Metaphysik. Schriften zur Ersten Philosophie - Aristoteles - E-Book

Metaphysik. Schriften zur Ersten Philosophie E-Book

Aristoteles

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Beschreibung

Wie funktioniert die Welt? Aristoteles legt in seinem Werk den Grundstein für eine der wichtigsten philosophischen Disziplinen, die Metaphysik. Diese befasst sich im Kern mit dem Anspruch, die Strukturen der Welt im Allgemeinen zu erschließen. Die epochemachende Übersetzung des Klassikers von Franz F. Schwarz wurde für diese Neuausgabe von dem Aristoteles-Kenner Wolfgang Detel vollständig überarbeitet. Ein neues Nachwort über die Idee und Geschichte der Metaphysik, den Aufbau und Inhalt der Aristotelischen Metaphysik einschließlich eines Überblicks über die Forschung sowie eines eigenen Abschnitts über die spezielle Substanzentheorie von Aristoteles runden den Band ab. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 733

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Aristoteles

Metaphysik

Schriften zur Ersten Philosophie

Übersetzt und herausgegeben von Franz F. SchwarzVollständig durchgesehen, überarbeitet und mit einem Nachwort versehen von Wolfgang Detel

Reclam

1970, 2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962138-8

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014289-9

www.reclam.de

Inhalt

I. Buch (A)

II. Buch (α)

III. Buch (Β)

IV. Buch (Γ)

V. Buch (Δ)

VI. Buch (Ε)

VII. Buch (Ζ)

VIII. Buch (Η)

IX. Buch (Θ)

X. Buch (I)

XI. Buch (Κ)

XII. Buch (Λ)

XIII. Buch (Μ)

XIV. Buch (Ν)

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

Metaphysik Inhaltsverzeichnis

Glossar zu den wichtigsten Grundbegriffen der aristotelischen Metaphysik

Literaturübersicht (in Auswahl)

Nachwort

Begriffsregister

Namensregister

[7]I. Buch (A)

1. Kapitel1

[980a][21] Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen. Ein deutliches Zeichen dafür ist die Liebe zu den Wahrnehmungen. Denn abgesehen vom Nutzen werden diese um ihrer selbst willen geliebt, und von allen besonders die Wahrnehmung, die durch die Augen zustande kommt. Denn nicht nur, um zu handeln, sondern auch, wenn wir keine Handlung vorhaben, geben wir dem Sehen sozusagen [25] vor allem anderen den Vorzug. Das ist darin begründet, dass dieser Sinn uns am meisten dazu befähigt, zu erkennen, und uns viele Unterschiede klar macht. Es verfügen zwar von Natur aus die Tiere über Wahrnehmung, aber bei einem Teil von ihnen entsteht daraus keine Erinnerung, beim anderen aber schon. [980b] Daher sind diese verständiger und gelehriger als diejenigen, die sich nicht erinnern können. Verständig ohne zu lernen sind diejenigen, die keine Töne hören können, so etwa die Biene, und wenn es sonst noch derartige Lebewesen gibt; es lernen [25] aber all diese, die neben der Erinnerung noch über diesen Sinn verfügen. So leben die übrigen Lebewesen mit Vorstellungen und Erinnerungen, haben aber an Erfahrung nur geringen Anteil. Doch das Menschengeschlecht lebt mit Kunstfertigkeit2 und Nachdenken. Es entsteht aber den Menschen aus der Erinnerung die Erfahrung; denn viele Erinnerungen an ein und denselben Sachverhalt bringen die Fähigkeit zu einer einzigen Erfahrung hervor. [981a] Und es scheint die Erfahrung nahezu etwas Ähnliches wie [8]Wissenschaft und Kunstfertigkeit zu sein. Wissenschaft und Kunstfertigkeit aber ergeben sich für die Menschen durch Erfahrung. Erfahrung nämlich bringt die Kunstfertigkeit hervor, wie Polos3 sagt, Unerfahrenheit hingegen den Zufall. [5] Und Kunstfertigkeit entsteht dann, wenn sich aufgrund von vielen Betrachtungen der Erfahrung eine allgemeine Annahme von ähnlichen Sachverhalten entwickelt.4 Denn die Auffassung zu vertreten, dass dem Kallias5, als er an der und der Krankheit litt, das und jenes geholfen hat, ebenfalls dem Sokrates und jeweils noch vielen, das ist Sache der Erfahrung. Doch die Auffassung zu vertreten, dass all denen von einer bestimmten Beschaffenheit, wobei man sie nach einer Art6 abgrenzt, [10] die an der und der Krankheit litten, gerade das geholfen hat, denen etwa, die an Verschleimungen, an der Galle oder an Fieber erkrankten, das ist Sache der Kunstfertigkeit. Was das Handeln betrifft, so scheint sich die Erfahrung nicht von der Kunstfertigkeit zu unterscheiden, vielmehr beobachten wir, dass die Erfahrenen eher das Richtige treffen als diejenigen, die ohne Erfahrung nur über die Bestimmung7 verfügen. [15] Ursache dafür ist, dass die Erfahrung ein Erkennen der Einzelfälle darstellt, die Kunstfertigkeit aber ein Erkennen des Allgemeinen, dass sich jedoch alle Handlungen und alle Entstehungen um ein Einzelnes drehen. Denn es heilt der Arzt nicht den Menschen, oder doch nur im indirekten Sinne, sondern den Kallias, den Sokrates oder einen anderen von den so Benannten, für den es hier nicht relevant ist, ein Mensch zu sein. [20] Sollte nun jemand über die Bestimmung verfügen, ohne Erfahrung zu haben, und das Allgemeine kennen, aber über das darin enthaltene Einzelne in Unkenntnis sein, so wird er oft die richtige Heilung [9]verfehlen; heilen muss man nämlich den Einzelfall. Trotzdem meinen wir, dass das Wissen und Verstehen mehr der Kunstfertigkeit [25] zuzurechnen ist als der Erfahrung, und halten die Kunstfertigen für weiser als die Erfahrenen, so als ob bei allen die Weisheit in höherem Grade nach Maßgabe des Wissens folge. Doch das ist deshalb so, weil die einen die Ursache8 kennen, die anderen aber nicht. Die Erfahrenen wissen zwar das Dass, doch das Warum wissen sie nicht; jene hingegen kennen das Warum und die Ursache. [30] Daher schätzen wir auch die leitenden Kunstfertigen in jeder Hinsicht höher ein und glauben, dass sie mehr wissen und weiser sind als die Handwerker, weil sie die Ursachen dessen, [981b] was hervorgebracht wird, kennen. Die Handwerker dagegen gleichen manchen unbelebten Dingen, die zwar etwas hervorbringen, aber nicht wissen, was sie hervorbringen, wie etwa, dass Feuer brennt; wie nun die unbelebten Dinge aufgrund ihrer bestimmten Natur das Einzelne hervorbringen, so die Handwerker aufgrund der Gewohnheit. Und wir glauben, dass sie nicht im Hinblick auf ihre Fähigkeit zum Handeln weiser sind, [5] sondern weil sie über die Bestimmung verfügen und die Ursachen kennen. Überhaupt ist die Fähigkeit zu lehren ein Zeichen des Wissenden gegenüber dem Nicht-Wissenden, weshalb wir auch meinen, dass die Kunstfertigkeit in höherem Grade Wissenschaft ist als die Erfahrung. Denn die Kunstfertigen vermögen zu lehren, die Erfahrenen aber nicht. Ferner meinen wir, dass keine von den Wahrnehmungen eine Weisheit ist, [10] obgleich diese hauptsächlich die Kenntnisse der Einzelfälle liefern. Doch sie sagen nichts über das Warum eines Dinges aus, zum Beispiel nicht, warum das Feuer warm ist, sondern lediglich, dass es warm [10]ist. Natürlich wurde derjenige, der zuerst eine Kunstfertigkeit erfand, die die allgemeinen Wahrnehmungen überstieg, von den Menschen bewundert, [15] nicht nur deshalb, weil sich an seiner Erfindung etwas Nützliches fand, sondern weil er weise war und sich von den anderen unterschied. Und werden dann mehrere Kunstfertigkeiten erfunden, die einen für die unumgänglichen Notwendigkeiten des Lebens, andere aber für eine gehobenere Lebensführung, so halten wir die Letzteren gerade deshalb, weil ihr Wissen nicht auf den Nutzen abzielt, [20] für weiser als die Ersteren. Erst als bereits alle derartigen Kunstfertigkeiten entwickelt worden waren, entdeckte man die Wissenschaften, die sich nicht allein auf die Lust und die Lebensnotwendigkeiten bezogen, und das erstmals in diesen Gebieten, wo man sich Muße leisten konnte. Daher entstanden auch die mathematischen Wissenschaften in Ägypten9, denn dort gestattete man dem Priesterstand, Muße zu pflegen. [25] In der Ethik10 ist gesagt worden, welcher Unterschied zwischen Kunstfertigkeit, Wissenschaft und anderem Gleichartigen besteht. Warum wir nun darüber reden, hat seinen Grund darin, dass man allgemein der Ansicht ist, die sogenannte Weisheit drehe sich um die ersten Ursachen und Prinzipien. Deshalb gilt, wie vorhin dargelegt, der Erfahrene für weiser [30] als derjenige, der lediglich über eine Wahrnehmung verfügt; der Kunstfertige für weiser als der Erfahrene; der leitende Kunstfertige für weiser als der Handwerker, und schließlich gelten die betrachtenden Wissenschaften mehr als die herstellenden. [982a] Es ist also klar, dass die Weisheit eine Wissenschaft von gewissen Prinzipien und Ursachen ist.

