Meine wundersame Heilung - Stefanie Gleising - E-Book

Meine wundersame Heilung E-Book

Stefanie Gleising

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Beschreibung

»Tatsächlich habe ich ein Wunder erlebt. Mit einer Lebenserwartung von wenigen Wochen kam ich im September 2014 zum Sterben ins Hospiz. Jeden Tag kamen Menschen, um sich von mir zu verabschieden. Doch anstatt zu sterben – ging es mir jeden Tag besser. Nach etwa sechs Wochen konnte ich aufrecht gehend, mit vollständig zurückerhaltener Sprachfähigkeit, das Hospiz wieder verlassen. Da ich seit Anfang April 2014 keine schulmedizinische Behandlung, wie Chemotherapie oder Bestrahlung, bekommen hatte, kann man wohl mit Recht von einem Wunder sprechen.« So schildert Stefanie Gleising das Wunder ihrer Heilung nach einem vierjährigen Kampf gegen den Brustkrebs, in dem sie alle schul- und alternativmediziischen Therapieoptionen ausgeschöpft hat. Alles schien vergeblich, sie und ihre Familie machten sich auf das Schreckliche gefasst: Sie würde sterben. Doch es kam anders ...

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Stefanie Gleising

Meine wundersame Heilung

Die Geschichte einer Spontanheilung von Krebs

Impressum
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Geleitwort
von Dr. med. György Irmey, Ärztlicher Direktor, Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr (GfBK) e.V. Heidelberg, www.biokrebs.de
»Hör nicht, was die ander’n schreien, wage stets du selbst zu sein.«
Ina Seidel
Liebe Leserinnen und Leser,
In diesem Buch werden Sie Stefanie Gleising auf ihrem wundersamen und beeindruckenden Heilungsweg mit einer Krebserkrankung begleiten. Als ich diesen Weg bei dem Kongress der Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr e.V. im Mai 2015 zu beschreiben versuchte, hatte ich Tränen der Rührung in den Augen. Von Herzen wünsche ich vielen Menschen, dass sie die Gnade einer Spontanheilung erfahren dürfen.
Ihr Weg war für sie kein leichter Weg. Es war ein Weg mit unendlich vielen Herausforderungen, Widrigkeiten und Schmerzen. Ein Weg, den Stefanie Gleising die meiste Zeit bewusst und optimistisch gegangen ist. Auch wenn ihre Heilung nach medizinischer Definition eine sogenannte Spontanheilung sein mag, so war der Weg dahin lang und beschwerlich. Ihre Rückkehr aus dem Hospiz ins Leben zeigt, welch unendliches Potenzial in den eigenen Heil- und Ordnungskräften unseres Wesens steckt.
Von diesem Buch können nicht nur Patienten oder Menschen, die nicht Patienten werden wollen, viel erfahren. Es empfiehlt sich als Pflichtlektüre für Ärzte, die mit krebskranken Menschen zu tun haben. Nur wenn wir Ärzte die Sichtweise der Patientinnen und Patienten besser verstehen und uns auf den einzelnen Menschen einlassen, können wir adäquate Empfehlungen geben. Sehr deutlich werden Schwächen und Stärken der verschiedenen Medizinsysteme dargestellt, ohne eine Seite zu verdammen oder die andere zu verherrlichen. Ob in der wissenschaftlichen Medizin, der Naturheilkunde oder der spirituellen Medizin – überall wirken Menschen, mit all ihren Stärken und Schwächen. Daher ist es grundsätzlich für alle Patienten wichtig, in unserem technisch so modernen und hochgerüsteten Gesundheitssystem immer wieder die Stimmigkeit und persönliche Wertigkeit der eingeleiteten Maßnahmen für sich kritisch zu prüfen.
Die Begegnung mit einem so hochkomplexen Krankheitsbild wie der Krebserkrankung wird letztendlich nie eine Standardisierung erfahren können, denn der Mensch ist nun einmal nicht standardisierbar. Natürlich lassen sich bei vielen Krankheitsprozessen Mittelwerte errechnen. Mittelwerte sind möglicherweise eine hilfreiche Information – sie brauchen aber nicht immer für den individuellen Weg maßgeblich sein. Mittelwerte füttern unseren Verstand und unsere Logik. Sie geben uns Halt und Struktur. Für unser Leben brauchen wir Struktur, nur die Struktur allein gibt uns kein Leben. In diesem Sinne beherzigen Sie wie Frau Gleising immer wieder im Leben das Zitat des berühmten Sufiweisen Kahlil Gibran:Vertrauen ist eine Oase, die von der Karawane des Denkens nie erreicht wird.
Stefanie Gleising macht deutlich, wie bedeutend es ist, den vielen negativen Informationen, die im Zusammenhang mit der Erkrankung auf die Menschen einwirken, positive Impulse entgegenzusetzen. Ankerpunkte sind notwendig, wo Betroffene für sich tätig werden können, um nicht nur die richtige Therapiestrategie zu entwickeln, sondern auch der inneren Stimme mehr Gehör zu verschaffen oder den inneren Arzt mehr wirken zu lassen. Auch wenn das traumatische Geschehen in ihrem Leben ein wichtiger Faktor für die Entstehung der Erkrankung gewesen war, so können und dürfen wir das Geschehen nicht ausschließlich als Ursache festlegen.
