Metamorphosen - Ovid - E-Book

Metamorphosen E-Book

Ovid

0,0

Beschreibung

Die Metamorphosen (lateinischer Originaltitel Metamorphoseon libri: "Bücher der Verwandlungen") des römischen Dichters Ovid, geschrieben vermutlich ab dem Jahr 1 oder 3 n. Chr. bis um 8 n. Chr., sind ein in Hexametern verfasstes mythologisches Werk über Metamorphosen ("Verwandlungen"). Die Metamorphosen bestehen aus 15 Büchern von je etwa 700 - 900 Versen und beschreiben die Entstehung und Geschichte der Welt in den Begriffen der römischen und griechischen Mythologie. Dabei wurden etwa 250 Sagen verarbeitet. Seit seinem Erscheinen war es stets eines der populärsten mythologischen Werke überhaupt und sicherlich das den mittelalterlichen Schriftstellern und Poeten am besten bekannte. Somit hatte dieses Werk einen enormen Einfluss auf die Literatur des Mittelalters sowie auf die bildende Kunst vom Mittelalter bis zum Barock. (aus wikipedia.de)

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 596

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Metamorphosen

Ovid

Inhalt:

Ovid – Biografie und Bibliografie

Metamorphosen

Erstes Buch

Zweites Buch

Drittes Buch

Viertes Buch

Fünftes Buch

Sechstes Buch

Siebentes Buch

Achtes Buch

Neuntes Buch

Zehntes Buch

Elftes Buch

Zwölftes Buch

Dreizehntes Buch

Vierzehntes Buch

Fünfzehntes Buch

Metamorphosen, Ovid

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

Ovid – Biografie und Bibliografie

Eigentlich Publius Ovidius Naso, berühmter röm. Dichter, geb. 43 v. Chr. zu Sulmo im Lande der Peligner, aus altem, begütertem Rittergeschlecht, gest. 17 n. Chr. in Tomi am Schwarzen Meer, studierte auf des Vaters Wunsch Beredsamkeit und bekleidete mehrere untergeordnete Ämter. Bald aber zog er sich vom Staatsdienst zurück und führte in Rom ein der Dichtkunst und dem Genuss gewidmetes Leben, bis er plötzlich 8 n. Chr. von Augustus, zu dessen Haus er durch seine dritte Heirat nähere Beziehungen hatte, aus Gründen, die O. nur dunkel andeutet, die aber jedenfalls mit dem Ehebruch der jüngeren Julia in Verbindung standen, nach dem unwirtlichen Tomi (jetzt Anadolköi bei Küstendsche in der Dobrutscha) verwiesen ward. Hier starb er gebrochenen Herzens, nachdem alle Bemühungen um Begnadigung oder wenigstens Anweisung eines andern Verbannungsortes fehlgeschlagen waren. Als Dichter zeichnet sich O. durch Meisterschaft im Versbau und durch Leichtigkeit und Anmut der Darstellung aus; aber Tiefe und Kraft des Gefühls und der Gedanken stehen nicht auf gleicher Höhe; ohne Stetigkeit springt er von einer Empfindung zur andern über, weil er sich ganz dem Eindruck des Augenblicks überlässt und mehr nach rhetorischen als poetischen Regeln komponiert. Dadurch wird er oft witzig und geistreich, oft aber auch leer und nichtssagend. Am meisten entsprach seiner Eigenart die erotische Elegie, mit der er (abgesehen von einer verlorenen, sehr gerühmten Tragödie, »Medea«) seine poetische Laufbahn begann. Die aus der ersten Periode derselben erhaltenen Schriften sind die drei Bücher »Amores« (Liebeselegien), deren Mittelpunkt eine Corinna genannte Geliebte ist (übersetzt von Öhlschläger, Leipz. 1880); die »Ars amatoria« (Liebeskunst) in 3 Büchern (hrsg. von Brandt, das. 1902); die »Remedia amoris« (Heilmittel der Liebe, alle drei hrsg. von L. Müller, Berl. 1861); »De medicamine faciei« (über Schönheitsmittel, nur ein Bruchstück, hrsg. von Kurz, Wien 1881); »Epistulae« oder »Heroïdes«, d.h. Liebesbriefe von Heroinen an ihre abwesenden Geliebten, eine von O. zuerst ausgebildete Spielart der poetischen Epistel (hrsg. von Lörs, Köln 1829–30, 2 Bde.; Sedlmayer, Wien 1886; übersetzt von Koch, Bamberg 1889). Einer zweiten Periode gehören an die 15 Bücher »Metamorphoses« (»Verwandlungen«), sein bekanntestes Werk, eine kunstvoll in fortlaufenden Zusammenhang gesetzte Erzählung von Verwandlungsmythen von der Weltschöpfung bis zu Cäsars Verwandlung in einen Stern in Hexametern (neuere Ausg. von Haupt, Bd. 1, 7. Aufl. von Korn-Müller, Berl. 1886; Bd. 2, 3. Aufl. von Ehwald, das. 1898; von Korn, das. 1880; von Magnus, 2. Aufl., Gotha 1892; übersetzt von Voß, 2. Aufl., Braunschw. 1829, 2 Bde.; Tippelskirch, Berl. 1873); und die »Fasti«, ein »Festkalender« in elegischem Maß, ursprünglich auf 12 Bücher für die 12 Monate berechnet, von denen O. jedoch nur die 6 ersten vollendet hat, wichtig für Mythologie und Kultus der Römer durch die an die einzelnen Feste geknüpften mythischen Erzählungen und Schilderungen der Gebräuche (hrsg. von Merkel, Berl. 1841, und Peter, 3. Aufl., Leipz. 1889). Aus der Zeit seiner Verbannung stammen die Elegiensammlungen »Tristia« (»Klagelieder«) in 5 Büchern (hrsg. von Merkel, Berl. 1837; Lörs, Trier 1839; Owen, Oxf. 1889) und »Epistulae ex Ponto« in 4 Büchern (hrsg. von Korn, Leipz. 1868), ferner »Ibis«, ein dem Kallimachos nachgeahmtes Schmähgedicht gegen einen Unbekannten (hrsg. von Ellis, Oxf. 1881), und die »Halieutica«, ein von den Fischen im Schwarzen Meer handelndes unvollendetes Lehrgedicht in Hexametern (hrsg. von Haupt, Leipz. 1838; Birt, Berl. 1878). Wichtigste Gesamtausgaben: von Nik. Heinsius (Amsterdam 1661, 3 Bde.), Burmann (das. 1727, 4 Bde., u. Oxf. 1827, 5 Bde.), Merkel (4. Aufl. von Ehwald, Leipz. 1888 ff., 3 Bde.) u. Riese (das. 1871–74, 3 Bde.). Übersetzung von Lindemann (mit Text, Leipz. 1853–1867, 6 Bde.) und in den Sammlungen von Metzler und Hoffmann. Vgl. Ribbeck, Geschichte der römischen Dichtung, Bd. 2 (Stuttg. 1889); J. J. Hartman, De Ovidio poeta (Leiden 1905); La Ville de Mirmont, La jeunesse d'Ovide (Par. 1904).

Metamorphosen

Erstes Buch

Weltschöpfung. Die vier Zeitalter. Giganten. Lykaon. Die große Flut. Deukalion und Pyrrha. Erneuerung der Tierwelt. Python. Daphne. Io (Argus; Syrinx)

 Lust wird rege zum Sang, wie sich Formen in andere Körper

 Wandelten. Götter, o seid – denn ihr ja habt sie gewandelt –

 Meinem Beginnen geneigt und vom Uranfange der Schöpfung

 Führt bis auf unsere Zeit des Gedichts fortlaufenden Faden.

 Vor dem Meer und der Erd und dem alles bedeckenden Himmel

 War in dem ganzen Bereich der Natur ein einziges Aussehn,

 Das man Chaos genannt, ein verworrenes rohes Gemenge,

 Anderes nichts als träges Gewicht und zwistige Keime,

 Trübe zu Einem gehäuft von lose verbundenen Stoffen.

 Noch goß kein Titan in das Weltall leuchtende Strahlen;

 Noch nicht füllete aus durch Zuwachs Phoebe die Hörner;

 Eignes Gewicht auch hielt noch nicht frei schwebend die Erde

 In der umfließenden Luft; noch breitete Amphitrite

 Nicht weithin an dem Rand daliegender Länder die Arme;

 Da, wo es Erde gab, dort gab es auch Luft und Gewässer.

 So taugt' nicht zum Stehen das Land, zum Schwimmen die Woge;

 Lichtes entbehrte die Luft; die Gestalt blieb keinem beständig.

 Eins war feindlich im Wege dem anderen, weil in der Masse

 Kaltes im Streit stets lag mit Warmem, mit Trockenem Feuchtes,

 Weiches mit Hartem und mit dem Gewichtigen das, was gewichtlos.

 Aber den Zwist behob ein Gott und die beßre Naturkraft;

 Denn er schied von dem Himmel das Land und vom Lande die Wogen,

 Und von der dunstigen Luft lostrennt' er den lauteren Himmel.

 Als er so sie entwirrt und dem finsteren Haufen entnommen,

 Schloß er gesondert im Raum sie zusammen in friedlicher Eintracht.

 Ohne Gewicht stieg auf lichtvoll des gewölbeten Himmels

 Feurige Kraft und ersah sich die Statt in der obersten Höhe.

 Ihr ist die Luft am nächsten im Raum und in Mangel an Schwere.

 Dichter als sie zog an die gröberen Teile die Erde,

 Niedergedrückt durch eignes Gewicht. Das umströmende Wasser

 Wählte den äußersten Sitz und umschloß den gefestigten Erdkreis.

 Als nun die Mischung der Schöpfer, wer immer der Gott   auch gewesen,

 Ordnend hatte zerteilt und in Schichten gefügt die zerteilte,

 Rundete er im Beginn, auf daß nach jeglicher Seite

 Gleich sie wäre, zur Form einer mächtigen Kugel die Erde.

