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Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb E-Book

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Beschreibung

In der Spracherwerbs- und Mehrsprachigkeitsforschung spielen kognitive Aspekte schon lange eine bedeutende Rolle. In der Ausbildung von Sprachlehrkräften, in Lehrplänen, im Lernmaterial und im Unterricht ist von der Vielfalt kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse bisher allerdings wenig angekommen. Dieser Band zeichnet ein kohärentes Bild davon, was beim Spracherwerb und beim Management von mehreren Sprachen in den Köpfen der Lerner abläuft und welche Konsequenzen dies für einen optimierten Unterricht hat. Er behandelt aus dieser Perspektive die Grundlagen der Mehrsprachigkeit, der Migrationsfaktoren, des Spracherwerbs und der Attrition, der dynamischen Modelle der Mehrsprachigkeit, der Sprachvariation und Sprachmischungen (Codewechsel, Ethnolekte, Xenolekte), der Pidginisierung und Kreolisierung sowie des Erwerbs mündlicher und schriftlicher Kompetenzen in der Fremdsprache in gut verständlicher Sprache.

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Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb

Jörg Roche / Elisabetta Terrasi-Haufe

A. Francke Verlag Tübingen

 

 

© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

ePub-ISBN 978-3-8233-0046-5

Inhalt

VorwortEinleitung: Die Reihe Kompendium DaF/DaZ1. Mehrsprachigkeit1.1 Kognitive Aspekte1.1.1 Mehrsprachigkeit definieren1.1.2 Grundlagen der psycholinguistischen Modellierung von Mehrsprachigkeit1.1.3 Frühe Mehrsprachigkeit1.1.4 Konsekutive Mehrsprachigkeit1.1.5 Sprachtrennung und Sprachwahl1.1.6 Vom statischen zum dynamischen Modell von Mehrsprachigkeit1.1.7 Zusammenfassung1.1.8 Aufgaben zur Wissenskontrolle1.2 Historische und kommunikative Aspekte1.2.1 Zur Entstehung von Mehrsprachigkeit1.2.2 Formen von Mehrsprachigkeit1.2.3 Die Arbeitsteilung der Sprachen1.2.4 Mehrsprachigkeit und Sprachkompetenz: Wann ist man mehrsprachig?1.2.5 Mehrsprachigkeit und Kommunikation historisch betrachtet1.2.6 Mehrsprachigkeit und Sprachwandel1.2.7 Globalisierte Mehrsprachigkeit1.2.8 Zusammenfassung1.2.9 Aufgaben zur Wissenskontrolle1.3 Sprachenpolitische Aspekte1.3.1 Richtungen in der Sprachenpolitik1.3.2 Sprachenpolitik und deren Einfluss auf Machtverhältnisse zwischen Sprachen1.3.3 Von der territorialen Einsprachigkeit hin zur Mehrsprachigkeit1.3.4 Sprachenpolitik und Mehrsprachigkeit: historische Meilensteine1.3.5 Mehrsprachigkeit als ein „Muss“ in der modernen Sprachenpolitik: Was haben die Sprachen und ihre Sprecher und Sprecherinnen davon?1.3.6 Mehrsprachigkeit in der Bildungspolitik: zweisprachige Bildungsmodelle1.3.7 Mehrsprachigkeit und gesellschaftlicher Wille1.3.8 Zusammenfassung1.3.9 Aufgaben zur Wissenskontrolle2. Modellierung von Mehrsprachigkeit2.1 Mehrsprachigkeit und Migration2.1.1 Mehrsprachigkeit in Migrations- und Bildungsforschung2.1.2 Grundlagen einer Didaktik der aufgeklärten Mehrsprachigkeit2.1.3 Zusammenfassung2.1.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle2.2 Faktoren der Mehrsprachigkeit2.2.1 Innere und äußere Mehrsprachigkeit2.2.2 Einfluss der L12.2.3 Zur Problematik der Referenzfunktion der L1 und des BICS und CALP-Ansatzes2.2.4 Lernerinterne Faktoren2.2.5 Lernerexterne Faktoren2.2.6 Zusammenfassung2.2.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle2.3 Modelle der individuellen Mehrsprachigkeit2.3.1 Das Faktorenmodell2.3.2 Das Rollen-Funktions-Modell2.3.3 Das dynamische Modell2.3.4 Das biotisch-ökologische Modell2.3.5 Der Capabilities Ansatz2.3.6 Mehrsprachigkeit als kulturelles Kapital2.3.7 Management von Mehrsprachigkeit2.3.8 Zusammenfassung2.3.9 Aufgaben zur Wissenskontrolle3. Diachrone und synchrone Aspekte von Sprachenerwerb3.1. Prozesse des Sprachenerwerbs3.1.1 Sprachverarbeitung und Sprachenerwerb3.1.2 Verfahren der Sprachkonstruktion3.1.3 Von den Chunks zur Basisvarietät3.1.4 Pragmatischer und syntaktischer Modus nach Givón3.1.5 Zusammenfassung3.1.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle3.2 Das Modell der Erwerbssequenzen3.2.1 Sprachenerwerb als feste Abfolge von Erwerbssequenzen3.2.2 Erwerbssequenzen für Deutsch als Fremdsprache3.2.3 Zusammenfassung3.2.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle3.3 Fossilisierung und Stabilisierung3.3.1 Begriffsbestimmungen und Formen stabilisierter und fossilisierter Lernersprache3.3.2 Ursachen für Stabilisierungs- und Fossilisierungserscheinungen3.3.3 Fossilisierung im pragmatischen Modus3.3.4 Fossilisierung im syntaktischen Modus3.3.5 Aufbrechen von Fossilisierungen3.3.6 Prävention und Therapie von Fossilisierungen3.3.7 Zusammenfassung3.3.8 Aufgaben zur Wissenskontrolle4. Dynamische Modellierung von Sprachenerwerb4.1 Dynamische Systemtheorie4.1.1 Definitionen4.1.2 Merkmale komplexer adaptiver Systeme4.1.3 Zeitskalen in der Entwicklung4.1.4 Zusammenfassung4.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle4.2 Sprache als dynamisches System4.2.1 Sprache als komplexes adaptives System4.2.2 Dynamische Systemtheorie und die Definition von Sprache4.2.3 Zweitsprachenentwicklung erklären4.2.4 Zusammenfassung4.2.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle4.3 Sprachverlust4.3.1 Sprachverlust definieren4.3.2 Die Methodologie der Forschung zum Sprachverlust4.3.3 L1-Verlust4.3.4 L2-Verlust4.3.5 Relevanz für die Pädagogik4.3.6 Zusammenfassung4.3.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle5. Mehrsprachigkeit und Sprachengebrauch5.1 Code-Switching5.1.1 Grundlagen des Code-Switchings5.1.2 Zur Frage nach Universalien beim Code-Switching5.1.3 Zur Pragmatik des Code-Switchings5.1.4 Switching-Kosten5.1.5 Code-Switching und der „Mehrsprachigkeits-Vorteil“5.1.6 Code-Switching in Erziehung und Bildung5.1.7 Zusammenfassung5.1.8 Aufgaben zur Wissenskontrolle5.2 Transfer5.2.1 Transfer und sprachübergreifender Einfluss: Von der Fehleranalyse zur Performanzanalyse5.2.2 Transfer und Interimssprache5.2.3 Transfer in der Aussprache: ausländische Akzente5.2.4 Gestik und Transfer5.2.5 Zusammenfassung5.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle5.3 Mehrschriftlichkeit und Transfer5.3.1 Mehrschriftlichkeit als wichtige Komponente der Mehrsprachigkeit5.3.2 Biliteralismus5.3.3 Mehrsprachige Schriftkompetenzen (Mehrschriftlichkeit im weiteren Sinne)5.3.4 Wechselwirkungen von Schriftsprachkompetenzen und Formen des Transfers5.3.5 Mehrschriftlichkeit beim wissenschaftlichen Schreiben5.3.6 Mehrschriftlichkeit und Sprachmischung5.3.7 Zusammenfassung5.3.8 Aufgaben zur Wissenskontrolle6. Sprachvariation6.1 Variation und Variabilität aus einer dynamischen Perspektive6.1.1 Sprachvarietäten definieren6.1.2 Quellen und Funktionen von Sprachvariation6.1.3 Zum Verhältnis zwischen Sprachvariation und Variabilität6.1.4 Sprachvariation und Sprachwandel6.1.5 Zusammenfassung6.1.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle6.2 Regionale Varietäten6.2.1 Grundlegende Begriffe: Dialektkontinuum, Isoglossen und Grenzlinien6.2.2 Konzeptuelle Herausforderungen6.2.3 Sprache versus Dialekt: Abstandsprache und Ausbausprache6.2.4 Verstehbarkeit als ein Kriterium6.2.5 Historische Variation6.2.6 Zusammenfassung6.2.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle6.3 Soziale Variation6.3.1 Soziale Gruppen, Sprechergruppen und Sprachgemeinschaften6.3.2 Sprachliche Variation im sozialen Kontext6.3.3 Zusammenfassung6.3.4 Aufgaben zur Wissenskontrolle7. Kommunikation in mehrsprachigen Kontexten7.1 Ethnolekte7.1.1 Ethnolekte7.1.2 Identitätskonstruktion durch Ethnolekte7.1.3 Zur Brückenfunktion von Ethnolekten7.1.4 Zusammenfassung7.1.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle7.2 Xenolekte und ihre Struktur7.2.1 Struktur des Inputs im Sprachenerwerb7.2.2 Zur Systematik des Codewechsels in Xenolekten7.2.3 Illokution und Codezuordnung7.2.4 Zur Rolle der vereinfachten Eingabe im Zweitsprachenerwerb7.2.5 Zusammenfassung7.2.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle7.3 Pidginisierung und Kreolisierung7.3.1 Pidginsprachen7.3.2 Kreolsprachen7.3.3 Stabilisierung und Kreolisierung7.3.4 Kreolisierung, Restrukturierung und Fossilisierung7.3.5 Zusammenfassung7.3.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle8. Mehrsprachigkeit in Forschung und Praxis8.1 Analyse mündlicher Lernervarietäten8.1.1 Mündliche Lernervarietäten8.1.2 Lernersprachliche Interaktionen8.1.3 Gesprächsanalytische Aspekte8.1.4 Interkulturelle Aspekte8.1.5 Konsequenzen für den Sprachunterricht8.1.6 Zusammenfassung8.1.7 Aufgaben zur Wissenskontrolle8.2 Analyse schriftlicher Lernervarietäten8.2.1 Gesetzmäßigkeiten gesprochener und geschriebener Sprache8.2.2 Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache: Planung und Sprachproduktion8.2.3 Unterschiede zwischen gesprochener und geschriebener Sprache: Sprachliche Phänomene8.2.4 Textkompetenz8.2.5 Kriterien der Analyse8.2.6 Analyse von Lernertexten8.2.7 Schreiben in der Zweitsprache bei DaF-Studierenden8.2.8 Zusammenfassung8.2.9 Aufgaben zur Wissenskontrolle8.3 Empirische Forschungsmethodologie8.3.1 Stichproben8.3.2 Der Feldforscher8.3.3 Forschungsmethodologische Verfahren8.3.4 Ethische Aspekte8.3.5 Zusammenfassung8.3.6 Aufgaben zur Wissenskontrolle9. Literaturverzeichnis10. AbbildungsverzeichnisSachregister

Vorwort

Trotz vieler neuerer Bemühungen um Kompetenz-, Aufgaben- und Handlungsorientierung kommen in der Praxis der Sprachvermittlung weiterhin verbreitet traditionelle Verfahren zur Anwendung, beispielsweise bei der Festlegung der Lehrprogression, den Niveaustufen, der Fehlerkorrektur und der Leistungsmessung. Mit der Weiterentwicklung der kognitiven Linguistik und weiterer kognitiv ausgerichteter Nachbardisziplinen beginnt sich nun aber auch in der Sprachvermittlung in vieler Hinsicht ein Paradigmenwechsel zu vollziehen. Die kognitionslinguistischen Grundlagen dieses Paradigmenwechsels werden in dieser Reihe systematisiert und anhand zahlreicher Materialien und weiterführender Aufgaben für den Transfer in die Praxis aufbereitet.