Die Selbstheilungskräfte werden in ihren Möglichkeiten von der Medizin unterschätzt. Dabei liegt in ihnen ein Potenzial, das bei weitem nicht ausgeschöpft wird. Ich bin in meinem mittlerweile über 30-jährigen Berufsleben vielen Menschen begegnet, die die Gnade einer Heilung bei schwerer Krankheit auf vielfältigsten Wegen erfahren durften. Tiefes Vertrauen zu entwickeln in eine Therapie oder zu einem Therapeuten, ist für die Aktivierung der köpereigenen Heilkräfte manchmal wichtiger als die Suche nach immer neuen oder vielfältigeren Möglichkeiten der Behandlung.Ohne den Sonnenstrahl von innen kann kein therapeutischer Samen wachsen.
Hospiz
Es klingelt an der Haustüre. »Mach mal jemand auf!«, möchte ich rufen, doch ich bin zu schwach. Schon seit einiger Zeit dämmere ich vor mich hin, starre an die gelborange Wand meines Schlafzimmers. Die hellen blickdichten Vorhänge an der bis zum Boden reichenden doppelten Balkontür sind zur Seite geschoben. Die Aussicht lädt zu einem sehnsüchtigen Blick nach draußen ein. Ich sehe zwei kleine Vögel auf dem Wipfel der hohen Tanne miteinander flirten. Wie frei und glücklich müssen die sich fühlen, denn Schmerzen gehören gerade nicht in ihre Wahrnehmungswelt. Aber auch sie müssen sterben. Jedoch sind sie so im Hier und Jetzt versunken, dass sicherlich an das Sterben keine wertvolle Zeit vergeudet wird. Wie beneidenswert! Ich werde sterben, schon bald. Und irgendwie ist es auch gut so. Ich kann nicht mehr allein laufen, das klare Denken hat sich weitgehend von mir verabschiedet. Nur für kurze Momente schaut es immer mal wieder vorbei.
Auf meinem zu kleinen Nachttisch steht Kamillentee, Zwieback, Taschentücher, ein Glas Wasser und jede Menge Tabletten. Zum Glück bin ich seit geraumer Zeit von der Verpflichtung befreit, mich um die Einnahme dieser Drogen zu kümmern. Ich habe ohnehin den Überblick verloren.
Links von mir steht meine alte Kommode aus Kirschholz. Sie ist noch aus dem 19. Jahrhundert, ein altes Erbstück. Seit gut dreißig Jahren bewahre ich dort meine Wäsche auf. Sie hat viele Macken und müsste mal restauriert werden. Aber ist sie dann noch meine alte Kommode? Kann man ein altes Erbstück so einfach erneuern? Geht dann nicht ihr Charme verloren? Ganz bewusst habe ich bislang darauf verzichtet.
Die Türglocke geht erneut. Ich höre Volker, meinen Mann, die Treppe zur Eingangstüre hinuntergehen. Gleichzeitig kommt Elke zu mir herein. Elke ist die leitende Kraft vom ambulanten Hospizdienst. Sehr schnell wurde sie auch meine Freundin. Als es mir noch gut ging, haben wir schon nach wenigen Treffen gemerkt, dass wir uns sehr sympathisch sind. Ich vertraue ihr. Sie schaut mich an.
Ja, es fällt mir ein, wir haben darüber gesprochen, dass es wohl besser ist, nun ins Hospiz zu gehen.
Volker kommt zunehmend an seine Grenzen. Er pflegt mich, kümmert sich um die Kinder und versucht bei all dem, weiter zu arbeiten und unser Geld zu verdienen. Das Allerschlimmste für ihn ist sicherlich die emotionale Belastung. Ich merke, dass seine Nerven blank liegen, und leider kann ich ihm gar nicht helfen.
Denn natürlich bin auch ich emotional am Kämpfen. Ich habe ständig das Gefühl, zu viel zu sein. Das ist nichts Neues, mit diesem Gefühl bin ich schon ins Leben getreten. Im Grunde war für mich in meiner Herkunftsfamilie kein Platz, die familiäre Situation war, wie auch jetzt hier, von ständiger Überforderung geprägt. Wäre ich zusätzlich meiner Mutter auch noch zur Last gefallen, wäre das System sicherlich zusammengebrochen.
Auf gar keinen Fall jemandem zur Last zu fallen, wurde zu einem Lebensthema für mich. Nein, ich wollte selbstständig sein, anderen helfen und möglichst niemanden brauchen.
Es fällt mir sehr schwer, Volkers Gereiztheit nicht persönlich zu nehmen, mich dafür nicht verantwortlich zu fühlen. So kommt es immer wieder zu unschönen Situationen. Ich fühle mich schnell ungeliebt und er sich überfordert. Ich sehne mich so sehr nach seiner Nähe, nach seinem Mitgefühl, doch er versucht seine Emotionen zu kontrollieren. Die Situation ist zu schmerzhaft für ihn. In seiner Wahrnehmung muss er funktionieren. Zwischendurch bringt ihn sein Körper mit heftigen Rückenschmerzen dazu, wenigstens eine Woche die berufliche Arbeit liegen zu lassen.
Und dann sind da noch die Kinder, Gerion mit 16 Jahren und Gwendolin mit 14 Jahren. Ist es ihnen wirklich zuzumuten, so hautnah das Sterben ihrer Mutter mitanzusehen? Sollte man das ihnen nicht besser ersparen? Ich wäre so gerne zu Hause gestorben, doch im Moment scheint alles dagegen zu sprechen. Ich wende mich an Elke, die neben meinem Bett steht: »Ist das wirklich richtig, ins Hospiz zu gehen?«
»Ja, ich denke schon. Wir haben doch darüber gesprochen.«
Ihre Ausstrahlung bestätigt ihre Worte, sie nickt langsam und bestimmt. Unten höre ich Volker, wie er sich mit den Pflegern darüber unterhält, wie und wo sie mich am besten nach draußen tragen. Wie, ich soll liegend hier herausgetragen werden? Bin ich wirklich so schwach? Doch das scheint keine Frage zu sein, denn darin sind sich alle einig.
