Memoiren eines Arztes (Historische Romane) - Dumas Alexandre - E-Book

Memoiren eines Arztes (Historische Romane) E-Book

Dumas Alexandre

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Beschreibung

Dieses eBook: "Memoiren eines Arztes (Historische Romane)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Memoiren eines Arztes (Mémoires d'un médecin) ist ein Roman-Zyklus von Alexandre Dumas dem Älteren aus den Jahren 1846 bis 1853. Er besteht aus den vier Romanen Joseph Balsamo, Das Halsband der Königin, Ange Pitou und Die Gräfin von Charny. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der einflussreiche Schwarzkünstler und Freimaurer Giuseppe Balsamo, der sich voll Tatendrang in die Wirren der beginnenden Französischen Revolution wirft, die bereit ist, eine 1200jährige verblendete Dynastie zu zerstören. Um diese Zentralfigur erzählt Dumas in einer Fülle dramatisch ineinander verwobener Schicksale den Niedergang und Fall des Ancien Régime in Frankreich in einem Zeitraum von 1769 bis 1793. Alexandre Dumas der Ältere (1802-1870) war ein französischer Schriftsteller. Ein Markenzeichen von Dumas' Romanen sind fiktive oder pseudohistorische Protagonisten (zum Beispiel der Musketier d'Artagnan), deren Abenteuer in einen Kontext historischer Ereignisse und historischer Persönlichkeiten gestellt werden. Die bekanntesten, immer wieder aufgelegten und nicht nur von Jugendlichen gelesenen Romane sind: Die drei Musketiere, Zwanzig Jahre danach, Königin Margot, Der Graf von Monte Christo und Der Mann mit der eisernen Maske, Das Halsband der Königin.

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Alexandre Dumas

Memoiren eines Arztes (Historische Romane)

Roman-Zyklus: Joseph Balsamo + Das Halsband der Königin + Ange Pitou + Die Gräfin von Charny

e-artnow, 2015
ISBN 978-80-268-3704-6

Inhaltsverzeichnis

Joseph Balsamo
Das Halsband der Königin
Ange Pitou
Die Gräfin Charny

Joseph Balsamo

Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Der Sturm
II. Althotas
III. Lorenza Feliciani
IV. Gilbert
V. Der Baron von Taverney
VI. Andrée von Taverney
VII. Eureka
VIII. Anziehungskraft
IX. Die Seherin
X. Nicole Legay
XI. Zofe und Gebieterin
XII. Bei Tage
XIII. Philipp von Taverney
XIV. Marie Antoinette Josephe
XV. Magie
XVI. Der Baron von Taverney erlaubt endlich eine kleine Ecke der Zukunft im Helldunkel zu erblicken
XVII. Die fünf und zwanzig Louis d'or von Nicole
XVIII. Abschied von Taverney
XlX. Der Thaler von Gilbert
XX. Worin Gilbert anfängt, nicht mehr so sehr zu bedauern, daß er seinen Thaler verloren
XXI. Worin man mit einer neuen Person Bekanntschaft macht
XXII. Der Vicomte Jean
XXIII. Das kleine Lever der Frau Gräfin Dubarry
XXIV. Der König Ludwig XV
XXV. Die Salle des Pendules
XXVI. Der Hof des Königs Pétaud
XXVII. Frau Louise von Frankreich
XXVIII. Loque, Chiffe und Graille
XXIX. Frau von Béarn
XXX. Der Vice
XXXI. Das Patent von Zamore
XXXII. Der König langweilt sich
XXXIII. Der König belustigt sich
XXXIV. Voltaire und Rousseau
XXXV. Pathin und Täufling
XXXVI. Die fünfte Verschwörung des Marschall von Richelieu
XXXVII. Weder Friseur, noch Staatskleid, noch Carrosse
XXXVIII. Die Vorstellung
XXXIX. Compiègne
XL. Die Beschützerin und der Schützling
XLI. Der Arzt wider Willen
XLII. Der Greis
XLIII. Der Botaniker
XLIV. Herr Jacques
XLV. Die Mansarde von Herrn Jacques
XLVI. Wer Herr Jacques war
XLVII. Die Frau des Zauberers
XLVIII. Die Bürger von Paris
XLIX. Die Carrossen des Königs
L. Die Besessene
LI. Der Graf von Fönix
LII. Seine Eminenz der Cardinal von Rohan
LIII. Die Rückkehr von Saint-Denis
LIV. Der Pavillon
LV. Das Haus der Rue Saint. Claude
LVI. Die doppelte Existenz. — Der Schlaf
LVII. Die doppelte Existenz. — Das Wachen
LVIII. Der Besuch
LIX. Das Gold
LX. Das Lebenselixir
LXI. Die Erkundigung
LXII. Die Wohnung der Rue Plastrière
LXIII. Feldzugsplan
LXIV. Was Herr de la Baugnyon, dem Hofmeister der Kinder von Frankreich, am Abend der Hochzeit von Monseigneur dem Dauphin begegnete
LXV. Die Hochzeitnacht des Herrn Dauphin
LXVI. Die Feste der Place Louis XV
LXVII. Das Feuerwerk
LXVIII. Das Todtenfeld
LXIX. Die Rückkehr
LXX. Herr von Jussieu
LXXI. Das Leben kehrt zurück
LXXII. Luftreise
LXXIII. Der Bruder und die Schwester
LXXIV. Was Gilbert vorhergesehen hatte
LXXV. Die Botaniker
LXXVI. Die Philosophen-Mäusefalle
LXXVII. Der Apolog
LXXVIII. Der Gutgenug Seiner Majestät Ludwig XV
LXXIX. Wie König Ludwig XV. mit seinem Minister arbeitet
LXXX. Klein-Trianon
LXXXI. Die Verschwörung knüpft sich wieder an
LXXXIl. Die Jagd auf den Zauberer
LXXXIII. Der Courier
LXXXV. Die Beschwörung
LXXXVI. Die Stimme
LXXXVII. Ungnade
LXXXVIII. Der Herr Herzog von Aiguillon
LXXXIX. Der Antheil des Königs

Einleitung

Inhaltsverzeichnis

I. Der Donnersberg

Auf dem linken Rheinufer, ein paar Stunden von der kaiserlichen Stadt Worms, unfern von der Stelle, wo der Selzbach entspringt, beginnen die ersten Kettenglieder von mehreren Bergen, deren Höhen sich gegen Norden zu flüchten scheinen, wie eine Heerde erschrockener Büffel, welche im Nebel verschwinden würde.

Diese Berge beherrschen schon von ihrer Böschung an eine beinahe öde Landschaft, scheinen das Gefolge des höchsten derselben zu bilden und tragen jeder einen ausdrucksvollen Namen, der eine Form bezeichnet oder an eine Tradition erinnert: der eine ist der Königsstuhl, der andere der Rosenstein, der dritte der Falkenfels, der vierte der Schlangenkopf.

Derjenige, welcher am höchsten, seine Granitstirne mit einem Trümmerkranze umgürtend, zum Himmel emporragt, ist der Donnersberg.

Wenn der Abend den Schatten der Eichen verdichtet, wenn die letzten Sonnenstrahlen hinsterbend die hohen Gipfel dieser Riesenfamilie vergolden, so ist es, als steige allmälig die Stille von diesen erhabenen Stufen des Himmels bis zur Ebene herab und ein unsichtbarer, mächtiger Arm entwickle, um ihn über die durch das Geräusch und die Arbeiten des Tages ermüdete Welt auszubreiten, den langen, bläulichen Schleier, auf dessen Grunde die Sterne funkeln. Dann geht Alles unmerklich vom Wachen zum Schlafe über; Alles entschlummert auf der Erde und in der Luft.

Allein mitten in diesem Stillschweigen, verfolgt der bereits von uns erwähnte Selzbach, wie man ihn im Lande nennt, seinen geheimnißvollen Lauf unter den Tannen des Ufers, und obgleich ihn weder Tag noch Nacht aushalten, denn er muß sich in den Rhein werfen, der seine Ewigkeit ist, obgleich ihn nichts aufhält, sagen wir, ist doch der Sand seines Bettes so frisch, sind seine Schilfrohre so biegsam, seine Felsen so gut mit Moos und Steinbrech wattirt, daß keine seiner Wellen rauscht von Morsheim, wo er beginnt, bis Freiweinheim, wo er endigt.

Etwas oberhalb seines Ursprungs, zwischen Albisheim und Kirchheim-Bolanden, führt eine gekrümmte, zwischen zwei abschüssigen Wänden ausgehöhlte und von tiefen Geleisen durchfurchte Straße nach Dannenfels. Jenseits Dannenfels wird die Straße ein Fußpfad, dann nimmt der Fußpfad ab, verschwindet, verliert sich, und das Auge sucht vergebens auf dem Boden etwas Anderes, als den ungeheuren Abhang des Donnersbergs, dessen geheimnißvoller Gipfel, so oft vom Feuer des Herrn heimgesucht, das ihm seinen Namen gegeben hat, sich hinter einem Gürtel von grünen Bäumen wie hinter einer undurchdringlichen Mauer birgt.

Ist der Reisende einmal unter diesen Bäumen angelangt, welche so blätterreich, so buschreich sind, wie die Eichen der alten Dodona, so kann er seinen Weg fortsetzen, ohne daß man ihn, selbst am hellen Tage, von der Ebene aus gewahr wird, und wäre sein Pferd mit Schellen behängt, wie ein spanisches Maulthier, so würde man sein Geräusch doch nicht hören; wäre es mit Sammet und Gold bedeckt, wie das Roß eines Kaisers, so würde doch kein Strahl von Gold oder Purpur das Blätterwerk durchdringen, so sehr erstickt die Dichtheit des Waldes das Geräusch, so sehr tilgt die Dunkelheit seines Schattens die Farben.

