Melancholie - Jon Fosse - E-Book

Melancholie E-Book

Jon Fosse

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Beschreibung

In Melancholie I-II beschwört Jon Fosse das Leben des norwegischen Malers Lars Hertervig herauf, der leuchtende Landschaften malte, an psychischen Störungen litt und 1902 in Armut starb. Fosse imaginiert die Ereignisse eines Tages, die bei Hertevig zum Zusammenbruch führen. Düsseldorf, Mitte des 19. Jahrhunderts. Lars Hertervig studiert als Schüler von Hans Gude an der Kunstakademie. Er ist verrückt nach Helene Winckelmann, der Tochter seiner Zimmerwirtin. Aber das Mädchen ist gerade fünfzehn Jahre alt, Hertervig darf sie nicht lieben. Heimgesucht von Halluzinationen und ohne festen Wohnsitz pendelt er zwischen einem Café, in dem er den Spott seiner kultivierteren Klassenkameraden erträgt, und der Wohnung der Winckelmanns, die er verzweifelt zu betreten versucht - ein Schwebezustand, der ihn unaufhaltsam in den Wahnsinn führt. Schließlich wird er in seine Heimat abgeschoben. Die Diagnose der Ärzte: Melancholie.  «Jon Fosse ist der Beckett des 21. Jahrhunderts.» Le Monde «Es gab Henrik Ibsen, dann kam nichts - jetzt gibt es Jon Fosse.» Die Woche

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Jon Fosse

Melancholie

Roman

 

 

Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel

 

Über dieses Buch

Düsseldorf, Mitte des 19. Jahrhunderts. Der norwegische Maler Lars Hertevig ist verrückt nach Helene, der Tochter seiner Zimmerwirtin. Aber das Mädchen ist gerade fünfzehn Jahre alt, Lars darf sie nicht lieben. Er verliert darüber den Verstand und wird in seine Heimat abgeschoben. Die Diagnose der Ärzte: Melancholie. In der Irrenanstalt verweigert man ihm den Pinsel, Stifte und Farben, so bleibt dem besessenen Maler nur die Flucht.

 

«Es gab Henrik Ibsen, dann kam nichts – jetzt gibt es Jon Fosse.» (Die Woche, Hamburg)

Vita

Jon Fosse, 1959 in der norwegischen Küstenstadt Haugesund geboren, gilt als einer der wichtigsten europäischen Schriftsteller unserer Zeit. International bekannt wurde er zunächst durch seine mehr als dreißig Theaterstücke, die weltweit aufgeführt werden und ihm zahlreiche Preise einbrachten. Für seinen Roman «Trilogie» bekam er den Literaturpreis des Nordischen Rates verliehen. Auch die Bände seines Werks «Heptalogie» wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und waren u.a. für den Booker International Prize nominiert. Seit 2022 ist Fosse Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. 2023 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

 

Hinrich Schmidt-Henkel, geboren 1959, lebt in Berlin. Seit 1995 ist er Jon Fosses deutsche Stimme. Er übersetzt unter anderem auch Jean Echenoz, Édouard Louis, Tomas Espedal und Tarjei Vesaas. Ausgezeichnet wurde er mit dem Jane Scatcherd-Preis, dem Paul-Celan-Preis des Deutschen Literaturfonds und dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (zusammen mit Frank Heibert).

Impressum

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel «Melancholia I, II» bei Det Norske Samlaget, 1995/1996, Oslo.

Der Rowohlt Verlag dankt der staatlichen norwegischen Stiftung NORLA für die Förderung der Übersetzung.

Der Übersetzer dankt dem Deutschen Übersetzerfonds e.V. für ein Arbeitsstipendium.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2013

Copyright © 2001 by Kindler Verlag GmbH, Berlin

«Melancholia I, II» © Det Norske Samlaget 1995/1996

Redaktion Tamara Trauntner

Covergestaltung any.way, Cathrin Günther

Coverabbildung Umschlagabbildung: ©Stefan Wagner/J. Lathion, Nasjonalgalleriet: Lars Hertervig «Island Borgoya, 1867»