Die Reihe Kompendium DaF/DaZ verfolgt das Ziel einer Vertiefung, Aktualisierung und Professionalisierung der Ausbildung von Sprachlehrkräften. Der Fokus der Reihe liegt daher auf der Vermittlung von Erkenntnissen aus der Spracherwerbs-, Sprachlehr- und Sprachlernforschung sowie auf deren Anwendung auf die Sprach- und Kulturvermittlungspraxis. Die weiteren Bände behandeln die Themen Sprachenlernen und Kognition, Kognitive Linguistik, Berufs-, Fach- und Wissenschaftssprachen, Sprachenlehren, Unterrichtsmanagement, Medien, Kultur, Literatur, Propädeutik.

Durch die thematisch klar abgegrenzten Einzelbände bietet die Reihe ein umfangreiches, strukturiertes Angebot an Inhalten der aktuellen DaF/DaZ-Ausbildung, die über die Reichweite eines Handbuchs weit hinausgehen und daher sowohl in der akademischen Lehre als auch im Rahmen von Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen behandelt werden können.

Die Reihe wird daher von (fakultativen) flexibel einsetzbaren Online-Modulen für eine moderne Aus- und Weiterbildung begleitet. Diese Online-Module ergänzen den Stoff der Bücher und enthalten Zusatzlektüre und Zusatzaufgaben (www.multilingua-akademie.de). Das Digitale Lexikon Fremdsprachendidaktik (www.lexikon-mla.de) bietet darüber hinaus Erklärungen der wichtigsten Fachbegriffe und damit einen leichten Zugang zu allen aktuellen Themen der Fremdsprachendidaktik und der Sprachlehr- und -lernforschung.

Möglich gemacht wurde die Entwicklung der Inhalte und der Online-Module durch die Förderung des EU Tempus-Projektes Consortium for Modern Language Teacher Education. Neben den hier verzeichneten Autorinnen und Autoren haben eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der editorischen Fertigstellung des Manuskriptes dieses Buches mitgewirkt: Svenja Uth, Eduard Arnhold, Blanka Stolz (Lektorat), Kathrin Heyng (Gunter Narr Verlag) und Corina Popp (Gunter Narr Verlag). Ihnen allen gebührt großer Dank für die geduldige und professionelle Mitarbeit.

Der Band orientiert sich in großen Teilen an Elementen der Mehrsprachigkeitstheorie (2013) sowie den Bänden Fremdsprachenerwerb, Fremdsprachendidaktik (2013) und Xenolekte. Struktur und Variation im Deutsch gegenüber Ausländern (1989) von Jörg Roche. Einige der darauf aufbauenden Lerneinheiten wurden für die neue Struktur dieses Bandes durch Elisabetta Terrasi-Haufe und Svenja Uth eingerichtet. Die von manchen Autoren eingereichten englischsprachigen Manuskripte wurden von Simone Lackerbauer übersetzt und von Elisabetta Terrasi-Haufe und Svenja Uth bearbeitet.

Einleitung: Die Reihe Kompendium DaF/DaZ

Der Bedarf an solider Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich der Sprachvermittlung nimmt ständig zu. Immer stärker treten dabei spezialisierte Anforderungen zum Beispiel in Bezug auf Fach- und Berufssprachen, Kompetenzen oder Zielgruppen in den Vordergrund. Theoretisch fundiert sollten die entsprechenden Angebote sein, aber gleichzeitig praxistauglich und praxiserprobt. Genau diese Ziele verfolgen die Buchreihe Kompendium DaF/DaZ und die begleitenden Online-Module. In mehreren Modulen und Bänden soll hiermit eine umfassende Einführung in die Wissenschaft und in die Kunst des Sprachenlernens und Sprachenlehrens gegeben werden, weit weg von fernen Theorie- oder Praxiskonstruktionen und Lehr-Dogmen. Im Mittelpunkt des hier verfolgten Ansatzes steht das, was in den Köpfen der Lerner geschieht oder geschehen sollte. Sachlich, nüchtern, effizient und nachhaltig. Buchreihe und Online-Module sind eine Einladung zur Professionalität eines Bereichs, der die natürlichste Sache der Welt behandelt: den Sprachenerwerb. In diesen Materialien und Kursen werden daher Forschungsergebnisse aus verschiedenen Forschungsrichtungen zusammengetragen und der Nutzen ihrer Synthese für die Optimierung des Sprachenerwerbs und Sprachunterrichts aufgezeigt.

Warum Aus-, Weiter- und Fortbildung heute so wichtig ist

Wer sich etwas eingehender darum bemüht zu verstehen, welche Rolle die Sprache im weiten Feld des Kontaktes von Kulturen spielt – oder spielen könnte –, muss von den Gegensätzen, Widersprüchen und Pauschalisierungen, die die Diskussion in Gesellschaft, Politik und Fach bestimmen, vollkommen irritiert sein. Vielleicht lässt sich aus dieser Irritation auch erklären, warum dieser Bereich von so vielen resistenten Mythen, Dogmen und Praktiken dominiert wird, dass das eigentlich notwendige Bemühen um theoretisch fundierte Innovationen kaum zur Geltung kommt. Mangelndes Sprach- und Sprachenbewusstsein besonders in Öffentlichkeit und Politik führen ihrerseits zu einem ganzen Spektrum gegensätzlicher Positionen, die sich schließlich auch bis in die lehrpraktische Ebene massiv auswirken. Dieses Spektrum ist gekennzeichnet durch eine Verkennung der Bedeutung von Sprache im Umgang der Kulturen auf der einen und durch reduktionistische Rezepte für ihre Vermittlung auf der anderen Seite: Die Vorstellung etwa, die Wissenschaften, die Wirtschaft oder der Alltag kämen mit einer Universalsprache wie dem Englischen aus, verkennt die – übrigens auch empirisch über jeden Zweifel erhabenen – Realitäten genauso wie die Annahme, durch strukturbasierten Sprachunterricht ließen sich kulturpragmatische Kompetenzen (wie sie etwa für die Integration in eine fremde Gesellschaft nötig wären) einfach vermitteln. Als ineffizient haben sich inzwischen auch solche Verfahren erwiesen, die Mehrsprachigkeit als Sonderfall – und nicht als Regelfall – betrachten und daher Methoden empfehlen, die den Spracherwerb vom restlichen Wissen und Leben zu trennen versuchen, also abstrakt und formbasiert zu vermitteln. Der schulische Fremdsprachenunterricht und der Förderunterricht überall auf der Welt tendieren (trotz rühmlicher unterrichtspraktischer, didaktischer, struktureller, konzeptueller und bildungspolitischer Ausnahmen und Initiativen) nach wie vor stark zu einer solchen Absonderung: weder werden bisher die natürliche Mehrsprachigkeit des Menschen, die Sprachenökologie, Sprachenorganik und Sprachendynamik noch die Handlungs- und Aufgabenorientierung des Lernens systematisch im Fremdsprachenunterricht genutzt. Stattdessen wird Fremdsprachenunterricht in vielen Gesellschaften auf eine (internationale) Fremdsprache reduziert, zeitlich stark limitiert und nach unterschiedlich kompetenten Standards kanalisiert.

