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Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen E-Book

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Beschreibung

Mehrsprachigkeit ist seit Jahrzehnten eines der zentralen sprachen- und bildungspolitischen Anliegen in Europa, Mehrsprachigkeitsdidaktik eines der zentralen Forschungsfelder der deutschsprachigen Fremdsprachendidaktik. Der romanistischen Fremdsprachendidaktik kommt dabei eine wichtige Rolle zu, da die romanischen Sprachen beinahe die einzige Sprachenfamilie darstellen, aus der regelmäßig mehr als eine Fremdsprache im Laufe einer Schullaufbahn erlernt werden kann. In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Veränderungen in der Schülerschaft ergeben, aufgrund derer Mehrsprachigkeitsdidaktik "neu gedacht", d. h. theoretisch und konzeptionell weiterentwickelt, weiter beforscht und unterrichtspraktisch ausgestaltet werden muss.

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Clémentine Abel / Katja F. Cantone / Marta García García / Lilli Papaloïzos / Carine Greminger Schibli / Jacqueline Gutjahr / Andrea Bogner / Daniel Reimann / Christian Koch / Amina Kropp / Giuseppe Manno / Mirjam Egli Cuenat / Manfred F. Prinz / Giulia Pelillo-Hestermeyer / Ute von Kahlden / Daniel Reimann / Birgit Schädlich / Anna Schröder-Sura / Katharina Wesselmann

Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen

Neue Konzepte und Studien zu Schulsprachen und Herkunftssprachen in der Migrationsgesellschaft

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

 

 

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

ISBN 978-3-8233-8385-7 (Print)

ISBN 978-3-8233-0204-9 (ePub)

