Meine dritte Chance - Kilian Bedin - E-Book

Meine dritte Chance E-Book

Kilian Bedin

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Beschreibung

Die Transplantation von Organen bedeutet für viele Menschen die letzte Chance. Das Warten auf ein geeignetes Spenderorgan dauert in der Regel in Südtirol etwa 4 Jahre. Eine lange Zeit, die für den betroffenen Patienten geprägt ist von Bangen, Schmerzen und Entbehrungen. Kilian Bedin ist einer von diesen betroffenen Menschen. Er lebt den harten Alltag eines Dialysepatienten, mit Hoffnungen und Ängsten – und dem Wunsch, dass möglichst wenige Menschen davon etwas mitbekommen. Bis er beschließt, ein Buch zu schreiben.

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INHALT

Über dieses Buch

Vorwort

Nach einer Dialyse

Dialyse – zum zweiten ersten Mal

So fing es an

Leben mit Mamas Niere

Ich werde aktiv

Wir sind nicht allein

Die Lage in Südtirol

Zum Abschluss

Liste des Lebens oder „Der Anruf“

Originaltexte in Italienisch

ÜBER DIESES BUCH

Im Herbst 2012 habe ich mich dazu entschlossen, an diesem Buch zu schreiben. Was ich darin festgehalten habe, stand nicht von Anfang an fest, aber es hat sich im Laufe der Zeit während des Schreibens entwickelt. Die Idee von Anfang an war aber zu dokumentieren, wie mein Leben als Nierenpatient von der Krankheit geprägt ist. Es geht mir darum aufzuzeigen, was hinter einer Organkrankheit steckt, was es auf sich hat, wenn von Transplantation und von Organspenden die Rede ist.

Wie mir geht es vielen anderen hier in Südtirol, und dennoch ist jeder und jede in einer individuellen Situation. Ich stelle mich mit diesem Buch in die erste Reihe. Das soll nicht anmaßend verstanden sein. Vielmehr bitte ich Sie, diese Entscheidung, mein Leben auf diesen Seiten auszubreiten, als meinen persönlichen Beitrag zu verstehen, der zur Sensibilisierung einer möglichst breiten Leserschaft für unsere Krankheit führen soll.

Ich habe meinen Krankheitsverlauf nicht chronologisch geschildert. Das Buch beginnt zu dem Zeitpunkt, als ich mich zum Schreiben entschieden hatte. Es lag auf der Hand, dass ich die aktuelle Zeitachse verlassen musste, damit ich die Entwicklung meiner Krankheit von Anfang an skizzieren konnte. Während des Schreibens in den zwei Jahren sind dann immer auch unerwartete Ereignisse eingetreten, die direkt mit der Krankheit zusammenhingen. Da war nichts zu planen, das musste ich zuerst als Patient durchstehen und überbrücken, bevor ich mich als Autor an ein neues Kapitel setzen konnte. Anderseits sind Gedanken in diesen zwei Jahren auch erst entstanden, sodass ich sie festgehalten habe, sobald mir das gelungen ist.

Dank eines grafischen Leitfadens finden Sie in der Marginalie am Seitenrand oft eine Jahreszahl und im jeweiligen Text zumeist noch etwas genauere Informationen darüber, wann sich eine Episode ereignet hat. Auch für mich war es neu und spannend, von meiner Mutter und von meiner Frau zu lesen, wie sie meine Krankheitsgeschichte mitfühlen und selbst erleben. Es wäre falsch zu glauben, dass es im Alltag immer möglich wäre, ein derartiges Gespräch zu führen. Insofern hat die Arbeit am Buch mir auch einiges an Reflexion ermöglicht, die ohne das Buch nicht sicher stattgefunden hätte. Mein ganz großer Dank geht an meine Mutter und an dich, Vera, für eure Beiträge, die ich als Unterstützung für mein Anliegen verstehe, das ich mit diesem Buch vorantreibe.

