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Führende Experten beleuchten aktuelle Rechts- und Praxisentwicklungen im Bereich der Unternehmensübernahmen und -zusammenschlüsse. Die Themen umfassen die Auswirkungen des neuen Aktienrechts auf M&A, die Non-Compete, Non-Solicitation und Retention Agreements, die in der Praxis hochrelevanten Aspekte der beruflichen Vorsorge in M&A-Transaktionen, einen Überblick über die weltweite Verbreitung und den Stand der Direktinvestitionskontrolle, die M&A-Entwicklung im Spannungsfeld von COVID-19 sowie die Ausstiegsmöglichkeiten aus bereits vereinbarten M&A-Transaktionen.
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Seitenzahl: 293
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Mergers & Acquisitions in Recht und Praxis von Hans-Jakob Diem wird unter Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International lizenziert, sofern nichts anderes angegeben ist.
© 2022 – CC BY-NC-ND (Werk), CC BY-SA (Text)
Herausgeber: Hans-Jakob DiemVerlag: EIZ Publishing (eizpublishing.ch)Produktion, Satz & Vertrieb: buch & netz, buchundnetz.comISBN:978-3-03805-538-9 (Print – Softcover)978-3-03805-539-6 (PDF)978-3-03805-540-2 (ePub)DOI: https://doi.org/10.36862/eiz-538Version: 1.00 – 20221101
Das Werk ist als gedrucktes Buch und als Open-Access-Publikation in verschiedenen digitalen Formaten verfügbar:https://eizpublishing.ch/publikationen/mergers-acquisitions-in-recht-und-praxis/.
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Am 2. September 2020 führte das Europa Institut an der Universität Zürich (EIZ) unter meiner Leitung das dreiundzwanzigste Seminar zum Thema Mergers & Acquisitions durch. Die Darstellungen befassten sich mit einer breiten Palette von Themen vor allem mit Bezug auf privat gehaltene Gesellschaften, aber auch auf öffentliche Transaktionen. So stellt Dieter Gericke die Auswirkungen des neuen Aktienrechts auf M&A und Aktivismus dar, während Philippe A. Weber und Nicolas Birkhäuser die häufig vorkommenden Non-Compete, Non-Solicitation und Retention Agreements beleuchten, die zahlreiche Rechtsfragen aufwerfen. Der Beitrag von Franziska Stadtherr-Glättli widmet sich den in der Praxis hochrelevanten Aspekten der beruflichen Vorsorge in M&A-Transaktionen. Sodann geben Frank Röhlin und Marcel Meinhardt einen Überblick über die weltweite Verbreitung und den Stand der Direktinvestitionskontrolle, und Marco Superina, Brice Bolinger und Thomas Karg stellen die M&A-Entwicklung im Spannungsfeld von COVID-19 dar. Schliesslich beleuchtet Hans-Jakob Diem unter dem Schlagwort „M&A in Uncertain Times“ die Ausstiegsmöglichkeiten aus bereits vereinbarten M&A-Transaktionen.
Für das gute Gelingen der Tagung und der Veröffentlichung des vorliegenden Bandes geht mein herzlicher Dank zunächst an die Referenten und Verfasser der Beiträge. Sodann möchte ich mich namentlich bei den Mitarbeitern des Europa Instituts und dort im Speziellen bei Frau Sue Osterwalder bedanken, ohne deren tatkräftige Unterstützung weder Tagung noch der vorliegende Band zustande gekommen wären.
Zürich, im September 2022 Hans-Jakob Diem
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M&A in Uncertain Times: No MAC und andere Exit- Möglichkeiten aus M&A-Transaktionen
Hans-Jakob Diem, Rechtsanwalt, LL.M., Partner bei Lenz & Staehelin, Zürich
M&A und Aktivismus unter dem neuen Aktienrecht
Dr. Dieter Gericke, Rechtsanwalt, LL.M., Partner bei Homburger AG, Zürich
Non-Compete, Non-Solicitation und Retention-Agreements in M&A-Transaktionen
Nicolas Birkhäuser, Rechtsanwalt, Partner bei Niederer Kraft Frey AG, Zürich Dr. Philippe A. Weber, Rechtsanwalt, LL.M., Partner bei Niederer Kraft Frey AG, Zürich
Aspekte der beruflichen Vorsorge in M&A-Transaktionen
Franziska Stadtherr-Glättli, Eidg. dipl. Steuerexpertin, LL.M., Counsel bei Lenz & Staehelin, Zürich
Foreign Direct Investment Control – von CFIUS in die Welt
Dr. Frank Röhling, Rechtsanwalt, Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Berlin Dr. Marcel Meinhardt, Rechtsanwalt, LL.M., Partner bei Lenz & Staehelin, Zürich
M&A im Spannungsfeld von COVID-19
Dr. Marco Superina, Managing Director, Credit Suisse (Schweiz) AG, ZürichBrice Bolinger, CFA, Managing Director, Credit Suisse (Schweiz) AG, ZürichThomas Karg, Analyst, Credit Suisse (Schweiz) AG, Zürich
Hans-Jakob Diem
Unternehmenskäufe und Zusammenschlüsse werden in der Mehrzahl der Fälle nicht am gleichen Tag unterzeichnet und vollzogen. Vielmehr findet der Vollzug regelmässig einige Tage bis Wochen, bei grossen und internationalen Transaktionen auch mehrere Monate oder Quartale nach dem Signing statt, weil vorgängig noch gewisse notwendige Bedingungen erfüllt sein müssen, namentlich regulatorische Bewilligungen einzuholen sind[1]. Während dieser Zeitspanne ist die Transaktion in der Schwebe. Das allgemeine Marktumfeld, die Kapital- und Finanzmärkte, die rechtlichen, steuerlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen und natürlich das Zielunternehmen selbst verändern sich. Meistens sind die Entwicklungen überschaubar und liegen im Bereich dessen, was nach allgemeiner Lebenserfahrung im Zeitpunkt der Unterzeichnung zu erwarten war und damit eingepreist wurde.
