Meister Floh - Ernst Theodor Amadeus Hoffmann - E-Book

Meister Floh E-Book

Ernst Theodor Amadeus Hoffmann

4,9

Beschreibung

"Meister Floh – Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde" ist eine Erzählung von E. T. A. Hoffmann. Obwohl als Kunstmärchen konzipiert, erschien die Erstfassung im Jahr 1822 zensiert und um zwei Kapitel gekürzt, da sie satirische Anspielungen auf einen Fall enthielt, den Hoffmann zuvor als Mitglied der „Immediat-Kommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe“ in Preußen zu untersuchen hatte. Erst im Jahr 1908 wurde der vollständige Text herausgegeben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 231

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (16 Bewertungen)
14
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Erstes Abenteuer

Zweites Abenteuer

Drittes Abenteuer

Viertes Abenteuer

Fünftes Abenteuer

Sechstes Abenteuer

Siebentes Abenteuer

Impressum

Erstes Abenteuer

Worin der geneigte Leser so viel aus dem Leben des Herrn Peregrinus Tyß erfährt, als ihm zu wissen nötig. – Die Weihnachtsbescherung bei dem Buchbinder Lämmerhirt in der Kalbächer Gasse und Beginn des ersten Abenteuers. – Die beiden Alinen.

Es war einmal – welcher Autor darf es jetzt wohl noch wagen, sein Geschichtlein also zu beginnen. – »Veraltet! – Langweilig!« – so ruft der geneigte oder vielmehr ungeneigte Leser, der nach des alten römischen Dichters weisen Rat gleich medias in res versetzt sein will. Es wird ihm dabei zumute, als nehme irgendein weitschweifiger Schwätzer von Gast, der eben eingetreten, breiten Platz und räuspre sich aus, um seinen endlosen Sermon zu beginnen, und er klappt unwillig das Buch zu, das er kaum aufgeschlagen. Gegenwärtiger Herausgeber des wunderbaren Märchens von Meister Floh meint nun zwar, daß jener Anfang sehr gut und eigentlich der beste jeder Geschichte sei, weshalb auch die vortrefflichsten Märchenerzähler, als da sind Ammen, alte Weiber u.a. sich desselben jederzeit bedient haben, da aber jeder Autor vorzugsweise schreibt, um gelesen zu werden, so will er (besagter Herausgeber nämlich) dem günstigen Leser durchaus nicht die Lust benehmen, wirklich sein Leser zu sein. Er sagt demselben daher gleich ohne alle weitere Umschweife, daß demselben Peregrinus Tyß, von dessen seltsamen Schicksalen diese Geschichte handeln wird, an keinem Weihnachtsabende das Herz so geklopft hatte vor banger freudiger Erwartung, als gerade an demjenigen, mit welchem die Erzählung seiner Abenteuer beginnt.

Peregrinus befand sich in einer dunklen Kammer, die neben dem Prunkzimmer belegen, wo ihm der Heilige Christ einbeschert zu werden pflegte. Dort schlich er bald leise auf und ab, lauschte auch wohl ein wenig an der Türe, bald setzte er sich still hin in den Winkel und zog mit geschlossenen Augen die mystischen Düfte des Marzipans, der Pfefferkuchen ein, die aus dem Zimmer strömten. Dann durchbebten ihn süße heimliche Schauer, wenn, indem er schnell wieder die Augen öffnete, ihn die hellen Lichtstrahlen blendeten, die, durch die Ritzen der Türe hineinfallend, an der Wand hin und her hüpften.

Endlich erklang das silberne Glöcklein, die Türe des Zimmers wurde geöffnet, und hinein stürzte Peregrinus in ein ganzes Feuermeer von bunt flackernden Weihnachtslichtern. – Ganz erstarrt blieb Peregrinus vor dem Tische stehen, auf dem die schönsten Gaben in gar hübscher zierlicher Ordnung aufgestellt waren, nur ein lautes Ach! drängte sich aus seiner Brust hervor. Noch nie hatte der Weihnachtsbaum solche reiche Früchte getragen, denn alles Zuckerwerk, wie es nur Namen haben mag, und dazwischen manche goldne Nuß, mancher goldne Apfel aus den Gärten der Hesperiden hing an den Ästen, die sich beugten unter der süßen Last. Der Vorrat von dem auserlesensten Spielzeug, schönem bleiernen Militär, ebensolcher Jägerei, aufgeschlagenen Bilderbüchern usw. ist gar nicht zu beschreiben. Noch wagte er es nicht, irgend etwas von dem ihm bescherten Reichtum zu berühren, er konnte sich nur mühen, sein Staunen zu besiegen, den Gedanken des Glücks zu erfassen, daß das alles nun wirklich sein sei.