Ein großes Dankeschön geht auch an Primar Dr. Bruno Giacon, der mich seit zwölf Jahren direkt und indirekt betreut und mich zum Schreiben dieses Buches ermutigt hat. Danke sage ich auch an Dietrich Oberdörfer, Präsident von „Nierene“, Annamaria Saviolo, Präsidentin von „AIDO Südtirol“, Prof. Dr. Bruno Meiser, Präsident der Stiftung „Eurotransplant“, Dr. Sandro Costa, Leiter des „Centro Nazionale Trapianti“, sowie Martin Stifter, Gemeinderat von Marling, dafür, dass sie mit ihren Beiträgen dieses Buch zu einer aktuellen Informationsquelle für Fragen zur Organspende und Transplantation in Südtirol und darüber hinaus gemacht haben.

Ein besonderes Dankeschön geht an Frau Luisa Spagnolli Ferretti für ihre Bereitschaft, ihre persönlichen Überlegungen zur Organspende meinem Buch zur Verfügung zu stellen, welche sie zur Entscheidung gebracht haben, die Organe ihres Mannes Remo Ferretti zu spenden, als dieser einen Hirntod erlitten hat.

Ich danke dem Bozner Rechtsanwalt Avv. Dr. Alberto Valenti, der selbst zu genau weiß, was man als Nierenkranker zu tragen hat, und der mich offen empfangen und meinem Anliegen sofort zugestimmt hat, für mein Buch das Vorwort zu schreiben.

Vergessen möchte ich keinesfalls meine Leidensgenossen, die mit ihren Erzählungen aufzeigen, wie unterschiedlich wir unser Organleiden erleben und was es für uns bedeutet, ein neues Organ gespendet zu bekommen. Danke!

Ein Dank gilt natürlich auch meinem Dialyseteam, Belgica, Benita, Cristina, Eva, Giusy, Irene, Lorena, Margareth, Maria, Marina, Nicoletta, Olivera, Selene, Silvia, Wioletta, Dr. Carlo Stablum, Dr. PierLuigi Gaianigo und Dr. Friedrich Neumair, die mich nun seit vier Jahren betreuen und mich, bis ich transplantiert werde, hoffentlich weiterhin physisch und psychologisch auf Trab halten, um so weit als möglich ein normales Leben führen zu können.

Eine wichtige Rolle bei der Realisierung dieses Buches sind auch die Sponsoren: Abteilung Deutsche Kultur, Auto Brenner AG, Raiffeisenkasse Bozen, Dr. Ing. Konrad Engel und „Nierene“, der Südtiroler Nierenkrankenverein. Danke für eure Unterstützung.

Last, but not least, danke ich dir, liebe Jutta, ohne dich wäre dieses Buch nie zustande gekommen.

Kilian Bedin

 

 

„Zur Summe meines Lebens gehört im Übrigen, dass es Ausweglosigkeit nicht gibt.“

Willi Brandt

VORWORT

Als Kilian mir die Ehre erwies, mich um ein kurzes Vorwort für sein Buch zu bitten, kam dieser Vorschlag für mich völlig unerwartet, und gleichzeitig fühlte ich mich geschmeichelt.

Ich konnte damals nicht ahnen, dass sein Werk mich dermaßen tief berühren, dass es mich veranlassen würde, mich regelrecht in seinen Körper hineinzufühlen. Er hatte nicht nur alles, was er erzählte, selbst erlebt, er hatte auch schwere Schmerzen und schlimmes Leid erfahren, und zwar über eine grausame lange Zeit hinweg.

Kilians nüchterne, schnörkellose Art, körperliche und seelische Ausnahmesituationen zu beschreiben, fesselt den Leser derart, dass er schließlich ganz ins Geschehen eintaucht und am eigenen Leib und in der eigenen Seele dieselben unglaublichen Gefühle und Emotionen verspürt, die der Autor erlebt hat und noch immer erlebt, während er nach wie vor auf eine Nierenspende wartet.

