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Leon ist neun und ziemlich dunkelhäutig, sein Halbbruder Jake dagegen ganz blond und erst sechs Monate alt. Als ihre Mutter Sandra mal wieder richtig Pech mit einem Kerl hat, bleibt sie einfach im Bett liegen. Und Leon muss sich um Jake kümmern, ihn wickeln, etwas zu Essen besorgen. Das fliegt natürlich irgendwann auf, das Sozialamt schaltet sich ein. Es bringt die beiden Jungs erst einmal bei Pflegemutter Maureen unter: übergewichtig, rothaarig, etwas nah am Wasser gebaut - man muss sie schon ein bisschen kennenlernen, um zu merken, was für ein riesengroßes Herz Maureen hat. Bald findet sich auch eine richtige Adoptivfamilie. Allerdings nur für Jake, denn der ist ja klein und blond. Leon weiß nicht mehr ein und aus vor Schmerz. Und er fasst einen Plan. Einen gefährlichen Plan, in diesem heißen Londoner Sommer 1981 …
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Seitenzahl: 402
Veröffentlichungsjahr: 2016
Kit de Waal
Roman
Leon ist neun und ziemlich dunkelhäutig, sein Halbbruder Jake dagegen ganz blond und erst sechs Monate alt. Als ihre Mutter Sandra mal wieder richtig Pech mit einem Kerl hat, bleibt sie einfach im Bett liegen. Und Leon muss sich um Jake kümmern, ihn wickeln, etwas zu Essen besorgen.
Das fliegt natürlich irgendwann auf, das Sozialamt schaltet sich ein. Es bringt die beiden Jungs erst einmal bei Pflegemutter Maureen unter: übergewichtig, rothaarig, etwas nah am Wasser gebaut – man muss sie schon ein bisschen kennenlernen, um zu merken, was für ein riesengroßes Herz Maureen hat. Bald findet sich auch eine richtige Adoptivfamilie. Allerdings nur für Jake, denn der ist ja klein und blond. Leon weiß nicht mehr ein und aus vor Schmerz. Und er fasst einen Plan. Einen gefährlichen Plan, in diesem heißen Londoner Sommer 1981 …
Kit de Waal (sie ist übrigens Edmund de Waals Schwägerin) wurde in Birmingham als Tochter einer Irin und eines karibischen Vaters geboren. Fünfzehn Jahre arbeitete sie in der Familienhilfe, sie ist Coach und Spezialistin für Familienrecht und Adoptionsfragen. Daneben machte sie einen Abschluss in Creative Writing in Oxford. Ihre Kurzgeschichten wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. «Mein Name ist Leon» ist ihr erster Roman, der in Großbritannien schon vor dem Erscheinen für Furore sorgt.
Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel «My Name is Leon» bei Viking/Penguin Random House Group, London.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2016
Copyright © 2016 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
«My Name is Leon» Copyright © 2016 by Kit de Waal
Redaktion Susann Rehlein
Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt, nach der Originalausgabe von Viking/Penguin Books, London
ISBN 978-3-644-55211-1
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Widmung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
Danksagungen
Für Bethany und Luke
Niemand muss Leon sagen, dass das hier ein besonderer Moment ist. Im Krankenhaus scheint es plötzlich ganz still und leer zu sein. Die Krankenschwester sagt ihm, er soll sich die Hände waschen und sich gerade hinsetzen.
«Vorsichtig», sagt sie. «Er ist kostbar.»
Aber das weiß Leon schon. Die Krankenschwester legt ihm das nagelneue Baby so in die Arme, dass sie sich gegenseitig anschauen können.
«Jetzt hast du einen Bruder», sagt sie. «Und du kannst auf ihn aufpassen. Wie alt bist du denn? Zehn?»
«Er ist fast neun», sagt Leons Mum und sieht zu ihnen herüber. «Acht Jahre und neun Monate. Ein bisschen mehr.»
Leons Mum redet gerade mit Tina darüber, wie es war, als das Baby rauskam, wie viele Stunden und Minuten es gedauert hat und wie weh es getan hat.
«Na ja», sagt die Krankenschwester und zupft dem Baby die Decke zurecht, «du bist ganz schön groß für dein Alter. Ein richtiger kleiner Mann.» Sie klopft auf Leons Kopf und streicht ihm mit dem Finger über die Wange. «Und hübsche Jungs seid ihr beide.» Sie lächelt Leon an, und er weiß, dass sie nett ist und dass sie gut auf das Baby aufpasst, wenn er nicht da ist. Das Baby hat die kleinsten Fingerchen, die Leon je gesehen hat. Wenn es die Augen zu hat, sieht es aus wie eine Puppe. Es hat seidige weiße Haare ganz oben auf dem Kopf und winzige Lippen, die sich ständig öffnen und schließen. Durch die löchrige Decke spürt Leon die Babywärme auf seinem Bauch und seinen Beinen, und dann fängt das Baby an zu zappeln.
«Ich hoffe, du hast einen schönen Traum, Baby», flüstert Leon.
Nach einer Weile fängt Leons Arm an weh zu tun, und gerade als es richtig schlimm wird, kommt die Krankenschwester wieder. Sie nimmt das Baby hoch und will es Leons Mum geben.
«Er muss gleich gestillt werden», sagt sie.
Aber auf dem Schoß von Leons Mum liegt schon die Handtasche. «Kann ich das gleich machen? Tut mir leid, aber ich wollte gerade ins Raucherzimmer.» Vorsichtig stemmt sie sich hoch und hält sich dabei an Tina fest. «Leon, du passt auf ihn auf, Liebling», sagt sie noch, dann humpelt sie weg.
Leon beobachtet die Krankenschwester, wie sie seiner Mutter hinterherschaut, aber als sie ihn ansieht, lächelt sie wieder.
«Pass auf, wir machen das so», sagt sie und legt das Baby in das Bettchen neben dem Bett. «Du bleibst hier und plauderst ein wenig mit deinem Bruder und erzählst ihm alles von dir. Aber wenn deine Mum zurückkommt, dann muss er erst mal gestillt werden, und du musst dann nach Hause gehen. Alles klar, Schätzchen?»
Leon nickt. «Soll ich mir noch mal die Hände waschen?», fragt er und hält ihr seine Handflächen hin.
«Ich glaube, das brauchst du nicht. Du bleibst einfach hier stehen, und wenn er zu weinen anfängt, holst du mich. Okay?»
«Ja.»
Leon macht eine Liste im Kopf und fängt dann am Anfang an.