»O meine lieben Eltern! – o meine gute Aline!« So rief Peregrinus im Gefühl des höchsten Entzückens. »Nun«, erwiderte Aline, »hab ich's so recht gemacht, Peregrinchen? – Freuest du dich auch recht von Herzen, mein Kind? – Willst du nicht all die schöne Ware näher betrachten, willst du nicht das neue Reitpferd, den hübschen Fuchs hier, versuchen?« »Ein herrliches Pferd«, sprach Peregrinus, das aufgezäumte Steckenpferd mit Freudentränen in den Augen betrachtend, »ein herrliches Pferd, echt arabische Race.« Er bestieg denn auch sogleich das edle stolze Roß; mochte Peregrinus aber sonst auch ein vortrefflicher Reuter sein, er mußte es diesmal in irgend etwas verfehlt haben, denn der wilde Pontifex (so war das Pferd geheißen) bäumte sich schnaubend und warf ihn ab, daß er kläglich die Beine in die Höhe streckte. Noch ehe indessen die zum Tode erschrockene Aline ihm zu Hülfe springen konnte, hatte Peregrinus sich schon emporgerafft und den Zügel des Pferdes ergriffen, das eben, hinten ausschlagend, durchgehen wollte. Aufs neue schwang sich Peregrinus nun auf und brachte, alle Reiterkünste aufbietend und mit Kraft und Geschick anwendend, den wilden Hengst so zur Vernunft, daß er zitterte, keuchte, stöhnte, in Peregrinus seinen mächtigen Zwangherrn erkannte. – Aline führte, als Peregrinus abgesessen, den Gebeugten in den Stall.

Die etwas stürmische Reiterei, die im Zimmer, vielleicht im ganzen Hause einen unbilligen Lärm verursacht, war nun vorüber, und Peregrinus setzte sich an den Tisch, um ruhig die andern glänzenden Gaben in näheren Augenschein zu nehmen. Mit Wohlbehagen verzehrte Peregrinus einigen Marzipan, indem er diese, jene Gliederpuppe ihre Künste machen ließ, in dieses, jenes Bilderbuch kuckte, dann Heerschau hielt über seine Armee, die er sehr zweckmäßig uniformiert und mit Recht deshalb unüberwindlich fand, weil kein einziger Soldat einen Magen im Leibe, zuletzt aber fortschritt zum Jagdwesen. Mit Verdruß gewahrte er jetzt, daß nur eine Hasen- und Fuchsjagd vorhanden, die Hirschjagd sowie die wilde Schweinsjagd aber durchaus fehlte. Auch diese Jagd mußte ja da sein, keiner konnte das besser wissen als Peregrinus, der alles selbst mit unsäglicher Mühe und Sorgfalt eingekauft. –

Doch! – höchst nötig scheint es, den günstigen Leser vor den ärgsten Mißverständnissen zu bewahren, in die er geraten könnte, wenn der Autor ins Gelag hinein weitererzählte, ohne daran zu denken, daß er wohl weiß, was es mit der ganzen Weihnachts-Ausstellung, von der gesprochen wird, für ein Bewandtnis hat, nicht aber der gütige Leser, der eben erfahren will, was er nicht weiß.

Sehr irren würde jeder, welcher glauben sollte, daß Peregrinus Tyß ein Kind sei, dem die gütige Mutter oder sonst ein ihm zugewandtes weibliches Wesen, romantischerweise Aline geheißen, den Heiligen Christ beschert. Nichts weniger als das! –

Herr Peregrinus Tyß hatte sechsunddreißig Jahre erreicht und daher beinahe die besten. Sechs Jahre früher hieß es von ihm, er sei ein recht hübscher Mensch, jetzt nannte man ihn mit Recht einen Mann von feinem Ansehen, immer, damals und jetzt wurde aber von allen getadelt, daß Peregrinus zu sehr sich zurückziehe, daß er das Leben nicht kenne und daß er offenbar an einem krankhaften Trübsinn leide. Väter, deren Töchter eben mannbar, meinten, daß der gute Tyß, um sich von seinem Trübsinn zu hellen, nichts Besseres tun könne als heiraten, er habe ja freie Wahl und einen Korb nicht so leicht zu fürchten. Der Väter Meinung war wenigstens hinsichts des letztem Punkts insofern richtig, als Herr Peregrinus Tyß außerdem, daß er, wie gesagt, ein Mann von feinem Ansehen war, ein sehr beträchtliches Vermögen besaß, das ihm sein Vater, Herr Balthasar Tyß, ein sehr angesehener Kaufherr, hinterlassen. Solchen hochbegabten Männern pflegt ein Mädchen, das, was Liebe betrifft, über die Überschwenglichkeit hinaus, das heißt wenigstens drei- bis vierundzwanzig Jahre alt geworden ist, auf die unschuldige Frage: »Wollen Sie mich mit Ihrer Hand beglücken, o Teure?« selten anders als mit roten Wangen und niedergeschlagenen Augen zu antworten: »Sprechen sie mit meinen lieben Eltern, ihrem Befehl gehorche ich allein, ich habe keinen Willen!« Die Eltern falten aber die Hände und sprechen: »Wenn es Gottes Wille ist, wir haben nichts dagegen, Herr Sohn!« –