ISBN 978-3-644-31061-2

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Tor Ulven zum Gedächtnis

Melancholie I

Düsseldorf, Nachmittag, Spätherbst 1853: Ich liege auf dem Bett in meinem lila Samtanzug, meinem schönen Anzug, und ich will Hans Gude nicht begegnen. Ich will Hans Gude nicht sagen hören, dass er mein Bild nicht mag. Ich will einfach im Bett bleiben. Heute kann ich Hans Gude nicht ertragen. Denn was, wenn Hans Gude mein Bild nicht mag und es peinlich schlecht findet, wenn er findet, dass ich eben nicht malen kann, was, wenn Hans Gude sich mit seinen schmalen Fingern durch den Bart streicht und mich aus seinen schmalen Augen scharf ansieht und sagt, dass ich nicht malen kann, dass ich nichts verloren habe an der Düsseldorfer Kunstakademie und auch an keiner anderen, falls man ihn fragen sollte, was, wenn Hans Gude sagt, dass ich nie Kunstmaler werden kann? Ich darf nicht zulassen, dass Hans Gude das zu mir sagt. Ich muss einfach im Bett bleiben, denn heute kommt Hans Gude ins Atelier, auf den Dachboden, wo wir in Reih und Glied dastehen und malen, dann geht er von Bild zu Bild und sagt, was er von jedem einzelnen hält, dann sieht er auch mein Bild an und sagt etwas dazu. Ich will Hans Gude nicht sehen. Denn ich kann malen. Und Gude kann malen. Und Tidemand kann malen. Ich kann malen. Keiner kann so malen wie ich, nur Gude. Und außerdem Tidemand. Und heute wird Gude mein Bild ansehen, aber dann werde ich nicht da sein, dann liege ich auf meinem Bett und schaue in die Gegend, zum Fenster hin, ich will nur einfach auf dem Bett liegen in meinem lila Anzug, dem schönen, schönen Anzug, will nur daliegen und auf die Geräusche von der Straße lauschen. Ich will nicht ins Atelier. Will einfach im Bett liegen. Will Hans Gude nicht sehen. Ich liege auf dem Bett, die Beine übereinander, liege angezogen auf dem Bett in meinem lila Samtanzug. Ich schaue in die Luft. Heute gehe ich nicht ins Atelier. Und in einem anderen Zimmer hier in der Wohnung ist meine liebe Helene, vielleicht in ihrem Schlafzimmer, vielleicht in der Stube. Meine liebe Helene ist auch in dieser Wohnung. Ich habe meine Koffer durch den Flur geschleppt und Frau Winckelmann hat mir das Zimmer gezeigt und gesagt, dass ich hier wohnen werde. Und sie hat gefragt, ob mir das Zimmer gefällt, und ich habe genickt, denn es war wirklich sehr, sehr schön, wohl nie zuvor hatte ich in einem so schönen Zimmer gewohnt. Und dann stand Helene da. Stand da in ihrem weißen Kleid. Mit ihrem hellen Haar, lockig, obwohl es straff hochgesteckt war, stand Helene da, stand da mit ihrem kleinen Mund über ihrem feinen Kinn. Helene stand da mit ihren großen Augen. Stand da und hat mich aus ihren großen Augen angestrahlt. Meine liebe Helene. Ich liege auf dem Bett in meinem Zimmer und irgendwo in dieser Wohnung geht Helene hin und her mit ihren schönen strahlenden Augen. Ich liege auf dem Bett, lausche, kann ich vielleicht ihre Schritte hören? Oder ist Helene vielleicht nicht in der Wohnung? Und dein Onkel, Helene, der Teufel. Helene, kannst du mich hören? Herr Winckelmann der Teufel. Ich lag nur einfach da auf meinem Bett in meinem lila Samtanzug und da klopfte es an meine Tür, ich lag auf dem Bett in meinem lila Anzug und kam einfach nicht hoch und da ging die Tür auf und in der Tür stand Herr Winckelmann, sein schwarzer Bart, die schwarzen Augen, der dicke Bauch stramm unter der Weste. Und Herr Winckelmann sah mich nur einfach an und sagte kein Wort. Ich rutschte vom Bett, stellte mich hin, ging los. Ging auf Herrn Winckelmann zu, streckte ihm die Hand hin, aber er nahm meine Hand nicht. Ich stand da und streckte Herrn Winckelmann meine Hand hin, aber er nahm sie nicht. Ich schaute zu Boden. Und Herr Winckelmann sagte, dass er Frau Winckelmanns Bruder ist, Herr Winckelmann. Und er sah mich aus seinen schwarzen Augen an und dann drehte er sich einfach um und ging und machte die Tür hinter sich zu. Dein Onkel, Helene. Ich liege auf dem Bett in meinem lila Samtanzug und lausche, kann ich dich hören? deine Schritte? deinen Atem? kann ich deinen Atem hören? Ich liege in meinem Zimmer auf dem Bett, angezogen, die Beine verschränkt, und ich lausche, kann ich deine Schritte hören? bist du hier in der Wohnung? Und auf dem Nachttisch liegt meine Pfeife. Wo bist du, Helene? Ich nehme die Pfeife vom Nachttisch. Ich stopfe die Pfeife. Ich liege auf dem Bett in meinem Anzug, meinem lila Samtanzug, und ziehe an meiner Pfeife. Heute wird Hans Gude das Bild ansehen, das ich gerade male, aber ich traue mich nicht anzuhören, was er darüber sagt, lieber liege ich auf dem Bett und lausche nach dir, Helene. Ich will nicht hinaus. Denn jetzt bin ich Maler. Jetzt bin ich der Maler Lars Hertervig, Student in Düsseldorf, Schüler des berühmten Hans Gude. Ich habe ein Zimmer gemietet in der Jägerhofstraße bei den Winckelmanns. Ich bin kein schlechter Kerl. Ich bin der Junge aus Stavanger, ja, der Junge aus Stavanger in Düsseldorf! wo er zum Maler ausgebildet wird. Und feine Kleidung habe ich jetzt, einen lila Samtanzug, den habe ich mir gekauft, jetzt bin ich Maler, ich, ja ich, der Junge, der Straßenjunge, der Quäkersohn, das Armeleutekind, der Malergesell, ich, jetzt haben sie mich nach Deutschland geschickt, an die Kunstakademie in Düsseldorf, Hans Gabriel Buchholdt Sundt höchstselbst hat mich nach Deutschland geschickt, an die Kunstakademie in Düsseldorf, damit ich, Lars Hertervig, ein echter Maler werde, ein Landschaftsmaler. Jetzt bin ich Student der Malkunst und Hans Gude selbst ist mein Lehrer. Und ich kann wirklich malen. Daneben kann ich vielleicht nicht so viel, aber malen, das kann ich. Ich kann malen, aber sonst kann das fast keiner von den anderen Studenten. Und Gude kann malen. Und heute wird Hans Gude mein Bild ansehen und wird sagen, ob es ihm gefällt oder nicht gefällt, was gut ist und was schlecht an meinem Bild, das wird er sagen. Und um mich herum im Atelier stehen dann die anderen Maler, die nicht malen können, und sie sehen sich an und sie flüstern und nicken. Sie hören auch, was Gude sagt. Erst steht Gude nur da und murmelt und sagt hm und hmhm und dann schaut er mich aus seinen schmalen Augen an und sagt, dass ich nicht malen kann und zurückmuss, woher ich gekommen bin, und dass es keinen Grund gibt, warum ich weiterstudieren sollte, denn ich kann einfach nicht malen, das wird Hans Gude wahrscheinlich sagen. Ich kann doch kein Landschaftsmaler werden. Hans Gude. Heute wird Hans Gude mein Bild ansehen. Aber ich traue mich nicht anzuhören, was Hans Gude sagt, denn wenn Hans Gude, der wirklich malen kann, sagt, dass ich nicht malen kann, dann kann ich wirklich nicht malen. Dann muss ich nach Hause zurück und bin wieder Malergesell und mehr nicht. Und ich will doch so gern die schönsten Bilder malen und niemand kann malen wie ich. Denn ich kann malen. Aber die anderen Studenten, die können es nicht. Sie stehen nur da, sie grinsen und nicken einander zu und sie lachen. Die können nicht malen. Ich liege auf dem Bett und ziehe an meiner Pfeife. Und jetzt Klaviermusik. Ich höre Klaviermusik. Ich höre Klaviermusik aus der Stube der großen Wohnung, in der ich ein Zimmer gemietet habe, ich liege auf dem Bett in meinem lila Samtanzug, dem schönen, schönen Samtanzug, ich liege da, die Pfeife im Mund, Lars Hertervig, der Maler, liegt hier auf dem Bett, kein geringer Mann, und wie ich hier liege, höre ich Klaviermusik. Klare und schöne Musik, ebenmäßig schwingend. Ich liege auf dem Bett und höre meine liebe Helene auf dem Klavier. Denn es muss meine liebe Helene sein, die da Klavier spielt. Wunderschöne Klaviermusik. Ich bin kein geringer Mann und jetzt spielt Helene Klavier. Und zwar spielt meine liebe Helene für mich. Es ist nämlich so, dass Helene Winckelmann und der Maler aus Hattarvåg einander lieben. Das haben sie einander gesagt, ja, sie haben gesagt, dass sie einander lieben, wir lieben einander, haben sie gesagt. Und sie, Helene Winckelmann, hat ihm ihr Haar gezeigt. Helene Winckelmann mit ihren strahlend blauen Augen, mit ihrem langen Haar, das über ihre Schultern wallt, wenn es frei fällt und nicht mehr hochgesteckt ist wie sonst meistens, aber er! aber Lars aus Hattarvåg! er hat ihr Haar gelöst gesehen! Er hat gesehen, wie ihre Augen strahlen. Er hat ihr Haar gesehen, wie es frei über ihre Schultern fiel. Denn für ihn hat Helene Winckelmann ihr Haar gelöst, sie hat ihm ihr frei fallendes Haar gezeigt. Helene Winckelmann hat in seinem Zimmer gestanden und für ihn ihr Haar gelöst. Helene Winckelmann stand da mit dem Rücken zu ihm, vorm Fenster, führte die Hände zu ihrem Haar hinauf und dann löste sie ihr Haar. Und das Haar wallte ihren Rücken herunter. Und er, Lars aus Hattarvåg, Lars aus der Bucht, vor der die Inseln sich drängen, Inseln wie Hüte – Hattarvåg, die Bucht der Hüte –, darum heißt er Hattarvåg, darum heißt er Hattarvåg oder Hertervig, er, Lars aus der Bucht, vor der die Inseln aussehen wie Hüte, von einer kleinen Insel weit oben im Norden der Welt, im Lande Norwegen, er, von einer kleinen Insel namens Borgøya, er, Lars Hertervig, saß auf seinem Stuhl in dem Zimmer, das er gemietet hat als Student an der Kunstakademie von Düsseldorf und sah Helene Winckelmann am Fenster mit ihrem Haar weit den ganzen Rücken herunter. Und dann wandte Helene Winckelmann sich langsam zu ihm um. Und dann stand Helene Winckelmann da und sah ihn an, ihr Haar fiel frei vom Mittelscheitel über ihr kleines rundes Gesicht mit den blauen leuchtenden Augen, mit dem kleinen schmalen Mund, dem feinen Kinn. Das helle wallende Haar. Und ein Lächeln auf den Lippen. Und dann ihre Augen, die zu ihm emporsahen. Von diesen Augen ging das stärkste Licht aus, das er je gesehen hatte. Das Licht ihrer Augen. Noch nie hatte er so ein Licht gesehen. Und dann stand er auf, Lars aus Hattarvåg. Und Lars aus Hattarvåg stand da, in seinem lila Anzug, aus Samt war der gemacht, er, Lars aus Hattarvåg, mit gerade herabhängenden Armen, und sah auf das Haar und die Augen und den Mund dort vor sich, stand nur da, und dann war es, als würde das Licht aus ihren Augen ihn umhüllen wie Wärme! nein, nicht wie Wärme, wie Licht! ja, das Licht ihrer Augen hüllte ihn ein wie Licht! und in diesem Licht wurde er ein anderer, als er gewesen war, war nicht mehr Lars aus Hattarvåg, er wurde ein anderer, all seine Unrast, all seine Angst, alles, was ihm fehlte und in ihm Unrast schuf, alles, was er ersehnte, wurde von dem Licht aus Helene Winckelmanns Augen wie erfüllt und er wurde ruhig, wurde erfüllt, stand da, seine Arme hingen herab, und dann, ohne es zu wollen, ohne sich zu bedenken, ohne weiteres, schritt er einfach zu Helene Winckelmann hin und ging völlig in ihrem Licht auf, dem Licht um sie herum, und ihm war so ruhig zumute, so unbegreiflich ruhig war ihm zumute, und er legte seine Arme um sie und drückte sie an sich. Er, Lars aus Hattarvåg, legt die Arme um Helene Winckelmann und ist so ruhig, erfüllt von etwas, das er nicht kennt. Lars Hertervig ist bei Helene Winckelmann. Er ist nicht mehr er selbst, er ist bei ihr. Er ist in etwas, das er nicht kennt. Er ist bei ihr. Er hält sie umarmt und dann umarmt auch sie ihn. Und er schmiegt das Gesicht in ihr Haar, an ihre Schulter dort unter sich. Er steht in etwas, worin er noch nie gestanden hat, etwas, das er nicht kennt, der Landschaftsmaler Lars Hertervig, er weiß nicht, was das ist, aber dann auf einmal erkennt er es und weiß es, da auf einmal weiß er, dass er in etwas steht, das seine Bilder suchen, etwas von seinen Bildern, wenn er malt, so gut er kann, darin steht er jetzt, das weiß er, denn er war schon nahe an dem, worin er jetzt steht, aber darin war er noch nie gewesen, so wie jetzt, wo er, der Maler Lars Hertervig, dasteht und in Helene Winckelmanns Haar atmet. Er bleibt stehen in ihrem Licht, in etwas, das ihn erfüllt. Als er danach auf dem Bett liegt, kann er sich nicht entsinnen, wie lange er so gestanden hat mit den Armen um sie herum, um seine liebe liebe Helene, aber es war wohl lang, vielleicht fast eine Stunde stand er da, und jetzt liegt er auf dem Bett in seinem lila Samtanzug und hört wunderschöne Klaviermusik. Und spielen tut meine liebe Helene. Und ich, Lars aus Hattarvåg, habe zugesehen, wie Helene ihr schönes Haar gelöst hat dort vor dem Fenster in meinem Zimmer, und habe gesehen, wie das helle Haar ihr über die Schultern wallte. Und ich habe das Licht aus ihren Augen gesehen. Habe in ihrem Licht gestanden. Bin vom Stuhl aufgestanden und habe mich vor sie gestellt, stand in ihrem Licht und wurde ganz ruhig, lange stand ich in ihrem Licht, stand da mit den Armen um sie herum, das Gesicht an ihre Schulter geschmiegt, und atmete in ihr Haar, bis Helene flüsterte, jetzt muss sie gehen, denn bald kommt ihre Mutter zurück, so lange stand ich da und atmete in ihr Haar, und ich liege auf dem Bett in meinem lila Samtanzug und höre Klaviermusik aus der Stube, wo meine liebe Helene am Klavier sitzt und spielt. Und ich habe dein Haar gesehen, meine liebe Helene. Habe dich gesehen vorm Fenster, wie du dein Haar gelöst hast. Und bin vom Stuhl aufgestanden, zu dir gegangen und habe meine Arme um dich gelegt. Ich stand da und atmete in dein Haar. Und flüsterte dir ins Ohr jetzt lieben wir uns wohl? Und du hast mir ins Ohr geflüstert ja, ja, jetzt lieben wir uns. Wir standen da. Und dann ging eine Tür auf und wieder zu. Und wir ließen einander los. Wir standen da in dem Licht, das sich zusammenzog und verschwand. Dein Haar wurde anders. Dann hörten wir Schritte im Flur. Und du sagtest, jetzt ist deine Mutter nach Hause gekommen und du musst hier weg, schnell, aber erst musst du dein Haar in Ordnung bringen, sagtest du und lächeltest mich an. Denn wenn du nicht in der Stube bist, kommt deine Mutter hierher, zu diesem Zimmer, und klopft an. Du sagtest, du musst sofort gehen. Und ich habe gesehen, wie du zur Tür gegangen bist, in den Flur hinaus, und du hast die Tür hinter dir zugemacht und hast gerufen hallo Mutter, hier bin ich, Mutter, bist du schon zu Hause, so hast du gerufen. Ich bin zum Bett gegangen und habe mich hingelegt. Lag auf dem Bett und sah zum Fenster, vor dem du eben gestanden hattest. Sah dich vor mir, da standest du vorm Fenster. Standest da mit deinem Haar. Und dann klopfte es an der Tür. Ich kam nicht mal aus dem Bett, da war schon dein Onkel im Zimmer. Herr Winckelmann. Der schwarze Bart, die schwarzen Augen. Ich rutschte vom Bett. Er sagte seinen Namen, Herr Winckelmann. Ich streckte ihm die Hand hin, aber er nahm meine Hand nicht, drehte sich nur um, machte die Tür zu und ging. Ich liege auf dem Bett in meinem lila Samtanzug und ich höre wunderschöne Klaviermusik. Höre dich in der Stube Klavier spielen. Ich bin der junge norwegische Maler Lars Hertervig, eines der größten Talente der jungen norwegischen Kunst, das bin ich! denn ich habe großes Talent. Ich kann wirklich malen. Und ich traue mich nicht zu hören, was Gude über mein Bild sagt. Denn ich kann doch malen? Muss ich doch können? Vielleicht sogar besser als Gude, und sagt Gude dann deshalb, dass ich nicht malen kann? Gude wird zu mir sagen, dass ich nicht malen kann und darum zurückmuss nach Stavanger, dass ich nichts an der Kunstakademie verloren habe, weder an dieser hier noch an sonst einer, das wird er sagen, darum, wird er sagen, soll ich lieber Türen anstreichen als Bilder malen. Heute sieht Gude sich mein Bild an und sagt, was er davon hält, aber ich will es nicht hören. Denn mein Bild wird Gude sicher nicht gefallen. Ich weiß das. Ich will nicht wissen, was Gude von meinem Bild hält. Ich liege auf dem Bett und will nicht wissen, was Gude von meinem Bild hält, denn es geht mir gerade so gut, ich höre meine liebe Helene Klavier spielen und du spielst so schön. Wunderschöne Klaviermusik. Aus der Stube erklingt bis in mein Zimmer wunderschöne Klaviermusik. Ich ziehe an der Pfeife. Und höre, wie du aufhörst zu spielen, die letzten Töne lösen sich auf wie Rauch in Luft und Licht. Ich höre eine Tür aufgehen und höre Schritte im Flur. Vielleicht kommst du zu mir? Vielleicht kommst du zu mir, willst mir dein Haar zeigen? Vielleicht willst du dein Haar lösen und vorm Fenster stehen mit gelöstem Haar, vor mir, so unbegreiflich schön? Oder kommt dein Onkel wieder? Kommt dein Onkel, um mich rauszuwerfen? Wird er wieder dort in der Tür stehen mit seinem schwarzen Bart und seinen schwarzen Augen, wird dein Onkel wieder dort stehen und auf mich herabblicken? Klopft gleich dein Onkel an die Tür und schaut mich nur an und sagt kein einziges Wort und dann sagt dein Onkel, dass er Herr Winckelmann ist, nur das, sonst nichts? Und sagt er dann, dass ich fortmuss und nicht hier wohnen bleiben kann und rausmuss? Ich höre Schritte im Flur und sie sind ruhig und leicht. Und ich weiß, es sind deine Schritte, die da im Flur herankommen. Jetzt kommen deine Schritte den Flur entlang. Ich setze mich auf die Bettkante. Sitze da und schaue zur Tür. Höre deine Schritte und sie halten inne vor der Tür. Und dann höre ich es klopfen. Ich höre dich klopfen, denn du musst es sein. Es kann niemand sonst sein, oder, der da anklopft. Und ich muss herein sagen, muss sagen, dass du gern hereinkommen darfst.

