Meine Wahrheit 4 -  - E-Book

Meine Wahrheit 4 E-Book

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Beschreibung

Alle 14 Tage neu! Hier sind die dramatischen Geschichten aus dem wahren Leben, authentisch und voller Emotionen! Jede Menge ergreifende Schicksale und aufregende Bekenntnisse – aktuell, ehrlich und persönlich. Jetzt wird endlich mal deutlich Klartext geredet! Geschichte 1: Ich bekenne Es fing alles ganz harmlos an. Eigentlich nur eine kleine Sammelleidenschaft. Doch irgendwann war es wie ein Zwang. Nichts konnte ich liegen lassen. Wieder eine Überraschungsei-Figur?" Rainer beäugte misstrauisch mein neues Mitbringsel. "Ja, der Fußballspieler, nach dem ich schon so lange gesucht habe", bestätigte ich. Verzückt hielt ich meinem Mann meine neueste Errungenschaft unter die Nase. Dann rückte ich meine Figurensammlung auf der Wohnzimmerkommode zurecht, um unserem neuen Mitbewohner den gebührenden Platz einzuräumen.

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Seitenzahl: 174

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Geschichte 1

Geschichte 2

Geschichte 3

Geschichte 4

Geschichte 5

Geschichte 6

Geschichte 7

Geschichte 8

Geschichte 9

Geschichte 10

Geschichte 11

Geschichte 12

Meine Wahrheit –4–

50 Seiten Private Bekenntnisse

Roman von Diverse Autoren

Geschichte 1

Ich bekenne

Roman von Margret W. (54)

Es fing alles ganz harmlos an. Eigentlich nur eine kleine Sammelleidenschaft. Doch irgendwann war es wie ein Zwang. Nichts konnte ich liegen lassen.

Wieder eine Überraschungsei-Figur?« Rainer beäugte misstrauisch mein neues Mitbringsel.

»Ja, der Fußballspieler, nach dem ich schon so lange gesucht habe«, bestätigte ich.

Verzückt hielt ich meinem Mann meine neueste Errungenschaft unter die Nase. Dann rückte ich meine Figurensammlung auf der Wohnzimmerkommode zurecht, um unserem neuen Mitbewohner den gebührenden Platz einzuräumen.

Nicole, unsere Tochter, wollte heute Nachmittag zum Kaffee kommen. Ich war schon gespannt, wie lange es dauern würde, bis sie bemerkte, welch großer Coup mir auf der Jagd nach den richtigen Figuren gelungen war. Doch kaum war sie da, sprach sie eigentlich nur von ihrer Arbeit, von ihrem Freund und von einer Party, auf der sie gewesen war.

»Ähäm!«, räusperte ich mich irgendwann und wandte meinen Blick demonstrativ meiner Sammlung zu.

Mein Kind verdrehte die Augen: »Lass mich raten, du hast eine ganz wichtige Figur ergattert, richtig?«, fragte sie mehr höflich als interessiert.

»So ist es«, triumphierte ich stolz und wollte gerade mit meinem Bericht loslegen, durch welchen irren Zufall ich an diese wichtige Figur gekommen war.

Doch Nicole winkte ab. »Mama, du wirst nächsten Monat vierundfünfzig Jahre alt. Meinst du nicht, du bist aus diesem Alter langsam mal raus?«

»Ach!«, entrüstete ich mich. »Aber du mit deinen neunundzwanzig bist ja ach so erwachsen, ja?«

»Nein, Mama, das meinte ich nicht. Ich meinte nur…«

Sie sah sich in unserem Wohnzimmer um. Ihr Blick glitt über die Figurensammlung, dann über die nur halb verdeckten Kartons mit Weihnachtsschmuck, die ich beim Auszug der älteren Dame von nebenan bekommen hatte. Schließlich nahm sie mit gerümpfter Nase die beiden Lampenschirme wahr, die ich beim letzten Flohmarkt erstanden, aber noch nicht fortgeräumt hatte.

