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Führende Experten beleuchten aktuelle Rechts- und Praxisentwicklungen im Bereich der Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse. Die Themen umfassen Schweizerische SPACs und De-SPAC-Transaktionen, Tipps und Tricks für Verhandlungen in M&A-Transaktionen, umweltrechtliche Aspekte in M&A-Transaktionen sowie die neuesten Entwicklungen im Bereich der öffentlichen Kaufangebote.
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Mergers & Acquisitions – Aktuelle Entwicklungen in Recht und Praxis von Hans-Jakob Diem wird unter Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International lizenziert, sofern nichts anderes angegeben ist.
© 2022 – CC BY-NC-ND (Werk), CC BY-SA (Text)
Herausgeber: Hans-Jakob Diem – Europa Institut an der Universität ZürichVerlag: EIZ Publishing (eizpublishing.ch)Produktion, Satz & Vertrieb:buchundnetz.comISBN:978-3-03805-544-0 (Print – Softcover)978-3-03805-545-7 (PDF)978-3-03805-546-4 (ePub)DOI: https://doi.org/10.36862/eiz-544Version: 1.00 – 20221118
Das Werk ist als gedrucktes Buch und als Open-Access-Publikation in verschiedenen digitalen Formaten verfügbar: https://eizpublishing.ch/publikationen/mergers-acquisitions-aktuelle-entwicklungen-in-recht-und-praxis/.
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Am 7. September 2021 führte das Europa Institut an der Universität Zürich (EIZ) unter meiner Leitung das vierundzwanzigste Seminar zum Thema Mergers & Acquisitions durch. Die Darstellungen befassten sich mit einer breiten Palette von aktuellen Themen aus der M&A-Praxis. Frank Gerhard und Patrick Schmidt beleuchten Special Acquisition Companies (SPACs) und De-SPAC-Transaktionen, die sich in den letzten Jahren international grosser Beliebtheit erfreuten, in der Schweiz bzw. unter Schweizer Recht bislang jedoch selten zu verzeichnen sind. Sodann vermittelt Alex Nikitine Tipps und Tricks für Verhandlungen in M&A-Transaktionen, die sich im Nachgang zur COVID-19-Pandemie spürbar verändert haben. Ferner stellen Daniel Aegerter und Lorenz Lehmann umweltrechtliche Aspekte in M&A-Transaktionen dar, welche gerade auch unter dem Stichwort ESG eine breitere Bedeutung erlangen und die Transaktionspraxis entsprechend beeinflussen. Schliesslich untersucht Hans-Jakob Diem die Entwicklungen im Recht der öffentlichen Kaufangebote der letzten fünf Jahre und fasst den neuesten Stand zusammen.
Für das gute Gelingen der Tagung und der Veröffentlichung des vorliegenden Bandes geht mein herzlicher Dank zunächst an die Referenten und Verfasser der Beiträge. Sodann möchte ich mich namentlich bei den Mitarbeitern des Europa Instituts und dort im Speziellen bei Frau Sue Osterwalder bedanken, ohne deren tatkräftige Unterstützung weder Tagung noch der vorliegende Band zustande gekommen wären.
Zürich, im November 2022 Hans-Jakob Diem
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Öffentliche Kaufangebote – neueste Entwicklungen
lic. iur Hans-Jakob Diem, Rechtsanwalt, LL.M., Partner bei Lenz & Staehelin, Zürich
SPAC ante portas: Schweizerische SPACs und De-SPAC-Transaktionen
Dr. iur. Frank Gerhard, Rechtsanwalt, LL.M., Partner bei Homburger AG, Zürich MLaw Patrick Schmidt, Rechtsanwalt, Homburger AG, Zürich
Verhandlungen in M&A-Transaktionen – Tipps und Tricks
Dr. iur. Alex Nikitine, Rechtsanwalt, LL.M., Partner bei Walder Wyss AG, Zürich
Umweltrechtliche Aspekte in M&A-Transaktionen: EDD gestern – heute – morgen
Daniel Aegerter, Dipl. Umwelt-Natw. ETH, Ressortleiter Umwelt Due Diligence und Compliance, Partner bei Ecosens AG, Wallisellen lic. iur. Lorenz Lehmann, Rechtsanwalt, Geschäftsführender Partner und Präsident des Verwaltungsrates, Ecosens AG, Wallisellen
Hans-Jakob Diem
In dieser Reihe wurde vor vier Jahren letztmals über den damaligen Stand und die Entwicklungen im Übernahmerecht berichtet[1]. Auch wenn der Schweizer Unternehmenskontrollmarkt in diesen vier Jahren keine Rekordstände an annoncierten Transaktionen vermelden konnte, so hat sich das Übernahmerecht bzw. die Übernahmepraxis seither dennoch in zahlreichen Punkten weiterentwickelt. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die neuesten Entwicklungen.
Betrachtet man die Marktentwicklung der letzten acht Jahre, so zeigt sich, dass der Übernahmemarkt während der Jahre 2014 bis 2019 auf mittlerem Niveau relativ konstant war. Durchschnittlich wurden in dieser Periode jährlich etwas mehr als fünf öffentliche Kaufangebote publiziert. Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 brach der Markt, nicht überraschend, ein und verzeichnete lediglich zwei Angebote, wovon lediglich eines eine Kontrollübernahme darstellte[2]. Aber auch im Folgejahr blieben die öffentlichen Kaufangebote abgesehen von einer nicht kontrollrelevanten Transaktion[3] aus, was angesichts der Tatsache, dass der M&A-Markt im Jahr 2021 weltweit Rekordstände erreichte, bemerkenswert ist. Immerhin zeichnet sich spätestens seit der markanten Korrektur der Börsen Ende 2021 und im ersten Halbjahr 2022 auch in der Schweiz eine signifikante Wiederbelebung des Übernahmegeschehens ab[4]. Relativ konstant blieben hingegen die Verfahren vor der Übernahmekommission (UEK) betreffend Bestehen bzw. Nichtbestehen der Angebotspflicht, einschliesslich der Gültigkeit eines Opting-out oder Opting-up, sowie bezüglich Ausnahmen von der Angebotspflicht. Von 2014 bis 2021 wurden pro Jahr im Schnitt vier bis fünf solcher Verfahren durchgeführt und durch die UEK beurteilt.