Komm herein!, sage ich.

Und ich schaue zur Tür, sehe, wie sie aufgeht, langsam geht die Tür auf. Und ich weiß, dass du jetzt gleich hereinkommst. Jetzt kommst du. Und ich sehe dein Gesicht, dein kleines Gesicht, da stehst du ja und schaust zu mir herein und lächelst mich an! und dann machst du die Tür noch weiter auf und dein Haar so hell um dein Gesicht. Deine großen strahlenden Augen. Und etwas ist mit deinem Gesicht, mit deinen Augen. Ich sehe, wie du die Tür ganz weit aufmachst, da stehst du in der Tür in deinem weißen Kleid. Und dann schaust du plötzlich zu Boden. Schaust zu Boden, dann wieder auf, zu mir, zu mir auf der Bettkante. Ich sehe dich an, ich lächele. Du siehst mich nicht an, du siehst ins Leere und etwas ist mit deinem Gesicht, mit deinen Augen.

Komm doch herein, sage ich.

Und ich sehe dich nicken. Und dann machst du die Tür hinter dir zu. Und ich sehe dich vor der Tür stehen, wie schön du bist. Und du schaust zu Boden. Und ich sehe dich durchs Zimmer gehen, zum Stuhl. Und etwas ist in deinem Gesicht, in deinen Augen. Mit dir ist etwas. Du setzt dich auf den Stuhl. Und was ist in deinem Gesicht? In deinen Augen?

