Meine verlorene Freundin - Milena Busquets - E-Book

Meine verlorene Freundin E-Book

Milena Busquets

0,0
18,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sie ist Autorin, Mitte vierzig, alleinerziehende Mutter zweier Kinder, und obwohl ihre Beziehungsversuche meist scheitern, fühlt das Leben sich sehr behaglich an: Barcelona, der Sommer am Meer, die Körper, die Bars, eine beherzte Leichtigkeit. Bis ein Gespenst sie überfällt, eine jähe Erinnerung: an Gema, die allerbeste Kindheitsfreundin, die fünfzehnjährig unrettbar an Krebs erkrankte. Was wäre wohl aus ihr geworden? Wann hatten sie und Gema einander zuletzt gesehen? Und warum ist die Erinnerung an die verlorene Freundin so verblasst? Um dieser plötzlichen Erscheinung nachzuspüren, macht sie sich auf die Suche, geht Fotoalben durch und alte Schülerzeitungen, spricht mit den damaligen Freundinnen. Doch keine scheint sich zu erinnern. Keine außer ihr selbst – oder bildet sie sich das alles nur ein?

Meine verlorene Freundin handelt von der Vergangenheit, die wir vergessen haben und die uns immer wieder heimsucht. Milena Busquets erzählt leicht und lebhaft und tiefgründig, von Liebe und Abschied und von einer Freundschaft, die weit über ihr viel zu frühes Ende hinaus fortzudauern scheint.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 143

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Titel

Milena Busquets

Meine verlorene Freundin

Roman

Aus dem Spanischen von Svenja Becker

Suhrkamp

Zur optimalen Darstellung dieses eBook wird empfohlen, in den Einstellungen Verlagsschrift auszuwählen.

Die Wiedergabe von Gestaltungselementen, Farbigkeit sowie von Trennungen und Seitenumbrüchen ist abhängig vom jeweiligen Lesegerät und kann vom Verlag nicht beeinflusst werden.

Um Fehlermeldungen auf den Lesegeräten zu vermeiden werden inaktive Hyperlinks deaktiviert.

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel Gema bei Editorial Anagrama, Barcelona.Support for the translation of this book was provided by Acción Cultural Española, AC/E.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2022

Der vorliegende Text folgt der deutschen Erstausgabe, 2022

© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2022© by Milena Busquets Tusquets, 2021

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

Umschlagfoto: Tania Franco Klein, Yellow Tiles (Selbstporträt), 2017

eISBN 978-3-518-77219-5

www.suhrkamp.de

Meine verlorene Freundin

Meine verlorene Freundin

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Cover

Titel

Impressum

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13.2.1989 Erster Jahrestag

13.2.1990 Zweiter Jahrestag

13.2.1991 Dritter Jahrestag

13.2.1992 Vierter Jahrestag

13.2.1993 Fünfter Jahrestag

13.2.1994 Sechster Jahrestag

13.2.1995 Siebter Jahrestag

13.2.1996 Achter Jahrestag

13.2.1997 Neunter Jahrestag

13.2.1998 Zehnter Jahrestag

13.2.1999 Elfter Jahrestag

13.2.2000 Zwölfter Jahrestag

13.2.2001 Dreizehnter Jahrestag

13.2.2002 Vierzehnter Jahrestag

13.2.2003 Fünfzehnter Jahrestag

13.2.2004 Sechzehnter Jahrestag

13.2.2005 Siebzehnter Jahrestag

13.2.2006 Achtzehnter Jahrestag

13.2.2007 Neunzehnter Jahrestag

13.2.2008 Zwanzigster Jahrestag

13.2.2009 Einundzwanzigster Jahrestag

13.2.2010 Zweiundzwanzigster Jahrestag

13.2.2011 Dreiundzwanzigster Jahrestag

13.2.2012 Vierundzwanzigster Jahrestag

13

14

15

16

17

18

Dank

Informationen zum Buch

1

Gema ist für mich immer der Name einer Toten gewesen. Oder nicht immer, aber seit gut dreißig Jahren, und das ist fast dasselbe. Sie starb mit fünfzehn. Zwei Jahre später starb mein Vater. Seinen Namen traf jedoch kein Fluch. Ich kann meinen Söhnen zuhören, wie sie ihre Väter mit Fragen löchern, ohne dabei an meinen zu denken, ohne Schmerz oder Sehnsucht, und wenn jemand seinen Namen – »Esteban« – sagt, dann denke ich nur: »Ach, wie Papa.« Wird mir dagegen eine Frau vorgestellt, die Gema heißt, und ich erkenne, wenn ich aufschaue, nicht die schönen dunklen Haare, den blassen Teint und den fragenden, spöttischen Blick meiner Freundin, dann denke ich: »Nein, du bist nicht Gema. Kein Stück.«

