Methoden in der Frühpädagogik -  - E-Book

Methoden in der Frühpädagogik E-Book

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Beschreibung

Das Buch bietet verschiedenen Berufsgruppen des frühkindlichen Bereiches wissenschaftliche Grundlagen und praktisch-methodische Empfehlungen für einzelne Bildungsbereiche. Ein methodisch angeleitetes und reflektiertes Handeln der pädagogischen Fachkräfte bildet die Grundlage der Qualität der professionellen Erziehungs- und Bildungsarbeit. Methodisches Geschick hilft auch dabei, alle Kinder möglichst systematisch und differenziert zu begleiten und ihre Entwicklungsprozesse individuell und nachhaltig zu gestalten. Im ersten Teil werden gesellschaftliche, pädagogische und methodische Perspektiven auf frühkindliche Bildung thematisiert. Hier finden Leserinnen und Leser eine Einführung in kindliche Entwicklungsaufgaben und in die kindlichen Zugänge zur Bildung in elementar-ästhetischer Perspektive. Diese hebt die Relevanz sinnlicher Erfahrungsräume hervor und sieht Bildung als Wechselspiel von Selbst- und Welterfahrung, in dessen Rahmen sich Bildungs- und Lernhandeln überhaupt erst entwickeln kann. Im zweiten Teil des Buches werden fünf Entwicklungs- und Bildungsbereiche aus wissenschaftlicher und methodischer Perspektive vorgestellt und mit vielen praktischen Hinweisen und Vorschlägen versehen. Es geht um Bereiche wie ästhetische Bildung und Kunst, sozial-emotionale Entwicklung, sprachliche Bildung, Literacy und Mehrsprachigkeit, Sport und Bewegung und schließlich um die sogenannten MINT-Bereiche, nämlich um Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Das Buch ist für breite Kreise einer pädagogischen Leserschaft, für Praktikerinnen und Praktiker, aber ebenso für interessierte Eltern und alle am Bildungsprozess von Kindern Beteiligten konzipiert. Es vermittelt sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse zu den unterschiedlichen Entwicklungs- und Bildungsbereichen als auch praktische Empfehlungen und Übungen für die konkrete Gestaltung der pädagogischen Arbeit mit Kindern.

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Die Herausgeberin:

Prof. Dr. Nataliya Soultanian ist Leiterin des Forums Frühkindliche Bildung Baden-Württemberg (FFB). Sie war an der SRH Hochschule in Heidelberg an der Fakultät für Sozial- und Rechtswissenschaften als Professorin tätig und leitete dort den Studiengang »Kindheitspädagogik«.

Nataliya Soultanian (Hrsg.)

Methoden in der Frühpädagogik

Grundwissen und praktische Umsetzung nach Bildungsbereichen

Unter der Mitarbeit von Lukas Nock, Stephanie Nock, Tim Posawatz, Annette Schneider, Robert Soultanian und Christian Widdascheck

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036314-4

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-036315-1

epub:     ISBN 978-3-17-036316-8

mobi:     ISBN 978-3-17-036317-5

Inhaltsverzeichnis

 

 

Einleitung und Buchstruktur

I         Gesellschaftliche, pädagogische und methodische Perspektiven auf die frühkindliche Bildung und elementar-ästhetisches Bildungsverständnis