Die einmalige Authentizität, mit der Kilian seine Erfahrungen vom Beginn seiner Nierenerkrankung über die Transplantation der von seiner Mutter gespendeten Niere bis zur mühsamen, mehr als vierjährigen Dialysezeit samt allen in diesen Zeitraum fallenden Episoden und Zwischenfällen schildert, ist das unmittelbare Ergebnis dessen, was er wie so viele andere Nierenkranke Jahr für Jahr täglich durchlebt hat.

Was er schreibt, kommt einer regelrechten Enthüllung gleich und bricht das Schweigen, das seit Langem das Thema Nierenerkrankungen umgibt und insbesondere die Dialyse und das ewige, aufreibende Warten auf eine Organspende.

Gerade weil Kilian dieses Schweigen bricht, ist sein Verdienst. Es gelingt ihm auf so schlichte und ergreifende Art, weil er erzählt, was er und seine Familie selbst durchlebt haben. All dies betrifft jedoch nicht nur den Autor, sondern unzählige andere Menschen, die sein Schicksal geteilt haben, teilen und teilen werden, was dieses Buch zu einer wertvollen Quelle ansonsten kaum verfügbarer Informationen zum Schicksal von nierenkranken Menschen, Dialysepatienten und Organempfängern in spe macht.

Das Besondere an diesem einfach geschriebenen, von Schmerz durchzogenen Buch ist also der Einblick, den es in eine fast unbekannte Welt bietet. Darin liegt der Wert von Kilians Worten, niedergeschrieben für den Durchschnittsleser, aber auch für all jene, die denselben schweren Weg gehen oder gehen werden wie er, seien es nun direkt Betroffene, also Kranke und deren Angehörige, seien es Menschen, die als Pfleger oder Ärzte mit ihnen in Berührung kommen.

Kilians analytische, fast schon eigenwillig und akribisch zu nennende und an Tagebucheintragungen erinnernde Art, seinen Leidensweg zu schildern – vom Auftreten der Krankheit über die erste Transplantation bis zu den dreiwöchentlichen, jeweils vier oder fünf Stunden dauernden und sich insgesamt über vier Jahre erstreckenden Dialysesitzungen ist nur ein –wenn auch gewichtiger – Unterbau für die weitaus bedeutenderen psychologischen, moralischen und emotionalen Aspekte, die die menschliche und berührendste Seite seiner Geschichte darstellen. So wächst Kilians Schicksal über die persönliche Sphäre hinaus und erhält soziale Relevanz.

Wie konnte man auch unberührt bleiben angesichts der Nierenspende, mit der seine Mutter den Akt der Liebe, den sie vollbracht hatte, als sie ihm das Leben schenkte, auf womöglich noch berührendere Weise wiederholte? Wie nicht seelisch und sogar körperlich die Tausend Probleme und die unglaublichen Komplikationen nachfühlen, die seinen Leidensweg von der Diagnose über den Verlust der von der Mutter gespendeten Niere bis zur Dialyse und dem zermürbenden Warten auf eine Organspende säumten? Unzählige Hindernisse bauten sich hier auf in Gestalt von Pathologien und entsprechenden Krankenhausaufenthalten, verursacht durch hohen Blutdruck, Herzrhythmusstörungen, paroxysmale Tachykardie, Hypotonie und Ohnmachtsanfälle, Kardioversion und weitere Beschwerden, die jedes Mal die Angst vor dem Ende aufkommen ließen.

Wie konnte Mitgefühl im wortwörtlichen Sinne ausbleiben, wo doch enorme Auswirkungen und Konsequenzen der Krankheit, der Dialyse und der unzähligen damit verbundenen Widrigkeiten auf Kilian als Ehemann, Vater und Sohn hereinstürzten, auf das Leben und den Alltag seiner Töchter, seiner Frau und seiner Angehörigen? Sie alle standen geschlossen hinter ihm und nahmen mit vereinten Kräften und Entschlossenheit jede Schwierigkeit und jedes neue Problem in Angriff. Dabei gingen sie einfühlsam und diskret vor, um ihn die riesige Belastung nicht spüren zu lassen, die eine derartige Krankheit unweigerlich für jede Familie darstellt.