»Ich meinte nur, dass es langsam etwas voll wird bei euch.«

Ich hörte einen leisen, kritischen Unterton in ihrer Stimme. Ich fing Rainers Blick auf, der ebenfalls nicht begeistert schien. Dabei waren die Lampenschirme wirklich außergewöhnlich interessant gearbeitete Exemplare!

»Ach, ihr habt einfach keinen Blick für das Schöne!«, höre ich mich heute noch patzig entgegnen.

Ja, ich fand es wirklich schön, was ich damals sammelte. Mit den Figuren hatte es angefangen. Dann hatte ich mein Herz an die wunderschöne Festtagsdeko verloren. Nach und nach hatte ich bei Haushaltsauflösungen und Flohmärkten immer mehr davon angeschafft. Weil ich es nicht immer rechtzeitig schaffte, die Sachen vernünftig wegzuräumen, stand eben auch schon mal etwas in unserem Wohnzimmer oder im Fahrradkeller des Hauses herum. Schließlich musste ich ja noch kochen, waschen und Fenster putzen! Aber wenn ich Zeit hätte, würde ich umräumen, damit es besser passte. Das hatte ich mir fest vorgenommen. Und davon war ich überzeugt.

*

Zwei Wochen nach unserem Nachmittagskaffee äußerte Rainer zum ersten Mal seinen Unmut über meine Sammlungen. »Sag mal, wann willst du eigentlich die Kartons aufräumen?«, wollte er wissen.

Seine Stimme klang wie die von Nicole, als sie mir vorgeworfen hatte, ich sei zu alt für die Figurensammlung. Nur, dass zusätzlich noch ein Vorwurf in seiner Stimme mitschwang. Ich ärgerte mich, wollte es mir aber nicht anmerken lassen.

»Ach, die Kartons, ja. Die sind morgen dran. Heute war so viel zu tun«, verschob ich die Arbeit auf den nächs-ten Tag.

»Stimmt«, pflichtete Rainer mir bei. »Heute ist sogar eine ganze Menge zu tun. Die Nachbarn haben sich beschwert, weil die Lampenschirme im Fahrradkeller stehen. Schneiders würden gern ein Fahrrad für ihren Enkel kaufen. Aber das passt wegen des ganzen Krempels nicht mehr in den Fahrradkeller.«

»Welcher Krempel?«, empörte ich mich. »Haben die Schneiders sich die Lampenschirme eigentlich mal genauer angeguckt? Handwerklich so gut gearbeitete Stücke finden sie sonst kaum noch! Und ich habe sie auch noch umsonst bekommen!«

»Das mag ja sein«, beschwichtigte Rainer, »aber der Fahrradkeller ist ein Gemeinschaftsraum, und der ist für Fahrräder gedacht und nicht für deine Lampenschirme.«

Da hatte er leider recht. Rainer bot mir seine Hilfe an, doch meine wertvollen Errungenschaften wollte ich lieber selbst verstauen. Dann wusste ich wenigstens, was sich wo befand, redete ich mir ein.

Also stieg ich nach dem Kaffee in den Keller hinab und stellte die Kartons mit den Schirmen auf die anderen Kartons, die sich bereits in unserem Kellerabteil sammelten. Als ich fertig war, war es finster in dem kleinen Raum. Das Fenster, das knapp unter der Raumdecke angebracht war, war vollständig verdeckt. Ich sah mich kurz um. Sobald ich Zeit hätte, würde ich das Ganze sortieren, nahm ich mir vor.

*

Vier Tage später kündigte die Wettervorhersage den ersten warmen Frühlingstag an. Mein Mann beschloss, mit den Fahrrad zur Arbeit zu fahren.

Ich selbst machte mich am Vormittag auf den Weg zu einer Haushaltsauflösung, die in den Kleinanzeigen der Wochenzeitung für jenen Tag angekündigt war. Leider hatte der Bus Verspätung. Dadurch verpasste ich die Bahn und kam viel zu spät an der Wohnung an. Immerhin konnte ich noch ein Backblech abstauben.