1         Gesellschaftlicher Wandel und Herausforderungen für die Kitas

Nataliya Soultanian

1.1       Methodische Handlungskompetenz der pädagogischen Fachkräfte

1.2       Das Verständnis von Bildungsprozessen im frühkindlichen Bereich

2         Frühkindliche Entwicklung und frühes Lernen: philosophisch-anthropologische Anhaltspunkte

Robert Soultanian

2.1       Bewegung: körperliche und motorische Entwicklungsaufgaben

2.2       Kommunikation und Interaktion: Soziale Entwicklungsaufgaben

2.3       Die Anderen im Kopf: Selbstentwicklungsaufgaben

2.4       Literatur (Kapitel 1 und 2)

3         Elementar-ästhetische Perspektive auf Bildung

Christian Widdascheck

3.1       Theoretisch-konzeptuelle Grundlagen und einführende Einordnung des Beitrags

3.2       Relevanz von Erfahrungsräumen jenseits geklärter Normen

3.2.1   Die Relevanz der Anderen

3.2.2   Die Relevanz des Anderen

3.2.3   Professionelle Haltung für ästhetische Erfahrungsräume

3.3       Eine bildungsbereichsübergreifende Perspektive

3.4       Vor oder am Anfang aller Kompetenzbildung

3.5       Literatur

II        Methodische Kompetenz nach Bildungsbereichen

1         Ästhetische Bildung und Kunst

Christian Widdascheck

1.1       Theoretisch-konzeptuelle Grundlagen. Was ist und was will ästhetisch-künstlerische Bildung?

1.2       Aus der Forschung

1.3       Die Einstellung gegenüber ästhetisch-künstlerischer Bildung

1.4       Rahmenbedingungen und pädagogische Haltung für ästhetisch-künstlerische Bildung

1.4.1   Material und Medium

1.4.2   Technik

1.4.3   Künstlerische Handlungsformen

1.4.4   Rezeptiv-produktives Vorgehen

1.4.5   Thema

1.5       Praktische Empfehlungen und Übungen

1.5.1   Tonerde

1.5.2   Variationen mit Farben

1.5.3   Papier

1.5.4.   Wildes Basteln

1.5.5   Spielmaterial gestalten

1.5.6   Handwerken

1.5.7   LandArt

1.5.8   Antworten auf Kunst

1.5.9.   Künstlerisches Arbeiten zu einem Alltagsphänomen

1.6       Literatur zum Weiterlesen

1.7       Literatur

2         Beziehungsaufbau und soziale Kompetenz

Stephanie Nock & Lukas Nock

2.1       Theoretisch-konzeptuelle Grundlagen und Forschungsüberblick

2.1.1   Emotionale Entwicklung als Fundament der Sozialkompetenz

2.1.2   Bindungsentwicklung und Feinfühligkeit

2.1.3   Entstehung und Förderung von sozialen Kompetenzen

2.1.4   Pädagogische Relevanz der sozial-emotionalen Entwicklung

2.2       Haltungen, Einstellungen und Rahmenbedingungen

2.2.1   Beziehungsqualität und -angebot

2.2.2   Strukturqualität

2.3       Praktische Empfehlungen und Übungen

2.3.1   Möchtest Du mit mir spielen?

2.3.2   Die heiße Kartoffel

2.3.3   Gefühlskarten

2.3.4   Das Spiegelbild

2.3.5   Das Spielzeug hat heute Urlaub

2.3.6   Ich folge Dir

2.3.7   Ich sehe was, was Du auch siehst

2.3.8   Wie geht’s dir und wie geht’s mir?

2.3.9   Ich krabble dich frei!

2.3.10 Die Wut-Rakete

2.4       Tipps zum Weiterlesen

2.5       Literatur

3         Sprachliche Bildung, Literacy und Mehrsprachigkeit

Nataliya Soultanian

3.1       Sprachtheoretische Grundlagen und Forschungseinblicke

3.1.1   Der Sprach-Weg der Kinder

3.1.2   Zu den Verläufen des Zweitspracherwerbs

3.2       Sprachbildung in Kindertageseinrichtungen

3.2.1   Förderung von Literalität – Erzählen und Bilderbuchbetrachtung

3.2.2   Entwicklung von Erzählkompetenz und Gesprächsführung

3.3       Methodeneinsatz und Rahmenbedingungen im Kindergarten-Kontext

3.4       Praktische Empfehlungen und Übungen

3.4.1   Portfoliobesprechung mit einem bis zwei Kindern

3.4.2   Sprache und Ton

3.4.3   Sprache und Kunst (Besprechung eines Gemäldes mit Kindern)