Tiefe, beschäftigt klingende Männerstimmen nähern sich – wie ein sperriges Möbelstück versuchen sie die Bahre, nein: Liege die Treppe hinauf zu transportieren. Volker geht voran, er kommt auf mich zu, mein Herz fängt an, heftig zu schlagen.
Das soll es jetzt gewesen sein? Volker, ist das Dein Ernst? Soll ich jetzt wirklich gehen?, schreit es stumm in mir. Ich schaue in seine tieftraurigen Augen. Mein Körper drückt sich an ihn. Ich spüre seinen kräftigen männlichen Körper, aber er kann mich nicht mehr retten. Mein Wunsch, mit ihm zu verschmelzen, seine Kraft und Gesundheit in mich aufzusaugen, zerschellt an einer harten Wand.
Ja, er hat recht, ich darf es ihm nicht unnötig schwer machen. Wir haben doch darüber gesprochen. Es ist Zeit. Ich verabschiede mich, ein zweites, drittes, viertes Mal? Ich weiß es nicht, später werde ich erfahren, dass ich mich auch von meinen Kindern mehrmals verabschiedet habe. Für mich fühlt es sich jedes Mal wie das erste Mal an. Ich habe bereits so viel vergessen, auch mein Erinnerungsvermögen verflüchtigt sich schon seit Wochen mehr und mehr.
Schweren Herzens gebe ich nach, ich vertraue und lasse mir von den Pflegern auf die Trage helfen. Sie hieven mich die Treppe hinunter und dann in den Krankenwagen. Elke setzt sich neben mich und nimmt meine Hand, das tut gut. Wir fahren mit einem für mich ohrenbetäubenden Lärm los. Plötzlich ist es kein Krankenwagen mehr, in meinem Kopf wird er zu einer Art Helikopter, aha, deshalb ist das so laut. Tief hinten in meinem Kopf weiß ich, dass ich in das Hospiz gebracht werde. Es ist so schrecklich laut, wann sind wir endlich da? Ich fühle mich ausgeliefert. Nochmal ein Blick auf Elke, das beruhigt mich etwas, sie passt auf mich auf. Volker folgt uns mit dem Auto.
Ich falle in einen tiefen Schlaf. Es ist Krieg, die Nazis säubern das Land, und ich werde verfolgt. Ich bin ein etwa achtjähriges Mädchen und befinde mich in der Nähe von Marburg, in Sarnau/Göttingen. Ich verstecke mich unter der kleinen Brücke, die über einen kleinen Ausläufer der Lahn führt, um den Häschern zu entkommen, aber es hat keinen Sinn. Sie werden mich finden und mir gleich Gewalt antun, diese Ahnung spüre ich im ganzen Körper. Ich habe schreckliche Angst. Aus dem Nichts stürzen sie sich auf mich, ich schreie, Schmerzen überall, Dunkelheit umgibt mich.
Plötzlich bin ich meine Mutter. Bestimmt hat sie genau das in der Kriegszeit erlebt. Gehen ihre Erinnerungen gerade in meine über? Sind wir so verbunden? Ich versinke ins gnadenvolle Nichts.
Als ich wieder aufwache, höre ich die befehlende, kreischende Stimme einer KZ-Aufseherin. Sie scheint eine Polin zu sein, sie spricht gebrochenes Deutsch. Sie will etwas von mir, ich kann es ihr nicht recht machen.
Diagnose Krebs
Der Sonntagmorgen im Januar 2010 beginnt völlig unschuldig. Wenn der Wecker nicht klingelt, genießen Volker und ich gerne die ersten Morgenstunden im Bett. Besonders der langsame Übergang vom Schlafen bis zum endgültigen Wachsein lässt uns viel Raum für zärtliches Kuscheln und liebevolles Verschmelzen. Warm und sicher bewege ich mich in meiner selbst gestalteten Welt, die sich teilweise noch durchzogen von meinen vorangegangenen Träumen entwickelt. Die Wahrnehmung ist noch zu verschwommen für ein klares Ich und Du. Ich drücke meinen Hintern in die Leiste meines Liebsten und räkele mich genüsslich, reibe mich an seinen Unterleib. Ich weiß, dass er das mag, in der Regel kann er sich dem nicht entziehen. Wie erwartet wird auch er nun langsam wach und drückt sich an mich. Seine Hand legt sich zärtlich auf meine Brust. Wie sehr ich das liebe.
Doch seine Hand wird plötzlich tastend, eher untersuchend. Nein, das fühlt sich gar nicht mehr so gut an. »Ich fühle hier einen Knoten«, sagt Volker, »ich habe dich doch schon mal gebeten, damit zum Arzt zu gehen. Bitte mach das.«
Mein warmes Gefühl der Verschmelzung weicht einer aufkommenden Härte. Zunächst versuche ich, Volker von seinen Gedanken abzubringen, und antworte im bestimmtem und auch etwas genervtem Ton: »Und ich habe dir gesagt, da ist nichts. Ich habe einfach eine knotige Brust, das habe ich auch schon öfter von der Ärztin gehört. Ich habe keinen Krebs, das ist doch lächerlich!«
Von klein auf war ich der festen Überzeugung, dass ich niemals Krebs bekommen würde. Meine Mutter arbeitete damals als Krankenschwester auf einer onkologischen Station. In diesem Zusammenhang hörte sie auch die umstrittenen Thesen Ryke Geerd Hamers, eines Internisten, der psychische Konflikte als Ursache für Krebs postulierte. Durch die Bewältigung seines Traumas – sein Sohn starb, nachdem er im Urlaub angeschossen worden war – hatte er sich angeblich selbst von seinem Hodenkrebs geheilt. Meine Mutter erzählte mit solcher Überzeugung davon, dass ich keinen Zweifel hatte. Zudem sprach man in den 1970er Jahren immer wieder von einem »Krebstypen«, also einer Art psychischen Disposition. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich einmal an Krebs erkranken würde. Ich bin kein »Krebstyp«, war mein klares Credo.