Weil wir gerade von Belastung und Schuldgefühlen sprechen: Kilian, es war für dich damals nicht leicht, die Nierenspende deiner Mutter anzunehmen, die einen enormen Liebesbeweis darstellte und es dir ermöglicht hat, acht Jahre lang ein nahezu normales Leben zu führen. Du fühlst dich deshalb vielleicht immer noch schuldig. Wusstest du, dass es wissenschaftlich und statistisch erwiesen ist, dass eine Organspende die verbleibende Niere des Spenders langlebiger macht?

Eines, Kilian, ist sicher: Wenn du deiner Mutter auch ewig dankbar sein musst, so brauchst du ihr gegenüber doch keine Schuldgefühle zu haben. Die Natur beschert uns viele Wunder, und dies ist eines davon.

Genau betrachtet folgt dein Weg einer klaren Richtung, und zwar führt er vom Leid zur Hoffnung, von der Verzweiflung zur Normalität oder einem der Normalität ähnlichen Zustand und schlussendlich zu einer inneren Läuterung, einer äußersten Katharsis. Die ergibt sich aus der Liebe, die du deinen Schicksalsgefährten gegenüber zum Ausdruck bringst, indem du das komplexe Thema der postmortalen Organspende ansprichst. Damit nimmst du ganz unabhängig von deiner persönlichen Lage ein Problem in Angriff, das die Gesellschaft als Ganzes angeht und soziale, politische und moralische Fragen aufwirft.

Was dieses Thema anbelangt, so ergeben deine Recherchen bereits ein vollständiges Bild, das Wortmeldungen von berufener Stelle noch konstruktiv ergänzen. Deshalb will ich es bei einigen wenigen Überlegungen belassen.

Auch dieses Jahr gedenken wir wieder der Opfer des Holocaust, weil dieses schreckliche Kapitel unserer Geschichte nicht in Vergessenheit geraten darf. Ein Satz, der in diesem Zusammenhang gefallen ist, lautet: „Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.“ Gemeint ist jene Gleichgültigkeit, die Hand in Hand geht mit bequemem Schweigen und Zurückhaltung. Sie führt dazu, dass wir auf unglaubliche und schuldhafte Art und Weise vergessen und wider jede Vernunft unser Gewissen beruhigen.

Manche Menschen opfern ihr Leben für hohe Ideale wie Vaterlandsliebe, Pflichtbewusstsein, Glaube und dergleichen. Dass wir sie deshalb zu Helden und Märtyrern machen, hat seine Berechtigung, denn jeder Mensch hat nur ein Leben, und dieses Leben ist von unschätzbarem Wert.

Die Organentnahme nach Feststellung des Hirntodes ist ebenfalls ein kostbares Geschenk, mit dem Opfer des eigenen Lebens jedoch in keinster Weise vergleichbar. Denn hier haben wir es mit den sterblichen Überresten eines Menschen zu tun, denen – so hart dies auch sein mag – der göttliche Lebenshauch für immer entwichen ist und die dazu bestimmt sind, zu dem Staub zu werden, aus dem wir alle entstanden sind.

Wer ein Organ, das seinen Nutzen verloren hat, an einen Mitmenschen weitergibt, der schwer erkrankt oder in Lebensgefahr ist, zündet einen Lebensfunken, der das Dasein des Empfängers und damit in gewisser Weise auch jenes des Spenders verlängert.

Dies sagt uns die Logik, und die sagt bekanntlich stur wie ein Esel immer die Wahrheit und lässt für Gleichgültigkeit keinen Raum, es sei denn, sie entspringt dem Stumpfsinn oder, schlimmer noch, unsäglichem, hohlem Egoismus.

Kilian, ich weiß, dass der Lebensfunke, den eine Nierenspende bedeutet, für dich zum Greifen nah ist. Alles Gute, Kilian!