«Ich heiße Leon, und ich bin am fünften Juli neunzehnhunderteinundsiebzig geboren. Dein Geburtstag ist heute. Schule ist ganz in Ordnung, aber man muss da fast jeden Tag hin, und Miss Sheldon erlaubt keine richtigen Fußbälle auf dem Spielplatz. Auch keine Fahrräder, aber ich bin sowieso zu groß für meins. Ich habe zwei Ostereier, und in einem ist Spielzeug. Wahrscheinlich darfst du noch keine Schokolade. Die beste Fernsehserie ist Ein Duke kommt selten allein, aber es gibt auch Serien für Kleine. Die gucke ich natürlich nicht mehr. Mum sagt, dass du erst in meinem Zimmer schlafen darfst, wenn du ein bisschen älter bist, so ungefähr drei, hat sie gesagt. Sie hat dir einen Einkaufskorb mit einer Decke drin gekauft. Da kannst du schlafen. Sie sagt, dass Moses so eins hatte, aber deins sieht ganz neu aus. Mein Dad hatte ein Auto ohne Dach, und er hat mich mal mitgenommen. Aber dann hat er es verkauft.»
Leon weiß nicht, was er über den Dad des Babys sagen soll, weil er ihn noch nie gesehen hat, also erzählt er von ihrer Mutter.
«Du darfst sie Carol nennen, wenn du willst, wenn du sprechen kannst. Wahrscheinlich weißt du es noch nicht, aber sie ist sehr schön. Alle sagen das immer. Ich finde, du siehst aus wie sie. Ich nicht. Ich sehe aus wie mein Dad. Mum sagt, dass er farbig ist, aber Dad sagt, dass er schwarz ist, aber das stimmt beides nicht, weil er nämlich dunkelbraun ist und ich hellbraun bin. Ich bringe dir die Farben und die Zahlen bei, weil ich der Schlauste in der Klasse bin. Am Anfang muss man seine Finger dazu benutzen.»
Leon betastet vorsichtig den Flaum auf dem Kopf des Babys.
«Du hast blonde Haare, und sie hat blonde Haare. Wir haben beide dünne Augenbrauen und lange Finger. Schau mal.»
Leon hält die Hand hoch. Und das Baby öffnet die Augen. Sie sind graublau mit einer tiefschwarzen Mitte, wie ein Punkt am Satzende. Das Baby blinzelt und macht kleine Kussgeräusche mit dem Mund.
«Manchmal bringt sie mich zu Tante Tina ein Stockwerk höher. Ich darf auch allein zu Tante Tina gehen, aber wenn du mitwillst, muss ich dich im Korb nach oben tragen.»
Das Baby kann ja nicht sprechen, bis es viel größer ist, also redet Leon einfach weiter.
«Ich lass dich nicht fallen», sagt er. «Ich bin groß für mein Alter.»
Er sieht zu, wie das Baby ihm Luftküsse zuwirft, beugt sich über das Bettchen und berührt die Lippen des Babys mit der Fingerspitze.
Seine Mum und Tina und die Krankenschwester kommen alle gleichzeitig wieder. Leons Mum tritt direkt an das Bettchen und legt den Arm um Leon. Sie küsst ihn auf die Wange und auf die Stirn. «Zwei Jungs», sagt sie. «Ich habe zwei wunderschöne, wunderschöne Jungs.»
Leon schlingt die Arme um die Taille seiner Mum. Sie hat immer noch einen runden Bauch, als ob das Baby noch drin wäre, und sie riecht anders. Vielleicht ist das aber auch nur das Krankenhaus. Die ganze Babykriegerei hat Leons Mum ganz aufgedunsen und rot im Gesicht gemacht, und jetzt ist sie fast wieder sie selbst. Bis auf den Bauch. Er berührt seine Mutter vorsichtig auf ihrem geblümten Nachthemd.
«Sind da noch mehr drin?», fragt er.
Die Krankenschwester und Tina und seine Mum lachen alle gleichzeitig los.
«So sind sie, die Männer», sagt die Krankenschwester. «Die reinsten Charmebolzen.»
Aber Leons Mum beugt sich herunter und kommt Leons Gesicht ganz nah. «Keine mehr», sagt sie. «Nur ich und du und er. Für immer.»
Tina zieht ihren Mantel an und legt zehn Zigaretten auf das Bett, damit Carol sie später rauchen kann.
«Danke, Tina», sagt sie, «und danke, dass du wieder auf Leon aufpasst. Ich komme wohl am Dienstag raus, wie es aussieht.»
Carol schiebt sich mühevoll ins Bett, und die Krankenschwester legt ihr das Baby in die Arme. Es macht kleine Schnaufgeräusche, die so klingen, als ob er gleich anfängt zu weinen. Leons Mum knöpft ihre Strickjacke auf.
«Ist er nicht süß, Leon? Du benimmst dich aber, ja?» Und sie küsst ihn wieder.
Das Babyköpfchen passt genau in ihre Hand.
«Komm zu Mami», flüstert sie und drückt ihn zärtlich gegen ihre Brust.
Tinas Wohnung ist ganz anders als Leons, aber gleichzeitig genauso. Beide Maisonettewohnungen haben zwei Schlafzimmer und ein Badezimmer oben und eine Küche und ein Wohnzimmer unten.
Leons Wohnung liegt im Erdgeschoss des ersten Häuserblocks an der Schnellstraße, und Tinas Wohnung ist einen Treppenabsatz darüber. Die Schnellstraße ist sechsspurig, und die Autos fahren so schnell, dass man eine Absperrung gebaut hat. Wenn Leon und Carol jetzt über die Straße wollen, müssen sie ewig zum Fußgängerüberweg laufen, einen Knopf drücken und warten, bis es piept. Beim ersten Mal war das noch aufregend, aber jetzt dauert es nur länger, bis man morgens in die Schule kommt.
Tina lässt Leon mit ihrem Kind im selben Zimmer schlafen. Sie macht ihm immer ein weiches, gemütliches Bett, wenn er bei ihr übernachtet. Sie nimmt zwei Sofakissen, wickelt sie in ein Laken und legt ein kleines Babydeckchen über ihn, wenn er liegt. Dann wirft sie ein paar Jacken darauf und legt eine Tagesdecke darüber. Das ist dann wie ein Nest oder eine Höhle, weil ihn darunter niemand sehen kann, wie Tarnung im Dschungel. Sein Lager sieht aus wie ein Haufen Kleider in der Ecke, aber dann, «Aaarrggg!!!», ist da ein Monster drunter, und es springt auf und frisst dich. Tina lässt im Flur immer das Licht an, ermahnt ihn aber, ganz leise zu sein, wegen des Babys.
Ihr Baby ist groß und schwabbelig, und sein Name passt zu ihm. Bobby. Schwabbel-Bobby. Sein Kopf ist zu groß für den Körper, und wenn Leon mit ihm spielt, kriegt er seinen Sabber an die Hand geschmiert. Bobbys schwabbeligen Sabber. Leons Bruder wird bestimmt nicht so wie Bobby, der den ganzen Tag auf seinen Plastikspielsachen herumlutscht und immer ein klatschnasses Lätzchen hat. Er kippt bestimmt nicht vornüber aufs Sofa, weil sein Kopf zu schwer ist, und bleibt dann da liegen, bis ihn jemand woanders hinträgt. Leon richtet Bobby immer wieder auf, aber Bobby denkt dann, dass das ein Spiel ist, und macht das gleich noch mal.