Inhalt

EinleitungMehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen – Forschungsstand und neue Konzepte zur Vernetzung von Schulsprachen und Herkunftssprachen in der MigrationsgesellschaftBibliographieAktuelle Fragestellungen zu Mehrsprachigkeit als Lernvoraussetzung und als BildungszielMediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz: Ansätze für reflektierte Mehrsprachigkeit in antinomischen Spannungsfeldern schulischen Fremdsprachenunterrichts1 Einleitung2 Mehrsprachigkeit und Fremdsprachendidaktik: Versuch einer Systematisierung für das unterrichtliche Handeln von Lehrpersonen3 Diskussion: Mehrsprachigkeit und Lehrerhandeln in antinomischen Spannungsfeldern4 Ansätze für reflektierte Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht: Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz5 Zusammenfassung und Ausblick6 LiteraturDer Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA) – Beispiele zum Einsatz und Nutzen der Deskriptoren1 Einleitung2 Der Referenzrahmen für plurale Ansätze zu Sprachen und Kulturen (REPA)3 Einsatzmöglichkeiten der DeskriptorenZusammenfassende ÜberlegungenLiteraturTheoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts I: Alte Sprachen, Englisch und schulische Mehrsprachigkeit mit Blick auf die romanischen SprachenLatein, Mehrsprachigkeit, Kulturgeschichte: Das neue Lehrbuch Aurea Bulla1 Die Genese eines neuen Faches2 Aufbau3 Mehrsprachigkeit4. KulturgeschichteFazitBildlegenden:BibliographieI am aprendiendo linguam hispanicam. Eine Untersuchung zum metasprachlichen Bewusstsein von Spanischlernenden1 Einleitung2 Transferpotenziale beim Erwerb des spanischen imperfecto und estar + gerundio3 Empirie4 Ergebnisse5 Interpretation der ErgebnisseBibliographieCongénères dans la réception et la production de textes en français langue seconde et tertiaire en Suisse alémanique: perspectives acquisitionnelles et didactiques1 Introduction2 Contexte de l’étude3 Cadre théorique4 Questions de recherche5 Dispositif de recherche6 RésultatsRéférencesTheoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts II: Herkunftssprachen und Fremdsprachenunterricht„Sprachenvernetzung als Ressource?“ Eine Interviewstudie mit Lernenden und Lehrenden zu herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit und mündlichem Produktionstransfer im schulischen Fremdsprachenunterricht1 Einleitung: Lehrerbildung für die Migrationsgesellschaft2 Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und transferbasierte mündliche Interaktionen im schulischen Fremdsprachenunterricht2.1 Output und Interaktion: lerntheoretische und sprachenplanerische Einordnung2.2 Mehr- und mischsprachige Lerneräußerungen: Sprachenvernetzung und Multikompetenz2.3 Transferbasierte Interaktionen: Kognitivierung und language awareness2.4 Integration von Transfer und Herkunftssprachen: Status Quo3 Herkunftssprachliche Transferphänomene in mündlichen Interaktionen: lehrerseitiges Anforderungsprofil4 „Sprachenvernetzung als Ressource? Produktiver Transfer im schulischen Fremdsprachenunterricht“: Forschungsdesign und erste Ergebnisse4.1 Fragestellung und Erkenntnisinteresse4.2 Referenzstudien und methodisch-methodologische Überlegungen4.3 Methodisches Vorgehen: Datenerhebung und -auswertung4.4 Präsentation der Ergebnisse4.4.1 Die Perspektive der Lernenden4.4.2 Die Perspektive der Lehrenden4.4.3 Fallstudie Lehrperson A4.5 Zusammenschau und Diskussion der Ergebnisse5 Fazit und Ausblick: migrations- und mehrsprachigkeitssensible Professionalisierung von Fremdsprachenlehrkräften6 BibliographieItalienischstämmige SchülerInnen im Fremdsprachenunterricht Italienisch: Spracherwerb und Spracherhalt im mehrsprachigkeitsdidaktischen Kontext1 Einleitung2 Mehrsprachigkeit an Schulen – eine Bestandsaufnahme3 Spracherwerb und Spracherhalt im Kontext von Migration4 Die Vitalität des Italienischen in Deutschland5 Vorschlag zur Sprachmittlung des Italienischen6 FazitLiteraturverzeichnisSchülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht1 Schulpraktischer und theoretischer Kontext2 Forschungsstand3 Forschungsfrage, Forschungsdesign, Stichprobe und Methode4 Ergebnisse5 Zusammenfassung zentraler Ergebnisse und Diskussion im Kontext der Forschung6 Methodenreflexion und PerspektivenBibliographieSchülerinnen und Schüler mit zielsprachlichem Hintergrund im Unterricht der romanischen Sprachen (Beispiel: Spanisch) – Synopse ausgewählter Ergebnisse der qualitativen Pilotierung2. Motive für die Wahl der Herkunftssprache als Fremdsprache3. Beurteilung des herkunftssprachlichen Unterrichts5. Motivation im Spanischunterricht7. Wünsche der Schülerinnen und Schüler zu Berücksichtigung und Förderung als heritage speakers im SpanischunterrichtTheoretische, empirische und unterrichtspraktische Erweiterungen des Konzepts III: Konzeptionelle Anregungen zur Entwicklung eines sprachsensiblen Fremdsprachen- und Fachunterrichts mit Fokus auf Bilingual EducationDie Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern als Unterrichtsgegenstand zur Thematisierung herkunftsbedingter Mehrsprachigkeit im Spanischunterricht1 Einleitung2 Förderung der Herkunftssprachen im Unterricht romanischer Sprachen – Versuch einer Typologie3 Die Educación Intercultural Bilingüe in den Andenländern4 Die Educación Intercultural Bilingüe im Spanischunterricht5 FazitBibliographieHablando de política – Urteilsbildung und Argumentation im sprachsensiblen Bilingualen Politik- und Wirtschaftsunterricht1 Einleitung2 Inhalt im Fremdsprachenunterricht3 Sprache im Fach – am Beispiel des Politik- und Wirtschaftsunterrichts4 Forschungsfragen und Methodologie5 Analyse6 Diskussion7 FazitReferenzenFörderung der Mündlichkeit in sprachsensiblen und nachhaltigen UnterrichtssettingsSuprasegmentalia im Französischunterricht: Skalen und Niveaubeschreibungen auf dem PrüfstandEinleitung1. Bedeutung von Suprasegmentalia2. Diskussion bestehender Modelle3. Entwicklung eines komplementären Modells4. Ausblick5. BibliographieEnseignement du FLE et apprentissage de quelques genres textuels orauxIntroduction1 Le modèle AMI2 Analyse des documents3 Conclusion et perspectivesBibliographie sélectiveMehrsprachigkeit versus Vielsprachigkeit Überholte Dichotomien versus Identitäten des „glissando“Zusammenfassung1 Soziolinguistische und sprachpolitische Betrachtungen2 Didaktische Annäherungsversuche an sprachlich hermetische Formen – Am Beispiel des Kreolischen3 Fazit4 QuellenHochschuldidaktische Aspekte – Lehrerbildung: Mehrsprachigkeit und Ausbildung fremdsprachlicher LehrkräfteSprachenbiographische Lehrforschungsprojekte als Ausgangspunkt für die Reflexion sprachenpolitischen Handelns1. Anlage des Lehrforschungsprojekts und theoretische Ausgangspunkte2. Spuren des policymaking im Spracherleben – eine Detailanalyse aus der sprachenbiographischen Begleitforschung3. Sprachenbezogene Reflexionsräume eröffnenLiteraturverzeichnisMultilinguale und transkulturelle Medienkommunikation in der Fachdidaktik der romanischen Sprachen1 Einleitung2 Mehrsprachigkeit aus kulturwissenschaftlicher und fachdidaktischer Sicht3 Die didaktisch-methodische Herangehensweise4 Diskussion der Ergebnisse und AusblickBibliographische Angaben

Einleitung

Aktuelle Fragestellungen zu Mehrsprachigkeit als Lernvoraussetzung und als Bildungsziel

Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz:

Ansätze für reflektierte Mehrsprachigkeit in antinomischen Spannungsfeldern schulischen Fremdsprachenunterrichts

Birgit Schädlich

1Einleitung

Mehrsprachigkeit ist in den letzten Jahren zunehmend in ganz unterschiedlichen fachdidaktischen Forschungsfeldern fokussiert worden (vgl. den Überblick bei Reimann 2016). Dabei bleibt der Begriff „Mehrsprachigkeit“ selbst durchaus heterogen und sieht sich mit sowohl divergierenden Zielsetzungen von (Fremdsprachen-)Unterricht und Unterrichtspraktiken als auch mit einer ganzen Bandbreite an Forschungsinteressen und -methoden verknüpft.