Manchmal verändern sich die allgemeinen Umstände oder das Zielunternehmen zwischen Unterzeichnung und Vollzug einer M&A-Transaktion aber tiefgreifend, sodass bei der einen oder anderen Partei – beim Unternehmenskauf bzw. einer Übernahme i.d.R. beim Erwerber – der Wunsch aufkommt, aus der Transaktion auszusteigen. Jüngst hat der Ausbruch der COVID 19-Pandemie im ersten Quartal 2020 dies eindrücklich vor Augen geführt. Aufgrund der Pandemie und der damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen wurden allein in den USA in der ersten Hälfte des Jahres 2020 Transaktionen im Wert von mehr als einhundert Milliarden Dollar einseitig beendet[2], und in ähnlichem Umfang dürften Deals nachverhandelt und angepasst worden sein[3]. Auch in der Schweiz wurden Transaktionen, die noch vor dem Ausbruch der Pandemie vereinbart worden waren, in Frage gestellt, auch wenn spektakuläre Exits ausgeblieben sind[4]. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Frage, ob und unter welchen Umständen ein Ausstieg aus einer einmal vereinbarten Transaktion oder eine einseitige Anpassung nach der Vertragsunterzeichnung möglich ist.
Eine naheliegende Variante, um den Ausstieg aus einer vereinbarten, aber noch nicht vollzogenen M&A-Transaktion zu suchen, besteht darin, einen Material Adverse Change anzurufen.
Eine „No Material Adverse Change“- oder „No MAC“-Bedingung[5] stellt die aufschiebende Bedingung dar, welche der begünstigten Partei das Recht gibt, die Transaktion nicht zu vollziehen und den Vertrag am sog. Long Stop Date bzw. Outside Date zu beenden[6], falls zwischen Vertragsabschluss und Vollzug wesentliche nachteilige Veränderungen am Zielunternehmen eintreten oder bekannt werden[7]. Beim Unternehmenskauf und bei Übernahmen wird die Vollzugsbedingung i.d.R. nur einseitig zugunsten des Erwerbers vereinbart, bei Zusammenschlüssen regelmässig reziprok zugunsten beider Zusammenschlussparteien. Eine mögliche Formulierung lautet z.B. wie folgt[8]:
„From the date of this Agreement, no Material Adverse Change shall have occurred or become known which is subsisting on the Closing Date.“
Der Zweck von No MAC-Klauseln liegt darin, das wirtschaftliche Risiko von wesentlichen nachteiligen Ereignissen oder Veränderungen des Zielunternehmens während des Zeitraums zwischen Unterzeichnung und Vollzug einer Transaktion auf den Verkäufer bzw. die von der Veränderung betroffene Zusammenschlusspartei zu allozieren. Je länger dieser Zeitraum ist, desto grösser sind auf Seiten des Käufers das Bedürfnis für eine No MAC-Bedingung und umgekehrt, auf Seiten des Verkäufers, das damit verbundene Risiko.
Im US-amerikanischen Rechtsraum werden No MAC-Klauseln standardmässig vereinbart[9]. In Europa und auch der Schweiz hingegen ist die Bedingung in dem seit einigen Jahren vorherrschenden Verkäufermarkt bei privaten Unternehmenskäufen selten geworden[10] und namentlich in kompetitiven Auktionssituationen kaum je darstellbar. Bei öffentlichen Kaufangeboten, Zusammenschlüssen oder internationalen Grosstransaktionen sind No MAC-Bedingungen aber auch in der Schweiz oft anzutreffen.
MAC-Klauseln kommen in der Praxis in vielen Ausgestaltungen vor[11]. Im Wesentlichen haben sich jedoch allgemeine No MAC-Bedingungen durchgesetzt. Sie umschreiben die ursächlichen Ereignisse, die der negativen Auswirkung zugrunde liegen müssen, damit ein Material Adverse Change angerufen werden kann, im Sinne einer Generalklausel offen und unbestimmt, z.B. wie folgt:
„Material Adverse Effect shall mean any event, change, condition or occurrence that, individually or in the aggregate, has or is reasonably likely to have a material adverse effect on the business, results of operations or financial condition of the Company and its Subsidiaries, taken as a whole.“[12]
Bei dieser gängigen Formulierung beurteilt sich die Frage, ob ein MAC vorliegt, in erster Linie nach den Auswirkungen, grundsätzlich unabhängig vom ursächlichen Ereignis. Im Unterschied dazu können bei den seltener anzutreffenden spezifischen No MAC-Bedingungen nur die vertraglich definierten, bestimmten Ereignisse, wie etwa terroristische Anschläge, zu einem Bedingungsausfall führen, z.B.:
„… shall mean any terrorist attack, act of war, social unrest, natural disaster, nuclear incident or fire that prevents the Company for a material period of time from conducting its business as presently conducted.“
Im Vergleich zu der allgemeinen Bedingung begrenzen spezifische MAC-Klauseln das Risiko der belasteten Partei, indem die begünstigte Partei einen Material Adverse Change nur geltend machen kann, wenn eines der vertraglich definierten Ereignisse eintritt[13]. So hätte gestützt auf den Wortlaut der vorstehenden spezifischen Klausel z.B. der Ausbruch der COVID-19-Pandemie im März 2020 oder der globalen Finanzkrise im August 2007 auf den ersten Blick nicht für einen MAC qualifiziert, während die allgemein formulierte Bedingung zunächst ungeachtet der ursächlichen Ereignisse angerufen werden kann. Allerdings wird auch bei allgemeinen MAC-Klauseln die Generalklausel regelmässig durch spezifische Negativausnahmen, sog. Carve-outs, wieder eingeschränkt[14], was die beiden MAC-Arten in der Substanz einander angleicht.
