Mein größter Wunsch - Barbara O'Connor - E-Book

Mein größter Wunsch E-Book

Barbara O'Connor

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Beschreibung

Ein Wunder, das alles verändert … Ich kannte das Gefühl, eine Streunerin zu sein, mich nirgends willkommen zu fühlen. Und dieser Hund? Er war ein Kämpfer. Genau wie ich. Wir gehörten zusammen. In diesem Moment schwor ich mir eines: Ich würde ihn nicht im Stich lassen. Dieser Hund sollte mein Hund werden. Manchmal brauchen Wünsche nur Mut – und ein Herz, das an sie glaubt. Ein Herzenswunsch, eine unerwartete Begegnung und die bedingungslose Liebe zu einem Hund. Mein größter Wunsch ist eine zeitlose Geschichte, die großen und kleinen Träumern ab 9 Jahren die Kraft verleiht, unserer zerrütteten Welt Hoffnung zu schenken. - Einfühlsam und tiefgründig: Eine Geschichte rund um Freundschaft und Familie. Mit viel Herz und Gefühl beschreibt New-York-Times-Bestseller-Autorin Barbara O'Connor die tiefe Freundschaft zwischen einem Mädchen und einem Hund und die Bedeutung von Familie. - Wichtige Botschaft: Wünsche können durchaus wahr werden – man muss nur an sie glauben. - All-Age-Charakter: Die Themen Familie, Freundschaft, Haustier und Wünsche verbinden Generationen und schaffen ein Leseerlebnis für die ganze Familie. - #1 New York Times-Bestseller: Die Geschichte erobert die Herzen von Tierliebhabern auf der ganzen Welt.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 208

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für Monika, echte Freundin.

Kapitel  1

Kapitel  2

Kapitel  3

Kapitel  4

Kapitel  5

Kapitel  6

Kapitel  7

Kapitel  8

Kapitel  9

Kapitel  10

Kapitel  11

Kapitel  12

Kapitel  13

Kapitel  14

Kapitel  15

Kapitel  16

Kapitel  17

Kapitel  18

Kapitel  19

Kapitel  20

Kapitel  21

Kapitel  22

Kapitel  23

Kapitel  24

Kapitel  25

Kapitel  26

Kapitel  27

Kapitel  28

Kapitel  29

Kapitel  30

Kapitel  31

Ich blickte auf das Blatt auf meinem Tisch.

Auf das „Wer bin ich?“-Formular.

Ganz oben hatte Mrs. Willibey „Charlemagne Reese“ geschrieben.

Ich setzte ein fettes X auf „Charlemagne“ und schrieb stattdessen „Charlie“ drauf.

Mein Name ist Charlie. Charlemagne ist ein blöder Name für ein Mädchen, was ich meiner Mutter schon ungefähr eine Trilliarde Mal gesagt habe.

Ich schaute mich um und betrachtete all die Landeier um mich herum, die in ihren Arbeitsheften Matheübungen machten.

Meine beste Freundin Alvina hat mich vorgewarnt, dass es hier nur Landeier gibt.

„Du wirst Colby hassen“, hatte sie gesagt. „Da gibt es bloß Feldwege mit rotem Staub und Landeier.“ Sie hatte ihr seidiges Haar über die Schulter geworfen. „Und ich wette, die essen Eichhörnchen“, hatte sie hinzugesetzt.

Ich musterte die Brotdosen unter den Tischen rechts und links von mir und fragte mich, ob darin vielleicht Eichhörnchen-Sandwiches lagen.

Dann blickte ich wieder auf das Formular vor mir. Ich sollte den ganzen Kram ausfüllen, damit meine neuen Lehrer wussten, wer ich bin.

In die Zeile neben der Aufforderung Beschreibe deine Familie schrieb ich „mies“.

Was ist dein Lieblingsfach in der Schule? „Keins.“

Nenne drei deiner Lieblingsbeschäftigungen. „Fußball, Ballett, Prügeln.“

Zwei dieser Angaben waren gelogen, aber eine davon stimmte.

Ich prügelte mich gern.