Der folgende Beitrag fokussiert primär die Möglichkeiten einer Integration lebensweltlicher Mehrsprachigkeit als Ressource für den Fremdsprachenunterricht sowie die Gestaltung mehrsprachiger Interaktionsprozesse durch die Lehrpersonen, die geeignet erscheinen, inter- und mehrkulturelle Bedeutungsaushandlungen zu initiieren, zu begleiten und aufrecht zu erhalten. Als Ansatz dazu wird eine Akzentuierung des Nexus zwischen Mehrsprachigkeit (Hu 2004; Schädlich 2013), mediatorischem Handeln (vgl. Kolb 2016; Schädlich 2016; García 2009) und Symbolischer Kompetenz (vgl. Kramsch/Whiteside 2008; Kramsch 2011) vorgeschlagen, der im Begriff der reflektierten Mehrsprachigkeit integriert wird.

2Mehrsprachigkeit und Fremdsprachendidaktik: Versuch einer Systematisierung für das unterrichtliche Handeln von Lehrpersonen

Sowohl der Begriff „Mehrsprachigkeit“ als auch seine Implikationen für den Fremdsprachenunterricht und seine Erforschung sind heterogen und in Teilen auch widersprüchlich. Schmelter hat „Mehrsprachigkeit“ sogar als „sloganisierten Begriff“ (vgl. Schmenk 2012: 414) charakterisiert, der vor allem in seinen Übersetzungen gerade in den Dokumenten des Europarates erhebliche Unschärfen produziert. In linguistischer, spracherwerblicher, erziehungswissenschaftlicher und fachdidaktischer Fokussierung werden unterschiedliche Aspekte sowohl gesellschaftlicher Vielsprachigkeit als auch individueller Mehrsprachigkeit akzentuiert (vgl. Europarat 2001: 17; Hu 2017a) und für sprachlich-kulturelle Lehr-/Lernprozesse unter dem Begriff „Mehrsprachigkeitsdidaktik“ (vgl. Hu 2017b) transformiert.

Um die spezifische Problemstellung einer Förderung pluraler sprachlicher Ressourcen im schulischen Fremdsprachenunterricht rahmen zu können, sollen im Folgenden einige Diskursstränge des Mehrsprachigkeitsbegriffs und mehrsprachigkeitsorientierter fachdidaktischer Ansätze skizziert werden.

Der Vorschlag zur Systematisierung mehrsprachigkeitsorientierter Didaktik, der im folgenden Beitrag entwickelt werden soll, setzt an zwei grundlegenden Oppositionen an, die jede Auseinandersetzung mit Mehrsprachigkeit für den Fremdsprachenunterricht grundlegend bestimmen. Dies sind zum einen ein Verständnis von Mehrsprachigkeit zwischen Voraussetzung und Ziel von Unterricht und zum anderen eine Sicht auf Mehrsprachigkeit zwischen Unterrichtsgegenstand und Sprachgebrauch.

2.1Mehrsprachigkeit zwischen Voraussetzung und Ziel von Unterricht

Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht ist zunächst von der Opposition „Mehrsprachigkeit als Voraussetzung und Ziel“ (vgl. Hu 2004) geprägt. Damit ist gemeint, dass der Fremdsprachenunterricht einerseits das Ziel hat, das sprachliche Handlungsrepertoire der Schüler*innen durch ein systematisches Lernangebot fremdsprachlicher Fächer und Sprachenfolgen zu erweitern (vgl. Sekretariat 2004; 2012). Andererseits sind die sprachlichen Voraussetzungen der Schüler*innen so heterogen, dass Mehrsprachigkeit den Unterricht auch vorgängig immer schon bestimmt. Hier sind nicht nur vorgelernte Fremdsprachen und Herkunftssprachen gemeint, sondern die grundsätzlich plurale Sprachlichkeit der Schüler*innen (vgl. Hu 2003; Wandruszka 1979).

Damit ergeben sich für die Gestaltung und Erforschung von Fremdsprachenunterricht weitere Oppositionen. So beschreibt Hu (2004) Forschungsarbeiten der interkulturellen Germanistik oder Erziehungswissenschaft in Abgrenzung zu Arbeiten fachdidaktischer Ausrichtung: Während die ersteren stärker lebensweltliche Mehrsprachigkeit in den Blick nehmen, fokussieren die anderen eher auf Mehrsprachigkeit als Ziel schulischer Bildungsprozess und die Konzeption von Materialien und Aufgaben.

In Forschungsarbeiten manifestiert sich die Opposition häufig so, dass Angewandte Linguistik oder Erwerbsforschung sich stärker auf einer deskriptiven Ebene für das Verstehen mehrsprachiger Situationen und Personen interessieren (z.B. Busch 2013; Krumm 2008; Hu 2003), während fachdidaktische Unterrichtsforschung meist stärker konzeptionell ausgerichtet ist und sich empirisch eher für das Nachvollziehen der Wirksamkeit neuer Materialien oder Aufgabenformate interessiert (Candelier et al. 2009; Meißner 2001; Rückl 2013).