Mit Bezug auf die Umschreibung der erforderlichen negativen Auswirkung lassen sich quantifizierte und nicht quantifizierte No MAC-Bedingungen unterscheiden. Letztere begnügen sich damit, in unbestimmter Weise eine „wesentliche negative Auswirkung“ („material adverse effect“) auf das Geschäft, die Vermögens‑, Ertrags- oder Finanzlage des Zielunternehmens für einen MAC zu verlangen[15], während quantifizierte Klauseln eine ziffernmässig bestimmte Reduktion messbarer Unternehmenskennzahlen (namentlich Umsatz, Ertrag bzw. EBITDA[16] oder Eigenkapital) voraussetzen, damit die Bedingung ausfällt. Da quantifizierte No MAC-Bedingungen die Voraussehbarkeit und Rechtssicherheit erhöhen, sind sie gemäss der Praxis der Übernahmekommission in öffentlichen Kaufangeboten die einzige zulässige Art solcher Bedingungen und werden dort auch regelmässig vorgesehen[17]. Im Übrigen sind – jedenfalls in der US-amerikanischen Vertragspraxis – die unbestimmten, nicht-quantifizierten Klauseln vorherrschend[18].
Bei rein marktbezogenen No MAC-Bedingungen oder kurz „Market MACs“ genügt eine wesentliche nachteilige Veränderung der Marktverhältnisse für einen Material Adverse Change, ohne dass eine Auswirkung auf das Zielunternehmen vorausgesetzt wäre. Als betroffene Märkte kommen insb. die Finanz- und Kapitalmärkte oder die einschlägigen Absatzmärkte in Betracht. Kapitalmarktbezogene Market MACs sind bei Kapitalmarkttransaktionen, namentlich in Underwriting Agreements zwischen Emittenten und übernehmenden Banken, nicht unüblich. In M&A-Transaktionen sind sie hingegen, abgesehen von vereinzelten Ausnahmen, nicht anzutreffen[19]. Zwar kommen auch bei allgemeinen No MAC-Bedingungen[20] nachteilige Marktveränderungen als Ursache für einen MAC zunächst in Frage, verlangt wird aber jedenfalls eine wesentliche Auswirkung auf das Zielunternehmen selbst. Darüber hinaus werden allgemeine Markt- oder Industrierisiken in M&A-Transaktionen mittels Carve-outs in der Regel von der MAC-Definition ausgenommen, es sei denn, das Zielunternehmen sei im Vergleich zu seinen Peers überproportional beeinträchtigt worden[21].
Namentlich in der US-amerikanischen Transaktionspraxis werden oft sog. „Two Prong“ MACs vereinbart[22]. Sie sehen im Wesentlichen zwei Kategorien von Material Adverse Changes vor. Im ersten Prong wird die wesentliche nachteilige Veränderung des Zielunternehmens, wie vorstehend beschrieben, adressiert. Zusätzlich werden im zweiten Prong Ereignisse erfasst, welche die Vertragserfüllung, namentlich die Erbringung der vertragstypischen Leistung durch die belastete Partei (beim Unternehmenskauf den Verkäufer) verunmöglichen, erheblich behindern oder verzögern:
„… shall mean any event, change, condition or occurrence that:
(i) has or is reasonably likely to have a material adverse effect on the Company …; or
(ii) would prevent, materially delay or materially impede the performance by the Seller of its obligations under this Agreement or the consummation by the Seller of the transactions contemplated by this Agreement.“
In ihrem zweiten „Prong“ geht die Beispielklausel sehr weit. Sie erfasst nicht nur diejenigen Fälle, in welchen der Verkäufer seiner Hauptflicht, die verkauften Aktien bzw. das verkaufte Unternehmen am Vollzugstag auf den Käufer zu übertragen, im Sinne einer Unmöglichkeit bzw. „Force Majeure“ nicht mehr nachkommen kann[23]. Potenziell betroffen sind vielmehr alle vertraglichen Pflichten und damit auch Nebenpflichten. So können nach der Beispielklausel auch Umstände zu einem MAC führen, welche die Erfüllung von Interim Covenants verunmöglichen, erheblich behindern oder verzögern. Hinzu kommt, dass die Carve-outs, welche den Material Adverse Change einschränken[24], zuweilen nur für den ersten, nicht aber den zweiten „Prong“ gelten. Dementsprechend haben sich während der COVID-19-Pandemie denn auch einige Käufer in US-amerikanischen Transaktionen auf den zweiten „Prong“ der MAC-Klausel berufen[25].
No MAC-Klauseln, insbesondere die heute gängigen, generalklauselartig formulierten MAC-Bedingungen, sehen regelmässig einen Katalog von spezifischen Negativausnahmen, sog. Carve-outs, vor. Darin werden die ursächlichen Ereignisse aufgezählt, die nach der Parteimeinung grundsätzlich keinen Material Adverse Change darstellen sollen. Zusammenfassend handelt es sich um allgemeine Markt- und Industrierisiken, die grundsätzlich beim Verkäufer verbleiben sollen, wie z.B. allgemeine wirtschaftliche oder rechtliche Entwicklungen, Naturkatastrophen, kriegerische Auseinandersetzungen oder Entwicklungen an den Kapital- oder Finanzmärkten:
„…, provided that any of the following changes, events, occurrences, circumstances or effects shall not be taken into account in determining whether a Material Adverse Effect has occurred: (i) general economic, legal, tax, political or regulatory conditions that, in each case, generally affect any of the geographic regions or industries in which the Company conducts its business; (ii) any change in the financial, banking, credit, currency or capital markets in general (whether in any country or in any international market), including changes in interest rates, commodity prices or raw material prices; (iii) conditions generally affecting any industry in which the Company operates; (iv) acts of God, pandemics, natural disasters, national or international political or social conditions, including the engagement in hostilities by any country in which the Company is located or operates, whether commenced before or after the date of this Agreement; (v) …;“
Die derart in den Carve-outs definierten Ursachen schliessen einen MAC aus, auch wenn sie zu einer wesentlichen nachteiligen Veränderung des Zielunternehmens führen[26]. Hierzu wird jedoch in den meisten Fällen wiederum eine Gegenausnahme statuiert, wonach ein Material Adverse Change trotzdem vorliegen soll, wenn das Zielunternehmen bzw. dessen Geschäft im Vergleich zu Peers überproportional beeinträchtigt wurde:
„…, provided further, that any of the exclusions specified in (i) to (v) above shall not apply to the extent the Company or its Business is disproportionately adversely affected by any change, event, occurrence, circumstance or effect specified therein relative to other similarly situated participants in industries in which the Company or the Business operates.“
Weil die eigentliche No MAC-Bedingung in der heutigen Vertragspraxis mehrheitlich unbestimmt und offen formuliert wird, sind die dazu vorgesehenen spezifischen Ausnahmen für die Vertragsauslegung offensichtlich von erheblicher Bedeutung, wenn es um die Frage geht, ob ein Material Adverse Change eingetreten ist. Dementsprechend sind die Carve-outs nicht selten Gegenstand lebhafter Verhandlungen.