Mit meiner mageren Beute machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause. Dort spülte ich das Backblech und legte es zu den anderen vier, die ich bereits gesammelt hatte. Schließlich ging immer mal etwas kaputt, da war es nicht falsch, Ersatz auf Lager zu haben, fand ich.

»Außerdem wäre es doch sinnlos gewesen, so etwas Brauchbares dem Sperrmüll zu überlassen«, erzählte ich Nicole am Telefon von meinem kleinen Erfolg.

»Mama, ich muss arbeiten«, wollte sie mich abwimmeln.

»Weiß ich«, antwortete ich pikiert. »Ich muss auch arbeiten. Ich dachte nur, du könntest dich mal ein bisschen für mich freuen.«

»Ach, Mama, ich freu mich ja auch für dich. Aber jetzt mal ehrlich: Wozu brauchst du fünf Backbleche in Reserve?«

»Also weißt du, du kannst einem aber auch alles madig machen«, beschwerte ich mich.

Dann hörte ich den Schlüssel im Schloss und beendete enttäuscht das Gespräch. Keine Minute später stand Rainer vor mir, hochrot angelaufen und den Fahrradhelm noch auf dem Kopf. Ich sah sofort, dass er kurz vor dem Explodieren stand.

»Alles in Ordnung?«, fragte ich vorsichtig.

»Alles in Ordnung?«, wiederholte er langsam. »Ja, es war alles in Ordnung. Heute Morgen zumindest. Das Wetter war klasse, die Fahrradtour zur Arbeit war wunderbar. Und dann kam nach der Arbeit der Rückweg.«

Er lief noch eine Spur roter an.

»Und was ist da passiert?«, fragte ich noch vorsichtiger.

»Das lässt sich leicht zusammenfassen.« Er holte tief Luft. »Ich hatte zwei Kilometer von hier einen Platten. Also habe ich das Rad bis hierher geschoben. Dann wollte ich im Keller das Flickzeug holen, um mein Fahrrad zu reparieren.«

Sofort fielen mir die Lampenschirme ein, die ich hatte aufräumen wollen.

»Ach ja, die paar Lampenschirme, die wollte ich noch…«, wollte ich erklären.

Doch Rainer ließ mich nicht ausreden. »Die paar Lampenschirme? Weißt du überhaupt noch, wie viele das sind?«

Ich überlegte einen Moment. Es war mir peinlich, wie er mich mit der Nase auf meine kleine Schwäche stieß.

»Na ja, so viele sind es eigentlich gar nicht«, wiegelte ich ab.

Nun wurde mein Mann laut: »So viele sind es nicht? Es sind so viele, dass ich einen halben Tag brauchen würde, um an mein Fahrradwerkzeug zu kommen!«

Er lief einige Male im Wohnzimmer auf und ab, um sich zu beruhigen. Ich hielt es für besser, erst mal nichts mehr zu sagen. Endlich hatte er sich wieder im Griff.

»Ich gönne dir ja deine Hobbys«, erklärte er einlenkend. »Aber mich gibt es auch noch hier. Und wenn ich an meine Sachen dran will, dann will ich nicht erst einen halben Umzug bewerkstelligen müssen!«

»Jetzt übertreibst du aber!«, verteidigte ich mich erbost. »Trink du mal deinen Kaffee, ich hole dein Fahrradwerkzeug. Du wirst sehen, ich bin in zehn Minuten wieder da.«

»Da bin ich mal gespannt«, antwortete er nur.

Innerlich musste ich zugeben, dass er nicht ganz falsch lag. Als ich vor unserem Keller stand und die Tür öffnete, musste ich das sogar ganz und gar zugeben. Natürlich schaffte ich es nicht, das Fahrradwerkzeug innerhalb von zehn Minuten herauszufischen. Zwei geschlagene Stunden räumte und wurschtelte ich, bis ich es endlich in der Hand hatte. Unser Kellerabteil sah danach schlimmer aus denn je. Morgen räume ich dieses Chaos auf, nahm ich mir vor.