Bobby liebt Leon. Er kann nicht sprechen und hat auch sowieso ständig einen Schnuller im Mund, aber sobald Leon durch die Tür kommt, wackelt Bobby über den Teppich auf ihn zu und hält sich an seinen Beinen fest. Dann reckt er die Arme, damit Leon ihn hochnimmt. Wenn Leons Bruder größer ist, können sie zusammen spielen, mit Spielzeugsoldaten und den Action-Man-Figuren. Dann haben sie beide Spielzeugmaschinenpistolen, rennen durchs ganze Haus und spielen Auf-Ziele-Schießen. Bobby kann zugucken.
In Tinas Wohnung ist immer ein Fenster zum Lüften offen, und es riecht nach Babylotion. Tina sieht selbst ein bisschen aus wie ein Baby, weil sie ein rundes Gesicht mit dicken Backen und runden, hervorstehenden Augen hat. Sie färbt sich ständig die Haare, ist aber nie zufrieden damit, und Carol redet immer auf sie ein, dass sie sich blond färben soll.
Tina sagt dann: «Wenn ich dein Gesicht hätte, Carol, wäre sowieso alles egal», und Leon findet, dass sie recht hat.
Tina hat ein Ledersofa, das sich kalt und rutschig an seinen Beinen anfühlt, und ein Schaffell vor dem Gasofen und einen riesigen Fernseher. Sie will nicht, dass Leon sie Tina nennt, so wie er seine eigene Mum Carol nennt. Er muss sie Tante Tina und Carol Mum nennen, weil sie sagt, dass Kinder Respekt haben sollen. Und sie lässt Leon nicht vor dem Fernseher essen. Er muss an einem Holztisch in der Küche sitzen, wo nicht viel Platz ist, weil sie einen riesigen Kühlschrank mit Gefrierfach hat, in dem Eiscreme ist. Bobby sitzt in seinem Hochstuhl und lächelt Leon an, und Tina legt zwei Kugeln in Leons Schüssel und eine in Bobbys. Leons Bruder bekommt dann bestimmt nur eine halbe Kugel, weil er der Kleinste ist.
Manchmal kommt Tinas Freund, wenn er Leon sieht, sagt er immer: «Schon wieder?», und Tina antwortet: «Ich weiß.»
Als Carol das Baby zum ersten Mal mit nach Hause bringt, warten Tina und Leon und Bobby schon vor der Tür. Carol hält den Korb ganz vorsichtig mit beiden Händen, kommt herein und flüstert: «Er ist gerade eingeschlafen.»
Sie stellt den Babykorb auf den Fußboden, und Leon schleicht sich auf Zehenspitzen an. Das Baby ist gewachsen, und sein Gesicht sieht ganz anders aus. Es trägt einen neuen hellblauen Strampler mit einem passenden Mützchen, und ein flauschiges, gelbes Deckchen liegt über seinen Beinen. Tina und Bobby gehen nach Hause, und Carol und Leon sitzen auf dem Teppich und beobachten das Baby. Sie schauen zu, wie es den Kopf dreht und die Lippen bewegt. Sie schauen zu, wie es eines seiner winzigen Händchen bewegt, und als es gähnt, gähnen sie beide mit ihm.
Carol legt den Kopf schief. «Ist er nicht niedlich?», fragt sie.
«Ja.»
Leon und Carol lehnen sich gegen das Sofa und halten sich an den Händen.
«Haben wir nicht ein Glück?», fragt sie.
Den ganzen Tag und auch den nächsten ist das Baby wie ein Fernseher. Leon kann gar nicht aufhören, ihm und seinen Babybewegungen zuzuschauen. Es weint kaum, und wenn, dann klingt es wie ein kleines Kätzchen oder ein Welpe. Leon schaut zu, wie Carol ihm auf einer speziellen Plastikunterlage mit Schaukelpferdchen drauf die Windeln wechselt. Das Baby hat einen richtig kleinen Pimmel, aber ziemlich große Eier. Leon hofft, dass der Pimmel noch nachwächst. Babys Kacke hat eine komische Farbe – sie ist nicht braun, sondern grünlich gelb –, und Carol muss die ganze Kacke mit einer besonderen Babylotion abwischen. Carol und Leon baden das Baby zusammen. Carol hält es in ein paar Zentimeter Wasser, und Leon spritzt Wasser über sein Bäuchlein und den Po. Das Baby hat ein eigenes weißes Handtuch ganz für sich allein, und wenn es darin eingewickelt ist, sieht es aus wie das Jesuskind in seiner Krippe, findet Leon. Vielleicht hat Mum dem Baby deshalb dieses Moseskörbchen gekauft, weil es von Gott gekommen ist.
Das Baby blinzelt und starrt Leon an, als ob es darüber nachdenkt, wer er ist.
«Ich bin dein Bruder», sagt Leon. «Dein großer Bruder.»
Das Baby antwortet nicht.
«Dein. Großer. Bruder», wiederholt Leon. «Ich. Heiße. Leon. Ich bin achtdreiviertel. Ich bin ein Junge.»
Das Baby streckt sich, um zu sagen, dass es das verstanden hat.
Leon erzählt allen in der Schule von seinem neuen Bruder. Sein Lehrer sagt, er darf es der ganzen Klasse erzählen, also steht er nach dem Morgenkreis auf.
«Ich habe einen Bruder bekommen. Er ist ganz klein und schläft fast die ganze Zeit. Das ist normal, weil er sich so aufs Wachsen konzentrieren muss. Meine Mum sagt, jedes Baby ist anders, die einen schlafen, die anderen schreien. Sie sagt, als ich ein Baby war, war ich ganz brav, außer wenn ich Hunger hatte. Ich passe auf mein Baby auf, wenn Mum nicht da ist. Als das Baby auf die Welt kam, hatte es einen komisch geformten Kopf, aber jetzt ist sein Kopf ganz rund.»
Alle klatschen, und dann malt Leon ein Bild und nimmt es mit nach Hause. Seine Mum heftet es mit einem Magneten an den Kühlschrank, neben das richtige Foto, das Tina im Krankenhaus gemacht hat.
Nach ein paar Wochen soll Leon nicht in die Schule, weil es zu nass und regnerisch ist. Das bedeutet, dass Leon den ganzen Tag spielen und fernsehen und sich Toast machen darf, wenn er Hunger hat. Carol lässt ihn aufpassen, wenn sie zur Telefonzelle geht. Wenn sie wiederkommt, ist sie ganz außer Atem und fragt, ob es dem Baby gutgeht. Leon würde nie zulassen, dass dem Baby etwas passiert, also macht sie sich umsonst Sorgen.
Wenn Tina kommt, klopft sie an die Tür und schließt dann mit ihrem Schlüssel auf. Sie sagt immer, immer dasselbe; «Cal? Ich bin’s, Tina. Nur Tina», und als Leon noch klein war, dachte er, dass das ihr Name ist: «Nurtina». Sie bringt massenweise abgelegte Kleidung von Bobby und eine ganze Tüte mit Spielsachen. Einige davon sind noch ganz gut, obwohl sie für Babys sind, und Leon versteckt die besten in seinem Zimmer.