[11]2. Kapitel

Da wir nun diese Wissenschaft suchen, [5] muss man überlegen, mit welchen Ursachen und Prinzipien sich die Wissenschaft befasst, die Weisheit ist. Wenn man nun die Annahmen, die wir über den Weisen haben, zusammenstellt, dürfte die Angelegenheit daraus klarer werden. Zuerst nehmen wir einmal an, dass ein Weiser – soweit das möglich ist – alles wisse, ohne über die Wissenschaft vom Einzelnen zu verfügen. [10] Ferner glauben wir, dass derjenige ein Weiser ist, der imstande ist, schwierige Dinge zu erkennen, Dinge, die der Mensch nicht leicht erkennt. Denn das Wahrnehmen ist allen gemeinsam, deshalb auch leicht und keinesfalls Merkmal eines Weisen. Ferner halten wir denjenigen in jeder Wissenschaft für weiser, der genauer ist und der besser die Ursachen zu lehren versteht. Und wir sind der Meinung, dass die Wissenschaft, [15] die um ihrer selbst willen und des Wissens wegen erstrebt wird, eher Weisheit ist als diejenige, die ihrer Resultate wegen gewählt wird. Und die beherrschende Wissenschaft ist eher Weisheit als die untergeordnete. Denn man soll nicht dem Weisen Anordnungen erteilen, sondern er selbst soll anordnen; nicht er soll einem anderen gehorchen, sondern der weniger Weise ihm.

Dergestalt sind die Auffassungen, und so viele gibt es, [20] die wir über die Weisheit und die Weisen vertreten. Notwendigerweise trifft darunter das Merkmal, alles zu wissen, auf denjenigen zu, der am meisten über die Wissenschaft vom Allgemeinen verfügt; denn dieser kennt gewissermaßen alles, was dem Allgemeinen untergeordnet ist.11 Doch gerade dies, das Allgemeinste, ist für die Menschen am schwierigsten zu erkennen, ist doch der Abstand [12]zu den Wahrnehmungen am weitesten. [25] Die genauesten Wissenschaften aber sind die, welche sich am meisten auf das Erste beziehen; die nämlich, welche sich auf weniger Prinzipien beziehen, sind genauer als die, welche noch Zusätze beinhalten: So ist die Arithmetik genauer als die Geometrie.12 Die Wissenschaft aber, die die Ursachen betrachtet, ist in höherem Maße zur Lehre befähigt. Denn es lehren diejenigen, welche die Ursachen jeder Sache angeben. [30] Doch Erkennen und Wissen um ihrer selbst willen trifft am meisten auf die Wissenschaft des im höchsten Grade Wissbaren zu. Denn wer das Verstehen um seiner selbst willen wählt, wird am meisten die höchste Wissenschaft wählen, [982b] das ist aber die Wissenschaft des im höchsten Grade Wissbaren. Und im höchsten Grade wissbar sind das Erste und die Ursachen, denn gerade durch diese und aus diesen wird das andere erkannt, nicht aber diese aus dem Untergeordneten. Die Wissenschaft aber, die erkennt, warum eine jede Sache getan werden muss, ist die beherrschende und steht höher als die ihr untergeordnete. [5] Und dies ist in jeder Sache das Gute und überhaupt das Beste in der gesamten Natur.13

Aufgrund all dessen, was nun erörtert worden ist, fällt die gesuchte Benennung auf ein und dieselbe Wissenschaft. Diese muss nämlich die ersten Prinzipien und Ursachen betrachten, [10] da doch auch das Gute und das Warum zu den Ursachen gehört. Dass es sich aber dabei nicht um eine herstellende Wissenschaft handelt, ergibt sich aus den Lehren der frühesten Philosophen. Weil sie sich nämlich wunderten, haben die Menschen zuerst wie jetzt noch zu philosophieren begonnen14. Sie wunderten sich anfangs über das Unerklärliche, das ihnen entgegentrat. Allmählich machten [13]sie auf diese Weise Fortschritte und stellten sich über Größeres Fragen, [15] etwa über die Eigenschaften des Mondes und die von Sonne und Sternen und über die Entstehung des Alls. Der jedoch, der voller Fragen ist und sich wundert, meint in Unkenntnis zu sein. So ist auch ein Liebhaber von Mythen in gewisser Hinsicht ein Philosoph, setzt sich doch ein Mythos aus Wunderbarem zusammen.15 Philosophierte man also, um der Unwissenheit zu entkommen, so suchte man offenkundig das Wissen, [20] um Einsicht zu gewinnen, keineswegs aber um eines Nutzens willen. Das zeigt auch der Gang der Dinge; denn erst, als alle Lebensnotwendigkeiten vorhanden waren und alles, was der Erleichterung und einem gehobenen Leben dient, begann man eine derartige Einsicht zu suchen. Es ist klar, dass wir diese nicht um eines anderen Nutzens willen suchen; [25] sondern, wie unserer Meinung nach derjenige ein freier Mensch ist, der um seiner selbst und nicht um eines anderen willen lebt, so ist auch diese Wissenschaft als einzige von allen frei; ist sie doch allein um ihrer selbst willen da.

Daher könnte man mit Recht annehmen, ihr Besitz gehe über menschliche Kraft hinaus.16 Vielfach nämlich ist die Natur des Menschen eingeschränkt, so dass, wie Simonides sagt17:

[30] »Gott allein wohl dieses Vorrecht genießt«,

dass es aber des Menschen unwürdig sei, nicht nach der ihm zukommenden Wissenschaft zu suchen. Sollte aber an dem, was die Dichter behaupten, doch etwas sein und sind die Götter neidisch, [983a] so müsste das hier besonders zutreffen, und alle, die in dieser Wissenschaft hervorragten, [14]müssten unglücklich sein. Doch die Gottheit kann nicht neidisch sein18, lautet doch das Sprichwort:

»Vieles lügen die Sänger«19;

und keine andere Wissenschaft ist höher einzuschätzen als diese. [5] Die göttlichste Wissenschaft nämlich ist auch die ehrbarste, und nur in zweifacher Hinsicht ist sie dies: Die Wissenschaft nämlich, die die Gottheit am meisten besitzen dürfte, ist eine göttliche Wissenschaft, aber auch diejenige, die vom Göttlichen handelt. Und diese allein umfasst beides. Denn Gott20 gilt allen als eine Ursache und ein Prinzip, und Gott besitzt wohl diese Wissenschaft allein oder doch am meisten. Freilich sind alle anderen Wissenschaften notwendiger als diese, [10] aber keine ist besser. In gewisser Hinsicht allerdings muss ihr Besitz gegenüber den anfänglichen Untersuchungen für uns ins Gegenteil umschlagen. Alle nämlich beginnen, wie gesagt, mit der Verwunderung, dass die Dinge so sind, wie sie sind, wie etwa angesichts sich selbst bewegender Marionetten21, der Sonnenwende [15] oder der Inkommensurabilität der Diagonale22. Denn es scheint allen verwunderlich, die noch nicht die Ursache dafür betrachtet haben, dass es etwas gibt, das nicht mit dem kleinsten Maß gemessen werden kann. Doch es muss sich nach dem Sprichwort23 zum Gegenteil und zum besseren Ende umkehren, auch in diesem Fall, wenn man kundig geworden ist. Über nichts geriete nämlich ein Geometer mehr in Erstaunen, als wenn die Diagonale kommensurabel wäre.

[20] Somit ist gesagt, welches die Natur der gesuchten Wissenschaft ist und was das Ziel ist, das die Untersuchung und das gesamte Verfahren erreichen muss.

[15]3. Kapitel

Da es also klar ist, dass man eine Wissenschaft von den ursprünglichen Ursachen gewinnen muss, [25] denn erst dann sprechen wir von einem Wissen in jedem Einzelfall, wenn wir glauben, die erste Ursache zu kennen, man aber von den Ursachen in vierfacher Weise spricht24, einmal nämlich als Substanz und als Was-es-heißt-dies-zu-sein,25 denn das Warum wird auf die letzte Begründung zurückgeführt, Ursache und Prinzip aber sind das erste Warum, zweitens als Materie26 und Substrat27, [30] drittens als das, woher der Anfang der Bewegung28 kommt, viertens, im Gegensatz zur dritten, als das Weswegen und das Gute – denn dies ist das Ziel aller Entstehung und aller Bewegung –, so wollen wir doch, obschon wir darüber zur Genüge in unseren Arbeiten über die Natur29 gehandelt haben, [983b] nun jene hinzuziehen, die vor uns zur Untersuchung des Seienden übergegangen waren und über die Wahrheit philosophiert haben. Denn offenkundig sprechen auch sie von gewissen Prinzipien und Ursachen. Wenn wir ihre Ansichten durchgehen, so wird das für unser Verfahren förderlich sein. [5] Denn entweder werden wir eine andere Art von Ursache finden, oder wir werden den eben genannten Vertrauen schenken.