Aber Volker lässt nicht locker und die schöne Stimmung ist restlos dahin. Schließlich verspreche ich ihm, zum Arzt zu gehen. Ist ja sowieso nichts, sage ich mir.
Unangenehm schnell bekomme ich noch in dieser Woche einen Termin bei meiner Frauenärztin. Sie teilt meine Sicherheit ganz und gar nicht. Mit ihrem Ultraschallgerät entdeckt sie etwas Auffälliges, das näher untersucht werden müsse, und sie schickt mich in eine radiologische Praxis. Es scheint so dringend zu sein, dass sie gleich selbst in der röntgenologischen Praxis anruft und mir schon für den kommenden Tag einen Termin vereinbart. Natürlich fahre ich auch dort allein hin, das wird sich sicherlich alles in Luft auflösen, ich habe ja nichts.
Als ich das Wartezimmer der röntgenologischen Praxis betrete, bin ich wie vom Blitz getroffen. Eine Ladung Energie erfasst mich wie ein Windstoß, fährt brennend elektrisch durch mich durch und lässt mich fast taumeln. Meine Sinne werden unscharf, es summt in meinen Ohren, für einen kleinen Moment hat mein Geist meinen Körper verlassen. Meine Beine signalisieren mir deutlich, dass ich mich setzen muss. Ich nehme gleich den nächsten Stuhl, links neben der Türe. Nur langsam wage ich, mich genauer umzusehen. Mir gegenüber in der rechten Ecke sitzt eine ausgezehrte Krebspatientin mit einem Tuch auf dem Kopf. Bei ihrem Anblick, noch von der Türe aus, kam die Erkenntnis so vernichtend auf mich zugeschossen:Ich habe auchKrebs, und bald werde auch ich so aussehen.
Hinter ihr auf der Fensterbank steht eine wunderschöne, weiß blühende, unschuldige Orchidee. Noch nie in meinem Leben habe ich eine so schöne Orchidee gesehen, die Tränen treten mir in die Augen. Der Augenblick ist furchtbar und wunderschön zugleich. Ich erkenne die unmittelbare Schönheit des Lebens und zugleich seine Endlichkeit für mich. Die unmittelbare Erkenntnis, dass ich eine so furchtbare, den Tod bringende Krankheit habe, zeigt mir gleichsam die Türe in das Paradies. Im kompromisslosen Hier und Jetzt wartet nicht nur das Vergessen auf mich, es lädt mich auch ein, mit meinen plötzlich so geschärften Sinnen die Zeit anzuhalten.
»Die Nächste, bitte!«
Die Türe rechts neben mir hat sich geöffnet, eine blonde schlanke Frau in einem weißen Kittel schaut ins Wartezimmer. Sie müsste etwa in meinem Alter sein. Für sie ist das normaler Alltag, für mich ist gerade meine kleine Welt zerbrochen.
Ich folge ihr in einen kleinen Raum, in dem die Mammografie gemacht werden soll. Ängstlich schaue ich mich um: Vor mir steht ein weißer Tisch mit einem Computer und ein paar Zettel darauf, ein Stuhl, auf den ich meine Sachen legen kann. Und links in der Ecke steht das Diagnosegerät. Groß, dick und Angst einflößend. Alles in mir sträubt sich gegen diese Untersuchung. Ich weiß doch sowieso, was Sache ist!
Am liebsten würde ich der Arzthelferin meinen ganzen Schmerz und meine Verzweiflung mitteilen. Außerdem ist sie offensichtlich im Stress, es gibt viel zu tun. Vielleicht um Zeit zu schinden, oder weil ich Sehnsucht nach einer Verbündeten habe, breche ich die unheilvolle Stille: »Sie haben sicherlich viel zu tun?«
»Oh ja, heute ist mal wieder besonders viel los. Bitte machen Sie den Oberkörper frei, Ihre Sachen können Sie auf den Stuhl legen.«
Sie ist nett und unverbindlich, das ist ihr Job. Für mich hat diese Situation eine ganz andere Bedeutung. Wie gerne würde ich, nur für diese paar Minuten, mit ihr tauschen. Doch wer weiß das schon, vielleicht hat sie ja auch Krebs? Und vielleicht noch ganz viele andere, von denen ich das gar nicht weiß? Man sieht es einem ja erst mal gar nicht an.
Sie weist auf zwei horizontale Platten, die auf Brusthöhe an dem Mammografiegerät angebracht sind. »Legen Sie bitte ihre Brust hier hinein.«
Da soll meine kleine Brust dazwischen? Während ich noch überlege, wie das gehen soll, greift sie beherzt meine Brust und zwängt sie in den Zwischenraum.
Autsch, das tut weh! Ganz besonders meine rechte Brust. Jetzt merke ich ganz deutlich, dass mit dieser Brust etwas nicht stimmt. Die Zeit vergeht unendlich langsam, bis endlich die Prozedur beendet ist. Danach darf ich wieder in das Wartezimmer bei der schmerzlich schönen Orchidee Platz nehmen.