Behauptet ein Käufer bzw. eine Zusammenschlusspartei einen Material Adverse Change gestützt auf die heute typische, allgemeine und nicht quantifizierte No MAC-Klausel mit Carve-outs und Gegenausnahme, so sind drei Fragen zu beurteilen[27]. Erstens, ob ein wesentlicher nachteiliger Effekt im Sinne der Klausel vorliegt (Wesentlichkeit); zweitens, ob eine Ausnahme einschlägig ist (Carve-out); und drittens, ob die Gegenausnahme greift. Die Beweislast für den ersten Punkt liegt bei der begünstigten Partei, beim Unternehmenskauf also beim Käufer[28]. Behauptet die belastete Partei, beim Unternehmenskauf also der Verkäufer, dass eine Ausnahme (Carve-out) greift, so obliegt ihr der diesbezügliche Nachweis, während gegebenenfalls der Käufer wiederum nachweisen müsste, dass das Zielunternehmen im Sinne der Gegenausnahme disproportional beeinträchtigt wurde[29].
Die heute gängige Definition des Material Adverse Change ist in ihrem Kern offen und unbestimmt[30]. Einschlägige Entscheide von Schweizer Gerichten oder Schiedsgerichten zu der Frage, wann eine nachteilige Veränderung derart wesentlich ist, dass sie dem Erwerber gestattet, einen MAC zu „ziehen“, sind nicht bekannt. Eine gewisse Orientierungshilfe geben die Urteile angelsächsischer Gerichte, vorab des Delaware Court of Chancery, das sich bereits in einigen Fällen mit der Frage auseinanderzusetzen hatte und dessen Richter mit Fug als Spezialisten für M&A Litigation bezeichnet werden[31]. Nach ständiger Praxis dieses Gerichts ist ein Material Adverse Change mit Zurückhaltung anzunehmen. Vorausgesetzt sind Ereignisse, welche das Ertragspotenzial des Zielunternehmens insgesamt in zeitlich signifikanter Weise substanziell gefährden[32]. Sie müssen sich auf die langfristige Ertragskraft über eine wirtschaftlich vernünftige Zeitperiode auswirken, wobei namentlich bei strategischen Käufern eher von Jahren als Monaten auszugehen sei[33]. Ob eine Änderung in diesem Sinne wesentlich ist, prüft das Gericht u.a. anhand der Entwicklung der historischen Unternehmenskennzahlen vor und nach dem Signing, um in einem zweiten Schritt zu beurteilen, ob daraus und aus den Begleitumständen auf eine längerfristige Auswirkung auf das Ertragspotenzial zu schliessen ist. Nach Auffassung des Gerichts indiziert ein nachgewiesener Ertragseinbruch in der Grössenordnung von 50% in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen gegenüber den Vorjahresquartalen im Allgemeinen einen MAC[34], eine (COVID-19-bedingte) Reduktion von 16% in einem Quartal nach einem Anstieg von 15% im Vorquartal hingegen nicht[35]. In einem anderen Fall wurde ein EBITDA-Rückgang in den beiden Halbjahren nach dem Signing um knapp 20% gegenüber Vorjahr bzw. 22% gegenüber Forecast als nicht ausreichend betrachtet[36]. Auch ein (witterungsbedingter bzw. industriezyklischer) Ertragseinbruch um 64% in einem Quartal gegenüber dem Vorjahr wurde nicht als genügend wesentlich eingestuft, weil sich eine Trendumkehr andeutete und die Analysten für das Folgejahr eine Rückkehr zu gesunden Gewinnen prognostizierten[37]. In Akorn, Inc., dem einzigen Fall überhaupt, in welchem das Delaware Court of Chancery bislang einen Material Adverse Effect annahm, war das EBITDA der Zielgesellschaft während fünf aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren vor der Transaktion Jahr um Jahr gestiegen, um im Geschäftsjahr, in dem die Transaktion vereinbart wurde, abrupt um 55% zu fallen[38]. Auch das von Analysten prognostizierte EBITDA für die drei künftigen Geschäftsjahre lag jeweils um mehr als 60% tiefer als im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses[39]. Diese Ergebnisverschlechterungen bzw. Einschätzungen reflektierten sich sodann auch im Unternehmenswert pro Aktie, der gemäss einer DCF-Bewertung im Unterzeichnungszeitpunkt bei rund 33 Dollar lag und nach Bekanntwerden der Ereignisse von Analysten auf 5 bis 12 Dollar geschätzt wurde. Als Ursachen für die Rückgänge wurden erhöhter Wettbewerbsdruck, der Verlust eines wichtigen Vertrages sowie Compliance-Probleme der Zielgesellschaft benannt, was ebenfalls darauf hindeutete, dass es sich um eine nachhaltige Verschlechterung und nicht bloss um einen temporären Einbruch handelte.