Interkulturelle Kommunikation im Zeitalter der Globalisierung

In unserer zunehmend globalisierten Welt gehört die Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen zu einem der wichtigsten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aufgabenbereiche. Die Globalisierung findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt: lokal innerhalb multikultureller oder multikulturell werdender Gesellschaften, regional in multinationalen Institutionen und international in transkontinentalen Verbünden, Weltorganisationen (unter anderem für Wirtschaft, Gesundheit, Bildung, Sport, Banken) und im Cyberspace. Dabei sind all diese Globalisierungsbestrebungen gleichzeitig Teil einer wachsenden Paradoxie. Der Notwendigkeit, die großen sozialen und wirtschaftlichen Probleme wegen der globalen Vernetzung der Ursachen auch global zu lösen, stehen andererseits geradezu reaktionäre Bestrebungen entgegen, der Gefahr des Verlustes der »kulturellen Identität« vorzubauen. Einerseits verlangt oder erzwingt also eine Reduktion wirklicher und relativer Entfernungen und ein Überschreiten von Grenzen ein Zusammenleben und Kommunizieren von Menschen verschiedener Herkunft in bisher nicht gekannter Intensität, andererseits stehen dem Ideal einer multikulturellen Gesellschaft die gleichen Widerstände entgegen, die mit der Schaffung solcher Gesellschaften als überkommen geglaubt galten (Huntington 1997). Erzwungene, oft mit großer militärischer Anstrengung zusammengehaltene multikulturelle Gesellschaften haben ohne Druck keinen Bestand und neigen als Folge des Drucks vielmehr dazu, verschärfte kulturelle Spannungen zu generieren. Auch demokratisch geschaffene multikulturelle Gesellschaften benötigen meist viel Zeit und Energie, um sich aus der Phase der multi-kulturellen Duldung zu inter-kultureller Toleranz und interkulturellem Miteinander zu entwickeln. Die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa und die ethnischen Auseinandersetzungen in Afrika und Asien zeigen, dass es zuweilen gewaltig unter der Oberfläche gesellschaftlicher Toleranz- und Internationalisierungspostulate rumort. Ethnozentrismus, Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit, Rechtspopulismus, Rassismus, Diskriminierung, Terrorismus, Bürgerkrieg, Massen- und Völkermord sind durch politisch und wirtschaftlich bewirkten Multikulturalismus nicht verschwunden. Das verbreitete Scheitern von Multikulturalismus-Modellen zeigt, dass ein verordnetes oder aufgezwungenes Nebeneinander von Kulturen ohne Mediationsbemühungen eher Spannungen verstärkt, als nachhaltig Toleranz zu bewirken. Es mangelt an effizienten Verfahren der Vermittlung (Mediation) zwischen Kulturen. Den Sprachen kommt in dem Prozess der Mediation deswegen eine besondere Rolle zu, weil er mit der Kommunikation über kulturelle Grenzen hinweg anfängt und auch nur durch diese am Laufen gehalten wird. Die Sprache kann nicht alle Probleme lösen, aber sie hat eine Schlüsselposition beim Zustandekommen interkulturellen Austauschs, die weit über die Beherrschung von Strukturen sprachlicher Systeme hinausgeht. Diese Funktion hat mehr mit Kulturvermittlung als mit strukturellen Eigenschaften sprachlicher Systeme zu tun und sie kann kaum durch eine einzige Lingua Franca erfüllt werden. Das Lernen und Lehren von Sprachen ist in Wirklichkeit eines der wichtigsten politischen Instrumente im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung. Sprachunterricht und Sprachenlernen werden aber von Lehrkräften und Lernern gleichermaßen oft noch als die Domäne des Grammatikerwerbs und nicht als Zugangsvermittler zu anderen Kulturen behandelt. Wenn kulturelle Aspekte im Fremdsprachenerwerb aber auf die Faktenvermittlung reduziert werden und ansonsten vor allem strukturelle Aspekte der Sprachen in den Vordergrund treten, bleiben wichtige Lern-und Kommunikationspotenziale ungenutzt. Dabei bleibt nicht nur der Bereich des landeskundlichen Wissens unterentwickelt, sondern es wird in erster Linie der Erwerb semantischer, pragmatischer und semiotischer Kompetenzen erheblich eingeschränkt, die für die interkulturelle Kommunikation essentiell sind. Wenn in der heutigen Zeit vordringlich interkulturelle Kompetenzen verlangt werden, dann müssen in Sprachunterricht und Spracherwerb im weiteren Sinne also bevorzugt kulturelle Aspekte der Sprachen und Kommunikation berücksichtigt werden. Dazu bedarf es aber einer größeren Bewusstheit für die kulturelle Bedingtheit von Sprachen und die sprachliche Bedingtheit von Kulturen. Diese müssen sich schließlich in kultursensitiven Lern- und Lehrverfahren manifestieren, die Mehrsprachigkeit nicht nur künstlich rekonstruieren und archivieren wollen, sondern die in Fülle vorhandenen natürlichen Ressourcen der Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität organisch, dynamisch und effizient zu nutzen wissen. Das Augenmerk der künftigen Lern- und Lehrforschung ist daher verstärkt auf Aspekte der Ökologie und Ökonomie des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements zu richten. Das bedeutet aber, dass die Spracherwerbs- und die Mehrsprachigkeitsforschung sich nicht nur eklektisch wie bisher, sondern systematisch an kognitiven und kultursensitiven Aspekten des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements ausrichten müssen. Diesen Aufgabenbereich zu skizzieren, indem wichtige, dafür geleistete Vorarbeiten vorgestellt werden, ist Ziel dieser Reihe.

Interkultureller Fremdsprachenunterricht

Als die Forschung begann, sich mit interkulturellen Aspekten in Spracherwerb und Sprachunterricht zu beschäftigen, geschah dies auf der Grundlage bildungspolitischer Zielsetzungen und hermeneutischer Überlegungen. Literarische Gattungen sollten den kommunikativen Trend zur Alltagssprache ausgleichen helfen und damit gleichzeitig frische, auf rezeptionsästhetischen Theorien basierende Impulse für das Fremdverstehen und die Fremdsprachendidaktik liefern (vergleiche Hunfeld 1997; Wierlacher 1987; Krusche & Krechel 1984; Weinrich 1971). Die anfängliche Affinität zu lyrischen Texten weitete sich auf andere Gattungen aus und verjüngte mit dieser Wiederentdeckung der Literatur im Fremdsprachenunterricht gleichzeitig das in den 1980er Jahren bereits zum Establishment gerinnende kommunikative Didaktikparadigma. Man vergleiche die Forderung nach einem expliziten interkulturellen Ansatz von Wylie, Bégué & Bégué (1970) und die bereits frühe Formulierung der konfrontativen Semantik durch Müller-Jacquier (1981). Für die auf Zyklen sozialisierte Zunft der Sprachlehre stand fest: das ist eine neue, die vierte Generation der Fremdsprachendidaktik, die interkulturelle, oder zumindest die Version 3.5, die kommunikativ-interkulturelle. Allerdings hat diese Euphorie nicht überall zu einer intensiveren, systematischen Reflexion interkultureller Aspekte in Bezug auf ein besseres Verstehen des Sprachenlernens und eine effizientere Ausrichtung des Sprachenlehrens geführt. Selbst in der Lehrwerksproduktion, deren Halbwertzeitzyklen seitdem immer kürzer werden, ist die Anfangseuphorie vergleichsweise schnell verflogen. Infolge des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) – und bereits seines Vorgängers, des Schwellen-Projektes (threshold level project) des Europarates – scheinen sich aufgrund der (oft falsch verstandenen) Standardisierungen die starken Vereinheitlichungstendenzen zu einer Didaktik der Generation 3 oder gar 2.5 zurück zu verdichten. Die Aufnahme der Fremdperspektive in Lehrwerken beschränkte und beschränkt sich oft auf oberflächlich vergleichende Beschreibungen fremder kultureller Artefakte, und die Behandlung der Landeskunde unterliegt nach wie vor dem Stigma der vermeintlich mangelnden Unterrichtszeit.

Ein kleiner historischer Rückblick auf die Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts

Der Fremdsprachenunterricht ist traditionellerweise vor allem von den bildungspolitischen, pädagogischen, psychologischen und soziologischen Vorstellungen der entsprechenden Epoche und ihren gesellschaftlichen Trends beeinflusst worden. Diese Aspekte überschreiben im Endeffekt auch alle sporadischen Versuche, den Fremdsprachenunterricht an sprachwissenschaftlichen oder erwerbslinguistischen Erkenntnissen auszurichten. So verdankt die Grammatik-Übersetzungsmethode ihre Langlebigkeit den verbreiteten, aber empirisch nicht begründeten Vorstellungen von der Steuerbarkeit des Lerners, der Autorität des Inputs und der Bedeutung elitärer Bildungsziele. Mit den audio-lingualen und audio-visuellen Methoden setzt eine Ent-Elitarisierung und Veralltäglichung des Sprachenlernens ein. Die vorwiegend mit Alltagssprache operierenden Methoden sind direkte, wenn auch reduzierte Abbildungen behavioristischer Lernmodelle und militärischer Bedürfnisse ihrer Zeit. Der kommunikative Ansatz schließlich ist von den Demokratisierungsbestrebungen der Gesellschaften bestimmt. Sein wichtigstes Lernziel, die kommunikative Kompetenz, ist dem soziologischen Ansatz der Frankfurter Schule entlehnt (Habermas 1981). Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen stellt zwar keinen neuen didaktischen Ansatz dar, bildet aber über seine Ausrichtung auf den pragmatischen und utilitaristischen Bedarf eines zusammenwachsenden und mobilen europäischen Arbeitsmarktes den Zeitgeist des politisch und wirtschaftlich gewollten Einigungsprozesses in Europa ab und wirkt daher paradigmenbildend und auf den Unterricht stärker standardsetzend als alle didaktischen Ansätze zuvor. Er weist deutliche Parallelen zu den Proficiency-Guidelines des American Council of Teachers of Foreign Languages (ACTFL) auf, die ihrerseits – wie bereits die audiolinguale Methode – stark von den Bedürfnissen der Sprachschulen des US-Militärs beeinflusst wurden. Eine erwerbslinguistische oder stringente sprachwissenschaftliche Basis weist er nicht auf. Typisch für die zeitlichen Strömungen sind konsequenterweise auch all die Methoden, die in der Beliebigkeit des Mainstreams keine oder nur geringe Berücksichtigung finden können. Diese alternativen Methoden oder Randmethoden wie die Suggestopädie, Total Physical Response, Silent Way oder Community (Language Learning) Approach reflektieren die Suche des Sprachunterrichts nach zeitgemäßen Verfahren, die vor allem die vernachlässigte Innerlichkeit der Gesellschaft ansprechen oder die Kritik an ihrem Fortschrittsglauben ausdrücken sollen. Die gefühlte Wahrheit der Methoden bei gleichzeitigem Mangel an wissenschaftlich-kritischer Überprüfung der Annahmen ergibt ein inkohärentes Bild der Fremdsprachendidaktik und -methodik, das zwangsläufig zu vielen Widersprüchen, Rückschritten und Frustrationen führen muss. Die rasante Abkehr von der Sprachlerntechnologie der 60er und 70er Jahre, das Austrocknen der alternativen Methoden, die Rückentwicklung der kommunikativen Didaktik oder die neo-behavioristischen Erscheinungen der kommerziellen Sprachsoftware gehören zu den Symptomen dieses Dilemmas. Die anhaltende unreflektierte Verbreitung eklektischer Übungsformen der Grammatik-Übersetzungsmethode oder des Pattern Drills in Unterricht und Lehrmaterial illustriert, wie wenig nachhaltig offenbar die Bemühungen um eine theoretisch fundierte und empirisch abgesicherte kommunikative Didaktik waren. Mit dem Auftauchen der interkulturellen Sprachdidaktik und der »vierten Generation von Lehrwerken« (Neuner & Hunfeld 1993) schien sich eine Veränderung gegenüber den Referenzdisziplinen anzubahnen. Zunehmende Migration und Globalisierungstendenzen machten eine entsprechende Öffnung nötig. Aber auch diese anfänglichen Bestrebungen haben sich in der Breite des Lehrmaterials und des Sprachunterrichts genauso wenig durchgesetzt wie wissenschaftlich fundierte Modelle von Grammatik und Sprache. Stattdessen beschäftigt sich die Unterrichtsmethodik geradezu aktionistisch mit temporären Neuerungen (wie den neuen Medien, dem Referenzrahmen, der farbigen Darstellung grammatischer Phänomene) oder Wiedererfindungen bekannter Aspekte (wie dem Inhaltsbezug oder der Diskussion der Bedeutung mündlicher Texte), ohne sich ernsthaft mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Didaktik zu beschäftigen. Ein kurzer Rückblick auf die Vorschläge von Comenius zum inhaltsbezogenen Lernen aus dem 17. Jahrhundert etwa oder der Sprachreformer früherer Jahrhunderte sowie die Modelle aus den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts würde der neueren Diskussion des Content and Language Integrated Learning (CLIL) eine erhellende Perspektive bieten. Comenius hält unter Bezug auf einen christlichen Gelehrten bereits 1623 fest:

Die Kenntnis einer Sprache mache noch keinen Weisen, sie diene lediglich dazu, uns mit den anderen Bewohnern der Erdoberfläche, lebenden und toten, zu verständigen; und darum sei auch derjenige, welcher viele Sprachen spreche, noch kein Gelehrter, wenn er nicht zugleich auch andere nützliche Dinge erlernt habe. (Comenius 1970: 269)

Dabei verbindet Comenius bereits die Prozesse des Spracherwerbs und der allgemeinen Maturation (der Vision und des Intellekts des Kindes) und nimmt damit Jean Piagets Modell der kognitiven Entwicklung sowie die in der Spracherwerbsforschung etablierten, kognitive Entwicklungsphasen repräsentierenden Konzepte der Erwerbssequenzen vorweg. Darüber hinaus produzierte er bereits ein Lehrbuch (Orbis sensualium pictus), in dem er systematisch die Verwendung visueller Materialien beim Sprachenlernen und -lehren bedachte (Comenius 1981). Auch die Mitte des 19. Jahrhunderts im Kontext der industriellen und sozialen Umwälzungen entstandene, bildungspolitisch und methodisch motivierte Reformbewegung des Fremdsprachenunterrichts bildet zwar eine didaktische Brücke zwischen den Arbeiten von Comenius und den Elementen des inhaltsbezogenen und handlungsorientierten Lernens moderner didaktischer Ansätze, verfolgt jedoch keine wissenschaftlichen Ziele. Ihr geht es vielmehr darum: Fremdsprachen jedem zugänglich zu machen, anstatt sie einer exklusiven Elite vorzubehalten, den Fremdsprachenunterricht weit über den Unterricht klassischer Literatur hinaus zu erweitern, indem Inhalte des Alltags- und Berufslebens sowie schulischer Fächer in den Fremdsprachenunterricht aufgenommen werden sollten, zum Beispiel in verschiedenen Verfahren des immersiven Lernens.

Mitbegründer oder Anhänger dieser Bewegung wie Jesperson (1922), Passy (1899), Sweet (1899), Gouin (1892), Berlitz (1887), Viëtor (1882) prägten die Reformbewegung mit unterschiedlichen auf die Praxis ausgerichteten Ideen, Modellen und Unterrichtsverfahren. In seiner einflussreichen Einführung benennt Stern (1983) diese Phase wie folgt:

The last decades of the nineteenth century witnessed a determined effort in many countries of the Western world (a) to bring modern foreign languages into the school and university curriculum on their own terms, (b) to emancipate modern languages more and more from the comparison with the classics, and (c) to reform the methods of language teaching in a decisive way. (Stern 1983:98)

Verschiedene Methoden sind in den 20er Jahren (bis in die 40er Jahre) des 20. Jahrhunderts als »praktische Antworten« auf die vorangehende Diskussion entwickelt worden: darunter die vermittelnde Methode (England), die Lesemethode (England) und BASIC English (British/ American/Scientific/International/Commercial), ein Versuch, das Sprachenlernen zu vereinfachen und zu rationalisieren. Mit diesen Methoden beginnen die ersten Ansätze, das Unterrichtsgeschehen, die sprachliche Basis, das Testen von Fertigkeiten und das Lern- und Lehrverhalten mittels verschiedener Pilotstudien systematisch zu untersuchen (unter anderem die Modern Foreign Language Study der American and Canadian Committees on Modern Languages 1924–1928, siehe Bagster-Collins, Werner & Woody 1930). Dieser Trend wurde in den 40er und 50er Jahren mit der Profilierung der Linguistik noch intensiviert. Hierzu gehören Schlüsselereignisse wie die Veröffentlichung von Psycholinguistics: A Survey of Theory and Research Problems, herausgegeben von Osgood, Sebeok, Gardner, Carroll, Newmark, Ervin, Saporta, Greenberg, Walker, Jenkins, Wilson & Lounsbury (1954), Verbal Behavior von Skinner (1957) und Lados erste systematische Erfassung der kontrastiven Linguistik Linguistics across Cultures: Applied Linguistics for Language Teachers (1957). The American Army Method, deren Errungenschaften später heiß umstritten waren, versuchte nachzuweisen, dass Sprachunterricht auch ohne die traditionellen schulartigen Methoden und mit wesentlich größeren Gruppen und in kürzerer Zeit effizient durchgeführt werden kann. Als Folge der behavioristischen Ideologie wurden besonders in den USA die audiolingualen und in Frankreich die audiovisuellen Lehrverfahren entwickelt, die lange Zeit den Sprachunterricht dominierten und unter anderem auch dem Vormarsch der Sprachlabortechnologie Vorschub leisteten und – trotz gegenteiliger empirischer Evidenz – bis heute dem konditionierenden Einsatz elektronischer Medien zugrunde liegen (zum Beispiel in Programmen wie Rosetta Stone oder Tell me more).

Die stetige Zunahme von linguistischen Studien und die Begründung der Psycholinguistik als ein interdisziplinäres Forschungsgebiet leisteten später einen wesentlichen Beitrag zur Identifizierung der aus den Methoden der behavioristischen Verhaltensformung entstehenden Probleme des Spracherwerbs (zum Beispiel Rivers einflussreiches Buch The Psychologist and the Foreign Language Teacher1964). Als Folge der zunehmenden Kritik an den intuitiven Methoden gewann schließlich das kognitive Lernen – bis heute weitgehend als das regelgeleitete, systematische Lernen missverstanden – in der Diskussion um angemessene Ansätze an Gewicht. Chomskys nativistische Theorie auf der einen Seite und soziolinguistische und pragmalinguistische Strömungen auf der anderen haben im Anschluss daran vor allem die Erwerbsforschung und die Entwicklung neuer methodischer Verfahren geprägt. Chomskys Ausgangshypothese zufolge haben Kinder eine angeborene Fähigkeit der Sprachbildung (in der Muttersprache, L1). Wenn Kinder zum ersten Mal die Sprache hören, setzten allgemeine Prinzipien der Spracherkennung und Sprachproduktion ein, die zusammen das ergäben, was Chomsky den Language Acquisition Device (LAD) nennt. Der LAD steuere die Wahrnehmung der gehörten Sprache und stelle sicher, dass das Kind die entsprechenden Regeln ableite, die die Grammatik der gehörten Sprache bildeten. Dabei bestimmten Verallgemeinerungen, wie die Sätze in der entsprechenden Sprache zu bilden seien. Im Zweitsprachenerwerb werde die Reichweite des LAD einfach auf die neue Sprache ausgedehnt. Nativistische Theorien des Spracherwerbs haben jedoch wenig Einfluss auf die Entwicklung von Erwerbs- und Unterrichtskonzepten für Fremdsprachen gehabt. Den stärksten Einfluss haben sie in der Erforschung und Formulierung von Erwerbssequenzen ausgeübt. In deutlichem Kontrast dazu haben sich seit den 1970er Jahren parallel verschiedene Forschungsrichtungen ausgebildet, die sich an die Valenzgrammatik, die Pragmalinguistik (Sprechakttheorie, Diskursanalyse), die funktionale Linguistik, die Textlinguistik und die Psycholinguistik und andere Kognitionswissenschaften anlehnen. Mit wenigen Ausnahmen ist es aber auch dieser Forschung nicht gelungen, nachhaltig auf die Lehr- und Lernpraxis einzuwirken. Unter den Versuchen einer systematischen Nutzung wissenschaftlicher Ergebnisse für die Entwicklung von Lehrmaterial und Lehrverfahren sind die folgenden zu nennen:

ein kurzlebiger Versuch, die Valenzgrammatik als Grundlage einer didaktischen Grammatik einzuführen (zum Beispiel das DaF-Lehrwerk Deutsch Aktiv)

die eklektische Nutzung von Elementen der pragmatischen Erwerbsforschung in der Lehrwerksproduktion (siehe die DaF-Lehrwerke Tangram, Schritte international)

die Berücksichtigung von Aspekten der Interkomprehensionsdidaktik in Lehransätzen (EUROCOMM)

die Gestaltung des Sprachunterrichts nach handlungstheoretischen und konstruktivistischen Prinzipien (Szenariendidaktik, fallbasiertes Lernen, Fachsprachenunterricht).

Fremdsprachenunterricht wird verbreitet noch als Domäne des Einzelerwerbs betrachtet. Die systematische Nutzung von Kenntnissen der Vorsprachen beim Erwerb weiterer Sprachen wird bisher nur ansatzweise bedacht und bearbeitet. In Begriffen wie Mehrsprachigkeitsdidaktik, Deutsch nach Englisch oder Interkomprehensionsdidaktik zeigen sich die Vorboten einer neuen Generation der Fremdsprachendidaktik, deren Grundlagen jedoch noch zu erarbeiten sind, wenn sie nicht bei kontrastiven Vergleichen verharren will.

Zur kognitiven Ausrichtung

Um zu verstehen, wie die Sprache überhaupt in den Köpfen der Lerner entsteht und sich weiter verändert – und darum geht es in dieser Buchreihe – sind Erkenntnisse aus verschiedenen Nachbardisziplinen der Sprachlehrforschung erforderlich. Die Neurolinguistik kann zum Beispiel darüber Aufschluss geben, welche Gehirnareale während der Sprachverarbeitung aktiviert werden und inwiefern sich die Gehirnaktivität von L1-Sprechern und L2-Sprechern voneinander unterscheidet. Durch die Nutzung bildgebender Verfahren lässt sich die sprachrelevante neuronale Aktivität sichtbar und damit auch greifbarer machen. Was können wir aber daraus für die Praxis lernen? Sollen Lehrer ab jetzt die Gehirnaktivität der Lerner im Klassenraum regelmäßig überprüfen und auf dieser Basis die Unterrichtsinteraktion und die Lernprogression optimieren? Dabei wird schnell klar, dass eine ganze Sprachdidaktik sich nicht allein auf der Basis solcher Erkenntnisse formulieren lässt. Dennoch können die Daten über die neuronale Aktivität bei sprachrelevanten Prozessen unter anderem die Modelle der Sprachverarbeitung und des mehrsprachigen mentalen Lexikons besser begründen, die sonst nur auf der Basis von behavioralen Daten überprüft werden. Ähnlich wie die Neurolinguistik stellt die kognitive Linguistik eine Referenzdisziplin dar, deren Erkenntnisse zwar für die Unterrichtspraxis sehr relevant und wertvoll sind, sich aber unter anderem aufgrund des introspektiven Charakters ihrer Methoden nicht direkt übertragen lassen. Die kognitive Linguistik erklärt nämlich die Sprache und den Spracherwerb so, dass sie mit den Erkenntnissen aus anderen kognitiv ausgerichteten Disziplinen vereinbar sind. So dienen kognitive Prinzipien wie die Metaphorisierung oder die Prototypeneffekte der Beschreibung bestimmter Sprachphänomene. Der Spracherwerb wird seinerseits durch allgemeine Lernmechanismen wie die Analogiebildung oder die Schematisierung erklärt.