Mit Bezug auf die übernahmerechtlichen Rechtsvorschriften im FinfraG und den ausführenden Verordnungen waren in den letzten Jahren keine Änderungen zu verzeichnen. Im September 2020 hat die UEK ein neues Rundschreiben Nr. 5 – Sanierungsausnahme/Sanierungskonzept der Zielgesellschaft veröffentlicht, worauf weiter unten eingegangen wird[5]. Sodann hat die SIX Swiss Exchange per 1. Juli 2021 die revidierten Bestimmungen betreffend die Ad hoc-Publizität in Kraft gesetzt[6]. Die Revision beinhaltet zahlreiche Änderungen, die für die Transaktionspraxis jedoch nicht von spezifischer Bedeutung sind[7]. Hinzuweisen ist immerhin auf Präzisierungen im Bereich des Bekanntgabeaufschubs, der im Vorfeld öffentlicher Übernahmen bekanntlich regelmässig beansprucht wird[8]. Diesbezüglich wird verlangt, dass der Emittent über angemessene und nachvollziehbare interne Regelungen oder Prozesse verfügt, welche die Vertraulichkeit während des Bekanntgabeaufschubs sicherstellen und namentlich gewährleisten, dass vertrauliche Informationen nur an Personen weitergegeben werden, die diese zur Wahrnehmung der ihnen übertragenen Aufgaben benötigen („need to know-Prinzip“)[9]. Empfohlen wird, diese Prozesse und Regelungen in einem schriftlichenReglement festzuhalten[10]. Des Weiteren wird gefordert, den elektronischen und physischen Zugang zu den vertraulichen Informationen zu beschränken, von den involvierten Personen (vorzugsweise schriftliche) Vertraulichkeitserklärungen einzuholen und eine Insiderliste zu führen[11]. Diese Vorkehren entsprechen bereits der gängigen Praxis[12].
Zuweilen ist unsicher, ob eine beabsichtigte Transaktion als öffentliches Kaufangebot im Sinne des Gesetzes gilt und folglich unter die Übernahmeregelung fällt. Bestehen diesbezüglich Zweifel, kann die Frage vorgängig der UEK zur Beurteilung vorgelegt werden, um Rechtssicherheit zu erlangen[13].
Jüngst stellte sich im Zusammenhang mit der Einführung einer Einheitsaktie die Frage, ob die geplante Transaktion als öffentliches Kaufangebot zu betrachten ist. Im Fall Vetropack Holding[14] beabsichtigte die Gesellschaft, ihre nicht kotierten Stimmrechtsaktien, die rund 80% der Stimmrechte und 44% des Kapitals ausmachten, in kotierte Stammaktien umzuwandeln. Zu diesem Zweck wollte sie den 31 Aktionären, welche die Stimmrechtsaktien hielten, anbieten, diese gegen Stammaktien umzutauschen. Geplant war, mit den Stimmrechtsaktionären das persönliche Gespräch zu suchen und mit jedem interessierten Aktionär oder auch mehreren zusammen einen Vertrag über den Umtausch auszuhandeln und abzuschliessen.
Das Gesetz definiert den Begriff des öffentlichen Kaufangebots in Art. 2 lit. i FinfraG. Danach gelten als öffentliche Kaufangebote Angebote zum Kauf oder Tausch von Aktien, Partizipations- oder Genussscheinen oder von anderen Beteiligungspapieren (Beteiligungspapiere), die sich öffentlich an Inhaberinnen und Inhaber von Aktien oder von anderen Beteiligungspapieren richten.
Im vorliegenden Fall war unstreitig, dass Vetropack den Stimmrechtsaktionären ein Angebot i.S.v. Art. 2 lit. i FinfraG unterbreiten wollte, zumal der Begriff übernahmerechtlich weit ausgelegt wird[15]. Ebenfalls war offensichtlich, dass sich das Angebot auf Beteiligungspapiere, nämlich die Stimmrechtsaktien, richtet. Dass diese nicht kotiert waren, ist für die Anwendbarkeit der Übernahmeregelung irrelevant. Auch ein öffentliches Angebot ausschliesslich auf nicht kotierte Beteiligungspapiere, wie z.B. Mitarbeiteroptionen, stellt ein öffentliches Kaufangebot dar, sofern die Zielgesellschaft über eine andere Kategorie von kotierten Beteiligungspapieren verfügt[16].
Damit ein Angebot zum Kauf oder Tausch von Beteiligungspapieren dem FinfraG untersteht, muss es schliesslich öffentlich sein, d.h. sich öffentlich an Inhaber von Beteiligungspapieren richten[17]. Allerdings definieren weder das Gesetz noch die ausführenden Verordnungen, wann ein Angebot als öffentlich zu betrachten ist[18].
Nach einhelliger Lehre und der Praxis der UEK ist ein Angebot zum Kauf von Beteiligungspapieren zunächst stets dann als öffentlich zu qualifizieren, wenn es in öffentlich zugänglichen Medien verbreitet wird[19]. Ein auf Twitter in Aussicht gestelltes Angebot würde diesem Erfordernis z.B. genügen. Richtet sich ein Angebot hingegen an einen begrenzten Adressatenkreis und wird z.B. mittels Brief oder E-Mail zugestellt, ist für die Frage, ob ein öffentliches Angebot im übernahmerechtlichen Sinn vorliegt, auf die Grösse des Adressatenkreises und die weiteren Umstände, namentlich das Verhältnis der Angebotsempfänger untereinander, abzustellen. Die Kernfrage ist dabei, ob die Empfänger des Angebots in einer Verhandlungsposition stehen, oder ob sie – aufgrund der Grösse des Adressatenkreises und ihrem Verhältnis zueinander – das Angebot so, wie es unterbreitet wurde, nur annehmen oder ablehnen können[20]. Gestützt auf diese Überlegungen hat die UEK in der Vergangenheit ein Schreiben an 80 Fachhändler oder ein individuelles Schreiben an 67 bis 87 Optionsberechtigte als öffentlich qualifiziert[21]. Im vorliegenden Fall Vetropack hingegen hat sie das Umtauschangebot an die 31 Stimmrechtsaktionäre (29 natürliche und zwei juristische Personen), welche familiär untereinander verbunden sind, sich persönlich kennen und daher problemlos koordinieren können, nicht als öffentliches Kaufangebot betrachtet[22]. Dementsprechend stellte die UEK fest, dass der von Vetropack geplante Aktientausch zwecks Einführung einer Einheitsaktie nicht unter die Übernahmeregelung fällt.