3.4.4   Grammatikförderung (Plural, Präpositionen)

3.4.5   Die Welt der Wörter: semantische Elaborationen

3.4.6   Die Förderkraft des Morgen- und Stuhlkreises

3.4.7   Freies Erzählen anhand einer Bildergeschichte

3.4.8   Gestaltung einer förderlichen Lernumgebung: Wissensvitrinen der Kulturen

3.4.9  Erstsprachen miteinbeziehen: Sprachen im Kita-Alltag sichtbar und spürbar machen!

3.4.10 Mit Kindern philosophieren als Gesprächsführungskultur

3.5       Tipps zum Weiterlesen

3.6       Literatur

4         Sport und Bewegung

Tim Posawatz

4.1       Theoretische Grundlagen und Hintergrund

4.1.1   Motorische Basiskompetenzen

4.1.2   Forschungsüberblick

4.2       Trainingsmethoden

4.2.1   Grundlegendes über sportliches Training

4.2.2   Trainingsmethoden im Vorschulalter

4.2.3   Fertigkeits- und Techniktraining

4.2.4   Training der koordinativen Fähigkeiten

4.2.5   Training der konditionellen Fähigkeiten

4.3       Praktische Anwendungsbeispiele

4.3.1   Techniktraining in der Praxis

4.3.2   Koordinationstraining in der Praxis

4.3.3   Krafttraining in der Praxis

4.3.4   Schnelligkeitstraining in der Praxis

4.3.5   Ausdauertraining in der Praxis

4.3.6   Beweglichkeitstraining in der Praxis

4.4       Tipps zum Weiterlesen

4.5       Literatur

5         Den Spaß am Forschen fördern – Naturwissenschaften und Co in der Kita

Annette Schneider

5.1       MINT im vorschulischen Bildungsbereich

5.1.1   Was ist MINT?

5.1.2   Bildungsauftrag im Elementarbereich – mit Blick auf die MINT-Disziplinen

5.1.3   Gründe für eine frühe MINT-Bildung – Ziele und Kompetenzentwicklung

5.1.4   Hemmnisse bei der Umsetzung von MINT-Angeboten

5.2       Lernbiologische Aspekte

5.2.1   Learning by doing

5.2.2   Was sagt die Forschung?

5.3       Methodische und didaktische Aspekte

5.3.1   Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementierung von MINT-Bildungsangeboten

5.3.2   Naturwissenschaftliche Experimente – was ist zu beachten?

5.3.3   Naturwissenschaftsdidaktische Konzepte

5.4       Praxisbeispiele

5.4.1   Experimente aus dem Themenbereich »Luft«

5.4.2   Experimente aus dem Themenbereich »Wasser«

5.5       Tipps zum Weiterlesen

5.6       Literaturverzeichnis

6         Praxistransfer und Ausblick

Nataliya Soultanian

Die Autorinnen und Autoren

Einleitung und Buchstruktur

 

 

Dieses Buch möchte all denen, die im frühkindlichen Bereich tätig sind, wissenschaftliche Grundlagen und praktisch-methodische Empfehlungen für einzelne frühkindliche Bildungsbereiche vermitteln. In den letzten Jahrzehnten wurde die Kindheitsforschung international und im deutschsprachigen Raum weiterentwickelt, es liegen viele Forschungsergebnisse zu den einzelnen Entwicklungsbereichen und Themen der Kindheitspädagogik vor. Hier wäre zum Beispiel die Reihe »Forschung in der Frühpädagogik« von den Herausgebern Fröhlich-Gildhoff, Nentwig-Gesemann und Strehmel zu erwähnen. Mittlerweile sind in dieser Reihe 23 Bände erschienen. Die darin vorgestellten Forschungsergebnisse und Evaluationen zeigen, wie wichtig die begleitende Praxisforschung für eine nachhaltige und kontinuierliche Qualitätssicherung der kindheitspädagogichen Praxis ist.

Das Buch ist in zwei Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt werden gesellschaftliche, pädagogische und methodische Perspektiven auf frühkindliche Bildung thematisiert und die wichtigsten Entwicklungstendenzen und Schwerpunkte vorgestellt. Weiterhin wird in eine breit angelegte Konzeption von kindlicher Bildung und kindlichen Entwicklungsaufgaben eingeführt, die unter anderem aus einer elementar-ästhetischen Perspektive entwickelt wird.