Auch das Ontario Superior Court of Justice hatte im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie einen behaupteten Material Adverse Change zu beurteilen[40]. Im betreffenden Fall fiel der monatliche Umsatz des Target in den Monaten Mai, Juni und Juli 2020 im Vergleich zu den entsprechenden Vorjahresmonaten um 56%, 36.6% bzw. 21%. Das Gericht ging davon aus, dass diese negative Entwicklung, wenn auch auf unbekanntem Niveau, bis ins Jahr 2022 fortdauern würde, und gelangte in diesem Fall zum Schluss, dass damit die Wesentlichkeitsschwelle für einen Material Adverse Effect erreicht sei[41].
Betrachtet man die Präzedenzfälle, so fällt zunächst auf, dass bei der Beurteilung eines Material Adverse Change stets die Unternehmensperformance (Gewinn bzw. Ertrag oder EBITDA) im Vordergrund stand. Auswirkungen auf Bilanzpositionen (wie im oft bemühten Beispiel der abgebrannten Fabrik) standen in keinem der Fälle zur Diskussion. Sodann waren stets Ereignisse bzw. Entwicklungen zu beurteilen, die bereits einen messbaren Effekt hatten, d.h. die im Vergleich zu den entsprechenden Perioden der Vorjahre einen signifikanten Ertragsrückgang bewirkt hatten. Nicht zu beurteilen waren Konstellationen, in denen zwar ein mutmasslich negatives Ereignis (z.B. eine unvorhergesehene Milliardenklage) eingetreten war, dieses sich jedoch noch nicht konkret auf den Ertrag ausgewirkt hatte[42]. Sodann muss man aus den Präzedenzfällen schliessen, dass die Wesentlichkeitsschwelle für die Annahme eines Material Adverse Change in quantitativer Hinsicht um einiges höher liegt, als man (aus kontinentaleuropäischer Sicht) gemeinhin annehmen könnte. Auch wenn in den Entscheiden keine zahlenmässigen Regelgrenzen festgelegt werden, so liegen die darin genannten Ertragseinbrüche doch markant jenseits der Schwelle von 10%, die auf annualisierter Basis in öffentlichen Kaufangeboten die untere Grenze des Zulässigen darstellt[43]. Schliesslich legen die Entscheide mit Blick auf die zeitliche Dimension nahe, dass Ereignisse, die lediglich einen „One-off Impact“ auf den Ertrag des Zielunternehmens haben, im Allgemeinen nicht als MAC betrachtet werden dürften. Vorausgesetzt ist vielmehr – jedenfalls bei strategischen Käufern – eine Beeinträchtigung der Ertragskraft bzw. des Ertragspotenzials insgesamt. So wäre es meines Erachtens z.B. fraglich, ob ein unvorhergesehenes negatives Gerichtsurteil, das zu einem einmaligen Mittelabfluss in Höhe eines halben Jahresgewinns führt, die Ertragskraft der Zielgesellschaft ansonsten aber unberührt lässt, als Material Adverse Change zu qualifizieren wäre. Alles in allem stellt namentlich das Delaware Gericht Käufer, die den Ausstieg aus einem Deal mit einem Material Adverse Change begründen, vor sehr hohe Hürden.
Die Carve-outs – d.h. die ursächlichen Ereignisse, welche im Grundsatz keinen Material Adverse Change begründen – bezwecken, allgemeine, systemische Risiken auf den Käufer zu allozieren. Dieser soll das allgemeine Unternehmerrisiko bereits ab Signing tragen, während das unternehmensspezifische Geschäftsrisiko beim Verkäufer verbleibt. Welche Risiken im Einzelnen vom MAC ausgenommen werden sollen, ist den Parteien überlassen. Die wohl gängigsten Ausnahmen sind die allgemeine Entwicklung der Wirtschaft und der relevanten Branche, Entwicklungen in den Kapital- und Finanzmärkten, Gesetzesänderungen und staatliche Anordnungen, die Auswirkungen der Transaktion bzw. deren Annoncierung, sowie Umstände höherer Gewalt („Acts of God“).
Ob ein Carve-out greift, ist im Streitfall eine Frage der Vertragsauslegung. Auch hierzu liefern die Entscheide des Delaware Court of Chancery Anschauungsmaterial. So stellte sich im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie die Frage, ob deren Auswirkungen vom Material Adverse Change nur dann ausgenommen sind, wenn Pandemien im Vertrag explizit als Ausnahme vorgesehen sind. In Praktikerkreisen wurde diese Meinung zum Teil vertreten, weil die sog. „pandemic carve-outs“ in den letzten Jahren standardmässig vereinbart worden seien, sodass man annehmen müsse, die Parteien hätten bewusst auf die Ausnahme verzichtet, wenn sie sie nicht explizit vorgesehen hätten. Das Court of Chancery ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat festgehalten, dass die COVID-19-Pandemie auch durch die Ausnahme „natural disasters and calamities“ abgedeckt ist und somit grundsätzlich keinen Material Adverse Change darstellt[44]. Darüber hinaus hielt das Gericht fest, die Carve-outs seien im Lichte ihres Zwecks auszulegen, der darin besteht, allgemeine, systemische Risiken auf den Käufer zu überwälzen, während die geschäftlichen Risiken mit Bezug auf die Zielgesellschaft der Risikosphäre des Verkäufers zuzuordnen seien und bei diesem verbleiben sollen[45]. Demzufolge wurde die COVID-19-Pandemie in diesem wie in anderen Fällen[46] als vom MAC ausgenommen betrachtet, obwohl im Vertrag kein spezifischer „pandemic carve-out“ vorgesehen war. Ungeachtet dessen sehen in der US-amerikanischen Praxis M&A-Verträge, die seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie abgeschlossen werden, Pandemien und zum Teil auch damit zusammenhängende Massnahmen, wie z.B. Ladenschliessungen oder Ausgangsperren, nunmehr regelmässig als Ausschlussgründe vor.