Publikumsgesellschaften verfügen regelmässig über Short Term Incentive-Pläne (STIP), d.h. auf ein Geschäftsjahr ausgerichtete, erfolgsabhängige Bonusregelungen meist mit Barentschädigung, sowie über Long Term Incentive-Pläne (LTIP), also längerfristig ausgelegte Beteiligungspläne mit Optionen, gesperrten Aktien, Anwartschaften (Awards) auf Aktien oder reinen Cash Awards (ohne physische Titellieferung). Auch die Mitglieder des Verwaltungsrates erhalten einen Teil ihres Honorars meistens in der Form von gesperrten Aktien[23]. Im Zusammenhang mit einem öffentlichen Kaufangebot zwecks Übernahme der Kontrolle möchte der Anbieter stets sicherstellen, dass diese Pläne per Vollzugstag beendet werden und nach dem Vollzugstag keine Ansprüche oder Anwartschaften auf Aktien der Zielgesellschaft mehr bestehen, sodass er die Gesellschaft letztlich zu hundert Prozent kontrolliert. Aber auch aus Sicht der Zielgesellschaft und der planberechtigten Mitarbeiter besteht ein Interesse, dass die Aktien, Rechte und Anwartschaften unter den Plänen im Zusammenhang mit einem Kaufangebot nicht wertlos verfallen. Wie sich diese Ziele im Einzelfall realisieren lassen, hängt von den konkreten Umständen ab.
Sieht ein Mitarbeiterbeteiligungsplan für den Fall eines öffentlichen Kaufangebotes bereits eine Aufhebung bzw. Beschleunigung von Sperr- bzw. Ausübungsfristen (Accelerated Vesting), eine Umwandlung eines Anspruchs auf physische Titellieferung in Barausgleich (Cash Settlement) oder bei Optionen ein Rückverkaufsrecht zugunsten der Planteilnehmer vor, so kann der Anbieter oft von weiteren Vorkehrungen absehen[24]. Enthält ein Mitarbeiterbeteiligungsplan hingegen keine oder unpassende Bestimmungen mit Blick auf eine Kontrollübernahme, so drängt es sich jedenfalls bei freundlichen Angeboten auf, dass die Zielgesellschaft den Plan in Absprache mit dem Anbieter anpasst. Hat die Zielgesellschaft schliesslich Mitarbeiteroptionen ausstehend, so kann der Anbieter diese Optionen erwerben, sei dies im Rahmen des Angebots durch Ausdehnung desselben auf die Optionen oder ausserhalb des Angebots[25].
Nachfolgend wird die Anpassung von Mitarbeiterbeteiligungsplänen beleuchtet, die in der Praxis häufig vorkommt. Im Vordergrund stehen dabei die Aufhebung von Sperrfristen bei gesperrten Aktien, die Beschleunigung von Vesting-Perioden bei Share Awards, die Umwandlung des Anspruchs auf physische Titellieferung in einen Anspruch auf Barausgleich (Cash Settlement) sowie bei Optionen ein Rückverkaufsrecht zugunsten der Planteilnehmer. Im Zusammenhang mit solchen Plananpassungen stellen sich verschiedene Rechtsfragen aus aktien-, arbeits‑, vergütungs- und insbesondere übernahmerechtlicher Sicht[26]. Gerade im übernahmerechtlichen Bereich hat sich die Praxis in der jüngeren Vergangenheit erheblich weiterentwickelt.
Zu prüfen ist, ob die Anpassung eines Mitarbeiterplanes mit der aktienrechtlichen Sorgfalts- und Treuepflicht des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft[27] vereinbar ist. Grundsätzlich ist die Frage zu bejahen, solange die Planänderung nicht dazu führt, dass der Anbieter den ins Auge gefassten oder bereits offerierten Angebotspreis zum Nachteil der Aktionäre reduziert, was selten vorkommen dürfte[28]. Ferner sollte die Anpassung, also namentlich die Aufhebung von Sperrfristen oder die Beschleunigung von Vesting-Perioden, unter die Bedingung gestellt werden, dass der Anbieter die Kontrollmehrheit erlangt und das Angebot als zustande gekommen erklärt. Ansonsten bestünde das Risiko, dass wichtige Mitarbeiter nicht mehr an das Unternehmen gebunden sind und dieses verlassen, wenn die Übernahme scheitert, was nicht im Interesse der Zielgesellschaft läge.
Auch aus arbeitsrechtlicher Sicht dürfte die Änderung eines Mitarbeiterbeteiligungsplanes im Falle eines öffentlichen Kaufangebots für die betroffenen Mitarbeiter meistens vorteilhaft und daher mit Blick auf Art. 6 OR gültig sein[29]. Dies trifft namentlich auf die Aufhebung von Sperrfristen oder die Beschleunigung von Vesting-Perioden zu, wird den Mitarbeitern dadurch doch ermöglicht, ihre gesperrten Aktien frühzeitig zu verkaufen bzw. ihre Anwartschaften frühzeitig zugeteilt zu erhalten und die dadurch erlangten Aktien unter dem Angebot anzudienen. Auch eine automatische Andienung der frei gewordenen Aktien oder ein Cash Settlement dürfte regelmässig im Interesse der Planteilnehmer liegen. Zwar werden die Mitarbeiter damit ihrer Option beraubt, die frei werdenden Aktien zu behalten und nicht in das Angebot anzudienen. Sofern das Angebot jedoch mit mehr als 50% der Stimmrechte zustande kommt, darf man im Sinne einer vermuteten Zustimmung davon ausgehen, dass ein Planteilnehmer seine Aktien ebenfalls andienen würde, anstatt auf einer kleinen und illiquiden Position „sitzen zu bleiben“.