Alberto Valenti

Originaltext in Italienisch im Anhang auf Seite →

NACH EINER DIALYSE

Um 6.30 Uhr läutet der Wecker. Ich habe sehr gut geschlafen und gar keine Lust aufzustehen. Muss ich aber. Ich ziehe mich im Dunkeln ganz leise an, um meine Frau und meine Kinder nicht zu wecken.

Auf dem Weg zur Dialysestation gehen mir die vergangenen Wochen durch den Kopf, in denen ich hohen Blutdruck hatte und wegen Herzrhythmusstörungen dreimal ins Krankenhaus musste. Ist der Blutdruck heute hoch, oder ist er normal? Fängt das Herz wieder an verrücktzuspielen? Es gilt abzuwarten.

In der Dialysestation ziehe ich mich um und lege mich auf das Bett. Nach einigen Minuten kommt die Krankenschwester, um mir die Blutdruckmanschette anzulegen. Ich bin angespannt, aber muss geduldig bleiben, bis das Blutdruckmessgerät die Manschette aufpumpt und langsam die Luft auslässt. Mein Blutdruck ist wieder hoch. Ich bin demoralisiert, weil das schon Tage andauert. Meine Bemühungen, mich nach allen Vorgaben des Arztes zu ernähren und nur wenig zu trinken, haben nichts genützt. Die neue Therapie greift nicht.

Die Krankenschwester kommt erneut, um mich an das Dialysegerät anzuschließen. Natürlich hoffe ich, dass das Einstechen heute nicht wehtut. Ich spüre zwar die Stiche im Arm, sie tun heute zum Glück aber nicht weh. Aufgrund des hohen Blutdruckes ist nicht eindeutig, auf welches Körpergewicht die Krankenschwester die Maschine einstellen soll. Nach ihrer Rücksprache mit dem Arzt wird mein Trockengewicht erneut um ein halbes Kilo auf 70 Kilogramm reduziert – probehalber, um zu sehen, wie sich der Blutdruck nach der Dialyse verhält. Habe ich in den letzten Wochen wirklich so viel abgenommen?

7 Uhr, die Dialyse beginnt. Nach einer halben Stunde wird der Blutdruck wieder gemessen. Zu meiner Erleichterung ist er jetzt fast auf Normalwert. Ich schaue verkrampft alle halbe Stunde auf den Monitor. In der Regel ist der Blutdruck gegen Ende der Dialyse immer zu hoch. Die Küchengehilfin bringt mir irgendwann das Frühstück, das übliche Brot mit Aprikosen- oder Schwarzbeermarmelade – heute sind die Schwarzbeeren dran – und ein kleiner Becher Früchtetee, stark gezuckert. Während ich frühstücke, fällt mir auf, dass das Herz noch normal schlägt.

Danach versuche ich zu schlafen. Das gelingt mir normalerweise, heute aber, wohl aufgrund des hohen Blutdruckes, kann ich nicht einschlafen und horche angespannt meine Herzschläge. Im Fernseher, der mir die Dialysezeit hilft zu vertreiben, ist wie jeden Samstagmorgen nichts Interessantes, sodass ich wie immer die Euro Top Charts auf MTV schaue.

Die Dialyse dauert bereits mehr als eine Stunde, da hat mein Herz den ersten Aussetzer. Ich werde nervös und versuche, mich durch tiefes Ein- und Ausatmen zu beruhigen. Ich bete und bitte Gott, mir Kraft zu geben und mir beizustehen. Doch die unruhigen Herzschläge dauern an, bis kurz vor Ende der Dialyse. Dann endlich findet mein Herz wieder seinen Rhythmus. Ich kann entspannen.

Mein Blick aus dem Dialysebett

Erst jetzt ist es mir möglich, an die Planung meines Tages zu denken. Ich bin froh, dass wir am schulfreien Samstagvormittag nicht viel vorhaben. Natürlich fehlen mir erneut diese fünf Stunden mit meiner Familie. Zwar endet die Dialyse nach vier Stunden. Seit meinem Krankenhausaufenthalt Anfang November jedoch muss ich länger bleiben. Aufgrund der Blutverdünnungsmittel, die ich nach den aufgetretenen Herzrhythmusstörungen einnehmen muss, bluten die Einstichlöcher manchmal nach.