 Dann goß Fluten er aus und hieß sie von tobenden Winden

 Schwellen und rings umfahn der umgürteten Erde Gestade;

 Quellen gesellt' er dazu und Seen und unendliche Sümpfe

 Und wies Flüssen die Bahn in den Grenzen gewundener Ufer,

 Die in verschiedenem Lauf teils werden geschlürft von dem Grunde,

 Teils hinkommen zum Meer und, empfangen vom offenen Felde

 Freierer Flut, anstatt der Ufer bespülen die Küsten.

 Ebenen ließ er sich auch ausdehnen und Täler sich senken,

 Wälder sich decken mit Laub, aufsteigen die steinigen Berge.

 Und wie den himmlischen Raum zwei Gürtel durchschneiden zur Rechten,

 Links gleich viel und, heißer als sie, in der Mitte der fünfte,

 So schied auch in die nämliche Zahl die geschlossene Masse

 Sorglich der Gott, und es trägt gleich viele der Zonen die Erde.

 Die in der Mitte sich zieht, ist nicht bewohnbar vor Hitze;

 Zwei deckt mächtiger Schnee; zwei legte er zwischen die beiden,

 Denen er Mäßigung gab, mit der Glut die Kälte   vermengend.

 Drüber schwebet die Luft, die lastender ist als das Feuer

 So viel, wie an Gewicht nachstehet der Erde das Wasser.

 Dort hieß Nebel er auch, dort dunstige Wolken sich lagern

 Samt dem Donnergeroll, das menschliche Herzen erschrecke,

 Und mit den Blitzen zugleich die Frost herführenden Winde.

 Ihrem Gelüste jedoch gab nicht zum Schweifen den Luftraum

 Frei der Erschaffer der Welt. Kaum werden sie jetzt, da sein Wehn doch

 In die verschiedensten Striche ein jeglicher richtet, gehindert,

 Daß sie zerreißen die Welt: so liegen in Hader die Brüder.

 Fern zu Aurora entwich, gen Persien und Nabataea

 Und zu den Höhn, die stehen im Lichte des Morgens, der Ostwind;

 Abendlich Land und die Küsten, gewärmt von der sinkenden Sonne,

 Liegen dem Weste zunächst; die Skythen befällt und die sieben

 Stiere der schaurige Nord; und aus beständigen Wolken

 Näßt gegenüber das Land der regengeschwängerte Südwind.

 Drüber lagert' er dann den klar durchsichtigen Äther,

 Der, von Schwere befreit, nichts hat von der irdischen Hefe.

 Kaum nun hatt er verzäunt das alles in sichere Grenzen,

 Als die Gestirne, die lang sich gepreßt in jenem Gemenge

 Bargen, am Himmel umher glanzreich anhuben zu   flimmern.

 Jetzo, damit kein Raum ermangele seiner Bewohner,

 Halten den himmlischen Sitz mit den Sternen die Göttergestalten;

 Raum gewährten die Wellen den blinkenden Fischen zur Wohnung;

 Tiere bekam das Land und Vögel der regsame Luftraum.

 Aber es fehlte noch ein Geschöpf, das, höher in Würde,

 Mit tiefdenkendem Geiste den anderen könnte gebieten.

 Sieh, da wurde der Mensch, ob ihn aus göttlichem Samen

 Machte der Bildner der Welt, der Urquell besserer Schöpfung,

 Oder die Erd im Beginn, die sich vom erhabenen Äther

 Eben gelöst, noch Keime behielt gleichartigen Himmels

 Und des Iapetus Sohn sie, gemengt mit fließenden Wellen,

 Bildete gleich der Gestalt der alles beherrschenden Götter.

 Während die Erde gebückt ansehen die andern Geschöpfe,

 Gab er erhabnes Gesicht dem Menschen und ließ ihn den Himmel

 Schauen und richten empor zu den Sternen gewendet das Antlitz.

 Also kleidete sich die völlig veränderte Erde,

 Formlos eben und wüst, mit den neuen Gebilden der Menschen.

 Erst nun sproßte von Gold das Geschlecht, das ohne Bewachung

 Willig und ohne Gesetz ausübte das Recht und die Treue.

 Strafe wie Furcht war fern; noch lasen sie drohende Worte

 Nicht am gehefteten Erz; noch stand kein flehender Haufe

 Bang vor des Richters Gesicht: Schutz hatten sie ohne den   Richter.

 Noch nicht hatte, gefällt auf heimischen Bergen, die Fichte,

 Andere Welt zu sehn, sich gesenkt in die flüssigen Wogen;

 Außer dem ihrigen kannten die Menschen kein andres Gestade.

 Noch umgürteten nicht abschüssige Gräben die Städte;

 Kein gewundenes Horn aus Erz noch die grade Drommete

 War, kein Helm, kein Schwert. In behaglicher Muße vergingen

 Ohne des Kriegers Bedarf die Tage den sicheren Völkern.

 Undienstbar und verschont von dem Karst und von schneidender Pflugschar

 Nimmer verletzt gab alles von selbst die gesegnete Erde,

 Und mit Speisen begnügt, die zwanglos waren erwachsen,

 Lasen sie Arbutusfrucht, Erdbeeren an sonniger Halde

 Oder am rauhen Gerank Brombeeren und rote Kornellen

 Und von dem ästigen Baume des Jupiter fallende Eicheln.

 Da war ewiger Lenz, und gelind mit lauem Gesäusel

 Küßte die Blumen der West, die sprosseten ohne Besamung.

 Nicht vom Pfluge bestellt trug bald auch Halme die Erde;

 Ganz ohne Pflege ward grau von kornschweren Ähren der Acker.

 Ströme von Milch nun wallten daher und Ströme von Nektar,

 Und gelb tropfte herab von grünender Eiche der Honig.

 Als nunmehr, da gestürzt in des Tartarus Dunkel Saturnus,

 Jupiter lenkte die Welt, da folgte das silberne Alter,

 Schlechter als Gold, im Werte voraus dem rötlichen Erze.

 Jupiter schmälerte nun die Zeit vormaligen Frühlings,

 Er trieb das Jahr durch Winter und Glut, durch herbstliche Schauer

 Und durch den kürzeren Lenz in vierfacher Teilung der Zeiten.

 Jetzo geschah es zuerst, daß schwül von trockener Hitze

 Brannte die Luft und das Eis starr hing, von den Winden verdichtet.

 Jetzo traten sie ein in Wohnungen. Wohnungen waren

 Höhlen und dichtes Gesträuch und mit Bast verbundene Zweige.

 Jetzo wurde zuerst in gezogenen Furchen der Ceres

 Samen verscharrt, und vom Joche gedrückt, aufseufzten die Rinder.

 Drauf als drittes erwuchs nach ihnen das eherne Alter,

 Wilder im Sinn von Natur und den schrecklichen Waffen geneigter,

 Aber verbrecherisch nicht. Hart ist das letzte, von Eisen.

 Jählings brachen herein in die Zeit von schlechterer Ader

 Alle die Greul; es entflohen die Scham und die Treu und die Wahrheit,

 An ihre Stelle traten Betrug und tückische Falschheit,

 Hinterlist und Gewalt und verruchte Begier des Besitzes.

 Segel entfaltete nun der Schiffer den wenig bekannten

 Winden, und Kiele, die lang auf hohen Gebirgen gestanden,

 Schwammen geschaukelt umher auf nimmer befahrenen Wogen.

 Fluren, zuvor wie die Luft und das Licht der Sonne gemeinsam,

 Zeichnete jetzt mit begrenzendem Strich vorsichtig der   Messer;

 Und nicht wurde verlangt bloß Saat und schuldige Nahrung

 Von dem ergiebigen Feld: ein ging's in das Innre der Erde.

 Schätze, die jene versteckt und stygischen Schatten genähert,

 Werden gewühlt ans Licht, Anreizungen böser Gelüste.

 Heillos Eisen bereits und Gold, heilloser als Eisen,

 Stiegen herauf: auf steiget der Krieg, der streitet mit beidem

 Und mit der blutigen Hand schlägt klirrende Waffen zusammen.

 Lebensbedarf gibt Raub. Von dem Wirt wird der Gast, von dem Eidam

 Selber der Schwäher bedroht; auch selten sind Brüder in Eintracht;

 Tod gar sinnet der Mann dem Weib, wie diese dem Gatten;

 Grauenvoll brauen den Trank Stiefmütter von bleichendem Sturmhut;

 Lang vor der Zeit schon forschet der Sohn nach den Jahren des Vaters.

 Achtende Scheu ist dahin, und von blutbefeuchteten Ländern

 Kehrte die Jungfrau heim, Astraea, der Himmlischen letzte.

 Daß nicht sicherer sei als die Erde die Höhe des Äthers,

 Trachteten nun, wie man sagt, nach dem himmlischen Reich die Giganten,

 Und zu den Sternen hinan auftürmten sie mächtige Berge.

 Da mit geschmettertem Blitz durchbrach der allmächtige   Vater

 Stracks den Olymp und schlug vom Pelion nieder den Ossa.

 Als die entsetzliche Brut nun selbst von der Masse gedrückt lag,

 Ward, von dem strömenden Blute der Söhne begossen, die Erde

 Feucht – so kündet die Mär – und belebte das warme Geblüte;

 Und daß bliebe hinfort ein Denkmal ihres Geschlechtes,

 Gab sie ihm Menschengestalt. Indes auch diese Geschöpfe

 Sprachen den Himmlischen hohn, nach gräßlichem Morde begierig

 Und unbändigen Sinns: man sah, sie stammten von Blute.

 Wie von der Höhe der Burg das sah der saturnische Vater,

 Seufzt er, und durch ein letztes Verbrechen, das außer ihm niemand

 Kannte, es war die grausige Mahlzeit am Tische Lykaons,

 Wird zu gewaltigem Zorn er erregt, wie er Jupiters würdig,

 Und er berufet den Rat. Kein Zögern verweilt die Gerufnen.

 Hoch geht droben ein Weg, bei heiterem Himmel bemerkbar,

 Der, Milchstraße genannt, am Lichtglanz eben zu kennen.