Ich brachte Rainer sein Werkzeug und sprach das Thema Keller vorsichtshalber an diesem Tag nicht mehr an. Doch bald schon fiel mir ein, dass ich mich im Wochentag geirrt hatte. Morgen war doch Samstag! Und da würde Flohmarkt sein! Da musste ich natürlich hin! Der Keller würde unter diesen Umständen eben noch bis Montag Vormittag warten müssen, beschloss ich.

*

So gingen Tage und Wochen ins Land. Es wurde immer schlimmer. Nichts konnte ich liegen lassen. Irgendwann begann ich, selbst kaputte Sachen mitzunehmen. Wenn man sie reparierte, würde man sie doch noch einmal brauchen können, so dachte ich.

Unser Keller füllte sich bis auf den letzten Quadratzentimeter. Auch unsere Wohnung wurde immer voller. Immer mehr Figürchen und unnützes Zeug sammelte und stapelte ich.

»Mama, wie sieht’s denn hier aus?«, fragte Nicole entsetzt, als sie uns besuchte.

Ich sah mich um. Irgendwie stimmte es schon. Selbst ich hatte das Gefühl, dass es etwas zu vollgestellt war.

»Deine Mutter hat noch mehr Sammelobjekte gefunden«, kommentierte Rainer entnervt.

So manches Mal hatte er in den letzten Wochen irgendwelche Kommentare losgelassen. Meistens fühlte ich mich einfach nur beleidigt. Nur in seltenen Momenten merkte ich, dass wirklich etwas nicht stimmte mit dem, was ich tat. Immer versprach ich, es in den nächsten Tagen aufzuräumen. Und fast immer verschob ich es wieder.

Eines Abends stand Rainer traurig vor mir. »Margret, es tut mir leid.«

»Was tut dir leid?«, wunderte ich mich.

»Es tut mir leid, aber ich kann nicht mehr. Ich kann so einfach nicht mehr leben.«

Erst jetzt sah ich die gepackte Reisetasche neben ihm stehen. »Was soll das heißen?«, fragte ich völlig perplex.

»Das heißt, dass ich für ein paar Tage zu einem alten Freund ziehe. Ich muss meine Gedanken sortieren. Auch in Bezug auf uns.«

Wortlos sah ich ihn an. Er ließ seinen Blick noch einmal durch das zugestellte Wohnzimmer schweifen, dann nahm er seine Tasche und ging. In mir verbreitete sich unaufhaltsam ein furchtbares Gefühl. Das Gefühl schrecklicher Leere befiel jede meiner Zellen. Ich ließ mich auf einen freien Platz auf dem Sofa sinken.

Auch hier lag allerhand Jagdbeute herum. Alte Kissen vom Sperrmüll oder von Haushaltsauflösungen, Teddybären, die ich zu süß gefunden hatte, und Ähnliches.

Ich rief Nicole an. Sie kam sofort zu mir und nahm mich in den Arm. »Wie kommt er denn nur auf so eine Idee? Er kann doch nicht einfach so gehen!«, sagte ich hilflos.

Nicole sah sich um und sagte nichts. Doch ihr Blick sprach Bände. Sofort fühlte ich mich angegriffen. »Du willst doch jetzt nicht etwa sagen, dass es an den Sachen liegt?«, fragte ich.

»Nun ja…«

»Was heißt hier: nun ja?«, fuhr ich entsetzt auf.

Nicole rieb sich langsam mit der Hand über die Stirn. »Mama, ich will dir wirklich nicht zu nahe treten. Aber du kennst meine Meinung zu all dem Plunder hier.«

»Plunder?«, antwortete ich erbost. »Dein Vater verlässt mich, und dir fällt nichts Besseres ein als herumzumäkeln, weil mal nicht aufgeräumt ist?« Meine Stimme war immer schriller geworden.