Ein klitzekleiner Hoffnungsschimmer bleibt mir, dass vielleicht doch alles nur blinder Alarm ist. Aber im Grunde meines Herzens weiß ich zu genau, was mir der Arzt gleich sagen wird. Vorher wird meine Brust noch geschallt. Dazu werde ich in einen anderen Raum geführt, der Arzt wartet hier schon auf mich und weist mich an, auf der Liege Platz zu nehmen. Das Schallen tut gar nicht weh und gilt auch als ungefährlich. Ganz im Gegensatz zur Mammografie.
Im Ultraschall entdeckt der Radiologe nun eindeutig den Knoten. Vor drei Jahren hatte ich schon mal eine Mammografie machen lassen, bei der nichts entdeckt wurde. Auch diesmal sieht man bei der Mammografie nicht sehr viel. Erst durch den Ultraschall wird der Befund klar. Ich spüre, wie Ärger in mir hochkommt: Warum macht man nicht gleich eine Diagnostik mit einem sensiblen Ultraschallgerät bei einem Experten? Anscheinend sieht man in der Mammografie weniger als in einem guten Ultraschall. Lieber quält man Frauen zunächst in eine mit Strahlen belastete, schmerzhafte Untersuchung, die sowieso noch mit Ultraschall abgeklärt werden muss! Da drängt sich doch der Verdacht auf, dass es da um etwas ganz anderes geht. Wir Frauen werden ständig zur Mammografie aufgefordert, obwohl diese Untersuchung heftig umstritten ist. Dass die durch Zug und Druck bereits unter physischem Stress stehende Brust durch die Strahlung zusätzlich belastet wird und vielleicht erst dadurch Zellen entarten, ist nicht von der Hand zu weisen. Möglicherweise ist bei mir vor drei Jahren, bei der damaligen Mammografie, der Krebs erst zum Durchbruch gekommen?
Der Radiologe sagt mir, dass der Tumor knapp zwei Zentimeter groß und mit Sicherheit bösartig ist: »Leider wird die ganze Brust entfernt werden müssen. Der Tumor sitzt direkt hinter der Brustwarze, für eine Erhaltung ist ihre Brust zu klein.«
Mir wird wieder schwindelig, das kann doch nicht sein! Irgendetwas in mir schreit: Nein, nein, das ist alles bloß ein furchtbares Versehen! Morgen kommt heraus, dass das alles gar nicht wahr ist, oder ich wache aus diesem schrecklichen Traum auf.
Mit Tränen in den Augen und irgendwie abgeschnitten von der Welt fahre ich anschließend nach Hause. Im Auto rede ich auf mich ein: Nimm dich zusammen, du musst jetzt erst mal nach Hause kommen! Bau ja keinen Unfall, konzentriere dich! Zu Hause wird bestimmt alles gut. Ich sage es Volker, er nimmt mich in den Arm, und irgendwie wird es dann bestimmt besser. Oder auch nichts, das Nichts fühlte sich wie eine große Erleichterung an. Einfach nichts. Nichts ist, nichts fühle ich, nichts ist passiert.
Dann erinnere ich mich an die abschließenden Worte des Radiologen: »Um ganz sicher zu sein, muss man noch eine Biopsie machen. Doch ehrlich gesagt, habe ich wenig Hoffnung.«
Aber da ist noch eine Untersuchung, sie könnte ja auch ein ganz anderes Ergebnis bringen. Er hatte gleich für den nächsten Tag einen Termin für mich vereinbart. Vor der Biopsie bräuchte ich keine Angst zu haben, gab er mir mit. Das sei nur ein kleiner Pieks in die Brust, über den dann eine Gewebeprobe entnommen wird. Diese Hoffnung trägt mich bis zum nächsten Tag.
Am nächsten Tag warte ich mit vielen anderen Frauen in einem großen hellen Wartezimmer in der gynäkologischen Praxis des Krankenhauses. Wieder steht ein schöner Blumenstrauß in der Ecke. Aha, das machen die extra, denke ich mir, damit wir auch etwas Schönes zu sehen bekommen. Für diese Aufmerksamkeit bin ich in diesem Moment sehr dankbar. Dr. G. kommt schließlich persönlich in das Wartezimmer und begrüßt mich freundlich. Ich folge ihm in sein Behandlungszimmer, dort klärt er mich über das nun folgende Prozedere auf. Irgendwie gelingt es ihm schnell, eine lockere Atmosphäre aufzubauen. Wir machen sogar ein paar Späße. Nein, der wird mir nicht wehtun, bestimmt nicht, sagt mir mein Gefühl. Auch seiner Meinung nach geht es nur um einen kleinen Pieks. Ein Satz von ihm lässt mich allerdings aufhorchen: »Sie brauchen auch keine Angst vor einer Metastasierung durch die Biopsie zu haben. Studien haben bewiesen, dass es in der Prognose mit und ohne Biopsien keinen Unterschied gibt.«
Warum sagt er mir das jetzt? Gibt es etwa Zweifel, kann mir die Untersuchung schaden? Jetzt ist es zu spät – zu peinlich, wenn ich jetzt den Rückzieher machen würde! Er ist doch so nett und wirkt so kompetent, beruhige ich mich. Ich muss jetzt vertrauen.
Und nun?
Zu Hause kommt mir Volker schon auf der Treppe entgegen. Wie gut, dass er heute nicht unterwegs ist. Als Vertriebsingenieur muss er oft seine Kunden besuchen. Aber heute ist er im Home-Office. Er erkennt sofort, dass das Ergebnis schlecht war und nimmt mich in den Arm. Wie gut das tut. Obwohl ich mit 1,80 Meter bestimmt keine kleine Frau bin, kann ich mich in seinen Armen geborgen fühlen. Er ist doch um einiges größer und breiter als ich.