Zu nichts weniger schien aber Herr Peregrinus Tyß aufgelegt als zum Heiraten. Denn außerdem, daß er überhaupt im allgemeinen menschenscheu war, so bewies er insbesondere eine seltsame ldiosynkrasie gegen das weibliche Geschlecht. Die Nähe eines Frauenzimmers trieb ihm Schweißtropfen auf die Stirne, und wurde er vollends von einem jungen genugsam hübschen Mädchen angeredet, so geriet er in eine Angst, die ihm die Zunge band und ein krampfhaftes Zittern durch alle Glieder verursachte. Eben daher mocht' es auch kommen, daß seine alte Aufwärterin von solch seltener Häßlichkeit war, daß sie in dem Revier, wo Herr Peregrinus Tyß wohnte, vielen für eine naturhistorische Merkwürdigkeit galt. Sehr gut stand das schwarze struppige, halb ergraute Haar zu den roten triefenden Augen, sehr gut die dicke Kupfernase zu den bleichblauen Lippen, um das Bild einer Blocksberg-Aspirantin zu vollenden, so daß sie ein paar Jahrhunderte früher schwerlich dem Scheiterhaufen entgangen sein würde, statt daß sie jetzt von Herrn Peregrinus Tyß und wohl auch noch von andern für eine sehr gutmütige Person gehalten wurde. Dies war sie auch in der Tat und ihr daher wohl nachzusehen, daß sie zu ihres Leibes Nahrung und Notdurft in die Stundenreihe des Tages so manches Schnäpschen einflocht und vielleicht auch zu oft eine ungeheure schwarzlackierte Dose aus dem Brusttuch hervorzog und die ansehnliche Nase reichlich mit echtem Offenbacher fütterte. Der geneigte Leser hat bereits bemerkt, daß diese merkwürdige Person ebendieselbe Aline ist, die die Weihnachtsbescherung veranstaltet. Der Himmel weiß, wie sie zu dem berühmten Namen der Königin von Golkonda gekommen. –

Verlangten aber nun Väter, daß der reiche, angenehme Herr Peregrinus Tyß seiner Weiberscheu entsage und sich ohne weiteres vereheliche, so sprachen dagegen wieder alte Hagestolze, daß Herr Peregrinus ganz recht tue, nicht zu heiraten, da seine Gemütsart nicht dazu tauge.

Schlimm war es aber, daß viele bei dem Worte »Gemütsart« ein sehr geheimnisvolles Gesicht machten und auf näheres Befragen nicht undeutlich zu verstehen gaben, daß Herr Peregrinus Tyß leider zuweilen was weniges überschnappe, ein Fehler, der ihm schon von früher Jugend anklebe. – Die vielen Leute, die den armen Peregrinus für übergeschnappt hielten, gehörten vorzüglich zu denjenigen, welche fest überzeugt sind, daß auf der großen Landstraße des Lebens, die man der Vernunft, der Klugheit gemäß einhalten müsse, die Nase der beste Führer und Wegweiser sei, und die lieber Scheuklappen anlegen als sich verlocken lassen von manchem duftenden Gebüsch, von manchem blumichten Wiesenplätzlein, das nebenher liegt.

Wahr ist es freilich, daß Herr Peregrinus manches Seltsame in und an sich trug, in das sich die Leute nicht finden konnten.

Es ist schon gesagt worden, daß der Vater des Herrn Peregrinus Tyß ein sehr reicher angesehener Kaufmann war, und wenn noch hinzugefügt wird, daß derselbe ein sehr schönes Haus auf dem freundlichen Roßmarkt besaß, und daß in diesem Hause und zwar in demselben Zimmer, wo dem kleinen Peregrinus stets der Heilige Christ einbeschert wurde, auch diesmal der erwachsene Peregrinus die Weihnachtsgaben in Empfang nahm, so ist gar nicht daran zu zweifeln, daß der Ort, wo sich die wundersamen Abenteuer zutrugen, die in dieser Geschichte erzählt werden sollen, kein anderer ist, als die berühmte schöne Stadt Frankfurt am Main. Von den Eltern des Herrn Peregrinus ist eben nichts Besonderes zu sagen, als daß es rechtliche stille Leute waren, denen niemand etwas anders als Gutes nachsagen konnte. Die unbegrenzte Hochachtung, welche Herr Tyß auf der Börse genoß, verdankte er dem Umstande, daß er stets richtig und sicher spekulierte, daß er eine große Summe nach der andern gewann, dabei aber nie vorlaut wurde, sondern bescheiden blieb, wie er gewesen, und niemals mit seinem Reichtum prahlte, sondern ihn nur dadurch bewies, daß er weder um geringes noch um vieles knickerte und die Nachsicht selbst war gegen insolvente Schuldner, die ins Unglück geraten, sei es auch verdienterweise. – Sehr lange Zeit war die Ehe des Herrn Tyß unfruchtbar geblieben, bis endlich nach beinahe zwanzig Jahren die Frau Tyß ihren Eheherrn mit einem tüchtigen hübschen Knaben erfreute, welches eben unser Herr Peregrinus Tyß war.