Sofern Mitglieder des Verwaltungsrates oder der Geschäftsleitung der Zielgesellschaft von einer Plananpassung betroffen sind, ist zu prüfen, ob die vorgesehene Massnahme aus vergütungsrechtlicher Sicht als zulässig betrachtet werden kann[30]. Im Vordergrund steht eine mögliche Qualifikation der Plananpassung als unzulässige Provision für Übernahmen[31].
Soweit die Anpassung in einer Beschleunigung von Ausübungs- oder Sperrfristen für den Fall des Zustandekommens des Angebots besteht, stellt sie grundsätzlich keine verbotene Vergütung bzw. Provision dar[32]. Eine unzulässige Vergütung wäre nur dann anzunehmen, wenn die Plananpassung nicht unabhängig davon erfolgt, ob das Arbeitsverhältnis beendet wird, oder wenn die Beschleunigung bzw. Aufhebung der Sperrfrist zu einem Wertzuwachs der Aktien führt. Letzteres wäre der Fall, wenn bei der Zuteilung bzw. Genehmigung der Generalversammlung nicht der damalige Börsenkurs genehmigt wurde, sondern ein Abzug für die Sperrfrist vorgenommen worden wäre. Wurde hingegen kein Abzug vorgenommen oder wurde zwar ein Abzug vorgenommen, aber die Wahrscheinlichkeit des Wegfalls der Sperrfrist berücksichtigt, liegt kein unzulässiger Wertzuwachs vor[33]. Ohne weiteres zulässig ist die wertneutrale Umwandlung eines Anspruchs auf physische Titellieferung in einen im Plan nicht vorgesehenen Anspruch auf Barausgleich. Auch hier findet kein Wertzuwachs statt.
Mit Bezug auf die Aktienzuteilung unter leistungsbezogenen Instrumenten wie namentlich Share Awards stellt sich zunächst die Frage, ob die Anzahl Aktien, die zugeteilt werden, pro rata temporis gekürzt werden muss, um der Beschleunigung der Vesting-Periode Rechnung zu tragen. M.E. ist dies nicht der Fall, denn den Planteilnehmern werden keine geldwerten Vorteile gewährt, die ihnen unter den Plänen (soweit in ungekündigter Stellung) am Ende der ordentlichen Vesting-Periode nicht zustehen würden[34]. Umgekehrt würde eine pro rata-Zuteilung die planmässigen Ansprüche der Teilnehmer in ungerechtfertigter Weise verkürzen. Dementsprechend sehen die Equity Award-Pläne zahlreicher kotierter Gesellschaften im Falle eines Kontrollwechsels denn auch ein volles Vesting (d.h. ohne pro rata-Kürzung) vor. Des Weiteren fragt sich, wie die Anzahl der unter einem Share Award zu liefernden Aktien zu ermitteln ist, nachdem die zukünftige Performance der Zielgesellschaft bis zum Ablauf der ordentlichen Vesting-Perioden naturgemäss unbekannt ist. Unproblematisch ist, eine hundertprozentige Leistungserfüllung (at target) zugrunde zu legen. Die Lehre betrachtet selbst die Annahme der maximalen Zielerreichung für die Ermittlung der Anzahl der zuzuteilenden Aktien als vergütungsrechtlich grundsätzlich zulässig[35].
Nach der Praxis der UEK werden Änderungen von aktien- und optionsbasierten Plänen, welche die Zielgesellschaft im Hinblick auf ein Angebot vornimmt, dem Anbieter zugerechnet, wenn die Zielgesellschaft in gemeinsamer Absprache mit dem Anbieter handelt. Die Änderungen und die davon betroffenen Ansprüche und Beteiligungen gelten gegebenenfalls als materiell vom Angebot mitumfasst, weshalb zu prüfen ist, ob sie den übernahmerechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz[36] und insbesondere die Best Price Rule[37] einhalten[38]. Dies bedeutet umgekehrt, dass Plananpassungen, welche die Zielgesellschaft einseitig und ohne Absprache mit dem Anbieter vornimmt, übernahmerechtlich im Prinzip nicht zu beurteilen sind. Zu denken ist namentlich an unfreundliche Angebote. Dasselbe gilt für den Fall eines freundlichen Angebots, wenn eine Planänderung nicht im Hinblick auf das spezifische Kaufangebot erfolgte, sondern unabhängig davon vorgängig vorgenommen wurde[39].
Steht ein öffentliches Kaufangebot im Raum, ist zu entscheiden, ob der bestehende Short Term Incentive Plan angepasst werden soll, z.B. indem der Cash Bonus für das laufende Geschäftsjahr per Vollzug des Kaufangebots ermittelt und pro rata an die Bonusberechtigten ausgezahlt wird. Solche Anpassungen von Ansprüchen auf Geldzahlung werden von der Best Price Rule nicht erfasst, da es an einem relevanten Erwerb von Beteiligungspapieren oder Beteiligungsderivaten fehlt[40]. Das gilt auch für aktienbasierte Ansprüche oder Anwartschaften unter Long Term Incentive-Plänen, die keine physische Titellieferung, sondern einen reinen Barausgleich vorsehen, d.h. reine Cash Awards oder Phantom Stocks. Auch die Anpassung von solchen Ansprüchen oder Anwartschaften auf Geldzahlung wird grundsätzlich von der Best Price Rule nicht erfasst und ist daher unproblematisch[41]. Immerhin bleiben jeweils Umgehungstransaktionen vorbehalten.
Im Zusammenhang mit einem öffentlichen Kaufangebot wird mit Bezug auf bereits zugeteilte, aber noch gesperrte Aktien von Mitarbeitern und Mitgliedern des Verwaltungsrates regelmässig vorgesehen, die Sperrfrist nach Ablauf der Angebotsfrist aufzuheben, sofern das Angebot zustande gekommen ist. Damit wird den Inhabern ermöglicht, diese Aktien während der Nachfrist unter dem Angebot anzudienen. Eine solche Aufhebung von Sperrfristen fällt nach der Praxis der UEK nicht unter den Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes und namentlich der Best Price Rule[42] und ist daher unproblematisch.