Auch wenn er den Krebs nicht wegzaubern kann, ich bin nun nicht mehr alleine mit dem Feind. Ich fühle mich gleich stärker. Wir haben beide noch keinen Plan, wie es nun weitergehen soll. Wie verhält man sich in einer solchen Situation? Doch das normale Leben geht weiter. Jetzt muss das Mittagessen für die Kinder gemacht werden, die gleich kommen und einen gedeckten Tisch erwarten, und Volker muss wieder an den Schreibtisch. Ich gehe das Mittagessen vorbereiten, das tut irgendwie auch gut. Die Aufmerksamkeit wird dem Krebs ein wenig entzogen.
Trotzdem kreisen meine Gedanken darum. Mein Sohn Gerion ist gerade 13 Jahre und meine Tochter Gwendolin ist 10 Jahre alt. Wie soll ich, wie sollen wir es ihnen sagen?
Wenn Volker zu Hause ist, können wir oft zusammen zu Mittag essen, was wir sehr genießen. Dabei ist natürlich immer auch Raum für familiäre Angelegenheiten. Außerdem bin ich eine schlechte Schauspielerin, man sieht es mir sofort an, wenn es mir nicht gut geht. Ich habe keine Kraft, meinen Kindern etwas vorzuspielen. Aber ich sehe es auch nicht ein. Als Psychologin, ich habe eine Praxis für Körper- und Psychotherapie, weiß ich, wie wichtig es ist, den Kindern die Wahrheit zu sagen. Sie spüren sowieso, wenn etwas nicht in Ordnung ist.
Ich hatte gestern schon mit beiden Kinder einzeln gesprochen und sie etwas vorbereitet. Da konnte ich noch sagen, dass es mir nicht gut geht und dass ich gerade viel wegen Untersuchungen bei Ärzten bin.
»Es kann sein, dass ich Krebs habe«, habe ich ihnen auch gesagt. Sie sollten die Möglichkeit haben, sich langsam an den Schrecken zu gewöhnen.
Gerion reagierte erstaunlich gelassen: »Ich bin sicher, dass du wieder gesund wirst«, lautete seine Antwort. Es kann nicht sein, was nicht sein darf? Verdrängung kann so wohltun. Ich nehme ihm nicht seinen Schutz. Ich lasse mich sogar von ihm umhüllen. Ja, bestimmt werde ich wieder gesund.
Bei Gwenni war es dramatischer. Ich nehme sie auf den Schoß und umarme sie zärtlich. »Mein lieber Schatz, es kann sein, dass ich sehr krank bin«, sage ich ihr.
»Was hast du denn, Mama?«
»Möglicherweise habe ich Krebs, aber –«
Sie lässt mich nicht ausreden: »Nein, Mama, das hast du nicht! Das hast du nicht! Das hast du nicht!« Sie drückt mich von sich fort und fängt an, ihre Sachen fürs Ballett zu packen.
Ich bitte sie, doch noch mal in meine Arme zu kommen. Zögernd kommt sie näher und kuschelt sich dann ganz ein, ich drücke sie fest und schaukle sie ein wenig hin und her. Nun weint sie hemmungslos und verzweifelt. Ich halte den Schmerz kaum aus. Ich kann nicht anders und sage: »Meine Süße, ich verspreche dir, nicht zu sterben, bevor du erwachsen bist.«
Natürlich wusste ich damals gar nicht, ob ich das halten kann. Aber das Versprechen habe ich auch mir gegeben. Es ist wie ein Vertrag, aus dem ich nicht mehr herauskomme. Auch er hat viel zu der Kraft beigetragen, die mich später durch die Erkrankung leiten wird.
Nun sitzen wir vier beim gemeinsamen Mittagessen. Ich bekomme kaum einen Bissen hinunter. »Es gibt eine sehr traurige Nachricht«, beginne ich zaghaft. Volker legt seine Hand auf mein Bein. »Ich war heute Morgen beim Arzt, es ist nun sehr wahrscheinlich, dass ich Krebs habe.«
Stille.
»Es könnte sein, dass ich Chemotherapie bekomme. Dann könnten wir in diesem Sommer nicht in den Urlaub fahren, wir müssten das auf später verschieben.«
Gwenni reagiert als erste – mit Wut: »Nein, das geht nicht! Alle meine Freundinnen fahren in den Urlaub, das ist gemein!« Sie ist so wütend, dass sie sämtliche liebevollen Erklärungen einfach an sich abprallen lässt. Ihre ganze Wut, Enttäuschung und Angst entlädt sich ungebremst. Volker und ich schweigen schließlich betroffen.
Zu unserer Verblüffung reagiert Gerion ruhig und tatkräftig. Er scheint der Einzige zu sein, der die Situation im Griff hat, und macht instinktiv genau das Richtige. »Komm, Gwenni«, sagt er zu seiner Schwester, »wir gehen nach oben in mein Zimmer, ich zeige dir ein schönes Spiel, das wird dir gefallen.«
Er nimmt die aufgebrachte Gwenni an die Hand und die beiden gehen nach oben.
Volker und ich schauen uns an. Unser Sohn hat gerade einen großen Wachstumsschritt vollzogen. Vielleicht ein bisschen zu früh.
Und nun? Wir sitzen noch eine Zeit stumm und handlungsunfähig am Tisch. Es gibt nichts zu reden, und wir bemühen uns beide, nicht wie Gwenni einfach auszurasten. Wer soll uns an die Hand nehmen? Einen Schritt nach dem anderen, das soll unser Motto für die nächste Zeit sein, beschließen wir letztlich. Ich gehe jetzt den Tisch abräumen, Volker hoch zu seiner Arbeit. Und dann kommt der nächste Schritt.