Die kognitive Linguistik, die Psycholinguistik, die Neurolinguistik, die kognitiv ausgerichteten Kulturwissenschaften sind also Bezugsdisziplinen, die als Grundlage einer kognitiv ausgerichteten Sprachdidaktik fungieren. Sie sollen in den Bänden dieser Reihe soweit zum Tragen kommen, wie das nur möglich ist. Bei jedem Band stehen daher die Prozesse in den Köpfen der Lerner im Mittelpunkt der Betrachtung.

1.Mehrsprachigkeit

Zentraler Gegenstand dieses Bandes ist Mehrsprachigkeit als das Ergebnis von multiplem Spracherwerb, also Sprachenerwerb. Die Mehrsprachigkeitsforschung hat sich in den vergangenen Jahren von einer Bestimmung von Mehrsprachigkeit als die Muttersprachler ähnliche Beherrschung mindestens zweier Sprachen hin zu einer dynamischeren und vielfältigeren Betrachtung des Phänomens entwickelt. Unmittelbare Bedeutung für das Thema dieses Moduls haben vor allem funktionale Klassifizierungen mehrsprachiger Kompetenzen in Abhängigkeit vom Lern-, Arbeits- oder Erwerbsumfeld, von den kommunikativen Zielen und von der gewählten Sprachenfolge. Damit kann die unterschiedliche Ausprägung mehrsprachlicher Kompetenzen vor allem in Abhängigkeit von der kommunikativen Absicht und Reichweite (Zweck, Ziele) und unabhängig vom strukturellen Einfluss der Sprachen dargestellt werden. Die Dominanz einer Sprache lässt sich demzufolge funktional begründen, betrifft aber – anders als dies die früheren globalen Klassifizierungen getan haben – unter Umständen nur bestimmte Fertigkeitsbereiche und ist temporär.

In den folgenden Kapiteln erhalten Sie einen Einblick in das Phänomen der Mehrsprachigkeit aus mehreren Perspektiven. Zunächst geht es darum einzuführen, wie mehrere Sprachen in einzelnen Individuen, zwischen ihnen, in mehrsprachigen Gebieten und politischen Systemen koexistieren. Im Übergang zu Kapitel 2 fokussieren wir dann das Individuum. Nach einer Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen Mehrsprachigkeit und Migration in 2.1 wird in Lerneinheit 2.2 auf die Unterscheidung zwischen der inneren Mehrsprachigkeit, die sich auf die Beherrschung unterschiedlicher Register oder Varietäten einer Sprache bezieht, und der äußeren Mehrsprachigkeit, die dagegen Kenntnisse in unterschiedlichen Sprachen umfasst, eingegangen. Auf weitere Aspekte dazu wird später in Kapitel 6 genauer eingegangen. Dort erhalten Sie Gelegenheit, sich darüber Gedanken zu machen, wie schwierig es ist, einzelne Varietäten und Sprachen zu bestimmen und voneinander abzugrenzen. Davor aber beschäftigen Sie sich in Lerneinheit 2.3 sowie in Kapitel 3 und 4 mit verschiedenen dynamischen Modellen, die Mehrsprachigkeit als Ergebnis von Sprachenerwerb und Sprachenverarbeitung abbilden. Im Anschluss daran geht es in Kapitel 5 um Phänomene, die für den Sprachengebrauch von mehrsprachigen Individuen typisch sind: Code-Switching und Transfer. Kapitel 7 fokussiert dagegen die Entwicklung von Sprachen als Folge von Kommunikation in Sprachkontaktsituationen. Der Band schließt mit zwei Lerneinheiten zur Analyse von mündlichen und schriftlichen Lernersprachen und einem Überblick der empirischen Forschungsmethoden ab, die in diesem Forschungsfeld eingesetzt werden. Letzterer dient zur Reflexion der Komplexität des Untersuchungsgegenstands und zur kritischen Hinterfragung von Forschungsergebnissen und kann auch begleitend zur Darstellung von Forschungsergebnissen in den anderen Lerneinheiten gelesen werden. Eine umfassendere Darstellung relevanter Forschungsmethoden und Anleitungen zu deren Umsetzung finden Sie im Band »Propädeutikum«.

1.1Kognitive Aspekte

Kees de Bot (übersetzt von Simone Lackerbauer) & Jörg Roche

In der ersten Lerneinheit beschäftigen wir uns mit Mehrsprachigkeit aus kognitiver Sicht. Die wichtigsten Inhalte betreffen die Besonderheiten des Denkens und Handelns in mehr als einer Sprache. Welche Unterschiede bestehen zwischen der Sprachverarbeitung eines einsprachigen und eines mehrsprachigen Individuums? Soll Mehrsprachigkeit von Bilingualismus unterschieden werden? Was wissen wir über die Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Sprachen, die wir in unterschiedlichen Kontexten lernen und verwenden? Wir beginnen mit Erkenntnissen zur frühen und konsekutiven Mehrsprachigkeit sowie Forschungsdesiderata in diesen Bereichen. Im Anschluss daran gehen wir auf die aus kognitiver Sicht zentralen Aspekte von Sprachtrennung und Sprachenwahl ein und erschließen uns, wie sie im Rahmen der Subset-Hypothese modelliert werden. Dabei werden wir feststellen, dass aktuelle Erkenntnisse ein Umdenken von einem statischen hin zu einem dynamischen Modell von Mehrsprachigkeit verlangen.

 

Lernziele

In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie

mit dem Forschungsgegenstand der Mehrsprachigkeit vertraut gemacht werden;

die Unterschiede zwischen einsprachiger und mehrsprachiger Sprachverarbeitung erkennen;

sich mit Sprachwahl und Sprachtrennung beschäftigen;

den Unterschied zwischen statischen und dynamischen Modellen der Sprachverarbeitung erklären können.

1.1.1Mehrsprachigkeit definieren

Bevor wir in das Thema einsteigen, müssen wir innehalten und überlegen, was MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit eigentlich ist. Es gibt dazu eine Vielzahl an Definitionen (für eine ausführliche Abhandlung siehe Aronin & Singleton 2012), die sich über minimalistische (Ich kenne ein paar Wörter in einer anderen Sprache) bis hin zu maximalistischen Bestimmungen (Ich bin wie ein Muttersprachler in beiden Sprachen), und alles, was dazwischen liegt, erstrecken. Festzuhalten ist hier, dass das Konzept von Mehrsprachigkeit fest an jenes von Sprachkompetenz als das Beherrschen einer Sprache gekoppelt ist (dazu mehr in Lerneinheit 1.2). Forscher wie François Grosjean (1982), einer der führenden Köpfe im Bereich der Mehrsprachigkeitsforschung, vertreten die Ansicht, dass Mehrsprachigkeit nur auf Grundlage von Sprachgebrauch definiert werden kann. Seiner Ansicht nach ist jemand, der täglich mehr als eine Sprache verwendet, zwei- oder mehrsprachig. Das heißt, dass es in Ländern, wie zum Beispiel den Niederlanden, kaum einsprachige Einwohner gibt, da Englisch überall sehr präsent ist, vor allem in den Medien. Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage (Eurydice 2011) behaupten etwa 70 % der niederländischen Bevölkerung, dass ihre Kenntnisse des Englischen ziemlich gut seien. Für die deutsche Sprache sinkt die Zahl auf 35 % und für Französisch sind es nur noch etwa 20 %. Ob diese Umfragen repräsentativ sind, bleibt anzuzweifeln.

Weiterhin gilt es zu bedenken, ob ein Unterschied zwischen Zwei- und Mehrsprachigkeit gemacht werden sollte. De Bot und Jaensch (2015) haben unterschiedliche Studien dazu analysiert (linguistische, neurolinguistische, psycholinguistische) und festgestellt, dass die Behauptung, dass sich Sprachverarbeitung bei Zweisprachigen im Vergleich zu Mehrsprachigen fundamental unterscheide, empirisch nicht belegt ist. Nachfolgend werden wir immer die Bezeichnung Mehrsprachigkeit verwenden, wenn wir uns auf mehr als eine Sprache beziehen. Zur Abgrenzung der Sprachen benutzen wir die Abkürzung L1 für die chronologisch als erste gelernte Sprache und L2 für alle anderen.

1.1.2Grundlagen der psycholinguistischen Modellierung von Mehrsprachigkeit

Das Thema Mehrsprachigkeit wird häufig im Rahmen einer der folgenden Typologien behandelt (vergleiche dazu Bausch, Christ & Krumm 2007: 439ff):

(1)

Chronologie und Lebensalter des Erwerbs:

simultan oder sukzessiv

früh oder spät erworbene Mehrsprachigkeit

(2)

Domänenspezifische Fertigkeiten und Kompetenzen:

rezeptive oder produktive Kompetenzen

Kompetenzen in Teilfertigkeiten

(3)

Einfluss verschiedener Schwellen:

bildungs- versus alltagssprachliche Ausprägung der Sprachkompetenz

Semilingualität bei Nichterreichen der untersten Schwelle

(4)

Stärke der Ausprägung der beteiligten Sprachen:

stark oder schwach

dominant oder nicht dominant

additiv oder subtraktiv

symmetrisch, asymmetrisch oder ausgeglichen

(5)

Organisation:

kombiniert

koordiniert } den Kontrast zur Erstsprache

subordiniert

Bemerkenswert an diesen traditionellen Klassifizierungen ist, dass sie sich primär an externen (Alter, Strukturen der Sprachen) und globalen Kriterien der Kompetenzmessung und -organisation (Stärke, Organisation, Schwellen) orientieren und dabei nur am Rande auf die Qualität, Intensität und Dynamik der Mehrsprachigkeit und des Sprachenerwerbs Bezug nehmen (vergleiche Lanza 2009). Die Phase der frühen Mehrsprachigkeit ist dabei dominant in der Forschung vertreten, weil angenommen wird, dass man hier den Sprachenerwerb mit den geringsten Beeinflussungen beobachten und die Entwicklungen klaren Alterskriterien zuordnen kann. Diese Phase stellt trotz der Natürlichkeit der Bedingungen eigene Herausforderungen an die Forschung: Sprachliche und kognitive Entwicklung sind stark miteinander verwoben. Die Bedingungen der frühen mehrsprachigen Entwicklung sind daher nicht ohne weiteres auf den Sprachenerwerb allgemein zu übertragen. Eine der Kernfragen der Mehrsprachigkeitsforschung, nämlich wie die Sprachen untereinander organisiert oder voneinander getrennt sind und wie Hybridbildungen entstehen oder verhindert werden, lässt sich aus diesem Grund bisher nicht eindeutig beantworten.