Die Mehrzahl der ersten Philosophen war der Meinung, dass allein die Materie-artigen Prinzipien die Prinzipien aller Dinge sind. Das nämlich, woraus alles Seiende besteht und woraus als dem Ersten es entsteht und worin es letztlich wieder vergeht, wobei die Substanz bestehen bleibt und sich lediglich in ihren Eigenschaften ändert, [10] das, so behaupten sie, ist das Element und das Prinzip der [16]existierenden Dinge. Und deshalb meinen sie auch, dass weder etwas entsteht noch vergeht, da eine derartige Natur stets erhalten bleibt. Wie wir auch nicht von Sokrates behaupten, dass er schlechthin entsteht, wenn er schön oder musisch wird, noch, dass er vergeht, wenn er diese Merkmale verliert, [15] weil das Substrat, Sokrates selbst, bestehen bleibt; ebenso, behaupten sie, vergeht nichts von den anderen Dingen, noch entsteht es. Immer nämlich gebe es eine Natur, entweder eine oder mehr als eine, woraus die anderen Dinge entstehen, während diese jedoch erhalten bleibt. Freilich, was die Menge und die Form eines derartigen Prinzips betrifft, sind sich durchaus nicht alle einig.

[20] Nun denn, Thales30, der Urheber dieser Art von Philosophie, sagt, das Wasser sei dieses Prinzip (deshalb erklärte er auch, die Erde ruhe auf dem Wasser), wobei er vielleicht zu dieser Annahme kam, weil er sah, dass die Nahrung aller Dinge flüssig ist und die Wärme selbst daraus entsteht und ihre Lebenskraft von dorther nimmt; das aber, woraus alles entsteht, ist das Prinzip von allem. [25] Daher also kam er zu dieser Annahme, aber auch noch dadurch, dass die Samen aller Dinge über eine feuchte Natur verfügen. Das Wasser aber ist für das Feuchte Prinzip seiner Natur. Einige vertreten sogar die Auffassung, dass in uralten Zeiten, lange vor der jetzigen Generation, diejenigen, die als Erste von den Göttern gehandelt haben31, ebenso über die Natur nachgedacht haben, [30] denn sie stellten Okeanos32 und Tethys als Schöpfer der Entstehung und den Schwur der Götter als Schwur beim Wasser dar, dem sie den Namen Styx gaben33, da am ehrwürdigsten das Älteste ist, das Ehrwürdigste aber ist der Schwur. Ob dies nun wirklich die anfängliche und alte Meinung [984a] über die [17]Natur war, ist wohl unsicher. Thales allerdings soll sich so über die erste Ursache geäußert haben, denn Hippon34 ist wohl wegen des geringen Wertes seiner Gedanken nicht würdig, unter diese Denker eingereiht zu werden. [5] Anaximenes35 aber und Diogenes36 hielten die Luft für grundlegender als das Wasser und für das grundlegendste Prinzip der einfachen Körper, während Hippasos aus Metapont37 und Heraklit aus Ephesos38 dies vom Feuer, Empedokles39 aber von den vier Elementen annahm, indem er den eben erwähnten Prinzipien die Erde als viertes hinzuzählte.40 Nach seiner Meinung nämlich bleiben diese bestehen und entstehen nicht, [10] sondern sie vereinigen und trennen sich in größerer oder geringerer Zahl auf das Eine hin bzw. von dem Einen weg. Anaxagoras aus Klazomenai41, wenn auch älter als Empedokles, trat doch mit seinen Werken später hervor und behauptet, dass es eine unbegrenzte Anzahl von Prinzipien gibt. Denn er lehrt, dass alle Dinge, die aus ähnlichen Teilen bestehen, wie etwa Wasser und Feuer, nur insofern entstehen und vergehen, als dies durch Verbindung und Trennung geschieht, [15] in einem anderen Sinn aber entstünden sie weder, noch vergingen sie, sondern sie blieben ewig bestehen.

Man könnte demnach meinen, die einzige Ursache sei die sogenannte materielle Ursache. Als aber die Denker so fortschritten, wies ihnen die Sache selbst den Weg und nötigte sie zu weiterer Forschung. Wenn es nämlich auch noch so klar ist, [20] dass sich jegliches Entstehen42 und Vergehen aus etwas herleitet, das ein Eines oder mehreres ist: Warum geht das in dieser Weise vor sich, und was ist die Ursache? Denn das Substrat bringt nicht seine eigene Veränderung hervor. Ich meine dies etwa so: Weder das Holz [18]noch die Bronze sind Ursache dafür, wenn sich eines von ihnen verändert; weder stellt das Holz ein Bett her noch die Bronze eine Statue, [25] sondern etwas anderes ist die Ursache der Veränderung. Dies aber zu suchen bedeutet ein davon verschiedenes Prinzip zu suchen oder, wie wir es ausdrücken möchten, dasjenige, aus dem sich der Ursprung der Bewegung herleitet. Nun, jene, die bereits ganz am Anfang ein derartiges Verfahren einschlugen und behaupteten, das Substrat sei Eines43, waren keinesfalls untereinander uneins. Doch einige, die auch vom Einen sprachen44, [30] behaupten, gleichsam von dieser Untersuchung überwältigt, dass das Eine und die ganze Natur unbeweglich ist, und das nicht nur im Hinblick auf Entstehen und Vergehen (das nämlich ist eine uralte Annahme, und alle waren sich darin einig), sondern auch hinsichtlich jeder anderen Veränderung; [984b] und dieser Standpunkt ist für sie spezifisch. Keiner von denen, die behaupteten, das All sei Eines, kam dazu, eine derartige Ursache zu kennen, mit Ausnahme vielleicht von Parmenides45; doch auch dieser nur insoweit, als er nicht nur eine, sondern in gewisser Hinsicht zwei Ursachen annimmt. [5] Für die aber, die mehrere Ursachen annehmen46, ist es schon eher möglich, von so etwas zu reden, zum Beispiel für diejenigen, die das Warme, das Kalte oder das Feuer und die Erde postulieren. Denn sie behandeln das Feuer als etwas, das über eine bewegende Natur verfügt, Wasser aber, Erde und Derartiges als das Gegenteil.

Nach diesen Denkern und derartigen Prinzipien wurde man, da diese nicht hinreichten, die Natur der Dinge entstehen zu lassen, von der Wahrheit selbst, wie gesagt47, [10] gezwungen, das nächstfolgende Prinzip zu suchen. Davon [19]nämlich, dass die Dinge einerseits gut und schön sind, andererseits dazu werden, kann weder das Feuer noch die Erde noch etwas anderes Derartiges die Ursache sein, noch konnten es jene Denker geglaubt haben. Es konnte aber auch nicht richtig sein, eine so gewichtige Angelegenheit der Spontaneität oder dem Zufall zu überlassen. [15] Als nun jemand behauptete48, dass der Geist wie in den Tieren so auch in der Natur die Ursache des Kosmos und jeder Ordnung ist, da erschien dieser als der Besonnene gegenüber dem planlosen Gerede der Vorläufer. Wir wissen ganz sicher, dass Anaxagoras diese Gedanken erfasst hat, doch glaubt man, Hermotimos aus Klazomenai49 habe sie früher geäußert. [20] Diejenigen nun, die so dachten, meinten, dass die Ursache des Guten zugleich ein Prinzip der Dinge ist, und zwar ein derartiges Prinzip, von dem her den Dingen Bewegung zukommt.

4. Kapitel

Man könnte vermuten, dass Hesiod50 als Erster etwas Derartiges gesucht hat, oder wenn sonst jemand Liebe oder Begierde in den Dingen als Prinzip annahm, wie etwa auch Parmenides. [25] Denn dieser sagt beim Aufbau der Entstehung des Alls:

»Als Ersten unter allen Göttern ersann sie51 den Liebesgott«52,

Hesiod aber:

[20]»Zuallererst entstand das Chaos, darauf aber die breitbrüstige Erde … und der Liebesgott, der unter allen Göttern hervorragt«53,

da es in den Dingen eine Ursache geben müsse, [30] die die Dinge bewegt und zusammenbringt. Wie man nun diese Denker nach ihrer Priorität einreihen muss, dies soll später zu entscheiden gestattet sein.54 Da aber auch das Gegenteil des Guten sich in der Natur vorhanden zeigte, nicht allein Ordnung und das Schöne, [985a] sondern auch Unordnung und das Hässliche und mehr Schlechtes als Schönes, so führte ein anderer Freundschaft und Streit ein, jedes von beiden als Ursache dieser beiden. Wenn nun einer der Ansicht des Empedokles nachgeht und sie nimmt, [5] wie sie gemeint ist, und keinen Maßstab an die holprige Art seines Ausdrucks legt, dann wird er entdecken, dass Freundschaft die Ursache des Guten, der Streit aber Ursache des Schlechten ist, so dass man also, wenn man sagt, dass Empedokles in gewisser Hinsicht – und zwar zuerst – das Schlechte und das Gute als Prinzipien postuliert, das Richtige treffen dürfte, wenn von allem Guten das Gute selbst die Ursache ist.