Tina und seine Mum sind in der Küche.
«Du siehst immer noch müde aus, Cal. Schläft das Baby nicht durch?»
Tina klingt wie die Schwester im Krankenhaus, ein kleines bisschen herrisch. Carol fängt an zu weinen. Sie weint in letzter Zeit ständig.
«Es ist nicht so wie letztes Mal. Ich fühle mich nur irgendwie niedergeschlagen, weißt du. Es ist schon in Ordnung, es ist nur alles so viel.»
Tina macht eine ganze Weile «Schsch», und dann hört er, dass sie Tee aufsetzt. Manchmal, wenn sie zu Besuch ist, wäscht sie auch ab und macht ihm Bohnen auf Toast.
«Geh zum Arzt, Cal. Ehrlich, du musst wirklich zum Arzt.»
«Ich geh ja, ich geh ja.»
«Du musst ja nicht nur an das Baby denken, sondern auch an Leon.»
«Leon geht es gut», sagt Carol und schnieft. «Er ist ein guter Junge, er kommt prima zurecht. Er hat das Baby lieb, wirklich, aber alles andere kriegt er gar nicht mit. Er denkt immer nur an Spielzeugpistolen und Autos.»
«Isst du denn überhaupt?»
«Als Leon noch klein war, ist Byron jeden Tag gekommen. Er hat das Kochen übernommen und ist toll mit Leon umgegangen. Hat mich ein bisschen entlastet.»
Leon hört, dass Tina den Wasserhahn aufgedreht hat und das Geschirr in den Ausguss stellt.
«Wenn ich du wäre, Cal, würde ich zum Arzt gehen.»
«Dann ist er eingebuchtet worden, und ich hatte Depressionen, und sie wollten, dass ich zweimal die Woche in so ein bescheuertes Zentrum gehe. Und ich hatte einen Säugling zu Hause und fühlte mich beschissen. So wie jetzt.»
«Ich begleite dich, wenn du willst. Bobby ist jetzt jeden Vormittag in der Krippe. Wir könnten gleich morgens gehen.»
«Und von den Tabletten, die die mir gegeben haben, hatte ich Albträume.»
«Du musst aber etwas nehmen, Cal.»
«Ich weiß.»
Später, als Leon schon im Bett liegt, kommt Carol noch mal zu ihm. «Ich hab ihn gerade schlafen gelegt», sagt sie und setzt sich auf die Bettkante. «Hat er dich geweckt?»
«Ich kann nicht schlafen, Mum.»
«Versuch’s», sagt sie.
«Ich kann aber nicht. Erzählst du mir eine Geschichte?»
Carol schweigt einen Moment, und er denkt schon, dass sie nein sagt oder dass sie zu müde ist, aber sie atmet einmal tief durch und fängt an zu erzählen. «Diese Geschichte hat mir mein Vater immer erzählt.»
«Ist sie gruselig?»
«Gruselig?» Carol schüttelt den Kopf und lächelt. «Nein, hör zu. Es war einmal eine Mutter, die hatte zwei Jungs, einer war noch ein Baby. Der ältere Junge war sehr laut. Er hatte eine sehr kräftige Stimme, und er schrie und schlug auf seiner Trommel herum und trat gegen die Tür und sang so laut, wie er konnte, und die Mutter schimpfte immer mit ihm. ‹Pssst›, sagte sie, ‹du weckst noch das Baby auf.› Und der Lehrer des Jungen sagte: ‹Pssst, du störst den Unterricht.› Und der Pfarrer in der Kirche sagte: ‹Pssst. Wir sind hier an einem heiligen Ort.› Und der Junge fühlte sich einsam und dachte, dass niemand ihn liebhat. Er beschloss, wegzulaufen. Aber als er ans Ende des Dorfes kam, sah er einen großen bösen Wolf, der alle auffressen wollte. Er war aber schon zu weit weg, als dass er hätte zurücklaufen und alle warnen können, also riss er den Mund auf, so weit er konnte, und brüllte: ‹DA KOMMT EIN WOLF!› Und so rettete er das ganze Dorf und seine Mutter und seinen Bruder, und niemand sagte mehr, dass er leise sein sollte.»
«Ist das das Ende der Geschichte?»
«Ja. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Jetzt ist Schlafenszeit. Kuschel dich ein. Morgen ist Schule, mein Liebling», sagt sie und streichelt ihm die Stirn.
«Bin ich krank? Ich bin vielleicht krank», schlägt er vor.
«Nein, du bist nicht krank. Morgen gehst du auf jeden Fall zur Schule.»
Carol sagt das jeden Abend, aber Leon war schon seit fünf Tagen nicht mehr in der Schule.
«Wenn du nicht in die Schule gehst, lernst du nichts, Leon. Wenn du nichts lernst, bekommst du keinen guten Job und kannst dir kein schönes Haus und keine Spielsachen leisten. Du magst doch Spielsachen, oder? Ich habe dich doch gesehen! Ich habe gesehen, dass du Spielsachen in deinem Zimmer versteckt hast! Na? Na?» Carol krabbelt mit ihren Fingern auf seiner Brust herum, und er muss lachen. «Und außerdem langweilst du dich dann zu Hause und machst mich ganz wahnsinnig.»
«Ich kann dir mit dem Baby helfen», sagt Leon.
«Jake. Er heißt Jake.»
«Du hast gesagt ...»
«Das ist der zweite Vorname seines Dads. Na ja, ich habe Jack in Jake geändert, weil mir das so besser gefällt. Dir auch, Leon?» Sie gibt ihm einen Gutenachtkuss und macht dann das Licht aus, aber Leon küsst sie nicht zurück. Sie hat versprochen, dass er das Baby Bo nennen darf, nach Bo Duke aus Ein Duke kommt selten allein. Bo hat ein rotes Auto und blonde Haare. Sein echter Name ist Beauregard Duke, und er ist der Beste in der ganzen Serie. Jakeregard klingt doof. Leon kennt niemanden in der Schule, der Jake heißt, und im Fernsehen heißt auch niemand so. Es gibt einen Laden auf der anderen Seite der Schnellstraße, der «Jake’s Bakes» heißt. Da verkaufen sie Kuchen und Pommes, und wenn das Baby zur Schule geht, werden ihn die anderen damit aufziehen. Leon grübelt, wie er seine Mum dazu bringen kann, es sich noch mal zu überlegen. Jake ist der schlimmste Name, den er je gehört hat.
Leon kapiert langsam, was seine Mum zum Weinen bringt: Wenn Jake sehr laut ist, wenn sie kein Geld hat, wenn sie von der Telefonzelle zurückkommt, wenn Leon zu viele Fragen stellt und wenn sie Jake anstarrt.