 Dort ist der Himmlischen Pfad zu des mächtigen Donnerers Wohnung

 Und zu dem Königessitz. Mit Besuchern, bei offenen Türen,

 Füllen sich rechts und links die Säle der höheren Götter.

 Niedere wohnen zerstreut allerorts. Im Vordergrund haben

 Stolz die Penaten gesetzt die hehren Gewalten des   Himmels.

 Das ist der Ort, den wohl, wenn Worten gestattet die Kühnheit,

 Ich des Himmels Palatium wagen möchte zu nennen.

 Als in dem Marmorgemach nun saßen die oberen Götter,

 Schüttelte, höher an Platz und gestützt auf das Elfenbeinzepter,

 Jupiter drei–, viermal des Schrecken erregenden Haupthaars

 Locken, davon sich gereget die Erde, das Meer, die Gestirne.

 Also entströmte darauf unmutigen Lippen die Rede:

 »Mehr nicht hab ich gezagt für die Weltherrschaft im Gemüte

 Dazumal, als die Brut der Schlangenfüßler die hundert

 Arme geregt und gehofft, den eroberten Himmel zu greifen.

 Denn, wie grimmig der Feind auch war, doch ruhte auf einem

 Haufen allein und einem Geschlecht die erhobene Fehde.

 Jetzo muß ich, soweit rings Nereus rauscht um den Erdkreis,

 Weihn dem Verderb das Menschengeschlecht. Bei den Fluten der Tiefe

 Schwör ich, die unter der Erd hingleiten im stygischen Haine.

 Alles ist vorher versucht, doch nimmer zu heilende Wunde

 Muß ausschneiden der Stahl, daß nicht das Gesunde verderbe.

 Hab ich doch auch Halbgötter und ländliche Mächte, die Nymphen,

 Faune und Satyrvolk und Silvane, die Bergebewohner:

 Diese, von uns noch nicht zu der Ehre des Himmels erhoben,

 Sollten zum wenigsten frei die beschiedene Erde bewohnen.

 Glaubt ihr aber genug, ihr Himmlischen, jene gesichert,

 Da mir, der ich den Blitz und euch stark halte in Händen,

 Lauernde Fallen gestellt der berüchtigte rohe Lykaon?«

 Murren erhob sich umher, und mit glühendem Eifer verlangt man

 Ihn, der solches gewagt. So, als ein verworfener Haufe

 Suchte zu tilgen in Caesars Blute den römischen Namen,

 Stand von plötzlichem Schreck ob solchem erhabenen Sturze

 Starr das Menschengeschlecht, und schaudernd entsetzt' sich der Erdkreis;

 Und nicht minder ist dir die Treue der Deinen, Augustus,

 Lieb, als sie Jupiter war. Wie dieser dem wirren Gerede

 Wehrte mit Wort und Hand, saß lautlos da die Versammlung.

 Als nun ruhte der Lärm, von des Herrschenden Würde beschwichtigt,

 Da bricht Jupiter wieder mit folgender Rede das Schweigen:

 »Längst hat jener verbüßt – darum nicht sorget – die Strafe;

 Welches jedoch das Vergehn und welches die Rache, vernehmet.

 Uns war böses Gerücht von der Zeit zu Ohren gedrungen:

 Wünschend, es sei nicht wahr, entschweb ich dem hohen Olympus

 Und durchstreife die Erd, ein Gott im menschlichen Bilde.

 Säumnis wr es, wieviel allorts ich gefunden von Bosheit,

 Aufzuzählen: zurück blieb hinter dem Wahren der Leumund.

 Über des Wildes Versteck, den gefürchteten Maenalus, zog ich,

 Über Kyllene hinaus und die Fichten des kalten Lycaeus.

 Ins ungastliche Haus des wilden arkadischen Herrschers

 Tret ich sodann, da der Abend bereits mit der Dämmerung einbrach.

 Zeichen verlieh ich, ein Gott sei nah, und zu beten begonnen

 Hatte das Volk. Erst höhnet die frommen Gebete Lykaon;

 Bald: ›Ob dieser ein Gott, ob ein Sterblicher, will ich erproben‹,

 Sprach er, ›zu klarem Beweis: unzweiflig entscheid ich die Wahrheit.‹

 Meuchlerisch mich bei Nacht im bannenden Schlummer zu morden,

 Trachtet er. Also beliebt ihm Probe zu halten der Wahrheit.

 Nicht zufrieden damit, durchschneidet er einem der Geiseln,

 Die ihm das Volk der Molosser gesandt, mit dem Schwerte die Kehle,

 Und so kocht' er zum Teil in siedendem Wasser die Glieder

 Halb lebendig, zum Teil auch briet er sie über dem Feuer.

 Wie er sie nun auftischt, da stürz ich mit rächender Flamme

 Nieder das Haus auf den Herrn und die gleich strafbaren Penaten.

 Jener entfliehet geschreckt, und zur Stille des Feldes entkommen,

 Heulet er laut und versucht zu sprechen umsonst. In dem Maule

 Sammelt der Geifer sich ihm, und mit der gewohneten Mordgier

 Bricht in die Herden er ein, auch jetzt am Blute sich letzend.

 Rauh in Haare verkehrt sich das Kleid, in Beine die Arme:

 Wolf ist er nun und bewahrt noch Spuren der vorigen Bildung.

 Noch ist das nämliche Grau, der nämliche Trotz in den Zügen,

 Ebenso funkelt der Blick, dasselbe Gebilde der Wildheit.

 So ist gestürzt ein Haus; doch nicht war wert zu verderben

 Eines allein: wo Erde sich dehnt, herrscht wilde Erinys.

 Alle erscheinen zur Untat verschworen, auf alle denn falle

 Ohne Verzug – so steht der Entschluß – die verwirkete Strafe!«

 Jupiters Worte belobt ein Teil, und des Grollenden Ingrimm

 Stacheln sie an; ein Teil stimmt zu durch Zeichen des Beifalls.

 Allen jedoch weckt Schmerz der Verlust des Menschengeschlechtes:

 Welch Aussehen hinfort, so fragen sie, werde die Erde

 Zeigen, von Sterblichen leer? Wer Weihrauch auf die   Altäre

 Streuen? Ob reißendes Wild denn solle verheeren die Länder?

 Doch den Besorgten verbietet – er werde des weiteren walten –

 Bang zu verzagen das Haupt der Unsterblichen, und er verheißet,

 Ungleich früherem Volk, ein Geschlecht seltsamer Entstehung.

 Und schon wollt er den Blitz auf alle die Länder versenden,

 Doch er besorgt, daß Feuer vielleicht der heilige Äther

 Fange von so viel Glut und brenne die Achse des Weltalls,

 Und er erwägt, daß stehe verhängt, einst werde die Zeit sein,

 Wo mit der Erde das Meer und die Feste des Himmels ergriffen

 Stehen in Brand und wanke der Welt mühvolles Gefüge.

 Drum bleibt ruhn das Geschoß, von der Hand der Zyklopen geschmiedet.

 Andere Strafe beliebt: das Menschengeschlecht zu vernichten

 Unter der Flut und rings Platzregen zu gießen vom Himmel.

 Schleunig verschließet er nun den Nord in des Aeolus Höhlen,

 Alle die Winde dazu, die verhüllende Wolken verjagen,

 Und läßt schnauben den Süd. Der aber mit triefenden Schwingen

 Stürmet hinaus, pechschwarz umschattet das schreckende Antlitz.

 Schwer ist von Regen der Bart; Flut strömt vom ergraueten Haupthaar;

 Nebel benetzen die Stirn; naß tropfen die Brust und die Flügel.

 Jetzt, wie er drückt mit der Hand die weithin hangenden Wolken,

 Tönt ein Gekrach, und gedrängt nun stürzen von oben die Güsse.

 Junos Botin im Schmuck des schillernden Farbengewandes,

 Iris, schöpfet die Flut und bringet Zuwachs den Wolken.

 Niedergestreckt ist die Saat, und des Landmanns sehnliche Hoffnung

 Lieget beweint, und des Jahrs langwierige Müh ist verloren.

 Jupiters Zorne genügt noch nicht sein Himmel: zum Beistand

 Schickt mithelfende Flut nun auch sein bläulicher Bruder.

 Dieser berufet die Ströme gesamt, und als sie gehorsam

 Füllten des Königes Haus: »Nicht will ich mit langer Ermahnung«,

 Sprach er, »vergeuden die Zeit: laßt strömen, soviel ihr vermöget.

 Solches ist not. Die Häuser erschließt, und die Dämme beseitigt,

 Und laßt schießen zumal die Zügel den drängenden Wogen.«

 So der Befehl. Sie gehn und lockern den Quellen die Mündung,

 Und nun wälzen sie sich mit entfesseltem Lauf in die Meerflut.

 Aber den Dreizack stach er selbst in den Grund, und die Erde

 Bebte vom Stoß und erschloß mit dem Ruck neue Wege den Wassern.

 Über die Ufer nun stürzen durch offne Gefilde die Flüsse;

 Saaten zugleich und Gehölz und Herden und Männer und Häuser

 Raffen sie mit und samt den Gebilden die heiligen Kammern.

 Wo noch stehet ein Bau, der solches Verderben vermochte

 Unverrückt zu bestehn, da geht doch höher die Woge

 Über den First, und vom Strudel bedrängt, verschwinden die Türme.

 Schon war zwischen der See und dem Land kein Unterschied sichtbar:

 Alles umher war Meer, und das Meer war ohne Gestade.

 Dieser erklimmet die Höh, und sitzend im schwankenden Nachen,

 Rudert der andere dort, wo er unlängst hatte gepflüget;

 Der schifft über die Saat und des untergegangenen Landguts

 Firsten, und jener ergreift den Fisch im Wipfel der Ulme.

 Zufall fügt, daß der Anker sich senkt auf grünende Wiese

 Oder der bauchige Kiel anstreift an Rebengelände.

 Wo noch eben sich Gras abrupfeten schmächtige Ziegen,

 Strecken sich jetzt mit gedunsenem Leib unförmige Robben.

 Nereus' Töchter, erstaunt, sehn Haine und Häuser und Städte

 Unter der Flut. Delphine durchziehen die Wälder und rennen

 Wider das hohe Gezweig und schlagen die schwankenden Stämme.