Hast du mich spielen gehört?, fragst du.

Ja, sage ich.

Jetzt sitzt du nur einfach da und schaust zu Boden.

Du hast so schön gespielt, sage ich.

Beethoven, sagst du.

Beethoven war das, aha, sage ich.

Und ich sehe dich an, du sitzt so hübsch auf dem Stuhl und schaust zu Boden. Und ich kann wohl nicht zugeben, dass ich noch nie Klaviermusik gehört habe, bevor ich in dieses Haus gekommen bin, schließlich gab es auf Borgøya kein Klavier und auch in ganz Stavanger keins, soviel ich weiß, doch, Hans Gabriel Buchholdt Sundt hatte wohl eines und Kielland hatte selbstverständlich auch ein Klavier, oder Pianoforte nennen sie es, glaube ich, vielleicht gab es auch in anderen Häusern Klaviere, aber ich hatte noch nie Klaviermusik gehört, bevor ich dich spielen gehört habe, aber das kann ich dir wohl nicht erzählen, wie ich hier auf der Bettkante sitze und zu Boden schaue, und jetzt will ich am liebsten sehen, wie du aufstehst und dann dastehst so geschmeidig, in deinem weißen Kleid mit sanft gerundeter Brust sollst du dastehen und dann sollst du dein Haar lösen. Und dein Haar soll dir die Schultern herabströmen. Du sollst dastehen und schräg zu Boden schauen und dann stehe ich auf, ich gehe zu dir und dann lege ich meine Arme um dich, drücke dich an mich, dann stehe ich da und halte dich ganz fest, drücke dich an mich, ich will nur dastehen und dich an mich drücken und in dein Haar atmen. Ich will nur dastehen. Dastehen und dich an mich drücken. Und dann legst du deine Arme um mich und dann stehen wir da. Wir werden einfach nur dastehen. Werden still dastehen, nahe beieinander stehen, ganz nahe beieinander dastehen.

Ich muss dir etwas sagen, sagst du.

Und wir schauen einander an und dann schauen wir beide zu Boden und jetzt musst du mir einfach sagen, was ist.

Mein Onkel, sagst du. Mein Onkel hat gesagt, du musst ausziehen.

Sagst du auch, ich muss ausziehen? Und warum soll ich ausziehen? Willst du nicht, dass ich hier wohnen bleibe? Warum willst du nicht, dass ich hier wohnen bleibe?

Dein Onkel?, frage ich und schaue dich an.

Er hat gesagt, du musst ausziehen, sagst du.

Ich habe nicht lange hier gewohnt. Ich bin eigentlich gerade erst eingezogen. Und jetzt soll ich wieder ausziehen. Und ich habe doch bezahlt, ich habe Geld, die Miete ist bezahlt.

Aber ich habe die Miete gezahlt, sage ich.

Das ist es nicht, sagst du. Mein Onkel hat zu meiner Mutter gesagt du musst raus, und Mutter hat gesagt wahrscheinlich ist das gut so. Ich weiß nicht warum, aber so ist es. Ich habe gedacht, am besten, ich erzähle es dir.

Ich muss ausziehen. Und Helene, die bleibt wohnen. Und ich kann Helene wahrscheinlich nie wieder sehen. Weil ich ausziehen muss. Dein Onkel hat gesagt, dass ich ausziehen muss, deine Mutter hat gesagt, sie ist einverstanden, darum muss ich einfach so ausziehen. Und wo soll ich jetzt wohnen? Soll ich im Atelier schlafen? Ich kann sogar im Freien schlafen, falls nötig, aber ich darf Helene nicht mehr sehen. Ich darf Helene nicht mehr sehen.

Darf ich dich dann noch sehen?, frage ich.

Und das hätte ich nicht tun sollen. Denn Helene kann mich wahrscheinlich nicht treffen, sie ist wahrscheinlich zu jung, um mich zu treffen. Sie ist ja erst fünfzehn, vielleicht sechzehn, ich weiß nicht mal, wie alt sie ist. Nichts weiß ich. Aber ich will Helene so gern wieder sehen. Und ich stehe auf, gehe zu Helene, die auf dem Stuhl sitzt. Ich stelle mich vor sie. Denn Helene will mich ja nicht mehr treffen, vielleicht ist sie es ja, die will, dass ich ausziehe, vielleicht sagt sie nur, dass es ihr Onkel ist, der das will, Herr Winckelmann, aber vielleicht ist es Helene, die will, dass ich ausziehe? Ich stehe da und schaue Helene an, sie sitzt da und schaut zu Boden. Vielleicht will sie, dass ich ausziehe? Ich muss Helene fragen, ob sie will, dass ich ausziehe.

Willst du, dass ich ausziehe?, frage ich.

Und Helene schüttelt den Kopf. Vielleicht sagt sie nur, dass sie nicht will, dass ich ausziehe? Sie kann wohl kaum etwas anderes sagen, aber sie hat doch auch gesagt, dass wir einander lieben, und jetzt will sie, dass ich ausziehe. Ich schaue sie an.

Du willst nicht, dass ich ausziehe?

Helene schüttelt den Kopf. Und vielleicht will Helene nicht, dass ich ausziehe? Vielleicht will ihr Onkel das? Aber er hat es ja nicht zu mir gesagt, ihre Mutter hat es auch nicht gesagt, dass ich ausziehen muss, nur Helene sagt das. Helene sagt, ihr Onkel sagt, dass ich ausziehen muss. Und Helene will, dass ich ausziehe und sie nie wieder sehen darf.

Warum will dein Onkel, dass ich ausziehe?

Ich schaue dich an, meine liebe Helene. Ich stehe vor dir, ich schaue dich an, du sitzt auf dem Stuhl und antwortest nicht, du sitzt nur einfach da und schaust zu Boden.

Hat dein Onkel das gestern Abend gesagt?, frage ich.

Und du sitzt da und schaust zu Boden und nickst leicht.

Habe ich etwas falsch gemacht?, frage ich.

Und du sitzt da und schaust zu Boden.

Aber wir lieben uns doch, nicht wahr?, frage ich. Oder? Wir lieben uns doch? Und du willst mich sehen, auch wenn ich nicht mehr hier wohne? Ich kann zu dir kommen, wir können uns auf der Straße treffen, überall.

Ich lege dir die Hand auf die Schulter. Und du sitzt nur da, du schaust zu Boden. Und ich stehe da vor meiner lieben Helene und ich habe meine Hand auf ihrer Schulter. Und ich sehe, wie deine Brust sich hebt und senkt. Ich sehe deine Brüste unter dem weißen Kleid. Und jetzt willst du, dass ich ausziehe, du willst, dass ich dich nie wieder sehe. Aber du bist doch mein Mädchen. Ich will deine Brüste sehen. Du kannst nicht einfach so sagen, dass ich ausziehen soll. Ich lasse die Hand deine Schulter herabgleiten, auf deine Brust. Ich stehe da und lege die Hand über deine runde Brust. Ich spüre, wie deine Brust sich hebt und senkt. Und ich darf deine Brust nicht so anfassen. Meine eine Hand liegt auf deiner Brust. Du hebst deine Hand, legst sie auf meinen Handrücken, nimmst meine Hand von deiner Brust fort.

Sicher darum, sagst du.

Ich stehe vor dir, meine Hand hängt an meiner Seite, du hältst meine Hand fest.

Du willst, dass ich ausziehe, sage ich.

Und ich sehe, dass du den Kopf schüttelst, und du lässt meine Hand los.

Helene!, sage ich.

Und ich weiß, das ist das erste Mal, dass ich deinen Namen zu dir sage, viele Male habe ich ihn für mich selbst gesagt, Helene, Helene, Helene, habe ich gesagt, aber nie zu dir und auch nie zu jemand anders. Und jetzt sage ich deinen Namen und darum muss ich deinen Namen einfach viele Male sagen.

Helene, Helene, sage ich.

Ja, Lars, sagst du.

Und du schaust mir in die Augen. Und dann lächelst du mich an. Ich lächele dich an.

Du und ich, sage ich.

Und ich hebe meine Hand und streichele dir mit leichten Fingern die Wange.

Du und ich, sagst du.

Und du schaust hoch, zu mir. Du lachst mich an.

Du und ich, sage ich.

Du und ich, sagst du.

Und dann lächeln wir einander an, ich nehme deine Hand und halte sie sanft in meiner.

Wir lieben einander, sage ich. Du und ich, wir lieben einander.

Du und ich, sagst du.