Man kann denken, wie grenzenlos die Freude der Eltern war, und noch jetzt sprechen alle Leute in Frankfurt von dem herrlichen Tauffeste, das der alte Tyß gegeben und an welchem der edelste urälteste Rheinwein kredenzt worden, als gelt' es ein Krönungsmahl. Was aber dem alten Herrn Tyß noch mehr nachgerühmt wird, ist, daß er zu jenem Tauffeste ein paar Leute geladen, die in feindseliger Gesinnung ihm gar öfters wehe getan hatten, dann aber andere, denen er wehe getan zu haben glaubte, so daß der Schmaus ein wirkliches Friedens- und Versöhnungsfest wurde.

Ach! – der gute Herr Tyß wußte, ahnte nicht, daß dasselbe Knäblein, dessen Geburt ihn so erfreute, ihm so bald Kummer und Not verursachen würde.

Schon in der frühsten Zeit zeigte der Knabe Peregrinus eine ganz besondere Gemütsart. Denn nachdem er einige Wochen hindurch Tag und Nacht ununterbrochen geschrieen, ohne daß irgendein körperliches Übel zu entdecken, wurde er plötzlich still und erstarrte zur regungslosen Unempfindlichkeit. Nicht des mindesten Eindrucks schien er fähig, nicht zum Lächeln, nicht zum Weinen verzog sich das keine Antlitz, das einer leblosen Puppe anzugehören schien. Die Mutter behauptete, daß sie sich versehen an dem alten Buchhalter, der schon seit zwanzig Jahren stumm und starr mit demselben leblosen Gesicht im Comptoir vor dem Hauptbuch säße, und vergoß viele heiße Tränen über das kleine Automat. Endlich geriet eine Frau Pate auf den glücklichen Gedanken, dem kleinen Peregrinus einen sehr bunten und, im Grunde genommen, häßlichen Harlekin mitzubringen. Des Kindes Augen belebten sich auf wunderbare Art, der Mund verzog sich zum sanften Lächeln, es griff nach der Puppe und drückte sie zärtlich an sich, als man sie ihm gab. Dann schaute der Knabe wieder das bunte Männlein an, mit solchen klugen beredten Blicken, daß es schien, als sei plötzlich Empfindung und Verstand in ihm erwacht, und zwar zu höherer Lebendigkeit, als es wohl bei Kindern des Alters gewöhnlich. »Der ist zu klug«, sprach die Frau Pate, »den werdet ihr nicht erhalten! – Betrachtet doch nur einmal seine Augen, der denkt schon viel mehr, als er soll!«

Dieser Ausspruch tröstete gar sehr den alten Herrn Tyß, der sich schon einigermaßen darin gefunden, daß er nach vielen Jahren vergeblicher Hoffnung einen Einfaltspinsel erzielt, doch bald kam er in neue Sorge.

Längst war nämlich die Zeit vorüber, in der die Kinder gewöhnlich zu sprechen beginnen, und noch hatte Peregrinus keinen Laut von sich gegeben. Man würde ihn für taubstumm gehalten haben, hätte er nicht manchmal den, der zu ihm sprach, mit solchem aufmerksamen Blick angeschaut, ja durch freudige, durch traurige Mienen seinen Anteil zu erkennen gegeben, daß gar nicht daran zu zweifeln, wie er nicht allein hörte, sondern auch alles verstand. – In nicht geringes Erstaunen geriet indessen die Mutter, als sie bestätigt fand, was ihr die Wärterin gesagt. – Zur Nachtzeit, wenn der Knabe im Bette lag und sich unbehorcht glaubte, sprach er für sich einzelne Wörter, ja ganze Redensarten und zwar so wenig Kauderwelsch, daß man schon eine lange Übung voraussetzen konnte. Der Himmel hat den Frauen einen ganz besondern sichern Takt verliehen, die menschliche Natur, wie sie sich im Aufkeimen bald auf diese, bald auf jene Weise entwickelt, richtig aufzufassen, weshalb sie auch, wenigstens für die ersten Jahre des Kindes, in der Regel bei weitem die besten Erzieherinnen sind. Diesem Takt gemäß war auch Frau Tyß weit entfernt, dem Knaben ihre Beobachtung merken zu lassen und ihn zum Sprechen zwingen zu wollen, vielmehr wußte sie es auf andere geschickte Weise dahin zu bringen, daß er von selbst das schöne Talent des Sprechens nicht mehr verborgen hielt, sondern leuchten ließ vor der Welt und zu aller Verwunderung zwar langsam, aber deutlich sich vernehmen ließ.