Nicole seufzte: »Mal nicht aufgeräumt! Wenn es das wäre, dann wäre es wohl eher kein Problem.«

»Das ist doch wohl die Höhe!«, schimpfte ich los.

Abwehrend hob mein Kind die Hände. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Sag mir Bescheid, wenn du Hilfe brauchst«, hörte ich noch.

Dann ging auch sie. Auch sie ließ mich allein in meinem Elend.

*

Wie ein Häufchen Unglück saß ich inmitten all der Sachen, die ich auf Flohmärkten gekauft oder bei Haushaltsauflösungen abgestaubt hatte. Ich wusste mir einfach keinen Rat.

Irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass meinen Mann vielleicht die Midlife-Crisis gepackt hatte. Sicher würde er, wie die meisten Männer in dieser Situation, bald merken, dass er bei mir besser aufgehoben war als bei irgendeinem Freund. So tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass er sich sicher bald melden und zurückkehren würde.

Tatsächlich stand er einige Tage später in der Tür.

»Können wir reden?«, fragte er niedergeschlagen.

»Natürlich«, antwortete ich.

Doch kein Wort der Reue und der Rückkehr war es, was ich zu hören bekam.

»Margret, ich habe dir gesagt, dass ich so nicht leben kann«, wiederholte er, nahm einen der Teddys vom Sofa und ließ ihn resigniert sinken. »Es wird einfach immer mehr, und egal, wie oft ich versucht habe, mit dir darüber zu reden, es ändert sich nichts.«

Ich sah, wie sich seine Augen röteten.

Er schluckte, bevor er die folgenden Worte aussprach: »Es hat einfach keinen Sinn mehr. Ich werde mich von dir trennen.«

Wut und Traurigkeit stiegen in mir auf. »Dafür bist du hergekommen? Um mir das zu sagen?«, fauchte ich.

»Ja«, sagte er leise. »Dazu bin ich hergekommen.«

»Dann kannst du auch gleich wieder gehen«, fuhr ich ihn an. »Und am Bes-ten nimmst du gleich deine Sachen mit!«

Rainer sah sich um. »Das wird ja nicht viel sein. Das meiste hier ist ja wohl von dir.«

Er drehte sich traurig um und ging.

*

Ich weinte die ganze Nacht. Wie konnte er mir das nur antun? Wie konnte er nur? Bloß, weil ich alte Sachen mochte? Das konnte doch kein Grund sein, seine Frau nach dreißig Jahren zu verlassen!

Gegen Morgen sank ich in einen kurzen, traumlosen Schlaf. Als ich aufwachte, fiel mein Blick auf die leere Betthälfte. Sofort kamen mir wieder die Tränen. Irgendwann schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: Aufräumen!

Vielleicht hatte ich mich ja wirklich ein bisschen zu sehr ausgebreitet. Mir fiel das Fahrradwerkzeug ein. Das war ja schon blöd für ihn gewesen, dachte ich. Wenn ich aufräumte, würde er bestimmt wiederkommen! Entschlossen zog ich leichte Arbeitshandschuhe an und machte mich auf den Weg in den Keller. Als ich die Tür dort öffnete, stand ich vor einem Berg aus Kartons, Schachteln und Schächtelchen, die ich hier mit allem möglichen Krimskrams vollgestopft gestapelt hatte. Doch egal, wie sehr ich auch von links nach rechts räumte, es wurde nicht leerer.

Irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich war am Ende. Körperlich und seelisch am Ende. Haltlos begann ich zu weinen. Ich schluchzte hemmungslos mein Unglück hinaus. Ich merkte nicht, dass Frau Schneider an unserem Keller vorbeigegangen war. Ich wusste auch nichts davon, dass sie meine Tochter anrief. Ich spürte nur irgendwann die Hand meines Kindes auf meiner Schulter. Und ihre Arme, die sich um mich schlossen.

»Mama, ich kann dich so gut verstehen«, flüsterte sie.

