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In diesem Roman geht es um eine Freundschaft, um verborgene Gefühle, einen Schicksalsschlag und einen Neubeginn. Nach einer gescheiterten Ehe und einer gescheiterten Beziehung lebt Melina nun in einer ruhigen Kleinstadt. Von Beziehungen hat sie erstmal die Nase voll, also hält sie sich von Männern fern, die mit ihr flirten wollen. Aber wie so oft im Leben kommt alles anders. Melinas Achterbahn nimmt so richtig Fahrt auf, als sie befürchtet, dass sich Marco, der Bruder ihrer besten Freundin, in sie verliebt hat. Oder hofft sie, dass er sich in sie verliebt hat? Melinas Welt gerät heftig durcheinander. Plötzlich verschwindet Marco spurlos.
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Seitenzahl: 787
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Melina
Bittersüße Achterbahn
Melina
Bittersüße Achterbahn
Roman
Rechte vorbehalten
Die Verwertung, Vervielfältigung sowie Übersetzung dieses Werkes (auch auszugsweise), ist nur mit einer schriftlichen Genehmigung des Verlages/Autors gestattet.
Die Handlung, sowie sämtliche Personen, abgesehen von den Musikern, sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit real existierenden lebenden oder verstorbenen Personen, ist rein zufällig.
Texte: © Copyright by Melody TargetUmschlaggestaltung: © Copyright by Melody Target
Melody Targetc/o RA Christian NiehusSüdstr. 753343 Wachtberg
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH,
Berlin, Erscheinungsjahr: © 2024
Happy Birthday to you! Happy Birthday to you! Happy Birthday liebe Mama. Happy Birthday to you. Ich öffne die Augen, strecke mich und setze mich langsam im Bett auf.
Jennifer steht mit einer Tasse Kaffee vor meinem Bett. Jennifer ist die ältere meiner beiden Töchter. Sie ist groß, schlank, hat schulterlange blonde Haare und arbeitet als Immobilienkauffrau im Nachbarort. Vor drei Jahren hat sie den Hund ihres damaligen Freundes, der mittlerweile nach Australien ausgewandert ist, aufgenommen. Seitdem lebt dieser mittelgroße, schwarze, kwirrliege Terrier Mix mit in meiner Wohnung. Er gehört aber Jennifer und so kümmert sie sich auch um alles, was Maja, so heißt der kleine Wildfang, angeht und nimmt sie auch mit, wenn sie irgendwann auszieht.
„Alles Liebe zum Geburtstag.“, sagt Jennifer.
„Danke schön.“, antworte ich, während ich ihr die Tasse Kaffee abnehme.
„Der Frühstückstisch ist auch schon gedeckt.“, sagt Jennifer und grinst.
Ich lächle und nehme einen ersten Schluck Kaffee. Dann klingelt mein Handy.
„Ich gehe schnell mit Maja Gassi und wir treffen uns dann am Frühstückstisch, okay?“, fragt Jennifer, während sie die Schlafzimmertür öffnet. Ich nicke kurz und gehe ans Telefon.
„Hallo.“, sage ich und schon ertönt ein weiteres Geburtstagsständchen.
Es ist Anna, meine jüngste Tochter. Sie ist nicht sehr groß. Gerade mal 1,60 Meter und hat schulterlange dunkelbraune Haare. Sie wohnt seit einigen Monaten in einer WG in der Nachbarstadt.
„Danke schön.“, sage ich noch etwas schläfrig.
„Bleibt es bei heute Abend.“, fragt Anna.
„Ja klar! Der Tisch ist für achtzehn Uhr bestellt.“, antworte ich.
„Prima. Dann wünsche ich dir jetzt erstmal einen schönen Tag. Bis heute Abend Mama.“ Wir verabschieden uns und legen auf.
Wieder ist ein weiteres Jahr vergangen. Ich bin seit zehn Jahren geschieden und hatte nach meiner Scheidung nur eine weitere, ernste Beziehung, die aber auch nur vier Jahre hielt. Mittlerweile bin ich seit etwas über zwei Jahren wieder Single.
Ich fühle mich auch immer noch nicht bereit für eine neue Partnerschaft. Seit zwei Jahren habe ich einen neuen Job, verdiene ganz gut und kann nun die Schulden, die mir meine beiden Ex-Partner hinterlassen haben, leichter abtragen.
Ja! Ich war ein Schaf. Irgendwie habe ich bisher immer die Typen mit finanziellen Problemen angezogen. Irgendwann waren meine Rücklagen dann natürlich aufgebraucht und ich habe für Kredite und Finanzierungen gebürgt, die ich am Ende der Beziehung an der Backe hatte. Ich bin nun kurz davor wieder finanziell frei zu sein. Da will ich es lieber nicht riskieren, wieder an so einen Blender zu geraten. Wobei ich ganz sicher nie wieder für einen Partner Bürgen werde. Es gibt natürlich immer wieder Augenblicke, in denen ich mir einen Mann an meiner Seite wünsche. Meist, wenn ich abends alleine mit einem Glas Rotwein auf der Terrasse oder der Couch sitze. Manchmal denke ich dann an Roman.
Als Kinder spielten wir oft am Rande einer Rennstrecke, an die ich damals regelmäßig mit meinem Vater und meinem Onkel fuhr. Roman wirkte schon etwas arrogant damals. Ich fand ihn aber trotzdem irgendwie cool. Eigentlich war er auch nur so arrogant und ober cool, wenn seine Freunde dabei waren. Besonders ein etwas moppeliger Junge, mit schwarzen Haaren, glänzte mit Witzen, die nur er wirklich lustig fand. Weil er sich aber so sehr über seine eigenen Witze freute und übertrieben darüber lachte, musste man auch lachen, was ihn wahrscheinlich glauben ließ, dass auch wir seine Witze super fanden. Wenn Roman aber alleine mit seinem Vater an der Rennstrecke war, wirkte er sogar eher etwas unsicher.
Roman und ich redeten das erste Mal miteinander, als mein Onkel sich mit seinem Vater unterhielt. Wir standen uns gegenüber. Er neben seinem Vater und ich neben meinem Onkel.
Roman fragte mich, ob das mein Vater sei. Ich sagte nur kurz “Nein“. Mehr bekam ich nicht raus. Ich muss schmunzeln bei dieser Erinnerung. Roman nickte nur kurz, schaute ziellos umher und rannte dann wieder rüber zu seinen Freunden. Ich weiß noch, dass ich einerseits froh war, dass diese krampfige Situation vorbei war, andererseits fand ich es schade, dass Roman weg war.
Wir begegneten uns in den folgenden Wochen und Monaten immer wieder und freundeten uns an. Wir redeten über Hunde, die Rennstrecke, die Rennen, die gerade an dem Tag stattfanden, über Musik, unsere Eltern, unsere Geschwister und über die Schule. Es dauerte nicht lange und ich musste mir eingestehen, dass ich mich in Roman verliebt hatte. Ich erinnere mich noch, dass ich sehr unsicher war, ob er auch in mich verliebt sein könnte. Ab und an hatte ich schon das Gefühl. Er nahm mich immer wieder in den Arm und wir gingen händchenhaltend durch die Boxengasse.
Dann kam der Tag, an dem ich Roman zum vorerst letzten Mal persönlich gesehen habe. Wir waren wieder an der Rennstrecke. Das Rennen war vorbei und Romans Vater bat ihn schon mal zum Auto zu gehen, weil sie nach Hause fahren wollten. Roman legte seinen Arm um mich und wir gingen zusammen zum Parkplatz. Als wir am Auto seines Vaters angekommen waren, stellte Roman sich vor mich und schaute mich an. Ich glaube, dass er mich küssen wollte. Irgendwie traute ich mich aber nicht ihn zu küssen und löste mich vorsichtig aus seiner Umarmung. Ich erinnere mich noch an sein süßes und verständnisvolles Lächeln. Dann fragte er mich, ob wir uns am kommenden Wochenende wieder an der Rennstrecke treffen wollen. Ich nickte nur. Dann verabschiedeten wir uns mit einer einfachen Umarmung und ich ging zurück zu meinem Onkel.
Was in den darauffolgenden Tagen zwischen meinen Eltern und meinem Onkel passierte, weiß ich bis heute nicht. Es hatte aber zur Folge, dass wir von da an nicht mehr zur Rennstrecke fuhren. Ich hatte damals auch noch keine Möglichkeit irgendwie alleine zur Rennstrecke zu kommen. Ich erinnere mich gut an meine Verzweiflung. Damals hatte noch nicht jeder ein mobiles Telefon und eine Festnetznummer hatte ich von Roman auch nicht. Ich war so sauer auf meine Eltern, weil mich keiner von beiden zur Rennstrecke fahren wollte. Irgendwann hatte ich die Tatsache aber akzeptiert. Das Leben ging weiter und ich habe Roman nicht wieder gesehen.
Nachdem ich dann meinen Führerschein hatte, war ich zwar ab und an wieder an der Rennstrecke, aber Roman begegnete mir nicht. Irgendwann hörte ich von meinem Vater, dass Roman auch Rennen fahren würde. Ich war unsicher, ob ich zu einem seiner Rennen gehen sollte. Es waren so viele Jahre vergangen und wir waren ja damals noch Kinder. Also entschied ich mich zunächst dagegen. Ich ging davon aus, dass er sich wahrscheinlich eh nicht mehr an mich erinnern kann.