Doch zeigte er gegen das Sprechen stets einigen Widerwillen und hatte es am liebsten, wenn man ihn still für sich allein ließ. –

Auch dieser Sorge wegen des Mangels der Sprache war daher Herr Tyß überhoben, doch nur, um später in noch viel größere zu geraten. Als nämlich das Kind Peregrinus, zum Knaben herangewachsen, tüchtig lernen sollte, schien es, als ob ihm nur mit der größten Mühe etwas beizubringen. Wunderbar ging es mit dem Lesen und Schreiben wie mit dem Sprechen; erst wollte es durchaus nicht gelingen, und dann konnt' er es mit einem Mal ganz vortrefflich und über alle Erwartung. Später verließ indessen ein Hofmeister nach dem andern das Haus, nicht, weil der Knabe ihnen mißbehagte, sondern weil sie sich in seine Natur nicht finden konnten. Peregrinus war still, sittig, fleißig, und doch war an ein eigentliches systematisches Lernen, wie es die Hofmeister haben wollten, gar nicht zu denken, da er nur dafür Sinn hatte, nur dem sich mit ganzer Seele hingab, was gerade sein inneres Gemüt in Anspruch nahm, und alles übrige spurlos bei sich vorübergehen ließ. Das, was sein Gemüt ansprach, war nun aber alles Wunderbare, alles, was seine Fantasie erregte, in dem er dann lebte und webte. – So hatte er z.B. einst einen Aufriß der Stadt Peking mit allen Straßen, Häusern usw., der die ganze Wand seines Zimmers einnahm, zum Geschenk erhalten. Bei dem Anblick der märchenhaften Stadt, des wunderlichen Volks, das sich durch die Straßen zu drängen schien, fühlte Peregrinus sich wie durch einen Zauberschlag in eine andre Weit versetzt, in der er heimisch werden mußte. Mit heißer Begierde fiel er über alles her, was er über China, über die Chinesen, über Peking habhaft werden konnte, mühte sich, die chinesischen Laute, die er irgendwo auf gezeichnet fand, mit feiner singender Stimme der Beschreibung gemäß nachzusprechen, ja, er suchte mittels der Papierschere seinem Schlafröcklein, von dem schönsten Kalmank, möglichst einen chinesischen Zuschnitt zu geben, um der Sitte gemäß mit Entzücken in den Straßen von Peking umherwandeln zu können. Alles übrige konnte durchaus nicht seine Aufmerksamkeit reizen, zum großen Verdruß des Hofmeisters, der eben ihm die Geschichte des Bundes der Hansa beibringen wollte, wie es der alte Herr Tyß ausdrücklich gewünscht, der nun zu seinem Leidwesen erfahren mußte, daß Peregrinus nicht aus Peking fortzubringen, weshalb er denn Peking selbst fortbringen ließ aus dem Zimmer des Knaben. –

Für ein schlimmes Omen hatte es der alte Herr Tyß schon gehalten, daß als kleines Kind Peregrinus Rechenpfennige lieber hatte als Dukaten, dann aber gegen große Geldsäcke und Hauptbücher und Strazzen einen entschiedenen Abscheu bewies. Was aber am seltsamsten schien, war, daß er das Wort: Wechsel, nicht aussprechen hören konnte, ohne krampfhaft zu erbeben, indem er versicherte, es sei ihm dabei so, als kratze man mit der Spitze des Messers auf einer Glasscheibe hin und her. Zum Kaufmanne, das mußte Herr Tyß einsehen, war daher Peregrinus von Haus aus verdorben, und so gern er es gesehen, daß der Sohn in seine Fußstapfen getreten, so stand er doch gern ab von diesem Wunsch, in der Voraussetzung, daß Peregrinus sich einem bestimmten Fach widmen werde. Herr Tyß hatte den Grundsatz, daß der reichste Mann ein Geschäft und durch dasselbe einen bestimmten Standpunkt im Leben haben müsse; geschäftslose Leute waren ihm ein Greuel, und eben zu dieser Geschäftslosigkeit neigte sich Peregrinus, bei allen Kenntnissen, die er nach seiner eigenen Weise erwarb, und die chaotisch durcheinanderlagen, gänzlich hin. Das war nun des alten Tyß größte und drückendste Sorge. Peregrinus wollte von der wirklichen Welt nichts wissen, der Alte lebte nur in ihr, und nicht anders konnt' es geschehen, als daß sich daraus, je älter Peregrinus wurde, ein desto ärgerer Zwiespalt entspann zwischen Vater und Sohn, zu nicht geringem Leidwesen der Mutter, die dem Peregrinus, der sonst gutmütig, fromm, der beste Sohn, sein ihr freilich unverständliches Treiben in lauter Einbildungen und Träumen herzlich gönnte und nicht begreifen konnte, warum ihm der Vater durchaus ein bestimmtes Geschäft aufbürden wollte.