Meine Schwester Jackie hatte Daddys tintenschwarzes Haar geerbt und ich sein unbeherrschtes Temperament. Wenn ich jedes Mal einen Penny bekäme, wenn jemand behauptet: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, wäre ich reich. Daddy prügelt sich so oft, dass man ihn „Klopper“ nennt. Tatsache ist, dass der alte Klopper genau jetzt, in dieser Minute, während ich hier in Colby, North Carolina, inmitten von Landeiern festsitze, mal wieder in Raleigh im Knast hockt. Und zwar wegen seiner Vorliebe für Prügeleien.

Ich brauche auch keine Kristallkugel, um zu wissen, dass Mama genau jetzt, in dieser Minute, im Bett liegt, die Vorhänge zugezogen und neben ihr auf dem Nachttisch leere Coladosen. Dort bleibt sie den ganzen Tag. Wenn ich da wäre, würde sie sich einen Dreck darum scheren, ob ich zur Schule gehe oder auf dem Sofa hocke, Fernsehen gucke und Kekse zum Mittagessen futtere.

„Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs“, meinte diese Sozialarbeiterin, als sie die Liste an Gründen herunterratterte, warum man mich in dieses abgeschiedene Nest am Hinterteil der Welt verfrachtete, zu zwei Leuten, die ich nicht einmal kannte. „Es ist besser, bei Angehörigen zu wohnen“, sagte sie zu mir. „Gus und Bertha gehören zur Familie.“

„Wie denn?“, fragte ich.

Sie sagte, dass Bertha Mamas Schwester sei und Gus ihr Ehemann. Sie sagte auch, dass sie keine Kinder hatten und mich mit Freude aufnehmen würden.

„Aber wieso darf meine Schwester zu Carol Lee ziehen?“, fragte ich ungefähr eine Million Mal. Carol Lee ist Jackies beste Freundin. Sie wohnt in einem schicken Backsteinhaus mit einem Swimmingpool. Ihre Mama steht jeden Morgen auf und niemand nennt ihren Daddy „Klopper“.

Die Sozialarbeiterin meinte, dass Jackie ja praktisch schon erwachsen sei und in ein paar Monaten die Highschool abschließen würde.

Als ich ihr erklärte, dass ich auch kein Baby mehr war, da seufzte sie, lächelte gekünstelt und sagte: „Charlie, du musst für eine Weile bei Gus und Bertha wohnen.“

Ich hatte diese Leute nie zuvor gesehen und jetzt sollte ich bei ihnen wohnen? Als ich fragte, wie lange ich dort bleiben müsste, meinte sie, bis alles geregelt sei und Mama wieder festen Boden unter den Füßen hätte.

Also echt, wie schwer kann das denn sein? Festen Boden gibt es doch überall! – Genau das dachte ich darüber.

„Du brauchst geordnete Familienverhältnisse“, sagte sie zu mir. Aber was sie damit eigentlich ausdrücken wollte, war: „Du brauchst eine Familie, die nicht so kaputt ist wie deine.“

Ich jammerte und protestierte, jammerte und protestierte und trotzdem hocke ich jetzt in Colby, North Carolina, und starre auf dieses „Wer bin ich?“-Formular.

„Bist du fertig, Charlemagne?“ Ganz plötzlich stand Mrs. Willibey neben mir.

„Ich heiße Charlie“, erwiderte ich und ein Junge mit fettigen Haaren in der ersten Reihe stieß ein prustendes Lachen aus. Ich starrte ihn mit meinem berüchtigten bösen Blick an, bis er verstummte und rot wurde.

Ich reichte Mrs. Willibey das Blatt und sah, wie ihre Augen darüber hinweghuschten. Sie bekam rote Flecken am Hals und ihre Mundwinkel zuckten. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, ging sie nach vorn zu ihrem Pult und ließ das Papier darauffallen wie eine heiße Kartoffel.

Ich sackte auf meinem Stuhl zusammen und wischte mir die schweißnassen Handflächen an meiner Shorts ab. Es war erst April und trotzdem schon so heiß wie in einem Backofen.

„Soll ich dir damit helfen?“ Der Junge vor mir deutete auf das Blatt mit den Matheaufgaben auf meinem Tisch. Er hatte rote Haare und trug eine Brille mit einem hässlichen schwarzen Rahmen.

„Nein“, antwortete ich.

Er zuckte mit den Schultern, holte einen Bleistift aus seinem Tisch und ging nach vorn zum Spitzer.