Als Beispiele, an denen sich die skizzierten Oppositionen nachvollziehen lassen, seien zwei Ansätze dargestellt:

2.1.1Beispiel „Sprachenportraits“

Sprachenportraits in der Tradition von Krumm (2001, 2008) oder Busch (2013) haben primär eine linguistisch deskriptive Funktion. Sie geben Aufschluss über die Repertoires sprechender Subjekte, sind also ein Ansatz, diese überhaupt zugänglich und beschreibbar zu machen. Sie verdeutlichen nicht nur, wer welche Sprache wie gut „beherrscht“, sondern sie geben Aufschluss darüber, welche Bedeutung und Bewertung Sprecher*innen einzelnen Sprachen oder Varietäten für ihre Identität und Möglichkeiten sprachlichen Handelns zuschreiben.

Das Wissen, das in einer Lerngruppe über Sprachenportraits entsteht, ist mit Zielsetzungen wie der Würdigung sprachlicher Diversität (vgl. Candelier et al. 2009; Krumm 2008) verbunden. Zentral sind die Offenheit gegenüber den beteiligten Sprachen sowie die subjektive Bedeutung, die ihnen lebensweltlich zugeschrieben wird. Sprachenportraits haben in forschender Hinsicht eine heuristische und als Unterrichtsmaterial eine bewusstmachende Funktion. Sie geben Aufschluss über „natürliches“ mehrsprachiges Handeln, das Dietrich-Grappin (2017, 102) dem durch Unterricht „didaktisch indizierten“ gegenüberstellt.

2.1.2Beispiel Interkomprehensionsaufgabe

Als typisches Beispiel für einen mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansatz, der darauf abzielt, Mehrsprachigkeit als Ziel von Unterricht anhand bestimmter Materialien und Aufgaben zu erreichen, seien Interkomprehensionsaufgaben genannt (vgl. Rückl 2015; Meißner 2001; Bär 2009). Interkomprehension ist ein prominenter Ansatz zur Förderung schulischer Mehrsprachigkeit, der sich primär auf rezeptive Kompetenzen bezieht und Sprachbewusstheit akzentuiert. Er basiert auf der Annahme, dass über die Verfügbarkeit von Transferstrategien sprachliche Lernprozesse stärker vernetzt und damit ökonomisiert werden können. Über Sprachvergleich und -reflexion können morphosyntaktische Regelmäßigkeiten erschlossen werden, die das Verstehen einer bislang unbekannten, aber der unterrichtlich vermittelten typologisch verwandten Sprache erleichtern.

2.2Mehrsprachigkeit zwischen Gegenstand und Sprachgebrauch

Die Beispiele machen nicht nur die Oppositionen von Voraussetzung und Ziel, bzw. von eher deskriptiven gegenüber eher normativen Interessen mehrsprachigkeitsorientierter Forschung deutlich. Sie verweisen auf eine dritte Opposition, die für unterrichtliches Handeln relevant ist, nämlich die Auseinandersetzung mit Sprache selbst und den Sprachenbegriff, der dem Fremdsprachenunterricht unterliegt. Bausch (2016, 8) stellt in diesem Zusammenhang einen systemlinguistischen Sprachenbegriff einem eher weit gefassten, kommunikativ-pragmatischen Sprachenbegriff gegenüber: Während ersterer im Sinne eines strukturalistischen Modells zur Beschreibung von Sprachen mit den Ebenen Lexikon, Morphosyntax, Lautung und Schreibung vor allem als formorientiert gelten kann, akzentuiert im Gegensatz dazu ein weiter Sprachenbegriff die Mitteilungsebene sowie damit verbunden die Handlungsorientierung des Sprachgebrauchs. In den Beispielen unterliegt Sprachenportraits eher ein gebrauchsorientierter Sprachenbegriff, Interkomprehensionsaufgaben eher ein systemlinguistisch-formorientierter. Während Sprachenportraits Aufschluss über Sprachverwendung und kommunikatives Handeln geben, thematisieren Interkomprehensionsaufgaben, mit ihrem Fokus auf den Transfer sprachlicher Strukturen. Sie machen also die Sprache selbst zum Gegenstand inhaltlicher Auseinandersetzung. Hier ist nicht das sprechende Subjekt zentral, sondern das Sprachsystem und dessen kognitive Durchdringung durch Sprachbeschreibung, zunächst einmal unabhängig davon, was die gebrauchten Sprachen für das kommunikative Handeln eines Sprechers bedeuten.

Im Kontext von Kompetenz- und Aufgabenorientierung (vgl. Sekretariat 2004; 2012; Bär 2013; Bechtel 2015; Caspari 2009) wird immer wieder der Fokus auf eine inhaltlich-kommunikative Ausrichtung der fremdsprachlichen Kommunikation sowie die damit verbundene „dienende Funktion“ der sprachlichen Mittel (vgl. Caspari 2009, 26) verwiesen. In Anlehnung an das Konzept des task based language learning and teaching wird dabei ein Primat des focus on meaning gegenüber traditionellen Formfokussierungen als Inhalt von Fremdsprachenunterricht akzentuiert (vgl. Bär 2013, 12). Dem Konzept unterliegt ein mitteilungsbezogener Sprachenbegriff. Systemlinguistisches Wissen wird funktional integriert, jedoch immer im Hinblick auf pragmatische Kommunikationsbedarfe. Dadurch kommt mehrsprachigen Bedeutungsaushandlungen tendenziell eine größere Bedeutung zu als isolierten, formfokussierten Betrachtungen der Sprachsysteme. Da letztere jedoch historisch gesehen (vgl. Titone 2016) lange Zeit selbst primärer Gegenstand und Lernziel von Fremdsprachenunterricht waren, prägen sie nach wie vor die Unterrichtspraxis mit formfokussierten Phasen, in denen das Sprechen über Sprache dominiert. Die Frage, in welcher Sprache diese Phasen realisiert werden, bleibt dabei allerdings häufig unreflektiert.