Noch heute, wo die höchsten Berge einfache Beobachter geworden sind, noch heute, wo die poetischen Legenden des furchtbarsten Inhalts nur ein Lächeln des Zweifels auf den Lippen des Reisenden hervorrufen, noch heute erschreckt diese Einsamkeit und macht diesen Theil der Gegend so ehrwürdig, wo nur einzelne Häuser von gebrechlichem Aussehen, verlorene Schildwachen der benachbarten Dörfer, allein in einiger Entfernung von dem Zaubergürtel zum Vorschein kommen, um die Anwesenheit des Menschen in dieser Landschaft zu bezeugen.

Die Bewohner der in der Einsamkeit verlorenen Häuser sind Müller, welche lustig den Fluß ihr Korn zermalmen lassen, dessen Mehl sie nach Rockenhausen und Alzey bringen, oder Hirten, die ihr Vieh auf die Waide in den Bergen führen, und zuweilen sammt ihren Hunden bei dem Geräusche einer hundertjährigen Tanne beben, welche aus Altersschwäche in die unbekannten Tiefen des Waldes niederstürzt.

Denn die Erinnerungen der Gegend sind düsterer Natur und der Fußpfad, der sich jenseits Dannenfels mitten unter dem Heidekraut des Gebirges verliert, hat nicht immer, wie die Muthigsten sagen, ehrliche Christen in den Hafen des Heils geführt.

Vielleicht hat einer von den heutigen Bewohnern einst von seinem Vater oder von seinem Großvater erzählen hören, was wir jetzt selbst zu erzählen versuchen wollen.

Am 6. Mai 1770, in der Stunde, wo die Wasser des großen Flusses sich mit einem rosig weißen Reflexe färben, das heißt in dem Augenblick, wo für das ganze Rheingau die Sonne hinter der Thurmspitze des Münsters von Straßburg untergeht, das sie in zwei feurige Hemisphären zerschneidet, erschien ein Mann, nachdem er durch Alzey und Kirchheim-Bolanden geritten war, jenseits des Dorfes Dannenfels, folgte dem Fußpfade, so lange derselbe sichtbar blieb, stieg sodann, als jede Spur des Weges verschwand, von seinem Pferde, nahm es beim Zügel und band es ohne Zögern an die erste Tanne des furchtbaren Waldes.

Das Thier wieherte sehr unruhig und der Wald schien bei diesem ungewohnten Geräusch zu beben.

„Gut! gut!“ murmelte der Reisende; „beruhige dich, mein guter Dscherid; wir haben zwölf Stunden zurückgelegt und du bist wenigstens am Ziele deines Laufes angelangt.“

Und der Reisende suchte mit dem Blicke die Tiefe des Blätterwerks zu ergründen; aber die Schatten waren bereits so undurchsichtig, daß man nur die schwarzen Massen unterschied, welche sich von andern, noch dichter schwarzen Massen abhoben. Nach dieser unfruchtbaren Forschung wandte sich der Reisende zu dem Thiere um, dessen arabischer Name zugleich seinen Ursprung und seine Schnelligkeit bezeichnete, nahm es mit beiden Händen unten am Kopfe, näherte die rauchenden Nüstern desselben seinem Munde und sprach:

„Lebe wohl, mein braves Pferd; wenn ich dich nicht wiedersehe, lebe wohl.“

Diese Worte waren von einem raschen Rundblicke begleitet, als hätte der Reisende gehört zu werden befürchtet oder gewünscht.

Das Pferd schüttelte seine seidene Mähne, stampfte mit dem Fuße auf den Boden, und wieherte mit jenem Wiehern, wie es dieses Thier bei Annäherung des Löwen in der Wüste hören lassen mußte.

Der Reisende bewegte diesmal nur den Kopf von oben nach unten, mit einem Lächeln, als wollte er sagen:

„Du täuschest dich nicht, Dscherid, die Gefahr ist hier.“

Ohne Zweifel zum Voraus entschlossen, die Gefahr nicht zu bekämpfen, nahm der abenteuerliche Unbekannte aus seinem Sattelbogen zwei schöne Pistolen mit ciselirten Läufen und mit Kolben von Vermeil, zog mit dem Krätzer die Ladung heraus, warf den Pfropf und die Kugel weg und schüttete das Pulver auf den Boden

Als dies bewerkstelligt war, steckte er die Pistolen in die Holfter.

Das ist noch nicht Alles.

Der Reisende trug an seinem Gürtel einen Säbel mit stählernem Griffe; er schnallte die Kuppel los, wickelte sie um den Säbel, schob das Ganze unter den Sattel und befestigte es mit dem Steigriemen so, daß die Spitze des Säbels nach der Weiche des Pferdes und der Griff nach der Schulter sah.

Nachdem diese seltsamen Förmlichkeiten erfüllt waren, schüttelte der Reisende seine staubigen Stiefeln, zog seine Handschuhe aus, suchte in seinen Taschen, fand darin eine Scheere und ein Federmesser mit einem Schildkrothefte, und warf Beides über seine Schulter, ohne nur zu schauen, wohin es fiel.

Sobald dies geschehen war, fuhr der Reisende zum letzten Male über das Kreuz von Dscherid, athmete, als wollte er seiner Brust den vollen Grad der Ausdehnung geben, den sie erlangen konnte, suchte dann vergebens irgend einen Fußpfad und trat, als er keinen sah, auf Zufall in den Wald.

Es ist unserer Ansicht nach der Augenblick, unsern Lesern einen genauen Begriff von dem Reisenden zu geben, den wir ihnen vor Augen gestellt haben, und der eine wichtige Rolle im Verlauf unserer Geschichte zu spielen bestimmt ist.

Derjenige, welcher, nachdem er vom Pferde gestiegen, sich so kühn in den Wald wagte, war ein Mann von etwa dreißig bis zwei und dreißig Jahren, von mehr als mittlerem Wuchse, aber so bewunderungswürdig gebaut, daß man zugleich die Kraft und die Gewandtheit in seinen geschmeidigen, nervigen Gliedern kreisen fühlte. Er trug eine Art von Reiserock von schwarzem Sammet mit goldenen Knopflöchern. Die zwei Enden einer gestickten Jacke erschienen unterhalb der letzten Knöpfe dieses Rockes, und eine anliegende Lederhose hob Beine hervor, die als Modell für einen Bildhauer hätten dienen können, und deren zierliche Formen man durch die gefirnißten Stiefeln errieth.

Sein Gesicht hatte die ganze Beweglichkeit der südlichen Typen und war eine seltsame Mischung von Kraft und Feinheit: sein Blick vermochte alle Gefühle auszudrücken und schien, wenn er sich auf Jemand heftete, zwei Lichtstrahlen in denjenigen zu tauchen, welchem er galt, um die tiefste Tiefe seiner Seele zu erleuchten. Seine braunen Wangen waren, wie man dies sogleich sah, von einer heißeren Sonne als die unsrige verbrannt Ein großer, aber schön geformter Mund endlich öffnete sich, um eine doppelte Reihe herrlicher Zähne sehen zu lassen, welche die Wärme der Gesichtshaut noch weißer erscheinen ließ. Der Fuß war lang, aber fein, die Hand klein, aber nervig.

Der Mann, dessen Portrait wir entworfen, hatte kaum zehn Schritte unter den schwarzen Tannen gemacht, als er ein rasches Stampfen an der Stelle hörte, wo er sein Pferd gelassen.

Seine erste Bewegung, eine Bewegung, über deren Absicht man sich nicht täuschen konnte, war, zurückzukehren: aber er bemeisterte sich, konnte jedoch dem Verlangen, zu sehen, was aus Dscherid geworden, nicht widerstehen, erhob sich auf den Fußspitzen und schoß einen Blick durch die Lichtung: fortgezogen durch eine unsichtbare Hand, welche den Zaum losgemacht, war Dscherid bereits verschwunden.

Die Stirne des Unbekannten faltete sich leicht und etwas wie ein Lächeln zog seine vollen Wangen und seine Lippen mit den seinen Rändern zusammen.

Dann setzte er seinen Weg gegen den Mittelpunkt des Waldes fort.

Noch einige Schritte leitete ihn die durch die Bäume dringende düstere Abenddämmerung in seinem Marsche; aber bald hörte dieser schwache Reflex auf, und er befand sich in einer so dichten Nacht, daß er nicht mehr sah, wohin er den Fuß setzte, und ohne Zweifel aus Furcht, sich zu verirren, stehen blieb.

„Ich bin nach Dannenfels gekommen,“ sagte er laut, „denn von Mainz nach Dannenfels führt eine Landstraße; ich bin von Dannenfels auf die Schwarzheide gelangt, weil sich von Dannenfels nach der Schwarzheide ein Fußpfad findet; ich bin von der Schwarzheide hierher gekommen, obgleich es dann weder mehr eine Landstraße noch einen Fußpfad gab, denn ich gewahrte den Wald; aber hier bin ich genöthigt, stille zu stehen; ich sehe nichts mehr.“

Kaum waren diese Worte in einem halb französischen, halb sicilianischen Dialecte gesprochen, als ein Licht ungefähr fünfzig Schritte vor dem Reisenden hervorsprang.

„Ich danke,“ sagte er, „das Licht mag nun gehen, ich werde ihm folgen.“

Sogleich ging das Licht ohne Schwankung, ohne Erschütterung, gleichmäßig sich fortbewegend, wie auf unsern Theatern jene phantastischen Flammen hingleiten, deren Gang durch den Maschinisten und den Scenisten geordnet ist.

Der Reisende machte noch ungefähr hundert Schritte, dann glaubte er etwas wie einen Hauch an seinem Ohr zu vernehmen.

Er schauerte.

„Wende Dich nicht um, oder Du bist todt,“ sagte eine Stimme rechts.

„Gut,“ erwiederte der unempfindliche Reisende ohne eine Miene zu verziehen.

„Sprich nicht, oder Du bist todt!“ sagte eine Stimme links.

Der Reisende verbeugte sich ohne zu sprechen.