Hoch.

Runter.

Hoch.

Runter.

So ging er.

Als ob ein Bein kürzer wäre als das andere.

Und er zog einen Fuß nach, sodass sein Sneaker über den Boden quietschte.

Ich schaute auf die Uhr.

Verdammt! Ich hatte 11:11 Uhr verpasst.

Ich habe eine Liste von allen möglichen Gelegenheiten, bei denen man sich etwas wünschen darf. Wie zum Beispiel, wenn man ein weißes Pferd sieht oder die Schirmchen von einer Pusteblume abbläst. Um Punkt 11:11 Uhr auf die Uhr zu schauen, steht auch auf meiner Liste. Das hatte mir ein alter Mann erzählt. Er war der Besitzer eines Angelladens an dem See, wo Klopper und ich früher angeln waren. Und weil ich jetzt 11:11 Uhr verpasst hatte, musste ich eine andere Möglichkeit finden, mir meinen Wunsch für den heutigen Tag zu sichern. Seit dem Ende der vierten Klasse hatte ich keinen einzigen Tag ohne Wunsch verbracht und damit wollte ich jetzt ganz bestimmt nicht anfangen.

Da nickte Mrs. Willibey dem rothaarigen Jungen zu, der seinen Bleistift spitzte, und sagte: „Howard, wie wäre es, wenn du eine Weile Charlies Klassenpartner wärst?“

Mrs. Willibey erklärte mir, dass alle neuen Kinder an der Schule einen Klassenpartner bekommen, der sie herumführt und ihnen die Regeln erklärt, bis sie sich eingewöhnt haben.

Howard grinste und meinte: „Klar, Mrs. Willibey.“ Und damit hatte ich einen Klassenpartner, ob ich wollte oder nicht.

Der Rest des Nachmittags schleppte sich dahin. Ich hielt es kaum noch aus. Ich starrte aus dem Fenster, während die anderen Kinder abwechselnd mit ihren Sozialkunde-Projekten prahlten. Es nieselte und dunkelgraue Wolken brauten sich über den Berggipfeln in der Ferne zusammen.

Als die Schulglocke endlich läutete, schoss ich aus dem Klassenzimmer, geradewegs zum Bus. Ich drängte mich durch den Gang bis ganz nach hinten, wo ich mich auf einen Sitz in der letzten Reihe fallen ließ. Meine Augen hefteten sich auf einen eingetrockneten Kaugummi, der auf der Rückenlehne des Sitzes vor mir klebte, während ich Lasergedanken durch den Bus strahlte.

Setz dich nicht neben mich.

Setz dich nicht neben mich.

Setz dich nicht neben mich.

Wenn ich schon in einem Bus mit lauter Kindern fahren musste, die ich nicht kannte, wollte ich wenigstens meine Ruhe haben und allein sitzen.

Meine Lasergedanken schienen zu funktionieren, weshalb ich den Blick von dem Kaugummi hob und aus dem Fenster schaute.

Der rothaarige Junge mit dem Hoch-Runter-Gang eilte zum Bus, wobei sein Rucksack bei jedem Schritt gegen seinen Rücken schlug.

Als er einstieg, richtete ich meinen Blick blitzschnell zurück auf den Kaugummi und sendete wieder meine Lasergedanken.

Aber dieser Junge kam einfach schnurstracks durch den Gang zu mir und ließ sich neben mich auf die Bank fallen.

Dann hielt er mir seine Hand hin und sagte: „Hallo, ich bin Howard Odom.“ Er schob seine hässliche schwarze Brille nach oben und setzte hinzu: „Dein Klassenpartner.“

Also echt, in unserem Alter schüttelt man sich doch nicht die Hände! Jedenfalls macht das niemand, den ich kenne.

Seine Hand blieb ausgestreckt und er starrte mich so lange an, bis ich nicht mehr anders konnte: Ich nahm seine Hand und schüttelte sie.

„Charlie Reese“, sagte ich.

„Woher kommst du?“

„Raleigh.“

„Warum bist du hier?“

Der war aber ziemlich neugierig. Ich dachte, dass er mich vermutlich ganz schnell in Ruhe lassen würde, wenn ich ihm einfach die knallharte Wahrheit erzählte. Vielleicht wollte er dann auch nicht mehr mein Klassenpartner sein.