3Diskussion: Mehrsprachigkeit und Lehrerhandeln in antinomischen Spannungsfeldern

Die Darstellung mehrsprachigkeitsbezogener Oppositionen hatte zunächst zum Ziel, unterschiedliche Ausrichtungen und Funktionen fremdsprachendidaktisch relevanter Aspekte von Mehrsprachigkeit zu systematisieren. Sie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Die Sprachlichkeit der Schüler*innen ist durch die Oppositionen Mehrsprachigkeit als Voraussetzung vs. Mehrsprachigkeit als Ziel von Fremdsprachenunterricht sowie lebensweltliche vs. schulische Mehrsprachigkeit gerahmt.

Ziele sprachlichen Lernens sind durch die Opposition Sprache als Gegenstand vs. Sprache als Kommunikationsinstrument gerahmt.

Unterrichtliches Handeln ist durch die Oppositionen systemlinguistische Metakognition vs. Bewusstmachung kommunikativer Strukturen sowie natürlichen vs. didaktisch angeleiteten Sprachgebrauchs gerahmt.

Forschung und Materialentwicklung sind durch die Opposition Deskriptivität vs. Normativität gerahmt.

In einem zweiten Schritt sollen als Ansatz zu der Frage, wie im Fremdsprachenunterricht das gesamte sprachliche Repertoire der Schüler*innen fruchtbar gemacht werden kann, die oben entworfenen Oppositionen nicht als sich gegenseitig ausschließende Fluchtpunkte forschenden Interesses und unterrichtlichen Handelns diskutiert werden, sondern als antinomische Spannungsfelder1, in denen sich die Entscheidungen von Lehrpersonen jeweils situativ und funktional verorten. Damit ist gemeint, dass es sich jeweils um Ausprägungen im Verständnis von Mehrsprachigkeit sowie fachdidaktischer Vorschläge zu mehrsprachigkeitsorientiertem Unterricht handelt, deren Legitimität und unterrichtliches Potenzial gleichermaßen anerkannt werden. Damit verschiebt sich der Fokus auf die Diskussion, welche Ausprägung in welcher Situation und mit welcher Funktion für sprachliche Lehr-/Lernprozesse akzentuiert wird und wie sich diese Akzentuierung im Lehrerhandeln realisiert. Dies stellt nicht nur für Personen, die sich forschend mit Unterricht beschäftigen und das Handeln von Lehrkräften rekonstruieren, eine mögliche Heuristik dar. Der Ansatz kann Lehrkräften auch helfen, potenziell widersprüchliche Handlungen zu erkennen und ihre didaktischen Entscheidungen hier zu verorten, also mehrsprachig reflexiv zu handeln.

Im Kontext der oben entworfenen Oppositionen seien im Folgenden exemplarisch solche Spannungsfelder skizziert, die Entscheidungen situativ und funktional rahmen können.

Unterrichtliches Handeln, das Mehrsprachigkeit zwischen Voraussetzung und Ziel, zwischen natürlichem und didaktisch indiziertem Sprachgebrauch, zwischen Gegenstands- und Mitteilungsfokus, zwischen Deskriptivität und Normativität akzentuiert, kann durchaus dazu führen, dass Fremdsprachenunterricht gegebenenfalls selbst die Ziele einer Orientierung an Mehrsprachigkeit unterwandert: So können beispielsweise jener Stelle Reibungen entstehen, an der Schüler*innen einerseits zu ihren sprachlichen Repertoires befragt werden – in diesem Sinne werden beispielsweise Sprachenportraits auch zunehmend nicht mehr nur als Instrument der Forschung, sondern auch im Unterricht selbst eingesetzt – und damit eine grundsätzliche Würdigung sprachlicher Diversität intendiert wird, die somit auf einer Ebene der Sprachbeschreibung auch stattfindet. Auf der Ebene des Sprachgebrauchs hingegen kann eine solche Offenheit gerade an der Stelle als Pseudo-Wertschätzung konterkariert werden, wo sie in der konkreten Kommunikation wieder zurückgenommen wird, beispielsweise dann, wenn Schüler*innen im Unterricht auf andere als die Zielsprache zurückgreifen oder sprachliche Unsicherheiten entstehen, die inhaltliche Aushandlungsprozesse erschweren oder unterbinden. Mehrsprachigkeitsorientierte Aufgaben beziehen sich meist explizit auf Sprachen schulischer Sprachenfolgen und integrieren die Repertoires der Lernenden häufig gar nicht oder sehr punktuell im Sinne einer isolierten Kognition lexikalischer oder morphosyntaktischer Elemente.

Busch (2013) zeigt in ihrer Analyse von Sprachenportraits eindringlich, dass das sprachliche Repertoire gerade nicht ausschließlich als positive Ressource wahrgenommen wird, sondern dass soziale Wertungen, in denen sich Sprachideologien manifestieren, den Sprachgebrauch bestimmen, wenn die Verfügbarkeit sprachlicher Ressourcen beispielsweise Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zu sprachlichen Gemeinschaften markiert: Das sprachliche Repertoire wird häufig gerade nicht – wie es auch der Repertoirebegriff des GER suggerieren könnte – als „Arsenal“ oder „Werkzeugkiste“ wahrgenommen, sondern ex negativo, in solchen Situationen nämlich, in denen sprachliches Handeln unmöglich oder eingeschränkt ist (vgl. Busch 2012, 14f.).