Ich heiratete und bekam meine erste Tochter. Irgendwann fuhr ich aber doch zu einem seiner Rennen. Ich weiß noch, wie beeindruckt ich war, als ich ihn sah. Er war ein verdammt attraktiver Mann geworden.
Ich schaute aber keine weiteren Rennen mehr von ihm. Mein größtes Interesse galt mittlerweile einer anderen Rennserie. Später wechselte auch Roman in diese Rennserie, war aber nicht ganz so erfolgreich dort. Immer wieder überlegte ich, ob ich ihn doch mal ansprechen sollte, tat es aber nie. Schließlich ging er wieder zurück in seine ursprüngliche Rennserie.
Auch er war mittlerweile verheiratet und Vater geworden. Ich bin mir sicher, dass er sich nicht mehr an mich erinnern kann.
Es ist einerseits eine schöne Erinnerung, aber irgendwie auch traurig, da ich mir dann auch immer wieder die Frage stelle, was wäre gewesen, wenn …?
Mittlerweile ist Roman im Rennsport sogar eine sehr bekannte Persönlichkeit und hat sich in eine ganz andere Richtung als ich entwickelt.
-Er fliegt gerne durch die Welt, ich habe Flugangst.
-Er ist in der Öffentlichkeit sehr bekannt, ich bleibe lieber hinter den Kulissen.
-Er isst sehr gerne Fleisch, ich bin Vegetarierin.
Es gibt sicher noch sehr viele Gegensätze zwischen uns, und ich weiß ja, dass ich ihm wahrscheinlich nie wieder begegnen werde. -Schluss jetzt damit. Genug von der Vergangenheit-
Die ersten Glückwünsche von Arbeitskollegen trudeln per Textnachricht auf meinem Handy ein. Ich ziehe meinen Morgenmantel über den Pyjama, schlüpfe in meine Hausschuhe und gehe ins Wohnzimmer. Jennifer ist schon mit Maja zurück vom Gassi-Gang und Maja freut sich sehr mich zu sehen. Sie springt wie wild an mir hoch, also begrüße ich sie erstmal ausgiebig. Ich höre, wie der Kaffeevollautomat gerade die Kaffeebohnen mahlt. Maja hat sich etwas beruhigt und legt sich auf die Couch. Der Esstisch ist reich gedeckt, mit verschiedenen veganen Wurst- und Käsesorten, Marmeladen, Schokocreme, Joghurt, Müsli und Orangensaft.
In der Mitte des Tisches steht ein einzelner weißer Kerzenständer mit einer hellgrünen Kerze.
„Wie schön!“, sage ich begeistert. Jennifer stellt sich neben mich und grinst stolz.
Ich nehme sie fest in den Arm und bedanke mich. Dann setze ich mich an den Tisch und Jennifer holt noch den Korb mit den Brötchen und den Croissants aus der Küche. Mein Geschenk liegt süß verpackt am anderen Ende des Tisches.
„Magst du erstmal dein Geschenk aufmachen?“, fragt Jennifer schließlich.
Ich lächle, stehe auf, gehe rüber und nehme das Geschenk in die Hand. Es ist groß und flach. Langsam ziehe ich das Geschenkpapier ab.
„Das ist von mir und Anna.“, sagt Jennifer, während sie ungeduldig zuschaut, wie ich vorsichtig das Geschenkpapier abziehe. Dann erkenne ich, was es ist. Eine Leinwand mit dem Foto von mir und meiner kürzlich verstorbenen Hündin Kaja. Mir steigen sofort Tränen in die Augen. Jennifer steht auf, kommt zu mir rüber und umarmt mich. Ich vermisse meine Hündin noch sehr. Ich hatte sie vor dreizehn Jahren als Welpe von einem alten Mann gekauft, dem ihre Mutter gehörte. Er konnte sich keinen weiteren Hund leisten und so kam Kaja zu uns. Ihr Tod kam plötzlich. Ein Tumor, der leider so versteckt war, dass man ihn nicht rechtzeitig bei den Routineuntersuchungen entdeckt hatte und dann nicht mehr entfernen konnte. Ich hatte sie einäschern lassen und ihre Urne steht nun bei uns zuhause in einer Vitrine.
Ich freue mich aber sehr über dieses Bild und falle Jennifer mit Tränen in den Augen um den Hals. Dann lege ich das Bild wieder an das andere Ende des Esstisches und Jennifer und ich frühstücken erstmal. Lange können wir aber nicht am Frühstückstisch sitzen. Wir müssen ja beide arbeiten. Ich brauche zwar nicht losfahren, da ich heute im Homeoffice arbeite, aber trotzdem muss ich mich spätestens um acht Uhr mit meinem Laptop im Firmenserver einloggen und Jennifer muss sich auf den Weg ins Büro machen. Wir räumen noch gemeinsam den Frühstückstisch ab.
„So. Ich bin dann mal weg.“, sagt Jennifer, während sie mich kurz zum Abschied drückt und durch die Tür huscht.
Stille. Ich atme tief ein und wieder aus. Diese Ruhe ist so schön. -Noch. Wer weiß, ob ich das noch so sehe, wenn auch Jennifer ausgezogen ist und ich ganz alleine bin.- Ich trinke den letzten Schluck Kaffee aus meiner Tasse und gehe duschen. Zur Feier des Tages ziehe ich mich etwas schicker an. Normalerweise sitze ich die erste Zeit in Pyjamahose und Sweetshirt am PC, wenn ich im Homeoffice bin.
Nach und nach kommen weitere Geburtstagsglückwünsche von Kollegen an. Ich freue mich sehr, dass so viele heute an mich denken. Eigentlich wollte ich auch pünktlich Feierabend machen, aber es ist schon wieder siebzehn Uhr, als ich mich endlich auslogge und den PC runterfahre. -Jetzt muss ich mich aber beeilen. In einer halben Stunde ist Anna bei uns.- Gott sei Dank habe ich mich bereits morgens schick gemacht. Ich trage meine neue helle Jeans, eine schwarze Bluse und schwarze Stiefeletten. Meine langen blonden Haare habe ich offen. Plötzlich klingelt es an der Tür.
„Auwei!“, sage ich leise.
„Ich bin noch nicht fertig.“, rufe ich Jennifer durch die Badezimmertür zu.
Ich höre, wie Jennifer die Tür öffnet. Anna ist schon da. Ich lege noch schnell etwas Mascara auf und husche aus dem Bad. Anna und Jennifer erschrecken kurz, als ich aus dem Badezimmer gestürmt komme. Sie stehen schon im Flur und haben ihre Jacken bereits an. Jennifer hat meine Jacke in der Hand und reicht sie mir. Ich nehme sie ihr ab und ziehe sie hastig an. Dann schnappe ich mir noch meine Handtasche und wir machen uns zu Fuß auf den Weg in unseren Ortskern, zu einem sehr netten italienischen Restaurant. Wir essen leckere Pasta und haben einen tollen Abend. Dann gehen wir gemeinsam wieder nach Hause. Anna schläft heute bei uns, da sie am nächsten Tag nicht arbeiten muss. Ich und Jennifer aber leider schon. Daher gehen wir schnell ins Bett. Den Rest der Woche arbeite ich auch im Homeoffice.
Als ich dann montags das erste Mal nach meinem Geburtstag wieder im Büro bin, ist mein Schreibtisch bunt dekoriert und voller kleiner Geschenke von meinen Kollegen. Ich freue mich riesig und habe natürlich auch ein großes Blech Kuchen mitgebracht.
Im Grunde bin ich momentan wirklich sehr glücklich.
Es ist der Samstag nach meinem Geburtstag und ich beschließe, einen Ausflug mit meiner Kamera zu machen. Ich packe also meinen Kamerarucksack, ein paar Ersatzspeicherkarten und einen zweiten, voll aufgeladenen Akku ein. Dann packe ich noch eine Flasche Wasser, einen Apfel und ein paar Kekse mit in den Rucksack. Die Sonne scheint und es ist angenehm warm. Ich fahre zu einer alten Burg, die nicht weit weg von meinem Zuhause liegt. Es tut gut, mal wieder alleine und in Ruhe durch die Gegend zu schlendern und Fotos zu machen.
Am frühen Nachmittag bin ich dann wieder zuhause. Jennifer verbringt das Wochenende bei einer Freundin und so habe ich einen freien Abend. Ich nehme mir ein Glas Rotwein, einen Spanier aus der Weinbauregion Rioja, setze mich mit meinem Laptop auf die Couch und schaue mir die Bilder an, die ich heute gemacht habe. Plötzlich klingelt mein Handy. Es ist Verena. Eine Freundin von mir, die nach der Trennung von ihrem Mann vor etwas über einem Jahr nun unbedingt wieder einen neuen Mann kennenlernen will. Sie ist 1,78 Meter groß, schlank und hat lange, rotblonde, lockige Haare. Ich kenne Verena aus dem Fitnessstudio, in das ich regelmäßig gehe. Sie arbeitet dort an der Information und trainiert auch selbst. So lernten wir uns kennen und irgendwann lud ich sie auch zu einem meiner Geburtstage ein.