„Aber wenn Du Furcht hast“, sagte eine dritte Stimme, welche, wie die von Hamlets Vater aus den Eingeweiden der Erde zu kommen schien, „wenn Du Furcht hast, so kehre zurück, Du wirst dadurch bezeichnen, daß Du Verzicht leistest, und man läßt Dich zurückkehren, wohin Du willst.“

Der Reisende beschränkte sich darauf, eine Geberde mit der Hand zu machen, und setzte seinen Weg fort.

Die Nacht war so finster und der Wald so dicht, daß der Reisende trotz des Scheines, der ihn leitete, nur strauchelnd vorrückte. Die Flamme marschirte ungefähr eine Stunde, und der Reisende folgte ihr, ohne ein Murren hören zu lassen, ohne ein Zeichen der Furcht von sich zu geben.

Plötzlich verschwand sie.

Der Reisende war außerhalb des Waldes. Er schlug die Augen auf; durch das düstere Azur des Himmels funkelten einige Sterne.

Er marschirte in der Richtung weiter, in der das Licht verschwunden war; aber bald sah er, daß sich eine Ruine, das Gespenst eines alten Schlosses, vor ihm erhob.

Zu gleicher Zeit stieß sein Fuß an Trümmer.

Alsbald klebte sich ein eisiger Gegenstand an seine Schläfe und vermauerte seine Augen. Von da an sah er nicht einmal mehr die Finsterniß.

Eine Binde von benetzter Leinwand umschloß seinen Kopf. Es war ohne Zweifel eine verabredete Sache, wenigstens war es eine Sache, die er erwartete, denn er versuchte es nicht, die Binde aufzuheben; er streckte nur schweigend die Hand aus, wie es ein Blinder thut, der nach einem Führer verlangt.

Diese Geberde wurde begriffen, denn in demselben Augenblick klammerte sich eine kalte, trockene, knochige Hand an die Finger des Reisenden an.

Er erkannte, daß es die fleischlose Hand eines Skelettes war; wäre aber diese Hand mit Gefühl begabt gewesen, so würde sie erkannt haben, daß die seinige nicht zitterte.

Dann fühlte sich der Reisende rasch durch einen Raum von ungefähr hundert Klaftern fortgezogen.

Plötzlich verließ die Hand die seinige, die Binde flog von seiner Stirne, und der Unbekannte blieb stehen: er war auf dem Gipfel des Donnersbergs angelangt.

II. Ich bin, der ich bin

Mitten in einer Lichtung, welche durch das Alter kahl gewordene Birken bildeten, erhob sich das Erdgeschoß von einem jener in Trümmer liegenden Schlösser, welche die Feudalherren einst in Europa umher bei der Rückkehr von den Kreuzzügen ausstreuten.

Die Vorhallen mit ihren schönen Zierrathen von gediegener Bildhauerarbeit, welche in jeder Höhlung, statt der verstümmelten und an den Fuß der Mauer gestürzten Statue, ein Buschwerk von Heidekraut oder wilden Blumen verbargen, hoben von einem bleichen Himmel ihre durch den Einsturz ausgezackten Gewölbe ab.

Als der Reisende die Augen öffnete, sah er sich vor den feuchten, moosigen Stufen des Hauptsäulenganges; auf der ersten von diesen Stufen stand aufrecht das Gespenst mit der knochigen Hand, das ihn hierher geführt hatte.

Ein langes Schweißtuch umhüllte dasselbe vom Kopf bis zu den Füßen; unter den Falten des Tuches funkelten seine Augenhöhlen ohne Blick, seine fleischlose Hand war gegen das Innere der Ruine ausgestreckt und schien dem Reisenden als Ziel seines Ganges einen Saal anzudeuten, dessen Erhöhung über dem Boden die inneren Theile verbarg, während man in seinen eingesunkenen Gewölben ein dumpfes, geheimnißvolles Licht zittern sah.

Der Reisende neigte sein Haupt als Zeichen der Einwilligung. Das Gespenst stieg langsam, eine Stufe nach der andern und ohne Geräusch in die Ruine; der Unbekannte folgte ihm mit demselben ruhigen, feierlichen Schritte, nach dem er stets seinen Gang geregelt hatte, stieg ebenfalls eine nach der andern die eilf Stufen hinauf, auf denen ihm das Gespenst vorangegangen war, und trat ein.

Hinter ihm schloß sich so geräuschvoll als eine von Erz vibrirende Mauer die Thüre der Haupthalle.

Am Eingang eines kreisförmigen, von drei Lampen mit grünlichem Wiederscheine beleuchteten Saales blieb das Gespenst stehen.

Zehn Schritte von ihm blieb der Reisende ebenfalls stehen.

„Oeffne die Augen,“ sagte das Gespenst.

„Ich sehe,“ antwortete der Unbekannte.

Sodann mit einer steifen, stolzen Gcberde ein zweischneidiges Schwert unter seinem Leichentuche hervorziehend, schlug das Gespenst an eine eherne Säule, welche den Schlag durch ein metallisches Brüllen erwiederte.

Sogleich erhoben sich rings im Saale umher Platten, und zahllose Gespenster, dem ersten ähnlich, erschienen, jedes mit einem zweischneidigen Schwerte bewaffnet, und nahmen Platz auf kreisförmigen Stufen, wo besonders der grünliche Schimmer der drei Lampen wiederstrahlte, und wo sie, durch ihre Kälte und ihre Unbeweglichkeit mit dem Steine vermischt, Bildsäulen auf ihren Piedestalen zu sein schienen.

Jede von diesen Bildsäulen hob sich seltsam auf der schwarzen Draperie hervor, welche die Wände bedeckte.

Sieben Stühle waren vor die erste Stufe gestellt; auf diesen Stühlen saßen sechs Gespenster, welche Häupter zu sein schienen, während der siebente Stuhl leer war.

Derjenige, welcher auf dem Stuhle in der Mitte saß, stand auf und sprach, indem er sich gegen die Versammlung wandte:

„Wie viel sind wir hier, meine Brüder?“

„Dreihundert,“ antworteten die Gespenster mit einer Stimme, welche im Saale donnerte und sich beinahe in demselben Augenblick an dem Leichenbehänge der Wände brach.

„Dreihundert, von denen jeder zehntausend Verbündete vertritt,“ sagte der Präsident, „dreihundert Schwerter, welche so viel werth sind, als drei Millionen Dolche.“

Dann sich an den Reisenden wendend fragte er:

„Was verlangst Du?“

„Das Licht zu sehen,“ antwortete dieser.

„Die Pfade, welche auf den Feuerberg führen, sind rauh und hart; fürchtest Du Dich nicht, dieselben zu betreten?“

„Ich fürchte nichts.“

„Hast Du einmal einen Schritt vorwärts gemacht, so ist es Dir nicht mehr gestattet, umzukehren Bedenke dies.“

„Ich werde nur stille stehen, wenn ich das Ziel berührt habe.“

„Bist Du bereit, zu schwören?“

„Sprecht mir den Schwur vor und ich werde ihn wiederholen.“

Der Präsident erhob die Hand und sprach mit langsamem, feierlichem Tone folgende Worte:

„Im Namen des gekreuzigten Sohnes schwöret, die fleischlichen Bande zu brechen, welche Euch noch an Vater, Mutter, Brüder, Schwestern, Frau, Verwandte, Freunde, Geliebtinnen, Könige, Wohlthäter und an irgend ein Wesen binden, dem Ihr Treue, Gehorsam, Dankbarkeit oder Dienstbarkeit gelobt habt.“

Der Reisende wiederholte mit fester Stimme die Worte, die ihm von dem Präsidenten vorgesprochen wurden, welcher zum zweiten Paragraphen des Schwures überging und gleich langsam und feierlich fortfuhr:

„Von diesem Augenblicke an seid Ihr von dem dem Vaterlande und den Gesetzen geleisteten angeblichen Eide frei; schwöret also dem neuen Haupte, das Ihr anerkennt, zu enthüllen, was Ihr gesehen oder gethan, gelesen oder gehört, erfahren oder errathen habt, und sogar das, was sich Euren Augen nicht bieten würde, zu erforschen und zu erspähen.“

Der Präsident schwieg und der Unbekannte wiederholte die Worte, die er gehört hatte.

Dann fuhr der Präsident, ohne den Ton zu verändern, fort:

„Ehret und achtet die Aqua Tosana als ein rasches, sicheres, nothwendiges Mittel, um die Erde durch den Tod oder durch die Verblödung derjenigen zu reinigen, welche die Wahrheit zu erniedrigen oder unsern Händen zu entreißen suchen.“

Ein Echo hätte nicht getreuer diese Worte wiedergegeben, als es der Unbekannte that; der Präsident fuhr fort:

„Flieht Spanien, flieht Neapel, flieht jedes verfluchte Land, flieht die Versuchung, irgend etwas von dem, was Ihr hören oder sehen werdet, zu enthüllen, denn der Blitz trifft nicht rascher, als Euch, wo Ihr auch immer sein möget, das unsichtbare und unvermeidliche Messer erreichen wird.“

„Lebet im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.“

Trotz der Drohung, welche diese letzten Zeilen enthielten, war es unmöglich, eine Bewegung auf dem Antlitz des Unbekannten wahrzunehmen, der das Ende des Schwures und die Anrufung, die ihm folgte, mit eben so ruhigem Tone aussprach, als er den Ansang gesprochen hatte.

„Und nun umhüllt die Stirne des Aufzunehmenden mit der heiligen Binde,“ sagte der Präsident.

Zwei Gespenster näherten sich dem Unbekannten; dieser neigte das Haupt, und eines von ihnen legte auf seine Stirne ein aurorfarbiges Band, das mit silbernen Charakteren beladen war, unter denen das Bild von Unserer Lieben Frau von Loretto sichtbar wurde; das andere Gespenst knüpfte hinter ihm die zwei Enden unten am Halse.

Dann entfernten sie sich und ließen den Unbekannten abermals allein.

„Was verlangst Du?“ sprach der Präsident zu ihm.

„Drei Dinge,“ antwortete der Candidat.