Was bedeutet Gema? Stein? Juwel? So wie Gemme? Das englische »Gem«? Niemand heißt in England Gem, aber ein paar Gemas gibt es dort, glaube ich.

Beide Tode fanden auf derselben Bühne statt, auf meinem alten Schulhof, auch wenn die zwei natürlich später im Krankenhaus starben.

Mama war extra in die Schule gekommen, um mir zu sagen, dass es schlecht um Papa stand, und flog dann im Anschluss übers Wochenende nach London. Mit Freunden. Sie ließ mich aus dem Unterricht holen und eröffnete mir auf dem leeren Hof, dass aus dem, was eine Routineoperation am Magen hätte sein sollen, ein Todesurteil geworden war. Auf die Idee, ihre Reise abzusagen, kam sie nicht. »Ich hätte nicht gedacht, dass dich das derart mitnimmt«, entschuldigte sie sich danach endlos über die Jahre.

Ich hatte diesen Schulhof nicht wieder betreten. Ein paarmal war ich daran vorbeigekommen, aber nicht oft, obwohl ich in der Nähe wohnte, er lag einfach nicht mehr auf einem meiner üblichen Wege. Wir haben alle drei, vier Strecken, die wir regelmäßig nehmen, in die Innenstadt, zur Schule, nach Cadaqués, zum Verlieben, wieder zurück. Würden wir sie mit Rotstift auf einer Karte einzeichnen wie die Adern auf manchen anatomischen Darstellungen, dann würden wir sehen, dass es kaum Abweichungen gibt, dass wir unser Leben in einer einzigen Hand verbringen, im Hin und Her zwischen Zeigefinger und Daumen und Daumen und Zeigefinger oder wieder und wieder den Oberschenkel hinauf und hinunter.

Dass meine Mutter verliebt war in den, der ihre letzte Liebe sein sollte, fand ich heraus, als sie mich eines Tages im Auto auf dem Heimweg vom Einkaufen bat, von unserer üblichen Route abzuweichen und eine andere Straße hinauf zu nehmen, weil jemand ihr gesagt habe, das gehe schneller.

»Komische Idee«, sagte ich, während ich tat wie geheißen. »Wir fahren doch immer hier lang. Das ist unser Weg.«

Und dann, zugleich mit dem aberwitzigen, grellen und treffenden Gedanken:

»Du bist doch nicht etwa verliebt?«

So fest und entschlossen, wie unsere Schritte sind, gibt es nicht viel, was sie ändert.

Der Schulhof war betoniert und umrahmt von ein paar nüchtern praktischen, etwas kastigen Gebäuden in Sandfarben. Wobei die Schule wahrscheinlich der Ort auf der Welt ist, an dem es am wenigsten stört, wenn er hässlich ist. Jugendliche interessieren sich bloß dafür, wie sie selbst aussehen (und ihre Eltern, solange sie deren Erscheinung als eine Erweiterung von sich ansehen), und ich habe noch nie gehört, dass sich ein Schüler beschwert hätte, weil der Unterricht in einem anmutlosen Kasten stattfindet. Uns wäre es egal gewesen, in einem Palast zu sein. Einziger Bewuchs waren ein paar niedrige, an strategischen Punkten verteilte Büsche, die verschiedene Bereiche abtrennten oder kennzeichneten – den Eingang zum Hauptgebäude, die Grenze zwischen oberem Hof und Sportplatz – und deren sattgrüne, glänzende Blätter wir in der Pause so geistesabwesend und gewissenhaft abzupften, wie wir Jahre später Zigaretten rauchten und zu den Jungs hinschielten, so dass um unsere Füße ein grünes, wenig umweltschonendes Mosaik entstand. Als die Schulleitung begriff, dass wir dabei waren, den Pausenhof zu entlauben, verfasste sie ein Rundschreiben mit dem Verbot, auch nur ein einziges Blatt auf dem Schulgelände abzureißen. Eine breite Steintreppe, möglicherweise ein Überrest des Landguts, das durch die Schule ersetzt worden war, führte zum unteren Hof, an dem die Mensa, der Leichtathletikplatz, die Turnhalle und die Duschen lagen. Dort, vor dem höchsten Baum der Schule, einer trockenen, pfeilgeraden Palme, die aussah, als wollte sie den Himmel hochdrücken, entstanden auch einmal im Jahr die Klassenfotos.