 Schafen gesellt schwimmt ängstlich der Wolf; gelbmähnige Löwen

 Trägt und Tiger die Flut; nicht nutzet dem Eber des Blitzes

 Kraft, und der flüchtige Fuß hilft nichts dem entführeten Hirsche.

 Wenn er lange gespäht nach Land, wo zu fußen vergönnt sei,

 Fällt mit ermüdetem Flug in die See der schweifende Vogel.

 Über die Hügel ergoß sich des Meers unermeßliche Willkür,

 Und an die obersten Höhn schlug brandend das neue Gewoge.

 Wellen entraffen die meisten, und deren geschonet die Wellen,

 Diese bezwingt bei dürftiger Kost langwieriger Hunger.

 Von der Aonier Volk trennt Phokis ätolische Fluren,

 Fruchtbares Land, da es Land noch war, doch ein Teil von dem Meere

 Dazumal und ein weites Gefild urplötzlicher Wasser.

 Dort, Parnassus genannt, strebt hoch ein Berg zu den Sternen

 Mit zweiteiligem Haupt und beherrscht mit dem Gipfel die Wolken.

 Wie Deukalion hier – denn das übrige deckte die Meerflut –

 Mit seinem Ehegemahl den gebrechlichen Nachen an Land trieb,

 Beten sie an die Mächte des Bergs und korykische Nymphen

 Und, die jetzt das Orakel besaß, die enthüllende Themis.

 Nie war besser ein Mann als er und dem Rechten ergebner;

 Nie trug irgendein Weib mehr Scheu als sie vor den Göttern.

 Als nun Jupiter sieht in Morästen versumpfen den Erdkreis,

 Und daß übrig verblieb von all den Tausenden einer,

 Und daß übrig verblieb von all den Tausenden eine,

 Beide unsträflichen Sinns und beide Verehrer der Gottheit,

 Teilt er die Wolken und zeigt, da der Regen verscheucht von dem Nordwind,

 Wieder dem Himmel die Erde und wieder den Äther der Erde.

 Nicht bleibt zürnend die See. Hinlegend die zackige Waffe,

 Glättet die Flut der Beherrscher des Meers, und den bläulichen Triton

 Rufet er, der, an der Schulter bedeckt von haftenden Schnecken,

 Über der Tiefe sich hebt, und heißt in die tönende Muschel

 Blasen den Gott und heim mit gegebenem Zeichen bescheiden

 Wogen und Ströme zumal. Der nimmt das runde Signalhorn,

 Welches gewunden sich dehnt in die Breite vom untersten Wirbel,

 Jenes Signalhorn, davon, wenn es Luft inmitten des Meeres

 Aufnimmt, hallet der Strand, wo Phoebus sich senkt, wo er aufsteigt.

 Jetzt auch, wie es den Mund, der betaut vom triefenden Barte,

 Jenem berührt' und blies das Zeichen gebotenen Rückzugs,

 Scholl es zu allen gesamt, zu den Wellen des Landes und Meeres,

 Und zu denen es scholl, die alle gehorchten und standen.

 Fallend verliert sich die Flut; auftauchen sieht man die Hügel;

 Schon hat Küsten das Meer; voll wallen im Bette die Ströme;

 Boden ersteht, und es hebt sich das Land, wie die Wellen sich senken,

 Und nach langem Verzug nun zeigen die Wälder entblößte

 Wipfel und halten im Laub noch Schlamm, der haftengeblieben.

 Dastand wieder die Welt. Wie er leer sie sah und verlassen

 Und das verödete Land in schauriges Schweigen versunken,

 Sprach Deukalion so mit quellenden Tränen zu Pyrrha:

 »Schwester und Ehegemahl, du einziges Weib auf der Erde,

 Du, durch gemeinsame Herkunft, den gleichen Ahnherrn der Väter,

 Dann durch das ehliche Bett, jetzt auch durch Gefahr mir vereinigt:

 Von den Gefilden zumal, die der Morgen bestrahlt und der Abend,

 Sind wir beide das Volk. Das übrige raffte die Meerflut.

 Und noch immer ist nicht die Bürgschaft unseres Lebens

 Sicher genug; auch jetzt noch ängstigen Wolken die Seele.

 Wie, wenn dich das Geschick verschonete ohne den Gatten,

 Wäre dir jetzt, du Arme, zumut? Wie könntest du einsam

 Dann ertragen die Angst? Wer sollte dich trösten im Schmerze?

 Ich – das glaube gewiß –, wenn dich auch deckte die Meerflut,

 Folgte dir nach, mein Weib, und mich auch deckte die Meerflut.

 Könnt ich doch mit der Kunst des Vaters von neuem die Völker

 Schaffen und lebenden Geist einflößen gestalteter Erde!

 Nun ist übrig in uns, uns beiden, die sterbliche Gattung –

 So war Götterbeschluß –, wir bleiben als Beispiel der Menschen.«

 Sprach's und weinte mit ihr. Sie beschließen, der himmlischen Gottheit

 Betend zu nahn und Rat zu erflehn durch heiligen Ausspruch.

 Ohne Verzug gehn beide zugleich an den Strom des Cephisus,

 Der noch nicht sich geklärt, doch einhielt frühere Grenzen.

 Als sie die Finger darauf in die Wellen getaucht und mit Tropfen

 Kleider besprenget und Haupt, da lenkt zu der heiligen Göttin

 Tempel die Schritte das Paar. Noch war an dem Hause der Giebel

 Schmutzig von häßlichem Tang, und des Feuers entbehrte der Altar.

 Wie an den Stufen sie nun anlangeten, warfen sich beide

 Nieder, das kalte Gestein zu küssen mit bebendem Schauer,

 Und so huben sie an: »Wenn Himmlische rührt und erweichet

 Andachtsvolles Gebet, wenn göttliches Zürnen zu wenden,

 Themis, so sprich: Was sollen wir tun, den Verlust zu ersetzen

 Unsres Geschlechts? Hilf, Gütigste, auf dem versunkenen Leben.«

 Themis, gerührt, erteilte den Spruch: »Weg gehet vom Tempel,

 Hüllt euch beide das Haupt und löst die gegürteten Kleider,

 Und so werft das Gebein der großen Erzeugerin rückwärts.«

 Lang hält Staunen sie starr; dann bricht mit der Stimme das Schweigen

 Pyrrha zuerst und versagt dem Gebote der Göttin Gehorsam,

 Und sie fleht um Erlaß mit bebenden Lippen und schaudert,

 Durch das zerstreute Gebein zu kränken den Schatten der Mutter.

 Beide erwägen indes für sich des gegebenen Ausspruchs

 Dunkel verschleierten Sinn und prüfen die Worte genauer.

 Drauf mit tröstlichem Wort aufrichtend die Epimethide,

 Sagte Prometheus' Sohn: »Mich trügt entweder die Einsicht,

 Oder der Spruch ist gerecht und rät kein sträflich Beginnen.

 Zeugerin nennt er die Erd, und im Leibe der Erde die Steine,

 Deucht mir, sind das Gebein; die sollen wir hinter uns werfen.«

 Ob auch froh die Titane vernimmt des Gatten Enthüllung,

 Doch ist ihr Hoffen verzagt. So sind mißtrauisch die beiden

 Gegen das Göttergebot. Doch was mag schaden die Probe?

 Weg nun gehn sie, verhüllen das Haupt und entgürten die Kleider;

 Hinter sich werfen sie dann auf den Weg die geheißenen Steine.

 Und das Gestein – wer glaubt' es, wofern nicht zeugte das Alter? –

 Wird von der Spröde befreit und verlieret die starrende Härte,

 Wird allmählich erweicht und beginnt sich, erweicht, zu gestalten.

 Bald, wie es wachsend sich hob und zu milderem Wesen sich wandte,

 Trat schon sichtlich hervor, doch noch undeutlich im Umriß,

 Menschengestalt, gleichwie aus eben behauenem Marmor,

 Nicht vollendet genug und ganz wie rohe Gebilde.

 Was an den Steinen jedoch war feucht durchdrungen von Säften

 Und was erdiger Stoff, das ward zum fleischigen Leibe;

 Aber was unbeugsam und fest, geht über in Knochen,

 Und was Ader zuvor, das bleibt mit dem nämlichen   Namen.

 Kurz nur währte die Frist, da gewann durch göttliche Fügung

 Alles Gestein, das der Mann entsendete, männliches Antlitz,

 Während vom weiblichen Wurf ein Weib neu trat in das Leben.

 Davon sind wir ein hartes Geschlecht, ausharrend in Mühsal,

 Und wir geben Beweis, woher wir genommen den Ursprung.

 Drauf von sich selber gebar die Erde die andern Geschöpfe

 Mannigfaltiger Art, als warm von dem Feuer der Sonne

 Ward das verbliebene Naß und der Schlamm und die wäßrigen Sümpfe

 Schwollen, von Hitze gespannt, und befruchtete Keime der Wesen,

 Wie in dem Schoße der Mutter genährt vom belebenden Boden,

 Wuchsen und mehr und mehr in feste Gestalt sich begaben.

 Also, wenn sich verliert von den nassen Gefilden des Nilus

 Siebenmündiger Strom und zum früheren Bette zurückkehrt

 Und von dem Äthergestirn der frische Morast sich erhitzet,

 Trifft zahlreiches Getier in gewendeten Schollen der Landmann

 Und sieht manche davon erst eben begonnen, gerade

 Während der Zeit der Geburt, und andere in der   Entwicklung

 Noch nicht fertig gediehn; oft ist an dem nämlichen Körper

 Lebend bereits ein Teil, der andere klumpige Erde.

 Denn wo Feuchte gewinnt und Wärme die richtige Mischung,

 Wird empfangen die Frucht, und alles entsteht von den beiden.

 Während das Feuer im Streit mit dem Naß, bringt dunstiger Brodem

 Alles hervor, und der Zeugung ist hold zwieträchtige Eintracht.

