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Es war einmal in einem weit entfernten Land ein kleines Königreich mit dem Namen Minin. Die Menschen, die dort lebten, waren glücklich und zufrieden, denn sie hatten ihr Auskommen und lebten in Frieden. Ihr König Guntric war ein weiser Mann, der ein Leben lang klug regiert hatte, denn er liebte seine Untertanen, und ihr Wohlergehen lag ihm am Herzen. Und das Volk liebte seinen König und die schöne, strahlende Königin. Sie bewohnten ein recht bescheidenes Schloss, und der König liebte es, sich unter das Volk zu mischen. Eine große Leibgarde brauchte er dazu nicht, denn er hatte keine Feinde. Es betrübte ihn jedoch, dass er nur einen einzigen Sohn hatte. Es hätte ihm durchaus gefallen, mit seiner Königin viele Kinder zu haben. Aber es sollte eben nicht sein... MERLINE UND DIE WEISSE WELT ist das erste Märchenbuch für Kinder aus der Feder der TAWAMAYA-Autorin Elvira Henning.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
ELVIRA HENNING
Merline und die weiße Welt
Ein Märchenbuch
Signum-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
MERLINE UND DIE WEISSE WELT
Das Königreich Minin
König Roben
Merline und die weiße Welt
Die Farbe des Feuers
Das Fieber
Die Farben des Himmels
Hungerstreik
Die Möhre
Schattenspiele
Die Schlossküche
Als die Sonne verschwand
Wie sich eine Prinzessin benimmt
Wenigstens ein Freund
Eine geisterhafte Nacht
Ein besonderes Geschenk
Die Weltkugel
Frau werden
Ritterschlag
Ein fetter alter König?
Die große bunte Welt
Copyright 2023 © by Elvira Henning/Signum-Verlag.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.
Umschlag: Copyright © by Zasu Menil.
Innenillustrationen: Copyright © by Elvira Henning.
Verlag:
Signum-Verlag
Winthirstraße 11
80639 München
www.signum-literatur.com
Es war einmal in einem weit entfernten Land ein kleines Königreich mit dem Namen Minin. Die Menschen, die dort lebten, waren glücklich und zufrieden, denn sie hatten ihr Auskommen und lebten in Frieden.
Ihr König Guntric war ein weiser Mann, der ein Leben lang klug regiert hatte, denn er liebte seine Untertanen, und ihr Wohlergehen lag ihm am Herzen.
Und das Volk liebte seinen König und die schöne, strahlende Königin. Sie bewohnten ein recht bescheidenes Schloss, und der König liebte es, sich unter das Volk zu mischen. Eine große Leibgarde brauchte er dazu nicht, denn er hatte keine Feinde.
Es betrübte ihn jedoch, dass er nur einen einzigen Sohn hatte. Es hätte ihm durchaus gefallen, mit seiner Königin viele Kinder zu haben. Aber es sollte eben nicht sein...
Merline und die weiße Welt ist das erste Märchenbuch für Kinder aus der Feder der Tawamaya-Autorin Elvira Henning.
Es war einmal in einem weit entfernten Land ein kleines Königreich mit dem Namen Minin. Die Menschen, die dort lebten, waren glücklich und zufrieden, denn sie hatten ihr Auskommen und lebten in Frieden.
Ihr König Guntric war ein weiser Mann, der ein Leben lang klug regiert hatte, denn er liebte seine Untertanen, und ihr Wohlergehen lag ihm am Herzen.
Und das Volk liebte seinen König und die schöne, strahlende Königin. Sie bewohnten ein recht bescheidenes Schloss, und der König liebte es, sich unter das Volk zu mischen. Eine große Leibgarde brauchte er dazu nicht, denn er hatte keine Feinde.
Es betrübte ihn jedoch, dass er nur einen einzigen Sohn hatte. Es hätte ihm durchaus gefallen, mit seiner Königin viele Kinder zu haben. Aber es sollte eben nicht sein.
Doch sein Sohn Seldon war ein kluger und wilder Junge mit kräftiger Gestalt und feuerroten Haaren. Er hatte die besten Lehrer im ganzen Land und durfte schon früh mit seinem Vater auf Reisen gehen, damit er Land und Leute kennenlernte.