Schon die dritte Nacht schlafen Leon und Jake bei Tina. Das machen sie in letzter Zeit dauernd. Carol bringt sie nach oben zu Tina, und dann lässt sie sie ein paar Tage lang dort. Letzte Woche waren es zwei, die Woche davor drei Nächte, und manchmal kommt es ihm so vor, dass sie nie wieder nach Hause gehen. Jakes Korb steht neben Leons Höhlenbett. Leon beobachtet Jake ein paar Minuten lang, weil er so komische Pfeifgeräusche macht, wenn er ausatmet, und er ballt seine kleinen Hände zu Fäusten wie Muhammad Ali. Jake öffnet die Augen und weint nicht mal. Seine Augen sind inzwischen leuchtend knallblau, aber die Mitte ist immer noch ganz schwarz, wie ein Tropfen Tinte im Meer. Leon und Jake sehen sich gern eine Weile an, und dann singt Leon ein Schlafliedchen oder flüstert etwas.
«Geht es dir gut, Jake? Schlafenszeit, Schlafenszeit. Mach die Augen zu. Du bist prima, Jakey. Alles ist gut. Schlafenszeit, Jakey.»
Es ist friedlich und gemütlich im Zimmer mit Jake und Schwabbel-Bobby und unter den schweren Jacken. Er beobachtet einen Lichtstreifen an der Wand, hört den Kleinen beim Atmen zu und hört das Rauschen der Reifen auf dem nassen Asphalt draußen.
Am nächsten Tag kommt Carol, um sie von Tina abzuholen. Sie klingt aufgeregt und glücklich und bleibt ewig in Tinas Küche sitzen, deshalb schleicht Leon in den Flur.
«Ich habe ihn gefunden. Ja, ich bin zur Wohnung seines Kumpels gegangen und habe einfach immer wieder geklopft. Ich wusste ja, dass jemand da war, und ich habe durch den Briefschlitz gerufen, dass ich ihm nur eine Nachricht überbringen will. Ich habe immer wieder geklopft, und dann hat er aufgemacht. Tony selbst. Einfach so. Ich war total überrascht. Er auch. Ich hab dir ja gesagt, dass er mir nicht aus dem Weg geht. Er hat nur nicht gewusst, dass der Geburtstermin schon war. Ich meine, ich habe es ihm natürlich gesagt, aber er hat es wieder vergessen. Er hat gesagt, dass er auswärts gearbeitet hat. Mit Terminen hat er’s sowieso nicht so.»
Tina stellt keine Fragen wie sonst. Also erzählt Carol einfach weiter.
«Er hat gesagt, dass er nicht lange reden kann, weil er nach Hause muss. Er wohnt immer noch bei dieser Kuh. Ich weiß gar nicht, warum er bei ihr bleibt. Er wohl auch nicht. Ich habe ihm gesagt, dass er zu uns ziehen kann. Ich weiß, dass er Jake gern sehen würde, aber er muss vorsichtig sein, weil, wenn sie es herausfindet, dann darf er sein kleines Mädchen nicht mehr sehen, und er hängt doch so sehr an ihr. Sie hat das schon mal gemacht, sie benutzt seine Tochter, um ihn an sich zu binden. Das würde ich nie tun.»
Tina bietet Carol einen Keks an. Tinas Keksdose ist immer voll bis zum Rand. Manchmal lässt sie Leon alle zerbrochenen herauspicken und aufessen.
«Nein, danke. Jedenfalls hat er gesagt, dass er auszieht. Sie weiß es noch nicht, und er will es ihr auch nicht sagen, bis alles geregelt ist. In seinem Alter will er sich endlich für den Rest seines Lebens festlegen.»
«In seinem Alter?»
«Er ist neununddreißig. Würde man aber nicht meinen. Er ist ja nicht alt oder so.»
«Er ist fast vierzig.»
«Neununddreißig. Ehrlich, er sieht überhaupt nicht so aus. Er sieht aus wie wir.»
«Wie fünfundzwanzig?»
«Na ja, vielleicht Anfang dreißig, aber egal, ja, er hat gesagt, dass es schon seit Jahren nicht mehr so richtig läuft zwischen ihnen. Du kennst mich, Tina. Ich würde nie jemandem weh tun, aber er war schon lange nicht mehr glücklich, bevor er mich getroffen hat. Wenn er es gewesen wäre, hätte er doch nie was mit mir angefangen, oder? Er hat mir mal erzählt, dass er Verwandte in Bristol und Wolverhampton hat. Er weiß noch nicht genau, wo er hingeht, aber wenn er geht, dann nur mit mir.»
«Und mit den Kindern», sagt Tina.
«Ja, natürlich. Das meinte er. Ich, er und die Kinder.»
«Und was ist mit seiner Tochter?»
«Die kommt dann auch mit.»
«Ach so», sagt Tina nach einer Weile. «Und das hat er dir gesagt?»
«Wir hatten ja nur ein paar Minuten, aber ja.»
Leon geht zurück ins Wohnzimmer, um nach Jake in seinem Körbchen zu schauen. Er ist jetzt fast vier Monate alt und langsam zu groß für den Korb. Er stößt dauernd überall an und will raus, und dann wird er wütend und macht Geräusche wie eine Katze. Leon ist einmal ausgeschimpft worden, weil er ihm helfen wollte aufzustehen, also sieht er ihm jetzt nur noch dabei zu und erzählt Jake verschiedene Dinge, die er wissen sollte, zum Beispiel, wer der beste Fußballer ist. Aber er erzählt ihm lieber nicht von einem Leben mit einem Mädchen und einer Kuh in Bristol, weil Jake sonst vielleicht zu weinen anfangen würde.
Leon isst seinen Toast auf dem Teppich vor der Terrassentür. Eigentlich ist Sommer, aber der Himmel hat dieselbe Farbe wie die Terrassenplatten, trist und grau, wie die Straße zur Schule, die Abkürzung durch das Viertel oder der schmutzige Weg zwischen den Hochhäusern und Etagenwohnungen.
Ein Haufen Holz liegt in einer Ecke des Gartens, als ob jemand mal den Zaun hätte reparieren wollen, es dann aber vergessen hat. Stattdessen haben die Leute in der Etagenwohnung nebenan das Loch mit Stacheldraht geflickt, wegen ihres Hundes und des Streits, den sie mit Leons Dad hatten, als der noch bei ihnen wohnte. Leons Dad stand im Garten, zeigte mit dem Finger auf das Loch und sagte (und Leon erinnert sich an jedes Wort): «Wenn das beschissene Vieh in unseren Garten kommt und mein Kind beißt, reiße ich ihm sein beschissenes Herz raus, ist das klar, Phil?»
Der Hund heißt Samson und hat nach einem Kampf kein Fell mehr auf der Brust. Stattdessen ist da ein haarloser Kreis rosafarbener Haut, und Leon stellt sich vor, wie sein kleines Hundeherz darunter schlägt und sein Vater Samsons Vorderpfoten greift und sie auseinanderreißt, bis der Hund heult.
Leon weiß, wie es klingt, wenn ein Hund heult, und wenn er Samson im Nachbargarten sieht, geht er hin, und sie sehen sich durch den rostigen Stacheldraht hindurch an.