„Mein Daddy ist im Knast und meine Mama liegt den ganzen Tag im Bett“, antwortete ich.

Der Junge zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Warum ist er im Gefängnis?“

„Weil er sich geprügelt hat.“

„Warum?“

„Was meinst du?“

Er wischte sich die beschlagenen Brillengläser am Saum seines T-Shirts sauber. Sein Gesicht war in der feuchten Hitze des Busses rosarot geworden. „Warum hat er sich geprügelt?“

Ich zuckte mit den Schultern. Niemand wusste, warum Klopper sich prügelte. Außerdem gab es wahrscheinlich noch andere Gründe für seinen Aufenthalt im Knast, aber mir erzählte ja niemand was.

„Gus und Bertha haben meiner Mama erzählt, dass du kommst. Sie gehen in unsere Kirche und ich habe ihnen einmal eine Katze geschenkt“, sagte Howard. „Eine magere Katze, die sich unter unserer Veranda versteckt hatte.“

Und dann erzählte er, wie Gus ihm beigebracht hatte, eine Schleuder zu bauen, und dass Bertha manchmal im Sommer eingelegtes Gemüse an der Straße verkaufte. Dass seine Mama einmal mit ihrem Auto im Graben neben der Einfahrt von Gus und Bertha gelandet war und Gus sie mit seinem Traktor wieder herausgezogen hatte und sie danach Steaksandwiches im Garten gegessen hatten.

„Bei ihnen zu wohnen, wird dir bestimmt gefallen“, sagte er.

„Ich wohne nicht bei ihnen“, gab ich zurück. „Ich gehe wieder nach Raleigh.“

„Oh.“ Er schaute auf seine sommersprossigen Hände in seinem Schoß. „Und wann?“

„Wenn meine Mama wieder festen Boden unter den Füßen hat.“

„Wie lange dauert das?“

Ich blickte aus dem Fenster. „Nicht lang.“

Aber der Knoten in meinem Magen verriet mir, dass das eine Lüge war. Und die Angst, die mein Herz umklammerte, ließ mich ahnen, dass meine Mama womöglich nie wieder festen Boden unter die Füße bekommen würde.

Während der Bus vom Parkplatz und in Richtung Stadt fuhr, ratterte Howard eine Liste mit Busregeln herunter. Man durfte keine Sitzplätze freihalten. Keinen Kaugummi kauen. Nicht auf die Sitzlehnen kritzeln. Nicht fluchen. Ein Haufen Regeln, die außer Howard bestimmt niemand befolgte.

Ich schaute aus dem Fenster. Colby bot einen erbärmlichen Anblick. Eine Tankstelle. Eine Wohnwagensiedlung. Ein Waschsalon. So was konnte man kaum Stadt nennen, wenn du mich fragst. Weder ein Einkaufszentrum noch ein Kino. Nicht einmal ein chinesisches Restaurant.

Kurz darauf fuhr der Bus den Berg hinauf. Es hatte aufgehört zu regnen und Dampfwolken stiegen wabernd vom Asphalt auf. Die enge Straße schlängelte sich hierhin und dorthin und rundherum. Hin und wieder hielt der Bus an und irgendein Kind stieg vor einem jämmerlichen Haus aus, dessen Vorgarten nur aus roter Erde bestand. Wir waren fast bei Gus und Bertha angelangt, als der Bus wieder stoppte und Howard sagte: „Bis dann.“

Ein weiterer, jünger aussehender rothaariger Junge stieg zusammen mit ihm aus. Ich sah, wie sie über den mit Unkraut überwucherten Vorplatz zum Haus gingen. Fahrräder, Skateboards, Fußbälle und Sneaker markierten den Weg von der Haustür bis zur Straße. Ein Gartenschlauch führte von einem tropfenden Hahn bis zu einem Loch im Garten. Ein kleiner Junge mit einem schmutzigen Gesicht warf Steine in das Loch, woraufhin schlammiges Wasser aufspritzte.

Howard winkte, als der Bus erneut anfuhr, aber ich wandte meinen Blick wieder dem angetrockneten Kaugummi zu.