Der Prinz war sehr ehrgeizig und machte seinem Vater viel Freude, aber manchmal schien es dem König, als sei er zu ehrgeizig, und damit hatte er nicht Unrecht.
Die Jahre gingen ins Land und eines Tages starb die Königin. Damit verlor der König alle Lebensfreude. Er wollte nichts mehr von der Welt sehen und wurde ein einsamer alter Mann. Und schließlich musste man auch den König zu Grabe tragen.
Seldon, inzwischen längst ein erwachsener Mann von mehr als dreißig Jahren, war über den Tod seines Vaters keineswegs so betrügt, wie er sein sollte, denn er hatte schon lange darauf gewartet, endlich die Krone und die Macht in Besitz zu nehmen. Und damit änderte sich für das kleine Königreich Minin alles, denn Seldon war ein ehrgeiziger König, der sich selbst für etwas Besonderes hielt. Und er war der Meinung, das Königreich, das er beherrschte, sei seiner nicht würdig. Es war ihm schlicht und einfach zu klein. Also tat er, was in Minin lange nicht mehr geschehen war, er ließ Krieger ausbilden. Dazu holte er die ältesten Söhne aller Familien an den Königshof.
Und dann suchte er sich eine Frau. Dabei war er sehr wählerisch und heiratete schließlich eine Prinzessin aus einem fernen Königreich. Sie war sehr schön, hatte weiße Haut und silberweißes, wunderschönes Haar, und ihre Augen hatten die Farbe klaren Wassers.
Sie brachte eine reichliche Mitgift mit. Und mit dem Geld ließ der König immer neue Krieger ausbilden.
Die junge Königin bekam schon bald ihren ersten Sohn. König Seldon aber begann mit seinen Kriegern die Grenzen zu überschreiten und Land zu erobern, und bald war er von den Menschen der angrenzenden Königreiche gehasst und gefürchtet.
Das kleine Königreich Minin begann zu wachsen, und die Königin gebar Söhne. Aber der Krieg kostete Geld. Der König erhöhte die Steuern und forderte immer mehr Abgaben, denn er brauchte Nahrung für seine wachsenden Kriegsheere. Die Bevölkerung wurde immer unzufriedener, denn die Menschen wussten bald nicht mehr, wo sie das Geld für die Steuern hernehmen sollten, und Abgaben an Getreide und Vieh führten dazu, dass die Menschen bald zu hungern begannen.
Der ehrgeizige, machthungrige Seldon aber konnte nicht genug bekommen. Sobald seine Söhne alt genug waren, um auf einem Pferd zu sitzen und eine Waffe zu halten, ließ er sie in einer harten Schule ausbilden. Und wenn sie dreizehn Jahre alt wurden, nahm er sie mit in den Krieg.
Die Königin hatte ihm inzwischen sieben gesunde, kräftige Söhne geboren. Es waren temperamentvolle, unternehmungslustige Kinder mit den grünen Augen und den leuchtend roten Haaren ihres Vaters. Sie erfreuten sich am Waffenspiel und zogen voller Begeisterung mit ihm in den Krieg.
Nur der Jüngste von ihnen, Roben mit Namen, war anders, hellblond, farblos, mit Wasser hellen Augen, wie seine Mutter. Im Gegensatz zu seinen Brüdern war er ein sanftes, stilles Kind, das an den Rockschößen seiner Mutter und seiner Amme hing.
Und als er älter wurde, hasste er die Waffenübungen. Er hasste das Kämpfen, aber sein Vater zwang ihn dazu.
Während seine Söhne wuchsen, setzte der König seine Eroberungszüge fort. Minin wurde immer größer, das Land immer ärmer und König Seldon machte sich immer mehr Feinde, die nun ihrerseits in das Königreich einfielen.
König Seldons Kriegsheer war stark, sie wurden zurückgeschlagen. Aber immer mehr Männer des Königreichs fielen auf dem Schlachtfeld.
Und sobald die Söhne seines Untertanen alt genug waren, mussten sie Kriegsdienst leisten. Die Frauen und die Alten mussten die Felder bestellen und die Armut griff um sich, doch Seldon hatte kein Einsehen.