[10] Diese nun, wie gesagt, scheinen zwei Ursachen erfasst zu haben, die wir in den Untersuchungen über die Natur55 unterschieden haben, die Materie nämlich und das Woher der Bewegung, allerdings undeutlich und ohne Klarheit, wie es bei Wettkämpfen die Untrainierten tun. Denn auch diese bringen, wild rudernd, oft schöne Schläge an, [15] doch weder tun das jene aufgrund einer Kampfkenntnis, noch scheinen diese zu wissen, was sie sagen, denn offenkundig machen sie von diesen Grundsätzen [21]keinen oder doch nur geringen Gebrauch. Anaxagoras nämlich verwendet bei der Weltschöpfung den Geist als deus ex machina56, und wenn er in Verlegenheit ist, durch welche Ursache etwas notwendigerweise vorhanden sein soll, [20] dann zieht er sie heran; doch in den übrigen Fällen gibt er alles eher als Ursache an als den Geist. Und obwohl Empedokles seine Ursachen mehr verwendet als jener, tut er das keinesfalls hinreichend, noch gelangt er dabei zu einer inneren Übereinstimmung. Schließlich, in vielen Fällen, ist es bei ihm die Freundschaft, die trennt, und der Streit, der verbindet. [25] Denn wenn das All unter dem Einfluss des Streites in seine Elemente zerfällt, dann verbindet sich das Feuer in Eines und ebenso jedes der anderen Elemente. Wenn sie aber wiederum unter dem Einfluss der Freundschaft in das Eine zusammenkommen, dann müssen die Teile wieder aus jedem getrennt werden.

Empedokles allerdings war im Gegensatz zu seinen Vorläufern der Erste, [30] der die Teilung dieser Ursache einführte, indem er nicht nur einen einzigen Ursprung der Bewegung, sondern noch verschiedene und entgegengesetzte annahm. Ferner sprach er als Erster von vier Materie-artigen Elementen, er gebraucht sie aber nicht nur als vier, sondern als wären sie zwei, [985b] einerseits nämlich das Feuer an sich und auf der anderen Seite seine Gegensätze – Erde, Luft und Wasser – als eine einzige Natur. Dies kann man nach genauer Einsicht aus seinen Versen entnehmen.57 Auf diese Weise also hat, wie wir sagen, dieser Philosoph gesprochen, und so viele Prinzipien hat er angenommen. Leukipp58 jedoch und sein Gefährte Demokrit59 behaupten, dass das Volle und das Leere Elemente sind, [5] und bezeichnen das eine als Seiendes, das andere als Nicht-Seiendes. [22]Das Volle und Feste ist das Seiende, das Leere hingegen das Nicht-Seiende; daher sagen sie auch, dass das Seiende nicht mehr existiert als das Nicht-Seiende, weil nämlich der Körper nicht mehr existiert als das Leere. Diese aber seien die Ursachen der Dinge im Sinne der Materie. [10] Und wie diejenigen, die das Eine zur substrathaften Substanz machen und alles Übrige durch Eigenschaften desselben hervorbringen, das Dünne und das Dichte als Ursprung der Eigenschaften postulierten, genauso behaupten auch diese Denker, dass die Unterschiede Ursachen der übrigen Eigenschaften sind. Und es gibt ihrer Meinung nach drei solche Unterschiede: Figur, Anordnung, Lage. Sie sagen nämlich, dass sich das Seiende lediglich durch Rhythmus, [15] durch Zusammentreffen und durch Richtung unterscheidet. Davon ist der Rhythmus Figur, das Zusammentreffen Anordnung und die Richtung Lage. So unterscheidet sich nämlich Α von Ν durch die Struktur, AN von NA durch die Anordnung und Ζ von Ν durch die Lage. Die Frage nach der Bewegung aber, woher oder wie sie den Dingen zukommt, haben auch diese, wie die anderen, leichtfertig übergangen. [20] Über die zwei Ursachen, wie gesagt, scheinen bis hierher von den früheren Philosophen die Untersuchungen betrieben worden zu sein.

5. Kapitel

Zu dieser Zeit, aber auch schon vorher, beschäftigten sich die sogenannten Pythagoreer60 als Erste mit der Mathematik, bauten sie weiter aus und waren, da sie sich mit ihr ausgiebig auseinandergesetzt hatten, [25] der Meinung, dass [23]ihre Prinzipien die Prinzipien der Dinge sind. Da nun von diesen Prinzipien die Zahlen von Natur aus das Erste sind, sie aber gerade in diesen viele Ähnlichkeiten mit den existierenden und entstehenden Dingen zu sehen vermeinten – mehr als in Feuer, Erde oder Wasser –, weil die eine Eigenschaft der Zahlen die Gerechtigkeit, die andere die Seele und den Geist, [30] wieder eine andere den günstigen Augenblick bedeuten sollte, und ähnlich alles Übrige, da sie dazu noch in den Zahlen die Eigenschaften und Verhältnisse der Harmonien erblickten, weil sie also glaubten, alle anderen Dinge glichen ihrer ganzen Natur nach den Zahlen und die Zahlen seien das Erste in der ganzen Natur, [986a] nahmen sie an, dass die Elemente der Zahlen die Elemente aller Dinge sind und der gesamte Himmel Harmonie und Zahl ist. Und alles, was sie in Ähnlichkeit mit den Zahlen und Harmonien in Hinsicht auf die Eigenschaften, [5] die Teile des Himmels und den Gesamtaufbau des Himmels vorfanden, das fassten sie zusammen und passten es einander an. Und wenn nun etwas offen blieb, so fügten sie noch etwas hinzu, damit ihre ganze Theorie geschlossen sei. Ich meine das etwa so: Da sie glauben, die Zahl Zehn sei vollkommen und umfasse die gesamte Natur der Zahlen, behaupten sie auch, dass die bewegten Himmelskörper zehn sind; [10] da aber lediglich neun sichtbar sind, erdachten sie sich als zehnten die Gegenerde. Doch darüber haben wir in anderen Schriften61 genauer gehandelt. Aber weswegen wir darauf eingehen, hat den Grund darin, auch bei diesen Philosophen festzustellen, welche Prinzipien sie postulieren und wie diese unter die eben genannten Ursachen fallen. [15] Offenkundig sehen auch die Pythagoreer die Zahl als Prinzip an, sowohl im Sinne von Materie für die Dinge wie [24]im Sinne von Eigenschaften und Zuständen. Sie glauben, die Elemente der Zahl seien das Gerade und Ungerade, von denen aber das eine begrenzt sei, das andere unbegrenzt; die Eins jedoch bestehe aus beidem, [20] denn sie sei gerade und ungerade, die Zahl wiederum bestehe aus dem Einen, und – wie gesagt – die Zahlen bildeten den ganzen Himmel.

Andere Mitglieder derselben Schule sagen wiederum, es gebe zehn Prinzipien, die sie in ihren Reihen anführen:

Grenze

Unbegrenztes

Ungerades

Gerades

Eines

Menge

Rechtes

Linkes

Männliches

Weibliches

[25] Ruhendes

Bewegtes

Gerades

Gekrümmtes

Licht

Dunkel

Gutes

Schlechtes

Quadrat

Rechteck.

Auf diese Weise scheint auch Alkmaion aus Kroton62 vorzugehen, und entweder hat dieser den Gedanken von jenen oder jene von diesem übernommen. [30] Alkmaion nämlich äußerte sich in ähnlicher Weise wie diese. Denn er meint, dass die menschlichen Dinge zumeist zu zweit auftreten, wobei er aber die Gegensätze nicht wie die Pythagoreer als fest bestimmt auffasst, sondern als zufällig, wie etwa: weiß – schwarz, süß – bitter, gut – schlecht, groß – klein. Über die übrigen Gegensätze hat er sich nicht bestimmt geäußert, während doch die Pythagoreer erklärten, [986b] wie viele und welche Gegensätze es gebe. Aus beiden [25]Lehrmeinungen kann man also so viel entnehmen, dass die Gegensätze die Prinzipien der Dinge darstellen; doch wie viele es gibt und welche sie sind, kann man nur von den Pythagoreern erfahren. Wie es allerdings möglich ist, die Prinzipien auf die von uns genannten Ursachen zurückzuführen, [5] ist von ihnen nicht klar und deutlich auseinandergesetzt worden, sie scheinen aber die Elemente Materie-artig anzusetzen. Sie behaupten nämlich, dass die Substanz aus ihnen als ihnen innewohnenden Bestandteilen zusammengesetzt und gebildet ist.