Im Kapitel 1 geht es vor allem um gesellschaftliche Veränderungen und den daraus resultierenden pädagogischen Anforderungen für die Arbeit im frühkindlichen Bereich. Der beschleunigte gesellschaftliche Wandel der letzten Jahre hat immense Auswirkungen auf die sozialpädagogische Arbeit. Mittlerweile ist es beinahe eine Selbstverständlichkeit, dass Kinder früh, tendenziell bereits ab dem zweiten Lebensjahr, institutionell betreut werden. In diesem Kontext entstand eine gesellschaftliche und fachliche Diskussion, was denn eine gute institutionelle Kinderbetreuung ausmacht und welche Kompetenzen und Qualifikationen die pädagogischen Fachkräfte in zunehmend komplexeren Gesellschaftsverhältnissen und bei entsprechend steigenden Anforderungen mitbringen müssen. Kindheit in unseren Gesellschaften ist kulturell heterogener und sozial komplexer geworden. Um diesen gestiegenen Ansprüchen der institutionellen Betreuung und Sozialisation gerecht werden zu können, brauchen pädagogische Fachkräfte nicht nur zusätzliche Fortbildungen und multiprofessionelle Zusammenarbeit, sondern eine gut ausgeprägte methodische Handlungskompetenz im Arbeitsalltag. Ohne Zweifel ist die Realisierung der methodischen Handlungskompetenz nur dann systematisch möglich, wenn die strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen dazu günstig sind und ein arbeitsfähiges Grundgerüst liefern, um pädagogisches Handeln täglich professionell leben zu können.

Im Fokus des Buches steht deshalb die professionelle Kompetenz der pädagogischen Fachkräfte, alle Kinder möglichst individuell und thematisch differenziert zu begleiten und die Bildungs- und Lernprozesse reflektiert und nachhaltig zu gestalten. Gerade vom methodischen Geschick der Fachkräfte, von Techniken und Einstellungen zur Wissensvermittlung hängt eine ganzheitliche, systematische und individualisierte Förderung jedes Kindes ab.

Kapitel 2 des ersten Abschnittes des Buches bietet einen Exkurs in die frühkindliche Entwicklung und frühes Lernen aus philosophisch-anthropologischer Sicht. Lernen wird als Bewältigung von Entwicklungsaufgaben begriffen, welche die Kinder aktiv bewältigen müssen. Hier werden drei zentrale Entwicklungen skizziert: Körperliche und motorische Entwicklungsaufgaben, Kommunikation und Interaktion und Selbstentwicklung. Die kindlichen Aufgaben in diesen drei Bereichen sind untrennbar miteinander verbunden und stehen in komplexer Wechselwirkung zueinander. Ohne die Entwicklung von Bewegungskompetenz und inneren Bewegungsplänen gäbe es beispielsweise kein sich selbst kontrollierendes »Handlungsselbst«, ohne nonverbale und verbale Kommunikation mit Anderen könnte die »Affordanzstruktur« (Gibson, 1950) der Lebenswelt, also der Aufforderungscharakter der Gegenstandswelt, nicht vermittelt werden etc.

In Kapitel 3, welches den ersten Abschnitt des Buches abschließt, wird der ästhetisch-künstlerische Zugang zur Bildung beleuchtet. Der Begriff des Ästhetischen spielt seit den 1990er Jahren im frühpädagogischen Diskurs eine immer größere Rolle. Neben philosophischen Konzeptionen von kindlicher Erkenntnis und Bildung als ästhetische Erfahrung wächst zunehmend auch das Interesse der Forschung an der Bedeutung der ästhetischen Erfahrung für Bildungsprozesse in der Kindheit (Dietrich, Krinninger & Schubert, 2013, Staege, 2016). Diese Perspektive hebt die Relevanz sinnlicher Erfahrungsräume hervor und sieht Bildung als Wechselspiel von Selbst- und Welterfahrung, in dessen Rahmen sich Bildungs- und Lernhandeln überhaupt erst entwickeln kann.

Im zweiten Abschnitt werden fünf Entwicklungs- und Bildungsbereiche aus wissenschaftlichen und methodisch-praktischen Perspektiven dargestellt und mit vielen praktischen Hinweisen und Vorschlägen versehen.