Als ein Beispiel für antinomische Spannungen im natürlichen vs. didaktisch indizierten Sprachgebrauch können Entscheidungen zur Unterrichtssprache genannt werden, in denen sich widersprüchliche Anforderungen wie die folgenden zeigen können: Auf der einen Seite steht das Bemühen (und dahinter die curricular gesetzte Anforderung), die Zielsprache als Unterrichtssprache möglichst durchgängig zu etablieren, auf der anderen Seite der Anspruch, die Repertoires der Schülerinnen zu nutzen, was auch eine Entfernung von der Zielsprache bedeuten kann. Hier wiederum entstehen Sprachhierarchien und -präferenzen, die curricular begründet sind, aber sich nicht zwangsläufig mit den Repertoires der Lernenden decken.

Diese bestimmen Entscheidungen zum Sprachgebrauch im Unterricht, wobei Sprachen, auf die funktional zurückgegriffen wird, gegebenenfalls nicht für alle dieselben sind. Hier wird im Spannungsfeld von Mehrsprachigkeit als Voraussetzung (Einbezug von Herkunftssprachen) und Ziel (Orientierung an schulischen Sprachenfolgen) agiert. Lehrkräfte möchten einerseits alle Sprachen würdigen und deren Gleichwertigkeit anerkennen, durch die Förderung oder Sanktionierung schülerseitiger Entscheidungen im Sprachgebrauch stellen sie aber zwangsläufig Priorisierung und Hierarchisierung akzeptierter (und nicht akzeptierter) Unterrichtssprachen her (vgl. Bogner/Gutjahr 2019).

Die skizzierten antinomischen Spannungsfelder sollen im Folgenden als konzeptionelle Rahmung für einen mehrsprachigkeitsorientierten Fremdsprachenunterricht dienen, der sowohl den Aspekt „Mehrsprachigkeit als Voraussetzung von Unterricht“ akzentuiert als auch den Sprachgebrauch ins Zentrum didaktischer Überlegungen rückt.

4Ansätze für reflektierte Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht: Mediatorisches Handeln und Symbolische Kompetenz

Reflektiertes mehrsprachiges Handeln durch Lehrpersonen bedeutet zusammenfassend, antinomische Spannungsfelder als solche anzuerkennen und im Unterrichtshandeln ex ante, situativ und ex post auszugestalten. Ein solcher Unterricht ist mehrsprachigkeitsorientiert in dem Sinne, als er die mehrsprachigen Repertoires der Lerngruppe sowie die Ziele ihrer Erweiterung durch Fremdsprachenunterricht (Antinomie „Voraussetzung und Ziel“) berücksichtigt. Reflektierte Mehrsprachigkeit akzentuiert dabei gleichermaßen unmittelbar kommunikative Kompetenzen, wie auch mittelbar metasprachlich reflexive Kompetenzen, deren Verbindung als lernförderlich angenommen wird (Antinomie „Gegenstand und Sprachgebrauch“).

Auf diese Weise wird die gegenstandsorientierte und metasprachlich fokussierte Didaktik der Mehrsprachigkeit zu einer stärker gebrauchsorientierten mehrsprachigen Didaktik, wie es Zarate/Lévy/Kramsch (2008, 438) im Ausblick ihres Précis du plurilinguisme et du pluriculturalisme formulieren:

„Comparée à la didactique du plurilinguisme, une didactique plurilingue et pluriculturelle sous-tend une manière différente d’apprendre et de vivre les langues. La langue n’est plus un objet dont les structures […] sont normées par l’Académie, codifiés par les dictionnaires […] contrôlés par les institutions scolaires. C’est la ‚parole’ saussurienne […] par chaque sujet ou groupe qui se constitue dans l’interaction didactique, y compris celle du maître. Cette parole est plurielle : parlée, façonnée, construite et modifiée par des milliers d’interlocuteurs natifs et non-natifs, de cultures elles-mêmes diversifiées, changeantes, hybrides et constamment renouvelées. La parole, porteuse de représentations sociales et culturelles, elles-mêmes liées à des lieux de mémoire, plus ou moins distants dans le temps et l’espace, devient un espace par excellence qu’il s’agit d’identifier non seulement sous ses aspects référentiels, mais aussi et surtout sous ses aspects sociolinguistiques, pragmatiques et discursifs.“

In den folgenden Abschnitten werden mit den Konzepten mediatorischen Handelns und Symbolischer Kompetenz Ansätze vorgestellt, die im Sinne reflektierter Mehrsprachigkeit dazu beitragen können, die oben ausgeführten antinomischen Spannungsfelder nicht aufzulösen, sondern als Rahmung bewusst zu machen, in der sowohl didaktische Entscheidungen für Planungsprozesse getroffen, als auch forschungsorientierte Rekonstruktionen fremdsprachlicher Lehr-/Lernprozesse ermöglicht werden können.