Und wir sehen einander in die Augen, wir lächeln einander an. Und ich lege dir den Arm um die Schultern, führe dich neben mir durch das Zimmer. Wir setzen uns auf die Bettkante.

Du musst mich treffen, sage ich.

Ja, sagst du.

Und warum will dein Onkel, dass ich ausziehe?, frage ich.

Und du antwortest nicht. Willst also doch du, dass ich ausziehe, und gar nicht dein Onkel? Aber du willst ja nicht, dass ich ausziehe.

Warum muss ich ausziehen?, frage ich.

Ich weiß nicht, sagst du.

Doch, das weißt du, sage ich.

Das darfst du nicht sagen!, sagst du.

Ich schaue zu Boden. Ich habe gesagt, dass du weißt, warum dein Onkel will, dass ich ausziehe, und du sagst, dass ich nicht sagen darf, dass du das weißt, böse sagst du, dass ich so etwas nicht sagen darf. Und dann darf ich das wohl nicht, wenn du das sagst. Ich muss einfach hier sein, hier sitzen, muss hier sitzen und hören, dass du böse wirst, weil ich dich frage, warum ich ausziehen soll, ich muss ausziehen, weil dein Onkel will, dass ich ausziehe, aber eigentlich willst ja du, du, Helene, dass ich ausziehe, und du sagst einfach, dein Onkel will das, dabei willst du es eigentlich selbst. Warum willst du, dass ich ausziehe? Warum? Ich muss dich fragen, warum du willst, dass ich ausziehe! Ich sehe schon, du willst, dass ich ausziehe, aber warum willst du das? Warum?

Warum willst du, dass ich ausziehe?, frage ich.

Mein Onkel hat das gesagt, sagst du.

Aber du willst es auch?

Ich habe nicht zu bestimmen.

Trotzdem, sage ich und fasse dich fester um die Schultern.

Nicht, sagst du.

Warum willst du, dass ich ausziehe?

Mein Onkel, sagst du.

Ich lasse die Hand von deiner Schulter herabgleiten, auf deine Brust.

Nein, sagst du.

Ich schiebe zwei Finger zwischen den Knöpfen deines Kleides durch. Ich greife deine Brustwarze fest.

Warum soll ich ausziehen?, frage ich.

Lass das sein, sagst du.

Sag es mir, sage ich.

Der Onkel, sagst du.

Und ich höre, dass du schneller atmest.

Der Onkel, der Onkel, sage ich. Er und du, liebt ihr euch auch? Fasst er dir auch an die Brust?

Nein, rede keinen Unsinn, lass los, sagst du.

Und ich lasse los. Ich stehe auf. Ich stehe da und schaue dich an, deine hellen Augen glänzen, deine Wangen sind gerötet.

Ich wollte es dir nur sagen, sagst du.

Und du stehst auf. Ich sehe dich vor mir stehen. Ich umarme dich, drücke dich an mich. Ich fasse dir an den Hintern, drücke die Hand auf deinen Hintern. Ich drücke dich an mich.

Dein Onkel, sage ich.

Rede keinen Unsinn, sagst du.

Ich ziehe dich an mich.

Lass mich los!

Ich lege dir den Mund an die Wange, presse meine feuchten Lippen auf deine Wange.

Lass das!, sagst du.

Und ich lasse dich los.

Ich muss gehen, sagst du.

Und ich schaue dich an, höre dich sagen, dass du gehen musst. Und jetzt gehst du zu deinem Onkel. Denn du hast ihn darum gebeten, dass er sagt, ich muss ausziehen. Du spielst nur mit mir. Ich weiß das, ich weiß, dass du deinen Onkel darum gebeten hast, mir zu sagen, dass ich ausziehen muss. Und warum willst du, dass ich ausziehe? Warum willst du mich von hier weg haben? Warum? Was habe ich dir getan? Ich stehe da und schaue dich an. Warum willst du, dass ich ausziehe? Willst du lieber mit deinem Onkel zusammen sein, willst du das? Willst du lieber deinem Onkel den dicken Bauch streicheln? Deinem Onkel in die schwarzen Augen schauen? Warum willst du, dass ich ausziehe? Und warum sagst du, dass du für mich Klavier spielst? Willst du deinem Onkel den schwarzen Bart streicheln? Willst du das? Willst du, dass dein Onkel dir an die Brust fasst, willst du das? Ist es das, was du willst? Und dann kann ich nicht mehr in der Wohnung bleiben, das geht ja nicht, nicht, wenn du mit deinem Onkel allein in der Wohnung sein willst. Und du musst jetzt gehen. Natürlich muss ich ausziehen. Ich muss weg. Ich will nicht hier sein, wenn du nicht willst, dass ich hier bin. Ich verschwinde. Ich will dir nicht zur Last fallen, nein. Ich verschwinde.

Warum hast du deinen Onkel gebeten, dass er mir sagt, ich muss ausziehen?, frage ich.

Mein Onkel hat das gesagt, nicht ich, sagst du.

Und schaust mich an mit großen, weit geöffneten Augen.

Nein, sage ich.

Und ich sehe dich an und ich sehe, wie dein weißes Kleid zu etwas Weißem wird, dein Kleid wird zu etwas Weißem, das sich bewegt, und dann bewegt das Weiße sich auf mich zu, Weiß kommt nah auf mich zu und dann ist auf einmal etwas Schwarzes mitten in all dem Weißen und dann sehe ich ein weißes und schwarzes Tuch vor mir und das Tuch bewegt sich auf mich zu und dann plötzlich von mir weg. Und dann zerteilt es sich. Und die Tücher bewegen sich auf mich zu und dann von mir weg. Die Tücher sind weiß und schwarz. Die Tücher bewegen sich auf mich zu.

Nein, nicht, sage ich.

Die weißen und schwarzen Tücher bewegen sich auf mich zu, dann von mir weg, auf mich zu, von mir weg.

Nein, lasst mich in Ruhe, sage ich.

Was hast du?, fragst du.

Und mitten aus den schwarzen und weißen Tüchern höre ich dich fragen, was ich habe, und deine Stimme bewegt sich mit den schwarzen und weißen Tüchern auf mich zu und von mir weg, auf mich zu und von mir weg. Was ist das bloß?

Siehst du das?, frage ich.

Was?

Die Tücher?

Nein, nichts.

Und die Tücher bewegen sich hoch zu meinem Gesicht, zu meinem Mund, die Tücher berühren meine Lippen.

Ich muss jetzt gehen, sagst du.

Und die Tücher versuchen, in meinen Mund zu dringen. Ich fasse mir an den Mund und will die Tücher herausziehen, ich muss doch die Tücher aus meinem Mund ziehen! die Tücher dürfen mich nicht ersticken! ich muss die Tücher aus meinem Mund ziehen, sofort! und ich fasse mir an den Mund, ziehe fest, aber die Tücher weichen zurück, ich fasse nach, aber sie verschwinden, gleiten mir aus der Hand, sie gleiten immer wieder weg, wenn ich nach ihnen fasse, sie verschwinden. Die Tücher packen mich.

Was hast du, Lars?

Die Tücher verschwinden. Nur die Tücher. Weg. Weiße Tücher weichen zurück, ich fasse nach ihnen, und dann habe ich sie fast, aber genau als ich sie packen will, verschwinden sie und dann sind keine Tücher mehr da.

Mach keine solchen Sachen, Lars!

Nachfassen, und dann sind die Tücher weg. Ich muss die Tücher zu fassen kriegen, sie kommen auf meinen Mund zu, die Tücher sind schwarz und weiß und sie kommen auf meinen Mund zu und jetzt muss ich die schwarzen und weißen Tücher aber packen, ich greife nach den Tüchern.

Was machst du da? Lass das! Ich kriege Angst! Du darfst das nicht!, sagst du.

Und die Tücher. Aber die Tücher sind immer wieder weg. Ich schaue die schwarzen Tücher an. Und sehe, dass sie ruhiger werden.

Siehst du nicht?, frage ich.

Was sehe ich?, fragst du.

Die schwarzen und weißen Tücher, sage ich.

Ich sehe nichts, sagst du.

Und ich sehe, wie die Tücher ruhiger werden, dann lösen die Tücher sich auf und die Tücher werden undeutlich und verschwinden wirklich.

Du hast nichts gesehen, sage ich.

Und ich sehe, dass du den Kopf schüttelst.

Und jetzt muss ich gehen, sagst du.

Kannst du nicht noch ein bisschen bleiben?, frage ich.

Nein, ich muss gehen.

Hast du etwas vor?

Du schüttelst den Kopf.

Willst du mit deinem Onkel sprechen?