Aber heute ist Samson nicht in seinem Garten, und Leon sitzt mit seinem alten Action Man und seinem neuen Action Man bei der Hintertreppe. Carol hat ihm den neuen Action Man zum Geburtstag gekauft, und Tina hat ihm Anziehsachen dazu geschenkt. Sein Dad hat ihm eine Glückwunschkarte mit Geld darin geschickt, davon hat Leon bessere Anziehsachen mit Kampfstiefeln und einem Gewehr gekauft. Zu Weihnachten wünscht sich Leon noch zwei Action-Man-Figuren mit Armeeuniformen. Dann hat er vier, und bald hat er eine ganze Action-Man-Armee.
Leon hört die Türklingel und eine Männerstimme. Er nimmt seinen neuen Action Man, und sie robben beide auf den Ellenbogen über den Teppich und hinter das Sofa, von wo aus sie durch die Türritze spähen können. Ein Mann steht in der Tür und lässt kalte Luft herein. Er ist stämmig und groß, trägt einen langen schwarzen Ledermantel und darunter einen Anzug, wie einer von James Bond. So, wie er die Hände in den Taschen hat, hat er vielleicht sogar eine Pistole.
Wenn er eine Pistole hat und zu schießen versucht, tritt Leon die Tür aus den Angeln und greift ihn an, bevor er abdrücken kann. Leon kennt die Bewegungen genau, die die Leute machen, bevor sie schießen, zum Beispiel in den Westernfilmen, wo sie die Hand an die Hüfte legen. Wenn Tina da ist, kann Leon auch an dem Mann vorbeiflitzen und sie um Hilfe bitten. Oder die Polizei anrufen. Leon wünscht sich, dass er nicht immer sofort aufs Klo muss, wenn er aufgeregt ist oder Angst hat. Er greift sich vorn an die Hose und presst sich auf den Teppich, damit das Pipi nicht rauskommt. Der Mann spricht langsam mit zur Seite geneigtem Kopf, als ob seine Mum ein Baby wäre oder ein bisschen langsam im Kopf.
«Jetzt blas es nicht zu etwas auf, das es nicht ist, Carol.»
Carol weint und sagt die ganze Zeit «Tony», aber der Mann hört gar nicht hin.
«Ich bin verheiratet. Sozusagen. Ich wollte kein zweites Kind, und ich will auch nicht noch eine Freundin. Ich will nicht, dass andauernd jemand bei mir zu Hause klingelt, und ich will auch nicht, dass jemand ständig bei meinen Freunden auf der Matte steht und einen Aufstand macht.»
Carol macht Schluckgeräusche.
«Hab ich das nicht schon gesagt?», sagt der Mann, dessen Kopf immer noch zur Seite geneigt ist und dessen Hand immer noch auf der unsichtbaren Pistole liegt. «Und hör auf, mir über meine Freunde ständig irgendwelche Botschaften ausrichten zu lassen. Das nervt mich total. Hör einfach damit auf, Carol.»
Carol versucht ein paarmal, etwas zu sagen, aber sie kriegt nicht genug Luft, deshalb kommen ihre Worte stückchenweise und unverständlich heraus.
«Du hast ihn noch nicht mal gesehen, Tony. Was soll ich denn tun? Was soll ich davon halten, wenn ich dich nicht mal bitten kann, ihm eine Rassel zu kaufen?»
«Komm mal runter, Süße. Geht es dir ums Geld?»
Carol schüttelt den Kopf.
«Nein», fährt er fort, «hier geht es um den Schwachsinn, den du dir einredest, um ein paar Monate Vögeln auf dem Rücksitz meines Wagens in Liebe zu verwandeln, oder?»
Carol schweigt.
«Ich weiß nicht, was mit dir los ist, Carol. Sogar mit Rotz im Gesicht bist du noch eine hübsche kleine Maus, aber dein Hirn ist wie ein rostiger Motor.» Der Mann nimmt eine Hand aus der Manteltasche und tippt sich gegen die Schläfe. «Genau. Rostig. Funktioniert nicht richtig. Kein TÜV mehr drauf. Kaputt. Bringt dich nicht ans Ziel. Schlimmer noch, er macht einen schrecklichen Scheißlärm.»
Leon und Carol hören es beide. Sie hören, dass die Stimme des Mannes plötzlich ganz hart ist. Leon weiß, dass Carol es auch hört, weil ihr Kopf ruckt, als hätte er sie geschlagen. Leon richtet sich auf und hält seinen Action Man mit beiden Händen fest.
«Hör zu, ich bin kein Arschloch. Okay? Aber reiß dich endlich zusammen, verdammt noch mal. Keine beschissenen Anrufe mehr. Hier.» Der Mann steckt die Hand in die Tasche seines Jacketts. «Nimm das hier für das Kind und mach einfach weiter mit deinem Leben. Such dir einen netten Jungen, der Staubsauger oder gebrauchte Reifen verkauft. Jemanden, der um halb sechs von der Arbeit kommt und mit dir zum Bingo geht. Okay? Ich bin nicht der Richtige, Süße. Ich bin es einfach nicht.»
Er versucht, Carol etwas zu geben, aber sie rennt stattdessen ins Wohnzimmer, direkt an Leon vorbei, hebt Jake aus seinem Körbchen und flitzt zurück zur Wohnungstür.
«Er ist von dir, Tony, und dir ist das vollkommen egal. Kannst du nicht wenigstens reinkommen, aus Mitleid wenigstens? Spiel ein bisschen mit ihm.»
Der Mann tritt zur Seite, und dann sieht er Leon. Er zwinkert ihm zu und legt Zeige- und Mittelfinger zusammen, die er dann wie eine Pistole auf Action Man richtet. «Peng», sagt er. Leon lächelt. Dann legt der Mann wieder den Kopf schräg. «Hör auf, Carol», sagt er. «Mehr gibt es nicht zu sagen.» Er tritt einen Schritt zurück und schließt die Tür. Carol dreht sich um und schreit Leon an.
«Was lauschst du da? Wenn du hier nicht rumgeschlichen wärst, wäre er reingekommen und hätte zwei Minuten mit seinem einzigen Sohn verbracht. Warum bist du bloß so verdammt neugierig, Leon? Hä? Immer kriechst du überall herum und lauschst. Geh ins Bett und bleib da!»
Leon geht auf Zehenspitzen hoch ins Badezimmer und versucht, ganz leise zu sein, indem er vorsichtig gegen die Seite der Kloschüssel pinkelt. Er zieht nicht die Spülung und wäscht sich nicht die Hände. Er versucht, die Dreiecke auf der Tapete in seinem Zimmer zu zählen, aber es sind zu viele. Er teilt sie in dunkelblaue und hellblaue Dreiecke auf und versucht, ein Muster in Form eines Panzers darin zu sehen, indem er die Augen zusammenkneift und durch die Wimpern guckt. Carol hat sich früher immer bei ihm entschuldigt, wenn sie ihn angeschrien hat, aber in letzter Zeit vergisst sie das. Deshalb wird er sich morgen zwanzig Pence aus ihrem Portemonnaie nehmen. Für zwanzig Pence bekommt er ein Twix auf dem Heimweg von der Schule, und er wird das Einwickelpapier einfach auf den Boden werfen, weil ihm nämlich alles egal ist.