 Wie nunmehr, von der kürzlichen Flut noch schlammig, die Erde

 Von dem ätherischen Strahl und den Gluten der Höhe gewärmt war,

 Brachte sie Arten hervor unzählige, und sie erneute

 Alte Gebilde zum Teil, teils zeugte sie neue Geschöpfe.

 Sie zwar wollte es nicht, doch dich auch, mächtiger Python,

 Zeugte sie jetzt, und dem neuen Geschlecht, unförmige Schlange,

 Warst du ein Gram: so viel einnahmest du Raum an dem Berge.

 Aber der schießende Gott, der nimmer die Waffe des Bogens

 Brauchte zuvor, als nur bei Hirschen und flüchtigen Rehen,

 Streckte dich hin, zahllos mit Geschossen beschwert, da der Köcher

 Fast sich erschöpft, und das Gift floß aus durch   schwärzliche Wunden.

 Und daß nimmer den Ruhm des Werkes vertilge das Alter,

 Stiftet' ein heiliges Fest mit gefeierten Kämpfen Apollo,

 Nach dem gebändigten Tiere die pythischen Spiele geheißen.

 Wer von den Jünglingen dort mit der Faust, mit den Füßen, dem Rade

 Hatte gesiegt, empfing die Ehre des eichenen Kranzes.

 Lorbeer gab es noch nicht, und von jeglichem Baume bekränzte

 Seine von wallendem Haar anmutigen Schläfen sich Phoebus.

 Phoebus liebte zuerst die peneische Daphne, wofür nicht

 Blindes Geschick ihn entflammt, nein, rächender Zorn des Cupido.

 Den verspottete jüngst, noch stolz auf der Schlange Vernichtung,

 Delius, da er ihn sah, wie er spannt' seinen hörnenen Bogen.

 »Was soll kräftige Wehr bei dir, mutwilliger Knabe?«

 Sagte er. »Solches Gerät ist unsern Schultern geziemend,

 Die wir sicher das Wild wie den Feind zu treffen verstehen,

 Die wir Python erlegt, der gebläht mit dem giftigen Bauche

 So viel Hufen beschwert, unlängst mit unzähligen Pfeilen.

 Wenn du entfachst mit der Fackel ich weiß nicht welches Verlangen,

 Laß es Genüge dir sein; nicht eigne dir unseren Ruhm an!«

 Venus' Knabe versetzt: »Dein Bogen, o Phoebus, erreiche

 Alles, der meinige dich! So weit vor dem Gott die   Geschöpfe

 Weichen gesamt, so weit steht dein Ruhm unter dem meinen.«

 Sprach's und säumete nicht und teilete rasch mit bewegten

 Schwingen die Luft und stand auf der schattigen Höh des Parnassus.

 Zwei der Geschosse entnimmt er dem pfeilumschließenden Köcher,

 Ungleichartig an Kraft. Eins scheucht, eins wecket die Liebe.

 Welches sie weckt, ist golden und glänzt mit spitziger Schärfe;

 Welches sie scheucht, ist stumpf, und Blei ist unter dem Rohre.

 Dieses versendet der Gott zur peneischen Nymphe; das andre

 Schnellet er durch das Gebein ins innerste Mark dem Apollo.

 Der fühlt Liebe sogleich; sie flieht vor des Liebenden Namen:

 Nur an der Wälder Versteck und am Fang des erbeuteten Wildes

 Findet sie Lust, nach dem Bilde der stets jungfräulichen Phoebe.

 Fesselnd schlang sich ein Band um das kunstlos liegende Haupthaar.

 Viele wohl warben um sie; doch jene, den Werbenden abhold,

 Flüchtig und scheu vor dem Mann, durchstreift Einöden der Wälder,

 Und sie bekümmert sich nicht um Hymen und Amor und   Ehe.

 »Tochter«, ermahnte sie oft ihr Vater, »ich harre des Eidams.«

 »Tochter«, ermahnte sie oft ihr Vater, »du schuldest mir Enkel.«

 Sie, der wie ein Vergehn hochzeitliche Fackeln verhaßt sind,

 Steht, im schönen Gesicht von züchtiger Röte begossen,

 Und mit schmeichelndem Arm umschlingend den Nacken des Vaters,

 Bittet sie: »Wehre mir nicht, geliebtester Vater, jungfräulich

 Immer zu sein. Einst hat es Diana vergönnt der Erzeuger.«

 Jener gestattet es zwar; doch nicht läßt sein dich der Liebreiz,

 Was du begehrst, und deine Gestalt wehrt deinem Verlangen.

 Phoebus liebt, er begehrt der erblickten Daphne Umarmung,

 Hofft auch, was er begehrt. Ihn trügt sein eignes Orakel.

 So wie, der Ähren beraubt, verbrennen die nichtigen Stoppeln,

 Wie von der Fackel der Zaun aufflammt, die ein Wanderer sorglos

 Näherte oder vielleicht in der Frühe des Morgens zurückließ:

 So ist entfacht zur Flamme der Gott, und im ganzen Gemüte

 Lodert er auf und nährt die vergebliche Liebe mit Hoffnung.

 Kunstlos sieht er das Haar ihr hangen im Nacken und   denket:

 »Wie, wenn es wäre gepflegt?« Die Augen von Feuer erglänzend

 Schauet er, licht wie Gestirn. Er schauet den Mund, und Genüge

 Findet er nicht vom Schaun. Er preiset die Finger und Hände,

 Preiset den Arm und die Achsel, entblößt bis über die Hälfte.

 Was sich verbirgt, dünkt schöner ihm noch. Sie flieht wie ein Lufthauch

 Schwebend davon und steht nicht still, wie er solches ihr nachruft:

 »Nymphe, du Kind des Penëus, halt ein! Nicht folg ich als Feind dir.

 Nymphe, halt ein! So fliehet das Lamm vor dem Wolf, vor dem Löwen

 Also der Hirsch, vor dem Aar mit zitternder Schwinge die Taube,

 Jedes vom Feinde gescheucht. Mich nötiget Liebe zu folgen.

 Ach, wenn du nur nicht fällst und den Fuß, unwert der Verletzung,

 Nur nicht ritzet ein Dorn und Schmerz durch mich du erleidest!

 Rauh ist der Weg, auf welchem du eilst. Sei mäßig im Laufe –

 Höre mich-hemme die Flucht! Selbst will ich dir mäßiger folgen.

 Wem du gefällst, erforsche doch erst. Kein Mann vom Gebirge

 Bin ich oder ein Hirt; nicht hab ich auf Rinder noch Schafe

 Acht hier in lässiger Tracht. Du weißt nicht, Törin, du weißt nicht,

 Wem du entfliehst; drum fliehest du nur. Die delphische Landschaft,

 Tenedos huldiget mir und Klaros und Pataras Hofburg.

 Jupiter hat mich gezeugt. Durch mich wird kund, was gewesen,

 Was sein wird und was ist. Durch mich stimmt Sang zu den Saiten.

 Sicher ist unser Geschoß; doch sicherer trifft als das unsre

 Eins noch, welches mir schlug im ruhigen Busen die Wunde.

 Heilende Kunst ist erfunden von mir, und Helfer auf Erden

 Werd ich genannt, und uns sind dienstbar Kräfte und Kräuter.

 Ach, daß keines vermag von den Kräutern die Liebe zu heilen

 Und dem Besitzer die Kunst nicht nützt, die jeglichem nützet!«

 Mehr noch hätt er gesagt; doch ängstlich enteilt' des Penëus

 Tochter, verließ ihn selbst und die unvollendete Rede,

 Reizend zu sehn auch da: den Körper enthüllten die Winde,

 Und das Gewand ward flatternd bewegt vom begegnenden Hauche,

 Und das gehobene Haar trieb rückwärts drängender Luftzug.

 Flucht zeigt schöner den Wuchs. Da mag der unsterbliche   Jüngling

 Nicht mehr schmeichelndes Wort aufwenden, und wie ihn Cupido

 Selbst antrieb, so folgt er beschleunigten Laufes den Schritten.

 Wie wenn im offenen Felde der gallische Spürhund den Hasen

 Sieht und dieser mit Hast nach der Beute strebt, jener nach Rettung

 (Beinah am Ziel scheint immer der Hund, gleich, gleich ihn zu packen

 Hofft er und streift ganz nah mit der schnappenden Schnauze die Läufe;

 Jener vermeinet bestürzt, schon sei er gefangen, und reißt sich

 Los von dem beißenden Zahn und verläßt den berührenden Rachen),

 So ist eilig vor Furcht das Mädchen, der Gott vor Erwartung.

 Doch der Verfolgende rennt, von den Fittichen Amors gefördert,

 Schneller und gönnt nicht Rast, und dicht an der Fliehenden Rücken

 Ist er gebeugt und behaucht im Nacken das fliegende Haupthaar.

 Nun, da versagte die Kraft, erblaßte sie, und von der Mühsal

 Flüchtigen Laufes erschöpft, die peneischen Wellen gewahrend,

 Flehte sie: »Vater, ach hilf, wenn Macht euch Strömen gegeben!

 Wandele diese Gestalt, darin zu sehr ich gefallen.«

 Wie sie kaum es erfleht, faßt starrende Lähmung die Glieder,

 Und mit geschmeidigem Bast umzieht sich der schwellende Busen.

 Grünend erwachsen zu Laub die Haare, zu Ästen die Arme;

 Festhängt, jüngst noch flink, ihr Fuß an trägem Gewurzel!

 Wipfel verdeckt das Gesicht; nichts bleibt als die glänzende Schönheit.

 So auch liebt sie der Gott. An den Stamm die Rechte gehalten,

 Fühlt er, wie in der bergenden Rinde der Busen noch aufbebt,

 Und mit den Armen die Äste, als wären es Glieder, umfangend,

 Gibt er Küsse dem Holz. Doch entzieht sich das Holz auch den Küssen.

 »Weil du«, sprach er sodann, »nicht mein kannst werden als Gattin,

 Werde denn mein als Baum. Dich soll nun ständig die Leier,

 Dich soll tragen das Haar, dich ständig der Köcher, o Lorbeer!