Wir bekamen immer ein paar Tage vorher Bescheid, damit wir uns etwas Ordentliches und Angemessenes zum Anziehen überlegen konnten, aber wir waren Jugendliche, fühlten uns folglich als die Schönsten und die Hässlichsten der Welt und scherten uns nicht darum. Wir waren alle angezogen wie immer.

Vielleicht bergen diese Fotos deshalb eine tiefe Wahrheit, zeichnet sich dort, von Nebel umhüllt wie in einer Kristallkugel, schemenhaft ab, wer wir sind und sein werden. Betrachtet man sie genau, ist alles bereits vorhanden: die Entschlossenheit, die Neugier, die Schüchternheit, die Freude, das Zutrauen, der Stolz. Niemand entkommt diesen Fotos, wir sollten sie bis in alle Ewigkeit als Passbilder verwenden.

An jenem Tag war ich zum Mittagessen nach Hause gegangen, der Unterricht begann um halb vier wieder, aber ich kam früher zurück, um meine Freunde auf dem Hof zu treffen. Jungs waren fast keine dabei, denn während wir unsere Freundinnen abgöttisch liebten, war bei den Jungs nichts zu machen, sie blieben ewig abgehängt. Befreundet waren wir mit ihnen eben, weil wir sie nicht lieben konnten, die Männer, von denen wir träumten, waren eigenartiger, gleichgültiger, blonder, schwarzhaariger, dunkler und undurchsichtiger. Unsere Freundinnen allerdings waren, trotz der Reibereien, des Streits und der Unstimmigkeiten, die Vollendung in Person.

Es waren die ersten warmen Tage, der Himmel wolkenlos, die Bäume von winzigen grünen Blättern überzogen, bewegt von einer sanft böigen, leicht maritimen Brise.

Im ersten Moment sah ich sie nicht, Gema war seit Monaten nicht in der Schule gewesen, und wir waren auch nicht mehr so eng befreundet wie früher. Im Französischen Gymnasium vertrat man die Meinung, den Klassenverband jedes Jahr aufzulösen und die Schüler neu zu mischen, fördere die Umgänglichkeit und die Fähigkeit zur Anpassung. Meine Sandkastenfreundin und ich besuchten schon seit Jahren nicht mehr zusammen den Unterricht, und wir hatten uns zwar beide auf die gleiche grundlegende Suche danach gemacht, wer wir waren, dabei aber sehr unterschiedliche Richtungen eingeschlagen: ich die der Rebellion, sie die der Vorsicht.

Man hatte uns gesagt, dass sie krank war, ich hatte Gerüchte gehört, aber an meinem Alltag änderte sich nichts, da war keine leere Schulbank, keine unbehagliche Stille beim Aufrufen der Namen, kein Eindruck von Abwesenheit. Ich spürte nur eine leichte Beklommenheit, wenn ich an sie dachte oder mir mit schreckgeweiteten Augen im Kreis meiner Freundinnen den Kopf über ihr Leiden zerbrach, das letztlich aber nur ein graues Wölkchen blieb am heiteren, blendenden Horizont der Jugend.