Auf den Rat bewährter Freunde schickte der Tyß den Sohn nach der Universität Jena, aber als er nach drei Jahren wiederkehrte, da rief der alte Herr voller Ärger und Grimm: »Hab' ich's nicht gedacht! Hans der Träumer ging hin, Hans der Träumer kehrt zurück!« – Herr Tyß hatte insofern ganz recht, als Peregrinus in seinem ganzen Wesen sich ganz und gar nicht verändert hatte, sondern völlig derselbe geblieben. – Doch gab Herr Tyß die Hoffnung noch nicht auf, den ausgearteten Peregrinus zur Vernunft zu bringen, indem er meinte, daß, würde er erst mit Gewalt hineingestoßen in das Geschäft, er vielleicht doch am Ende Gefallen daran finden und anderes Sinnes werden könne. – Er schickte ihn mit Aufträgen nach Hamburg, die eben nicht sonderliche Handelskenntnisse erforderten, und empfahl ihn überdies einem dortigen Freunde, der ihm in allem treulich beistehen sollte.

Peregrinus kam nach Hamburg, gab nicht allein den Empfehlungsbrief, sondern auch alle Papiere, die seine Aufträge betrafen, dem Handelsfreunde seines Vaters in die Hände und verschwand darauf, niemand wußte wohin.

Der Handelsfreund schrieb darauf an Herrn Tyß:

Ich habe Dero Geehrtes vom – durch Ihren Herrn Sohn richtig erhalten. Derselbe hat sich aber nicht weiter blicken lassen, sondern ist schnell von Hamburg abgereist, ohne Auftrag zu hinterlassen. – In Pfeffern geht hier wenig um, Baumwolle ist flau, in Kaffee nur nach Mittelsorte Frage, dagegen erhält sich der Melis angenehm, und auch im Indigo zeigt sich fortwährend divers gute Meinung. Ich habe die Ehre etc.

Dieser Brief hätte Herrn Tyß und seine Ehegattin nicht wenig in Bestürzung gesetzt, wäre nicht mit derselben Post ein Brief von dem verlornen Sohn selbst angelangt, in dem er sich mit den wehmütigsten Ausdrücken entschuldigte, daß es ihm ganz unmöglich gewesen, die erhaltenen Aufträge nach dem Wunsche des Vaters auszurichten, und daß er sich unwiderstehlich hingezogen gefühlt habe nach fernen Gegenden, aus denen er nach Jahresfrist glücklicher und froher in die Heimat zurückzukehren hoffe.

»Es ist gut«, sprach der alte Herr, »daß der Junge sich umsieht in der Welt, da werden sie ihn wohl herausrütteln aus seinen Träumereien.« Auf die von der Mutter geäußerte Besorgnis, daß es dem Sohne doch an Geld fehlen könne zur großen Reise, und daß daher sein Leichtsinn, nicht geschrieben zu haben, wohin er sich begebe, sehr zu tadeln, erwiderte aber der Alte lachend: »Fehlt es dem Jungen an Gelde, so wird er sich desto eher mit der wirklichen Welt befreunden, und hat er uns nicht geschrieben, wohin er reisen will, so weiß er doch, wo uns seine Briefe treffen.« –

Es ist unbekannt geblieben, wohin Peregrinus eigentlich seine Reise gerichtet; manche wollen behaupten, er sei in dem fernen Indien gewesen, andere meinen dagegen, er habe sich das nur eingebildet; so viel ist gewiß, daß er weit weg gewesen sein muß, denn nicht so, wie er den Eltern versprochen, nach Jahresfrist, sondern erst nach Verlauf voller dreier Jahre kehrte Peregrinus zurück nach Frankfurt und zwar zu Fuß, in ziemlich ärmlicher Gestalt. Er fand das elterliche Haus fest verschlossen, und niemand rührte sich darin, er mochte klingeln und klopfen, so viel er wollte.

Da kam endlich der Nachbar von der Börse, den Peregrinus augenblicklich fragte, ob Herr Tyß vielleicht verreiset.

Der Nachbar prallte ganz erschrocken zurück und rief: »Herr Peregrinus Tyß! – sind Sie es? kommen Sie endlich? – wissen Sie denn nicht?« –

Genug, Peregrinus erfuhr, daß während seiner Abwesenheit beide Eltern hintereinander gestorben, daß die Gerichte den Nachlaß in Beschlag genommen und ihn, dessen Aufenthalt gänzlich unbekannt gewesen, öffentlich aufgefordert, nach Frankfurt zurückzukehren und die Erbschaft des Vaters in Empfang zu nehmen.

Sprachlos blieb Peregrinus vor dem Nachbar stehen, zum erstenmal durchschnitt der Schmerz des Lebens seine Brust, zertrümmert sah er die schöne glänzende Welt, in der er sonst lustig gehauset.