„Welche Dinge?“

„Die eiserne Hand, das feurige Schwert, die diamantene Wage.“

„Warum wünschest Du die eiserne Hand?“

„Um die Tyrannen zu ersticken.“

„Warum wünschest Du das feurige Schwert?“

„Um den Unreinen von der Erde zu verjagen.“

„Warum wünschest Du die diamantene Wage?“

„Um die Geschicke der Menschheit abzuwägen.“

„Bist Du für die Proben vorbereitet?“

„Der Starke ist zu Allem vorbereitet.“

„Die Proben! die Proben!“ riefen mehrere Stimmen.

„Kehre Dich um,“ sagte der Präsident.

Der Unbekannte gehorchte und sah sich gegenüber einen Menschen, der bleich wie der Tod, geknebelt und gebunden war.

„Was siehst Du?“ fragte der Präsident.

„Einen Verbrecher oder ein Opfer.“

„Es ist ein Verräther, der, nachdem er den Eid geleistet, den Du geleistet hast, das Geheimniß des Ordens offenbarte.“

„Es ist also ein Verbrecher.“

„Ja; welche Strafe hat er verdient?“

„Den Tod.“

Die dreihundert Gespenster wiederholten: „Den Tod!“

In demselben Augenblick wurde der Verurtheilte trotz übermenschlicher Gegenwehr in die Tiefen des Saales fortgezogen; der Reisende sah, wie er sich in den Händen seiner Henker krümmte und sträubte; er hörte seine pfeifende Stimme durch das Hinderniß des Knebels, Ein Dolch funkelte und wiederstrahlte wie ein Blitz im Schimmer der Lampen; dann hörte man einen matten Stoß, und das Geräusch eines schwerfällig aus den Boden fallenden Körpers erscholl dumpf und schauervoll.

„Es ist Gerechtigkeit geschehen,“ sprach der Unbekannte, sich gegen den furchtbaren Kreis umwendend, der mit gierigen Blicken durch die Schweißtücher dieses Schauspiel verschlungen hatte.

„Du billigst also die Hinrichtung, welche so eben stattgefunden hat?“ sagte der Präsident.

„Ja, wenn derjenige, welcher den Streich erhalten, wirklich schuldig war.“

„Und Du würdest auf den Tod jedes Menschen trinken, der, wie er, die Geheimnisse der heiligen Verbindung verriethe?“

„Ich würde trinken.“

„Was für ein Getränke es auch sein möchte?“

„Was für eines es auch sein möchte.“

„Bringt die Schale,“ sprach der Präsident.

Einer von den zwei Henkern näherte sich dem Aufzunehmenden und reichte ihm einen rothen, lauen Saft in einem Menschenschädel, der auf einem bronzenen Fuße befestigt war.

Der Unbekannte nahm die Schale aus den Händen des Henkers, erhob sie über seinen Kopf und sprach:

„Ich trinke auf den Tod jedes Menschen, der die Geheimnisse der heiligen Verbindung verräth.“

Dann senkte er die Schale zur Höhe seiner Lippen, leerte sie bis auf den letzten Tropfen und gab sie kalt demjenigen zurück, welcher sie ihm gereicht hatte.

Ein Gemurmel des Erstaunens durchlief die Versammlung, und die Gespenster schienen sich einander durch ihre Leichentücher anzuschauen.

„Es ist gut,“ sprach der Präsident. „Die Pistole!“

Ein Gespenst näherte sich dem Präsidenten, in einer Hand eine Pistole, in der andern eine bleierne Kugel und eine Ladung Pulver haltend.

Der Aufzunehmende wandte kaum seine Augen nach dem Gespenste.

„Du gelobst also der heiligen Versammlung leidenden Gehorsam?“ fragte der Präsident.

„Ja“

„Sogar wenn dieser Gehorsam an Dir selbst geübt werden müßte?“

„Derjenige, welcher hier eintritt, gehört nicht sich, sondern Allen.“

„Du wirst also gehorchen, welcher Befehl Dir auch von mir gegeben werden mag?“

„Ich werde gehorchen.“

„Auf der Stelle?“

„Auf der Stelle.“

„Ohne Zögern?“

„Ohne Zögern.“

„Nimm die Pistole und lade sie.“

Der Unbekannte nahm die Pistole, goß das Pulver in den Lauf, setzte einen Pfropf darauf und ließ dann die Kugel hineinfallen, die er mit einem zweiten Pfropf befestigte, wonach er Pulver auf die Pfanne schüttete.

Alle die dunkeln Bewohner dieses seltsamen Ortes schauten ihn mit einem düsteren Stillschweigen an, das nur durch das Geräusch des an die Bogen der Gewölbe anprallenden Windes unterbrochen wurde.

„Die Pistole ist geladen,“ sprach kalt der Unbekannte.

„Bist Du dessen sicher?“ fragte der Präsident.

Ein Lächeln zog über die Lippen des Aufzunehmenden, und dieser nahm den Ladstock und ließ ihn in den Lauf des Gewehres fallen, aus dem er zwei Zoll hervorragte.

Der Präsident bedeutete durch ein Zeichen, daß er überzeugt sei.

„Ja,“ sagte er, „sie ist in der That geladen, und gut geladen.“

„Was soll ich thun?“ fragte der Unbekannte.

„Spanne.“

Der Unbekannte spannte die Pistole, und man hörte unter dem tiefen Stillschweigen, das die Zwischenräume des Zwiegespräches begleitete, das Krachen des Hahnen.

„Nun halte die Mündung der Pistole an Deine Stirne,“ fuhr der Präsident fort.

Der Unbekannte gehorchte, ohne zu zögern.

Ein tieferes Stillschweigen als je lagerte sich über der Versammlung; die Lampen schienen zu erbleichen; diese Gespenster waren wirklich Gespenster, denn keines von ihnen hatte Athem.

„Feuer!“ sagte der Präsident.

Der Drücker rührte sich, der Stein funkelte auf der Batterie; aber nur das Pulver der Pfanne entzündete sich und kein Geräusch begleitete seine ephemere Flamme.

Ein Schrei der Bewunderung entströmte beinahe jeder Brust, und der Präsident streckte mit einer instinktartigen Bewegung die Hand gegen den Unbekannten aus.

Doch zwei Proben genügten ohne Zweifel den Anspruchsvollsten nicht, und einige Stimmen riefen:

„Den Dolch! den Dolch!“

„Ihr verlangt ihn?“ fragte der Präsident.

„Ja, den Dolch! den Dolch!“ wiederholten dieselben Stimmen.

„Bringt den Dolch,“ sprach der Präsident.

„Es ist unnöthig,“ sagte der Unbekannte, verächtlich den Kopf schüttelnd.

„Wie, unnöthig!“ rief die Versammlung.

„Ja, unnöthig!“ entgegnete der Auszunehmende mit einer Stimme, welche alle andere Stimmen bedeckte; „ich wiederhole es Euch, denn Ihr verliert eine kostbare Zeit.“

„Was sagst Du da?“ rief der Präsident.

,,Ich sage, daß ich alle Eure Geheimnisse kenne, daß die Proben, denen Ihr mich unterwerft, Kinderspiele sind, unwürdig, einen Augenblick ernste Wesen zu beschäftigen. Ich sage, daß dieser ermordete Mensch nicht todt ist, ich sage, daß das Blut, das ich getrunken, in einem aus seiner Brust liegenden und unter seinen Kleidern verborgenen Schlauche enthaltener Wein war, ich sage, daß das Pulver und die Kugeln in dem Augenblick, wo ich den Hahnen spannte, in den Kolben gefallen sind. Nehmt also Eure ohnmächtige Waffe zurück, denn sie taugt nur dazu, Feige zu erschrecken. Stehe auf, lügnerischer Leichnam, denn Du wirst die Starken nicht einschüchtern.“

Ein furchtbarer Schrei erhob sich und machte die Gewölbe schallen.

„Du kennst unsere Geheimnisse,“ rief der Präsident; „Du bist also ein Seher oder ein Verräther?“

„Wer bist Du?“ fragten dreihundert Stimmen, während zu gleicher Zeit zwanzig Schwerter in den Händen der nächsten Gespenster funkelten und durch eine regelmäßige Bewegung, wie es die einer eingeübten Phalanx gewesen wäre, sich senkten und auf der Brust des Unbekannten vereinigten.

Aber lächelnd, ruhig, das Haupt erhebend und seine Haare schüttelnd, welche nur durch das Band gehalten wurden, das man um seine Stirne gewickelt hatte, sprach er:

,,Ego sum qui sum, ich bin, der ich bin.“

Dann ließ er seine Augen auf der menschlichen Mauer, welche ihn enge umschloß, umherlaufen; bei seinem gebieterischen Blicke sanken die Schwerter durch ungleiche Bewegungen nieder, je nachdem diejenigen, welche der Unbekannte mit diesem Blicke traf, sogleich seinem Einflusse wichen, oder ihn zu bekämpfen suchten.

„Du hass ein unkluges Wort ausgesprochen,“ sagte der Präsident; „ohne Zweifel sprachst Du es nur, weil Du das Gewicht desselben nicht kennst.“

Der Fremde schüttelte lächelnd den Kopf und erwiederte:

„Ich habe geantwortet, was ich antworten muß.“

„Woher kommst Du denn?“ fragte der Präsident.

„Ich komme von dem Lande, von dem das Licht kommt.“

„Unsere Instructionen melden uns, Du kommest von Schweden.“

„Wer von Schweden kommt, kann vom Orient kommen,“ antwortete der Fremde.

„Zum zweiten Male, wir kennen Dich nicht. Wer bist Du?“

„Wer ich bin? ...“ versetzte der Unbekannte; „ich werde es Euch sogleich sagen, da Ihr Euch stellt, als begriffet Ihr mich nicht; zuvor aber will ich Euch sagen, wer Ihr selbst seid.“

Die Gespenster bebten und ihre Schwerter schlugen an einander, während sie von ihrer linken Hand in ihre rechte übergingen und sich bis zu der Höhe der Brust des Unbekannten erhoben.