Als wir endlich vor der langen Schottereinfahrt zu Gus’ und Berthas Haus standen, stieg ich aus und sah dem Bus nach, der um die Biegung der Straße hinter einem Feld mit hoch aufschießendem Möhrengrün verschwand. Ich wollte gerade zum Haus gehen, als ich im Straßenschlamm etwas Glänzendes entdeckte.

Einen Penny!

Ich bückte mich und hob ihn auf. Dann schleuderte ich ihn so weit weg, wie ich konnte, und wünschte mir etwas, bevor der Penny wieder auf dem Boden aufprallte und in den Wald hüpfte.

So! Da war er, der Wunsch für den heutigen Tag.

Vielleicht würde er diesmal in Erfüllung gehen.

Ich trottete die lange Einfahrt hinauf, sprang über Pfützen mit schlammigem Regenwasser und fragte mich, was Jackie jetzt gerade tat. Wahrscheinlich rauchte sie mit irgendeinem Jungen auf dem Parkplatz vom Piggly Wiggly gegenüber der Highschool eine Zigarette. Alle halten meine Schwester für einen vom Himmel gesandten Engel, aber ich weiß es besser.

Als Gus’ und Berthas Haus schließlich vor mir auftauchte, blieb ich stehen. Ich war schon seit vier Tagen hier, aber ich hatte mich immer noch nicht an den Anblick gewöhnt. Das Haus klebte buchstäblich am Berghang. Der vordere Teil saß auf festem Boden, umgeben von blühenden Sträuchern. Aber die Rückseite stand auf Stelzen, die in den steilen Berg eingelassen waren. Auf den Stelzen ruhte eine winzige Veranda mit zwei Schaukelstühlen und Blumenkästen voller blühender Pflanzen hingen am Geländer.

An meinem ersten Abend in Colby hatte Gus nach dem Abendessen einen Küchenstuhl für mich dort hinausgestellt. Bertha hatte sich eine Million Fragen überlegt. Was mein Lieblingsfach in der Schule war und ob ich eine Glückszahl hatte. Ob ich Lust hatte, mal im Jugendclub schwimmen zu gehen, und ob ich gekochte Erdnüsse mochte. Aber ich murmelte nur vor mich hin und zuckte mit den Schultern, bis sie es aufgab. Ich war viel zu sauer, um zu reden. Was sollte ich hier auf dieser Veranda mit diesen Leuten, die ich nicht kannte? Ich hatte das Gefühl, irgendwo im Straßengraben abgeladen worden zu sein, wie ein Sack mit ungewollten Kätzchen. Also saßen wir zu dritt schweigend da und sahen zu, wie die Sonne hinter dem Berg versank und die Glühwürmchen zwischen den Kiefern aufblinkten.

Ich hatte drei Tage lang versucht, Gus und Bertha einzureden, dass es blöd wäre, wenn ich zur Schule gehen würde, weil doch sowieso bald Sommerferien waren. Aber bevor ich wusste, wie mir geschah, saß ich in einem Bus mit lauter Landeiern auf dem Weg zur Schule.

„Hallo“, rief mir Bertha von der Haustür entgegen, während ich durch den Hof ging. Eine dicke orange Katze schoss hinter dem Gartenschuppen hervor und trottete neben mir her. Gus und Bertha hatten einen Haufen Katzen, die unter der Veranda schliefen, sich auf Fensterbänken sonnten oder im Garten Bienen jagten.

Ich ging ins Haus und warf meinen Rucksack auf Gus’ abgewetzten Lehnsessel. Der Duft nach warmem Zimt zog durch die Küchentür.

„Ich habe Kaffeekuchen gebacken“, sagte Bertha. „Warum der wohl Kaffeekuchen heißt? Ist doch kein Krümelchen Kaffee drin!“ Sie hielt die Tür auf, um die Katze hineinzulassen. „Ach, ich weiß. Wahrscheinlich, weil man Kaffee trinken soll, wenn man ihn isst. Was meinst du? Na ja, ist ja auch egal, oder?“

Vom ersten Augenblick an war mir klar gewesen, dass Bertha ein Plappermaul war. Nicht so wie ihre Schwester, meine Mama, die manchmal tagelang kaum ein Wort sprach. Ich war überrascht gewesen, wie ähnlich sie einander sahen. Das gleiche mausbraune Haar. Die gleichen langen, dünnen Finger. Selbst die gleichen Falten seitlich des Mundes.