Ich wollte dir nur erzählen, was er und Mutter gesagt haben, sagst du.

Und jetzt wollt ihr allein in der Wohnung sein, dein Onkel und du, wollt alles Mögliche miteinander tun, nur du und dein Onkel. Und ich soll aus dem Haus verschwinden. Ich soll ausziehen.

Wenn du willst, dass ich ausziehe, dann ja, sage ich.

Ich will das nicht.

Nein.

Mein Onkel will es und Mutter ist einverstanden, hat sie gesagt, sagst du.

Ich nicke. Und ich sehe die weißen und schwarzen Tücher, jetzt stehen sie vom Fenster ab, in das Zimmer hinein, und das sieht fast komisch aus, es ist zum Lachen, richtig komisch sind diese schwarzen und weißen Tücher.

Schau mal, die Tücher!, sage ich.

Und ich sehe, dass du den Kopf schüttelst.

Jetzt muss ich gehen, ich wollte dir nur sagen, sie wollen, dass du ausziehst, sagst du.

Ich nicke. Ich sehe die schwarzen und weißen Tücher vom Fenster abstehen und dann schaue ich zu dir, du stehst im Zimmer und die schwarzen und weißen Tücher reichen fast bis zu dir hin, fast berühren die Tücher dein weißes und schwarzes Kleid.

Siehst du diese schwarzen und weißen Tücher nicht?, frage ich. Sie berühren dich doch fast.

Und du schüttelst den Kopf.

Schau zum Fenster, sie kommen vom Fenster her, schau doch!

Und du schaust zum Fenster und ich sehe, wie die schwarzen und weißen Tücher sich auf dich zubewegen, sie berühren dich beinahe und dann bewegen die Tücher sich von dir weg.

Siehst du nicht!

Die Tücher ziehen sich nach und nach zum Fenster zurück, langsam, Stück für Stück ziehen die schwarzen und weißen Tücher sich zusammen, zum Fenster.

Schau doch! Jetzt ziehen sie sich zurück!

Die Tücher ziehen sich langsam zurück, das ist doch komisch, das ist zum Lachen, und dass du die Tücher nicht sehen kannst! Ich schaue dich an. Du schaust mich immer nur an, mit hellen Augen, jetzt sind sie fast schwarz.

Ich muss gehen, sagst du.

Ich sehe, dass die Tücher sich zurückziehen, jetzt verschwinden sie im Fenster und die Tücher sind weg. Und ich hätte Hans Gude treffen sollen, ihn, der wirklich malen kann, heute wollte er die Bilder ansehen, die ich male, aber vielleicht findet Gude meine Bilder nicht gut? vielleicht findet er, dass ich nicht malen kann? dass ich nichts an der Kunstakademie in Düsseldorf verloren habe? vielleicht findet er, ich sollte nicht mehr in Deutschland studieren oder dass es überhaupt keinen Grund gibt, dass ich Maler werden sollte? Ich setze mich auf die Bettkante. Ich sehe meine Pfeife im Aschenbecher auf dem Nachttisch. Ich habe immer noch meine Pfeife, auch wenn alles andere weg ist, habe ich immer noch meine Pfeife. Und ich habe Tabak. Ich kann immer noch auf dem Bett liegen und Pfeife rauchen. Ich sitze auf der Bettkante und ich schaue dich an, du stehst da mitten im Zimmer, du schaust mich an und du hast schon mehrmals gesagt, dass du gehen musst, dass du nicht mehr in meinem Zimmer sein kannst, zusammen mit mir, und dass du nicht hier bleiben kannst, weil dein Onkel bald kommt. Dein Onkel. Du willst nicht mehr in einem Haus mit mir wohnen, das willst du nicht, weil du und dein Onkel das Haus für euch allein haben wollt. Ich weiß das. Ich muss weg. Du sagst, dass ich wegmuss. Ich darf hier nicht mehr wohnen. Du hast gesagt, dein Onkel hat gesagt, dass ich ausziehen muss. Ich muss weg. Du hast deinen Onkel gebeten, dass er mich rauswirft. Ich weiß das. Du willst, dass ich ausziehe, damit du mit deinem Onkel hier in der Wohnung allein sein kannst. Und ich werde ausziehen. Und ich höre jemanden die Wohnungstür aufmachen. Ich schaue dich an, du schaust mich an und ich höre dich jetzt kommt mein Onkel flüstern und ich nicke. Und ich sehe dich zur Tür gehen. Du stehst vor der Tür und ich flüstere dein Onkel?, und du nickst und du flüsterst nein, dass er schon jetzt kommt, und ich schaue vor mir zu Boden. Ich höre, wie eine Tür geschlossen wird, ich höre schwere Schritte herankommen und die Schritte sind so schwer, dass es dein Onkel sein muss, ich höre seine Schritte herankommen, Herrn Winckelmanns Schritte, schwere Schritte, Herrn Winckelmanns schwarze und schwere Schritte kommen heran. Herr Winckelmann. Jetzt kommt Herr Winckelmann, um mich aus dem Studentenzimmer zu werfen, das ich in der Jägerhofstraße gemietet habe. Du hast deinen Onkel gebeten, dass er herkommt und mich rauswirft, das weiß ich genau.

Meine liebe Helene, sage ich. Meine liebe liebe Helene.

Und ich höre, wie falsch das klingt, und ich sehe dich dort an der Tür und du schaust mich an und dann höre ich deinen Onkel rufen Helene! Helene!, und du schaust mich an.

Jetzt ruft er mich, sagst du. Ich muss gehen.

Und ich nicke. Und ich sehe dich die Tür öffnen und in den Flur gehen. Ich sitze auf der Bettkante und ich schaue zum Nachttisch, dort liegt meine Pfeife im Aschenbecher. Ich lege mich aufs Bett und strecke die Beine aus und ich höre deinen Onkel sagen da bist du, bist du wieder bei ihm drin gewesen?, und ich höre dich etwas antworten, aber ich höre nicht, was du sagst.

Nein, so geht das nicht, jetzt muss er raus, so geht das wirklich nicht, nein, sagt dein Onkel.

Ja, ja, sagst du.

Er muss raus, sagt dein Onkel.

Ja, sagst du.

Heute noch, sagt dein Onkel.

Und ich höre nicht, dass du etwas sagst, ich höre nur deine Schritte den Flur entlang und dann sagt dein Onkel, dass ich sicher auch tagsüber im Zimmer bin und offenbar nichts tue, nur im Bett liege, sagt er und dann höre ich dich sagen, dass ich male.

Nein, er liegt im Bett, sagt dein Onkel.

Und ich höre Schritte den Flur entlang, deine leichten Schritte, die schweren Schritte deines Onkels, und ich höre deinen Onkel sagen, dass ich heute noch rausmuss, ich bin ja die ganze Zeit in der Wohnung, ich muss raus, sagt er und ich höre dich etwas sagen, aber was du sagst, verstehe ich nicht.

Und du bist in seinem Zimmer, denn sobald du allein in der Wohnung bist, gehst du zu ihm, gestern warst du da, heute bist du da gewesen, sagt dein Onkel.

Nur die zwei Mal, sagst du.

Auf dich muss man ein Auge haben, sagt dein Onkel.