Daraus kann man hinreichend die Überlegung der alten Denker, die von mehreren Elementen der Natur sprechen, ersehen. [10] Doch gibt es auch solche, die sich über das All dahingehend äußerten, als stelle es nur eine einzige Natur dar, obwohl nicht alle dies auf ein und dieselbe Weise taten, weder, was die Folgerichtigkeit ihres Vorgehens, noch, was die Übereinstimmung mit den Tatsachen der Natur betrifft. Nun gehört zwar die Behandlung dieser Denker keineswegs zur gegenwärtigen Untersuchung der Ursachen; sie nehmen nämlich nicht wie einige Naturphilosophen das Seiende als Eines an, [15] wenn sie es auch aus dem Einen wie aus einer Materie entstehen lassen, sondern sie sprechen in anderer Art, denn jene fügen die Bewegung hinzu, indem sie das All entstehen lassen, doch diese behaupten, das All sei unbewegt. Indessen gehört doch so viel zur gegenwärtigen Erörterung: Parmenides nämlich scheint das Eine seiner Bestimmung nach aufgefasst zu haben, Melissos63 hingegen das Eine seiner Materie nach; so meint auch der eine, es sei begrenzt, [20] der andere, es sei unbegrenzt.64 Xenophanes65, der als Erster das Eine annahm, denn Parmenides soll sein Schüler gewesen sein, lieferte darüber [26]keine klare Darlegung. Er scheint auch in keiner von beiden Hinsichten die Natur des Einen aufgefasst zu haben, sondern im Hinblick auf den gesamten Himmel sagt er, das Eine sei Gott. Diese Denker nun, wie gesagt, [25] müssen bei der gegenwärtigen Untersuchung übergangen werden – zwei allerdings in besonderem Maße, da sie zu ungeschult im Denken sind, nämlich Xenophanes und Melissos. Dagegen scheint Parmenides manchmal mit mehr Einsicht zu sprechen. Da er meint, dass neben dem Seienden das Nicht-Seiende nicht existiert, glaubt er, dass notwendigerweise66 das Seiende Eines ist und nichts anderes [30], worüber wir mit mehr Deutlichkeit in unserem Werk über die Natur67 gesprochen haben. Aber gezwungen, den Erscheinungen Rechnung zu tragen, und in der Annahme, es gebe der Bestimmung nach das Eine, jedoch der Wahrnehmung nach mehreres, setzt er doch wieder zwei Ursachen und zwei Prinzipien an und bezeichnet sie mit Warm und Kalt, also Feuer und Erde. Von diesen rechnet er das Warme dem Seienden zu, [987a] das andere dem Nicht-Seienden.

Aus dem Gesagten und von den weisen Männern, die wir für unsere Erörterung zu Rate gezogen haben, haben wir Folgendes übernommen: von den frühesten Philosophen, dass das Prinzip körperlich ist, denn Wasser und Feuer und Derartiges sind Körper, [5] und zwar meinen von diesen Denkern die einen, es gebe nur ein einziges Prinzip, die anderen, es gebe mehrere körperliche Prinzipien; beide allerdings setzen sie als Materie-artige Prinzipien an. Einige wiederum, die eine solche Ursache annehmen, fügen noch das Woher der Bewegung hinzu, und zwar entweder als eine oder als zwei Ursachen. Bis zu den Italikern68 nun und unabhängig von ihnen [10] haben die Philosophen zu unklar [27]darüber gehandelt, ausgenommen, wie gesagt, dass sie zwei Ursachen verwendeten, von denen sie die eine, das Woher der Bewegung, einerseits als eine, andererseits als zwei ansetzen. Aber die Pythagoreer haben auf dieselbe Art behauptet, es gebe zwei Prinzipien, doch meinten sie noch zusätzlich, was für sie spezifisch ist, [15] dass das Begrenzte und Unbegrenzte nicht noch andere Naturen sind, wie etwa Feuer oder Erde oder etwas anderes Derartiges, sondern dass das Unbegrenzte selbst und das Eine selbst die Substanz dessen sind, von dem sie ausgesagt werden; daher sei auch die Zahl die Substanz aller Dinge. Darüber also äußerten sie sich auf diese Weise; [20] auch begannen sie, über das Was-es-ist69 zu sprechen und Definitionen aufzustellen, doch gingen sie dabei sehr simpel vor. Sie definierten oberflächlich, und sie glaubten, dass dasjenige, dem zuerst die besagte Definition zukommen sollte, die Substanz der Sache sei, als glaubte jemand, das Doppelte und die Zwei seien dasselbe, weil [25] zuerst das Doppelte der Zwei zukommt. Doch das Was-es-heißt-doppelt-zu-sein und das Was-es-heißt-zwei-zu-sein sind nicht dasselbe. Wäre dem nicht so, würde auch das Eine vieles sein, was auch für die Pythagoreer zutraf. So viel ist nun den frühen Philosophen und den anderen zu entnehmen.

6. Kapitel

Den genannten philosophischen Lehren folgte Platons Philosophie, [30] die sich in vielem zwar diesen anschließt, die aber doch auch Besonderheiten gegenüber der Lehre der Italiker aufweist. Er war in seiner Jugend zuerst mit [28]Kratylos70 und mit den Lehrmeinungen der Herakliteer vertraut geworden, die besagen, dass sich alle wahrnehmbaren Dinge im Fluss befinden und dass es darüber keine Wissenschaft gibt, welche Anschauung er auch späterhin vertrat. [987b] Sokrates hingegen behandelte ethische Fragen, also nicht die Natur in ihrer Gesamtheit, in ihnen suchte er das Allgemeine und lenkte als Erster seine Gedanken auf Definitionen. Platon schloss sich seiner Lehre an und meinte, [5] die Definition betreffe etwas anderes als die wahrnehmbaren Dinge; es sei nämlich unmöglich, über irgendeines von den wahrnehmbaren Dingen eine allgemeine Definition aufzustellen, da diese einer ständigen Veränderung unterworfen seien. Dinge dieser anderen Art nun (auf die die Definitionen zutreffen) nannte er Ideen71 und meinte, die wahrnehmbaren Dinge existierten neben diesen und würden vermöge ihrer Beziehung zu diesen bezeichnet. [10] Denn aufgrund ihrer Teilhabe existieren die Vielen, die mit den Ideen den gleichen Namen haben. Allein der Name Teilhabe war neu: Denn die Pythagoreer lehren, dass die Dinge durch Nachahmung der Zahlen existieren. Platon aber sagt durch Teilhabe, wobei er nur den Namen ändert. Doch was diese Teilhabe oder diese Nachahmung der Formen72 ist, diese Untersuchung ließen sie offen.

Ferner sagt Platon, dass es neben den wahrnehmbaren Dingen [15] und den Formen noch mathematische Dinge gibt, die eine Mittelstellung einnehmen und die sich einerseits von den wahrnehmbaren Dingen dadurch unterscheiden, dass sie ewig und unbewegt sind, andererseits von den Formen dadurch, dass es viele ähnliche mathematische Dinge gibt, während doch die Form selbst jeweils Eine ist. Da aber die Formen die Ursachen für die anderen Dinge [29]darstellen sollen, vertrat Platon die Ansicht, dass ihre Elemente die Elemente aller Dinge sind. [20] Als Materie seien das Große und das Kleine Prinzipien, als Substanz aber das Eine.73 Aus jenen nämlich gingen durch die Teilhabe am Einen die Formen hervor. Freilich, dass das Eine eine Substanz ist und keineswegs irgendein davon verschiedenes Seiendes als Eines bezeichnet wird, darin stimmte Platon mit den Pythagoreern überein, aber auch darin, dass die Zahlen Ursachen der Substanz für die anderen Dinge sind. [25] Dass Platon aber anstelle des Unbegrenzten als des Einen die Zweiheit setzte und das Unbegrenzte aus dem Großen und Kleinen ableitete, das ist etwas Besonderes. Und ferner meint er, dass die Zahlen neben den wahrnehmbaren Dingen existieren, die Pythagoreer aber, dass die Zahlen die Dinge selbst sind, und sie setzen das Mathematische nicht als Mittleres zwischen Formen und wahrnehmbaren Dingen an. [30] Dass er nicht wie die Pythagoreer das Eine und die Zahlen neben den Dingen annahm und dass er die Formen einführte, resultiert aus seiner Untersuchung der Bestimmungen (denn die früheren Philosophen befassten sich noch nicht mit Dialektik74); und dass er die andere, von dem Einen verschiedene Natur zur Zweiheit machte, geschah deshalb, weil die Zahlen mit Ausnahme der ersten leicht aus ihr hervorgehen wie aus einer bildbaren Masse.75

[988a] Doch das Gegenteil trifft zu. Es ist so nicht einleuchtend. Sie lassen nämlich aus der Materie vieles hervorgehen, die Form jedoch erzeugt nur einmal. Es scheint jedoch aus einer einzigen Materie nur ein einziger Tisch zu entstehen, obwohl doch derjenige, der die Form hinzubringt und nur Einer ist, viele Tische herstellt. Ähnlich verhält sich das Männliche zum Weiblichen; [5] denn das [30]Weibliche wird von einer einzigen Begattung befruchtet, das Männliche aber befruchtet oft. Das sind doch Nachahmungen jener Prinzipien.

Auf diese Weise also äußerte sich Platon über die Probleme, die zur Frage stehen. Aus dem Gesagten geht aber deutlich hervor, dass er lediglich zwei Ursachen verwendete, das Was-es-ist und die materielle Ursache, [10] denn die Ursachen des Was-es-ist sind die Formen für die anderen Dinge, das Eine aber für die Formen. Und im Hinblick auf die Materie als Substrat, von der einerseits die Formen bei den wahrnehmbaren Dingen, andererseits das Eine bei den Formen ausgesagt werden, meint er, dass sie eine Zweiheit ist: das Große und das Kleine. Ferner schrieb er die Ursache des Guten und des Schlechten den Elementen zu, [15] dem einen die Ursache des Guten, dem anderen die des Schlechten, wie dies, so behaupten wir,76 bereits einige frühere Philosophen versucht haben, so etwa Empedokles und Anaxagoras.