Equity oder Share Awards, oft Performance Share Units genannt, vermitteln den Berechtigten einen Anspruch auf den Bezug einer bestimmten Anzahl Aktien in der Zukunft, wenn gewisse langfristige Performance-Ziele, wie z.B. EBITDA- oder Equity Free Cash-Flow-Ziele, erreicht oder übertroffen werden. Typischerweise dauert die Vesting-Periode, nach welcher die Zielerreichung ermittelt wird, drei Jahre ab dem Zeitpunkt der Zuteilung der Awards. Werden die gesteckten Leistungsziele erreicht („at target“), erhalten die Berechtigten eine definierte Anzahl Aktien der Zielgesellschaft. Werden die Ziele verfehlt, sinkt die Zahl der zuzuteilenden Aktien, möglicherweise bis auf null. Werden die Ziele übertroffen, erhöht sich der Anspruch bis zu einer definierten maximalen Anzahl Aktien, die oft in Prozent des Grundanspruches (z.B. 200% der Zielerreichung) ausgedrückt wird.
Steht ein öffentliches Kaufangebot im Raum, werden die Vesting-Perioden der aktienbasierten Anwartschaften (Equity Awards) in aller Regel auf die Nachfrist oder den Vollzugstag hin beschleunigt. Wie bei gesperrten Aktien verletzt eine solche Beschleunigung von Vesting-Perioden nach der Praxis der UEK die Best Price Rule nicht, soweit die Regel überhaupt anwendbar ist[43]. Dabei müssen die Anwartschaften nicht pro rata temporis gekürzt werden, auch wenn sie in zeitlicher Hinsicht aufgrund der Beschleunigung noch nicht „voll abgearbeitet“ wurden[44].
Sodann stellt sich die Frage, wie die Anzahl der unter einem Share Award zu liefernden Aktien zu ermitteln ist, nachdem die zukünftige Performance der Zielgesellschaft bis zum ordentlichen Ablauf der Vesting-Perioden naturgemäss unbekannt ist. In vielen Fällen wird die Zielerreichung „at target“ festgesetzt[45]. In einem Fall hat die Zielgesellschaft die Anzahl der zu liefernden Aktien gestützt auf die tatsächliche Performance (EBITDA, Equity Free Cash-Flow) der Zielgesellschaft bis zum Ablauf der beschleunigten Vesting-Periode, linear extrapoliert auf die Zukunft, ermittelt. Die UEK hat in diesem Fall festgestellt, dass auch ein solches Vorgehen den Gleichbehandlungsgrundsatz bzw. die Best Price Rule nicht verletzt[46].
Um die Ansprüche von Planteilnehmern unter Share Awards oder Mitarbeiteroptionen nach Ablauf der Vesting-Periode zu befriedigen, besorgt sich die Gesellschaft die zu liefernden Aktien meistens auf rollierender Basis über die Börse. Solche Börsenkäufe sind im Vorfeld eines öffentlichen Kaufangebots insiderrechtlich problematisch und erhöhen nach der Annoncierung der Transaktion unnötigerweise die Komplexität und das Risiko von Fehlern (z.B. bezüglich der Best Price Rule). Daher werden die Planbestimmungen in vielen Fällen so angepasst, dass der Anspruch auf Titellieferung in einen Anspruch auf Barausgleich umgewandelt wird. Die Vesting-Perioden werden gegebenenfalls auf den Vollzugstag hin beschleunigt, und die Planteilnehmer erhalten am Vollzugstag anstelle von Aktien der Zielgesellschaft den darauf entfallenden Barbetrag.
Die Umwandlung des Anspruches auf Titellieferung in einen Anspruch auf Barausgleich ist i.d.R. unproblematisch. Nach der Praxis der UEK verletzt der Vorgang bei Anwartschaften auf Aktien (Equity Awards) oder (noch nicht fälligen) Ansprüchen auf aktienbasierte Entschädigung die Best Price Rule nicht, wenn der Betrag der Barzahlung den Angebotspreis pro Aktie nicht übersteigt[47]. Bei Mitarbeiteroptionen, die „in the money“ sind, ist die Best Price Rule eingehalten, wenn der Betrag der Barzahlung die Differenz zwischen dem Angebotspreis und dem Ausübungspreis nicht übersteigt[48]. Dasselbe gilt bei Optionen, die „out of the money“ sind, sofern der Betrag der Barzahlung den nach einer anerkannten Bewertungsmethode (Black-Scholes oder Binominalmodell) ermittelten Wert der Option nicht übersteigt[49]. Eine zusätzliche Abgeltung entgangener Dividenden ist ebenfalls möglich, wenn dies im betreffenden Beteiligungsplan so vorgesehen ist[50]. Für den Fall, dass während des Angebots eine (Sonder-) Dividende ausbezahlt werden soll, deren Abgeltung im Beteiligungsplan nicht vorgesehen ist, hat die UEK in der Vergangenheit Ausnahmen von der Best Price Rule gewährt, womit die Planteilnehmer mit den andienenden Aktionären finanziell gleichgestellt wurden[51].
Besondere Aufmerksamkeit ist der Anpassung von Mitarbeiterbeteiligungsplänen bei Tauschangeboten und gemischten Angeboten zu schenken. So hat die UEK in einem Fall festgehalten, dass die Umwandlung des Anspruchs auf physische Titellieferung, seien dies aktien- oder optionsbasierte Ansprüche, in einen Anspruch auf Barausgleich in einem Tausch- oder gemischten Angebot die Pflicht des Anbieters, eine Baralternative zu unterbreiten, auslöst, ohne dass eine Ausnahme davon erhältlich wäre[52]. Demgegenüber ist es mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Best Price Rule unproblematisch, wenn der Anbieter den Planteilnehmern offeriert, ihre gesperrten Aktien der Zielgesellschaft in gesperrte Aktien des Anbieters umzutauschen und eine Barkomponente (gemischtes Angebot) ebenfalls durch gesperrte Aktien des Anbieters ersetzen zu lassen (Roll-over)[53].