Sie hielt sich sehr gerade. Sie sieht größer aus, dachte ich. Und wie bleich sie ist! Sie war immer sehr weiß gewesen, aber ihr Teint, früher milchig und rosig wie bei den Prinzessinnen im Märchen, war ins Graue verkehrt. Als hätte sich ein rauchfarbener Schleier über ihr Gesicht gelegt und ihm einen aschfahlen, erloschenen Ton verpasst; tränenvoll und wässrig leuchteten darin nur die Augen (sie sterben als Letzte, die Augen). Ihre rundlichen, vollen Wangen waren zerflossen, die Wangenknochen traten scharfkantig hervor, und die Nase, früher lang und fein, hatte etwas Adlerhaftes bekommen. Als hätte ihr ein Vampir einen Strohhalm in den Arm gerammt und sie ausgetrunken, dachte ich, bis auf den letzten Tropfen.

Ich muss hingehen und Hallo sagen, dachte ich, hilft ja nichts. Viele Jahre später passierte mir dasselbe mit Ana, einer der besten Freundinnen meiner Mutter, als ich hörte, dass sie im Krankenhaus war (»Ich muss sofort hin und sie besuchen, auf der Stelle, umgehend, hilft ja nichts«), aber damals hatte ich schon ausreichend lange gelebt, um zu wissen, dass ich nicht hinging, um Hallo zu sagen, sondern um mich zu verabschieden. Bei Gema wusste ich das nicht, ich hatte mich noch nie von jemand verabschiedet.

Also löste ich mich aus meinem Grüppchen schwatzender Freundinnen und ging entschlossen und panisch auf sie zu, auch wenn das widersinnig klingt, kann man wohl sagen, ich flüchtete auf sie zu. Zum ersten Mal in meinem Leben benahm ich mich erwachsen, so wie ich glaubte, dass Erwachsene sich benehmen. Wir waren Freundinnen, seit wir vier Jahre alt gewesen waren, ich hatte gesehen, wie sie im Pausenhof der Kleinen eine Trauung vornahm, die Ringe hatten wir ein paar Stunden zuvor im Speisesaal aus einer Bananenschale gebastelt (uns schien das die genialste Idee der Welt). Ich war zu den großartigen Geburtstagsessen eingeladen gewesen, die ihr Vater ihr im Restaurant bereitete. Ich wusste, dass sie heimlich in einen rothaarigen, verpeilten Jungen verliebt war, der Gitarre spielte. Ich kannte ihr schallendes Lachen. Es klingt mir noch heute, wenn auch sehr entfernt, in den Ohren.

Mit fünfzehn wissen wir schon alles über Freundschaft, was wir je darüber wissen werden, wir werden nicht besser als Freunde, sondern auf jeden Fall schlechter. Die romantische Liebe lässt sich vielleicht mit der Zeit vervollkommnen, aber die Freundschaft nicht, sie erreicht ihre strahlende und absolute Vollendung in der Kindheit. Also stellte ich mich neben sie und sagte leise ihren Namen, Gema, Gema. Da drehte sie sich um und sah mich freundlich an. Sie schien nicht überrascht, mich zu sehen, war zugewandt und warmherzig wie immer, unter dieser Hexenverkleidung war sie weiter sie selbst. Wir sprachen über nichts Wichtiges oder Interessantes, benahmen uns wie zwei Erwachsene, die sich auf der Straße begegnen, von denen einer schwer krank ist.

»He! Gut siehst du aus!«, sagte ich, die Unsterbliche.

»Ja, sicher, es geht mir auch besser, viel besser, danke«, antwortete sie.

»Schön, dich zu sehen!«

»Ja.« Sie lächelte.

»Jetzt wird alles gut, du wirst sehen.«

»Ganz bestimmt.«

»Wo auch das Wetter jetzt so schön ist.« Ich hob die Nase zum Himmel.

»Ja, heute ist es wirklich sehr schön, es wird Frühling«, sagte sie.

Wir benahmen uns wie Erwachsene, wir sagten nichts von dem, was wir dachten. Unsere Eltern und überhaupt alle, die für unsere tadellose Kinderstube verantwortlich zeichneten, wären stolz auf uns gewesen, sie hätten es selbst nicht besser hingekriegt. Ich sah sie nie wieder.