Am nächsten Morgen ist meine rechte Brust ein einziger Bluterguss, sie ist komplett angeschwollen und mindestens doppelt so groß wie die linke. Ich habe Schmerzen, und mein Laienverstand erinnert sich an die Regel: Nie in den Tumor hineinstechen. Eine ganz alte Weisheit, die ich in vielen Büchern und Artikeln gelesen hatte. Tumorzellen verbreiten sich in erster Linie über den Blutweg. In den Lymphen sind sie eigentlich ganz gut aufgehoben, denn die sind voll mit Abwehrzellen. Bildlich gesehen sind geschwollene Lymphknoten nichts anderes als Feuerwehrautos, die zum Einsatz kommen, wenn es brennt. Im Körper brennt es auch, etwas ist ganz grundlegend nicht in Ordnung. Die Lymphknoten versuchen, das Gröbste zu beheben, nämlich die Tumore unschädlich zu machen. Sie zu entfernen ist in etwa so, als ob man bei einem Hausbrand die dann kommenden Feuerwehrautos zerstört. Denn die sind ja bei einem Brand in der Regel immer zu sehen. Sie sind aber nicht die Ursache des Brandes, ganz im Gegenteil.
Ich zeige Volker die Brust. Auch er ist geschockt. Am liebsten würde er gar nicht hinschauen. Da wir bislang unser Wissen über das Gelesene fleißig ausgetauscht haben, ist auch er jetzt der Meinung, dass dieser Tumorherd weg muss.
Schließlich werde ich zum Beratungsgespräch geladen. Durch die Mammografie und die Biopsie hatte ich ja schon einen wesentlichen Schritt in Richtung schulmedizinischer Behandlung vollzogen. Doch wie soll es jetzt weitergehen, kann ich den Zug noch stoppen? Alles geht so schnell, und muss unmittelbar entschieden werden. Langsam und deutlich klärt mich Dr. G. über den Befund auf. Ich sitze aufrecht und lausche ihm aufmerksam, ich will nichts verpassen. »Ihr Krebs ist übrigens nicht neu«, sagt der Arzt schließlich, »er ist vor etwa zehn Jahren gewachsen.« Plötzlich bin ich weg. Ich sehe, wie er seine Lippen bewegt, aber ich höre ihn nicht mehr. Dieses Summen im Kopf, wie im Wartezimmer des Radiologen, umgibt mich. Ich sehe mich in einem kalten gekachelten Raum sitzen. Gleich soll ein Lungenszintigramm gemacht werden, dazu muss mir eine radioaktive Substanz verabreicht werden. Das will ich nicht. Ich bin erpresst worden. Am liebsten würde ich weglaufen, immer wieder sehe ich, wie ich schnell aufstehe und weglaufe, hinter mir höre ich die ärgerlichen Rufe all der ach so wichtigen Menschen um mich herum, dass ich das doch nicht machen könne. Doch ich renne einfach hinaus, keiner kann mich aufhalten, ich laufe den Gang hinunter zu meinem erst vor drei Tagen geborenen Baby, nehme es in den Arm, und alles wird gut.
Doch ich bin auf dem Stuhl festgewachsen, und meine rechte Brust weint.
»Hallo, Frau Gleising!«
»Frau Gleising, können Sie mich hören? Wo sind Sie gerade, können Sie mir noch folgen?«
Ich schaue in die Richtung der Stimme und komme in das Arztzimmer zurück: »Äh, ja, ich bin wieder da.«
Eigentlich brauche ich seine Erinnerung nicht. Schon als ich die Diagnose zum ersten Mal hörte, wusste ich, dass meine Erkrankung mit meinem Trauma verbunden ist, das ich vor gut zehn Jahren erlebt hatte.
Ich bin froh, dass der Arzt meine geistige Abwesenheit bemerkt hat und nicht einfach weiterredet. In diesem Moment beschließe ich, ihm zu vertrauen, trotz der fürchterlichen Biopsie. Alles wird gut, bestimmt wird alles gut. Du bist nicht die Einzige mit Brustkrebs, der Mann weiß, worüber er redet, beruhige ich mich.
Dr. G. stellt mir nun zwei Behandlungsoptionen vor. Bei der ersten Variante wird mir die Brust in den nächsten Tagen »abgenommen« (was für eine euphemistische Umschreibung für Abschneiden). Während der OP wird bereits der Portkatheter gelegt, weil direkt im Anschluss nach der Wundheilung mit der Chemotherapie begonnen wird. Diese wird eine Mixtur aus verschiedenen Wirkstoffen zu verschiedenen Zeiten sein. Um möglichst alle Tumorzellen zu erreichen, wird man dabei mit Menge und Aggressivität der Zytostatika nicht zaghaft sein. Schließlich bin ich ja noch so »gesund« und kann einiges vertragen. Wenn alles gut geht, bekomme ich dann nach etwa acht Monaten noch Bestrahlungen und eine abschließende Hormontherapie. Ich traue meinen Ohren kaum, als der Arzt sagt: »Wir hoffen, dass bis dahin die Eierstöcke kaputt sind, sodass wir Aromatasehemmer geben können.«
Aromatasehemmer gibt man als Zusatzbehandlung nach dem Brustkrebs, wenn die Menopause vorbei ist. Das Medikament hemmt die Bildung von Östrogen, denn das Hormon kann das Wachstum von Tumoren befördern. Bislang hatte ich aber noch gar keine Anzeichen von Wechseljahren! Möglicherweise hat er es nicht exakt so ausgedrückt, jedenfalls ist das die brutale Botschaft, die bei mir ankommt. »Ich will, dass gar nichts in meinem Körper kaputt gemacht wird!«, möchte ich ihn anschreien, aber das ist kindisch. Ich schlucke es herunter.