Leon hat ein schlechtes Gewissen, dass er den Mann angelächelt hat, der Carol zum Weinen gebracht hat, aber wenn er zurückkommt, können sie vielleicht beide so tun, als hätten sie Waffen, und aufeinander schießen. Andererseits hofft er, dass Jake nicht so wird wie sein Dad, wenn er groß ist, und mit leiser Stimme gefährliche Dinge sagt. Leon hat nur gelächelt, weil er höflich sein wollte. Wenn der Mann wiederkommt, wird Leon nicht noch mal lächeln. Er wird aufpassen und Carol und Jake beschützen, und dann wird er auch nicht angeschrien werden.
Am nächsten Tag steht seine Mum früh auf und sagt, dass jetzt alles anders wird. Sie sagt, dass es ihr sehr leidtut und sie sich mehr Mühe geben will, also macht sie ein riesiges Frühstück mit Pfannkuchen und Sirup, genau so, wie sie es mal in einem Kochbuch gesehen hat. Es schmeckt nicht besonders, und sie bricht in Tränen aus, weil Leon nicht aufisst. Sie zermatscht einen Pfannkuchen mit etwas Milch für Jake, aber sobald er etwas davon im Mund hat, übergibt er sich. Sie nimmt Leon das Versprechen ab, dass er zur Schule geht, damit er schlau wird und nicht so leben muss wie sie.
«Ich will, dass es meine Jungs mal besser haben», sagt sie, als Leon sich auf dem Sofa an sie kuschelt. «Ich will, dass ihr beide ein tolles Leben und ganz viele schöne Dinge habt. Ich will, dass ihr in einem schicken Haus mit einem richtigen Garten wohnt, und ich will, dass ihr euch immer liebhabt. Ich will keinen Streit. Ich habe die Streiterei so satt. Und ich will, dass du aus diesem Dreckloch rauskommst. Bloß raus hier, so weit weg von hier, wie es geht. Und schau nicht zurück. Dafür musst du lernen und eine Ausbildung machen. Werde nicht so wie ich oder dein Dad. Du bist so schlau, Leon. Du musst mir was versprechen, ja, Liebling?»
«Ja, Mum.»
«Pass auf ihn und auf dich auf. Mach etwas aus deinem Leben.»
«Okay, Mum.»
«Ihr beide. Tu es für euch beide.» Sie drückt Leon so fest, dass er sie ein bisschen von sich wegschieben muss, weil er nicht atmen kann. «Ich gehe jetzt hoch, Schatz. Pass auf Jake auf.»
An manchen Tagen geht Leon gar nicht zur Schule, sondern bleibt die ganze Zeit mit Jake zu Hause, während sie schläft. Aber wenn er doch geht, muss Leon seine Mum vorher aufwecken und sie an Jake erinnern. Manchmal sagt sie, er soll weggehen, und er denkt den ganzen Tag an Jakes Abendessen oder an sein Mittagsschläfchen. Aber es kommt auch vor, wenn er Fußball spielt oder so, dass er vergisst, was zu Hause los ist. Zum Beispiel, als da dieser neue Junge in die Klasse kam und der Lehrer Leon sagte, dass er in der Mittagspause auf ihn aufpassen sollte. Der neue Junge ist viel kleiner als Leon, und er sah ganz ängstlich aus. Leon hat ihm erklärt, wo alles ist, und dann mussten sie sich in der Essenschlange anstellen. Der neue Junge heißt Adam, und er hat lange Haare. Er sagte, dass sein Dad Lehrer an einer anderen Schule ist. Und dass er einen Hund hat.
«Was denn für einen Hund?», fragte Leon. «Einen Schäferhund oder einen Dobermann?»
«Es ist ein Pudel», sagte er. «Er gehört meiner Mum. Sie nennt ihn Candy.»
«Oh», sagte Leon. «Ein Pudel.»
«Ja, aber ich habe ihm beigebracht, Leute zu beißen.»
«Echt?»
«Ja. Ich könnte ihn mal mit in die Schule bringen und alle in der Klasse beißen lassen.»
«Wirklich?»
«Klar, wenn ich will.»
Sie verbrachten den ganzen Nachmittag damit, über das Abrichten von Hunden zu reden und darüber, wie scharf Hundezähne sind und welche Hunderasse die Beste ist. Pudel kamen dabei nicht vor.
Auf dem Nachhauseweg überlegte Leon, ob er Carol um einen Hund bitten sollte, den er dann abrichten kann. Er könnte ihn darauf abrichten, Jakes Vater zu beißen. Oder die alte Frau vom Flur nebenan, die ihn immer so ansieht und dabei den Kopf schüttelt. Er könnte ihn darauf abrichten, Tinas Freund zu beißen und den Briefträger. Und wenn Jake dann älter wäre, könnten sie zusammen als Hundetrainer berühmt werden. Die besten Hundetrainer der Welt.
Gleich als die Sommerferien anfangen, ist zu Hause alles durcheinander. Leon kann ins Bett gehen, wann er will, manchmal kann er sogar auf dem Sofa schlafen, weil seine Mum es gar nicht merkt. Er kann essen, was er will, aber weil der Kühlschrank und der Vorratsschrank leer sind, zählt das nicht. Er muss fast jeden Tag auf Jake aufpassen, und Carol weint immer nur und geht ständig zur Telefonzelle und lässt Leon allein mit Jake, und einmal, als er ihn hochgenommen hat, hat er so gezappelt, dass er auf den Teppich gefallen ist. Bis Carol wiederkam, hat er nicht mehr geweint, aber Leon ist wütend auf sie gewesen, deshalb hat er ihr zwanzig Pence aus dem Portemonnaie geklaut. Er hätte auch das ganze Geld nehmen können, weil sie sowieso nicht weiß, wie viel drin ist.
Frühmorgens, wenn es gerade hell wird, fängt Jake an zu weinen, und Leon steht mit ihm auf. Seine Windel ist immer ganz schwer und nass, aber sobald Leon ihm eine neue angezogen hat, lächelt Jake wieder und lacht. Jake will immer dasselbe zum Frühstück, und Leon hat jetzt ein gutes System entwickelt. Er hat ein paar Wochen gebraucht, es hinzukriegen, aber jetzt könnte er jedem genau erklären, was man tun muss, wenn man am Morgen auf ein Baby aufpasst.