Wenn ein Carve-out greift, steht dem Käufer der Nachweis offen, dass das Zielunternehmen im Vergleich zu vergleichbaren Unternehmen überproportional betroffen ist. Gelingt der Nachweis, so liegt trotz Carve-out ein Material Adverse Change vor. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, mit welchen anderen Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen die Zielgesellschaft verglichen werden soll[47]. Um diesbezügliche Unklarheiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, die relevante Peer-Gruppe im Vertrag in geographischer Hinsicht wie auch in Bezug auf den sachlich relevanten Markt näher zu umschreiben. Im Übrigen genügt auch für den disproportionalen Effekt eine kurzfristige Betrachtung nicht. Vielmehr muss der Effekt während einer signifikanten Zeitperiode bestehen, wobei wiederum eher von Jahren als Monaten auszugehen ist[48].
Die Frage stellt sich, ob die von der No MAC-Bedingung begünstigte Partei die Bedingung nicht anrufen kann, wenn ihr die Ereignisse oder Umstände, die den Material Adverse Change verursachten, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bekannt waren oder hätten bekannt sein sollen. Das Delaware Court of Chancery hat die Frage in einem Fall verneint und eine solche allgemeine Voraussetzung nicht in die No MAC-Klausel hineingelesen[49]. In einem anderen Fall, der im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erging, hat das Gericht einen im Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Carve-out, wonach dem Käufer bekannte Umstände und Ereignisse keinen MAC begründen, als überaus käuferfreundlich bezeichnet[50]. Daraus muss man wohl schliessen, dass das Court of Chancery dem Käufer das Recht, die Transaktion aufgrund eines Material Adverse Change zu beenden, selbst dann nicht aberkennen würde, wenn ihm die konkreten ursächlichen Ereignisse oder Umstände in der Due Diligence oder einem Disclosure Letter offen gelegt wurden[51].
Wie die Frage nach Schweizer Recht zu beurteilen wäre, ist – abgesehen von öffentlichen Kaufangeboten[52] – unklar. M.E. dürfte ein hiesiges Gericht oder Schiedsgericht zurückhaltend sein, dem Käufer den Vertragsausstieg zu gestatten, wenn er von den ursächlichen Umständen Kenntnis hatte und für ihn erkennbar war, dass diese eine wesentliche nachteilige Auswirkung auf das Zielunternehmen haben oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit haben werden[53]. Freilich ist die von der No MAC-Bedingung belastete Partei gut beraten, einen entsprechenden Carve-out explizit vorzusehen, wenn sie die Rechtssicherheit mit Bezug auf offen gelegte Umstände erhöhen möchte.
No Material Adverse Change-Bedingungen sind auch in freiwilligen öffentlichen Kaufangeboten zulässig und werden dort regelmässig vorgesehen[54]. Allerdings knüpft die Übernahmekommission zahlreiche Voraussetzungen an die Zulässigkeit. So sind zunächst ausschliesslich quantifizierte Bedingungen gestattet, die eine Einbusse bei der Zielgesellschaft von mindestens 5% auf Stufe Umsatz, 10% auf Stufe EBIT oder EBITDA und 10% auf Stufe Eigenkapital vorsehen, und zwar jeweils auf annualisierter Basis gestützt auf den letzten konsolidierten Jahres- oder Zwischenabschluss der Zielgesellschaft[55]. Sodann kann der Anbieter bereits eingetretene Ereignisse für einen Material Adverse Change nur anrufen, wenn er deren Eintritt und Auswirkungen im Zeitpunkt des Angebots bzw. der Voranmeldung nicht kannte und (gestützt auf öffentlich zugängliche Informationen oder eine Due Diligence-Prüfung) auch nicht kennen musste[56]. Ferner ist die Bedingung nicht bis zum Vollzug, sondern lediglich bis zum Ablauf der Angebotsfrist gültig[57]. Gegen wesentliche nachteilige Ereignisse, die nach diesem Zeitpunkt eintreten oder bekannt werden, ist der Anbieter nicht geschützt. Schliesslich kann der Anbieter einen Material Adverse Change nicht autonom erklären und das Angebot gestützt darauf beenden. Vielmehr muss er für die Frage, ob die Bedingung ausgefallen ist, auf die Beurteilung durch einen unabhängigen Dritten abstellen, der vom Anbieter und von der Zielgesellschaft unabhängig ist[58].
Im Unterschied zu den im US-amerikanischen Rechtsraum üblichen Bedingungen sahen No MAC-Bedingungen in Schweizer öffentlichen Kaufangeboten bislang keine Carve-outs vor. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass die Bedingung im Übernahmerecht von vornherein einschränkenden Voraussetzungen unterliegt. Im Ergebnis verbleiben systemische Risiken, wie z.B. ein Kriegsausbruch in einem wichtigen Absatzmarkt der Zielgesellschaft, im Rahmen eines Kaufangebots bei den Angebotsempfängern, weil sie als ursächliche Ereignisse nicht ausgenommen sind. Allerdings wären Carve-outs übernahmerechtlich durchaus zulässig, da sie den Anwendungsbereich der Bedingung zugunsten der Angebotsempfänger zusätzlich einschränken. Dementsprechend sah ein Angebot, welches während der COVID-19-Pandemie veröffentlicht wurde, erstmals einen Carve-out, spezifisch einen „pandemic carve-out“, ausdrücklich vor, einschliesslich einer Gegenausnahme für überproportionale Beeinträchtigungen der Zielgesellschaft[59].