Die vom Anbieter zu beauftragende Prüfstelle muss in ihrem ersten Bericht zum Angebot bestätigen, dass die Best Price Rule eingehalten wurde[54]. Zu diesem Zweck hat die Prüfstelle u.a. zu prüfen, ob die Änderung von Options- bzw. Aktienplänen mit der Best Price Rule in Einklang steht[55]. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, die beabsichtigten Planänderungen und namentlich die konkreten Berechnungen frühzeitig mit der Prüfstelle aufzunehmen.
Ebenfalls ist zu empfehlen, die Planänderungen unter die Bedingung zu stellen, dass die UEK in ihrer Verfügung zum Angebot bestätigt, dass die Best Price Rule eingehalten ist. Die entsprechende Bedingung sollte auch in der Transaktionsvereinbarung zwischen dem Anbieter und der Zielgesellschaft aufgenommen werden.
In freundlichen Kontrollwechseltransaktionen schliessen der Anbieter und die Zielgesellschaft vor der Voranmeldung regelmässig eine Transaktionsvereinbarung ab, worin sie ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot regeln[56]. Darin verpflichtet sich die Zielgesellschaft u.a. typischerweise, das Angebot zur Annahme zu empfehlen, die Annahme nicht zurückzuziehen oder abzuändern sowie keine Drittangebote zu unterstützen[57]. Diese Pflichten der Zielgesellschaft gelten allerdings nicht absolut. Vielmehr werden regelmässig Ausnahmen vorgesehen, die auch als Fiduciary Out bezeichnet werden[58]. Sie erlauben es der Zielgesellschaft (bzw. ihrem Verwaltungsrat), einem Drittinteressenten unter bestimmten Voraussetzungen Informationen offen zu legen und mit ihm ein unverbindliches Angebot auszuhandeln, sowie im Falle eines verbindlichen, besseren Drittangebots die Unterstützung des Erstangebots zurückzuziehen, das Konkurrenzangebot zu unterstützen und die Transaktionsvereinbarung mit dem Erstanbieter zu beenden[59]. In der Schweizer Transaktionspraxis hat sich bereits früh ein Marktstandard etabliert, wonach dem Verwaltungsrat der Zielgesellschaft nur dann gestattet ist, von seiner Empfehlung des Erstangebots Abstand zu nehmen und eine Konkurrenzofferte zu unterstützen, wenn dies nach seinem pflichtgemässen Ermessen und nach Konsultation mit einem externen Rechtsanwalt erforderlich ist, um seine Fiduciary Duties, d.h. seine Sorgfalts- und Treuepflichten, zu erfüllen.
Soweit ersichtlich, hat die UEK erstmals im Jahr 2019 eine Fiduciary Out-Klausel aus übernahmerechtlicher Sicht beurteilt. Im Fall Panalpina Welttransport sah die Transaktionsvereinbarung vor, dass die Zielgesellschaft die Empfehlung des Angebots nur ändern bzw. widerrufen darf, wenn ein Konkurrenzanbieter spätestens am fünften Handelstag vor Ablauf der Angebotsfrist ein höheres Angebot unterbreitet und die Unterlassung einer entsprechenden Handlung für den Verwaltungsrat der Zielgesellschaft eine Verletzung der Sorgfalts- und Treupflicht bedeuten würde. Die UEK erachtete diese Bestimmung sowohl in zeitlicher als auch in inhaltlicher Hinsicht als unzulässig. Nach dem Entscheid muss eine Neubeurteilung des Angebots durch den Verwaltungsrat auch dann erfolgen, wenn ein Konkurrenzangebot am letzten Börsentag der Angebotsfrist des Erstangebots unterbreitet wird. Zudem darf das Ermessen in dieser Neubeurteilung nach Ansicht der UEK nicht eingeschränkt werden, indem sie an die Voraussetzung einer andernfalls drohenden Verletzung der Sorgfalts- und Treupflicht gemäss Art. 717 OR geknüpft wird[60]. Die UEK hat ihre Auffassung im späteren Fall Vifor Pharma bestätigt und eine Fiduciary Out-Klausel, welche dieselbe inhaltliche (aber keine zeitliche) Ermessenseinschränkung vorsah, ebenfalls als unzulässig beurteilt[61].
Was die zeitliche Dimension des Fiduciary Out betrifft, ist der Auffassung der UEK beizupflichten. Ein konkurrierendes Angebot kann bis zum letzten Börsentag der Angebotsfrist des vorhergehenden Angebots erfolgen[62]. Demzufolge muss dem Verwaltungsrat der Zielgesellschaft auch gestattet sein, ein bis zu diesem Zeitpunkt publiziertes Zweitangebot zu beurteilen und auf seine Empfehlung des Erstangebots zurückzukommen.
Mit Bezug auf die inhaltliche Beschränkung des Fiduciary Out ist offen, ob ein Gericht der Auffassung der UEK folgen würde. Dies ist möglicherweise auch ein Grund dafür, dass die Fiduciary Outs in der Transaktionspraxis – der Auffassung der UEK zum Trotz – teilweise weiterhin durch Verweis auf die Sorgfalts- und Treuepflichten des Verwaltungsrates beschränkt werden. Unzutreffend sind m.E. aber die eher beiläufigen Aussagen der UEK, wonach die Exklusivitätsverpflichtung gegenüber dem Erstanbieter insgesamt nur solange gültig ist, als kein Drittangebot formell publiziert worden ist[63]. M.E. steht es den Parteien frei, die sachlichen Kriterien, nach welchen der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft ein Konkurrenzangebot im Vergleich zum Erstangebot zu beurteilen hat, zu definieren und das dabei einzuhaltende Verfahren festzulegen. So verlangen die Vertragsklauseln z.B. regelmässig, dass es sich beim Konkurrenzangebot um ein „Superior Offer“ handeln muss, damit der Zielgesellschaft der Ausstieg gestattet ist[64]. Letztlich geht es bei solchen und ähnlichen Konkretisierungen darum, sicherzustellen, dass der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft sein Ermessen nach objektiven und sachlichen Kriterien pflichtgemäss und nicht willkürlich ausübt.