Gegen 11.15 Uhr verlasse ich die Dialysestation. Auf dem Heimweg gehen mir die Ereignisse nochmals durch den Kopf. Ich bin wegen meines hohen Blutdrucks besorgt. Wenigstens schlägt das Herz normal.

In diesem Moment entscheide ich, was mir bereits seit längerer Zeit durch den Kopf geht: Ich möchte über mein Leben schreiben. Über das Leben mit Dialyse, über mein chronisches Nierenleiden, über das Warten auf ein neues Spenderorgan. Darüber, wie ich versuche, ein ganz normales Leben mit meiner Frau und meinen beiden Kindern zu führen, als Mittvierziger.

Ich spüre die Kraft in mir, diese Krankheit zu stemmen. Meine Familie hat sich vollständig darauf eingestellt, auch auf den Ablauf meiner Woche, der von den drei Vormittagen im Dialysebett diktiert wird. Meine Familie ist für mich die wichtigste Unterstützung, die ich mir vorstellen kann.

Die Entscheidung, dieses Buch zu schreiben, fälle ich nicht, um mein Schicksal zu beklagen. Keineswegs. Stichworte wie „Transplantation“ und „Organspende“ kennen viele nur aus den Schlagzeilen der Medien. Für mich – und für alle, die an einer Organkrankheit leiden – bedeuten diese Schlagworte alles.

Alles, das heißt, im besten Fall zu versuchen, das Leben trotzdem so normal als eben möglich zu leben.

Ebenso wie ich warten viele andere in Südtirol und überall sonst auf den entscheidenden Anruf: Ja, auch während ich schreibe, liegt mein Telefon neben mir, das jeden Moment klingeln kann. Der Anruf mit der Nachricht, dass das für mich geeignete Spenderorgan bereit ist, bedeutet für mich, die längst gepackte Tasche zu nehmen und – ab in die Klinik: Dann ist ein gesunder Mensch gestorben, der vorsorglich zugestimmt hat, dass er oder sie im Fall des ungeplanten Ablebens seine bzw. ihre Organe spendet.

Doch das Telefon klingelt nicht.

Ich schreibe weiter.

Kilian Bedin

DIALYSE – ZUM ZWEITEN ERSTEN MAL

Meine Blutwerte sind zwar stabil, aber zu hoch. Auch der Blutdruck war schon besser. Mir fällt das auf, weil mir das Treppensteigen schwerer fällt. Ich fühle mich wie ein alter Mann. Nachdem mein Körper aufgedunsen ist und ich immer weniger Wasser lasse, ist mir erst vor Kurzem klar geworden, dass die Dialyse für mich wohl wieder notwendig werden wird. Zunächst hatte ich gehofft, dass ich meine Niere noch bis zu Jahresende retten kann. Mein Ziel wäre es eigentlich, zehn Jahre mit meiner transplantierten Niere zu erreichen. Ich bin wohl zu ambitioniert. Aber es ist die Niere meiner Mama, die nun dabei ist, in mir aufzuhören zu arbeiten.

Bei einer Routinekontrolle im September ist es dann so weit. Der Arzt rät mir, mit der Dialyse anzufangen. Der medikamentöse Aufwand sei zu hoch, die nur mehr schwach arbeitende Niere zu unterstützen, so der Arzt. Das würde meinem Körper mehr schaden, als guttun.

Ich kann mich vor den vielen Fragen nicht erwehren, die über mich hereinbrechen, ohne dass ich das verhindern könnte. Warum immer ich? Was habe ich falsch gemacht? Hätte ich es durch einen anderen Lebensstil verhindern können? Wie ist die Dialyse mit meiner Familie vereinbar? Wie mit meinen ehrenamtlichen und meinen Freizeittätigkeiten? Wie mit meinen beruflichen Plänen?