4.1Mediatorisches Handeln zwischen Sprachmittlung und Translanguaging

Mediation als zentrale Handlung eines mehrsprachigkeitsorientierten Fremdsprachenunterrichts wird im Folgenden an der Schnittstelle zwischen Sprachmittlung (vgl. Kolb 2016; Reimann/Rössler 2013) und Translanguaging (García 2009; García/Wei 2015; Aden/Eschenauer 2019) beschrieben. Die Konzepte nehmen insofern die oben thematisierte Opposition von Mehrsprachigkeit als Voraussetzung und Ziel von Fremdsprachenunterricht auf, als Sprachmittlung als fachdidaktisches Konzept (vor allem im deutschsprachigen Diskurs) stärker auf die Entwicklung von Materialien und Aufgaben zielt, die sprachmittelnde Kompetenzen meist zwischen Ausgangs- und Zielsprache ausbilden sollen (vgl. Sekretariat 2004, 14), während das mediatorische Handeln im Kontext von Translanguaging vornehmlich situativ entstehende Mittlungen berührt (vgl. García 2009), die zu inhaltlichen Prozessen von Bedeutungsaushandlung beitragen und über den engen Bereich des Übersetzens zwischen Ausgangs- und Zielsprache hinausgehen. Für den mittelnden Prozess werden genau die Sprachen aktiviert oder hervorgebracht1, die der Lösung eines kommunikativen Problems in einer spezifischen Situation zuträglich sein können.

So stellen beispielsweise typische Sprachmittlungsaufgaben2 gerade für Schüler*innen nicht-deutscher Erstsprache insofern eine doppelte Herausforderung dar, als hier gegebenenfalls mehrsprachige Aushandlungsprozesse bereits für das Verständnis des Ausgangstexts notwendig sind, bevor überhaupt die in der Aufgabe anvisierte übersetzende Tätigkeit beginnt (vgl. Kolb 2016, 52). Sich als Lehrperson reflexiv mit Mehrsprachigkeit als Voraussetzung von Fremdsprachenunterricht auseinanderzusetzen, bedeutet hier konkret, bei der Konzeption von Sprachmittlungsaufgaben die Annahme einer gemeinsamen Ausgangssprache in Frage zu stellen, bzw. in der Aufgabenkonstruktion ergänzende Mittlungen zu berücksichtigen und damit funktional in der Antinomie natürlich vs. didaktisch indizierter Sprachverwendung zu handeln.

In diesem Sinne habe ich an anderer Stelle (vgl. Schädlich 2016) den prozesshaften Charakter der Sprachmittlung herausgearbeitet: Gestützt auf de Carlo (2012) wurde der professionellen Übersetzung zugeschrieben, dass für sie das Produkt zentral ist, der translatorische Prozess selbst aber intransparent bleibt. Im Gegensatz dazu wurde für die Sprachmittlung – und ihren potenziellen didaktischen Mehrwert – der Aspekt des offenen Aushandelns von Bedeutungen in verschiedenen Sprachen hervorgehoben. Hierbei stehen der translatorische Prozess selbst und seine Reflexion im Mittelpunkt:

„Transposées dans le contexte de la médiation linguistique et culturelle, les activités de négociation plurielles – se référant à plusieurs langues et cultures – peuvent aider les apprenants à trouver des correspondances sémantiques dans l’acte de médiation ou bien à expliciter ce qui n’est pas traduisible en le comparant à un élément dont ils disposent dans une autre langue-culture. Il s’agirait donc de se servir de la médiation linguistique et culturelle pour se rapprocher de la langue-culture cible tout en plaçant ses appartenances linguistiques et culturelles dans un réseau de comparaison“ (Schädlich 2016, 89).

Die Bedeutung mediatorischer Handlungen hebt in ganz ähnlicher Weise auch Kramsch in The Multilingual Subject (2009) hervor und plädiert ebenfalls für eine Stärkung von Übersetzungen im Fremdsprachenunterricht. Dabei geht es ihr allerdings nicht um den engen Kontrast von L1 und L2, sondern um eine Sensibilisierung für Mittlung als sprachübergreifende und textverbindende Handlung:

„But as a practice that brings the cultural differences in the relation of language and thought, translation should be rehabilitated, not only from L1 to L2 or L2 to L1, but across the languages shared by students in the class, or across modalities, textual, visual, musical […]“ (Kramsch 2009, 211).

Mediatorisches Handeln ist in diesem Sinne eng mit der Förderung eines mehrsprachigen Unterrichtsdiskurses verbunden, der sowohl die sprachlichen Repertoires der Lernenden berücksichtigt als auch Mittlungen zwischen Texten unterschiedlicher Modalitäten initiiert. Hier geht es gleichermaßen um die Bearbeitung zielsprachlich fokussierter Aufgaben wie um die Mobilisierung sprachlicher Ressourcen und die Nutzung eines breiten Textangebots zur Herstellung von Bedeutung.

Kolb verweist in ihrer Habilitationsschrift an verschiedenen Stellen auf das Problem von „Authentizität“, bzw. die Problematik ihrer Herstellung im Kontext von Sprachmittlungsaufgaben (vgl. Kolb 2016, 231). Hier mutet es befremdlich an, dass natürliche Mittlungsprozesse, die im Fremdsprachenunterricht ständig auftreten, im fachdidaktischen Diskurs um die Sprachmittlung kaum Berücksichtigung finden (vgl. Nicolas 2012). Vor dieser Beobachtung verweist Kolb auf den Ansatz des Translanguaging, den sie aber kaum als zu Sprachmittlung zugehörig ausführt. Translanguaging definiert García als „multiple discursive practices in which bilinguals engage in order to make sense of their bilingual worlds“ (García 2009, 45; zit. in García/Wei 2015, 225; Kursivsetzung im Original).