Das FinfraG gestattet Publikumsgesellschaften, die Angebotspflicht auszuschliessen, indem sie in den Statuten eine Opting-out-Klausel verankern[65]. Es ermöglicht ihnen darüber hinaus, den Grenzwert von 33⅓% bis auf 49% der Stimmrechte anzuheben (Opting-up)[66]. Als Folge eines Opting-out bzw. Opting-up besteht keine Angebotspflicht bzw. sie entsteht erst bei Durchschreiten der höheren Schwelle. Ausserdem sind die Mindestpreisvorschriften bei freiwilligen Angeboten nicht anwendbar, bzw. beim Opting-up erst bei Angeboten, mit welchen die statutarisch festgesetzte höhere Schwelle überschritten würde[67].
Nach der mittlerweile gefestigten Praxis der UEK kann ein Opting-out oder Opting-up auch nach der Börsenkotierung eingeführt werden, ist übernahmerechtlich aber nur gültig, wenn die Aktionäre vor dem Beschluss der Generalversammlung transparent über die Folgen der Einführung der Opting-out/Opting-up-Klausel informiert wurden und wenn die Mehrheit der von Minderheitsaktionären vertretenen Stimmen dem Beschluss zugestimmt hat[68]. Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, wird vermutet, dass das Opting-out keine Benachteiligung der Minderheitsaktionäre i.S.v. Art. 125 Abs. 4 FinfraG und Art. 706 OR bewirkt, wobei diese Vermutung beim Vorliegen besonderer und aussergewöhnlicher Umstände umgestossen werden kann[69].
Ein Opting-out oder Opting-up kann sodann generell oder selektiv sowie transaktionsspezifisch ausgestaltet werden[70]. Ein generelles Opting-out schliesst die Angebotspflicht allgemein für jeden Aktionär aus. Bei einem selektiven Opting-out wird lediglich eine bestimmte Partei von der Angebotspflicht ausgenommen, sei dies allgemein oder, beim zusätzlich transaktionsspezifischen Opting-out, ausschliesslich für die Grenzwertüberschreitung zufolge einer bestimmten Transaktion[71]. Nach der mittlerweile in drei Fällen bestätigten Praxis der UEK sind solche selektiven Opting-outs grundsätzlich gültig[72]. Allerdings verlangt die UEK als zusätzliche Voraussetzung, dass die durch die Selektivität des Opting-out bewirkte Ungleichbehandlung der Aktionäre durch das Gesellschaftsinteresse gerechtfertigt ist[73]. Die Beurteilung, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, obliegt dem Verwaltungsrat der Zielgesellschaft.
Die aktuelle Praxis der UEK zur Gültigkeit eines nachträglichen Opting-out geht auf eine Praxisänderung im Jahr 2012 zurück[74]. Man würde annehmen, dass ein Opting-out, welches vor dieser Praxisänderung eingeführt wurde, gemäss der damals geltenden, alten Praxis zu beurteilen ist. Die UEK hat im Fall LEM Holding überraschenderweise anders entschieden und festgestellt, dass die Gültigkeit einer vor der Praxisänderung eingeführten Opting-Out-Klausel nach der neuen Praxis zu beurteilen ist, wenn der (beabsichtigte) Kontrollwechsel danach stattfindet[75]. Nach Ansicht der UEK ist übergangsrechtlich damit der Kontrollwechsel der massgebende Anknüpfungspunkt und nicht die Einführung der Opting-out-Klausel. Nachträgliche Opting-outs, die vor 2012 eingeführt wurden, sind demnach nicht ohne weiteres verlässlich. Vielmehr ist zu prüfen, ob die Kriterien der geltenden Praxis bei der Einführung erfüllt wurden.
Mit Bezug auf das Erfordernis, wonach die Mehrheit der Minderheit der Einführung des Opting-out oder Opting-up zustimmen muss, gelten nach der Praxis der UEK diejenigen Aktionäre als Minderheitsaktionäre, die weder direkt oder indirekt, alleine oder in gemeinsamer Absprache, über 33⅓% der Stimmrechte der Zielgesellschaft halten, noch die Aufnahme der Opting-Out-Klausel beim Verwaltungsrat beantragt haben. Eine Sonderversammlung der Minderheitsaktionäre ist nicht erforderlich; vielmehr genügt eine separate Auszählung[76].
Die UEK und die FINMA hatten im Fall MCH Group Gelegenheit, das Erfordernis der Mehrheit der Minderheit zu überprüfen und zu präzisieren[77]. Im betreffenden Fall ging es um die Einführung eines selektiven und transaktionsspezifischen Opting-up zugunsten eines neuen Investors, welcher der Zielgesellschaft im Rahmen einer notwendigen Kapitalerhöhung namhaft Kapital zur Verfügung stellen wollte, wodurch er die Schwelle von 33⅓% der Stimmrechte überschritten hätte. Die Abstimmung über die Einführung der Opting-up-Klausel ging äusserst knapp aus[78].
Im Fall war streitig, ob die vom Kanton Basel-Stadt vertretenen Stimmen, die 33.50% der Stimmrechte der Zielgesellschaft ausmachten, bei der Ermittlung der Mehrheit der Minderheit berücksichtigt werden dürfen. Die Zielgesellschaft und der Investor vertraten den Standpunkt, die Stimmen seien zu berücksichtigen, da es sich um ein selektives Opting-out zugunsten des Investors handelte und der Kanton somit gar nicht begünstigt war. Die UEK ist der Meinung nicht gefolgt. Sie begründete ihre ablehnende Haltung damit, dass der kontrollierende Aktionär, wenn man dessen Aktien mitzählte, mit seiner Stimmkraft (auch) die Abstimmung der Mehrheit der Minderheit dominieren und damit gegebenenfalls über die Köpfe der Minderheitsaktionäre hinweg über die Einführung eines selektiven Opting-up und die damit verbundene Zuteilung der Begünstigung an einen Dritten entscheiden könnte, was mit dem Schutzgedanken der Voraussetzung der Mehrheit der Minderheit nicht vereinbar wäre[79]. Die FINMA stützte diese Auffassung sinngemäss mit der Begründung, dass die Minderheitsaktionäre durch ein selektives Opting-out besonders berührt und potenziell benachteiligt sind, weil sie eher an einem Ausstieg zufolge Kontrollwechsel interessiert sind als der Grossaktionär, und ihnen daher ein kollektives Vetorecht zustehen muss[80]. Das übernahmerechtliche Erfordernis, wonach die Stimmen von Aktionären, die über 33⅓% der Stimmrechte der Zielgesellschaft halten, nicht gezählt werden dürfen, gilt somit auch für die Einführung eines selektiven (und transaktionsspezifischen) Opting-out oder Opting-up, mit welchem ein Dritter begünstigt wird.