»Was?«, wunderte ich mich.

»Ja, kann ich«, erklärte sie. »Wie oft passiert es mir, dass ich denke: Das kann ich doch nicht wegwerfen, das kann man doch noch mal brauchen.«

»Siehst du!«, pflichtete ich ihr bei.

»Ich glaube, das ist auch einfach menschlich. Aber es muss alles Grenzen haben.«

Ich ahnte, dass sie mich schon wieder kritisieren wollte, und wollte mich aus ihrem Arm winden. Doch sie hielt mich fest an den Schultern.

»Mama, sieh dich um! Du schaffst es nicht mehr allein! Bitte lass mich dir helfen!«, bat sie.

»Helfen? Wie willst du mir denn helfen?«, fragte ich resigniert mit einem Blick auf den Kartonberg vor mir.

»Willst du dir denn helfen lassen?«

Noch einmal taxierte ich all die Dinge, die ich gehortet hatte. Kraftlos nickte ich.

Nicole holte tief Luft. »Also. Du ziehst für diese Woche zu mir. Ich organisiere hier die Entrümpelung…«

Ich wollte sie unterbrechen, doch sie hob beschwichtigend die Hand und fuhr fort: »Keine Angst, es kommt nichts weg, was wirklich gebraucht wird. Dafür sorge ich. Aber…«

»Aber?«

»Aber die Familie wird daran zerbrechen, wenn du so weitermachst. Du brauchst eine Aufgabe, damit du es schaffst, nicht mehr zu sammeln. Du musst dir etwas suchen, was dich zufrieden macht. Und wenn es nur eine ehrenamtliche Arbeit ist«, schloss sie.

Ihre Worte fanden schwerfällig ihren Weg in meinen Kopf. Ich sah mich um. Es stimmte. Es musste sich etwas ändern. Ich stimmte zu.

*

An jenem Tag hat mein Leben eine Wendung genommen. Nicole war mit mir gemeinsam zur Caritas gegangen. Meine Hilfe war dort mehr als willkommen.

»Zu tun haben wir immer genug. Nur Hände fehlen uns meistens«, lachte die Leiterin der Zweigstelle mich an. »Herzlich willkommen!«

Fast zuckte meine Hand weg, als sie sie schütteln wollte, so unsicher war ich. Doch ich dachte an Rainer. Und ich dachte an meine Tochter. Ich wollte etwas ändern. Ich musste etwas ändern! Also schüttelte ich die gereich-

te Hand – und stand am nächsten Tag mit zwei anderen Frauen zusammen, um Kleider auszusortieren, die andere abgegeben hatten. Es waren sogar kaputte Sachen dabei.

»Was einige Leute jahrelang bei sich horten«, schüttelte eine der anderen Helferinnen den Kopf und hielt ein durchlöchertes T-Shirt aus den Achtzigerjahren hoch.

»So isses«, stimmte die andere kopfschüttelnd zu. »Und selbst dann schaffen sie es nicht, es wegzuwerfen und verstopfen unsere Container damit.«

Ich betrachtete den zerschlissenen Stoff. »Ja, das ist wohl menschlich«, sagte ich leise.

Ja, menschlich ist es, Dinge ins Herz zu schließen oder zu sammeln. Aber das, was ich gemacht habe, ist krankhaft. Das habe ich längst eingesehen.

*

Mein Mann ist tatsächlich zu mir zurückgekehrt. Und Nicole hat Wort gehalten. Erst viel später habe ich erfahren, dass Rainer ihr geholfen hat, auszusortieren und das ganze Gerümpel in einer Fuhre mit einem geliehenen Transporter zur Müllkippe zu fahren. Bis heute bin ich ihr dankbar, dass sie mich in dieser Woche bei sich hat wohnen lassen. Wahrscheinlich hätte ich es nicht geschafft, zuzusehen, wie all die Dinge, die ich suchtartig gehortet hatte, ihren letzten Weg antraten.