„Hey, Melina! Ich stehe mit Nathalie bei dir vorm Haus. Spring in deine Schuhe und komm. Wir fahren zu Marcos Party!“, ruft Verena in den Hörer.
Nathalie ist meine beste Freundin. Sie ist genau so groß wie ich, etwa 1,68 Meter, und hat lange, glatte, dunkelbraune Haare. Nathalie kenne ich, seit wir elf Jahre alt sind. Sie war damals mit ihren Eltern aus Stuttgart nach Bonn gezogen und kam in meine Klasse. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und wurden beste Freundinnen. Ich lebte damals bei meinen Großeltern, die wirklich toll, aber auch recht streng waren. Ich liebte sie aber sehr. Als ich dreizehn Jahre alt war, wurde mein Großvater aber sehr krank und meine Großmutter musste sich mehr um ihn kümmern. Da konnte sie nicht auch noch mich versorgen. Ich zog also zu meiner Mutter. Meine Eltern hatten sich schon getrennt, als ich noch klein war und mein Vater hatte bereits eine neue Frau, die seine Kinder aus erster Ehe nicht akzeptieren konnte. Bei meiner Mutter zu leben, war jedoch schrecklich. Mit meinen beiden älteren Geschwistern verstand ich mich überhaupt nicht und wir hatten sehr oft Streit. Für sie war ich ein Eindringling, der sich nach dreizehn Jahren in ihr Leben drängte. Meine Mutter war häufig weg mit ihrem neuen Liebhaber, einem verheirateten, meiner Meinung nach schmierigen Typ. So bekam sie vieles nicht mit und wenn ich es ihr erzählen wollte, hörte sie meist gar nicht richtig zu. Ich akzeptierte also die Verhältnisse zuhause und versuchte, so viel wie möglich weg zu sein. Natürlich hatte ich mich damals meiner besten Freundin Nathalie anvertraut. Von da an war ich sehr viel bei den Andersens, und für Nathalies Eltern gehörte ich bald schon zu jeder Familienfeier der Andersens dazu. Nach dem Abi ging Nathalie für ein paar Jahre in die USA und wir hatten nur sehr wenig Kontakt, bis sie dann mit ihrem Mann Roland und dem gemeinsamen Sohn David wieder zurück nach Deutschland kam. Seitdem sehen wir uns wieder regelmäßig.
Marco ist der zwei Jahre ältere Bruder von Nathalie und Verena hat seit Kurzem ein Auge auf ihn geworfen.
„Ach ne. Ich war heute schon unterwegs. Ich bleibe lieber zuhause.“, antworte ich kurz.
Verena legt wortlos auf. Ich schaue verwundert mein Telefon an und lege es dann neben mich auf die Couch. Plötzlich klingelt es an der Tür. Ich ahne schon, wer das ist. Ich öffne also die Tür und Verena stürmt an mir vorbei ins Wohnzimmer.
„Das geht nicht, Mel. Du musst mitkommen.“, sagt sie entrüstet. Nathalie grinst etwas verlegen, während sie an mir vorbei, ebenfalls ins Wohnzimmer geht. Ich schließe die Tür und folge den beiden.
„Melina, bitte. Du musst wirklich mitkommen. Wie sieht das sonst aus, wenn ich nur mit seiner Schwester da auftauche.“, sagt Verena schließlich bettelnd.
„Der kapiert doch sofort was los ist.“, jammert sie weiter.
„Ach ja? Was ist denn genau los?", frage ich grinsend. Verena streckt mir albern die Zunge raus. Nathalie und ich müssen lachen.
„Aber mal im Ernst, Melina. Du kannst mich doch nicht mit diesem verrückten Huhn alleine auf eine Party mit massivem Männerüberschuss gehen lassen.“, meint Nathalie schließlich. Wir müssen alle drei lachen.
„Na du bist doch glücklich verheiratet, oder?“, frage ich Nathalie lachend.
„Ja. Bin ich. Und euch zwei bringe ich auch noch unter die Haube.“ Ich lache nur. Nathalie ist die absolute Romantikerin von uns drei.
„Also, was ist nun? Kommst du mit?“, fragt Verena ungeduldig.
„Okay, okay. Gebt mir ein paar Minuten.“, antworte ich kurz und husche ins Schlafzimmer. Ich habe keine Zeit, um lange zu überlegen, was ich anziehen soll. Also ziehe ich einfach schnell eine hellblaue Jeans, eine beigefarbene Bluse und beigefarbene Stiefeletten an. Ich trage noch etwas Mascara und Parfum auf, kämme meine Haare und lasse sie offen bis unter meine Schulterblätter fallen. Dann gehe ich in den Flur, wo Nathalie und Verena schon ungeduldig warten. Ich nehme meine Jacke, meine Handtasche und meinen Schlüssel. Verena öffnet die Tür und wir gehen zu ihrem Auto. Grinsend macht Nathalie die Beifahrertür auf und deutet mit ihrem Blick an, dass ich dort einsteigen soll. Sie selbst steigt hinten ein. Nathalie weiß, dass mir hinten in einem Auto immer schlecht wird. Verena springt neben mir auf den Fahrersitz und grinst mich breit an, während sie sich anschnallt.
Marco wohnt etwa fünfundvierzig Minuten von mir entfernt in einem Vorort von Koblenz. Als wir dort ankommen, sind schon viele Gäste da.
Marco hat ein tolles Haus. Der Eingang ist gesäumt von zwei weißen Säulen. Die Fassade ist in einem hellen Grau gestrichen und die Fenster sind weiß umrandet. Durch die Haustür kommt man in einen kurzen, aber breiten Flur. Links ist eine Garderobe. Dort hat er heute zwei Kleiderständer mit aufgestellt, für die Jacken der ganzen Gäste. Rechts steht eine weiße Kommode.
Vom Flur aus kommt man dann in einen riesigen Raum. Gegenüber dem Flur ist eine bodentiefe Fensterfront mit Schiebetüren zur Terrasse und zum Garten, in dem nichts gepflanzt ist, außer einer Hecke aus Kirschlorbeer und Wiese. Rechts ist eine lange Bar aus dunklem Holz mit sechs Barhockern davor. Hinter der Bar ist ein deckenhohes Regal mit einer verspiegelten Rückwand, in dem jede Menge Flaschen stehen. Überall im Raum sind Stehtische aufgebaut. Etwas weiter links im Raum ist ein großer langer Esstisch, an dem schon einige Gäste sitzen. Ganz links an der Wand ist ein großes, reichhaltiges Vegetarisches/Veganes Buffet aufgebaut. Marco ist nämlich auch Vegetarier. Über dem Buffet hängt ein riesiger Flachbildfernseher. Links neben dem Buffet, geht es in die Küche. Und links neben der Küchentür geht es weiter in einen langen schmalen Flur, der zu einem Gäste-WC führt. Vorher geht man an einer Treppe vorbei, die rechts nach oben geht. Dort oben bin ich aber noch nie gewesen.
Wir hängen unsere Jacken auf und gehen langsam etwas weiter in den Raum hinein.
„Marco!!!“, ruft Verena plötzlich links neben mir, reißt ihren rechten Arm hoch und winkt wild in den Raum hinein. Marco dreht sich zu uns um und lächelt. Er sagt noch kurz etwas zu den Gästen, bei denen er steht und kommt mit einem Glas Sekt in der Hand freudestrahlend und mit lässigen Schritten, zu uns.
Marco ist sehr groß. 1,96 Meter, erzählte Nathalie mal. Er macht regelmäßig Sport, geht Laufen und spielt Tennis. Sein Körper ist wirklich gut trainiert. Er hat braune Augen und mittellange dunkelbraune Haare. Wenn er sie nach vorne fallen lassen würde, hätte er einen Pony, der ihm bis unter die Nase reicht. Er hat die Haare aber immer weit nach hinten gekämmt. Nur selten ist er im Gesicht glattrasiert. Ich sehe ihn meistens mit einem 3 bis 5-Tage-Bart, der ihm zweifellos sehr gutsteht.
„Da seid ihr ja endlich. Ich hatte schon Sorge, ihr kommt doch nicht.“, ruft er uns zu.
Er umarmt erst Nathalie, die rechts neben mir steht, dann mich und anschließend Verena.
„Es ist so schön, dass ihr da seid. Kommt erstmal mit an die Bar.“, sagt Marco und geht voraus. Marco geht hinter die Bar, stellt drei Sektgläser auf die Theke und schenkt jedem etwas Sekt ein. Wir nehmen uns jeder ein Glas von der Theke.
„Ihr müsst mit mir anstoßen Ladys.“, sagte Marco feierlich.
„Was gibt es denn diesmal zu feiern?“, frage ich, während unsere vier Gläser aneinander klirren.
„Das Leben, Mel! Das Leben!“, ruft Marco und breitet seine langen Arme aus.
Wir lachen nur. Marco schaut zur Haustür und sieht, dass weitere Gäste reinkommen. Zügig kommt er hinter der Bar vor.