1.1.3Frühe Mehrsprachigkeit

Von den Modellen, die sich an Alter und Chronologie des Mehrsprachigkeitserwerbs orientieren und seine frühen Phasen in den Blick nehmen, ist die Unitary-Language Hypothese eine der einflussreichsten Vertreterinnen. In dem Modell beschreiben Volterra und Taeschner (1978) den kindlichen doppelten Erstsprachenerwerb als dreiphasiges Modell eines gemeinsamen Sprachensystems (siehe auch Redlinger & Park 1980):

In the first stage the child has one lexical system which includes words from both languages. A word in one language almost does not have a corresponding word with the same meaning in the other language. […] As a result, words from both languages frequently occur together in two- to three-word-constructions. (Volterra & Taeschner 1978: 312)

In der ersten Phase, welche die Zeit vom Sprechbeginn (den ersten Lauten) bis zum Alter von ungefähr zwei Jahren umfasst, besitzt das Kind demnach ein einziges syntaktisches und lexikalisches System, das Elemente beider Sprachen beinhaltet. Die Phase zeichnet sich durch das Fehlen (oder nur in einer sehr begrenzten Zahl anwesender) intersprachlicher Äquivalente aus. Als Äquivalente werden solche Wörter bezeichnet, die eine identische Bedeutung haben, wie zum Beispiel deutsch Oma und italienisch nonna. Eine weitere Beobachtung, die Volterra und Taeschner (1978) als Beleg für ein eindeutig fusioniertes Lexikon werten, ist die unterschiedliche Häufigkeit von Äquivalenten in den beiden Sprachen. So ist es im Fall ihrer Tochter, bei der deutsch ja eine wesentlich höhere Frequenz aufweist als das italienische si. Auch gemischtsprachige Äußerungen, wie macchina kaputt – auto rotto, interpretieren die Autorinnen als Beleg für ein fusioniertes Lexikon. Eine alternative Sichtweise, der zufolge sich die Dominanz einer Sprache aufgrund funktionaler Bedingungen der Sprachenumgebung ergibt (Hauptsprachen der Bezugspersonen, Interessen, Kontexte), wird in der Studie nicht behandelt.

Mit dem Erwerb der ersten Synonyme beginnt nach Volterra und Taeschner (1978) die zweite Phase, nämlich die der Trennung der beiden lexikalischen Systeme. Kennzeichnend für diese vielschichtige Phase ist die zunehmende Etablierung zweier getrennter lexikalischer Systeme. Das Kind ist in der Lage, zwischen zwei Systemen zu unterscheiden, wobei es aber dieselben grammatikalischen Regeln auf beide anwendet. Es kann aber nicht immer eindeutig bestimmt werden, ob das Kind die Regeln von der L1 oder die von der L2 verwendet. Vielmehr zeigt sich, dass das Kind eigene Regeln schafft, die es für beide Sprachen gebraucht. Das Kind beginnt demnach zu unterscheiden, dass es für dieselben Objekte und Ereignisse ein Wort in der einen Sprache und ein Synonym in der anderen gibt. Sprachenmischungen treten in dieser Phase dennoch auf.

Die dritte Phase ist laut Volterra und Taeschner (1978) durch die Existenz von zwei syntaktischen Systemen charakterisiert. Hier vollzieht sich die Trennung der zwei Sprachen des bilingualen Kindes. Das Kind ist in der Lage, zwischen beiden Sprachen vollständig zu unterscheiden, sowohl in lexikalischer als auch in syntaktischer Hinsicht. Dabei nimmt die Komplexität der Syntax mit dem Erwerb zu. Die sprachspezifischen Konzepte von Satzkonstruktionen lassen sich in dieser Phase zum Beispiel in der Sequenz Artikel, Adjektiv und Substantiv in ein schönes Haus versus Artikel, Substantiv und Adjektiv in un sole giallo im Italienischen beobachten. Nach Volterra und Taeschner (1978: 312) ist das Kind erst am Ende der dritten Phase als wirklich zweisprachig zu bezeichnen, da es dann in der Lage sei, die Sprachen unabhängig von seinen jeweiligen Kommunikationspartnern zu benutzen. Die Beobachtungen von Volterra und Taeschner sind nicht ohne Nachfolger geblieben.

So geht auch Romaine (1995: 190) davon aus, dass Kinder, die gleichzeitig zweisprachig aufwachsen, am Anfang ein gemischtes (hybrides) Lexikon besitzen. Die Trennung der Sprachensysteme erfolge erst im Alter von circa zweieinhalb bis drei Jahren. Ein Kind steht demnach nicht nur vor der Herausforderung, die Sprachensysteme zu erwerben, sondern es muss vor allem lernen, seine beiden Sprachen getrennt verwenden zu können (pragmatische Kompetenz der language separation). Im Gegensatz zu diesem Modell geht Grosjean (1982) davon aus, dass das zweisprachige Kind anfänglich zwar ein einziges Regelsystem besitzt, dieses sich aber aus den Regeln der beiden Sprachen (additiv statt unitaristisch) zusammensetzt. Diese seien bereits verknüpft (vergleiche Grosjean 1982: 183). Eine genaue Unterscheidung, also die Separierung der Systeme dieser Sprachen trete demzufolge erst im Laufe der Entwicklung ein. Die dadurch entstehenden Sprachenmischungen im Sinne eines bilingualen Modus (bilingual mode) sind somit ein entwicklungsgemäßes Kennzeichen frühkindlicher Zweisprachigkeit. Dieser Standpunkt wird unter anderem auch von Kielhöfer und Jonekeit (1983: 65) übernommen, die die gemischten Sprachenelemente als naive Sprachenmischungen in der ersten Phase der Sprachenerwerbsentwicklung darstellen. Dass zweisprachige Kinder tatsächlich bereits in der Einwortphase (2. Lebensjahr) mit zwei Lexika operieren, zeigen weitere Untersuchungen (etwa Genesee 1989; Meisel 1989). Die wenigen Äquivalente, die in diesem Erwerbsabschnitt in beiden Sprachen anzutreffen sind, werden demnach als ein Beleg dafür gewertet, dass die Sprachen separat von Anfang an erworben werden und nicht aus einem hybriden Zustand entstehen. Diese Äquivalente zeigen, dass die Sprachen kommunikationsbezogen (komplementär) erworben und nicht parallel in allen Lebenssituationen gebraucht werden. Bereits in der lexikalischen Phase beginnt das Kind, die Laute der beiden Sprachen zu unterscheiden. Außerdem zeigt sich, dass beim Erscheinen der ersten Wortbildungen die morphologische Trennung der Systeme weitestgehend glückt, denn die zusammengesetzten Elemente stammen jeweils aus der gleichen Sprache und werden nicht interlingual gemischt und zu neuen Wörtern kombiniert. Auf syntaktischer Ebene ist nach Meisel (1989: 23) der Nachweis der frühen Sprachentrennung dadurch gegeben, dass Kinder bereits beim Auftreten von satzähnlichen Mehrwortkonstruktionen Wortstellungsmuster aus verschiedenen Sprachen anwenden. Ein Adverb am Anfang eines Satzes, das im Deutschen die Verbzweitstellung erfordert, wie etwa in hier lügt sie, kann in der L2 Polnisch eine variable Verbstellung bewirken, wie ona lez ˙y tutaj; tutaj lez ˙y ona oder ona tutaj lez ˙y. Im Englischen und Französischen steht das Verb dann normalerweise an dritter Stelle (here she is lying). Mehrsprachige Kinder berücksichtigen diese Unterschiede in den Sprachensystemen entsprechend, je nachdem welche Sprachen beteiligt sind. Das kann als ein weiteres Zeichen dafür gewertet werden, dass zweisprachige Kinder meistens schon vor dem zweiten Geburtstag beginnen, sich die Sprachregeln der beiden Sprachen zu eigen zu machen, unabhängig von der jeweils schon erworbenen Sprache.

1.1.4Konsekutive Mehrsprachigkeit

Poulisse (1997) betont, dass bei der Modellierung von konsekutiver Mehrsprachigkeit, bei der eine L2 zu einem Zeitpunkt gelernt wird, zu dem eine L1 bereits vorliegt, die folgenden Besonderheiten berücksichtigt werden müssen:

L2-Wissen ist normalerweise unvollständig. L2-Sprecher und -Sprecherinnen verfügen generell über weniger Wörter und Sprachregeln als L1-Sprecher und -Sprecherinnen. Das kann sie in ihren Formulierungen einschränken. Es kann dazu führen, dass sie Kompensationsstrategien anwenden oder dass sie Wörter oder Strukturen vermeiden, bei denen sie sich unsicher sind.

Die L2 ist weniger flüssig. Je nach Niveau und Kenntnissen der Lerner werden mehr Versprecher und Fehler gemacht. Theorien zu kognitiven Fähigkeiten, darunter Schneider und Shiffrin (1977) oder Andersons Modell zum adaptive character of thought (ACT) (1982), unterstreichen die Wichtigkeit der Entwicklung automatisierter Prozesse, die mühsam zu erlernen und schwer zu vergessen sind. Geringere Automatisierung bedeutet, dass der Ausführung spezifischer Aufgaben auf niedriger Ebene (also bei der Ausführung) mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Das führt zu einer Verlangsamung des Produktionsprozesses und zu einer größeren Anzahl von Versprechern, weil die begrenzten Aufmerksamkeitsressourcen für die Verarbeitung auf niedrigerer Ebene verbraucht werden müssen.

In der L2 sind oft Spuren der L1 zu finden. L2-Sprechern und -sprecherinnen steht in den meisten Fällen ein voll entwickeltes L1-System zur Verfügung und sie können, entweder beabsichtigt (funktionales Code-Switching) oder unbeabsichtigt (situationelles Code-Switching), zwischen den Sprachen wechseln. Ein Wechsel in die L1 kann beispielsweise von dem Wunsch motiviert sein, in Gesprächen Gruppenzugehörigkeit auszudrücken, an denen andere Mehrsprachige mit derselben L1 teilnehmen. Sie können auch unabsichtlich geschehen, wenn beispielsweise aus Versehen auf ein L1-Wort anstelle eines L2-Wortes zugegriffen wird. Poulisse und Bongaerts (1994) legen dar, dass solche unbeabsichtigten Wechsel in die L1 Substitutionen und Versprechern in monolingualer Sprache sehr ähneln (vergleiche die Diskussion solcher Phänomene nach Levelts Modell (1999) in Lerneinheit 4.1 im Band »Sprachenlernen und Kognition«; zu Code-Switching siehe auch Lerneinheit 5.1 in diesem Band). Sie werden je nach Sprachenkombination merken, dass Sie beim Wechsel von einer Sprache in die andere Mühe mit der normgerechten Realisierung bestimmter Laute haben, so zum Beispiel beim Rollen oder Nicht-Rollen des /r/ im Französischen oder Englischen oder eventuell bei der Positionierung von Adverbien und diskontinuierlichen Verbformen, und so weiter.