7. Kapitel

Somit haben wir zusammenfassend und der Hauptsache nach durchgenommen, welche Denker und auf welche Weise sich über die Prinzipien und die Wahrheit geäußert hatten. Doch können wir von ihnen so viel lernen, [20] dass keiner, der über Prinzip und Ursache sprach, ein Prinzip, das nicht in unseren Untersuchungen über die Natur77 beachtet wurde, behandelt hat, sondern alle erwecken den Anschein, jene Prinzipien, wenn auch unklar, berührt zu haben. Die einen nämlich fassen gewissermaßen die [31]Materie als Prinzip auf, sei es, dass sie sie als Eine, sei es, als mehrere Prinzipien betrachten, [25] als körperlich oder unkörperlich; so spricht etwa Platon vom Großen und Kleinen, die Italiker vom Unbegrenzten, Empedokles von Feuer, Erde, Wasser und Luft und Anaxagoras von der Unbegrenztheit der Dinge, die aus gleichartigen Teilen bestehen. All diese Denker haben eine Kenntnis einer derartigen Ursache, dazu aber noch diejenigen, die von Luft, [30] Feuer, Wasser oder von etwas, das dichter ist als Feuer, doch dünner als Luft, sprachen; denn einige haben auch das als erstes Element angesehen.

Diese Denker also erfassten lediglich diese eine Ursache; andere aber fügten noch das Woher des Anfangs der Bewegung hinzu: so alle diejenigen, die in Freundschaft und Streit oder in Geist oder Liebe ein Prinzip sehen. Keiner aber hat das Was-es-heißt-dies-zu-sein, also die Substanz, [35] deutlich angegeben. Am ehesten sagen das noch diejenigen, [988b] die die Formen postulieren. Sie setzen nämlich weder die Formen für die wahrnehmbaren Dinge und das Eine für die Formen als Materie an noch als das, von dem der Anfang der Bewegung kommt, behaupten sie doch, dass sie eher Ursache der Unbewegtheit und des Was-es-heißt-in-Ruhe-zu-seins seien, sondern die Formen stellen das Was-es-heißt-dies-zu-sein für jedes von den anderen Dingen dar, [5] für die Formen aber das Eine.

Dasjenige, weswegen Handlungen, Veränderungen und Bewegungen geschehen, ist zwar ihrer Meinung nach in gewisser Hinsicht eine Ursache, doch sie äußern sich darüber nicht auf diese Art und Weise, wie wir es tun, auch nicht, wie es der Natur der Sache zukommt. Denn diejenigen, die von Geist oder Freundschaft sprechen, nehmen zwar diese [32]Ursachen als ein Gutes an, doch sie sprechen davon nicht so, [10] dass ihretwegen eines von den Dingen entweder existiert oder entsteht, sondern so, dass von ihnen die Bewegungen ausgehen. Ebenso sagen auch die, welche das Eine oder das Seiende als eine solche Natur bezeichnen, dass es zwar Ursache der Substanz ist, aber nicht, dass ihretwegen etwas existiert oder entsteht, so dass sich demnach ergibt, dass sie in gewisser Hinsicht das Gute als Ursache erklären, in gewisser Hinsicht nicht; [15] denn sie sprechen es nicht schlechthin, sondern nur im akzidentellen Sinne78 als Ursache an.

Alle diese Denker scheinen uns, da sie keine andere Ursache zu erfassen imstande waren, zu bezeugen, dass wir die Ursachen, was Zahl und Art anbelangt, richtig bestimmt haben. Ferner ist es wohl klar, dass die Prinzipien entweder alle auf diese Weise oder in einer derartigen Richtung gesucht werden müssen. Im Anschluss wollen wir aber die Schwierigkeiten behandeln, [20] die sich daraus ergeben, wie sich jeder dieser Denker äußerte und wie er sich in der Frage der Prinzipien verhielt.

8. Kapitel

Diese Denker, die das All als Eines und eine bestimmte Natur als Materie postulieren, und zwar als körperliche Materie, die über Größe verfügt, irren offenkundig in vielfacher Hinsicht. Sie setzen nämlich nur Elemente für Körper fest, [25] aber keinesfalls für körperlose Dinge, obwohl es doch auch körperlose Dinge gibt. Sie unternehmen es zwar, die Ursachen von Entstehen und Vergehen zu nennen, und [33]betrachten alles naturwissenschaftlich, heben aber die Ursache der Bewegung auf. Ferner irren sie darin, dass sie in der Substanz oder im Was-es-ist nicht die Ursache von irgendetwas sehen, ferner auch darin, dass sie allzu leichtfertig irgendeinen der einfachen Körper Prinzip nennen, mit Ausnahme der Erde, [30] ohne zu beachten, wie sich die Entstehung des einen aus dem anderen vollzieht, ich meine hier Feuer, Wasser, Erde und Luft. Das eine nämlich entsteht durch Vereinigung, das andere durch Trennung voneinander, dies macht aber für das Vorgeordnet-Sein und Nachgeordnet-Sein den größten Unterschied aus. Denn auf eine Weise scheint derjenige Körper von allen der elementarste zu sein, [35] aus dem als Erstem durch Vereinigung die übrigen entstehen, und ein derartiger wäre der aus kleinsten Teilen bestehende und feinste Körper. [989a] Daher stimmen diejenigen, die das Feuer als Prinzip ansetzen, aufs Beste mit dieser Überlegung überein. Doch gibt auch jeder der anderen Denker übereinstimmend zu, dass das Element eines Körpers derartig ist. [5] Keiner zumindest von denen, die ein einziges Element vertraten, hat die Erde als Element bezeichnet, offenkundig wegen ihrer Großteiligkeit. Aber jedes von den drei übrigen Elementen hat einen wohlgesinnten Richter erhalten: Die einen behaupten, das Feuer sei dieses Element, die anderen, das Wasser, wieder andere, die Luft. Und doch: Warum nennen sie nicht die Erde, wie die meisten Menschen? [10] Diese sind doch der Meinung, dass alles Erde ist. So sagt auch Hesiod79, die Erde sei als erster Körper entstanden; so alt und im Volk verbreitet ist diese Annahme. Im Anschluss an diese Betrachtungsweise dürfte niemand im Recht sein, der etwas anderes als das Feuer Prinzip nennt, auch nicht, wenn er etwas [34]annimmt, was dichter als Luft und dünner als Wasser ist. [15] Auf andere Weise aber, wenn das der Entstehung nach Nachgeordnete das der Natur nach Vorgeordnete ist und das Zusammengekochte und Vereinigte der Entstehung nach das Nachgeordnete, so dürfte das Gegenteil davon eintreten: Wasser wäre der Luft vorgeordnet, Erde aber dem Wasser vorgeordnet.

Das sei nun über diese Philosophen gesagt, die nur eine solche Ursache, wie wir sie besprochen haben, annehmen. Dasselbe ist aber auch dann der Fall, [20] wenn jemand mehrere annimmt, so etwa, wenn Empedokles behauptet, vier Körper machten die Materie aus. Denn auch für ihn treten notwendigerweise zum einen dieselben, zum anderen für ihn spezifische Konsequenzen auf. Denn wir beobachten, dass eines aus dem anderen hervorgeht und so auch Feuer und Erde nicht immer als derselbe Körper bestehen bleiben, worüber in unseren Untersuchungen über die Natur80 gehandelt wurde. Und ferner, auch bezüglich der Ursache der bewegten Dinge, [25] ob man eine oder zwei ansetzen muss, darf man nicht der Meinung sein, es sei richtig oder einleuchtend dargelegt worden. Allgemein ergibt sich für diejenigen, die so sprechen, die Notwendigkeit, eine qualitative Umwandlung aufzuheben; denn ihrer Meinung nach wird weder aus dem Warmen Kaltes noch aus dem Kalten Warmes entstehen. Wenn dies zuträfe, so würde ein und dasselbe Ding von Gegensätzen affiziert werden, und es existierte eine einzige Natur, die Feuer und Wasser werden könnte, was aber jener Philosoph in Abrede stellt.