Die Frage stellt sich, ob die negativen Auswirkungen auf die Zielgesellschaft in zeitlicher Hinsicht nachhaltig sein müssen, damit der Anbieter das Angebot gestützt auf die No MAC-Bedingung beenden kann. Während das Delaware Court of Chancery eine Performance-Einbusse des Target eher von Jahren als Monaten voraussetzt[60], musste sich die Übernahmekommission zu dieser Frage bislang nicht äussern. Der Wortlaut der heute gängigen No MAC-Bedingungen scheint nahezulegen, dass bereits eine einmalige Einbusse während eines Geschäftsjahres für die Anrufung des MAC genügt. Dies würde dem Anbieter z.B. erlauben, das Angebot zu beenden, wenn die Zielgesellschaft während des Angebots eine Rückstellung in Höhe von 10% des letztjährigen EBIT für eine Schadenersatzklage bilden muss, selbst wenn die Klage die Ertragskraft des Unternehmens ansonsten nicht beeinträchtigt. Ungeachtet dessen und der vergleichsweise tiefen Schwellenwerte wurde ein Material Adverse Change bislang jedoch in keinem öffentlichen Kaufangebot angerufen, geschweige denn als gegeben betrachtet.
Die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie gemachten Erfahrungen lassen unter anderem die folgenden Lehren für die Vertragsredaktion mit Blick auf No MAC-Bedingungen zu:
No MAC-Bedingungen gelten zu Recht als käuferfreundlich, weil sie es dem Käufer aufgrund ihrer offenen Formulierung recht einfach erlauben, einen Material Adverse Change zu behaupten, was für den Verkäufer einen Druck erzeugt, sich auf Nachverhandlungen einzulassen. Steht eine solche Bedingung im Raum, ist der spezifischen Ausgestaltung die notwendige Sorgfalt zu widmen[61]. Demgegenüber zeigen die Entscheide des Delaware Court of Chancery aber auch, dass die Hürden für die Annahme eines Material Adverse Change sehr hoch und die Beweisführung für den Käufer schwierig sind. Auch wenn diese Entscheide für Schweizer Gerichte oder Schiedsgerichte nicht präjudiziell sind, dürften sie dennoch gewisse Leitlinien setzen.Sieht sich der Verkäufer in der Situation, eine No MAC-Bedingung akzeptieren zu müssen, könnte der Unsicherheit der heute gängigen, offenen Formulierung durch eine quantifizierte Bedingung begegnet werden. Werden spezifische quantitative Hürden vertraglich festgelegt, so dürfte es für den Käufer im Allgemeinen schwieriger sein, leichthin einen Material Adverse Change zu behaupten und den Verkäufer so in Nachverhandlungen hineinzudrücken. Noch höher wäre die Hürde, wenn vertraglich zusätzlich vorausgesetzt würde, dass ein unabhängiger Experte das Vorliegen eines MAC bestätigen muss[62]. Allerdings wird es nicht einfach sein, sich auf beidseits annehmbare quantitative Schwellenwerte zu einigen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die von der Übernahmekommission verlangten Mindesthürden für öffentliche Kaufangebote[63] wesentlich tiefer zu sein scheinen als die vom Delaware Court of Chancery verlangten Einbussen.Was die zeitliche Wesentlichkeit des Material Adverse Change betrifft, ist aus Verkäufersicht die Klarstellung vorteilhaft, dass die negativen Auswirkungen des ursächlichen Ereignisses nachhaltig („sustainable“ oder gar „lasting“) sein müssen. Zwar hat das Delaware Court of Chancery diese Voraussetzung explizit festgehalten. Ob ein Schweizer Gericht dies auch so sehen würde, ist letztlich jedoch nicht sicher. Dies gilt erst recht im Bereich der öffentlichen Kaufangebote[64].Wird eine No MAC-Bedingung vereinbart, ist den Carve-outs Beachtung zu schenken. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die M&A-Verträge, die seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie abgeschlossen wurden und eine No MAC-Bedingung vorsehen, mehrheitlich einen „pandemic carve-out“ enthalten. Damit ist je nach der übrigen Formulierung der Carve-outs im jetzigen Umfeld die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass ein Gericht oder Schiedsgericht bei Fehlen eines „pandemic carve-out“ auf einen bewussten Verzicht der Parteien schliessen könnte[65].Auch bezüglich der bekannten bzw. erkennbaren Risiken ist eine ausdrückliche vertragliche Regelung zu erwägen. Ob ein hiesiges Gericht oder Schiedsgericht der Auffassung des Delaware Court of Chancery folgen würde, wonach die Bekanntheit eines Risikos die Berufung auf einen daraus resultierenden MAC nicht ausschliesst, ist unter Schweizer Recht als offen zu bezeichnen[66]. Vor diesem Hintergrund sollte der Käufer erwägen, ausdrücklich im Vertrag festzuhalten, dass auch bekannte oder erkennbare Ereignisse einen Material Adverse Change begründen können (z.B. „whether or not known to or foreseeable by the Buyer at the date hereof“). Umgekehrt wäre der vorsichtige Verkäufer gut beraten, einen expliziten Carve-out für bekannte oder erkennbare Umstände – oder zumindest für offen gelegte Ereignisse und Umstände – vorzusehen (z.B. „to the extent not known to and not reasonably foreseeable by the Buyer at the date hereof“).Um schliesslich mit Bezug auf die Gegenausnahme des disproportionalen Effekts Unklarheiten zu vermeiden, kann es sich je nach den Umständen empfehlen, die relevante Peer-Gruppe, mit welcher das Zielunternehmen zu vergleichen ist, im Vertrag in geographischer Hinsicht, mit Bezug auf die Unternehmensgrösse wie auch in Bezug auf den sachlich relevanten Markt näher zu umschreiben.Bei der sog. „Covenant Compliance Condition“ handelt es sich um die aufschiebende Bedingung, die der begünstigten Partei (im Unternehmenskauf dem Käufer) das Recht einräumt, den Vollzug der Transaktion zu verweigern und den Vertrag zu beenden, wenn die belastete Partei (im Unternehmenskauf der Verkäufer) ihre vertraglichen Verpflichtungen zwischen Signing und Closing nicht im Wesentlichen erfüllt hat. Eine Formulierung kann z.B. wie folgt lauten:
„The Seller shall have performed and complied in all material respects with all of its obligations set forth in this Agreement that are required to be performed on or before the Closing Date.“
Im US-amerikanischen Rechtsraum werden Covenant Compliance-Bedingungen namentlich in den dort vorherrschenden Merger Agreements regelmässig vereinbart. In Europa und auch der Schweiz ist die Bedingung vergleichsweise selten, insbesondere in internationalen Grosstransaktionen aber auch hier anzutreffen.