Endlich waren alle Söhne bis auf Roben alt genug, um mit dem Vater in die Schlacht zu ziehen. Der Eroberungszug ging weiter! Weder das Flehen der Minister noch das Betteln seiner Gemahlin konnte ihn davon abhalten.
Roben, der inzwischen zwölf Jahre alt war, war froh, dass er noch zu Hause bleiben durfte. Er liebte es zu lesen und die Laute zu spielen, und er liebte die Stille seines eigenen Gemachs, in dem die Hocker Sitze aus weißen Schaffellen hatten und das Himmelbett von weißen Vorhängen eingehüllt war.
Roben hasste laute Geräusche und grelle Farben. Er trug nur helle Gewänder, von der farbigen Welt wollte er nichts wissen, das grelle Licht tat seinen Augen weh, aber alles Weiße beruhigte ihn.
Er wusste jedoch, nicht mehr lange, dann musste auch er in die Schlacht ziehen. Indessen wurde der Widerstand gegen den machthungrigen König immer größer.
Dann fiel des Königs ältester Sohn in der Schlacht. Seldon brachte seinen Leichnam nach Hause und trauerte wenige Wochen, doch dann setzte er seine Kriegszüge fort. Aber sein Heer wurde kleiner, denn viele Männer waren gefallen und es gab keinen Nachschub mehr, und mit den Eroberungen war es endgültig vorbei, jedoch nicht weil der König zur Vernunft gekommen war, sondern weil er alle Hände voll damit zu tun hatte die neuen Grenzen seines Königreiches zu verteidigen, denn er wurde von allen Seiten bedrängt.
Schließlich kam der Tag, an dem auch Roben mit Schwert und Rüstung in den Kampf ziehen musste. Seine Mutter, die Königin hatte große Angst um ihn, denn inzwischen hatten drei ihrer sieben Söhne im Kampf ihr Leben verloren. Ihren sanften, stillen Robben, der so ungeschickt mit dem Schwert war, liebt sie ganz besonders.
Roben konnte das Grauen, das er in der Schlacht erlebte, kaum ertragen. Er wollte nicht töten, kaum dass er sein eigenes Leben zu verteidigen vermochte, und im Grunde war es ein Wunder, dass er nicht in der ersten Minute seiner ersten Schlacht getötet wurde. Aber Roben überlebte, völlig unverletzt. Es schien so, als ob ein mächtiger Schutzengel seine Hand über ihn hielt. Und so musste er auch weiter mit seinem Vater dem König, in die Schlacht ziehen. Niemand fragte danach, ob sein Herz blutete. Er hasste all das Blut und all den Schmutz und alles was rot, bunt und grell war, erschien ihm wie die Farben des Todes und des Verderbens.
Sobald sie ins Schloss kamen, hüllte er sich in weiße Gewänder und die Dienerschaft musste alles aus seinen Gemächern räumen, was farbig war. Nur in der Stille seiner weißen Welt konnte er Ruhe finden und neue Kraft schöpfen.
So vergingen die Jahre. Roben war längst ein Mann geworden und er erlebte, dass all seine Brüder im Krieg starben. Am Ende war er der letzte Prinz, der noch am Leben war. Aber auch jetzt konnte der König keinen Frieden machen, denn was er erobert hatte, wollte er behalten und so musste er es verteidigen. Inzwischen hatten sich die Herrscher mehrerer Königreiche zusammengeschlossen, und da König Seldon nicht bereit war, zu verhandeln, kam es zu einer furchtbaren Schlacht.
Von der Übermacht überrannt wurde Seldon vor den Augen seines Sohnes getötet. Als Roben den Vater Tod in seinem Blut legen sagt, ließ er Schwert und Schild fallen und hob die Hände zum Himmel. Sein weißes Gewand leuchtete in der blutroten Abendsonne, sein weißes Schlachtross stand regungslos und niemand wagte, das Schwert gegen ihn zu heben.
Die Angreifer jubilierten über den Tod des verhassten Königs aber Roben verharrte regungslos. Die Männer hörten auf zu kämpfen und plötzlich trat Stille ein.