Des Weiteren war im Fall MCH Group streitig, ob für den Beschluss betreffend Opting-out oder Opting-up auf die an der Generalversammlung vertretenen oder auf die abgegebenen Stimmen abzustellen ist. Die Zielgesellschaft und der Investor vertraten den Standpunkt, die abgegebenen Stimmen seien massgebend, weil die Statuten der Zielgesellschaft eine von Art. 703 OR abweichende Bestimmung enthielten, wonach Generalversammlungsbeschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst werden[81]. Wiederum war die UEK anderer Meinung und hielt fest, dass nach ihrer gefestigten Praxis auf die vertretenen Stimmen abzustellen ist[82]. Die FINMA stützte den Standpunkt der UEK mit der Begründung, dass ein Abstellen auf die vertretenen Stimmen gemäss dem ordentlichen gesetzlichen Quorum von Art. 703 OR der ratio legis und dem Zweck des Minderheitenschutzes im Übernahmerecht dient[83]. Damit ist bei der Ermittlung der „Mehrheit der Minderheit“ im Rahmen der Einführung eines (selektiven) Opting-up oder Opting-out auf die an der Generalversammlung vertretenen Stimmen der Minderheitsaktionäre abzustellen, auch wenn gemäss den Statuten der Zielgesellschaft ansonsten die Mehrheit der abgegebenen Stimmen massgeblich ist. Enthaltungen zählen folglich effektiv als Nein-Stimmen.
Die UEK kann in berechtigten Fällen Ausnahmen von der Angebotspflicht gewähren, namentlich wenn Beteiligungspapiere zu Sanierungszwecken erworben werden[84]. Damit sollen Investoren privilegiert werden, welche die Gesellschaft in einer prekären Finanzlage zu unterstützen bereit sind, da in solchen Fällen das Interesse der Aktionäre am Fortbestand der Gesellschaft grösser sein kann als ihr Interesse an einem Pflichtangebot[85]. Möchte ein Investor eine Sanierungsausnahme beanspruchen, muss er bei der UEK ein Gesuch einreichen, woraufhin diese ein Verfahren eröffnet und die Parteien (d.h. die Zielgesellschaft) zu einer Stellungnahme einlädt[86]. Schliesslich erlässt die UEK eine Verfügung zum Gesuch, die sie auf ihrer Website veröffentlicht[87].
In der Vergangenheit wurden Sanierungsausnahmen in einer Vielzahl von Fällen gewährt. Jüngst gab der umstrittene Fall Swiss Steel Holding (ehemals Schmolz + Bickenbach) der UEK und der FINMA Gelegenheit, die bisherige Praxis zu überprüfen und anzupassen[88].
Damit eine Sanierungsausnahme erhältlich ist, müssen nach der Praxis der UEK und der FINMA drei Voraussetzungen gegeben sein:
Zunächst muss aufgezeigt werden, dass ein Sanierungsbedarf der Zielgesellschaft besteht. Dabei wird von einem betriebswirtschaftlichen (und nicht einem rechtlichen) Sanierungsbegriff ausgegangen. Er erfasst alle Massnahmen, die dazu dienen, die einer wirtschaftlich Not leidenden Unternehmung anhaftenden, existenzgefährdenden Schwächen zu beheben und ihre Ertragskraft wiederherzustellen[89]. Erforderlich ist demnach, dass die Fortführung der Geschäftstätigkeit gefährdet ist. Es braucht jedoch nicht abgewartet zu werden, bis tatsächlich eine Unterbilanz, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Zielgesellschaft eintritt[90]. Ein Sanierungsbedarf wird beispielsweise als gegeben betrachtet, wenn die Zielgesellschaft mit grosser Wahrscheinlichkeit ihre Verpflichtungen aus Finanzierungsverträgen nicht wird erfüllen können oder einen nicht tragbaren Verschuldungsgrad aufweist[91].Als zweite Voraussetzung für eine Sanierungsausnahme muss die gewählte Sanierungsmassnahme nach dem normalen Lauf der Dinge mit vernünftiger Wahrscheinlichkeit geeignet sein, den Fortbestand der Zielgesellschaft zu sichern (Sanierungseignung)[92]. Als geeignet wird jede Massnahme betrachtet, die dazu dient, die Schwäche zu beheben bzw. die Ertragskraft wiederherzustellen. Eine Garantie für den langfristigen Erfolg der Massnahme ist hingegen nicht erforderlich. Ist der Sanierungsbedarf erstellt, so wird grundsätzlich angenommen, dass eine von der Generalversammlung beschlossene Massnahme für die Sanierung zweckmässig bzw. geeignet ist[93].Drittens ist der Grundsatz der Subsidiarität der Sanierungsausnahme zu beachten. Danach darf eine Sanierungsausnahme nur als ultima ratio gewährt werden, wenn also andere Sanierungsmassnahmen, d.h. solche, die ohne einen Kontrollwechsel durchgeführt werden können, bereits (erfolglos) ergriffen wurden oder von vornherein als aussichtslos erscheinen. Namentlich soll eine Sanierungsausnahme erst in einer Situation gewährt werden, in welcher sich anderweitig kein Investor finden lässt, der für die Sicherung des Fortbestandes der Zielgesellschaft notwendig ist[94].