„Vor Allem Du,“ fuhr der Unbekannte, die Hand gegen den Präsidenten ausstreckend, fort, „Du, der Du zu mir sprichst, und der Du Dich für einen Gott hältst und nur ein Vorläufer bist, Du, der Präsident der schwedischen Kreise ... ich werde Dir Deinen. Namen sagen, damit ich nicht nöthig habe, Dir die der Andern zu nennen: Swedenborg, haben Dir die Engel, welche vertraulichen Umgang mit Dir pflegen, nicht geoffenbart, daß derjenige, welchen Du erwartetest, sich auf den Weg begeben?“

„Das ist wahr,“ antwortete der Präsident, sein Leichentuch erhebend, um den Sprechenden besser zu sehen, „sie haben es mir gesagt.“

Und derjenige, welcher gegen alle Gebräuche der Gesellschaft sein Leichentuch erhob, zeigte hiedurch das ehrwürdige Gesicht und den weißen Bart eines achtzigjährigen Greises.

„Gut,“ sprach der Fremde; „zu Deiner Linken ist der Vertreter des englischen Kreises, welcher in der Loge Caledonia präsidirt. Heil, Mylord! wenn das Blut Eures Ahnen in Euch fortlebt, darf England hoffen, daß sich das erloschene Licht wieder entzünden wird.“

Die Schwerter senkten sich; der Zorn fing an dem Erstaunen Platz zu machen.

„Ah! Ihr seid es, Kapitän,“ fuhr der Unbekannte, sich an das letzte Haupt zur Linken des Präsidenten wendend, fort; „in welchem Hafen habt Ihr Euer schönes Schiff gelassen, dem Ihr zugethan seid, wie einer Geliebten? Es ist eine brave Fregatte, nicht wahr, die Providence und ein Name, der Amerika Glück bringen wird?“

Dann sich an denjenigen wendend, welcher rechts vom Präsidenten stand:

„Nun ist es an Dir, Prophet von Zürich, schau' mir in's Antlitz, Du, der, Du die physiognomische Wissenschaft bis zur Divination getrieben hast, und sage laut, ob Du nicht in meinem Gesichte den Beweis meiner Sendung erkennst?“

Derjenige, an welchen er sich wandte, wich einen Schritt zurück.

,,Auf,“ sprach er weiter, indem er sich an seinen Nachbar wandte, „auf, Abkömmling von Pelagius, es handelt sich darum, zum zweiten Male die Mauren aus Spanien zu vertreiben. Das wird etwas Leichtes sein, wenn die Castilier nicht für immer das Schwert des Cid verloren haben.“

Das fünfte Haupt blieb stumm und unbeweglich; es war, als hätte es die Stimme des Unbekannten in Stein verwandelt.

„Und mir,“ versetzte das sechste Haupt, den Worten des Unbekannten, der es zu vergessen schien, entgegenkommend, „und mir hast Du nichts zu sagen?“

„Doch,“ antwortete der Reisende, indem er einen von jenen durchdringenden Blicken, welche die Herzen ergründen, auf ihn heftete, „doch, ich habe Dir zu sagen, was Jesus zu Judas gesagt hat, und werde es Dir auch sogleich sagen.“

Derjenige, zu welchem er sprach, wurde weißer als sein Leichentuch, während ein die ganze Versammlung durchlaufendes Gemurmel von dem Fremden Rechenschaft über diese sonderbare Anschuldigung zu fordern schien.

„Du vergißt den Vertreter von Frankreich,“ sagte der Präsident.

„Dieser ist nicht unter uns,“ antwortete stolz der Fremde, „und Du weißt es wohl, Du, der Du sprichst, da sein Sitz hier leer ist. Erinnere Dich nun, daß die Fallen denjenigen lächeln machen, welcher in der Finsterniß sieht, welcher trotz der Elemente handelt und trotz des Todes lebt.“

„Du bist jung,“ entgegnete der Präsident, „und Du sprichst mit dem Ansehen eines Gottes. Bedenke ebenfalls, die Kühnheit betäubt nur die unentschlossenen oder unwissenden Menschen.“

Ein Lächeln erhabener Verachtung trat auf die Lippen des Fremden und er sprach:

„Ihr seid insgesammt unentschlossen, da Ihr nicht auf mich zu wirken vermöget; Ihr seit insgesammt unwissend, da Ihr nicht wißt, wer ich bin, während ich weiß, wer Ihr seid; ich werde also bei Euch mit der Kühnheit allein siegen; doch wozu dient die Kühnheit demjenigen, welcher allmächtig ist?“

„Die Probe dieser Macht,“ rief der Präsident; „gebt uns die Probe.“

„Wer hat Euch zusammenberufen?“ sprach der Unbekannte, von der Rolle des Befragten zu der des Fragenden übergehend.

„Nicht ohne Zweck,“ sagte der Fremde, sich an den Präsidenten und die fünf Häupter wendend, „nicht ohne Zweck seid Ihr gekommen, Ihr von Schweden, Ihr von London, Ihr von New-York, Ihr von Zürich, Ihr von Madrid, Ihr Alle endlich,“ fuhr er sich an die Menge wendend fort, „nicht ohne Zweck seid Ihr von den vier Welttheilen gekommen, um Euch in dem Allerheiligsten des furchtbaren Glaubens zu versammeln.“

„Allerdings nicht,“ antwortete der Präsident, „wir kommen demjenigen entgegen, welcher ein geheimnißvolles Reich im Orient gegründet, die zwei Hemisphären in einer Gemeinschaft des Glaubens vereinigt und die brüderlichen Hände des Menschengeschlechts mit einander verschlungen hat.“

„Gibt es ein gewisses Zeichen, an welchem Ihr ihn zu erkennen im Stande seid?“

„Ja,“ sprach der Präsident, „und Gott hat die Gnade gehabt, es mir durch die Vermittelung seiner Engel zu enthüllen.“

„Also kennt Ihr allein dieses Zeichen?“

„Ich allein kenne es.“

„Ihr habt dieses Zeichen Niemand enthüllt?“

„Niemand in der Welt.“

„Nennt es ganz laut.“

Der Präsident zögerte.

„Nennt es,“ wiederholte der Fremde mit befehlendem Tone, „nennt es, denn der Augenblick der Offenbarung ist gekommen.“

Der Präsident antwortete:

„Er wird auf seiner Brust einen diamantenen Stern tragen, und auf diesem Stern werden die drei ersten Buchstaben eines nur ihm allein bekannten Wahlspruches funkeln.“

„Wie heißen diese drei Buchstaben?“

„L. P. D.“

Der Fremde schob mit einer raschen Bewegung seinen Rock und seine Weste auf die Seite, und auf seinem Hemde von seinem Batist erschien glänzend wie ein flammendes Gestirn der diamantene Stern und auf diesem funkelten die drei Buchstaben in Rubin.

„Er!!“ rief der Präsident erschrocken; „sollte er es sein?“

„Derjenige, welchen die Welt erwartet?“ fragten ängstlich die Häupter.

„Der Großkophta?“ murmelten dreihundert Stimmen.

„Nun!“ rief der Fremde mit dem Ausdrucke des Triumphes, „werdet Ihr mir nun glauben, wenn ich Euch zum zweiten Male wiederhole: Ich bin, der ich bin.“

„Ja,“ sagten die Gespenster sich niederwerfend.

„Sprecht, Meister,“ riefen der Präsident und die fünf Häupter; „sprecht, und wir werden gehorchen.“

III. L. P. D.

Es trat ein Stillschweigen von einigen Sekunden ein; der Unbekannte schien mittlerweile seine Gedanken zu sammeln und sprach sodann:

„Meine edle Herren, Ihr könnt die Schwerter ablegen, welche Eure Arme unnöthig ermüden, und mir ein aufmerksames Ohr schenken, denn Ihr werdet viel in den wenigen Worten zu lernen haben, die ich an Euch richte.“

Die Aufmerksamkeit verdoppelte sich.

„Die Quelle der großen Flüsse ist beinahe immer göttlich und deshalb unbekannt; wie der Nil, wie der Ganges, wie der Amazonenfluß, weiß ich, wohin ich gehe, aber ich weiß nicht woher ich komme! Ich erinnere mich nur, daß ich mich an dem Tage, wo sich die Augen meiner Seele der Auffassung äußerer Gegenstände erschlossen, in Medina, der heiligen Stadt, befand und in den Gärten des Mufti Salaaym umher lief. Dies war ein ehrwürdiger Greis, den ich wie meinen Vater liebte, der jedoch nicht mein Vater war; denn wenn er mich voll Zärtlichkeit anschaute, so sprach er doch nur mit Ehrfurcht zu mir; dreimal des Tags entfernte er sich, um einen andern Greis zu mir gelangen zu lassen, dessen Namen ich nie anders als mit einer Ehrfurcht ausspreche, in welche sich Dankbarkeit mischt.

Dieser ehrwürdige Greis, ein erhabener Behälter aller menschlichen Wissenschaften, unterrichtet durch die sieben höchsten Geister in Allem, was die Engel lernen, um Gott zu begreifen, heißt Althotas; er wurde mein Erzieher, mein Lehrer; er ist noch mein Freund, ein ehrwürdiger Freund, denn er hat zweimal das Alter des Aeltesten unter Euch.“

Diese feierliche Sprache, diese majestätischen Geberden, dieser salbungsreiche und zugleich strenge Ton brachten auf die Versammlung einen von jenen Eindrücken hervor, welche sich in langen Schauern der Beklemmung auflösen.