 Latiums Führern gesellt sei du, wenn fröhliche Stimmen

 Jubeln Triumph und zum Kapitol lang wallet der Festzug.

 Treulicher Wächter zugleich den augustischen Pfosten in Zukunft,

 Sollst du stehn vor dem Tor und inmitten die Eiche behüten.

 Und wie jugendlich trägt mein Haupt frei wachsende   Locken,

 Halte du fort und fort die beständige Zierde des Laubes.«

 Paean hatt es gesagt. Der Lorbeer nickte mit jungen

 Zweigen dazu und schien wie ein Haupt zu bewegen den Wipfel.

 In Hämonien liegt, von bewaldeten Hängen umschlossen,

 Tempe genannt, ein Hain, durch welchen vom unteren Pindus

 Strömend zu Tal sich wälzt in schaumigen Wellen Penëus

 Und im gewichtigen Fall mit flüchtigen Dämpfen getränkte

 Wolken erregt und die Wipfel umher mit spritzendem Regen

 Netzet und mit dem Gebraus nicht bloß das Nahe betäubet.

 Hier ist das Haus und der Sitz, hier sind die Gemächer des großen

 Stromgotts. Hausend allhier in der felsenumwölbeten Grotte,

 Gab er den Wellen Gesetz und den Wellen bewohnenden Nymphen.

 Dort nun kamen zuerst zusammen die heimischen Flüsse,

 Zweifelnd im Sinn, ob sie Trost, ob Glückwunsch brächten dem Vater,

 Pappelumlaubt Sperchios und rastlos immer Enipeus,

 Greis Apidanus auch und der sanfte Amphrysos und Aeas,

 Andere Ströme sodann, die, wo das Gelüste sie hintreibt,

 Führen hinab zum Meer vom Irren ermüdete Wellen.

 Inachus nur ist fern. In der untersten Grotte verborgen,

 Mehrt er mit Zähren die Flut; denn Io betrauert der Ärmste

 Als ein verlorenes Kind. Er weiß nicht, ob sie am Leben,

 Ob bei den Manen sie sei; doch sie, die er nirgends   gefunden,

 Scheint ihm nirgends zu sein, und er fürchtet im Herzen das Schlimmste.

 Jupiter hatte unlängst, wie sie heimkehrt' vom Strome des Vaters,

 Jene geschaut und gesagt: »O Jungfrau, Jupiters würdig,

 Glücklich der Mann, wer er sei, den du liebend erhörst! In den Schatten

 Komm zum erhabenen Hain«, und er wies nach dem Schatten des Haines,

 »Da von der Mitte des Kreises die Sonne Mittagsglut sendet.

 Hegest du Scheu, allein zu betreten die Schlüfte des Wildes,

 Sicher geleitet ein Gott dich hinein in die Tiefe des Waldes,

 Und kein niedriger Gott, nein, welcher das himmlische Zepter

 Hält in gewaltiger Hand und zuckende Blitze versendet.

 Fliehe mich nicht!« Denn sie floh. Hinweg schon über die Weiden

 Lernas war sie geeilt und Lyrceus' waldige Fluren:

 Da umhüllte der Gott mit bergendem Dunkel die Lande

 Weit und breit und hemmte die Flucht und nahm ihr die Ehre.

 Grad auf die Felder hinab sah Juno indes von der Höhe

 Und war höchlich erstaunt, daß Nacht am heiteren Tage

 Flüchtige Nebel gebracht. Wohl merkte sie, daß sich die Dünste

 Weder entwanden dem Fluß noch stiegen vom wäßrigen   Boden,

 Und nach dem Ehegemahl sucht rings ihr spähendes Auge,

 Da ihr die Schliche bekannt des öfter betroffenen Gatten.

 Wie sie ihn nicht im Himmel entdeckt: »Ich irre mich«, sprach sie,

 »Oder ich werde gekränkt.« Und der Höhe des Äthers entglitten,

 Hatte sie Stand auf der Erd und hieß sich entfernen die Nebel.

 Doch er hatte geahnet der Gattin Besuch und gewandelt

 Inachus' Tochter zuvor in Gestalt weißglänzender Färse.

 Auch als Kuh ist sie schön. Die saturnische Göttin, ob ungern,

 Preiset das stattliche Rind, und sie fragt, unkundig erscheinend,

 Wessen es sei und woher und wohin zur Herde gehörig.

 Daß sie die Erde gezeugt, lügt Jupiter, weiterem Forschen,

 Wie sie entstand, zu entgehn. Zum Geschenk begehret sie Juno.

 Was nun tun? Hart wär es, hinweg die Geliebte zu geben;

 Weigrung erregte Verdacht. Hier ist es die Scham, die ihm zurät;

 Dort rät Liebe ihm ab. Scham wäre gewichen vor Liebe:

 Doch wenn das leichte Geschenk der Genossin des Stamms und des Lagers

 Würde versaget, die Kuh nicht Kuh dann möchte mehr scheinen.

 Als er die Buhle geschenkt, war frei doch nicht von Besorgnis

 Juno sogleich, denn sie scheute den Gott und bangte vor   Diebstahl,

 Bis sie den Argus bestellt zum Hüter, den Sohn des Arestor.

 Hundert Augen zugleich trug Argus am Haupt in der Runde:

 Immer ergaben sich zwei in wechselnder Folge dem Schlummer,

 Während die anderen all achtsam auf dem Posten verblieben.

 Wie er den Stand auch immer gewählt, er schaute nach Io;

 Io stand vor dem Blick, auch wenn er gewendet das Antlitz.

 Weiden darf sie am Tag; ist unter der Erde die Sonne,

 Schließt er sie ein und legt um den Hals unwürdige Bande.

 Nahrung ist ihr das Laub von den Bäumen und bittere Kräuter.

 Statt auf schwellendem Pfühl muß ruhn auf dem Boden die Arme,

 Der nicht immer begrast, und sie trinkt aus schlammigen Flüssen.

 »Weh mir!« rufet im Schmerz Greis Inachus aus, und die Hörner

 Hält er umfaßt und den schneeigen Hals der stöhnenden Färse:

 »Weh mir!« klaget sein Ruf. »Du bist's, o Tochter, die ringsum

 Ich in den Landen gesucht? Du warst, verschollen, mein Jammer

 Minder, denn also entdeckt. Du schweigst, und   erwidernde Worte

 Redest du nicht und drängst nur Seufzer vom Grunde des Herzens,

 Und, was allein dir vergönnt, du brummst zu unseren Klagen.

 Arglos richtet ich zu für dich Brautkammer und Fackeln;

 Erst nach dem Eidam stand mein Hoffen und dann nach den Enkeln.

 Nun harrt dein von der Herde ein Mann, ein Sohn von der Herde;

 Und nicht ist mir erlaubt, durch Tod mein Leiden zu enden:

 Mir zum Verderb ja bin ich ein Gott, und unsere Trauer

 Dehnt die verschlossene Pforte des Todes in ewige Zeiten.«

 Aber den jammernden Greis drängt fort der gestirnete Argus,

 Reißt vom Vater das Kind und treibt sie zu anderen Weiden.

 Selber begibt er sich fern auf die Höhe des ragenden Berges,

 Wo er sich setzt und weit nach jeglicher Seite sich umschaut.

 Doch der Unsterblichen Haupt kann länger der Phoronide

 Qual nicht sehn, und den Sohn, den die lichte Pleiade geboren,

 Rufet er her und gebietet durch Mord zu vertilgen den Argus.

 Rasch nimmt jener den Hut auf das Haupt, an die Füße die Flügel

 Und in die mächtige Hand die Schlummer verleihende   Rute.

 Wie er das also getan, springt Jupiters Sohn von des Vaters

 Burg auf die Erde hinab. Dort wieder entfernt er die Flügel

 Und legt nieder den Hut und behält in den Händen den Stab nur.

 Damit treibt er als Hirt quer durch die Gefilde die Ziegen,

 Die er im Gehn mitbrachte, und bläst auf gefügeten Halmen.

 Zauberisch klang das neue Getön dem junonischen Wächter:

 »He, wer immer du seist«, rief Argus, »du könntest dich setzen

 Zu mir hier auf den Stein; denn üppiger wächst für die Herde

 Nirgends das Gras, und du siehst für Hirten erquicklichen Schatten.«

 Atlas' Sproß nahm Platz und wußte mit vielem Gerede

 Plaudernd zu dehnen den Tag und strebte, die wachsamen Augen

 Einzuwiegen gemach mit dem Spiel auf verbundenen Rohren.

 Jener bekämpfet jedoch des Schlummers gelinde Bestrickung,

 Und obschon sich dem Schlaf ein Teil von den Augen ergeben,

 Hält er die anderen wach. Auch fragt er – erst kürzlich erfunden

 War auf der Flöte das Spiel –, was Anlaß gab zur Erfindung.

 Drauf sprach also der Gott: »In Arkadiens kalten Gebirgen

 War die schönste im Kreis der nonakrischen Hamadryaden

 Eine Najad unlängst: Die Nymphen nannten sie Syrinx.

 Mehrmals war sie bereits entschlüpft nachstellenden Satyrn

 Und den Göttern zumal, die der schattige Wald und das Saatfeld

 Heget. Sie weihte sich ganz der ortygischen Göttin mit Neigung

 Und jungfräulichem Sinn. Nach Sitte Dianas gegürtet,

 Konnte sie täuschen und selbst wohl gelten als Tochter Latonas,

 Wär ihr nicht ein Bogen von Horn und ein goldener jener.

 Doch so täuschte sie auch. Wie sie einst heimging vom Lycaeus,

 Schaute sie Pan, und das Haupt umwunden mit nadliger Fichte,

 Hub zu reden er an.« Noch war zu erzählen die Rede

 Und, wie die Nymphe geflohn, nicht achtend der dringenden Bitten,

 Durch pfadloses Gefild, bis daß zu des sandigen Ladon

 Ruhigem Strom sie gelangt, und, als die Wellen versperrten

 Weiteren Lauf, um Wandlung gefleht zu den flüssigen Schwestern;

 Wie dann Pan, da schon er glaubte zu haschen die Syrinx,

 Statt der Nymphe Gestalt Sumpfrohr in den Armen gehalten

 Und, als seufzend er stand, die wehende Luft in dem Schilfe

 Leises Geflüster erregt, das ähnlich ertönte wie Klage,

 Wie er, entzückt vom Zauber des Tons und der neuen Erfindung,

 Hatte gesagt: »Das soll fortan uns beide vereinen!«

 Und in den Halmen sodann, die er ungleich untereinander

 Hatte verbunden mit Wachs, den Namen des Mädchens behalten.