Auf diese Weise aber und durch meine ehrenamtliche Arbeit habe ich es geschafft ein neues Selbstbewusstsein zu finden und die Dinge wieder anders zu sehen. Und ich habe den Mut gefunden, mich auf einen kleinen Job zu bewerben. Mal sehen, was draus wird.

Mein Mann und meine Tochter helfen mir aufzupassen, dass ich nicht wieder in alte Verhaltensweisen zurückfalle. Ich will ihm einfach nicht mehr nachgeben, diesem Zwang, alles mitnehmen und horten zu müssen. Und ich werde es schaffen!

– ENDE –

Geschichte 2

Mein Schicksal

Roman von Sabine O. (36)

»Wiedergeburt! – Ich bin

sicher, dass ich schon einmal gelebt habe.«

Als ich merkte, dass mein voriges Leben mich noch heute beeinflusst, wollte ich mehr über die Wiedergeburt wissen. Aber das war Gift für meine Ehe, es gab nur noch Streit…

Das hast du dir doch alles nur aus den Fingern gesogen«, blaffte Martin mich an und griff nach der Fernbedienung.

Wieder einmal hatte mein Reden über die Wiedergeburt und mein voriges Leben zum Streit geführt. Dabei wollte ich doch nur, dass Martin mir zuhörte. Wozu waren wir denn verheiratet? Ich wollte mit ihm teilen, was mich seit Wochen beschäftigte.

»Sag bloß, du willst jetzt Fußball gucken?«, fragte ich beleidigt. Immer, wenn ich mit Martin über mein voriges Leben sprechen wollte, blockte er ab. »Ein Teil von früher ist noch in mir…«, begann ich noch einmal, »das beeinflusst mein heutiges Leben.«

Martin grunzte nur und musterte mich geringschätzig. »Den Quatsch kannst du vergessen. Verschon mich damit!«

Was sollte ich tun? Ich hängte mich ans Telefon und rief meine Freundin Susi an. Sie verstand mich. Mit ihr hatte die ganze Sache ja überhaupt erst angefangen. Bei einem Töpferkursus an der Ostsee ist es passiert. Da kam das Thema Wiedergeburt ins Rollen.

*

Wir, also meine Freundin Susi und ich, hatten eine Kreativwoche gebucht. Das machen wir in jedem Jahr. Dabei suchen wir uns immer etwas aus, was wir noch nie zuvor gemacht haben. Diesmal war es Töpfern an einer Töpferscheibe. Und genau dabei traf mich die Erkenntnis mitten ins Herz. Ein Aha-Erlebnis, wie es stärker nicht sein konnte.

Wir waren fünf Frauen, sämtlich Anfängerinnen. Ich meldete mich freiwillig als Erste, um es auszuprobieren. Und dann saß ich an der Töpferscheibe. Die Kursusleiterin wollte mir gerade die notwendigen Handgriffe erklären, da legte ich schon los. Ich konnte es von ganz allein. Im bereit stehenden Wassereimer befeuchtete ich meine Hände, drückte den Tonbatzen auf der Scheibe fest und formte eine Schale.

»Das gibt es doch nicht«, rief die Leiterin und wischte ihre Hände in der blauen Schürze ab, »Sie machen das, als hätten Sie nie etwas anderes getan. Warum haben Sie sich nicht zum Fortgeschrittenenkursus angemeldet?« Dabei legte sie mir ihre Hand sanft auf die Schulter.

»Also ehrlich«, rief ich, »noch nie in meinem Leben habe ich an so einer Scheibe gesessen. Ich wundere mich ja selbst.«

Alle standen mit erstaunten Gesichtern um mich herum, vor Aufregung begannen meine Knie zu zittern.

»Ich will auch mal«, rief Susi forsch. Sie konnte es nicht ab, wenn ich besser war als sie.

Aber schon wenige Minuten später machte sie ein langes Gesicht. Es gelang ihr nämlich überhaupt nicht, den Ton auf der Scheibe in der Mitte zu halten.