„Entschuldigt mich bitte.“, sagt er, während er zur Tür eilt.
Verena seufzt enttäuscht. Nathalie und ich schauen uns kurz an und schmunzeln nur. Dann prosten wir uns zu und nehmen einen weiteren Schluck Sekt.
Der Abend ist wirklich sehr lustig und ich lerne einige nette Leute kennen. Bei dem ein oder anderen Herren merke ich allerdings, dass er mich noch etwas näher kennenlernen möchte. Aber ich will mich aktuell einfach auf nichts einlassen. Ich gehe an die Bar, um mir noch ein Glas Wein zu holen. Eine junge Frau empfängt mich mit einem fröhlichen Lächeln. -Marco hat sogar an Personal für den Abend gedacht.-
„Hallo. Noch ein Glas von dem Rioja dort bitte.“, sage ich und zeige auf die Flasche Rotwein rechts hinter ihr.
„Sehr gerne.“, antwortet sie.
Sie stellt ein frisches Rotweinglas vor mich auf die Theke und schenkt den Wein ein.
„Vielen Dank.“, sage ich lächelnd und drehe mich wieder um. Ich schaue in den Raum hinein.
Es sind sehr viele Leute da. Wenn Marco feiert, kommen sie alle gerne. Einige Gäste tanzen in der Mitte des Raumes und andere stehen am Rand in Gruppen und unterhalten sich. Ich nehme einen Schluck Wein und schaue mich weiter um. Nathalie unterhält sich noch immer mit einem von Marcos Freunden und dessen Frau. Verena steht bei Marco und ein paar anderen Gästen. Immer wieder kichert Verena etwas übertrieben. Ich schmunzle. Verena wollte Marco erstmal unauffällig etwas näherkommen und verbergen, dass sie sich für ihn interessiert. Aber das ist wohl schon in die Hose gegangen. Das hat er sicher längst gemerkt.
Es ist bereits etwas kälter draußen geworden und die Gäste, die auf der Terrasse standen, sind reingekommen. Die Gelegenheit nutze ich, um mich draußen etwas an die frische Luft zu setzen. Marco hat auf der Terrasse eine schöne, gemütliche Sitzgruppe in U-Form mit einem Plexiglastisch in der Mitte. Ich setze mich auf den 3-Sitzer mit dem Rücken zur Fensterfront, schaue in den Himmel und nehme noch einen Schluck Wein.
Es ist schon dunkel geworden und die Leuchtkugeln im Garten sind an. Ich atme die angenehme frische Luft tief ein.
„Hey.“, höre ich jemanden neben mir. Es ist Marco.
Langsam kommt er zu mir geschlendert, lässt sich neben mich auf das Sofa fallen und seufzt.
„Alles okay?“, frage ich ihn mit einem Lachen in der Stimme.
„Ja, ja. Alles in Ordnung. Ich brauche nur eine Pause von Verena. Was ist denn bloß in sie gefahren. Die redet wirklich ohne Punkt und Komma.“, schimpft er leise. Wir müssen beide lachen.
„Was machst du hier draußen so allein Mel?", fragt er schließlich.
„Ich brauche nur etwas frische Luft.“, antworte ich und nehme noch einen Schluck aus meinem Glas.
„Ist der Rioja gut? Ich war mal so verrückt und habe einen ganze anderen geholt als sonst.“, fragt er.
„Ja. Ich kenne ihn aber schon. Der ist auch sehr gut.“, antworte ich.
„Mir ist aufgefallen, dass du es den Herrn, die dich hier heute anbaggern, echt schwer machst und ihnen jetzt sogar aus dem Weg gehst. Oder interpretiere ich da nur etwas falsch?“, fragt Marco plötzlich. Marco kenne ich nun schon ewig. Er hat meine bisherigen Beziehungen mitbekommen und weiß auch, dass ich nun schon länger Single bin.
„Nein, Marco. Das interpretierst du schon richtig.", antworte ich.
„Aber wieso? Möchtest du nicht auch wieder einen Partner an deiner Seite?“, fragt er weiter. Ich antworte nicht und zucke nur mit den Schultern.
Marco legt seinen linken Arm um mich und streichelt sanft meinen linken Oberarm.
„Ach, Mel. Der Richtige wird kommen, wenn du bereit dafür bist, wieder jemanden in dein Leben zu lassen. Dann bist du es eben jetzt noch nicht. Du musst vor allem erstmal genau wissen, was du für einen Partner möchtest. Damit meine ich aber nicht die üblichen Dinge wie treu, lustig, ehrlich, humorvoll usw., sondern eher: Was möchtest du mit deinem Partner erleben und welche Interessen von dir soll er teilen? Möchtest du mehr mit ihm rumalbern oder eher klare und sachliche Gespräche führen? Soll er deine Liebe zum Rennsport teilen? Was möchtest du in eurer Freizeit mit ihm unternehmen? Wo möchtest du mit ihm wohnen? Mach dir am besten eine Liste. Solange du dir einen Partner mit diesen anderen, oberflächlichen Kreterin wünschst, wirst du den Richtigen für dich nicht finden können.“, erklärt Marco. Ich schaue ihn verwundert an. Er lächelt und zieht seine Augenbrauen hoch, während er nickt. Dann drückt er mich fester an sich und wir sitzen eine Weile einfach nur so da. Es fühlt sich sehr tröstlich an in seinem Arm und ist genau das, was ich jetzt gebraucht habe. Plötzlich nimmt er seinen Arm von mir und steht auf. Er schaut zu mir runter und ich zu ihm hoch.
„Denk mal ernsthaft darüber nach, Mel, was ich dir eben gesagt habe. Und vergiss nicht. Ich bin immer für dich da.“, sagt er und lächelt zu mir runter.
Sein Blick ist so voller Wärme und Zuneigung, dass mir richtig warm ums Herz wird. Ich nicke langsam und lächle etwas unsicher zurück. Er grinst und geht wieder rein.
Ich nehme noch einen Schluck Wein und schaue hoch zu den Sternen. -Ich soll also genau überlegen, was mein neuer Partner alles haben soll. Seltsame Vorstellung, sich dafür eine Liste zu machen.-
„Melina.“, reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Verena streckt ihren Kopf auf die Terrasse. Ich schaue zu ihr rüber.
„Kommst du. Wir wollen fahren.“, sagt sie kurz.
„Okay.“, antworte ich und stehe auf. Verena ist schon wieder drinnen.
Ich gehe rein, stelle mein Glas auf der Theke ab und schaue mich um, auf der Suche nach Nathalie und Verena. Ich finde sie in der Nähe der Haustüre, wo sie sich gerade von Marco verabschieden. Als ich bei Marco ankomme, sind Verena und Nathalie bereits an der Garderobe und holen ihre Jacken. Marco breitet seine Arme aus und umschließt mich mit einer festen Umarmung. Während wir uns umarmen, flüsterte er mir ins Ohr.
„Machs gut, Mel und melde dich bitte bald mal wieder.“ Er drückt mir einen festen Kuss auf die Wange und lächelt mich liebevoll an. Ich lächle zurück.
„Das mache ich, Marco. Danke dir für den schönen Abend.“
„Sehr gerne, Melina.“, antwortet er und zwinkert mir zu.
Ich gehe zu Nathalie und Verena. Nathalie hat meine Jacke bereits in der Hand und reicht sie mir mit einem gequälten Lächeln. Ich schaue sie etwas irritiert an. Verena öffnet die Tür und geht raus. Nathalie und ich folgen ihr wortlos. Ich merke, dass irgendetwas vorgefallen sein muss, habe aber auch das Gefühl, dass es besser ist, keine von beiden jetzt darauf anzusprechen. Ich kann ja morgen mal bei Nathalie nachfragen.
Nachdem wir ins Auto gestiegen sind, startet Verena sofort den Motor, macht das Radio an und fährt los. Nathalie und ich schnallen uns schnell an.
Die ganze Fahrt zurück haben wir drei kein Wort miteinander gewechselt. Ich frage mich, ob sich Nathalie und Verena auf Marcos Party gestritten haben. Nun ja. Das erfahre ich ja vielleicht morgen.
Verena setzt mich zuerst zuhause ab. Ich verabschiede mich von den beiden und wünsche ihnen eine gute Nacht, was sie erwidern und dann weiterfahren. Ich gehe schnell rein, putze nur noch meine Zähne und ziehe meinen Pyjama an. Dann falle ich ins Bett und schlafe auch sofort ein.
Ich höre Maja bellen und öffne langsam die Augen. Dann schaue ich auf die Uhr. Es ist erst acht Uhr morgens. Schnaubend lasse ich meinen Kopf zurück ins Kissen fallen. Plötzlich geht meine Schlafzimmertür ein kleines Stück auf und Jennifer streckt ihren Kopf ins Schlafzimmer. Es sieht so lustig aus, wie Jennifer mit aufgerissenen Augen durch den Türspalt schmult, dass ich kurz lachen muss. Jennifer öffnet die Tür ganz und kommt ein Stück ins Schlafzimmer.
„Hat Maja dich geweckt?“, fragt sie leise.
„Ja. Aber ist schon okay.“, antworte ich. Jennifer lächelt verlegen.