Poulisse (1997) behauptet, dass die unvollständige L2-Wissensbasis und das Fehlen von Automatisierung bei L2-Sprechern und -sprecherinnen mit bestehenden einsprachigen Produktionsmodellen, wie das von Levelt (1999), hinreichend erklärt werden können. Dagegen sei das Auftreten von L1-Spuren in der L2 für solche Modelle problematisch, was nach Paradis (1998) eine Anpassung bestehender Modelle erfordert.

Experiment

Suchen Sie sich einen einfachen Text mit circa 200 Wörtern heraus, der Ihnen in ihrer L1 und einer beliebigen, von Ihnen beherrschten L2 vorliegt. Nehmen Sie sich selbst dabei auf, während Sie den Text laut vorlesen. Versuchen Sie nun, den Sprachwechsel so durchzuführen, dass der Text zur Hälfte in der L1 und zur Hälfte in der L2 laut von Ihnen vorgelesen wird.

 

Fällt es Ihnen schwer? Warum? Erkennen Sie ein Muster in Ihrem Sprachwechsel? Was sind, hinsichtlich der Strukturen, Wortwahl und Geschwindigkeit sowie Fehlern, die wesentlichen Unterschiede zwischen der Umsetzung in Ihrer L1 und nach dem Wechsel in die andere Sprache?

Es ist anzunehmen, dass Muster der L1 in die L2 übertragen werden und, dass ähnliche Strukturen das Vorkommen von Code-Switching begünstigen. Sie konnten so vermutlich ein erstes Gefühl für die Permeabilität (Durchlässigkeit) zwischen den Sprachen entwickeln.

1.1.5Sprachtrennung und Sprachwahl

Bei der Betrachtung von Mehrsprachigkeit aus kognitiver Sicht müssen zwei zentrale Aspekte berücksichtigt werden:

Wie trennen Sprecher und Sprecherinnen ihre Sprachen?

Wie wählen sie eine Sprache?

Psycholinguistisch gesehen sind das Trennen von Sprachen und die Sprachwahl unterschiedliche Aspekte desselben Phänomens. In der Literatur wurde eine Vielzahl von Annahmen darüber getroffen, wie mehrsprachige Personen ihre Sprachen auseinanderhalten. Frühere Annahmen wurden zugunsten von Modellen aufgegeben, die auf Paradis Subset-Hypothese (Teilmengen-Hypothese) (2004) basieren.

Die Subset-HypotheseSubset-Hypothese (Teilmengen-Hypothese) wurde auf der Grundlage von Erkenntnissen aus der Aphasieforschung bei Mehrsprachigen formuliert. Nach ihr bilden Wörter (aber auch syntaktische Regeln und andere strukturelle Phänomene) aus einer bestimmten Sprache ein SubsetSubset des Gesamtinventars aller beherrschten Sprachen. Diese Subsets werden durch die Verwendung von Wörtern in bestimmten Situationen gebildet und aufrechterhalten. Wörter einer bestimmten Sprache werden in den meisten Situationen zusammen verwendet, aber in Situationen, in denen Code-Switching regelmäßig vorkommt, können Sprecher und Sprecherinnen ein Subset entwickeln, in dem Wörter aus mehr als einer Sprache vorkommen. Das Konzept eines Subsets im Wortschatz ist sehr kompatibel mit aktuellen Annahmen zu konnektionistischen Beziehungen im mentalen Lexikon (vergleiche Roelofs 1992). Jedes Subset kann unabhängig von den übrigen aktiviert werden. Einige (zum Beispiel Subsets aus typologisch verwandten Sprachen) können erhebliche Überschneidungen in Form von verwandten Wörtern aufweisen. Ein Beispiel eines Subsets könnte die Sprache der Briefmarkensammler sein: Sie verwenden spezifische Wörter für unterschiedliche Arten von Briefmarken, für die Qualität der Tinte und des Papiers, für die Herstellungsverfahren der Briefmarken und so weiter. Einem Außenseiter fällt es schwer, ihnen zu folgen, aber für Insider handelt es sich dabei um eine Art von Sprache, die ihrer Sache dienlich ist. Ein weiteres Beispiel kann die Entwicklung von Ethnolekten, einer Mischvarietät, die in mehrsprachigen urbanen Milieus entsteht, sein (siehe Kapitel 7 in diesem Band). Weil die Mitglieder der Gruppe bestimmte Wörter und Ausdrücke zusammen verwenden, werden sie zum Bestandteil dieses Subsets. Für diese Sprecher und Sprecherinnen stammen Wörter nicht aus der einen oder anderen Sprache, sondern gehören zu dem neuen, eigenständigen Teilsystem.

Ein großer Vorteil der Subset-Hypothese ist, dass das Set der lexikalischen und syntaktischen Regeln oder der phonologischen Elemente, aus denen eine Wahl getroffen werden muss, aufgrund der Tatsache, dass eine spezifische Sprache beziehungsweise ein spezifisches Subset ausgewählt wurde, drastisch reduziert wird. Wir behaupten, dass die Subset-Hypothese erklären kann, wie Sprachen auseinandergehalten werden können, aber nicht, wie die Wahl einer bestimmten Sprache erfolgt. Die Aktivierung eines sprachspezifischen Subsets wird die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Elemente aus diesem Subset ausgewählt werden, ist aber keine Garantie dafür, dass nur Elemente aus einer Sprache verwendet werden.

Gemäß der Subset-Hypothese verfügen mehrsprachige Sprecher über Einträge in ihrem mentalen Lexikon, die Lemmata und Lexeme umfassen und die sich nicht fundamental von jenen einsprachiger Sprecher und Sprecherinnen unterscheiden. Innerhalb jedes Verzeichnisses finden sich Subsets für unterschiedliche Sprachen, aber auch für unterschiedliche Varietäten, Stile und Register. Es wird vermutet, dass in unterschiedlichen Verzeichnissen Verbindungen zwischen den Subsets existieren. Das heißt zum einen dass, Lemmata, die ein Subset in einer bestimmten Sprache bilden, sowohl mit Lexemen als auch mit syntaktischen Regeln aus derselben Sprache verbunden sind und zum anderen bedeutet es, dass phonologische Regeln mit artikulatorischen Elementen aus dieser Sprache verknüpft sind. Diese Verbindungen werden so hergestellt, wie sich auch Verbindungen zwischen Elementen auf der Ebene der Lemmata entwickeln. Dies soll im Folgenden anhand von zwei Wortnetzen veranschaulicht werden. Das erste ist einsprachig (deutsch) und bildet die Verbindungen zwischen dem Lemma Krankenhaus und anderen Lemmata ab:

Abbildung 1.1:

Einsprachiges Netzwerk

Hierbei handelt es sich um ein sehr kleines Netzwerk, in dem die Aktivierung von Krankenhaus zur Aktivierung von Krankenschwester beziehungsweise Krankenpfleger und nachfolgend Arzt beziehungsweise Ärztin und Untersuchung führt. Eine weitere Verbindung existiert zwischen Krankenhaus und Bett, da die Assoziation zu einer stationären Aufnahme stark ist und dies wiederum eine Übernachtung voraussetzt. Es könnte auch eine aktivierende Verbindung zwischen Arzt und Bett bestehen, was aber nicht notwendigerweise sein muss, da dies von persönlichen Erfahrungen abhängt: Es ist möglich, dass für den Einzelnen der Besuch eines Arztes oder einer Ärztin nicht direkt dazu führt, dass er in einem Bett liegt.

Bei Abbildung 1.2 handelt es sich hingegen um ein etwas komplexeres Netzwerk mit Wörtern aus zwei Sprachen, nämlich Niederländisch und Englisch, deren Wörter Verbindungen aufweisen. Beachten Sie, dass es eine Verbindung zwischen den beiden Wörtern school gibt, die in den beiden Sprachen Kognaten (siehe Lerneinheit 4.2 im Band »Sprachenlernen und Kognition«) sind. Beachten Sie auch, dass teacher das Wort blackboard aktivieren kann, aber blackboard nicht unbedingt teacher aktiviert. Das bedeutet, dass zwischen Wörtern aus derselben Sprache Verbindungen entstehen, weil sie häufig zusammen verwendet werden, ebenso existieren Knotenpunkte zwischen Wörtern, die sich in den beiden Sprachen ähneln. Kulturspezifische Wörter wie zum Beispiel juf, was ursprünglich unverheiratete junge Frauen bezeichnete und in den Niederlanden heutzutage noch für Vorschullehrkräfte benutzt wird, finden zum englischsprachigen Netzwerk keine Verbindung. Das ist auf die unterschiedlichen Bildungskontexte zurückzuführen, die in den jeweiligen Ländern als Schule betrachtet werden. Eine detaillierte Beschreibung der Funktionsweise des multilingualen mentalen Lexikons finden Sie in Kapitel 4 im Band »Sprachenlernen und Kognition«.

Abbildung 1.2:

Mehrsprachiges Netzwerk

Wenn ein Subset im Wortschatz im Rahmen einer Gesprächssituation aktiviert wird, dann kann eine bestimmte Sprache aktiviert werden, aber auch ein Dialekt, ein Sprachregister, oder ein Sprachstil. Diese Subsets können sowohl top-down aktiviert werden (wenn ein Sprecher oder eine Sprecherin eine Sprache für eine Äußerung auswählt) als auch bottom-up (wenn die Sprache, die in der Umgebung verwendet wird, ein spezielles Subset triggert und aktiviert) (vergleiche de Bot 2004). Das Triggern erfolgt auf unterschiedlichen Ebenen: Laute, Wörter, Konstruktionen, aber vermutlich auch Gesten können ein Subset aktivieren. Interessant zu beantworten wäre an dieser Stelle die Frage, in welchem Maße es in gewöhnlichen Konversationen eine bewusste Entscheidung ist, dass ein spezielles Subset verwendet wird. Die Forschung zu AkkomodationsphänomenenAkkomodationsphänomene (Street & Giles 1982) zeigt, dass Gesprächspartner und -partnerinnen ihre Sprechstile einander anpassen, allerdings erfolgt dies größtenteils unbewusst. Dasselbe kann auch in mehrsprachigen Situationen geschehen, in denen viele unterschiedliche Faktoren bestimmen können, welcher der am besten geeignete Sprechstil ist.