Dabei unterscheiden García/Wei natürliche Praktiken des Sprachgebrauchs als „translanguaging to learn“ (vgl. García/Wei 2015, 229f.), von gelenktem, lehrerinitiierten „translanguaging to teach“ (vgl. García/Wei 2015, 232f.). Schülerorientiert bestimmen die Lernenden selbst situative Aushandlungspraktiken: „This means, for example, that when bilinguals have to find new information by reading or speaking to others, they can language and use meaning-making resources that are not found in the classroom and with which teachers may not be familiar“ (García/Wei 2015, 230). Lehrerorientiert werden entsprechende Strategien, wie z.B. mittelnde Erklärungen, modellhaft handelnd eingesetzt und der Unterrichtsdiskurs so gestaltet, dass inhaltsbezogene Aushandlungsprozesse maximiert werden: „Translanguaging in teaching is always used in the service of providing rigorous instruction and maximizing interactions that would expand the students’ language and meaning-making repertoire“ (García/Wei 2015, 233).

Translanguaging kann in diesem Sinne als Ansatz verstanden werden, mit dem Spannungsfeld natürlicher Sprachpraxis vs. „didaktisch indiziertem Sprachverhalten“ (Dietrich-Grappin 2017, 102) konstruktiv umzugehen. García/Wei (2015) schreiben dem Konzept jedoch mehr zu als die alleinige Ermöglichung pluralen Sprachgebrauchs. Hinsichtlich des hier fokussierten Lehrerhandelns benennen sie die Schwierigkeit situativ angemessener Entscheidungen in der Handlungssituation selbst. Ziel von Lehrerbildung wird es in diesem Sinne „to educate teachers to use translanguaging strategically moment-by-moment and as a critical gesture“ (García/Wei 2015, 233; Kursivsetzung im Original).

Mediatorisches Handeln geht daher weit über die alleinige Gestaltung von Aufgaben zur Förderung sprachmittelnder Kompetenzen hinaus. Es ermöglicht und integriert Sprachgebrauch und -reflexion als gleichzeitige Gestaltung der Räume, „in“ denen sie stattfinden. Gerade der Fremdsprachenunterricht sieht sich jedoch von dem Paradox berührt, dass er durch seine spezifische Fachlichkeit und mit dieser verbundenen monolingualen Ausrichtung – als Englisch-, Französisch-, Russischunterricht etc. – selbst potenzielle Praktiken von Mehrsprachigkeit verunmöglicht (vgl. García/Wei 2015, 228). Mediatorisches Handeln muss sich also situativ immer wieder neu positionieren: zwischen institutionell gesetzten Zielen des Sprachenlernens einerseits und mehrsprachiger Praxis, die eine Ausweitung von Handlungsräumen in der „neuen“ Fremdsprache fokussiert und dies über pluralen Sprachgebrauch ermöglicht, andererseits. In der mehrsprachigen Praxis werden sprachliche Handlungsräume immer mit reflektiert und Ungleichheiten reflexiv thematisiert. Diesen Aspekt betonen García/Kano in einer weiteren Definition von Translanguaging als

„… process by which students and teachers engage in complex discursive practices that include ALL the language practices of ALL students in a class in order to develop new language practices and sustain old ones, communicate and appropriate knowledge, and give voice to new sociopolitical realities by interrogating linguistic inequality“ (García/Kano 2014; zit. in García/Wei 2015, 225).

4.2Ansätze für mediatorisches Handeln in einem mehrsprachigkeitsorientierten Unterrichtsdiskurs

Für die Schwierigkeit situativer Entscheidungen zu mehrsprachigem Handeln existieren keine unterrichtspraktischen passe-partout-Lösungen. Dennoch lassen sich aus empirischen Arbeiten, die unterrichtliche Interaktionen rekonstruieren, zumindest Ansätze abstrahieren, die als Reflexionskategorien in Entscheidungssituationen fungieren können. Exemplarisch sei hier auf die Analysen von Nicolas (2012) und Ziegler/Sert/Durus (2012) zu realiter beobachteten mehrsprachigen Interaktionen des Fremdsprachenunterrichts verwiesen. Nicolas rekonstruiert beispielsweise den „refus de l’anglais par l’enseignant“ (Nicolas 2012, 374) mitsamt der unterliegenden subjektiven Theorie eines einsprachig zu haltenden Unterrichts. Mit Cicurel bezeichnet Nicolas die Lehrperson als „sprachgefräßig“ („linguaphage“) im Sinne einer Vereinnahmung der Rede: „Le discours didactique présente la caractéristique d’être un discours qui avale la parole de l’autre. Le professeur […] provoque la parole, il la canalise, il l’arrête ou la reprend pour continuer à susciter une autre parole ou pour alimenter son discours pédagogique“ (Cicurel, 1990, 54; zit. in Nicolas 2012, 376). In Nicolas’ Beispielen aus dem Français langue étrangère-