„Ich mache uns Frühstück okay?“, sagt Jennifer leise, während sie zurück zur Tür geht.
Ich nicke nur und schlage meine Bettdecke zur Seite. Jennifer geht raus und macht die Tür wieder zu. Ich fühle mich sehr müde, obwohl wir gestern gar nicht so lange auf Marcos Party waren und ich auch nur sehr wenig Alkohol getrunken habe.
Ich strecke mich und gehe dann ins Wohnzimmer, wo Jennifer den Frühstückstisch schon fast fertig gedeckt hat. Jennifer ist auf dem Weg zum Esstisch, mit zwei Frühstückstellern in der Hand.
„Das sieht ja toll aus!“, sage ich, während ich ihr die Teller aus der Hand nehme und auf den Tisch stelle. Jennifer grinst breit. Dann holt sie noch zwei Messer und den Korb mit den Brötchen und den Croissants aus der Küche. Wir frühstücken lange und plaudern viel. Jennifer hat einen neuen Laden für Tierbedarf in der Stadt entdeckt, der sie scheinbar sehr beeindruckt hat, und ich berichte von der Party bei Marco. Natürlich erzähle ich nichts von dem seltsamen Gespräch mit Marco und der schweigsamen Heimfahrt.
Nach dem Frühstück gehe ich unter die Dusche, putze mir die Zähne und ziehe meine gemütliche, etwas locker sitzende, helle Jeans an, ein beigefarbenes Kaputzenshirt und beigefarbene Sneakers.
„MAMA!!!“, höre ich Jennifer plötzlich rufen.
„Nathalie ist am Telefon!“
„Ich komme.“, antworte ich und gehe zügig ins Wohnzimmer. Jennifer streckt mir das Telefon entgegen.
„Hallo Nathalie.“
„Hallo Melina.“, sagt Nathalie leise.
„Alles okay?“, frage ich etwas besorgt. Natalie seufzt.
„Hast du heute Zeit für einen Kaffee bei Jasper?“, fragt sie schließlich. Jasper ist der Inhaber eines kleinen Bistros im Stil eines amerikanischen Diners, im Nachbarort.
Nathalie, Verena und ich gehen schon seit vielen Jahren sehr oft dort hin und seit der Silvesterparty dort, vor vier Jahren, sind wir mit dem Inhaber per DU.
„Ja. Klar.“, antworte ich.
„In einer Stunde?“, fragt Nathalie weiter.
„Okay. Dann bis gleich.“, erwidere ich. Wir verabschieden uns und ich lege auf.
„Alles in Ordnung?“, fragt Jennifer.
„Keine Ahnung. Nathalie muss mir offenbar etwas erzählen und irgendwie habe ich das Gefühl, dass es nichts Gutes ist.“, antworte ich. Jennifer schaut mich etwas mitleidig an.
„Wird schon nicht so wild sein.“, sage ich schließlich mit einem aufmunternden Lächeln im Gesicht.
Ich mache mich rechtzeitig auf den Weg, um pünktlich bei Jasper zu sein und parke auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Bistros. Als ich über die Straße gehe, sehe ich Nathalie schon durch die großen Fenster des Bistros an unserem Stammplatz, ganz links neben dem Eingang in der Ecke, direkt am Fenster, sitzen. Sie unterhält sich gerade mit Jasper. Ich packe den großen runden Holzgriff der Eingangstür, die ansonsten komplett aus Glas ist, ziehe die Tür nach außen auf und gehe rein. Julia, die Kellnerin, steht hinter der Theke, die fast über die gesamte Länge des Bistros geht. Sie begrüßt mich mit einem lauten
„Hallo, Melina! Ich komme gleich zu euch!“. Ich winke ihr kurz zu und lächle. Dann gehe ich rüber zu Nathalie und Jasper.
„Hallo meine Liebe!“, ruft Jasper, als er mich sieht, und kommt mit ausgebreiteten Armen ein paar Schritte auf mich zu. Wir umarmen uns kurz.
Jasper ist ein gutaussehender Halbitaliener. Sein Vater war Italiener und seine Mutter Norwegerin. Er wurde in Italien geboren und hat bis zu seinem 10. Lebensjahr auch dort gelebt. Dann sind seine Eltern nach Deutschland gekommen und haben später dieses Bistro eröffnet. Seine Eltern sind leider beide bereits gestorben. Seitdem schmeißt Jasper das Café alleine mit Julia, die seine Eltern bereits eingestellt hatten. Obwohl er eigentlich wirklich gut aussieht, mit einer Größe von 1,85 Metern, dunkelbraunen welligen Haaren, tief dunkelbraunen Augen und einer leicht gebräunten Haut, hat er seit der Scheidung von seiner italienischen Frau vor vier Jahren, keine neue Partnerin mehr gefunden.
„Ich bringe euch erstmal euren Kaffee.“, sagt Jasper, während er mich loslässt und hinter die Theke geht. Nathalie steht auf und umarmt mich kurz. Die Tische haben jeweils immer zwei gegenüberliegende Sitzbänke. Ich setze mich auf die Bank gegenüber von Nathalie, mit dem Rücken zum Eingang, ziehe meine Jacke aus und lege sie neben mich auf die Bank.
„Jasper hat mir gerade erzählt, dass er ein Date hatte.“, erzählt Nathalie breit grinsend. Ich hebe die Augenbauen und schaue sie überrascht an.
„War aber wohl der totale Reinfall. Sie war sehr aufdringlich und wollte auch direkt mit zu ihm nach Hause.“, erzählt sie weiter. Wir müssen beide lachen. Dann wird Nathalies Blick wieder ernster.
„Darum habe ich dich aber nicht hergebeten.“, sagt sie schließlich. Sie holt tief Luft und will gerade anfangen, als Julia unsere Kaffees bringt.
Julia ist Italienerin, hat lange lockige, dunkelbraune Haare, ist etwas größer als ich und hat hellbraune Augen. Sie ist aber in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern sind wieder zurück nach Italien gegangen, wo sie auch immer noch leben. Julia war auch schon mal verheiratet, ist aber seit drei Jahren geschieden. Sie hat zwei Kinder. Einen 13-jährigen Sohn und eine 16-jährige Tochter. Keiner von uns kann verstehen, warum Julia und Jasper nicht schon längst zusammen sind. Julia arbeitet schon seit vielen Jahren im Bistro. Sie und Jasper verstehen sich super. Manchmal hat man das Gefühl, die Funken zwischen den beiden regelrecht hin und her springen zu sehen.
„Möchtet ihr zwei auch noch ein Stück Apfelstreuselkuchen? Der ist gerade frisch fertig geworden.“, fragt Julia mit einem stolzen Lächeln im Gesicht.
Nathalie schaut von ihrer Kaffeetasse hoch und nickt Julia mit einem breiten Grinsen im Gesicht zu. Ich schmunzle nur und bestelle auch ein Stück.
„Kommt sofort, die Damen.“, sagt Julia und verschwindet in der Küche. Nathalie erzählt mir, dass sie vor ein paar Tagen mal wieder versucht hat auch einen Streuselkuchen zu backen. Ich ziehe respektvoll eine Augenbraue hoch und schaue sie an.
„Das ging aber leider in die Hose. Ich schaffe es nicht, die Streusel knusprig zu bekommen. Entweder sind sie noch weich, oder verbrannt.“, jammert Nathalie. Wir müssen beide lachen.
„So. Jetzt aber mal raus mit der Sprache. Was ist los?“, frage ich ungeduldig.
„Okay.“, beginnt Nathalie und holt tief Luft.
Sie will gerade anfangen, als Julia an den Tisch kommt und sie wieder unterbricht. Diesmal mit dem Kuchen.
„So ihr zwei. Lasst ihn euch schmecken. Marco übernimmt die Rechnung.“, sagt Julia breit grinsend und zeigt Richtung Tür. Dann verschwindet sie wieder in der Küche. Nathalie schaut zur Eingangstür und lächelt etwas verkniffen. Ich drehe mich um und sehe Marco. Natürlich winke ich ihn zu uns. Mit einem smarten Lächeln und geschmeidigen Schritten kommt er zu uns rüber geschlendert.
Wie er so auf uns zu kommt denke ich mir, dass Marco schon ein ziemlich gutaussehender Mann ist. Es ist mir ein Rätsel, warum er noch Single ist.
„Hey ihr zwei. Schön euch zu sehen.“, sagt er, als er bei uns ankommt.
„Hallo Bruderherz.“, erwidert Nathalie, macht aber keine Anstalten auf der Bank etwas zur Seite zu rücken, damit Marco sich zu ihr setzten kann.
„Hey Marco.“, sage ich, während ich etwas weiter zum Fenster rücke, damit Marco sich neben mich setzen kann. Er lächelt mich an, nimmt neben mir Platz und legt seinen linken Arm um mich, was Nathalie komischerweise etwas argwöhnisch beobachtet.
„Wie geht es Roland.“, fragt Marco Nathalie schließlich.