Und ich höre eure Schritte, ich höre deine Schritte, ich höre die Schritte deines Onkels, ich höre eure Schritte den Flur hinunter und ich höre, wie eine Tür geöffnet wird, und ich höre deinen Onkel sagen der muss raus!, und ich liege auf dem Bett und dein Onkel hat gesagt, ich muss raus. Ich darf das Zimmer nicht mehr mieten. Und du willst, dass ich ausziehe. Du bist eben in meinem Zimmer gewesen und hast gesagt, ich muss ausziehen. Du willst lieber allein in der Wohnung sein, du willst allein in der Wohnung sein mit deinem Onkel, das willst du nämlich, du willst seinen fetten schwarzen Bauch streicheln und ihm in die schwarzen Augen schauen. Darum ist dein Onkel gekommen. Er will deine Brüste anfassen. Er will mit dir allein sein, aber ich bin hier in der Wohnung. Und du willst allein in der Wohnung sein mit deinem Onkel. Du willst, dass ich ausziehe. Du willst, dass dein Onkel deine Brüste anfasst, und niemand soll davon wissen. Du willst mit deinem Onkel Sachen tun. Ich weiß das. Und ich höre dich nein, nein! rufen. Und du rufst. Ich höre dich in der Stube rufen. Ich höre dich nein, nein! rufen. Ich höre deinen Onkel etwas sagen, aber was sagt er wohl? Was sagt dein Onkel? Und du rufst, er soll loslassen, lass los! lass los!, rufst du das? Und ich kann doch nicht nur auf dem Bett liegen und dich rufen lassen, weil in der Stube etwas passiert. Ich muss etwas tun. Ich liege einfach nur auf dem Bett. Und habe ich dich rufen gehört? Oder glaube ich nur, du rufst? Habe ich nicht etwas gehört? Hast du gerufen? Und dein Onkel hat gesagt, dass ich ausziehen muss. Aber ich will nicht ausziehen. Und hast du nicht gerufen? War nicht etwas? Und ich kann nicht einfach nur auf dem Bett liegen. Ich muss doch etwas tun. Ich muss aufstehen, ich muss ins Atelier gehen, denn heute soll Hans Gude, kein Geringerer als Hans Gude höchstpersönlich, umhergehen und die Bilder der norwegischen Studenten an der Düsseldorfer Kunstakademie ansehen und auch mein Bild und er wird sagen, was er von dem Bild hält, das ich male. Und ich liege einfach hier auf dem Bett in meinem lila Samtanzug. Ich schaue hinunter auf meinen lila Anzug aus Samt. Ich lege die Beine übereinander. So kann ich doch nicht liegen bleiben, ich habe dich doch rufen gehört? Oder hast du nicht gerufen? Ich sehe meine Pfeife im Aschenbecher auf dem Nachttisch und ich nehme meine Pfeife, ich lege mir die Hand mit der Pfeife auf den Bauch. Ich schaue zum Fenster und dort, vor dem Fenster, hast du gestanden, meine liebe Helene, und dein Haar gelöst und dann ist dein Haar lose herabgefallen, dein Haar ist dir über die Schultern geflossen, als du da standest in deinem weißen Kleid, dort vor dem Fenster hast du in deinem weißen Kleid gestanden und dein Haar floss so leicht über deine Schultern herab. Und ich bin vom Bett aufgestanden. Ich bin zu dir gegangen. Ich habe meine Arme um dich gelegt. Ich habe mein Gesicht an deine Schulter geschmiegt, an dein Haar. Ich stand da, das Gesicht an dein Haar geschmiegt, und atmete in dein Haar. Ich weiß nicht, wie lange ich so dastand, aber lange lange, ich stand lange so da und atmete in dein Haar. Ich drückte dich an mich. Und du drücktest mich an dich. Da standen wir, vor dem Fenster. Ich schaue zum Fenster und auf dem Hügel hinter dem Fenster sehe ich die Pappeln stehen, eine Reihe Pappeln, da stehen sie, Pappeln, auf dem Hügelkamm, vom Bett aus gesehen scheinen die Pappeln frei in der Luft zu schweben. Und du hast dort am Fenster gestanden. Und hinter dir waren die Pappeln. Und ich sehe ein paar Reiter über den Hügelkamm kommen, vor den Pappeln. Ich sehe nur die Köpfe der Pferde und die Oberkörper der Reiter. Und ich begreife das nicht. Pappeln, Reiter. Und dein Haar. Und dein Haar wie die Pappeln. Und wir als Reiter. Und in uns sind die blauen Wolken. Und ich liege einfach auf dem Bett in meinem lila Samtanzug und schaue zu den Pappeln und den Reitern. Und ich höre deine Stimme, aber ich kann nicht hören, was du sagst. Du weinst doch nicht? Deine Stimme ist doch ruhig? Soll ich kommen und dir helfen? Oder willst du mich nicht sehen? Willst du nur, dass ich weggehe? Und dann höre ich deinen Onkel sagen, dass ich rausmuss, heute, noch heute. Und du sagst etwas, aber ich kann nicht verstehen was. Und du weinst nicht, du sprichst leise. Und du hast gesagt, dass ich ausziehen muss. Ich kann nicht hier wohnen bleiben. Dein Onkel hat das gesagt, dass ich ausziehen muss und nicht hier wohnen bleiben kann. Ich muss ausziehen. Und du willst, dass ich ausziehe. Und jetzt ist dein Onkel ins Haus gekommen, mitten am Tag. Und ich sollte jetzt wohl nicht in meinem Zimmer sein, jetzt müsste ich im Atelier sein, müsste da stehen bei den anderen Malern wie einer von ihnen, bei den anderen Malern, die nicht malen können, müsste da stehen und dann müsste Gude kommen und sagen, dass das Bild, an dem ich arbeite, gut aussieht, bis jetzt sieht es sehr gut aus, müsste er sagen, wirklich viel versprechend, du hast wirklich Talent, das müsste er sagen, kein anderer als Hans Gude müsste das von meinem Bild sagen, dem Bild von Lars aus Hattarvåg, Sohn von einem, der nicht mal Quäker bleiben durfte, von einem Tagelöhner, er müsste über das Bild von Lars Hertervig, über mein Bild müsste er sagen, dass es wirklich viel versprechend ist. Ich bin Lars Hertervig. Ich bin nach Deutschland gereist, an die Kunstakademie von Düsseldorf, und ich werde Landschaftsmaler. Ich bin der Landschaftsmaler Lars Hertervig. Ich liege auf dem Bett in meinem lila Samtanzug. Ich halte meine Pfeife auf dem Bauch. Ich müsste im Atelier sein, denn heute soll Hans Gude das Bild ansehen, das ich male. Aber Hans Gude mag mein Bild wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich findet er, ich kann nicht malen, ich habe nichts an der Kunstakademie zu suchen, ich sollte viel eher in Stavanger sein, Häuser und Wände anstreichen. Denn ich kann wohl nicht malen. Und ich darf nicht hier wohnen bleiben. Helene will nicht, dass ich hier wohnen bleibe. Ich muss ausziehen. Heute war Helene bei mir und hat gesagt, ich muss ausziehen. Und habe ich dich weinen gehört? Hast du nein! nein! geschrien? Und dein Onkel ist mit dir zusammen in der Stube. Und ich liege hier angezogen auf dem Bett in meinem lila Samtanzug. Und ich kann nicht einfach liegen bleiben, denn du kannst nicht einfach mit deinem Onkel in der Stube sein. Du hast ja auch geweint. Ich habe dich weinen gehört. Dein Onkel hat dir sicher an die Brust gefasst, vielleicht hat er dir auch unter das Kleid gelangt? Ich weiß das. Ich weiß, dass dein Onkel dich angefasst hat, und du hast aufgeschrien. Ich muss etwas tun. Und ich höre schwere Schritte den Flur herauf. Dein Onkel kommt den Flur herauf. Und gleich klopft dein Onkel an meine Tür und sagt, dass ich hier nicht wohnen bleiben kann und ausziehen muss, heute noch muss ich ausziehen, sagt er gleich, sofort muss ich packen, wird dein Onkel sagen und in der Tür stehen bleiben, er wird mich anschauen mit seinen schwarzen Augen, den schwarzen Augen über dem schwarzen Bauch über dem schwarzen Bart. Gleich steht dein Onkel in der Tür und sagt, dass ich ausziehen muss. Ich muss sofort meine Sachen packen und verschwinden. Ich darf hier nicht wohnen bleiben. Das wird dein Onkel sagen. Ich soll verschwinden. Und ich höre deinen Onkel den Flur entlangkommen, schwere Schritte, jetzt ist dein Onkel in der Stube gewesen, allein mit dir, und er hat Sachen mit dir gemacht und du hast aufgeschrien und jetzt kommt dein Onkel den Flur entlang und gleich klopft er an meine Tür, oder macht er sie vielleicht einfach auf? oder vielleicht geht er wieder? vielleicht geht dein Onkel nur zur Wohnungstür, macht die Wohnungstür auf und geht hinaus? vielleicht kommt dein Onkel doch nicht in mein Zimmer und sagt doch nicht, dass ich ausziehen muss und nicht mehr hier wohnen bleiben darf? Ich höre schwere Schritte im Flur und ich höre die Schritte stehen bleiben vor der Tür zu meinem Zimmer. Ich höre es klopfen. Dein Onkel klopft mehrmals hart an meine Tür und ich liege auf dem Bett in meinem lila Samtanzug, die Pfeife auf dem Bauch, und dein Onkel klopft hart an meine Tür, denn jetzt wird er sagen, dass ich ausziehen muss! gleich heute musst du raus!, wird er sagen, denn so geht das nicht weiter!, wird er sagen und ich höre es mehrmals klopfen und ich liege da auf dem Bett in meinem lila Samtanzug, aber ich antworte nicht, denn ich weiß, dass es dein Onkel ist, der da an meine Tür klopft, und er will nur, dass ich ausziehe und verschwinde, er will, dass ich hier nicht wohnen bleiben darf, genau das will er, ich weiß es genau, darum will ich nicht antworten, nicht herein sagen, ich antworte nicht, und wenn dein Onkel meine Tür aufmacht, ohne dass ich herein gesagt habe, liege ich einfach auf dem Bett und schaue ihn an, ihn, der meine liebe Helene nicht in Ruhe lassen kann, ihn, der mit meiner lieben Helene Sachen macht, mit ihr, die mir ihr Haar gezeigt hat, die zu mir gesagt hat, dass wir uns lieben! meine liebe Helene! meine liebe liebe Helene! Helene! Wieder klopft es an der Tür. Und ich liege einfach auf dem Bett und antworte nicht. Ich schaue zur Tür. Ich sehe, wie die Türklinke heruntergedrückt wird. Ich sehe zur Türschwelle. Ich sehe die Tür aufgehen. Ich sehe die Tür auf mich zukommen. Ich sehe schwarze Tücher in der Tür. Ich sehe die Tür noch weiter aufgehen, ich sehe den dicken Bauch deines Onkels. Ich sehe, wie sein Bauch sich in die Weste drückt. Ich schaue tiefer auf seine schwarze Hose. Ich schaue höher auf seinen schwarzen Bart. Ich sehe seine schwarzen Augen. Ich sehe deinen Onkel in der Tür stehen. Dein Onkel schaut zu mir herab. Ich sehe ihn mit dem Kopf schütteln.