[30] Sollte nun irgendjemand annehmen, Anaxagoras spreche von zwei Elementen, so dürfte diese Annahme wohl am meisten mit einem vernünftigen Gedankengang [35]übereinstimmen, den jener zwar selbst niemals konstruiert hat, mit dem er aber notwendig denen gefolgt wäre, die ihn dazu hingeführt hätten. Obwohl auch sonst seine Behauptung, alles sei am Anfang vermischt gewesen, unsinnig ist, und zwar schon deshalb, weil sich daraus ergibt, dass vorher alles unvermischt bestanden haben müsste, [989b] ferner weil sich doch von Natur aus nicht Zufälliges mit Zufälligem mischen lässt, und schließlich, weil Eigenschaften und Akzidenzen81 von den Substanzen abgetrennt82 werden könnten, denn wovon es eine Mischung gibt, davon gibt es auch eine Abtrennung, dennoch, sollte jemand Anaxagoras folgen und das, was er sagen will, weiter ausbauen, [5] dürfte es sich zeigen, dass seine Lehre moderner ist. Denn solange nichts bestimmt ausgesondert war, konnte offenkundig noch nichts Wahres über jene Substanz ausgesagt werden; ich meine, dass sie etwa weder weiß noch schwarz noch grau war noch sonst eine Farbe hatte, sondern notwendigerweise farblos; denn sonst würde sie doch eine von diesen Farben haben. [10] Ebenso war diese Substanz aufgrund der gleichen Überlegung auch ohne Geschmack und hätte keine ähnliche Eigenschaft; denn sie konnte weder ein Qualitatives noch ein Quantitatives noch ein Was-es-ist sein. Sonst nämlich wären ihr die genannten Formen als besondere zugekommen. Doch das ist unmöglich, da alle vermischt waren, es sei denn, eine wäre bereits ausgesondert gewesen; er sagt aber, dass alle, mit Ausnahme des Geistes, vermischt waren, [15] nur er allein war unvermischt und rein.83 Daraus folgt nun, dass er als Prinzipien das Eine ansprechen muss, dies nämlich ist einfach und unvermischt, und das Andere, wie wir das Unbestimmte postulieren, bevor es bestimmt ist und an einer Form [36]teilhat. So äußert er sich zwar nicht richtig und sicher, doch will er etwas sagen, das den späteren Ansichten nahe und den Dingen, [20] wie sie uns heute erscheinen, noch näher steht.

Aber diese Philosophen sind nur in den Behandlungen der Fragen nach Entstehung, Vergehen und Bewegung zu Hause, denn sie forschen nahezu ausschließlich nach den Prinzipien und Ursachen für eine derartige Substanz. Diejenigen Denker jedoch, die über alles Seiende ihre Forschungen anstellen und vom Seienden das eine als wahrnehmbar, [25] das andere als nicht wahrnehmbar betrachten, lenken offenkundig ihre Überlegungen auf beide Gattungen. Daher wird man sich wohl in höherem Maße mit diesen beschäftigen und fragen, was sie richtig oder unrichtig hinsichtlich der uns im Augenblick beschäftigenden Untersuchung behaupten.

Die sogenannten Pythagoreer also handeln von fernerliegenden Prinzipien und Elementen als die Naturphilosophen. [30] Grund dafür ist, dass sie die Prinzipien nicht von den wahrnehmbaren Dingen ableiteten, denn die mathematischen Dinge sind ohne Bewegung, ausgenommen diejenigen, von denen die Astronomie handelt. Und doch diskutieren und behandeln sie alles, was sich auf die Natur bezieht; sie lassen nämlich den Himmel entstehen, und hinsichtlich seiner Teile, Eigenschaften und Tätigkeiten [990a] beobachten sie das, was sich ergibt, und sie verwenden dafür ihre Prinzipien und Ursachen, als stimmten sie mit den anderen Naturphilosophen hierin überein, dass das Seiende nur das Wahrnehmbare und das sei, was der sogenannte Himmel umschließt. [5] Wie wir sagten84, sind sie der Meinung, dass ihre Ursachen und Prinzipien dazu [37]geeignet sind, aufwärts zu steigen zu den höheren Dingen, und mehr zu diesen passen als zu den Erörterungen über die Natur. Auf welche Weise allerdings eine Bewegung zustande kommen kann, da nur Grenze und Unbegrenztes, Ungerades und Gerades als Substrat angesehen wird, erklären sie nicht, oder auch nur, wie es möglich sein kann, [10] dass es ohne Bewegung und Veränderung Entstehen und Vergehen gibt oder Tätigkeiten derjenigen Körper, die am Himmel umlaufen.

Und angenommen, man könnte ihnen einräumen, dass aus diesen Elementen die Größe besteht und dies bewiesen ist, so bleibt trotz alledem die Frage: Wie kann es teils leichte und teils schwere Körper geben? Denn nach dem, was sie annehmen und behaupten, [15] sprechen sie um nichts mehr von den mathematischen als von den wahrnehmbaren Dingen. So haben sie auch nichts über Feuer, Erde oder andere derartige Körper ausgesagt, weil sie meiner Meinung nach nichts Eigenes über die wahrnehmbaren Körper anzugeben wussten.

Ferner, wie soll man annehmen, dass einerseits die Eigenschaften der Zahl und die Zahl selbst von Anfang an und jetzt noch Ursachen davon sind, [20] was am Himmel ist und entsteht, andererseits aber, dass keine andere Zahl existiert außer dieser Zahl, aus der der Kosmos85 aufgebaut ist? Denn wenn sich bei ihnen in dem und dem Teil Meinung und günstiger Augenblick befinden, ein wenig oberhalb aber oder unterhalb Ungerechtigkeit und Trennung oder Mischung, und wenn sie als Demonstration86 vorbringen, dass jedes von diesen eine Zahl ist, [25] dass aber hinsichtlich dieser Stelle folgt, dass es bereits eine Menge von aus diesen Zahlen bestehenden Größen gibt, weil diese [38]Eigenschaften der Zahl den einzelnen Stellen angehören, fragt man sich: Ist diese Zahl, nämlich die Zahl am Himmel, dieselbe Zahl, von der man annehmen soll, dass sie jedes dieser Dinge ist, oder ist sie neben dieser eine andere? Platon sagt zwar, sie sei von ihr verschieden. [30] Und auch er glaubt, dass diese Dinge und ihre Ursachen Zahlen seien, doch hält er die geistig erfassbaren Zahlen für Ursachen, die anderen für wahrnehmbar.

9. Kapitel

Im Augenblick möge das über die Pythagoreer genügen; es reicht nämlich hin, sie so weit zu behandeln. Doch diejenigen, die die Ideen als Ursachen aufstellten, [990b] brachten erstens, als sie die Ursachen der gewöhnlichen Dinge suchten, andere Dinge in gleicher Zahl hinzu, als ob einer, der irgendwelche Dinge zählen will, meinte, dazu nicht imstande zu sein, solange es wenige Dinge seien, sie wohl aber zählte, wenn er sie vermehrt hat.87 Denn die Formen sind fast oder doch nicht weniger diesen Dingen gleich, [5] von denen sie auf der Suche nach ihren Ursachen zu den Formen vordrangen. Denn für jedes einzelne Ding gibt es ein Gleichnamiges, über die Substanzen hinaus auch bei den anderen Dingen, bei denen es das Eine zu den Vielen gibt: Dieses Gleichnamige gibt es sowohl bei den gewöhnlichen Dingen als auch bei den ewigen.

Ferner scheint keine der Arten und Weisen, nach denen wir88 nachzuweisen suchen, dass es Formen gibt, einleuchtend zu sein. Aus einigen nämlich ergibt sich kein zwangsläufiger Beweis89, [10] aus anderen aber ergeben sich [39]Formen für Dinge, von denen wir überhaupt keine Formen annehmen. Denn nach den Argumenten aus den Wissenschaften müsste es von alledem, wovon es Wissenschaften gibt, Formen geben, und nach dem Argument, dass es das Eine zu dem Vielen gibt, müsste es auch Formen der Verneinungen geben, und nach dem Argument, dass man noch denke, wenn etwas bereits vergangen ist, müsste es auch Formen von vergänglichen Dingen geben, denn es gibt von diesen eine gewisse Vorstellung. [15] Ferner kommen noch genauere Argumente hinzu, von denen die einen zu Ideen des Relativen führen, obwohl wir90 sagen, dass es keine Gattung des Relativen an sich gibt, die anderen dagegen den dritten Menschen91 enthalten.92

Allgemein beseitigen gerade die Argumente für die Formen diejenigen Dinge, deren Existenz uns mehr am Herzen liegt als die Existenz der Ideen. Denn daraus ergibt sich, dass nicht die Zwei das Erste ist, sondern die Zahl, [20] ferner, dass das Relative dem an sich Existierenden93 vorgeordnet ist, und all das, was diejenigen, die die Meinungen über die Ideen verstehen, deren Prinzipien entgegengehalten haben.