Die Windel wechseln (dran denken, die weiße Creme zu benutzen, sonst ist der Babypo am nächsten Morgen rot). Das Baby füttern, aber die Treppe nur ganz vorsichtig runtergehen, weil Babys auf dem Arm zappeln und ganz schön schwer sind. Wenn man das Frühstücksfläschchen nicht schnell genug macht, weint das Baby wieder los. Sechs Messlöffel Babynahrung in das Fläschchen füllen und warmes Wasser aus dem Kessel draufgießen. Vorher kurz probieren, damit es nicht zu heiß ist. Manchmal, wenn das Baby ganz doll Hunger hat, muss man ein bisschen mehr Pulver und einen Löffel Zucker hineintun. Am schlimmsten ist es, wenn das Baby kotzt. Das macht eine Menge Dreck, und es dauert ewig, bis man alles wieder sauber hat.
Nicht mal Carol kennt den Ablauf so gut wie Leon, und manchmal vergisst sie Jake in seinem Hochstuhl, und Leon muss ihn rausnehmen. Sie geht immer nur ins Bett, also muss Leon alles machen. Wenn er in ihr Zimmer geht, liegt sie unter der Decke verkrochen. Die Tabletten sind auf dem Nachttisch, einige in einem weißen Fläschchen, und dann noch welche, die man aus einer silbernen Karte herausdrücken muss. Er hat mal eine rausgedrückt. Sie sah aus wie ein Bonbon, aber dann hat er sie angeleckt und sie das Klo hinuntergespült.
Manchmal geht Carol auch raus und lässt ihn fernsehen. Dann setzt sie Jake in den Buggy und bleibt stundenlang mit ihm weg, und wenn sie dann nach Hause kommt, ist sie müde, und Jake weint. Sie lässt den Buggy im Flur stehen und geht einfach nach oben und redet dabei mit sich selbst. Leon muss dann Jakes Gurte öffnen, seinen Babyanzug ausziehen und ihn füttern, und manchmal machen Leon all die Dinge, die er tun muss, so müde und wütend.
Es kommt ihm so vor, als hätte Jake tagelang nur geschrien. Wenn er nicht aufhört, muss Leon zu Tina gehen und sich dort Geld leihen. Wenn Tina nicht da ist, muss er zu der Frau nebenan, die ihn nicht mag. Er hat schon in Carols Portemonnaie nachgeschaut, aber da ist nicht genug drin, um Essen oder Windeln für Jake oder ein paar Süßigkeiten für ihn zu kaufen. Da ist überhaupt kein Geld drin, nur ein paar Kassenzettel, ein altes Foto und ein Ohrring. Leon hat die ganze Geldbörse umgeklappt. Er hat zwischen den Sofakissen gesucht und in den Küchenschubladen und in den Taschen von Carols Mantel und auch sonst überall.
Jake trägt nicht mal mehr eine Windel, weil die alte so stank und es keine neuen mehr gibt. Er musste Jake auf einem Handtuch in sein Körbchen setzen und ihm ein paar Spielzeuge dazulegen, aber er kommt jetzt da raus und kann überall rumkrabbeln, und dauernd auf Jake aufzupassen wird viel zu schwierig. Und sie sind in letzter Zeit beide ständig hungrig. Jake weint seit Stunden, und Carol tut einfach nichts.
Jeden Morgen ist es jetzt Leon, der Jake holen und ihn hochnehmen muss und mit ihm ein bisschen herumlaufen, bis er aufhört zu weinen. Man könnte glauben, seine Mum wäre taub, so wie sie sich benimmt. Leon hat sie geschüttelt, hat gebettelt und an ihren Armen gezogen, aber nichts passiert. Obwohl sie wach ist, sagt sie nichts. Sie isst auch nicht und steht nicht auf. Das war gestern so und vorgestern auch, und jetzt, heute, muss Leon etwas unternehmen. Er geht wieder nach oben in ihr Schlafzimmer. Rosa Licht dringt durch die dünnen Vorhänge, und die Luft ist ganz schwer, und es ist so still, als ob jemand den Atem anhält. Carols Hand liegt auf dem Laken. Leon berührt sie mit der Fingerspitze. Sie bewegt sich nicht, aber ihre papiernen Lippen kräuseln sich immer wieder, als ob sie ein Goldfisch im Glas wäre.
«Mum?»
Carol dreht den Kopf zur Wand.
«Ich hab Hunger, Mum.»
Er merkt, dass es im Zimmer riecht wie Leons Windel und dass seine Mum wieder ins Bett gemacht hat. Er öffnet das Fenster, aber nur einen Spalt, damit Carol nicht kalt wird.
Wenn Leon zu Tina geht und von ihr ein bisschen Geld bekommt, dann muss ja keiner erfahren, dass Carol wieder krank ist. Leon kann sie gesund machen, wenn ihm jemand ein bisschen Geld gibt. Als es das letzte Mal so war, musste er bei einer Frau und deren Mann und einer Katze wohnen, und sie haben ihn immer in die Kirche mitgenommen, und er musste ganz still dasitzen, und es war ganz schrecklich, also kümmert er sich lieber um Carol und Jake, er wird ihr Tee und Toast machen und ihr helfen, sich aufzusetzen, er wird ihr Tablett abräumen, und dann wird er ihr Bett neu beziehen und so tun, als ob. Jake weint unten, also geht Leon runter und gibt ihm ein Küsschen.
«Du bleibst hier und spielst mit deinen Spielsachen. Hör mal auf zu weinen, Jake.»
Er lässt die Tür einen Spalt offen und geht nach oben zum nächsten Treppenabsatz. Er klingelt an Tinas Tür.
«Alles in Ordnung, Kleiner?», fragt sie.
«Meine Mum fragt, ob du Geld hast.»
Tina schaut den Flur entlang und dann über das Treppengeländer. «Wo ist sie denn, Leon?»
«Sie schläft, aber sie will, dass ich einkaufen gehe.»
«Warst du heute in der Schule?»
«Nein, die Schule hat letzte Woche aufgehört. Sie fragt, ob du vielleicht ein Pfund für uns hast?»
Tina sieht ihn die ganze Zeit an, und dann geht sie zurück in die Wohnung. Sie kommt mit Schwabbel-Bobby und ihrer Handtasche wieder und schließt die Tür hinter sich.
«Ich gehe mal mit dir runter und schaue nach ihr.»
Leon folgt ihr und hofft, dass seine Mum wach und angezogen ist und dass Jake aufgehört hat zu weinen. Aber als Tina in die Wohnung geht und er das Geräusch hört, das sie macht, weiß er, dass sie alles herausfinden wird.
Sie geht in die Küche und schüttelt den Kopf. «Herrgott», sagt sie. Sie geht ins Wohnzimmer und schlägt die Hand vor den Mund. Sie sieht, wie unordentlich Leon gewesen ist, weil er seine Frühstücksflocken vor dem Fernseher direkt aus der Packung gegessen hat. Dass er Jakes Windeln nicht in den Mülleimer geworfen hat. Dass er das Fenster hätte zum Lüften öffnen müssen, so wie es Tina in ihrer Wohnung macht, damit alles nach Babylotion duftet. Leon sieht plötzlich alles, was Tina sieht. Warum hat er nur nicht aufgeräumt, bevor er sie um Geld gebeten hat? Tina kommt zurück in den Flur.