„Als ich mein fünfzehntes Jahr erreichte, war ich bereits in die bedeutendsten Geheimnisse der Natur eingeweiht. Ich kannte die Botanik, nicht die enge Wissenschaft, welche jeder Gelehrte auf das Studium des Winkels der Welt, den er bewohnt, beschränkt, sondern ich kannte die sechzigtausend Pflanzenfamilien, welche auf der ganzen Welt vegetiren. Ich wußte, wenn mich mein Lehrer dazu zwang, indem er mir die Hände auf die Stirne legte und in meine geschlossenen Augen einen Strahl des himmlischen Lichtes fallen ließ, ich wußte durch eine, beinahe übernatürliche Betrachtung meinen Blick unter die Wellen des Meeres zu tauchen und die ungestalten, unbeschreibbaren Vegetationen zu klassificiren, welche zwischen den zwei Lagern schlammigen Wassers dumpf schwimmen und sich schaukeln und mit ihren riesigen Zweigen die Wiege aller der häßlichen und beinahe formlosen Ungeheuer bedecken, welche das Gesicht des Menschen nie erschaut hat und die Gott seit dem Tage, wo aufrührerische Engel seine einen Augenblick besiegte Macht sie zu schaffen zwangen, vergessen haben muß.

Ich hatte mich überdies den todten und den lebendigen Sprachen gewidmet. Ich kenne alle Idiome, welche man von der, Meerenge der Dardanellen bis zur Meerenge von Magelhaens spricht. Ich las die geheimnißvollen Hieroglyphen geschrieben auf jene Granitbücher, die man die Pyramiden nennt. Ich umfaßte alle menschliche Wissenschaften von Sanchuniathon bis Sokrates, von Moses bis auf den heiligen Hieronymus, von Zoroaster bis Agrippa.

Ich studirte die Medicin, nicht allein im Hippokrates, im Galien, im Averrhoes, sondern auch in dem großen Meister, den man die Natur nennt. Ich erlauschte die Geheimnisse der Kophten und Drusen Ich sammelte den unheilvollen und den glücklichen Samen. Ich konnte, wenn der Samum und der Orkan über mein Haupt hinzogen, ihrem Hauche unbekannte Körner anvertrauen, welche fern von mir den Tod oder das Leben trugen, je nachdem ich die Gegend, nach welcher ich mein zorniges oder lächelndes Gesicht wandte, gesegnet oder verflucht hatte.

Mitten unter diesen Studien, unter diesen Arbeiten, unter diesen Reisen erreichte ich mein zwanzigstes Jahr.

Eines Tages suchte mich mein Lehrer in der Marmorgrotte auf, in welche ich mich während der großen Hitze des Tages zurückzog. Sein Gesicht war zugleich streng und lächelnd; er hielt ein Fläschchen in der Hand.

‚Acharat,‘ sprach er zu mir, ‚ich habe Dir immer gesagt, nichts werde geboren, nichts sterbe in der Welt; die Wiege und der Sarg seien Brüder; es fehle dem Menschen, um klar in seine vergangenen Existenzen zu sehen, nur die Hellsichtigkeit, die ihn Gott gleich machen werde, denn von dem Tage, wo er diese Hellsichtigkeit erlangt habe, werde er sich unsterblich wie Gott fühlen. Nun, ich habe einstweilen den Trank gefunden, der die Finsterniß zerstreut, bis ich denjenigen finde, welcher den Tod verjagt. Acharat, ich habe gestern getrunken, was in diesem Fläschchen fehlt.‘

Ich hegte ein großes Vertrauen, eine tiefe Verehrung für meinen würdigen Lehrer, und dennoch zitterte meine Hand, als sie das Fläschchen berührte, das mir Althotas reichte, wie die Hand von Adam gezittert haben muß, da er den Apfel berührte, den ihm Eva bot.

‚Trinke,‘ sagte er lächelnd zu mir.

Ich trank.

Dann legte er mir die Hände auf den Kopf, wie er dies zu thun pflegte, wenn er mich für den Augenblick mit dem zweiten Gesichte begaben wollte.

‚Schlafe und erinnere Dich,‘ sprach er zu mir.

Ich entschlummerte sogleich. Dann träumte mir, ich liege auf einem Scheiterhaufen von Sandelholz und Aloen; ein Engel, der, den Willen des Herrn von Osten nach dem Westen tragend, vorüber kam, berührte meinen Scheiterhaufen mit dem Ende des Flügels und er fing Feuer. Aber statt von der Angst erfaßt zu werden, statt diese Flamme zu fürchten, streckte ich mich wollüstig inmitten der glühenden Zungen aus, wie es der Phönix thut, der ein neues Leben in dem Principe alles Lebens geschöpft hat.

Dann verschwand Alles, was Materielles in mir war, die Seele allein blieb; sie behielt die Form des Körpers, aber durchsichtig, ungreifbar, leichter, als die Atmosphäre, in der wir leben und über die sie sich erhob. Wie Pythagoras, der sich bei der Belagerung von Troja gewesen zu sein erinnerte, erinnerte ich mich sodann der zwei und dreißig Existenzen, die ich durchlebt hatte. Ich sah unter meinen Augen die Jahrhunderte wie eine Reihe großer Greise vorübergehen. Ich erkannte mich unter den verschiedenen Namen, die ich seit dem Tage meiner ersten Geburt bis zu meinem letzten Tode geführt hatte, denn Ihr wißt, meine Brüder, und das ist einer der positivsten Punkte unseres Glaubens, die Seelen, diese zahllosen Ausströmungen der Gottheit, welche bei jedem Hauche aus der Brust Gottes hervorkommen, erfüllen die Luft, vertheilen sich in einer großen Hierarchie, von den erhabensten bis zu den geringsten Seelen, und der Mensch, der zur Stunde seiner Geburt, vielleicht auf den Zufall, eine von den zuvor bestehenden Seelen einathmet, gibt sie zur Stunde seines Todes einer neuen Laufbahn und nachfolgenden Umwandlungen zurück.“

Derjenige, welcher sprach, sprach mit so überzeugtem Tone, schlug seine Augen mit einem so erhabenen Blicke zum Himmel auf, daß ihn bei dieser Periode seines Geistes, welche seinen ganzen Glauben zusammenfaßte, ein Gemurmel der Bewunderung unterbrach; das Erstaunen machte der Bewunderung Platz, wie der Zorn dem Erstaunen Platz gemacht hatte.

„Als ich erwachte,“ fuhr der Erleuchtete fort, „fühlte ich, daß ich mehr als ein Mensch, begriff ich, daß ich beinahe ein Gott war.

Da beschloß ich, nicht nur mein gegenwärtiges Dasein, sondern auch alle Existenzen, die ich fernerhin zu leben habe, dem Glücke der Menschheit zu weihen.

Am andern Tage, als hätte er mein Vorhaben errathen, kam Althotas zu mir und sprach:

‚Mein Sohn, es sind zwanzig Jahre, als Eure Mutter, indem sie Euch das Leben gab, verschied; seit zwanzig Jahren hält ein unüberwindliches Hinderniß Euren erhabenen Vater ab, sich Euch zu offenbaren; wir werden unsere Reisen wieder fortsetzen; Euer Vater wird unter denjenigen sein, welche uns begegnen, er wird Euch umarmen, doch Ihr werdet nicht wissen, daß er Euch umarmt hat.‘

Es sollte also Alles bei mir, wie bei den Auserwählten des Herrn geheimnißvoll sein: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.

Ich sagte dem Mufti Salaaym Lebewohl, er segnete mich und überhäufte mich mit Geschenken; dann schlossen wir uns einer Karavane an, welche nach Suez abging.

Verzeiht, edle Herren, wenn ich bei dieser Erinnerung erschüttert bin; eines Tages umarmte mich ein ehrwürdiger Mann und ein seltsamer Schauer bewegte mein ganzes Wesen, als ich sein Herz schlagen fühlte.

Es war der Scherif von Mekka, ein sehr glänzender, sehr erhabener Fürst. Er hatte hundert Schlachten gesehen und mit einer Geberde seines Armes beugte er die Köpfe von drei Millionen Menschen. Althotas wandte sich ab, um nicht unruhig zu werden, vielleicht um sich nicht zu verrathen, und wir setzten unsern Weg fort.

Wir drangen in Asien vor; wir fuhren den Tigris hinauf; wir besuchten Palmyra, Damask, Smyrna, Konstantinopel, Wien, Berlin, Dresden, Stockholm, Moskau, Petersburg, New-York, Buenos-Ayres, das Cap, Aden; als wir uns endlich wieder beinahe auf dem Punkte fanden, von dem wir ausgegangen waren, begaben wir uns nach Abyssinien, fuhren den Nil hinab, landeten später in Rhodus und dann in Malta; ein Schiff kam dem unsrigen auf zwanzig Stunden in die See entgegen; zwei Ritter des Ordens führten uns, nachdem sie mich begrüßt und Althotas umarmt hatten, im Triumph in den Palast des Hochmeisters Pinto.

Ohne Zweifel, meine edle Herren, werdet Ihr mich fragen, warum der Muselmann Acharat mit so großer Ehre von denjenigen aufgenommen worden sei, welche in ihrem Gelübde die Vertilgung der Ungläubigen schwören. Althotas, ein Katholik und selbst Malteserritter, hatte mir immer nur von einem mächtigen, universellen Gott gesprochen, der mit Hülfe der Engel, seiner Diener, die allgemeine Harmonie gegründet und diesem harmoniösen Ganzen den schönen, großen Namen Kosmos gegeben. Kurz ich war Theosoph.

Meine Reisen waren vollendet; aber der Anblick aller dieser Städte mit den verschiedenen Namen, mit den widersprechenden Sitten, hatte kein Erstaunen bei mir erregt; das kam davon her, daß nichts unter der Sonne für mich neu war, daß ich im Verlaufe der zwei und dreißig Existenzen, die ich bereits gelebt, dieselben Städte besucht hatte, daß das Einzige, was mir etwa auffiel, die Veränderungen waren, die sich unter den Menschen, welche dieselben bevölkerten, bewerkstelligt hatten. Ich konnte dann im Geist über die Ereignisse hinschweben und den Gang der Menschheit verfolgen. Ich sah, daß alle Geister auf den Fortschritt abzielten und daß der Fortschritt zur Freiheit führte. Ich sah, daß alle nach und nach zum Vorschein gekommene Propheten vom Herrn erweckt worden waren, um den schwankenden Gang der Menschheit zu stützen, welche, blind von ihrer Wiege ausgegangen, jedes Jahrhundert einen Schritt gegen das Licht macht: die Jahrhunderte sind die Tage der Völker.