Der Nachbar gewahrte wohl, wie Peregrinus gänzlich unfähig, auch nur das Kleinste, was jetzt nötig, zu beginnen. Er nahm ihn daher in sein Haus und besorgte selbst in möglicher Schnelle alles, so daß noch denselben Abend Peregrinus sich in dem elterlichen Hause befand. Ganz erschöpft, ganz vernichtet von einer Trostlosigkeit, die er noch nicht gekannt, sank er in den großen Lehnstuhl des Vaters, der noch an derselben Stelle stand, wo er sonst gestanden; da sprach eine Stimme: »Es ist nur gut, daß Sie wieder da sind, lieber Herr Peregrinus. – Ach, wären Sie nur früher gekommen!«

Peregrinus schaute auf und gewahrte dicht vor sich die Alte, die sein Vater vorzüglich deshalb, weil sie wegen ihrer furchtbaren Häßlichkeit schwer einen Dienst finden konnte, in seiner frühen Kindheit als Wärterin angenommen, und die das Haus nicht wieder verlassen hatte. Lange starrte Peregrinus das Weib an, endlich begann er, seltsam lächelnd: »Bist du es, Aline? – Nicht wahr, die Eltern leben noch?« Damit stand er auf, ging durch alle Zimmer, betrachtete jeden Stuhl, jeden Tisch, jedes Bild usw. Dann sprach er ruhig: »Ja, es ist alles noch so, wie ich es verlassen, und so soll es auch bleiben!« Von diesem Augenblick begann Peregrinus das seltsame Leben, wie es gleich anfangs angedeutet. Zurückgezogen von aller Gesellschaft, lebte er mit seiner alten Aufwärterin in dem großen geräumigen Hause, in tiefster Einsamkeit, erst ganz allein, bis er später ein paar Zimmer einem alten Mann, der des Vaters Freund gewesen, mietweise abtrat. Dieser Mann schien ebenso menschenscheu wie Peregrinus. Grund genug, warum sich beide, Peregrinus und der Alte, sehr gut vertrugen, da sie sich niemals sahen.

Es gab nur vier Familienfeste, die Peregrinus sehr feierlich beging, und das waren die beiden Geburtstage des Vaters und der Mutter, der erste Osterfeiertag und sein eignes Tauffest. An diesen Tagen mußte Aline einen Tisch für so viele Personen, als der Vater sonst eingeladen, und dieselbe Schüsseln, die gewöhnlich aufgetragen worden, bereiten, sowie denselben Wein aufsetzen lassen, wie ihn der Vater gegeben. Er versteht sich, daß dasselbe Silber, dieselben Teller, dieselben Gläser, wie alles damals gebraucht worden und wie es sich noch unversehrt im Nachlasse befand, auch jetzt nach der so viele Jahre hindurch üblichen Weise gebraucht werden mußte. Peregrinus hielt strenge darauf. War die Tafel fertig, so setzte sich Peregrinus ganz allein hinan, aß und trank nur wenig, horchte auf die Gespräche der Eltern, der eingebildeten Gäste und antwortete nur bescheiden auf diese, jene Fragen, die jemand aus der Gesellschaft an ihn richtete. Hatte die Mutter den Stuhl gerückt, so stand er mit den übrigen auf und empfahl sich jedem auf die höflichste Weise. – Er ging dann in ein abgelegenes Zimmer und überließ seiner Aline die Verteilung der vielen nicht angerührten Schüsseln und des Weins an Hausarme, welches Gebot des Herrn die treue Seele gar gewissenhaft auszuführen pflegte. Die Feier der Geburtstage des Vaters und der Mutter begann Peregrinus schon am frühen Morgen damit, daß er, wie es sonst zu seiner Knabenzeit geschehen, einen schönen Blumenkranz in das Zimmer trug, wo die Eltern zu frühstücken pflegten, und auswendig gelernte Verse hersagte. – An seinem eignen Tauffeste konnte er sich natürlicherweise nicht an die Tafel setzen, da er nicht längst geboren, Aline mußte daher alles allein besorgen, d.h. die Gäste zum Trinken nötigen, überhaupt, wie man zu sagen pflegt, den Honneurs der Tafel machen; sonst geschah alles wie bei den übrigen Festen. – Außer denselben gab es aber noch für Peregrinus einen besondern Freudentag oder vielmehr Freudenabend im Jahre, und das war die Weihnachtsbescherung, die mehr als jede andere Lust sein junges Gemüt in süßem frommen Entzücken aufgeregt hatte.

Selbst kaufte er sorgsam bunte Weihnachtslichter, Spielsachen, Naschwerk ganz in dem Sinn ein, wie es die Eltern ihm in seinen Knabenjahren beschert hatten, und dann ging die Bescherung vor sich, wie es der geneigte Leser bereits erfahren. – »Sehr unlieb«, sprach Peregrinus, nachdem er noch einige Zeit gespielt, »sehr unlieb ist es mir doch, daß die Hirsch- und die wilde Schweinsjagd abhanden gekommen. Wo sie nur geblieben sein mag! – Ach! – sieh da!« Er gewahrte in dem Augenblick eine noch ungeöffnete Schachtel, nach welcher er schnell griff, die vermißte Jagd darin vermutend; als er sie indessen öffnete, fand er sie leer und fuhr zurück, als durchbebe ihn ein jäher Schreck. –