Roland ist Nathalies Mann. Er ist nur ein wenig größer als Nathalie, hat kurze blonde, leicht wellige Haare und sehr freundliche liebe blaue Augen. Leider ist er aktuell auch recht übergewichtig, sodass er nun von seinem Arzt Bewegung verordnet bekommen hat und den Rat seine Ernährung umzustellen. Da Marco ja viel Sport treibt und auch auf eine gesunde Ernährung achtet, hat Roland ihn um Hilfe gebeten und vor zwei Tagen waren sie das erste Mal gemeinsam Joggen.
„Er hat Muskelkater und ständig Hunger.“, antwortet Nathalie. Wir müssen alle drei lachen.
„Er hat aber vorgestern wirklich gut durchgehalten und bis zum Schluss mitgemacht.“, berichtet Marco anerkennend.
„Der Anfang ist immer schwer.“, erklärt Marco. Nathalie nickt nachdenklich. Marco zieht eine Augenbraue hoch und schaut Nathalie fragend an.
„Aber sonst ist doch alles okay mit ihm, oder?“, fragt Marco weiter. Nathalie schaut ihn an. Marcos Blick sieht nun etwas besorgt aus.
„Ja. Sonst ist alles in Ordnung mit ihm. Er hat mir auch sehr stolz erzählt, dass er mit so einer Sportskanone wie dir, mithalten konnte.“ Wir lachen wieder. Roland ist wirklich ein lieber Kerl und soweit ich das beurteilen kann auch ein toller Ehemann und klasse Vater.
„Wartet ab. In ein paar Wochen steckt er mich in die Tasche.“, meint Marco schmunzelnd.
„So ihr zwei. Ich muss wieder los.“, sagt Marco schließlich, während er mich näher an sich drückt.
„Danke für die Einladung, Marco.“, sage ich und schaue ihn lächelnd an. Marco drückt mich noch etwas fester an sich.
„Sehr gerne, Melina.“, haucht er mir förmlich zu, schaut mich an und lächelt wieder so Zucker süß. Dann steht er auf.
„Bis bald ihr zwei.“, sagt Marco noch.
„Warte Marco. Ich komme kurz mit raus.“, ruft Nathalie und steht hastig auf. Marco und ich schauen uns etwas verwundert an. Dann nimmt er meine Hand und küsst sie altmodisch. Diese Späße macht er hin und wieder. Dann geht er mit Nathalie nach draußen vor die Tür. Ich drehe mich nach hinten und schaue aus dem Fenster zu den beiden rüber. Es sieht fast so aus, als würde Nathalie mit Marco schimpfen. Marco scheint sich rechtfertigen zu wollen. Dann nickt er nur noch. Sie verabschieden sich mit einer kurzen Umarmung und Nathalie kommt wieder rein und ich drehe mich schnell um.
„Entschuldigung.“, sagt sie, während sie sich hinsetzt.
„Schon Okay. Ist alles in Ordnung bei euch?“, frage ich besorgt.
„Ach, Melina. Es ist kompliziert und eigentlich ist es auch ganz alleine seine Sache. Aber manchmal muss ich einfach meine Meinung sagen.“, antwortet sie.
Ich schaue Nathalie fragend an, beschließe aber nicht weiter nachzuhaken, da ich das Gefühl habe, dass sie dieses Thema jetzt nicht weiter vertiefen möchte.
„Okay. Dann nun zum eigentlichen Grund dieses Treffens.“, sage ich und schaue Nathalie erwartungsvoll an. Nathalie schaut nachdenklich auf ihren leeren Kuchenteller.
„Ja.“, sagt sie langsam.
„Es geht um Verena.“, fährt sie fort.
„Das habe ich mir schon fast gedacht.“, erwidere ich.
„Habt ihr euch auf Marcos Party gestritten?“, frage ich
„Nein. Nicht direkt.“, antwortet Nathalie. Ich schaue sie fragend an.
„Du weißt doch, dass Verena auf Marco steht.“, fragt sie. Ich nicke.
„Aber das weiß doch mittlerweile jeder.“, antworte ich. Nathalie schmunzelt vorsichtig.
„Und Marco hat es auch endlich bemerkt.“, erzählt sie. Nathalies Blick sieht etwas genervt aus. Man muss wissen, dass Marco es mit den Frauen auch nicht leicht hat.
Marco wurde früher in der Schule gemobbt, weil er viel zu dick war. Er hatte bereits mit zwölf Jahren Diabetes und Bluthochdruck durch sein Übergewicht und musste Medikamente nehmen. Erst spät hatte er seine erste Freundin. Seine Freundin war auch sehr kräftig. Die beiden waren aber nur ein Jahr zusammen. Nach der Trennung flüchtete Marco sich wieder ins Essen. Marcos Arzt schockte ihn dann irgendwann mit der Aussage, dass er nicht mehr lange lebt, wenn er nicht sofort abnehmen würde. Dies hatte ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt. Von da an ging er regelmäßig ins Fitnessstudio. Dort lernte er dann Sandra kennen, die auch sehr übergewichtig war. Gemeinsam kämpften sie gegen ihre überflüssigen Pfunde. Nach zwei Jahren heirateten sie. Sie waren beide top fit. Diabetes und Bluthochdruck waren weg und sie hatten beide gut trainierte und gesunde Körper.
Marco zog es irgendwann vor, sich nun nicht mehr ganz so streng an eine kalorienarme Ernährung zu halten und auch ab und zu mal zu sündigen, was laut seinem Arzt und dem Fitnesstrainer völlig in Ordnung war. Seine Frau sah das aber anders. Darüber gab es zwischen den beiden immer wieder Streit. Es schien fast so, als ob der Kampf gegen die überflüssigen Kilos ihre einzige Gemeinsamkeit war. Und jetzt, wo es Marco nicht mehr so wichtig war, gab es scheinbar nichts mehr, was die beiden verband. Schließlich trennte sich seine Frau von ihm und kam mit ihrem Fitnesstrainer zusammen. Das hatte Marco damals schwer mitgenommen. Aber er hat nicht wieder angefangen zu viel zu essen.
Die Scheidung ist nun auch schon über sechs Jahre her, aber Marco hatte seitdem keine längere Beziehung mehr. Er merkt es auch nie von alleine, wenn ihm eine Frau eindeutige Signale sendet, dass sie Interesse an ihm hat. Da müssen immer Nathalie oder ich nachhelfen, was wir ja eigentlich süß finden, aber im Grunde ist es doch sehr traurig, dass so ein liebenswerter und gutaussehender Mann wie Marco noch Single ist.
„Warum schaust du denn so genervt? Das ist doch schön, dass er es mal von ganz alleine bemerkt hat, ohne dass eine von uns nachhelfen musste!“, sage ich grinsend. Nathalie schaut mich besorgt an. Mein Grinsen verschwindet sofort wieder.
„Okay. Nun sag schon. Wo ist das Problem?“, frage ich energisch.
„Du bist das Problem.“, platzt es aus Nathalie heraus. Mit weit aufgerissenen Augen und leicht offenem Mund starre ich Nathalie an. Ich brauche einen Moment, um mich wieder zu sammeln.
„Wie bitte!?! Wieso ich!?! Was habe ich denn damit zu tun!?! frage ich. Nathalies Blick wird wieder etwas weicher.
„Du kannst ja eigentlich nichts dafür, dass du das Problem bist.“, fährt sie fort. Jetzt bin ich komplett verwirrt und das sieht man mir scheinbar auch sehr deutlich an. Nathalie schmunzelt ein wenig.
„Also. Verena hat auf der Party gestern immer wieder Marcos Nähe gesucht und versucht ihn zu überreden, mit ihr nächsten Samstag Bowlen zu gehen. Er sagte ihr, er würde mal schauen, aber das wollte sie nicht akzeptieren. Marco war dann irgendwann etwas genervt und hat mich gebeten, mit Verena zu sprechen. Ich sollte sie bitten, Marco in Ruhe zu lassen, was ich natürlich erstmal nicht gemacht habe.“ Ich höre Nathalie aufmerksam zu und nicke immer wieder.
„Irgendwann kam Marco dann zu mir und fragte mich ganz direkt, ob Verena was von ihm will. Ich nickte nur und Marco ging genervt weg.“, erzählt sie weiter. -Ob das der Moment war, als er dann zu mir raus auf die Terrasse kam?-
„Er ging Verena von da an aus dem Weg und man konnte ab und zu sehen, dass er regelrecht vor ihr flüchtete. Ich dachte mir, dass ich es ihr doch jetzt besser sagen sollte, dass Marco kein Interesse an ihr hat. Ich konnte sie aber nirgendwo finden. Plötzlich stand sie wütend hinter mir und sagte, dass sie jetzt weiß, warum aus ihr und Marco nichts werden würde. Er hätte etwas mit dir am Laufen.“ Wieder schaue ich Nathalie mit weit aufgerissenen Augen an.
„Das wüste ich aber!“, platzt es aus mir raus, als ich mich wieder gefangen habe.
„Ich habe Verena gesagt, dass ich das nicht glaube. Dann zog sie mich an die Fenster zur Terrasse. Du saßt mit Marco auf dem Sofa draußen. Er hatte seinen Arm um dich gelegt und streichelte deinen Oberarm. Du hattest deinen Kopf an seine Schulter angelehnt und er hatte seinen Kopf an deinen gelegt. In jedem anderen Moment hätte ich das total süß gefunden, aber gerade jetzt konnte ich Verena nicht widersprechen. Ihr saht wirklich aus, wie ein glücklich verliebtes Paar.“, erklärt Nathalie.