»Ritter! Hört mich an!«, rief Roben: »Ihr braucht nicht weiter zu kämpfen! Ich will Frieden! Ihr könnt mich gefangen nehmen und töten, aber wenn ihr mich ziehen lasst, gebe ich euch alles zurück, was mein Vater euch gestohlen hat!«
Einer der Heerführer trat aus der Menge hervor: »Könnt Ihr mit eurem Leben für eure Worte Bürgen, Majestät!«
»Da Ihr bekannt seid für Eure Friedfertigkeit und in den Schlachten ein Engel die Hand über Euch hält, soll es so geschehen!«
Also ließen sie Roben ziehen. und als er auf dem Heimweg war, wurde ihm bewusst, dass er nun der neue König von Minin war. Eigentlich wollte er niemals König sein, aber da keiner seiner Brüder mehr am Leben war, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Krone zu nehmen. Doch als er mit seinen wenigen überlebenden Rittern das Schloss erreichte, erwartete ihn neuer Schrecken. Auch von der anderen Seite des Reiches hatten die Angreifer die Grenzen überschritten, waren über das Schloss hergefallen, hatten es in Schutt und Asche gelegt und die Menschen getötet.
Der junge König Roben begrub seine Mutter und seinen Vater und er weinte viele Tage und Nächte lang, doch dann erinnerte er sich an die Not seines Volkes. Er rief seine überlebenden Minister und Herzöge herbei, und sie berieten was zu tun sei.
Der König besaß keine Reichtümer mehr, aber er ließ Saatgut an das Volk verteilen, damit sie ihre Äcker bestellen konnten und versprach ihnen, dass nun Frieden sein würde.
Er selbst ließ sich an einem anderen Ort hoch oben auf einem Marmorberg ein neues Schloss aus schneeweißem Marmor aus den königlichen Steinbrüchen bauen. Und um den Krieg, das Blut und all das Grauen zu vergessen, wollte er keine Farben in seinem Schloss haben.
Wände, Böden und Möbel, alles war von reinstem Weiß. Die Menschen im Schloss mussten weiße Gewänder tragen, und wer kein hellblondes Haar hatte, musste es bedecken. Wer eine zu gesunde Hautfarbe hatte, musste weißen Puder auflegen, und da man die Farbe der Augen nicht verbergen kann mussten die Menschen dem König mit gesenkten Blicken begegnen.
So wurde die Welt, in der der König lebte, ganz weiß. Selbst für die Speisen durfte nur weißer Reis, weißes Gemüse und weißes Fleisch verwendet werden. und zurückgezogen in diese farblose Welt fand er langsam seinen Frieden wieder. Dabei hasste er die rote Sonne und den blauen Himmel und hätte am liebsten befohlen, ein weißes Tuch darüber zu spannen. Aber da dies nicht möglich war, mussten sobald der Himmel blau war und die Sonne schien, alle weißen Vorhänge im Schloss fest verschlossen bleiben. Und bei Dunkelheit wurde die Farbe des Feuers der Fackeln mit dünnen weißen marmorscheiben verdeckt.
Da der König sein Versprechen gehalten und alles gestohlene Land zurückgegeben hatte, herrschte nun Frieden im Land und die Menschen liebten König Roben dafür, obwohl sie nach allem, was sie so von ihm hörten, schon fanden, dass er sich etwas eigenartig benahm.
Man hatte ihm den Namen der weiße König gegeben, was den Nagel auf den Kopf traf.
Das Volk erholte sich von den schrecklichen Jahren des Krieges und Jungen wurden wieder zu Männern, ohne dass der Krieg schon auf sie wartete.
Aber der König nahm wenig Anteil am Leben seiner Untertanen. Er verließ sein Schloss kaum noch und überließ alle Politik, alle Verhandlungen außerhalb des Schlosses seinen Ministern und Herzögen. Es gelang ihm zwar, in der weißen Stille seines Schlosses seinen Frieden wieder zu finden, aber in seiner Einsamkeit wurde er schwermütig und schließlich krank. Da sprach der Leibarzt, ein alter weiser Mann, ein Machtwort: »Majestät, verzeiht meine Offenheit, aber so kann es nicht weitergehen! Das Volk braucht einen König! Einen, der stark und gesund ist und der Söhne zeugen kann, denn was soll aus Minin werden, wenn ihr sterben würdet, Majestät und keinen Erben hättet?«
Der König dachte darüber nach, und dann wurde ihm klar, dass es seine Pflicht war, sich eine Frau zu suchen. Aber es musste eine Frau sein, die zu ihm in seine Welt
passte. So schickte er Boten in die verschiedensten Königreiche, damit sie nach einer Prinzessin suchen sollten, die seinem Geschmack entsprach, was nicht einfach war.