Die Alternative unterscheidet sich leider nicht sonderlich von dem ersten Prozedere. Ich kann hierbei wählen, ob ich die Chemotherapie vor anstatt nach der OP haben möchte. Bestrahlung und Hormontherapie würden dann folgen. Das nennt sich neoadjuvante Chemotherapie und soll schon vor der Operation den Tumor schrumpfen lassen und damit den Eingriff erleichtern. Das hat zudem den Charme, dass man zumindest weiß, ob die Chemotherapie bei meinem Krebs wirkt.
In den nächsten zwei Wochen fressen sich Volker und ich weiter durch Bücher über Krebs, die die Erkrankung zu erklären versuchen und alternative Therapieansätze vorschlagen. Vieles hört sich sehr schlüssig und hoffnungsvoll an. Ich beginne wieder mehr Lebensfreude und Hoffnung zu bekommen. Ich bin nicht mehr hilflos ausgeliefert, nun kann ich etwas tun.
Wenn ich meine Brust anschaue, ist mir klar, dass die wohl weg muss. Dunkelblau und dick ist sie unübersehbarer Beweis meiner Erkrankung und Zeichen dafür, dass dringend etwas getan werden muss. Mein Gynäkologe meinte zwar, dass laut Studien eine Biopsie kein größeres Risiko für Metastasen nach sich ziehe, aber das glaube ich jetzt nicht mehr. Vielleicht ist das Risiko wirklich geringer, wenn die Patientin gleich danach eine aggressive, prophylaktische Chemotherapie erhält. Möglicherweise werden dadurch viele im Blut fließende Tumorzellen erwischt. Aber es bleibt dabei, Chemotherapie kann zwar die Tumormasse für eine Zeit verringern, aber sie ist nicht in der Lage, epitheliale Wucherungen komplett zu heilen. Der Einzige, der wirklich dazu in der Lage ist, ist unser Körper, also unser eigenes Immunsystem, und dieses wird durch die Zytostatika zunächst platt gemacht.
Mittlerweile stoße ich auf Studien, die behaupten, dass Chemotherapien die Tumormasse tatsächlich nur bei etwa 40 Prozent aller Brustkrebstumore verringern. Das ist natürlich ein Riesendeal für die Pharmafirmen: Die Frauen bekommen alle eine teure adjuvante Chemotherapie, ohne zu wissen, ob sie überhaupt bei diesem Tumor hilft. Überprüfen kann man das dann nicht, da ja nach der OP der Tumor entfernt wurde. Im schlechtesten Fall hätte die Frau keinerlei Nutzen – nur Nebenwirkungen und Schädigungen der gesunden Zellen. Und da es »aus ethischen Gründen« bis heute keine Doppelblindstudien gibt, die untersuchen, ob die Chemotherapie überhaupt auf Dauer gesehen hilft, ist es im Kern für mich nicht zu verstehen, dass sie dennoch routinemäßig eingesetzt wird. Oft kommt der Krebs nach einer solchen »prophylaktischen Therapie« nach fünf Jahren wieder, aber genau nach fünf Jahren gilt die Krebserkrankung als geheilt. Also spricht man von einer Neuerkrankung. Das ist perfekt für die Pharmafirmen.
So bin ich mir nach den zwei Wochen Lesemarathon immer noch nicht wirklich im Klaren darüber, ob ich die Chemotherapie machen will oder nicht. Volker steht voll und ganz an meiner Seite. Die traumatischen Erlebnisse rund um die Geburt meines ersten Kindes Gerion haben auch ihn zu einer skeptischen Einstellung den Ärzten gegenüber gebracht. »Ich habe keinen Schimmer, was das Richtige ist, aber ich unterstütze jede deiner Entscheidungen«, sagt er schließlich. Etwas Besseres kann er im Moment kaum tun, ich bin ihm sehr dankbar dafür.
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OP und Brustaufbau
Die zwei Wochen bis zur Operation vergehen erstaunlich schnell. Viel zu schnell, um mich in Würde von meiner Brust zu verabschieden. Mal wieder sitze ich stumm in meinem Bett und starre Löcher in die Luft. Meine Gedanken sind bei meiner Brust. Wie wird sich mein Körper ohne sie anfühlen? Nur mit Mühe kann ich die Horrorphantasien stoppen, die mir durch den Kopf schießen: Menschen ohne Hand, ohne Beine, Männer ohne Hoden.
Volker kommt herein, setzt sich neben mich und nimmt meine Hand. Sein Mitgefühl beruhigt mich ein wenig. Das alles ist für ihn mindestens so schlimm wie für mich. Er ist ganz bei mir.
Aber kann man dieses Gefühl wirklich nachvollziehen? Ich weiß es nicht. Auch für ihn sind meine Brüste schon immer etwas ganz Besonderes gewesen. Schon sehr oft hat er mir gesagt, wie sehr er sie mag und wie schön und erregend er sie findet. Wenn ich auch an seiner Liebe manchmal zweifelte, bin ich mir doch sicher, dass er meinen Körper wirklich begehrt. Wird er mich auch mit nur einer Brust noch lieben? An diesem Abend bin ich davon überzeugt. Unsere Liebe wird über dieser Äußerlichkeit stehen. Wusste und weiß ich doch, dass ein liebendes Herz die Schönheit auch in dem Unvollständigen sieht. Aber ich spüre auch, wie er bereits einen Schutzschild um sich errichtet: Es ist zu viel Furchtbares, um das alles an sich heranzulassen.
Und ich? Auch ich fühle mich weiterhin wie in einem schlechten Traum, den ich bewusst von außen beobachte. Da ist diese Schicht aus Nebel um mich herum, die verhindert, dass ich von meinen Gefühlen überrannt werde.