„So ein Blödsinn.“, protestiere ich.
„Wir sind nur gute Freunde, dass weißt du doch! Marco hat mich nur getröstet.“, erkläre ich empört.
„Also war sie auf dem Heimweg gar nicht auf dich sauer, sondern auf mich?“, frage ich.
„Ja.“, antwortet Nathalie nur kurz.
„Oh man. Das muss ich schleunigst klarstellen.“, sage ich genervt. Nathalie nickt nur. Dann bekommt sie plötzlich eine Nachricht auf ihr Handy. Diese Nachricht scheint ihr aber nicht zu gefallen. Sie verzieht kurz das Gesicht und packt ihr Handy in ihre Tasche. Dann nehmen wir unsere Sachen, verabschieden uns von Julia und Jasper und gehen raus.
Wir ziehen uns gerade draußen vor der Tür noch unsere Jacken an, als mein Handy klingelt. Es ist Marco.
„Hallo Marco.“, sage ich. Nathalie schaut mich entsetzt an.
„Hallo Melina. Schön, dass ich dich erreiche. Bist du noch mit Nathalie bei Jasper?“, fragt er.
„Wir stehen noch vor der Tür und wollten gerade gehen.“, antworte ich.
„Du, Melina. Können wir vielleicht…“, ich muss Marco unterbrechen. Nathalie fuchtelt wild mit ihren Händen.
„Gib mir Marco bitte mal schnell!“, sagt sie hektisch.
„Marco warte kurz. Nathalie möchte dich sprechen.“, irritiert gebe ich Nathalie mein Handy.
„Hi. Ich wollte dich nur noch mal an das erinnern, was wir besprochen haben.“ Was Marco antwortet, kann ich natürlich nicht hören.
„Nein! Ich komme gleich mal vorbei. Nein Marco. Lass es. Bis gleich!“, faucht Nathalie. Ich bin überrascht. So wütend sieht man Nathalie kaum. Sie legt auf und gibt mir mein Telefon wieder. Ich bin etwas irritiert, denn eigentlich hat Marco mich ja angerufen, weil er mich etwas fragen wollte. Ich ziehe es aber vor, mich jetzt nicht zu beschweren, dass Nathalie einfach aufgelegt hat, denn offensichtlich gibt es ein Problem zwischen Nathalie und Marco, über das Nathalie aber nicht sprechen will. Also verabschieden wir uns nur voneinander und gehen in unterschiedliche Richtungen zu unseren Autos. Ich gehe davon aus, dass Marco sich sicher nochmal melden wird und fahre wieder nach Hause.
Jennifer kommt gerade mit Maja von einem Spaziergang zurück. Anna ist auch da und hat einen Gemüseeintopf gekocht mit veganen Hackbällchen. Wir setzen uns an den Esstisch und essen gemeinsam zu Mittag. Anna kann wirklich sehr gut kochen. Während des Essens fragt Anna mich und Jennifer, ob sie wieder zuhause einziehen kann. In der WG gibt es immer wieder Ärger mit einem Mitbewohner und sie hat einfach keinen Nerv mehr darauf. Natürlich ist es für uns in Ordnung. Sie hat ja eh noch ihr eigenes Zimmer bei uns.
„Es war mal wieder köstlich.“, lobe ich Anna. Jennifer stimmt mir sofort zu.
„Danke schön.“, sagt Anna stolz mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ich lächle sie an und wir räumen gemeinsam den Tisch ab. Jennifer und Anna gehen anschließend in ihre Zimmer. Ich räume noch die Spülmaschine ein und mache mir noch eine Tasse Kaffee.
Ich schaue zu, wie der Kaffee aus dem Vollautomaten in meine Tasse läuft und muss an Marco denken. Warum hat er mich bloß vorhin angerufen? Und warum hat er sich nicht nochmal gemeldet. Ich mache das Radio an und setzte mich mit meiner Tasse Kaffee auf die Couch. Wie kann Verena nur glauben, dass zwischen mir und Marco etwas laufen würde. Ja, wir sind gut befreundet und ich sehe Marco häufig. Zum Beispiel, wenn er eine Party macht oder wenn es in seiner Familie etwas zu feiern gibt. Nathalies und Marcos Eltern laden mich zu jedem Familienfest ein. Für sie gehören ich und meine Mädels, immer noch mit zu ihrer Familie und dürfen deshalb nirgendwo fehlen.
Ja. Marco und ich verstehen uns sehr gut, und manchmal flirteten wir auch spaßig miteinander. Aber eben nur aus Spaß. Eigentlich sind wir nur gute Freunde. Ich weiß, ich kann mich immer auf ihn verlassen. Seine Worte und seine Umarmung gestern auf seiner Terrasse haben einfach nur sehr gutgetan. Dann nehme ich mein Handy und rufe Verena an, um ihr die Situation mit Marco auf der Terrasse zu erklären. Sie ist hörbar erleichtert, erzählt mir aber dann, dass sie auch kein Interesse mehr an Marco hat. Sie hat jemand anderen kennengelernt. Andreas heißt er und kommt seit Kurzem regelmäßig in das Fitnessstudio, in dem sie arbeitet. Heute Morgen hat er sie dann angesprochen und zum Essen eingeladen. Ich bin sehr erleichtert über diese Entwicklung.
Die folgenden Wochen sind beruflich sehr anstrengend und ich brauche die Wochenenden für mich, um runterzukommen. Verena schwebt auf Wolke sieben mit Andreas und ist viel mit ihm unterwegs. Nathalies Sohn David macht ihr und Roland Sorgen. Er wird immer schlechter in der Schule. So sind wir alle sehr mit unseren eigenen Dingen beschäftigt und schreiben uns nur ab und zu mal eine Nachricht über das Handy.
Die Zeit verging mal wieder so schnell und schon steht Weihnachten vor der Tür.
Den Heiligen Abend verbringe ich mit Jennifer und Anna alleine bei uns zuhause. Den ersten Feiertag sind wir bei Sina und Ron zum Essen eingeladen. Sina und ihre Eltern kenne ich auch noch aus der Zeit, wo ich mit meinem Vater und meinem Onkel die Wochenenden an der Rennstrecke verbracht habe. Sina habe ich wieder getroffen, als ich das erste Mal nach vielen Jahren, wieder an der Rennstrecke war. Auch Sina hatte ich seit dem Streit zwischen meinen Eltern und meinem Onkel, nicht wiedergesehen. Am 2. Feiertag bin ich dann mit Jennifer und Anna bei Luisa und Justus zum Abendessen, mit Nathalie, Roland, ihrem Sohn David und Marco natürlich. Silvester ist Anna auf einer Party und Jennifer, ihr Freund Lukas und ich bleiben zuhause.
Nach dem Jahreswechsel kehrt bei Nathalie, Verena und mir langsam wieder etwas Ruhe ein und wir treffen uns wieder regelmäßig bei Jasper.
Ich bin so froh, dass der letzte Schnee verschwunden ist und die Tage sichtbar wieder länger werden. Es ist Anfang März und die ersten Zugvögel kehren zurück. Ich liebe diese Zeit, wenn die Zugvögel in ihren Formationen am Himmel entlang fliegen.
Es ist Ostersonntag. Anna, Jennifer und ich sind wieder bei Luisa und Justus zum Kaffee eingeladen, mit Nathalie, Roland, David und Marco. Wir müssen dort tatsächlich alle noch unsere Ostergeschenke von Luisa und Justus im Garten suchen. Es ist immer sehr lustig.
Beruflich fängt bei mir nun aber die stressige Phase an. Nathalie hat wieder Probleme mit ihrem Sohn und Verena ist viel mit ihrem Freund unterwegs. So sehen wir drei uns wieder seltener.
Es ist Freitagnachmittag und ich habe mal wieder eine anstrengende Arbeitswoche geschafft. Plötzlich kommt Jennifer zu mir in die Küche gerannt.
„Mama.“, sagt sie unterwürfig. Ich schaue gerade dem Kaffeevollautomaten dabei zu, wie er den Kaffee in meine Tasse laufen lässt.
„Ja.“, antwortete ich, während ich zu ihr hochschaue. Sie hält einen Brief in der Hand.
„Es tut mir so leid. Der lag zwischen den Prospekten, die ich vor einer Weile aus dem Briefkasten geholt, und direkt mit in mein Zimmer genommen habe.“ Jennifer reicht mir den Brief. Ich nehme ihn ihr aus der Hand und werfe ihr einen ernsten Blick zu. Hastig öffne ich ihn. Es ist eine Einladung zu Marcos Geburtstag. Den habe ich bei dem Stress total vergessen.
„Auweia!“, platzt es aus mir heraus.
„Das ist morgen!“, stelle ich entsetzt fest.
„Oh man, Jennifer!“, schimpfe ich und werfe den Brief auf den Esstisch.
„Es tut mir wirklich leid.“, sagt sie traurig und senkt den Kopf.