Doch nach monatelanger Suche kam einer seiner Boten mit einer guten Nachricht zurück. Er hatte eine Prinzessin gefunden, die völlig weiß war, weißer noch als der König. Wegen ihrer völligen Farblosigkeit hatte sie bisher keinen Freier gefunden und sie war auch nicht besonders schön. Und diese Weiße, so erklärte ihre ebenso weiße Mutter dem Boten, sei leider eine Erbkrankheit und könne auch bei weiteren Generationen auftreten. Doch das war König Roben, der am liebsten alle Farben aus der Welt verbannen wollte, gerade recht.
Kurze Zeit später wurde im weißen Schloss eine große Hochzeit gefeiert und es gab endlich wieder einmal Lachen und Fröhlichkeit.
Prinzessin Biancara wurde König Robben angetraut und zur Königin von Minin gekrönt. Die junge, schüchterne Königin mochte König Roben, und am Anfang gefiel ihr auch all die Weiße, die das, was sie an sich als Makel empfunden hatte, plötzlich nicht mehr auffallen ließ, es sogar zum Vorteil werden ließ. Doch als die Monate in der Stille des weißen Schlosses vergingen, in dem es keine Feste und nur selten Gäste gab, begann die junge Königin mehr und mehr, sich zu langweilen und unzufrieden zu werden.
Doch dann stellte sie fest, dass sie ein Kind erwartete. Der König und die Königin waren sehr glücklich, und König Robin hoffte natürlich, dass es ein Sohn werden würde. Königin Biancara war das ziemlich egal. Sie wünschte sich ein Kind, dass Farbe hatte, am besten dunkle Haare und blaue Augen. Aber sie wusste auch, dass ihr Gatte, der König da ganz anderer Meinung war.
Pünktlich nach neun Monaten wurde ein kleiner Junge geboren. zur Freude des Königs war er ebenso weiß wie seine Mutter, und er erhielt den Namen seines Großvaters Guntric.
Seine Geburt wurde im ganzen Königreich verkündet, und das ganze Volk freute sich mit seinem seltsamen König. Nur die Königin war etwas traurig über ihr farbloses Kind. Aber sie hatte es trotzdem lieb.
So gingen sechs Jahre ins Land. Der kleine Kronprinz wurde schon frühzeitig von den besten Lehrern erzogen, aber er verließ das Schloss niemals und was Farben sind, wusste er nicht. Da an ihm selbst und an seiner Mutter alles weiß war, selbst die Haut keine Farbe hatte, war es für ihn selbstverständlich, dass auch der Rest der Welt weiß sein musste. Und das wurde ihm bestätigt, als er an seinem sechsten Geburtstag am ersten Dezember vom großen Schlossbalkon aus die Welt da draußen sehen durfte. Sie war weiß! Der Himmel war bedeckt von weißen Wolken, die Welt lag unter einer dicken Schneedecke. Und niemand sagte ihm, dass es darunter ganz anders aussieht.
Dann erwartete die Königin endlich wieder ein Kind. An dem Tag seiner Geburt war Frühling. die Sonne stand flimmernd am blauen Himmel, die Welt war bedeckt von frischem Grün und die Vögel sangen ihr schönstes Lied. Nur im Schloss waren die Vorhänge zugezogen und wie immer alles weiß.
Und hier beginnt endlich die eigentliche Geschichte.
Als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, wurde das Kind geboren.
»Majestät, es ist eine Prinzessin!« verkündete die Hebamme, dann nahm sie das Kind hoch und es begann sofort mit einer ungewöhnlich kräftigen Stimme zu schreien. Doch als sie das kleine klebrige nasse Wesen ins warme Badewasser legte, beruhigt es sich. Sie badete es sorgsam, dann packte sie es in ein weiches, schneeweißes Tuch und trocknete es ab, den kleinen Körper und das kleine Köpfchen. Doch als sie das Kind aus dem Handtuch nahm, rief sie laut: »Oje!«
»Was ist?« fragte die Königinerschrocken, »ist irgendetwas nicht in Ordnung mit dem Kind?«
»Ja...doch...nein...ich meine...«,stotterte die Hebamme.