 Solches zu sagen bereit, sah schon der kyllenische Jüngling

 Alle die Wimpern gesenkt und verdeckt vom Schlummer die Augen.

 Gleich nun hält er die Stimme zurück und verstärkt die Betäubung,

 Mit dem bezaubernden Stab die schläfrigen Lider bestreichend.

 Rasch dann führt er den Streich auf den Nickenden mit dem gekrümmten

 Schwert, wo das Haupt sich schließt an den Hals, und stürzt ihn vom Felsen

 Blutig hinab und beflecket das schroffe Gestein mit dem Blute.

 Argus, du liegst, und das Licht, das so viel Leuchten erfüllte,

 Ist dir verlöscht, und es hüllt ein Dunkel das Hundert von Augen.

 Juno nimmt sie heraus und setzt in des heiligen Vogels

 Federn sie ein und füllet den Schweif mit gestirnten Juwelen.

 Zornig entbrannte sie jetzt und verschob nicht länger die Rache.

 Graunvoll rückt vor den Blick und den Geist der argolischen Buhle

 Sie der Erinys Gestalt und senket verborgene Strahlen

 Ihr in die Brust und jagt sie im Schreck rings über den Erdkreis.

 Du warst übrig zuletzt, Nilstrom, der unendlichen Drangsal.

 Als sie diesen erreicht, da sank sie am Rande des Ufers

 Nieder, die Knie gebeugt, und mit rückwärts strebendem Nacken,

 Was allein ihr vergönnt, das Gesicht zu den Sternen erhebend,

 Schien sie mit Klagegestöhn und Tränen und schmerzlichem Brüllen,

 Jupiter zeihend der Schuld, zu erflehen ein Ende der Leiden.

 Da bat jener, den Arm um den Hals der Gemahlin geschlungen,

 Endlich zu setzen ein Ziel der strafenden Pein: »Für die Zukunft«,

 Sprach er, »banne die Furcht! Nie soll Ursache des Schmerzes

 Io dir sein.« Und er heißt es vernehmen die stygischen Sümpfe.

 Als nun Juno erweicht, nimmt jene das frühere Antlitz

 Wieder und wird wie zuvor. Von dem Körper entweichen die Haare;

 Schrumpfend vergeht das Gehörn; eng ziehn sich die Kreise der Augen;

 Schmal wird das Maul; nun kehren zurück die Schultern und Hände;

 In fünf Zehen geteilt verliert sich allmählich die Klaue;

 Und nichts bleibet an ihr von der Kuh als die blendende Weiße.

 Aufrecht schreitet, zufrieden mit nur zwei Füßen, die Nymphe;

 Worte getraut sie sich kaum, daß nicht nach Sitte des Rindes

 Brülle der Mund, und versucht sich, verzagt abbrechend, im Reden.

 Leinwand tragende Schar ehrt jetzt die gefeierte Göttin.

 Ihr wird endlich geglaubt, daß Epaphus sei von des großen

 Jupiter Samen gezeugt, und rings in den Städten besitzt er

 Tempel, der Mutter gesellt. An Stolz war ihm wie an Jahren

 Phaëthon gleich, Sols Sohn. Als der einst prahlte mit Hochmut

 Und vor ihm nicht wich und sich rühmte des Phoebus als Zeugers,

 Trug's nicht Inachus' Sproß: »Du glaubst auch«, sprach er, »der Mutter

 Alles, du Tor! Dich blähet das Bild des erlogenen Vaters.«

 Phaëthon glüht' im Gesicht, und die Scham nur hemmte den Jähzorn,

 Und vor Clymene bracht er des Epaphus Schmähung und sagte:

 »Daß du, Mutter, es recht auch fühlst, ich habe geschwiegen,

 Ich, sonst trotzig und keck. O Schmach, daß jener den Vorwurf

 Uns zu sagen vermocht, und wir ihn nicht zu entkräften!

 Aber wenn anders ich bin aus himmlischem Samen   entsprossen,

 Gib mir Beweis von dem hohen Geschlecht, mir den Himmel zu sichern.«

 Phaëthon sprach's und umfing der Zeugerin Hals, und bei Merops

 Und bei dem eigenen Haupt und den Hochzeitsfackeln der Schwestern

 Bat er sie, kundzutun durch ein Zeichen den wirklichen Vater.

 Clymene, mochte sie nun mehr folgen den Bitten des Sohnes

 Oder dem Zorn, den gab die Beschuldigung, streckte die Arme

 Beide zum Himmel empor, und schauend zum Glanze des Phoebus,

 Sagte sie: »Dort bei dem Licht in der Pracht hellblitzender Strahlen

 Schwöre ich dir, mein Sohn, bei dem Licht, das uns anhört und anblickt:

 Er, den droben du siehst, ja Sol, der Erquicker des Weltalls,

 Hat dich gezeugt. Ist Lüge mein Wort, dann geb er sich nimmer

 Mir zu schaun, dann scheine der Tag mir heute als letzter.

 Leicht ist die Mühe für dich, die Penaten des Vaters zu finden:

 Nah angrenzet das Haus, wo er aufsteigt, unserem Lande.

 Bist du gewillt, geh hin, und er wird dich selber belehren.«

 Phaëthon springt sogleich, als solches die Mutter geredet,

 Auf in freudiger Hast, und im Geist umfaßt er den Äther.

 Sein Äthiopiervolk durcheilet er rasch und die Inder

 Unter dem heißen Gestirn und erreicht Sols östliche Wohnung.

Zweites Buch

Phaëthon. Die Heliaden. Cycnus. Kallisto. Der Rabe. Die Krähe (Coronis). Nyktimene, Aesculapius. Ocyrrhoë. Battus. Aglauros (die Mißgunst). Europa

 Stattlich erhöht stand da Sols Burg auf ragenden Säulen,

 Hell von blinkendem Gold und von flammengleichem Pyropus.

 Glänzendes Elfenbein war oben die Zierde des Giebels;

 Strahlend prangten die zwei Torflügel im Lichte des Silbers.

 Über den Stoff noch siegte die Kunst. Dort hatte gebildet

 Mulcibers Kunst das Meer, wie es rings umgürtet die Länder,

 Und die gerundete Erd und den Himmel über der Rundung.

 Bläuliche Götter umschließet die Flut, den blasenden Triton,

 Proteus' Wandelgestalt und den Riesen Aegaeon, wie jener

 Drückt mit den Armen dem Wal den mächtigen Rücken, und Doris

 Und, die Doris gebar. Teils scheinen zu schwimmen die Jungfraun,

 Teils auf felsigem Riff sich die grünlichen Haare zu trocknen,

 Teils auf Fischen zu ruhn. Nicht gleich ist allen das Antlitz,

 Ohne verschieden zu sein, so wie es bei Schwestern geziemend.

 Männer besitzt und Städte die Erd und Wälder und Tiere,

 Flüsse und Nymphen dazu und die anderen Mächte der Fluren.

 Drüber stehet gewölbt das Gebilde des glänzenden Himmels,

 Und sechs Zeichen sind rechts und sechs auch links an dem Tore.

 Als nunmehr dorthin auf steigendem Pfade gelangt war

 Clymenes Sohn und trat in das Haus des bezweifelten Vaters,

 Lenkt er die Schritte sofort nach dem Antlitz seines Erzeugers;

 Fern dann bleibet er stehn; denn näher vermochte sein Auge

 Nicht zu ertragen das Licht. Da saß im Purpurgewande

 Phoebus auf prächtigem Thron, der glänzte von hellen Smaragden.

 Neben ihm stand Tag, Monat und Jahr zur Rechten und Linken,

 Die Jahrhunderte auch, und in gleichem Abstand die Horen,

 Stand frisch grünender Lenz, umwunden von blühendem Kranze,

 Stand mit dem Ährengeflecht im Haar der entkleidete Sommer,

 Stand der Herbst, mit dem Saft der gestampfeten Trauben besudelt,

 Endlich der Winter, beeist und wirr das ergrauende Haupthaar.

 Dort aus der Mitte des Raums ward Sol des betroffenen Jünglings,

 Der bang staunte, gewahr mit den alles erblickenden Augen.

 »Was trieb dich auf den Weg? Was suchest du, Phaëthon«, sprach er,

 »Hier in der Burg, du Sproß, der nicht zu verleugnen dem Vater?«

 Jener darauf: »O gemeinsames Licht des unendlichen Weltalls,

 Vater Phoebus, wofern du mir solche Benennung gestattest

 Und nicht Clymene Schuld mit falschem Gebilde verhehlet,

 Gib mir, Erzeuger, ein Pfand, das mich als wirklichen Sprößling

 Zeige von dir und unser Gemüt von dem Zweifel befreie.«

 Phaëthon sprach's. Ablegt der Erzeuger die blendenden Strahlen,

 Die umglänzen sein Haupt, und gebietet ihm näher zu treten,

 Und er umarmt ihn und spricht: »Wohl bist du der Meine zu heißen

 Würdig, und Clymene tat dir kund wahrhaftigen Ursprung.

 Daß du dem Zweifel entsagest, erbitte beliebige Gabe,

 Und ich gewähre sie dir. Der Pfuhl, bei welchem die Götter

 Schwören, von uns noch nimmer geschaut, sei Zeuge des Wortes!«

 Kaum war solches gelobt, als jener den Wagen des Vaters

 Heischt und das Recht, für den Tag die geflügelten Rosse zu lenken.

 Jetzo bereut sein Vater den Schwur, und er schüttelt im Unmut

 Drei–, viermal sein leuchtendes Haupt: »Durch dein Wort«, also sprach er,

 »Ward sinnlos das meine. Oh, wär es vergönnt, das Verheißne

 Nicht zu verleihn! Dies würd ich dir, Sohn – ich gesteh es –, versagen.