„Schon okay. Ist ja jetzt nicht mehr zu ändern.
Dann überlege ich jetzt mal schnell, was ich Marco schenken soll oder ob ich überhaupt hingehe.“, antworte ich.
„Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann mache ich das sofort.“, jammert Jennifer.
„Ne ne. Ist schon gut. Mir wird schon etwas einfallen.“, sage ich und setze mich mit meiner Tasse Kaffee auf die Couch. Jennifer geht wieder in ihr Zimmer.
Ich überlege, ob ich wirklich zu Marcos Geburtstag gehen soll. So schnell werde ich doch jetzt kein vernünftiges Geschenk finden. Andererseits könnte ich ihn dann ja mal fragen, warum er mich angerufen hatte, als ich mit Nathalie bei Jasper war. -Blödsinn. Das ist Wochen her-. Es war scheinbar nicht wichtig. In dem Moment ruft Nathalie an.
„Hallo Nathalie!“.
„Hallo Melina! Du hör mal. Marco ist gerade bei mir und hat mir erzählt, dass er von dir noch keine Rückmeldung auf seine Geburtstagseinladung erhalten hat. Kommst du morgen etwa nicht?", fragt sie.
„Die Einladung habe ich vor fünf Minuten erst erhalten. Jennifer hatte sie versehentlich mit ein paar Prospekten mit in ihr Zimmer genommen.“, erzähle ich.
„Achherrje! Aber dann kommst du morgen?“, fragt Nathalie nochmal.
„Ja. Natürlich. Ich lasse es mir doch nicht nehmen, dem alten Mann persönlich zu gratulieren.“, antworte ich lachend. Nathalie lacht ebenfalls.
„Sehr schön. Dann sage ich Marco Bescheid. Er ist gerade oben bei David. Irgendwie scheint Marco der Einzige zu sein, der momentan noch einen Zugang zu David bekommt.“, erzählt Nathalie.
„Ich drücke euch die Daumen.“, erwidere ich.
„Danke, Mel. Dann bis morgen. Ich freue mich schon so darauf, endlich mal wieder in Ruhe mit dir zu quatschen. Verena bringt übrigens ihren Freund mit.“, erzählt Nathalie.
„Wie schön! Ist es immer noch dieser Andreas?“, frage ich.
„Ja. Immer noch derselbe Andreas.“, antwortet sie mit einem leichten Lachen in der Stimme.
„Na dann bis morgen und liebe Grüße an alle.“, sage ich noch.
„Mache ich. Bis morgen, Mel.“ Dann legen wir auf. So. Die Frage, ob ich überhaupt auf Marcos Geburtstagsparty gehen soll, kann ich ja nun streichen. Bleibt jetzt nur noch die Frage, was ich ihm schenken soll. Mir fällt einfach nichts Passendes für ihn ein. Ich erinnere mich daran, was Marco mal zum Thema "Leute beschenken“ gesagt hatte.
“Wenn du die zu beschenkende Person nicht sehr gut kennst, dann kannst und musst du für diese Person nicht das perfekte Geschenk haben. Ist dir die zu beschenkende Person aber sehr wichtig und du weißt, dass auch du dieser Person sehr wichtig bist, egal auf welcher menschlichen Ebene, dann schenke dieser Person einfach etwas, über das auch du dich selbst freuen würdest.“
Also gut. Worüber würde ich mich freuen? Schmuck, Parfum, Schuhe. Aber das ist doch alles nichts für Marco. Er trägt zwar Schmuck, hat auch sehr viele Schuhe und ein gutes Parfum leistet er sich auch immer wieder mal gerne. Aber einen Gutschein für einen Schmuck-, Schuh- oder Parfumladen will ich ihm auf keinen Fall schenken. Da fällt mir ein, dass ich Marco mal von meinem Kurzurlaub in den Weinbergen und der Weinprobe auf einem wunderschönen Weingut in Lustadt erzählt hatte. Er war total begeistert und wollte unbedingt auch mal dort hin. -Perfekt! Das ist es!- Ich rufe also sofort in dem Weingut an, wo ich damals war, und lasse mir einen Gutschein für eine Weinprobe inkl. Führung über das Weingut, durch die angrenzenden Weinberge und eine Übernachtung mit Frühstück senden. Das Geld überweise ich sofort per Kreditkarte. Dann drucke ich den Gutschein aus und kaufe noch eine Geburtstagskarte, auf der ein Weinberg abgebildet ist. In die Karte schreibe ich:
Happy Birthday Marco!
Ich wünsche dir alles Gute
zum Geburtstag.
Hab einen schönen Kurzurlaub
in den Weinbergen.
Alles Liebe
Mel
Jennifer ist an dem Wochenende bei ihrem Freund und Anna bei einer Freundin. So habe ich einen entspannten Freitagabend allein. Ich lasse mir ein Bad ein, stelle eine Duftkerze mit einem Beerenduft auf den inneren Badewannenrand und nehme mir ein Glas Rotwein. Ich stelle das Glas Wein neben die Kerze und steige langsam in das angenehm warme Wasser. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Geschenk für Marco und freue mich nun darauf, ihn und Nathalie wiederzusehen.
Ich gehe nach dem Bad früh schlafen und wache daher am nächsten Morgen schon sehr früh auf. Irgendwie bin ich tatsächlich nervös wegen der Party. Gegen siebzehn Uhr gehe ich duschen und überlege danach, was ich anziehen soll. Ich stehe vor meinem Kleiderschrank. Es ist noch immer sehr warm draußen und soll sich heute auch nicht wirklich abkühlen zum Abend hin. Ich entscheide mich also für ein beigefarbenes Sommerkleid mit etwas breiteren Trägern und den beigefarbenen Riemchensandalen mit Blockabsatz. Dazu trage ich goldene Ohrringe mit kleinen goldenen Sonnenblumen und einem kleinen Diamanten in der Mitte, eine goldene Kette mit einer goldenen Sonne als Anhänger und am linken Handgelenk ein goldenes Armband mit drei kleinen Anhängern daran. Eine Sonne, einen Mond und eine Sonnenblume. Meine blonden langen Haare trage ich offen. Da ich weder Make-up noch Leadschatten im Gesicht vertragen kann, trage ich nur noch etwas Mascara auf und fertig bin ich. Ich stelle mich vor den großen Ganzkörperspiegel im Schlafzimmer und werfe mir einen prüfenden Blick zu.
-Ja. So darfst du gehen.-, sage ich zu meinem Spiegelbild. Ich lege noch etwas Parfum auf und schaue auf die Uhr.
-Perfektes Timing. Ich muss los.-, stelle ich fest.
Ich nehme für den Abend sicherheitshalber noch meine kurze, dünne, weiße Strickjacke mit, nehme den Umschlag mit dem Gutschein, stecke ihn in meine kleine beigefarbene Handtasche und mache mich auf den Weg. Diesmal muss ich selbst fahren. Verena kommt mit ihrem Freund etwas später und Nathalie ist schon lange bei Marco, um bei den Vorbereitungen zu helfen.
Ich steige in mein Auto und fahre los. Auf dem Weg zu Marco gehen mir tausend Gedanken durch den Kopf, wie der Abend verlaufen könnte. Ich hoffe, dass ich nicht wieder so nervig angebaggert werde. Es ist mir immer irgendwie unangenehm, die Herren dann höflich zurückzuweisen.
Als ich bei Marco ankomme, sind seine Einfahrt und beide Straßenseiten vor seinem Haus bereits zugeparkt und ich muss in einer Seitenstraße parken. Auf dem Weg zu Marcos Haus kann ich schon die lauten Stimmen, das Lachen und die Musik hören. Als ich auf dem Weg zum Hauseingang ankomme, geht die Haustür auf und zwei mir unbekannte Frauen laufen kichernd links über die Wiese, Richtung Garten. Die Tür haben die zwei netterweise offengelassen. Ich gehe ins Haus und schließe die Tür hinter mir.
Es ist sehr voll. Ich beschließe also erstmal, an die Bar zu gehen und bestelle mir ein Glas Sekt, um mit Marco gleich anstoßen zu können. Hinter der Bar ist wieder die nette junge Frau, die auch auf Marcos letzter Party hinter der Bar stand. Ich schaue mich um, auf der Suche nach Marco und Nathalie. Das Buffet ist wieder gegenüber der Bar am anderen Ende des Raumes.
Plötzlich sehe ich Nathalie mit einem Tablett links neben dem Buffet aus der Küche kommen. Zügig gehe ich rechts an der Fensterfront entlang zu ihr. Das Tablett hat sie bereits auf dem Buffet abgestellt und will gerade zurück in die Küche gehen.
„Hey Nathalie. Kann ich helfen?“, frage ich. Nathalie drehte sich zu mir um.
„Melina!!! Endlich bist du da!!!“, ruft sie erleichtert, kommt auf mich zu und wir umarmen uns.
„Warum endlich?“, frage ich lachend.
„Ich habe Marco gesagt, dass ich nur so lange helfe, bis du hier bist.“, antwortet sie. Ich schmunzle nur kurz.
„Wo ist denn das Geburtstagskind?“, frage ich schließlich.