2

Óscar wollte nicht zum Haareschneiden. Jahrelang war er mit Freude zum Friseur gegangen. Über den fast erwachsenen Ausdruck von Wonne und Entspannung auf seinem Gesicht, wenn ihm die Friseurin vor dem Ausspülen den eingeschäumten Kopf massierte, musste ich immer schmunzeln. »Der wird genau so ein Genießer wie wir«, sagten sein Vater und ich. Aber dann hatte er plötzlich unter dem Einfluss von irgendeinem Rapper oder Sportler entschieden, dass er lange Haare haben wollte. Weil er schon elf war, außerdem sehr dickköpfig und eingebildet, hatte ich beschlossen, mich aus seinen Stilentscheidungen rauszuhalten. Die meiste Zeit war er ohnehin besser angezogen als ich. Wenn er auf mögliche Tätowierungen zu sprechen kam oder darauf, sich ein Ohrloch stechen zu lassen, antwortete ich, dergleichen stehe erst mit achtzehn an, vorher nicht, genau wie Führerschein oder Wählengehen.

Ich betrachtete ihn etwas wehmütig, wie er da, im Profil zu mir, auf dem Sofa saß, spielte und augenscheinlich mit dem Fernseher sprach. Wie hübsch er ist!, dachte ich. Einige Tage zuvor hatte sein Vater ihn schließlich doch überredet, sich beim Friseur in unserem Viertel die Spitzen schneiden zu lassen, ich war bei allem, es sei denn, es war wichtig, eine glühende Verfechterin eines Lebens im Stadtviertel – aus meinem kam ich oft wochenlang nicht hinaus. Also hatte Óscar den Billigfriseur an der Ecke mit einem ungleich geschnittenen Pony verlassen, das Gesicht eingerahmt von ein paar wunderlichen Korkenzieherlocken. Ich konnte mir die Frage an seinen Vater nicht verkneifen, ob der Salon auf Rabbinerfrisuren spezialisiert war, aber er fand das nicht witzig. Manchmal merkte man, welche übermenschliche Anstrengung es ihn kostete, bloß nichts von dem, was ich sagte, witzig zu finden. Wenn ich ihm allerdings von irgendeinem Ärger erzählte, den ich hatte, war er immer voll auf der Seite derjenigen, die mir den Ärger bereiteten. Nichts ist schwieriger, als einen Ex zum Lachen zu bringen, der noch was von dir will.

Marc, mein Ältester, gerade siebzehn geworden, kümmerte sich wiederum seit Kindertagen selbst um seine Haare. Ich hatte ihn endlos bekniet, seinem Bruder und mir die Spitzen zu schneiden, ich hatte ihm sogar eine hübsche goldene, funkelnde Profischere gekauft und ihm Geld dafür geboten, wenn er mir die Haare schnitt. Aber meine Söhne waren weder käuflich noch besonders anspruchsvoll, sie hatten schon alles. Einmal hatte ich über seine vollkommen harmonischen Locken gestaunt, rund und blond wie Trauben in der Sonne, und ihn gefragt, wie er sich die Strähnen im Nacken auf eine Länge schnitt.

»Nach Gefühl halt, wie denn sonst?«, sagte er, als läge das auf der Hand.

Kein Mann hatte es je geschafft, dass ich mir dumm vorkam, und auch wenn meine Söhne meine Alltagsuntauglichkeit für ein Fass ohne Boden hielten, perlte das an mir ab, denn wer wusste schließlich, wie man das Verdeck am Auto öffnete, wer bereitete die perfekten Pommes zu und fand die Bezahlsender im Fernsehen? Wenn ich ihnen allerdings sagte, was mir wirklich zu schaffen machte, ich kann nicht schreiben, kann nicht schreiben, kann nicht schreiben, dann lagen sie sich in den Armen und kugelten sich vor Lachen auf dem Teppich.

»Ich gehe ins Theater«, sagte ich. »Wird nicht spät.«

Keiner der beiden antwortete, also sagte ich noch zwei Mal: »Ich gehe, ich gehe.« Meine Söhne verbrachten ihr Leben mit Kopfhörern auf den Ohren, ich war mir nie sicher, ob sie mich hörten, und das meiste, was ich sagte, blieb in der Luft hängen. Ob sie mich gehört haben?, fragte ich mich, während ich sie genau beobachtete auf der Suche nach einem Zeichen von Bestätigung. Unsere Unterhaltungen hatten wenig von einem Tennismatch, plong plopp, plong plopp, sie glichen eher einer Fahrt übers Meer an einem stürmischen Tag.