Am heftigsten sind die Schuldzuweisungen mir selbst gegenüber, mit dem Geschenk meiner Mutter, ihrer Lebendspende, nicht sorgfältig genug umgegangen zu sein.

Solche Momente muss ich überwinden. Ich konzentriere mich also auf das Wesentliche: Dialyseort, Dialysetage und der Beginn der Behandlung sind zu organisieren. Mein erstes Ziel ist, die Dialyse nicht im Krankenhaus machen zu müssen. Das Dialysezentrum im Bozner Neustifter Weg liegt fünf Minuten Fußweg von daheim, da habe ich bereits vor acht Jahren meine erste Dialyse gemacht. Hoffentlich kann ich mir den langen Weg ersparen.

Zum Glück ist noch ein Platz frei. Ich muss drei Tage pro Woche wählen und suche für Montag, Mittwoch und Freitag an, wie damals für meine erste Dialyse vor acht Jahren. Damals hatte ich noch keine Kinder. Jetzt gilt es für mich, die Dialyse mit meiner Arbeit und mit meiner Familie gut einzuplanen. Und Samstag ist Familientag, da meine beiden Kinder schulfrei haben.

Doch an meinen bevorzugten Wochentagen sind alle Plätze besetzt. Diese Nachricht trifft mich wie ein Schlag. Ich muss auf Dienstag, Donnerstag und Samstag ausweichen. In solchen Momenten fühlt sich jeder noch so kleine Rückschlag doppelt so schlimm an. Wofür muss ich büßen?

Ich muss mich wieder konzentrieren, um die Kontrolle zu behalten. Der Beginn der Dialyse wird mit dem Arzt vereinbart. Zu meinem Glück ist meine Fistel noch sehr gut erhalten, obwohl sie mir vor fast neun Jahren operiert und nun seit acht Jahren nicht gebraucht worden ist. Ich brauche zum Glück keine OP für eine neue Fistel und auch keinen Halskatheter.

Der Anfang meines zweiten Dialyselebens beginnt am 12. Oktober 2010, genau acht Jahre und zehn Tage nach meiner Transplantation.

Nach meiner ersten Transplantation, wie ich nun zu zählen anfangen muss.

Als ich hinkomme, bin ich nicht besonders aufgeregt. Ich kenne das Zentrum, die Krankenschwestern und die Ärzte noch von damals. Daher weiß ich auch, was dialysieren bedeutet, welche Auswirkungen das auf meinen Körper hat und was zu tun ist.

Ich betreibe für mein Leben gern Sport, bin deshalb körperlich fit, und das gibt mir etwas Sicherheit. Ich gehe somit trotz allem eher gelassen in diesen Lebensabschnitt.

Nach drei Stunden und drei Kilo weniger ist nun die Dialyse vorbei, die erste meines zweiten Zyklus. Seitdem komme ich jeden Dienstag, jeden Donnerstag, jeden Samstag ins Dialysezentrum.

Was ist Dialyse eigentlich?

Die Methode der künstlichen Niere ist im Prinzip ganz einfach. Das Blut wird in einer Maschine, an die ich als Patient angeschlossen werde, von Wasser und Schadstoffen außerhalb des Körpers gereinigt. Hauptkomponente des Dialysegerätes ist eine Membran, die aus Zellulose (Cellophan- oder Cuprophanmaterial) oder synthetischem Material besteht und als Filter dient. Sie lässt lediglich einen Teil der Substanzen durch.

Bei der Hämodialyse macht man sich das physikalische Prinzip der Osmose zunutze. Das Blut hat eine andere Konzentration an harnpflichtigen Substanzen und Blutsalzen als das Dialysat, jene Flüssigkeit, die der Dialysator enthält. Deshalb wandern diese Substanzen aus meinem Blut ab in das Dialysat. Es kommt somit zu einem Ausgleich der Stoffkonzentrationen (Osmose).