Ich saß am Küchentisch und sah zu, wie Bertha ein dickes Stück Kaffeekuchen abschnitt und es mit einer Serviette vor mich hinlegte. Dann zog sie einen Stuhl dicht an meinen und sagte: „Und jetzt erzähl mir von deinem ersten Schultag. Ich will alles wissen. Über deine Lehrer. Die anderen Kinder. Wie dein Klassenzimmer aussieht. Was du zu Mittag gegessen hast. Wie du die Pause verbracht hast. Jede Kleinigkeit.“

„Ein Mädchen hat ein Eichhörnchen-Sandwich gegessen“, erwiderte ich.

Berthas Augenbrauen schossen in die Höhe. „Ein Eichhörnchen-Sandwich? Bist du sicher?“

Ich leckte mir über die Fingerspitze, die ich dann auf die Serviette drückte, um die Kaffeekuchenkrümel aufzusammeln. Ich nickte, sah sie aber nicht an, während ich sagte: „Ganz sicher.“

Ein kleiner grauer Kater saß auf der Arbeitsplatte und putzte sich. Ich fragte mich, ob das der Kater war, den Howard ihnen geschenkt hatte. Bertha hob ihn hoch und küsste ihn auf den Kopf. „Charlie will keine Katzenhaare in ihrem Kuchen, Walter.“ Dann setzte sie ihn sanft auf dem Linoleumboden ab. Sein Schwanz zuckte, als er eine Linie aus winzigen Ameisen beobachtete, die unter dem Spülbecken hervor bis zu einem dunklen klebrigen Fleck neben dem Herd marschierten.

„Und in meiner Klasse gibt es einen Hoch-Runter-Jungen“, sagte ich.

Bertha legte den Kopf schräg. „Was in drei Kuckucks Namen ist denn ein Hoch-Runter-Junge?“ Sie knipste mit den Fingernägeln ein braunes Blatt von einer Pflanze auf dem Fenstersims und steckte es in ihre Tasche.

„Dieser Howard, der hoch- und runtergeht, so.“ Ich lief wie Howard um den Küchentisch herum.

„Howard Odom“, erwiderte Bertha. „So ein lieber Kerl. Ein Herz aus Gold hat dieser Junge. Verzieht keine Miene, wenn die anderen Kinder sich über ihn lustig machen und ihn Pogo nennen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Kinder können manchmal so gemein sein.“

„Pogo?“

„Ja, du weißt schon, wie ein Pogo-Stick, so ein Springstock zum Hüpfen.“

„Er sollte ihnen mal eins aufs Maul geben“, sagte ich. „Das würde ich jedenfalls machen.“

Bertha schaute mich mit großen Augen an und schüttelte dann den Kopf.

„Nicht Howard. Der würde keiner Fliege was zuleide tun. Alle Odoms sind so. Gutmütig. Seine Brüder sind manchmal ein bisschen wild. Aber lieb.“ Sie fegte die Krümel vom Tisch und warf sie in die Spüle. „Erst letzte Woche waren drei der Jungs hier und haben Gus geholfen, die Bretter der Veranda auszuwechseln, die von den Termiten angefressen waren. Und sie wollten keinen Penny dafür haben. Wir haben ihnen einen Sack Rüben mitgegeben, worüber sie sich sehr gefreut haben.“

Rüben? Kids, die sich über einen Sack mit Rüben freuten, hatten nicht mehr alle Tassen im Schrank, wenn du mich fragst.

Bertha setzte sich neben mich an den Tisch. „Und was noch?“, fragte sie. „Erzähl mir mehr von der Schule.“

Ich zuckte mit den Schultern. Ich würde ihr weder von dem „Wer bin ich?“-Formular erzählen, das wie eine heiße Kartoffel auf Mrs. Willibeys Pult gefallen war, noch die Tatsache, dass Howard mein Klassenpartner war. Und so sagte ich: „Sonst nichts.“

„Nichts?“

„Nö.“

Bertha schlug mit der flachen Hand auf den Küchentisch. „Fast hätte ich’s vergessen. Ich habe etwas für dich.“ Sie bedeutete mir, ihr durch den Flur in das winzige Gästezimmer zu folgen, in dem ich schlief.