Ferner müsste es nach der Annahme, der zufolge wir behaupten, dass es Ideen gibt, nicht nur Formen von Substanzen geben, sondern auch von vielen und davon verschiedenen Dingen, denn der Gedanke [25] ist nicht nur Einer hinsichtlich der Substanzen, sondern auch hinsichtlich der anderen Fälle, und es gibt nicht nur von Substanzen Wissenschaften, sondern auch von davon verschiedenen Dingen, und tausenderlei andere derartige Folgerungen ergeben sich daraus. Doch nach der Notwendigkeit und den Meinungen über die Formen darf es, wenn die Formen [40]Teilhabe ermöglichen, nur von Substanzen Ideen geben. [30] Denn die Dinge haben nicht in akzidenteller Weise an ihnen teil, sondern jedes muss an der Form insofern teilhaben, als sie nicht nur über ein Substrat ausgesagt wird – in akzidenteller Weise teilhaben meine ich so: Wenn etwa etwas am Doppelten an sich teilhat, so hat es auch am Ewigen teil, aber doch nur in akzidentellem Sinne; denn es ist für das Doppelte eine Akzidenz, dass es ewig ist. So also wären die Formen Substanzen. Aber dasselbe bezeichnet hier und dort die Substanz. [991a] Oder was soll die Meinung besagen, es gebe noch etwas neben den Substanzen hier bei uns: das Eine zu den Vielen? Und wenn es für die Ideen und die Dinge, die daran teilhaben, ein und dieselbe Form gibt, müsste es doch auch etwas ihnen Gemeinsames geben; warum nämlich sollte die Zwei ein und dasselbe sein bei den vergänglichen Zweien und bei zwar vielen, aber ewigen Zweien, nicht aber bei der Zwei an sich und irgendeiner Zwei? [5] Wenn es aber nicht ein und dieselbe Form für die Ideen und die Dinge gibt, die daran teilhaben, so dürften sie lediglich gleichnamig sein, und es wäre so, als ob jemand den Kallias und sein Holzbild einen Menschen nennen würde, ohne zwischen diesen beiden eine Gemeinsamkeit zu sehen.94

Doch dürfte sich einem hierin die bei weitem wichtigste Frage stellen, was die Formen zu den ewigen der wahrnehmbaren Dinge oder den entstehenden und vergehenden Dingen beitragen, [10] da sie doch für sie weder Ursachen einer Bewegung noch irgendeiner Veränderung sind. Sie verhelfen ferner weder zu einer Wissenschaft von den anderen Dingen, denn sie sind nicht deren Substanzen, sonst wären sie nämlich in ihnen enthalten, noch zu ihrer [41]Existenz, da sie nicht in diesen Dingen vorhanden sind, die an ihnen teilhaben. [15] Denn sonst könnte man sie in dem Sinn als Ursachen ansehen, als das Weiße, sowie es mit einem Ding eine Mischung eingegangen ist, die Ursache für das Was-es-heißt-weiß-zu-Sein darstellt. Aber diese Ansicht, die zuerst Anaxagoras, später Eudoxos und andere vertraten, ist leicht zu widerlegen; denn gegen eine derartige Meinung lassen sich viele unwiderlegbare Einwände vorbringen.

Aber die anderen Dinge können auch nicht aus den Formen stammen – auf keine der Weisen, [20] die man gewöhnlich vorbringt. Auch die Behauptung, es handle sich bei ihnen um Urbilder, und die anderen Dinge hätten an ihnen teil, bedeutet nichts weiter als leeres Gerede und heißt nur, dichterische Vergleiche vorbringen. Denn was ist denn das Ding, das in seinem Wirken zu den Ideen blickt? Es ist doch möglich, dass etwas ähnlich ist oder wird, ohne diesem nachgebildet zu sein, so dass es, ob es nun einen Sokrates tatsächlich gibt oder nicht, [25] doch einen Mann geben könnte wie Sokrates; und die Sache wäre offenkundig dieselbe, wenn es einen ewigen Sokrates gäbe. Ferner müsste es mehrere Urbilder ein und desselben Dinges geben, also auch mehrere Formen, etwa vom Menschen das Tier und das Zweifüßige und zugleich den Menschen an sich. Ferner müssten dann die Formen nicht nur die Urbilder der wahrnehmbaren Dinge sein, [30] sondern auch ihrer selbst, wie etwa die Gattung als Gattung der Formen, so dass Urbild und Abbild dasselbe sein müssten. [991b] Ferner dürfte es unmöglich scheinen, dass die Substanz gesondert von dem existiert, von dem es Substanz ist. Wie können demnach die Ideen, die die Substanzen der Dinge [42]darstellen, gesondert von ihnen existieren? Im Phaidon95 wird doch so gesprochen, als seien die Formen die Ursachen sowohl für Sein als auch für Entstehen. Und wenn es auch Formen geben sollte, [5] so entstünden trotzdem keine Dinge, die an ihnen teilhätten, wenn es nicht etwas gäbe, das bewegt. Und es entstehen viele von ihnen verschiedene Dinge, wie ein Haus oder ein Ring, für die es, wie wir behaupten, keine Formen gibt. So ist klar, dass auch die anderen Dinge infolge derartiger Ursachen, wie sie soeben besprochen wurden, sowohl existieren als auch entstehen können.96

Ferner: Wenn die Formen Zahlen sind: Wie sollten sie Ursachen sein? [10] Oder ist das etwa der Fall, weil die Dinge von jenen verschiedene Zahlen sind, so zum Beispiel eine Zahl der Mensch, eine andere Sokrates und wieder eine andere Kallias? Warum nun aber sind jene Zahlen für diese Ursachen? Denn es macht wohl keinen Unterschied aus, dass die einen ewig, die anderen jedoch nicht ewig sind. Wenn sich das aber so verhält, weil die gewöhnlichen Dinge Proportionen von Zahlen sind, wie etwa die Harmonie, so ist es klar, dass es Eines gibt, woran sie Proportionen sind. Sollte es dieses Eine geben – nämlich die Materie –, ist es offenkundig, [15] dass auch die Zahlen an sich Proportionen von etwas von ihnen Verschiedenem sein werden. Ich meine es etwa so: Wenn Kallias eine Zahlenproportion von Feuer, Erde, Wasser und Luft ist, dann müsste auch die Idee eine Zahl von irgendwelchen anderen Substraten sein; und der Mensch an sich, sei es nun, dass er eine bestimmte Zahl ist oder nicht, müsste trotzdem eine Zahlenproportion bestimmter Dinge sein und keinesfalls eine Zahl. [20] Und deshalb wird keine Idee eine Zahl sein.

[43]Ferner: Es entsteht aus vielen Zahlen eine einzige Zahl. Wie aber sollte aus Formen eine einzige Form entstehen? Wenn aber die Zahl nicht aus Zahlen entsteht, sondern aus den Einsen, die in der Zahl enthalten sind, wie etwa in der 10 000: Wie verhält es sich dann mit den Einsen? Denn wenn sie gleichartig sind, dann würden sich viele Ungereimtheiten ergeben, aber auch, wenn sie nicht gleichartig sind, [25] weder die in einer Zahl enthaltenen untereinander noch alle mit allen: Worin sollen sie sich unterscheiden, da sie nicht affizierbar sind? Denn das ist weder einleuchtend, noch stimmt es mit dem Denken überein.

Ferner wäre es notwendig, eine andere Gattung von Zahlen anzunehmen, worüber die Arithmetik handelte, und all das, was von gewissen Philosophen als Mittleres bezeichnet wird. Aber wie soll es diese Dinge geben, und aus welchen Prinzipien sollen sie hervorgehen? [30] Oder warum sollten sie in der Mitte zwischen den Dingen in der wahrnehmbaren Welt und den Dingen an sich existieren?

Ferner soll jede Eins in der Zwei von einer vorgeordneten Zwei stammen. Das ist aber unmöglich.

[992a] Ferner: Warum ist eine aus mehreren Einsen zusammengesetzte Zahl eine einzige Zahl? Ferner hätte man, abgesehen vom bereits Gesagten, wenn die Einsen verschieden sind, so darüber sprechen müssen wie jene, die von vier oder zwei Elementen sprechen. Denn jeder von diesen bezeichnet nicht das Gemeinsame als Element – wie den Körper –, [5] sondern Feuer und Erde, sei es, dass es ein Gemeinsames, eben den Körper, gibt oder nicht. Nun aber spricht man vom Einen, als bestünde es aus gleichen Teilen wie Feuer und Wasser. Wenn dies aber zuträfe, würden die Zahlen keine Substanzen darstellen97, sondern es ist [44]offenkundig, wenn etwas Eines an sich und das Prinzip ist, dass das Eine auf mehrfache Weise ausgesagt wird. Anders nämlich ist es unmöglich.

[10] Wenn wir die Substanzen auf ihre Prinzipien zurückführen wollen, dann postulieren wir Linien, die aus Kurzem und Langem bestehen, also aus einer Art des Kleinen und Großen, die Fläche aber aus Breitem und Schmalem, den Körper aber aus Tiefem und Flachem. Und doch: Wie kann entweder die Fläche eine Linie enthalten oder der Körper eine Linie und eine Fläche? Handelt es sich doch beim Breiten und Schmalen gegenüber dem Tiefen und Flachen um eine andere Gattung. [15] Wie nun in all dem keine Zahl enthalten ist, weil das Viel und das Wenig von diesem verschieden ist, so ist es klar, dass hier kein anderes Übergeordnetes im Untergeordneten enthalten sein dürfte. Aber es ist auch das Breite keine Gattung des Tiefen, denn dann wäre der Körper eine Fläche.98 Ferner: Woher sollen die Punkte in der Linie enthalten sein? [20] Freilich: Platon widersetzte sich dieser Gattung, da sie nur eine geometrische Lehrmeinung sei, sondern er nannte den Anfang der Linie, und dies tat er oft, die unteilbaren Linien. Und doch muss es auch von den Linien eine Grenze geben. So gibt es also aus demselben Grund, aus dem es eine Linie gibt, den Punkt.

Wir99 haben überhaupt, obwohl die Weisheit100 die Ursache der sichtbaren Dinge sucht, dies übergangen [25]