Sie liegen auf dem Bett, Hertervig, sagt er.

Dein Onkel sagt, dass ich auf dem Bett liege, und was soll ich dazu sagen? dass ich nicht auf dem Bett liege vielleicht? ich schaue deinen Onkel an, Herrn Winckelmann.

Ja, Herr Winckelmann, sage ich und setze mich auf die Bettkante.

Studieren Sie nicht?, fragt er.

Doch schon, aber heute nicht. Ich kann nicht jeden Tag studieren, meine Augen machen das nicht mit.

So ist das also, sagt er.

Ja, so ist das.

Und wenn Sie nicht studieren, liegen Sie hier auf dem Bett und rauchen Pfeife?

Ich nicke.

Aha, sagt er.

Wünschen Sie etwas Bestimmtes, Herr Winckelmann?

Ja, etwas ganz Bestimmtes, sagt er. Und Helene, haben Sie heute schon mit Helene gesprochen?

Herr Winckelmann fragt, ob ich heute mit Helene gesprochen habe, das tut er und was soll ich dazu sagen? kann ich sagen, dass ich mit ihr gesprochen habe? dann wird er dich sicher schlagen, nicht wahr? aber er weiß doch, dass ich mit dir gesprochen habe, er hat dich doch aus meinem Zimmer kommen gesehen, also weiß er schon, dass du mit mir gesprochen hast, es ist kein Geheimnis mehr, dass du mit mir gesprochen hast, dass du in meinem Zimmer gewesen bist, das weiß er doch schon. Denn dein Onkel hat dich ja aus meinem Zimmer kommen gesehen. Ich muss etwas sagen, denn dein Onkel steht da und schaut mich an und ich sage nichts.

Ja, haben Sie das, Herr Hertervig?, fragt er.

Warum fragen Sie das, Herr Winckelmann?

Sie finden die Frage vielleicht seltsam? Ein Mädchen von fünfzehn, sechzehn Jahren? Ein junges Mädchen allein in der Wohnung mit einem Mann wie Ihnen? Ist das eine seltsame Frage?

Ich schüttele den Kopf. Und Herr Winckelmann redet so merkwürdig, so seltsam steif.

Also, antworten Sie, sagt Herr Winckelmann.

Ich habe Helene vorhin schreien gehört, sage ich. Haben Herr Hertervig das also. Und was soll das bedeuten, wenn ich fragen darf? Herr Hertervig mögen es nicht, wenn Helene schreit? Mögen Herr Hertervig ihre Schreie nicht? Aber könnten Herr Hertervig vielleicht meine Frage beantworten, ob er heute mit Fräulein Helene gesprochen hat?

Doch ja, sage ich.

Doch ja, aha. Und denken Herr Hertervig, dass ich, der nach dem plötzlichen Tod von Helenes Vater die Verantwortung für sie übernommen habe, für ihre Mutter, für die ganze Familie, dass ich es ungehindert geschehen lasse, wenn ein junger Mann, nun, Sie wissen, was ich meine.

Aber Helene und ich lieben uns doch!

Und Herr Winckelmann schaut mich überrascht an, denn jetzt habe ich wohl etwas ziemlich Verrücktes gesagt, und dann kommt Herr Winckelmann ins Zimmer herein und macht die Tür hinter sich zu. Und ich sehe Herrn Winckelmann zum Fenster gehen und dann steht Herr Winckelmann mit dem Rücken zu mir da, an derselben Stelle, wo vorhin Helene gestanden hat, und dann dreht Herr Winckelmann sich um und geht zur Tür und dreht sich wieder um und geht wieder zum Fenster. Herr Winckelmann steht wieder da und schaut aus dem Fenster. Ich sitze auf der Bettkante in meinem lila Samtanzug und dann höre ich Herrn Winckelmann sagen, dass es ja wirklich schlimmer ist, als er gedacht hat, und ich sehe Herrn Winckelmann am Fenster stehen und mich ansehen und er schüttelt den Kopf.

Nein, nein, sagt Herr Winckelmann.

Ich sitze auf der Bettkante und schaue Herrn Winckelmann an. Und jetzt habe ich gesagt, dass Helene und ich uns lieben, und das hätte ich vielleicht nicht sagen sollen, aber Helene und ich lieben uns eben, dann muss ich das auch sagen dürfen, denn wir lieben uns ja, etwas anderes kann ich nicht sagen, wir lieben uns, da muss ich doch auch Herrn Winckelmann sagen, dass wir uns lieben.

Und was haben Sie mit Ihrer Geliebten gemacht?, fragt Herr Winckelmann.

Und Herr Winckelmann kommt durch das Zimmer und stellt sich vor mich hin und schaut mich an. Ich schaue Herrn Winckelmann an, dann schaue ich zu Boden.

Was haben Sie gemacht?, fragt Herr Winckelmann.

Ich schaue auf Herrn Winckelmanns schwarze Schuhe.

Antworten Sie, was haben Sie gemacht? Keine Antwort? Was soll das bedeuten, dass Sie und Helene einander lieben?

Und Herr Winckelmann legt mir seine Hand auf die Schulter, er packt meine Schulter und dann schüttelt Herr Winckelmann mich und ich schaue auf, ich schaue in seine schwarzen Augen da über mir, seine Augen starren mir schwarz ins Gesicht.

Antworten Sie!

Ich schaue zu Boden.

Antworten Sie! Antworten Sie!

Und ich höre Herrn Winckelmann rufen, dass ich antworten soll, und ich sollte wohl etwas sagen, denn Herr Winckelmann steht ja über mir mit seiner schweren Hand auf meiner Schulter und er brüllt fast, dass ich antworten soll, also muss ich wohl antworten und etwas sagen.

Nichts, sage ich.

Und trotzdem lieben Sie und Fräulein Helene einander? Was soll das bedeuten?

Nichts, sage ich.

Nichts, nichts, sagt Herr Winckelmann.

Und ich höre Herrn Winckelmanns Stimme zittern und dann packt er meine Schulter fester und es tut nicht weh, obwohl Herr Winckelmann meine Schulter sehr fest gepackt hat.

Nichts, nichts, sagt Herr Winckelmann.

Und Herr Winckelmann packt meine Schulter. Ich schaue zu Boden.

Nichts, sagt Herr Winckelmann.

Und Herr Winckelmann steht da und hält meine Schulter gepackt. Ich starre zu Boden und Herrn Winckelmanns Hand zittert. Herr Winckelmann steht da und packt meine Schulter fest mit seiner zitternden Hand. Ich schaue zu Boden, ich sehe Herrn Winckelmanns blanke schwarze Schuhe. Und dann schüttelt Herr Winckelmann mich hin und her und ich habe keine Angst! überhaupt keine Angst! Herr Winckelmann kann mich schütteln, soviel er nur will, ich kriege keine Angst! Ich werde von Herrn Winckelmann hin und her geschüttelt, und ich bin so ruhig, wie ich vielleicht noch nie war. Ich schaue Herrn Winckelmann an. Und Herr Winckelmann hört auf, mich zu schütteln. Herr Winckelmann steht da und schaut auf mich nieder.

Was hast du mit ihr gemacht? Antworte!, sagt Herr Winckelmann.