten Haaren zupfte. Black Bay war doch sonst ein zuverlässiger Hort für Witzfiguren, warum musste ich für meine Riesenblamage ausgerechnet diesen Traumtypen aufstöbern?

»Es tut mir so leid. Ich wollte das nicht. Sieh nur, du hast deine Hose vollgemacht!« Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. »NEIN, nicht vollgemacht! Du bist dreckig, wollte ich sagen. Also schmutzig. Voller …« Kann bitte jemand einen Plapperfilter für mich erfinden?

»SCHLAMM!«, kreischte ich. »Ja, genau. Du bist voller Schlamm, wollte ich sagen.« Wir zuckten beide zusammen – er, weil ich in sein Ohr gebrüllt hatte, und ich, weil mir – Heureka! – der Begriff für feuchte Erde eingefallen war. Könnte ich vielleicht so tun, als wäre Englisch nicht meine Muttersprache? Klar, dazu müsste mir aber erst mal ein etwas entlegeneres Land als Frankreich einfallen lassen. Aber der Gedankenblitz blieb aus.

»Bist du okay? Du wirkst noch verstörter als ich – und ich habe gerade einen Schuh ins Gesicht bekommen …«

Großartig. Der fliegende Schuh hatte ihn also getroffen. Viel peinlicher konnte es kaum noch werden.

Er musterte mich von Kopf bis Fuß. »Bist du ein riesengroßes … Cheerio?«

In meinem Entsetzen über die Horrorvorstellung, als notorisch triebgesteuerte Schuhterroristin in die Geschichte von Black Bay einzugehen, hatte ich ganz vergessen, was für einen bescheuerten Anblick ich bot. Ohne die Pfeilspitze war ich mehr oder weniger nur ein einsam herumstehendes, als Cornflakes-Schachtel verkleidetes und nach Mülltonne riechendes Mädchen.

»Es tut mir SOO leid. Ich bin echt nicht verrückt, Ehrenwort. Das ist mein Partyoutfit, ein echtes Knüller-Kostüm.« Killer-Kostüm träfe es wohl besser. »Normalerweise trage ich keine Lebensmittelverpackungen.« Das konnte er sich eigentlich selbst denken – jedenfalls hoffte ich das. »Das war ein Pfeil. Ohne die Spitze ist das Ganze natürlich sinnlos.« Genauso wie meine wirren Erklärungsversuche. »Ich wollte One Direction darstellen. Also natürlich nicht die Jungs. Das würde schon am mangelnden Bartwuchs scheitern. Außerdem kann ich nicht tanzen. Oder singen. Ich stelle nur ihren Namen dar. Jedenfalls habe ich das, bis mir die Spitze abgebrochen ist. Was ich eigentlich fragen wollte: Geht es dir gut? Bitte zeig mich nicht an.«

Mein Opfer deutete auf die große Schwellung über seinem linken Auge. Auf dem sich lila färbenden Bluterguss schimmerte Glitzer von meinem Schuh. Waren die Glitzerpartikel unter die Haut gedrungen? Na toll, jetzt hatte ich ihn nicht nur verletzt, sondern ihm auch noch ein dauerhaftes Augentattoo verpasst.