Die Covenant Compliance-Bedingung erlaubt es der begünstigten Partei, den Vertrag zu beenden, wenn die verpflichtete Partei ihre im Vertrag vorgesehenen Verpflichtungen zwischen Signing und Closing – die sog. Interim Covenants – nicht in allen wesentlichen Belangen erfüllt. Wird darauf verzichtet, die Einhaltung der Interim Covenants zur Vollzugsbedingung zu erheben, so kann der Käufer im Fall einer Verletzung eines Covenants allenfalls Schadenersatz nach Art. 97 OR verlangen; ein Leistungsverweigerungsrecht oder ein Beendigungsrecht steht ihm mangels Bedingung aber nicht zu[67].
Damit die Covenant Compliance Condition in ihrer üblichen Ausgestaltung als erfüllt gilt, muss die belastete Partei (im Unternehmenskauf der Verkäufer) die Interim Covenants nicht in allen Belangen, sondern nur in allen wesentlichen Belangen erfüllen. Ein Material Adverse Change ist im Normalfall aber nicht vorausgesetzt[68].
Bei den betroffenen Interim Covenants sind z.B. die Pflicht des Verkäufers, dem Käufer zwischen Signing und Closing Zugang zum Unternehmen zu ermöglichen (sog. Access Covenant) oder über die Geschäftsentwicklung des Geschäfts oder die Finanzzahlen auf dem Laufenden zu halten (sog. Information Covenant) zu nennen[69]. Insbesondere ist die Bedingung aber im Zusammenhang mit dem sog. Interim Operating Covenant (IOC, oft auch als Ordinary Course Covenant bezeichnet) von Bedeutung. Darin verpflichtet sich die belastete Partei (im Unternehmenskauf der Verkäufer), dafür zu sorgen, dass das Geschäft des Zielunternehmens bis zum Vollzug im ordentlichen Gang weitergeführt wird (positive covenant) und dass bestimmte Rechtsgeschäfte nur mit vorgängiger Zustimmung der berechtigten Partei vorgenommen werden (negative covenant)[70]:
„Except as permitted or contemplated by this Agreement and to the extent permitted by Applicable Law, the Seller shall procure that from the date hereof to the Closing Date, the Business will be conducted in all material respects in the ordinary course [consistent with past practice].
Without limiting the generality of the foregoing, to the extent permitted by Applicable Law, from the date hereof to the Closing Date, the Seller shall not, and shall procure that the Company will not, except as permitted or contemplated by this Agreement, without the prior written consent of the Buyer (such consent not to be unreasonably withheld or delayed): (i) …; (ii) …“[71]
Der Interim Operating Covenant soll sicherstellen, dass die wirtschaftliche Substanz des gekauften Unternehmens zwischen Unterzeichnung und Vollzug nicht verändert wird, bzw. dass das Geschäft am Vollzugstag im Wesentlichen dasselbe ist wie dasjenige, für dessen Kauf sich der Käufer bei Vertragsabschluss entschlossen hat[72]. Ferner soll unterbunden werden, dass sich der Unternehmensverkäufer i.S. von „moral hazard“ opportunistisch verhält, um sich mit Blick auf den Verkauf gewisse Vorteile zu verschaffen[73]. Zu denken ist etwa an verdeckte Gewinnentnahmen aus der Zielgesellschaft oder eine Ausdünnung des Warenlagers mit dem Ziel, die Barmittel per Closing zu erhöhen und einen entsprechend höheren Verkaufspreis zu erzielen. Sodann möchte der Käufer den Verkäufer, der aufgrund des Verkaufs möglicherweise das Interesse am Unternehmen verloren hat, „incentivieren“, das Geschäft dennoch so weiterzuführen, wie wenn er es nicht verkauft hätte. Schliesslich geht es namentlich bei den negative covenants darum, spezifische Geschäftsentscheide von grosser Tragweite (z.B. die Aufnahme von Fremdkapital) auszuschliessen bzw. nur mit vorgängiger Zustimmung des Käufers zu ermöglichen.
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie haben sich vorab in den USA zahlreiche Käufer bzw. Zusammenschlussparteien auf die Covenant Compliance-Bedingung berufen und gestützt darauf den Vollzug verweigert bzw. zu verweigern versucht[74]:
Im Fall Victoria’s Secret (Retail, Mode) stellte sich die Käuferin u.a. auf den Standpunkt, dass die Verkäuferin den Interim Operating Covenant (IOC) verletzte, indem sie nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie zahlreiche Verkaufsgeschäfte schloss, Kurzarbeit einführte, Lohnreduktionen anordnete, keine Neuware mehr bestellte und Mietzinszahlungen aussetzte. In der Folge einigten sich die Parteien Anfang Mai 2020 einvernehmlich darauf, die Transaktion ohne Straf- oder Schadenersatzzahlungen zu beenden[75].Im Fall AB Stable, in welchem es um den Erwerb einer Luxushotelgruppe mit 15 Hotels ging, behauptete die Käuferin u.a. ebenfalls eine Verletzung des IOC, weil die Verkäuferin in Reaktion auf die Pandemie zwei Hotels schloss und die übrigen nur mit 10% der normalen Gästebelegung führte, Massenentlassungen vornahm und Kurzarbeit einführte, keine Events mehr durchführte, Restaurants und Fitness-Räume schloss und keine nicht notwendigen Investitionen mehr tätigte. Der Fall wurde gerichtlich erledigt und der Käuferin gestattet, die Transaktion zu beenden[76].Beim Erwerb der Taubman Centers, einer Real Estate-Gesellschaft, welche Shopping-Center in den USA betreibt, brachte die Erwerberin in umgekehrter Richtung vor, die Zielgesellschaft habe den IOC