»Ja was ist denn nun?«, fragte die Königin ungeduldig, »zeig mir das Kind!«
»Majestät, es ist... es hat... es hat knallrote Haare!«
Sie hielt das Kind hoch, und tatsächlich hatte die kleine Prinzessin lange, abstehende karottenfarbene Haare.
»Oh, ist sie wunderbar!«, jubelte die Königin. Die Hebamme wickelte die Prinzessin in ein weiches Tuch und reichte sie der Königin, die sie zärtlich in die Arme schloss. Oh was für ein Zauberwesen!
Das kleine Mädchen verzog das Gesicht und öffnete die Augen.
»Und ihre Augen sind grünlich!«, jubelte die Königin, aber die Hebamme widersprach, »ihre Augen sind blau! Alle Neugeborenen haben blaue Augen. Später ändert sich das!«
»Ihre Augen werden grün!«, beharrte die Königin.
»Ich fürchte, seine Majestät, der König, wird von alledem nicht begeistert sein«, sagte die Hebamme, »besonders diese Haare!« Aber die Königin lachte: »Er muss es ja nicht wissen, dafür gibt es schließlich Mützchen! ich finde sie wunderschön!«
»Habt ihr schon einen Namen für das Kind, Majestät?«
»Eigentlich sollte sie Minin heißen, wie unser Königreich, aber das passt nicht zu ihr. Sie ist ein kleines Zauberwesen! deshalb soll sie nach dem großen Zauberer Merlin genannt werden!«
»Aber Majestät... das ist der Name für einen... Zauberer!«
»Gut, dann soll sie eben Merline heißen! Das macht einen kleinen Unterschied und das genügt!«
König Roben war hoch erfreut über seine Tochter, so erfreut, dass er sich von der Königin tatsächlich überreden ließ, das Kind Merline zu nennen, mit vollem Namen Merline Minin Biancara von Minin. Dass das kleine Mädchen rote Haare hatte, blieb ein Geheimnis, von dem nur die Königin, die Hebamme und die Amme wussten, denn Merline trug immer ein weißes Häubchen, das so weit ins Gesicht reichte, dass es jedes Härchen verdeckte. Und das kleine Mädchen brachte mit seiner kräftigen Stimme Leben ins Schloss.
Wenn Merline nicht gerade schlief, schien sie immer hungrig zu sein und dann brüllte sie aus Leibeskräften, bis die Amme sie aus ihrem Bettchen nahm und das bei Tag und bei Nacht. Die Königin freute sich, dass ihr kleines Zauberkind einen guten Appetit hatte und wuchs und an Gewicht zunahm. Und wenn die Amme Mathilde ihren Hunger gestillt hatte, nahm die Königin Merline in die Arme und sang sie in den Schlaf. Zur großen Freude der Königin fielen Merlines Haare nicht aus, wie das bei Neugeborenen meistens ist. Sie begannen zu wachsen und wurden noch röter, und ihre Augen wurden nach ein paar Monaten tatsächlich grün und bekamen kleine, goldene Punkte.
Merline war ein sehr lebhaftes Kind. Wenn sie wach war, sah sie mit ihren großen, grünen Augen neugierig in die weiße Welt, die kleinen Hände grabschten nach allem was sie erreichen konnte, und sie strampelte und zappelte nach Herzenslust. Die Königin nahm sich viel Zeit für ihr kleines Mädchen, aber auch Mathilde, die Amme liebte die kleine Prinzessin und umsorgte sie liebevoll.
Der König ließ sich sehr selten in den Kinderzimmern sehen, und Prinz-Guntric interessierte sich überhaupt nicht für seine kleine Schwester.