„Ta-da!“ Sie streckte ihren Arm zur Seite und grinste.

Ich folgte ihrem Blick zu dem schmalen Bett in der Ecke. An der Wand lehnten zwei rosa Kissen mit Cinderella-Motiven darauf.

„Mir ist heute Morgen aufgefallen, dass es hier überhaupt nicht aussieht wie im Zimmer eines kleinen Mädchens“, erklärte Bertha. „Also bin ich zu dem Discounter in der Stadt gegangen und habe diese Kissenbezüge gekauft. Ich wollte eigentlich auch eine passende Tagesdecke holen, aber die gab es nur für Doppelbetten. Die hatten noch so einen flauschigen pinken Teppich, der gut hier reinpassen würde, aber dafür muss Gus vorher den Schreibtisch verrücken. Und ich weiß ja, ich muss unbedingt meine Einmachgläser hier rausräumen und diesen alten Fernseher, der funktioniert ja sowieso nicht mehr, aber …“

Sie plapperte immer weiter und weiter, aber ich hörte gar nicht zu. Cinderella-Kissen? Was sollte das? Ich war schließlich nicht mehr fünf, sondern fast elf. Sie kannte sich mit Kindern echt nicht aus.

Am Nachmittag rief Jackie aus Raleigh an. Sie erzählte mir, dass Carol Lees Cousine zu Besuch da gewesen war und ihr einen Kaschmirpullover geschenkt hatte, den sie nicht mehr trug. Und Carol Lees Papa brachte ihr das Autofahren bei, was Klopper ja nicht hinkriegte. Sie meinte, sie spiele mit dem Gedanken, sich blaue Strähnen zu färben, und dass ein Junge namens Arlo sie zu einem NASCAR-Autorennen mitnehmen würde. Sie war so sehr damit beschäftigt, mir von ihrem tollen Leben zu erzählen, dass sie mich nicht ein einziges Mal fragte, wie es in Colby war, mit all den Landeiern, die Eichhörnchen aßen. Als wir aufgelegt hatten, ging ich in mein Zimmer, plumpste auf die Cinderella-Kissen und versank in Selbstmitleid. Wie konnte Jackie nur so glücklich sein? Es sah fast so aus, als ob ich ihr mittlerweile völlig egal war.

Klopper war ich wahrscheinlich auch egal. Er war bestimmt auch total glücklich, weil er hinter diesem hohen Zaun im Bezirksgefängnis in aller Ruhe Basketball spielen konnte, ohne mich, die hoch oben auf diesem Berg festsaß, mit einer Horde Katzen und Leuten, die ich nicht kannte. Und ich wusste mit absoluter Sicherheit, dass meine Mama keinen einzigen Gedanken an mich verschwendete, während sie mit roten Augen und hängenden Schultern in ihrem Bademantel durch das Haus schlurfte.

Ich würde heute Abend garantiert auf die Veranda gehen und auf den ersten Stern am Himmel warten, damit ich meinen Wunsch wiederholen konnte. Vielleicht waren zwei Wünsche pro Tag die Lösung.

An diesem Abend auf der Veranda mit Gus und Bertha sah ich den ersten Stern über den Baumwipfeln aufblitzen. Ich kniff die Augen zu und wünschte wie verrückt.

„Wünschst du dir was?“, fragte Gus.

Ich fühlte, wie ich rot wurde. „Nein.“

Bertha stupste Gus an. „Erzähl ihr doch, wie du dir gewünscht hast, dein Onkel Dean würde verschwinden, und er dann tatsächlich verschwunden ist.“

Gus schlug spielerisch mit der Hand nach ihr. „Ach komm, Bertie. Diese langweilige alte Geschichte will sie doch bestimmt nicht hören.“ Er schaukelte in seinem Schaukelstuhl, woraufhin der Verandaboden knarrte und ächzte.

Während Bertha am laufenden Band quasselte und keine Minute still sitzen konnte, war Gus wortkarg und entspannt. Was er tat, tat er ruhig und bedächtig. Er trug den ganzen Tag und auch die halbe Nacht lang eine Baseballkappe, unter der seine zotteligen braunen Haare kreuz und quer hervorlugten. Der Schirm der Kappe hatte sich von Schmutz und fettigen Fingerspuren dunkelbraun gefärbt.