Ich sagte mir nun, so viele erhabene Dinge seien mir nicht geoffenbart worden, damit ich sie in mir begrabe, vergebens verschließe der Berg seine Goldadern, vergebens verberge der Ocean seine Perlen; denn der beharrliche Gräber dringe in den Grund des Gebirges, denn der Taucher steige in die Tiefe des Meeres hinab; und statt es zu machen wie der Ocean und der Berg, wäre es besser, zu thun, wie die Sonne thut, und meine Herrlichkeiten auf die Welt auszustreuen..

Nicht wahr, Ihr begreift nun, daß ich nicht, um einfachen Maurergebräuchen zu entsprechen, vom Orient gekommen bin. Ich bin gekommen, um Euch zu sagen: Brüder, entlehnt die Flügel und die Augen vom Adler, erhebt Euch über die Welt, erreicht mit mir den Gipfel des Berges, wohin Satan Jesus führte, und werft die Augen auf die Königreiche der Erde.

Die Völker bilden eine ungeheure Phalanx; in verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Lagen geboren, haben sie ihre Stufen eingenommen und müssen jedes der Reihe nach zu dem Ziele gelangen, für welches sie geschaffen sind. Sie marschiren unablässig, obgleich sie zu ruhen scheinen, und wenn sie zufällig zurückweichen, so gehen sie nicht zurück, sondern sie nehmen einen Ansatz, um ein Hinderniß zu überspringen, oder um eine Schwierigkeit zu brechen.“

Frankreich ist in der Vorhut der Nationen, geben wir ihm eine Fackel in die Hand, die Flamme, die sie verzehrt, wird ein nützlicher Brand werden, weil sie die Welt erleuchtet.

„Deshalb fehlt der Vertreter von Frankreich hier; vielleicht wäre er vor seiner Sendung zurückgewichen. Es bedarf eines Mannes, der vor nichts zurückweicht ... ich werde nach Frankreich gehen.“

„Ihr seid in Frankreich,“ entgegnete der Präsident.

„Ja, das ist der wichtigste Posten, ich nehme ihn für mich; es ist das gefährlichste Werk ... ich lade es mir auf.“

„Ihr wißt also, was in Frankreich vorgeht?“ sagte der Präsident.

Der Illuminat lächelte.

„Ich weiß es, denn ich habe es selbst vorbereitet: ein alter, furchtsamer, verdorbener König, minder alt, minder furchtsam, minder verdorben, minder verzweifelt, als die Monarchie, die er vertritt, sitzt auf dem Throne von Frankreich. Es bleiben ihm kaum noch einige Jahre zu leben. Die Zukunft muß von uns auf eine geeignete Weise für den Tag seines Todes angeordnet sein. Frankreich ist der Schlüssel vom Gewölbe des Gebäudes; die sechs Millionen Hände, die sich auf ein Zeichen des höchsten Kreises erheben, müssen den Stein entwurzeln, und das monarchische Gebäude wird zusammenstürzen, und an dem Tage, wo man erfährt, daß es keinen König mehr in Frankreich gibt, werden die Fürsten Europa's, welche am frechsten auf dem Throne sitzen, fühlen, wie ihnen ein Schwindel nach der Stirne steigt, und sich von selbst in den Abgrund werfen, den der große Einsturz des Thrones vom heiligen Ludwig bereitet hat.“

„Verzeiht, ehrenwerther Meister,“ unterbrach ihn der Chef, welcher zur Rechten des Präsidenten stand und in dem man an seinem gebirgsdeutschen Accente den Schweizer erkennen konnte; „Euer Verstand hat ohne Zweifel Alles berechnet?“

„Alles,“ antwortete lakonisch der Großkophta.

„Dennoch wird mich der sehr ehrenwerthe Meister entschuldigen, wenn ich so spreche; auf dem Gipfel unserer Berge, im Grunde unserer Thäler, auf den Ufern unserer Seen sind wir gewohnt, so frei zu reden, als der Hauch des Windes und das Gemurmel des Wassers; ich wiederhole jedoch, ich halte den Augenblick für ungünstig, denn es bereitet sich ein großes Ereigniß vor, dem die französische Monarchie seine Wiedergeburt zu verdanken haben wird. Ich, der ich die Ehre habe, mit Euch zu sprechen, erhabener Großmeister, ich habe eine Tochter von Maria Theresia sich in großem Prunke nach Frankreich wenden sehen, um das Blut von siebzehn Cäsaren mit dem des Nachfolgers von ein und sechzig Königen zu vermischen; und die Völker freuen sich blind, wie sie es immer thun, wenn man ihr Joch etwas nachläßt oder vergoldet. Ich wiederhole also in meinem Namen und in dem meiner Brüder, ich halte den Augenblick für ungünstig.“

Jeder wandte sich voll Ernst gegen denjenigen, welcher mit so viel Ruhe und Kühnheit der Unzufriedenheit des Großmeisters Trotz bot.

„Sprich, Bruder,“ sagte der Großkophta, ohne daß er bewegt zu sein schien, „Dein Rath wird befolgt werden, wenn er gut ist. Wir Erwählten Gottes stoßen Niemand zurück und opfern nicht das Interesse einer Welt der Regung unserer Eitelkeit.“

Der Abgeordnete der Schweiz fuhr unter dem tiefsten Stillschweigen fort:

„Sehr ehrenwerther Großmeister, bei meinen Studien ist es mir gelungen, mich von einer Wahrheit zu überzeugen: davon, daß die Physiognomie der Menschen dem Auge, das darin zu lesen weiß, stets ihre Laster und ihre Tugenden enthüllt. Der Mensch componirt sein Gesicht, er versüßt seinen Blick, er läßt seine Lippen lächeln; alle diese Muskelnbewegungen sind in seiner Gewalt; aber der Haupttypus seines Charakters bleibt hervorspringend ein lesbares und unwidersprechliches Zeugniß von dem, was in seinem Herzen vorgeht. So hat auch der Tiger ein reizendes Lächeln und liebkosende Blicke, doch an seiner niedrigen Stirne, an seinen hervorspringenden Backenknochen, an seinem ungeheuren Hinterhaupte, an seinem blutigen Aufsperren des Rachens erkennt Ihr den Tiger. Der Hund runzelt die Stirne, zeigt die Zähne und geräth in Wuth; aber an seinem sanften, offenen Auge, an seinem gescheiten Gesichte, an seinem folgsamen Wesen erkennt Ihr, daß er dienstfertig und freundschaftlich ist. Gott hat auf das Antlitz jedes Geschöpfes seinen Namen und seine Eigenschaft geschrieben Wohl! ich habe auf der Stirne des Mädchens, das in Frankreich regieren soll, den Muth, den Stolz und die so zarte Menschenfreundlichkeit der deutschen Jungfrauen gelesen; ich habe, auf dem Antlitz des jungen Mannes, der ihr Gemahl werden wird, die ruhige Kaltblütigkeit, die christliche Milde und den gewissenhaften Geist des Beobachters gelesen. Wie sollte aber ein Volk, und besonders das französische Volk, das kein Gedächtniß für das Böse hat und nie das Gute vergißt, denn es genügt ihm an einem Karl dem Großen, an einem heiligen Ludwig und einem Heinrich IV., um zwanzig feige und grausame Könige zu beschirmen, wie sollte ein Volk, das stets hofft und nie verzweifelt, eine junge, schöne und gute Königin und einen sanften, milden und haushälterischen König nicht lieben, nach der unseligen, verschwenderischen Aera von Ludwig XV., nach dessen öffentlichen Orgien und duckmäuserischen Rachehandlungen, nach der Regierung der Pompadour und der Dubarry? Wird Frankreich nicht die Fürstin segnen, welche ein Muster der von mir erwähnten Tugenden sein und als Mitgift den europäischen Frieden bringen wird? Die Dauphine Marie Antoinette kommt über die Grenze, der Altar und das Ehebett werden in Versaille zugerichtet; ist dies der Augenblick für Frankreich und durch Frankreich Euer Reformationswerk zu beginnen? Verzeiht mir, sehr ehrenwerther Herr, aber ich mußte sagen, was ich im Grunde meines Herzens dachte, und was ich Eurer untrüglichen Weisheit zu unterwerfen für meine Pflicht halte.“

Nach diesen Worten verbeugte sich derjenige, welchen der Unbekannte unter dem Namen des Apostels von Zürich bezeichnet hatte, erntete das schmeichelhafte Gemurmel einstimmiger Billigung und wartete auf die Antwort des Großkophta.