»Seltsam«, sprach er dann leise vor sich hin, »seltsam! was ist es mit dieser Schachtel? war es mir doch, als spränge mir daraus etwas Bedrohliches entgegen, das mit dem Blick zu erfassen, mein Auge zu stumpf war!« Aline versicherte auf Befragen, daß sie die Schachtel unter den Spielsachen gefunden, indessen alle Mühe vergeblich angewandt hätte, sie zu öffnen; geglaubt habe sie daher, daß darin etwas Besonderes enthalten und der Deckel nur der kunstverständigen Hand des Herrn weichen werde. »Seltsam«, wiederholte Peregrinus, »sehr seltsam! – Und auf diese Jagd hatte ich mich ganz besonders gefreut; ich hoffe nicht, daß das etwas Böses bedeuten dürfte! – Doch wer wird am Weihnachtsabende solchen Grillen nachhängen, die doch eigentlich gar keinen Grund haben! – Aline, bringe Sie den Korb!« – Aline brachte alsbald einen großen weißen Henkelkorb herbei, in den Peregrinus mit vieler Sorglichkeit die Spielsachen, das Zuckerwerk, die Lichter einpackte, dann den Korb unter den Arm, den großen Weihnachtsbaum aber auf die Schulter nahm und so seinen Weg antrat. –

Herr Peregrinus Tyß hatte die löbliche, gemütliche Gewohnheit, mit seiner ganzen Bescherung, wie er sie sich selbst bereitet hatte, um sich ein paar Stunden hinüberzuträumen in die schöne vergnügliche Knabenzeit, hineinzufallen in irgendeine bedürftige Familie, von der ihm bekannt war, daß muntre Kinder vorhanden, wie der Heilige Christ selbst mit blanken, bunten Gaben. Wenn dann die Kinder in der hellsten, lebendigsten Freude, schlich er leise davon und lief oft die halbe Nacht über durch die Straßen, weil er sich vor tiefer, die Brust beengender Rührung gar nicht zu lassen wußte und sein eignes Haus ihm vorkam wie ein düstres Grabmal, in dem er selbst mit allen seinen Freuden begraben. Diesmal war die Bescherung den Kindern eines armen Buchbinders bestimmt, namens Lämmerhirt, der, ein geschickter fleißiger Mann, für Herrn Peregrinus seit einiger Zeit arbeitete, und dessen drei muntre Knaben von fünf bis neun Jahren Herr Peregrinus kannte.

Der Buchbinder Lämmerhirt wohnte in dem höchsten Stock eines engen Hauses in der Kalbacher Gasse, und pfiff und tobte nun der Wintersturm, regnete und schneite es wild durcheinander, so kann man denken, daß Herr Peregrinus nicht ohne große Beschwerde zu seinem Ziel gelangte. Aus Lämmerhirts Fenstern blinkten ein paar ärmliche Lichterchen herab, mühsam erkletterte Peregrinus die steile Treppe. »Aufgemacht«, rief er, indem er an die Stubentüre pochte, »aufgemacht, aufgemacht, der Heilige Christ schickt frommen Kindern seine Gaben!« Der Buchbinder öffnete ganz erschrocken und erkannte den ganz eingeschneiten Peregrinus erst, nachdem er ihn lange genug betrachtet.

»Hochgeehrtester Herr Tyß«, rief Lämmerhirt voll Erstaunen, »hochgeehrtester Herr Tyß, wie komm' ich um des Herrn willen am heiligen Christabend zu der besondern Ehre –« Herr Peregrinus ließ ihn aber gar nicht ausreden, sondern bemächtigte sich, laut rufend: »Kinder – Kinder! aufgepaßt, der Heilige Christ schickt seine Gaben!« des großen Klapptisches, der in der Mitte des Stübchens befindlich, und begann sofort die wohlverdeckten Weihnachtsgaben aus dem Korbe zu holen. Den ganz nassen tropfenden Weihnachtsbaum hatte er freilich vor der Türe stehen lassen müssen. Der Buchbinder konnte noch immer nicht begreifen, was das werden sollte; die Frau sah es besser ein, denn sie lachte den Peregrinus an mit Tränen in den Augen, aber die Knaben standen von ferne und verschlangen schweigend mit den Augen jede Gabe, wie sie aus der Hülle hervorkam, und konnten sich oft eines lauten Ausrufs der Freude und der Verwundrung nicht erwehren! – Als Peregrinus nun endlich die Gaben nach dem Alter jedes Kindes geschickt getrennt und geordnet, alle Lichter angezündet hatte, als er rief: »Heran – heran, ihr Kinder! – das sind die Gaben, die der Heilige Christ euch geschickt!« da jauchzten sie, die den Gedanken, daß das alles ihnen gehören solle, noch gar nicht gefaßt hatten, laut auf und sprangen und jubelten, während die Eltern Anstalten machten, sich bei dem Wohltäter zu bedanken.

Der Dank der Eltern und auch der Kinder, das war es nun eben, was Herr Peregrinus jedesmal zu vermeiden suchte, er wollte sich daher wie gewöhnlich ganz still davonmachen. Schon war er an der Türe, als diese plötzlich aufging und in dem hellen Schimmer der Weihnachtslichter ein junges, glänzend gekleidetes Frauenzimmer vor ihm stand.