 Warnung jedoch ist vergönnt. Nicht ist dein Verlangen gefahrlos.

 Großes erstrebt dein Wunsch, o Phaëthon, was den geringen

 Kräften mitnichten geziemt noch so unmännlichen Jahren.

 Dir fiel sterbliches Los; nicht sterblich ist, was du begehrest.

 Höheres gar, als was zu erreichen den Himmlischen möglich,

 Forderst du ohne Bedacht. Sich selbst mag jeder genügen;

 Aber von allen vermag auf der feurigen Achse zu stehen

 Keiner denn ich. Der Beherrscher sogar des weiten Olympus,

 Der mit der schrecklichen Hand hinschmettert vernichtende Blitze,

 Lenkt nicht dieses Gespann: und was gleicht Jupiters Größe?

 Steil ist der Weg im Beginn, wo kaum in der Frühe die frischen

 Rosse sich mühen hinan. Hochsteigt er inmitten des Himmels,

 Wo tief unten das Meer und die Lande zu sehen mir selber

 Oftmals graut und die Brust mir erbebt vor banger Besorgnis.

 Jäh ist am Ende die Bahn und bedarf der sicheren Leitung.

 Dann ist Tethys sogar, die mich in dem Schoß der Gewässer

 Unten empfängt, in Furcht, daß schwindligem Sturz ich erliege.

 Denke dazu, daß, gerafft von ständigem Schwunge, der Himmel

 Mitzieht hohe Gestirn und in eiligem Wirbel herumdreht.

 Gegen ihn streb ich mit Macht, und der Kraft, die alles bewältigt,

 Trotz ich und lenke die Fahrt entgegen der wälzenden Kreisung.

 Laß dein sein das Gespann: Was tätest du? Kannst du dich stemmen

 Wider den rollenden Pol, daß nicht dich entführe die Achse?

 Haine vielleicht auch dort und Städte der Götter zu finden

 Wähnst du in deinem Gemüt, und Tempel mit reichen Geschenken:

 Doch durch Gefahren gehet der Weg und Gebilde von Tieren.

 Wenn du die Bahn auch hältst und nie abschweifst in die Irre,

 Mußt du durch das Gehirn des begegnenden Stieres dich winden,

 Durch des Zentauren Geschoß und den Rachen des grimmigen Löwen,

 Am Skorpion vorbei, der krümmet die drohenden Scheren

 Weit ausgreifend im Kreis, und am Krebs, der anders sie krümmet.

 Auch ist dir das Gespann, vom sprühenden Feuer getrieben,

 Das es verschließt in der Brust und aus Maul und Nüstern hervorschnaubt,

 Leicht zu bändigen nicht. Kaum leiden mich selber die Rosse,

 Wenn heiß dränget der Mut und der Nacken sich wehret der Zügel.

 Drum, daß nicht unselige Gabe von mir sei verliehen,

 Hüte dich, Sohn, und beßre den Wunsch, da noch es vergönnt ist.

 Daß du von unserem Blut dich glaubest erzeugt mit Gewißheit,

 Willst du ein sicheres Pfand. Ich gebe das Pfand durch Besorgnis:

 Väterlich Bangen erweist als Vater mich. Schau und betrachte

 Nur mein Gesicht! O könntest du mir in den Busen das Auge

 Senken und innen die Angst des liebenden Vaters erkennen!

 Ja, was immer die Welt – blick um dich – heget an Reichtum,

 Unter dem Köstlichsten all auf Erden, im Meer und im Himmel

 Wähle dir irgendein Gut: nicht soll eine Weigrung dich kränken.

 Steh von dem einen nur ab, was Strafe mit richtigem Namen,

 Ruhm nicht ist. Zum Geschenk, o Phaëthon, heischest du Strafe.

 Was umfängst du den Hals mir, Tor, mit schmeichelnden Armen?

 Zweifle nicht, du erlangst – ich schwor bei den stygischen Fluten –,

 Was du immer gewünscht; doch mußt du verständiger wünschen.«

 Also mahnte der Gott. Doch jener verschmähte die Warnung

 Und hält fest am Entschluß und brennt vor Begier nach dem Wagen.

 Drum, solang es vergönnt, noch säumig, geleitet der Zeuger

 An Vulcanus' Geschenk, den erhabenen Wagen, den Jüngling.

 Dran war golden die Achs und die Deichsel und ebenso golden

 Außen am Rade der Kranz und silbern die Reihe der Speichen.

 Chrysolithen am Joch und gereihte Edelgesteine

 Gaben die Strahlen zurück dem widergespiegelten Phoebus.

 Als noch dies und die Kunst der mutige Phaëthon staunend

 Musterte, sieh, da tut im geröteten Osten Aurora

 Wach das purpurne Tor schon auf und den rosenbestreuten

 Vorhof. Bald ist das Heer der Gestirne verscheucht, und den Zug schließt

 Lucifer, welcher zuletzt abzieht von der Wache des Himmels.

 Wie er der Erd ihn sah sich nahn und sich röten das Weltall

 Und gleichsam an dem Monde die Enden der Hörner vergehen,

 Heißt der Titan das Gespann anschirren die hurtigen Horen.

 Rasch ist getan das Gebot, und die glutausschnaubenden Renner,

 Die mit Ambrosiasaft sich gesättigt, führen von hohen

 Krippen die Göttinnen her und befestigen klirrende Zäume.

 Jetzo bestrich dem Sohne mit heiliger Salbe das Antlitz

 Phoebus und lieh ihm Kraft, zu bestehen die sengende Flamme,

 Und mit Strahlen umgab er sein Haar, und ahnend das Unheil,

 Drängte er Seufzer hervor aus bekümmertem Herzen und sagte:

 »Kannst du wenigstens hier des Vaters Ermahnungen folgen:

 Schone den Stachel, mein Sohn, und kräftiger brauche die Zügel.

 Selbst ja eilen sie schon. Müh ist's, ihr Streben zu hemmen.

 Auch nicht wähle die Bahn durch die fünf gradlaufenden Bogen.

 Schräg hin zieht sich ein Pfad in weit abbiegender Krümmung,

 Der, mit der Grenze begnügt von dreien der Zonen, vermeidet

 So den südlichen Pol wie am nördlichen Himmel den   Bären:

 Dorthin führe dein Weg. Du erkennst noch deutliche Gleise.

 Und daß Himmel und Erde empfangen gleichmäßige Wärme,

 Senke du nicht, noch treib in die Höhe des Äthers den Wagen.

 Gehst du hinauf zu hoch, so verbrennst du die himmlischen Häuser;

 Gehst du zu tief, die Erd; am sichersten hältst du die Mitte.

 Daß auch nicht rechtsab zur gewundenen Schlange dich reiße,

 Noch dich führe das Rad linksab zum gesenkten Altare,

 Halte dazwischen die Bahn. Des weiteren walte Fortuna!

 Möge sie besser als du achthaben und helfen: ich wünsch es.

 Während ich rede, berührt ihr Ziel am hesperischen Strande

 Längst die tauige Nacht. Nicht freisteht längere Säumnis.

 Auf denn, es drängt! Hell glänzt, da geflohen das Dunkel, Aurora.

 Nimm die Zügel zur Hand! Doch bist im Gemüte du lenksam,

 Mache dir unseren Rat, nicht unseren Wagen zunutze,

 Da du es kannst und Stand noch hast auf gediegenem Grunde,

 Ehe du ratlos beschwerst die leider begehrete Achse.

 Daß du sicher es schaust, laß Licht mich geben den Ländern.«

 Leicht im Schwunge besteigt den flüchtigen Wagen der   Jüngling

 Und steht oben und hält in der Hand die gegebenen Zügel

 Freudig und dankt von da dem Vater, der ungern es höret.

 Pyrois, Aethon indes und Eóus und Phlegon als vierter,

 Phoebus' Flügelgespann, erfüllen die Lüfte mit Wiehern

 Flammenden Hauchs und schlagen im Drang mit den Hufen die Schranken.

 Tethys schob diese zurück, sie ahnt nicht des Enkels Verhängnis,

 Und als frei nun lag der weite, unendliche Weltraum,

 Stürzen sie hastig dahin, und die Luft mit den Hufen zerteilend,

 Bahnen sie sich durch Wolken den Weg, und von Schwingen gehoben,

 Eilen dem Ost sie voraus, der weht von der nämlichen Gegend.

 Aber die Last war leicht und nicht zu verspüren dem edeln

 Sonnengespann, und das Joch entbehrte der sonstigen Schwere.

 So wie das bauchige Schiff, dem fehlt die gebührende Ladung,

 Schwankt und, weil es zu leicht, haltlos auf dem Meere dahintreibt,

 Also, befreit vom gewohnten Gewicht, tut Sprünge der Wagen,

 Und hoch wird er geschnellt in die Luft und erscheint wie ein leerer.

 Aber das Viergespann stürzt wild, wie es solches gewahret,

 Weg vom gebahnten Weg und läßt von der früheren Ordnung.

 Jener, in Angst, weiß nicht die geliehenen Zügel zu lenken

 Noch auch, welches der Weg, und wüßt er es, wär er doch machtlos.

 Jetzt erglühten zuerst von den Strahlen die kalten Trionen,

 Und sie versuchten umsonst, in verbotene Flut sich zu tauchen.

 Die sich gelagert zunächst dem eisigen Pole, die Schlange,

 Träge von Kälte zuvor und keinem ein Bild des Entsetzens,

 Tauete auf und schwoll von der Glut zu neuem Ergrimmen.

 Du auch flohest gestört, nach der Sage, von hinnen, Boótes,

 Ob auch säumig du warst und dich dein Wagen zurückhielt.

 Doch als Phaëthon jetzt, der unglückselige, schaute

 Hoch vom Äther hinab auf die tief, tief liegenden Länder,

 Ward er bleich, und die Knie erbebten in plötzlichem Schrecken;

 Und bei dem blendenden Licht umzog ihm Dunkel die Augen.