Sie ließ nicht lange auf sich warten, denn dieser erwiderte bald:

„Wenn Ihr in den Physiognomien leset, erhabene Brüder, so lese ich in der Zukunft. Maria Antoinette ist stolz; sie wird im Kampfe hartnäckig werden und unter unsern Angriffen untergehen. Der Dauphin Louis Auguste ist gut und mild, er wird im Kampfe schwach werden und wie seine Frau und mit ihr untergehen; nur wird sich jedes von ihnen durch die entgegengesetzte Tugend oder durch den entgegengesetzten Fehler zu Grunde richten. Sie schätzen sich in diesem Augenblick; wir werden ihnen nicht die Zeit gönnen, sich zu lieben, und in einem Jahre verachten sie sich. Warum übrigens sich berathschlagen, meine Brüder, von welcher Seite das Licht komme, da dieses Licht mir geoffenbart ist? da ich vom Orient komme, geleitet wie die Hirten durch das Gestirn, das eine zweite Wiedergeburt verkündigt? Morgen schreite ich zum Werke, und mit Eurer Unterstützung fordre ich zwanzig Jahre von Euch, um unser Werk zu vollbringen; zwanzig Jahre werden genügen, wenn wir vereinigt und stark auf ein Ziel losgehen.“

„Zwanzig Jahre!“ murmelten mehrere Gespenster, „das ist sehr lang.“

Der Großkophta wandte sich an diese Ungeduldigen und sprach:

„Ja, gewiß, es ist sehr lang für Jeden, der sich einbildet, man tödte ein Princip, wie man einen Menschen tödtet mit dem Messer von Jacques Clement oder mit dem Federmesser von Damiens, Wahnsinnige! ... das Messer des Menschen tödtet allerdings; aber dem wiedererzeugenden Stahle ähnlich, schneidet es einen Zweig ab, um zehn andere aus dem Stamme hervorspringen zu lassen, und an der Stelle des in seinem Grabe liegenden königlichen Leichnams, erweckt es einen Ludwig XIII., einen albernen Tyrannen; einen Ludwig XIV, einen verständigen Despoten; einen Ludwig XV., ein Idol, benetzt mit den Thränen und dem Blute seiner Anbeter, wie die ungeheuerlichen Gottheiten, die ich in Indien mit einem eintönigen Lächeln die Frauen und die Kinder, welche Guirlanden unter die Räder ihres Wagens werfen, zerquetschen sah. Ah! Ihr findet, zwanzig Jahre seien zu viel, um den Königsnamen aus den Herzen von zwanzig Millionen Menschen zu vertilgen, welche vor Kurzem noch Gott das Leben ihrer Kinder boten, um das des kleinen Königs Ludwig XV. zu erkaufen! Ah! Ihr glaubt es sei eine leichte Aufgabe, Frankreich die Lilien verhaßt zu machen, welche strahlend wie die Gestirne des Himmels, liebkosend wie die Wohlgerüche der Blumen, an die sie erinnern, tausend Jahre hindurch das Licht, die Menschenliebe, den Sieg in alle Winkel der Erde getragen haben! Versucht es doch, meine Brüder, versucht es: ich gebe Euch nicht zwanzig Jahre, ich gebe Euch ein Jahrhundert! Ihr seid zerstreut, zitternd, einander unbekannt; ich allein weiß alle Eure Namen; ich allein schätze, um ein Ganzes daraus zu machen. Euren getheilten Werth; ich allein bin die Kette, die Euch in einem großen, brüderlichen Knoten verbindet. Wohl! ich sage Euch Philosophen, Oekonomisten, Ideologen, ich will, daß Ihr in zwanzig Jahren die Grundsätze, die Ihr mit leiser Stimme am Familienherde murmelt, die Ihr mit unruhigem Auge im Schatten Eurer alten Thürme niederschreibt, die Ihr einander, den Dolch In der Hand, anvertraut, um mit diesem Dolche den Unklugen oder den Verräther niederzustoßen, der Eure Worte lauter, als Ihr sie sagt, wiederholen würde; ich will, daß Ihr diese Grundsätze ganz öffentlich auf der Straße verkündigt, daß Ihr sie am hellen Tage druckt, daß Ihr sie in ganz Europa durch friedliche Emissäre oder an der Spitze der Bajonette von fünfmal hundert tausend Soldaten verkündigt, welche als Kämpfer für die Freiheit, diese Grundsätze auf ihre Fahnen geschrieben, sich erheben werden; ich will endlich, daß Ihr, die Ihr bei dem Namen des Tower von London, Ihr, die Ihr bei dem Namen der Kerker der Inquisition zittert, ich will bei dem Namen der Bastille, der ich Trotz bieten werde, daß wir, Ihr und ich, aus Mitleid lachen, während wir die Trümmer dieser furchtbaren Kerker, auf denen Eure Frauen und Eure Kinder tanzen werden, mit Füßen treten. Doch Alles dies kann nur nach dem Tode, nicht des Monarchen, sondern der Monarchie, nach der Verachtung der öffentlichen Gewalten, nach dem völligen Vergessen jeder socialen Niedrigkeit, nach der Vertilgung der aristokratischen Kasten und der Theilung der adeligen Güter geschehen. Ich verlange zwanzig Jahre, um eine alte Welt zu zerstören und eine neue aufzubauen, zwanzig Jahre, das heißt zwanzig Secunden der Ewigkeit, und Ihr sagt, das sei zu viel!“

Ein langes Gemurmel der Bewunderung und Beistmmung folgte aus die Rede des düsteren Propheten; er hatte offenbar alle Sympathien dieser geheimnißvollen Mandatare des europäischen Geistes gewonnen.

Der Großkophta genoß einen Augenblick seinen Triumph und fuhr dann, als er ihn vollständig fühlte, fort:

„Sprecht nun, meine Brüder, nun, da ich mich ganz hingebe, nun da ich den Bären in seiner Höhle anzugreifen im Begriffe bin und mein Leben gegen die Freiheit der Welt einsetze, was werdet Ihr für den Erfolg der Sache thun, der wir unser Leben, unser Vermögen und unsere Freiheit geweiht haben? Was werdet Ihr thun, sagt es? dies Euch zu fragen, bin ich gekommen.“

Ein durch seine Feierlichkeit erschreckendes Stillschweigen folgte auf diese Worte; man sah in dem düsteren Saale nur unbewegliche Gespenster, versunken in den ernsten Gedanken, der zwanzig Throne erschüttern sollte.

Die sechs Häupter trennten sich von den Gruppen und kehrten nach einer Berathung von einigen Minuten zu dem obersten Haupte zurück.

Der Präsident sprach zuerst.

„Ich vertrete Schweden,“ sagte er. „Im Namen von Schweden biete ich, um den Thron von Wasa zu vernichten, die Bergleute, welche diesen Thron errichtet haben, nebst hunderttausend Silberthalern.“

Der Großkophta zog seine Schreibtafel hervor und schrieb das Anerbieten auf, das ihm gemacht worden war.

Derjenige, welcher zur linken des Präsidenten stand, sprach sodann:

„Ich, der Abgesandte der irländischen und schottischen Kreise, kann nichts im Namen von England bieten, das wir uns zu bekämpfen eifrig finden werden; doch im Namen des armen Irland, im Namen des armen Schottland biete ich eine Contribution von dreitausend Mann und dreitausend Kronen jährlich.“

Der Großkophta schrieb dieses Anerbieten neben das vorhergehende.

„Und Ihr?“ sagte er zu dem dritten Haupte.

„Ich,“ antwortete dieser, dessen Kraft und Ungestüm sich unter dem beengenden Rocke des Eingeweihten verriethen, „ich vertrete Amerika, von dem jeder Stein, jeder Baum, jeder Wassertropfen, jeder Blutstropfen der Empörung angehört. So lange wir Geld haben, werden wir geben; so lange wir Blut haben, werden wir vergießen; nur können wir nicht eher handeln, als bis wir frei sind. Getheilt, gleichsam eingepfercht, numerirt, stellen wir eine riesige Kette mit getrennten Ringen dar; eine mächtige Hand müßte die zwei ersten Glieder zusammenfügen und die andern würden sich wohl von selbst verbinden. Mit uns also müßte man anfangen, sehr ehrenwerther Meister. Wollt Ihr die Franzosen vom Königthum befreien, so macht uns zuerst von der fremden Herrschaft frei.“

„So soll es geschehen,“ antwortete der Großkophta; „Ihr werdet zuerst frei sein, und Frankreich wird Euch unterstützen. Gott hat in allen Sprachen gesagt: ,,„Helfet einander.‘ “ Wartet also; für Euch, Bruder, wird das Warten wenigstens nicht lange dauern, dafür stehe ich Euch.“

Dann wandte er sich an den Abgeordneten der Schweiz.

„Ich, was mich betrifft,“ sagte dieser, „ich kann nichts versprechen, als meine persönliche Beihülfe. Die Söhne der Republik sind seit geraumer Zeit die Verbündeten der französischen Monarchie; sie verkaufen ihr Blut an dieselbe seit Marignan und Pavia; es sind getreue Schuldner und sie werden ausliefern, was sie verkauft haben. Zum ersten Male, sehr ehrenwerther Großmeister, schäme ich mich unserer Rechtschaffenheit.“

„Es sei,“ antwortete der Großkophta, „wir werden ohne sie und trotz derselben siegen. Und nun ist an Euch die Reihe, Abgeordneter Spaniens.“

„Ich,“ sagte dieser, „ich bin arm, ich kann nur drei tausend Brüder geben; doch sie werden jeder tausend Realen jährlich beitragen. Spanien ist ein träges Land, wo der Mensch auf einem Schmerzenslager zu schlafen weiß, wenn er nur schläft.“

„Gut,“ sprach der Kophta. „Und Ihr?“

„Ich,“ antwortete derjenige, an welchen er sich wandte, „ich vertrete Rußland und die polnischen Kreise. Unsere Brüder sind reiche Unzufriedene oder arme Leibeigene, einer rastlosen Arbeit und einem frühzeitigen Tod geweiht. Im Namen der Leibeigenen kann ich nichts versprechen, weil sie nichts besitzen, nicht einmal das Leben; doch ich verspreche für dreitausend Reiche zwanzig Louis d'or für den Kopf jährlich.“

Die andern Abgeordneten kamen der Reihe nach; jeder vertrat entweder ein kleines Königreich, oder ein großes Fürstenthum oder einen armen Staat; Jeder ließ sein Anerbieten in die Schreibtafel des obersten Hauptes einzeichnen und machte sich durch einen Schwur verbindlich, zu halten, was er versprochen hatte.

„Das durch die drei Buchstaben, an denen Ihr mich erkannt, symbolisirte Losungswort wird sich, bereits in einem Theile der Welt gegeben, nunmehr im andern verbreiten,“ sagte der Großkophta. „Jeder Eingeweihte trage diese drei Buchstaben nicht nur in seinem Herzen, sondern auf seinem Herzen, denn wir, der souvräne Meister der Logen des Orients und des Occidents, befehlen den Untergang der Lilien. Ich befehle ihn Dir, Bruder von Schweden, Dir, Bruder von Schottland, Dir, Bruder von Amerika, Dir, Bruder von der Schweiz, Dir, Bruder von Spanien und Dir, Bruder von Rußland:

LILIA PEDIBUS DESTRUE

[Zerstöre die Lilien mit den Füßen.—