In die andere Richtung wird während der Hämodialyse das Patientenblut aus dem Dialysat mit Stoffen angereichert.

Kurz: Dem Blut werden schädliche Stoffe entzogen und erwünschte Stoffe zugeführt. Das erfolgt in etwa vier Stunden, während denen das Blut etwa achtzigmal durch das Gerät gepumpt wird.

SO FING ES AN

Herbst 1986 Ich, 17 Jahre alt, frisch verliebt. Auf Sport konzentriert. Seit der Mittelschule. In mehreren Sportarten habe ich ein gutes Niveau erreicht, Schwimmen, Fußball, Tennis, ein kurzer Auftritt beim Eishockey. Zuletzt bleibe ich beim Handball. Mein Trainer erkennt sofort meine Fähigkeiten im Stellungsspiel. Mir gelingt der Sprung in den SSV Bozen, und er stellt mich auch aufgrund meiner Reaktionsschnelligkeit ins Tor, obwohl ich nicht der Größte bin.

Meine Zukunft gehört da noch mir, alles ist offen. Ich hege keine beruflichen Pläne, es zählt nur mein Sport. Karrieren von Musterschülern sehen anders aus. Ich habe bereits zwei Schuljahre verloren. Dass ich die Matura schaffe, verdanke ich meiner Freundin. Vom Besuch einer Universität aber will ich nichts wissen. Ich nehme daher die erste Arbeit an.

1987, mit 18 Jahren, werde ich fürs Militär gemustert. Meine Befunde der ärztlichen Untersuchung sind auffällig: Der Urin hat hohe Proteinwerte. Infolgedessen schäumte mein Urin, was mir bislang nicht aufgefallen war. Mein Hausarzt meint, dass sich diese Werte von alleine wieder normalisieren können, da sie manchmal bei männlichen Jugendlichen während der Pubertät auffällig sind. Er verschreibt mir eine Kortison-Therapie.

Leider bringt die nichts, außer dass ich zehn Kilo zunehme und neunzig Kilo auf die Waage bringe. Die Proteinwerte hingegen steigen weiter. Ich werde an die Nephrologie, die Nierenabteilung der inneren Medizin des Bozner Krankenhauses, verwiesen. Es folgen erste Untersuchungen, unter anderem steht eine Biopsie der Niere auf dem Programm, um die Ursache der Proteinurie festzustellen, also den Proteinverlust beim Urinieren.

Die Diagnose lautet: chronische Nierenentzündung. Ich denke mir noch nichts Besonderes dabei, verschwende keinen weiteren Gedanken und gehe davon aus, dass sich das wieder richten wird. Vielmehr freue ich mich über einen eminenten Vorteil als unmittelbare Konsequenz: Ich muss nicht zum Militär.

Stehend/in piedi: Angeli Willi, Kakas Janos, Rigatti Silvan, Bedin Kilian, Pirpamer Stephan, Mayrl Bruno, Widmann Thomas, Barth Hanno, Amplatz Walter, Vinko Zgaga Unten/sotto: Birello Andrea, Mayr Martin, Puntscher Ivo, Vecchiato Andrea, Lutterotti Mauro, Putzer Harald, Pircher Andreas, Birello Marco, Cicoria Maurizio

Dr. Regele Reinhold Arzt/medico

Hofer Andreas Masseur/massaggiatore

Ausserbrunner Hermann (Celli) Sportwart/accompagnatore

Im selben Jahr nimmt mich der SSV Bozen in seiner ersten Handballmannschaft auf. Doch da falle ich bei den ärztlichen Untersuchungen glatt durch – die Proteinwerte haben sich nicht normalisiert.

Nach einer viel zu kurzen Spielzeit muss ich schweren Herzens meine Handballkarriere an den Nagel hängen. Ich wechsle sofort zum Tennis. Der entscheidende Grund dafür ist: Bei Tennisturnieren und -meisterschaften gibt es zu jener Zeit noch keine verpflichtenden sportärztlichen Untersuchungen.