1.1.6Vom statischen zum dynamischen Modell von Mehrsprachigkeit

Mehrsprachigkeit setzt den Gebrauch und somit die Beherrschung mehrerer Sprachen voraus. Aktuelle Erkenntnisse psycholinguistischer Forschung zur Mehrsprachigkeit weisen darauf hin, dass die folgenden Annahmen, die zum Beispiel im Rahmen strukturalistischer oder nativistischer Ansätze zur Beschreibung von Sprachkompetenz vertreten werden, nicht haltbar sind. Im Folgenden werden die überholten Annahmen wiedergegeben und im Anschluss kritisch reflektiert.

Sprachverarbeitung erfolgt modular: Sie wird von einer Anzahl kognitiver Module durchgeführt, die über eine eigene spezifische Ein- und Ausgabe (Input und Output) verfügen, die mehr oder weniger eigenständig funktioniert.

Sprachverarbeitung erfolgt inkrementell und es gibt kein internes FeedbackFeedback oder FeedforwardFeedforward.

Isolierte Elemente (Phoneme, Wörter, Sätze) werden erlernt, indem die übergreifende Linguistik und der soziale Kontext (ihr Kommunikationskontext) nicht berücksichtigt werden.

Die standardmäßige Sprechsituation ist der Monolog anstelle der Interaktion.

Die Sprachverarbeitung umfasst die Verarbeitung von unveränderlichen, statischen und abstrakten Repräsentationen.

Wegen dieser zugrundeliegenden Annahmen wurden bislang isolierte Elemente (Phoneme, Wörter, Sätze) untersucht, ohne dass der übergreifende linguistische und soziale Kontext berücksichtigt wird, dessen sie Bestandteil sind. Außerdem lag der Schwerpunkt auf Monologen anstelle von Interaktionen als standardmäßige Sprechsituation. Die Modelle sind daneben statisch und in einem stabilen Zustand, in denen Veränderungen im Laufe der Zeit keine Rolle spielen.

In den letzten Jahren haben sich jedoch neue Perspektiven auf die Kognition entwickelt, die zu einer anderen Sichtweise führten. Die wichtigste Entwicklung ist die Herausbildung einer dynamischen Perspektive auf die Kognition im Allgemeinen und auf die Sprachverarbeitung im Speziellen. Der wichtigste Grundsatz dabei lautet, dass jedes beliebige komplexe System (wie das mehrsprachige Gehirn) kontinuierlich mit seiner Umgebung interagiert und sich mit der Zeit kontinuierlich verändert. Dies führt mit sich, dass strukturalistische oder nativistische Betrachtungen von Sprachenerwerb nicht mehr haltbar sind. Van Gelder und Port beschreiben, wie sich eine dynamische Perspektive auf die Kognition von einer traditionelleren Sichtweise unterscheidet und abgrenzt:

The cognitive system is not a discrete sequential manipulator of static representational structures: rather, it is a structure of mutually and simultaneously influencing change. Its processes do not take place in the arbitrary, discrete time of computer steps: rather, they unfold in the real time of ongoing change in the environment, the body, and the nervous system. The cognitive system does not interact with other aspects of the world by passing messages and commands: rather, it continuously coevolves with them. (van Gelder & Port 1995: 3)

Zur Annahme der Stabilität von Repräsentationen in traditionellen Modellen, wurde bislang kaum geforscht. De Bot und Lowie (2010) berichten von einem Experiment, in dem eine einfache Benennungsaufgabe für hochfrequente Wörter gestellt wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass es sehr selten Übereinstimmungen zwischen den unterschiedlichen Sitzungen mit demselben Probanden beziehungsweise derselben Probandin und zwischen weiteren Probanden und Probandinnen gab. Anders ausgedrückt: Auf ein Wort, auf das in einer Sitzung schnell reagiert wurde, konnte in einer anderen Sitzung oder von einem anderen Probanden beziehungsweise einer anderen Probandin langsam reagiert werden. Das deutet auf eine Variation hin, die im Wortschatz vorgegeben ist und die aus der Interaktion und der Umstrukturierung von Elementen in Netzwerken resultiert. Elman (1995: 207) formuliert dies wie folgt:

We might choose to think of the internal state that the network is in when it processes a word as representing that word (in context), but it is more accurate to think of that state as the result of processing the word rather than as a representation of the word itself.

Zusätzliche Belege für die Veränderlichkeit von Wörtern und ihrer Bedeutung stammen aus einer Ereigniskorrelierten-Hirnpotenziale-Studie von Nieuwland und Van Berkum (2006) (vergleiche Lerneinheit 1.3 im Band »Sprachenlernen und Kognition«), die Daten für Sätze wie Die Erdnuss war verliebt mit Die Erdnuss war salzig verglichen. Diese Art der Abweichung führt normalerweise zu N400-Reaktionen, die, vereinfacht gesagt, beschreiben, wie leicht eine Information verarbeitet wird. Kommt es zu Komplikationen bei der Verarbeitung, beispielsweise aufgrund semantisch widersprüchlicher Informationen, ist der N400 Wert größer als bei semantisch unauffälligen Reizen. Im weiteren Verlauf der Studie erzählten sie den Probanden die Geschichte von einer Erdnuss, die sich verliebt. Nachdem sie diese Geschichte angehört hatten, verschwanden die N400-Effekte, was zeigt, dass die grundlegenden semantischen Aspekte von Wörtern durch Informationsvermittlung verändert werden können.

Traditionelle Modelle setzen Sprachkompetenz als inhärent, stabil und statisch voraus. Man könnte sagen, dass Zeit bei diesen Modellen keine Rolle spielt. Zeit vergeht während der Verarbeitung im System unter sehr strengen Vorgaben dazu, welche Elemente in einem bestimmten Moment in der Zeit zur Verfügung stehen sollten. Im Produktionsmodell bei Levelt (1999, siehe auch Lerneinheit 4.1 im Band »Sprachenlernen und Kognition«) werden zum Beispiel Konstruktionen durch die Aktivierung einer gewissen Anzahl an Vorgängen gebildet, so wie der Abgleich von Ergänzungen mit Verben (Subjekt und Objekt für transitive Verben und indirekte Objekte). Die Aktivierung der Wortform, die in den Slot einer Konstruktion passt, muss genau rechtzeitig stattfinden. Wenn ein Wort zu spät ankommt, bleibt der Slot leer und der Satz muss neu konstruiert werden. Zeit spielt dort bei den Repräsentationen und den Prozessen keine Rolle, da diese statisch sind, wenn sie einmal gebildet wurden. Wörter werden mehr oder weniger wie Bücher in einer Bibliothek wahrgenommen, sie werden herausgenommen und eingefügt. Wie wir später sehen werden, funktioniert diese Metapher einer Bibliothek bei einer dynamischen Auffassung von Sprache nicht. Wie die Theorie dynamischer Systeme (dynamic system theory) (siehe Lerneinheit 4.1) zeigt, ist die Auffassung von Sprachkompetenz als komplexes adaptives System dem Beschreibungsgegenstand angemessener (vergleiche die Diskussion bei Lowie & Verspoor 2011).

1.1.7Zusammenfassung

Grundlegende Annahmen des Ansatzes zur Informationsverarbeitung, in denen unsere derzeitigen Modelle der mehrsprachigen Verarbeitung verankert sind, müssen überprüft werden.

Es müssen Modelle, welche die dynamische Perspektive berücksichtigen, in der Zeit und Veränderung die Kernfragen darstellen, entwickelt werden.

Auf Dynamik basierende Modelle sollten folgende Aspekte beinhalten:

Berücksichtigung der Zeit als Kerneigenschaft: Sprachverwendung findet auf unterschiedlichen, aber miteinander interagierenden Zeitskalen statt.

Berücksichtigung von Repräsentationen, die nicht unveränderlich, sondern veränderbar und episodisch sind.

Berücksichtigung von Feedback- und Feedforward-Informationen anstelle eines strikt inkrementellen Prozesses.

Anerkennen, dass Sprachverwendung verteilt, situativ und verkörpert ist; deshalb sollten linguistische Elemente nicht in Isolation betrachtet werden, sondern in Interaktion mit den größeren Einheiten, derer sie Teil sind.

Anerkennen, dass Interaktion anstelle des Monologs der Schwerpunkt der Forschung ist.

1.1.8Aufgaben zur Wissenskontrolle

Welche Faktoren erwähnt Poulisse in ihrer Beschreibung des Fremdsprachenlerners als mehrsprachigen Sprecher oder mehrsprachiger Sprecherin, die bei einem mehrsprachigen Modell berücksichtigt werden müssen? Nennen und erläutern Sie diese.

Was versteht man unter der Subset-Hypothese?

Was sind die wesentlichen Kritikpunkte traditioneller Modelle?

Wodurch sind auf Dynamik basierende Modelle gekennzeichnet?

1.2Historische und kommunikative Aspekte

Jala Garibova (übersetzt von Simone Lackerbauer)

In der ersten Lerneinheit haben Sie bereits einen guten Eindruck gewinnen können, dass die Ambiguität in der Definition der Mehrsprachigkeit unter anderem mit dem zugrundeliegenden Bild von Sprache zu tun hat, das sich von einem statischen hin zu einem dynamischen und fragmentierten entwickelt (vergleiche auch Blommaert 2010: 197). Wie in Lerneinheit 1.1 gezeigt wurde, wird Sprache nicht länger als ein abstraktes System struktureller Regeln, Vokabeln und Lauten, sondern vielmehr als eine dynamische Ressource, die unterschiedliche kontextgebundene Bedürfnisse und Funktionen ihrer Nutzer und Nutzerinnen bedient, wahrgenommen. Dieser Wandel wirft eine Reihe von Fragen auf, die sich hauptsächlich damit beschäftigen, welche Art von Sprachverwendung und welche Stufe der Sprachkompetenz einen Sprecher oder eine Sprecherin mehrsprachig machen. Wie hoch sollte die Kompetenzstufe in der zweiten oder fremden Sprache sein, um jemanden als mehrsprachig einzustufen? Welche Aspekte der Sprachkompetenz sind ausschlaggebend? Um diese und weitere Fragen zu klären, werden wir uns nun mit dem Wesen der Mehrsprachigkeit, ihren Ausprägungen, ihren Determinanten und ihrer historischen Betrachtung beschäftigen.

 

Lernziele

In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie

die verschiedenen Formen von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit sowie Kriterien zu deren Bestimmung benennen können;

eigene Bestimmungen von mehrsprachigen Individuen, mehrsprachigen Gemeinschaften und mehrsprachigen Gesellschaften formulieren und begründen können;

die grundlegende kommunikative Funktion von Mehrsprachigkeit erkennen;