„Das da ist Pegasus“, sagte er und deutete auf einen Sternenhaufen, der über den Bergen in der Ferne hing.

„Gus hätte Wissenschaftler werden sollen“, meinte Bertha. „Er kann dir alles erzählen, was du wissen willst, über die Sterne und die Luft und die Pflanzen und das Wasser und das Wetter und überhaupt alles.“

„Pfft!“, machte Gus.

„Er denkt, dass ich ihn wegen seines guten Aussehens geheiratet habe.“ Bertha zwinkerte mir zu. „Aber ich habe es gemacht, weil er so klug ist.“

Gus lachte.

Und dann geschah etwas ganz und gar Erstaunliches. Beide streckten gleichzeitig die Hände nacheinander aus und verschränkten die Finger. Es war, als hätte jemand gesagt: „Okay, ich zähle bis drei und dann haltet ihr Händchen.“ Ich habe noch nie in meinem Leben erlebt, dass Klopper und Mama sich an den Händen gefasst hätten. Tatsache ist, dass sie sich meistens nicht mal ansehen.

Ich betrachtete Gus und Bertha, die dasaßen und in den Nachthimmel blickten, die Mundwinkel zu einem zufriedenen Lächeln nach oben gezogen. Hin und wieder blickte Bertha verträumt zu Gus hin, als ob er ein Filmstar wäre und nicht irgendein zottelhaariger Typ, der in einer Matratzenfabrik arbeitete.

Wir blieben draußen, bis es wieder anfing zu nieseln. Es war ein weicher, kalter Regen, der die Katzen zu unseren Füßen in Windeseile ins Haus trieb.

Als ich an diesem Abend ins Bett ging, wirbelten die Gedanken in meinem Kopf herum. Ich dachte an Klopper, der im Bezirksgefängnis schnarchte, und an Mama, die in ihrem dunklen Schlafzimmer an die Decke starrte. Ich dachte an Jackie, die im Flüsterton mit Carol Lee Klatsch und Tratsch austauschte und sich die Zehennägel lackierte. Ich dachte an Howard Odom mit seinem Hoch-Runter-Gang und seiner gutherzigen Familie. Und ich dachte an Gus und Bertha, die unter dem Leuchten von Pegasus Händchen hielten. Und dann dachte ich an meine eigene, bemitleidenswerte Person, wie ich hier lag und mich fragte, ob mein Wunsch jemals in Erfüllung gehen würde.

Am nächsten Tag zog ich Jackies alte weiße Tanzstiefel an. Ich bemerkte meinen Fehler in dem Moment, in dem ich in den Bus einstieg. Als ich durch den Gang nach hinten marschierte, deuteten ein paar Mädchen auf meine Stiefel und kicherten und flüsterten miteinander. Ich fühlte, wie mein Gesicht heiß wurde, und blickte sie böse an. Howard winkte und bedeutete mir, mich neben ihn zu setzen, aber ich ließ mich auf den Sitz hinter ihm fallen.

Den Morgen verbrachte ich damit, meinen Arm mit einem blauen Filzstift zu bemalen und so zu tun, als würde ich lesen. In der Pause versuchte Howard verzweifelt, mich zu überreden, mir von ihm die Schule zeigen zu lassen.

„Ich bin dein Klassenpartner, das weißt du noch, oder?“, sagte er.

Ich schüttelte den Kopf. „Vergiss es“, erwiderte ich. „Kein Interesse. Außerdem bleibe ich nicht lange.“

„Warum nicht?“

Ich verdrehte die Augen. „Das habe ich dir doch gesagt! Ich fahre nach Raleigh zurück.“

„Aber was, wenn deine Mama keinen festen Boden unter die Füße bekommt?“, fragte er.

Was für eine blöde Frage war das denn? Ich stapfte davon und hockte mich unter die Fenster der Cafeteria, wo ich mürrisch die Kinder beobachtete, die auf dem Pausenhof Fußball spielten. Ein- oder zweimal schaute ich zu Howard hin. Er malte mit seiner Fußspitze Kreise in den Staub und sah traurig aus.