Als Merline ein halbes Jahr alt war, wurde sie getauft. Die Königin fand Gründe dafür, dass Merline während der Taufzeremonie ein sehr feines Mützchen auf behielt, was die roten Haare verbarg, denn sie waren noch immer ein Geheimnis. Merline konnte bereits sitzen und sie spielte mit ihren kleinen Zehen. Und bald begann sie auch herumzukrabbeln, und Mathilde musste nun ständig hinter ihr her sein, denn sie war flink und neugierig, und bald gelang es ihr auch, sich hochzuziehen und auf ihren kleinen Beinchen zu stehen. Sie war noch kein Jahr alt, als sie allein in den niedlichen weißen Schuhen durch die Kinderzimmer zu stiefeln begann. Eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen war es, auf Entdeckungsreise zu gehen, in alle möglichen Ecken zu kriechen und sich vor Mathilde zu verstecken, die dann verzweifelt rufend nach ihr suchte. Wenn sie Merline dann endlich aus einer Ecke zog, rief sie: »Da bist du ja endlich, du kleines Hexlein!« Und dann lachten sie miteinander.
Merline liebte ihre Mathilde, aber am allermeisten liebte sie es, auf dem Schoß ihrer königlichen Mama zu sitzen und ihr beim Singen zuzuhören, denn sie hatte eine wunderschöne Stimme.
Doch Merline konnte sich auch sehr gut allein mit sich selbst beschäftigen. Dann zog sie ihre kleinen Schuhe aus und betrachtete ihre kleinen Hände und Füße sehr genau. Und dabei fiel ihr auf, dass ihre kleinen Fingernägel und Zehennägel irgendwie anders aussahen wie alles, was sie sonst kannte. Dass es Farbe war, die den Unterschied machte, wusste sie nicht, denn ihre Welt war weiß. Das zweite dieser Art, das sie entdeckte, waren Mathildes Augen. Sie waren von einem hellen Grau. Doch wenn Merline auf ihrem Schoß saß und sie kritisch ansah, schlug Mathilda die Augen nieder.
Die Sonne schien an einem strahlend blauen Himmel. Im Schloss waren wie immer an solchen Tagen alle Vorhänge zugezogen, trotzdem war es ein besonderer Tag, Merlines Geburtstag! Und es sollte eine richtige Feier geben. Mathilde badete die Prinzessin sorgsam und bürstete die kleinen Hände, bis sie strahlend weiß waren. Und sie zog ihr ein besonders hübsches weißes Rüschenkleid an. Dann kämmte sie ihr das inzwischen schulterlange, rote Haar aus dem Gesicht, band es am Hinterkopf zusammen und setzte Merline ihre Spitzenhaube auf, wie jeden Morgen.
Die Prinzessin wusste nichts von ihren roten Haaren, denn sie waren immer fein säuberlich am Hinterkopf befestigt und von einer Haube bedeckt, auch nachts. Und einen Spiegel hatte Merline noch nie gesehen. Sie bewunderte ihr Kleidchen und drehte sich auf Zehenspitzen um sich selbst, bis ihr schwindelig wurde und sie lachend umfiel.
Dann kam die Königin, wünschte ihrer kleinen Tochter viel Glück, und danach nahm sie die kleine Prinzessin mit in einen Teil des Schlosses, den sie noch nie gesehen hatte. Es gab Gegenstände, die die Prinzessin nicht kannte hatte, Kerzenleuchter, feine Vasen und Schalen und sogar Stühle und Tische mit feinen goldenen Verzierungen. Merline war begeistert und sie krähte vergnügt. Dann kamen sie in ein großes, sehr hübsches Zimmer, in dessen Mitte ein Tisch wunderschön mit weißem Linnen und goldenen Bestecken gedeckt war.
Für Merline gab es einen kleinen, goldenen Löffel. Mehrere Dienstboten standen bereit. und ihr Vater, der König und ihr Bruder Prinz Guntric erwarteten sie. Sie wurde mit Glückwünschen überhäuft und dann erhielt sie ein Geschenk. Es war eine lange Kette aus dicken Marmorperlen, und zwischen den Perlen waren drei goldene Glöckchen. Ihr silberner Ton mischte sich mit ihrem hellen Lachen. Prinz Guntric starrte die kleine Schwester an wie ein Wesen aus einer anderen Welt, denn er kannte nur ernste, stille Menschen, die höchstens einmal lächelten.