In Kapitel 1 wird ästhetische Bildung und Kunst dargestellt. Der Beitrag geht den Fragen nach, was ein ästhetisch-künstlerisches Handeln ist und welche Bildungserfahrungen in und durch ästhetisch-künstlerisches Handeln gemacht werden können. Darauf aufbauend werden Einstellungen und Haltungen der pädagogischen Fachkräfte und die Rahmenbedingungen angesprochen, die notwendig sind, damit ästhetisch-künstlerischen Erfahrungen für die Kinder bildsam werden. Die kindliche sinnliche Wahrnehmung ist im Vergleich zu der von Erwachsenen viel offener und vorurteilsfreier, weniger geprägt durch stereotype Vorstellungen und verinnerlichte Wahrnehmungsmuster. Im explorierend-gestalterischen Spielen klären Kinder für sich viele Natur- und Weltphänomene und bilden dadurch ein Bild von der Welt und von sich selbst.

Im Kapitel wird sowohl auf die Forschungsergebnisse wie auch auf die pädagogische Haltung und die Rahmenbedingungen für ästhetisch-künstlerische Bildung eingegangen. Gezielt werden Materialien und Medien, Techniken und künstlerische Handlungsformen vorgestellt. Danach werden Beispiele und Empfehlungen für den künstlerischen Bereich für die Arbeit mit Kindern angeboten. Konkret geht es hier um Themen wie Beschäftigung mit Ton, kreative und sinnliche Erfahrungsarbeit mit dem Material Papier oder künstlerisches Arbeiten über Alltagsphänomene.

Kapitel 2 geht auf die sozial-emotionale Entwicklung im Kindesalter ein. Der Mensch als soziales Wesen gestaltet sein Leben in einer Gemeinschaft, indem er vom Säuglingsalter an soziale Bindungen und Beziehungen aufbaut und stabilisiert. In diesem Kapietel wird auf Begriffe wie Sozialkompetenz, Empathie und emotionale Intelligenz, die bei der Persönlichkeitsentwicklung eine zentrale Rolle spielen, aus bindungstheoretischer Perspektive eingegangen. Welche Rolle bei der sozial-emotionalen Entwicklung die pädagogischen Fachkräfte spielen können, ist ein weiterer thematischer Schwerpunkt dieses Kapitels. Hier stehen die Begriffe des empathischen Umgangs von Seiten pädagogischer Fachkräfte und die Beziehungs- und Interaktionsgestaltung im Zentrum der Betrachtung. Außerdem wird hier auf die Entstehung und Förderung der sozialen Kompetenzen bei Kindern eingegangen und die Bedeutung der Strukturqualität für diesen Prozess hervorgehoben. Eine Auswahl von Übungen und Spielen, die sich in der Praxis gut bewährt haben und sozialen Zusammenhalt und emotionale Ausdrucksfähigkeit stärken, schließt das Kapitel ab.

Kapitel 3 hat die sprachliche Bildung, Literacy und Mehrsprachigkeit zum Thema. Es ist im fachlichen Bildungsdiskurs unumstritten, dass die Sprachkompetenz eine zentrale Rolle im menschlichen Leben einnimmt und auch für kognitive Leistungen wie Lernen und Gedächtnisentwicklung grundlegend ist. Verstärkt durch die zunehmende kulturelle und sprachliche Vielfalt unserer Gesellschaften haben pädagogische Fachkräfte gerade in diesem Bereich eine komplexe Bildungsaufgabe, nämlich die Kinder in ihrer Sprachentwicklung systematisch und konsequent zu begleiten und zunehmend gezielt zu unterstützen. Im theoretischen Teil dieses Beitrages wird auf den Sprachlernweg eingegangen, den die Kinder von der Geburt bis zum Schuleintritt zurücklegen müssen. Weiterhin wird das Thema der institutionellen Sprachbildung in Kitas behandelt und auf Gestaltungsaspekte und Sprachförderverhalten von Fachkräften eingegangen. Das Thema wird durch die Förderung der Erzählkompetenz und die Ermöglichung von frühen literalen Erfahrungen, die auch für die weitere Ausbildung einer mehr formalen Bildungssprache in der Schule fundamental wichtig sind, eingegangen. Bei den praktischen Empfehlungen finden sich leicht umsetzbare Beispiele sowohl für die Förderung der Grammatik, der Satzstrukturen und der Erweiterung des Wortschatzes als auch zur Gestaltung von dialogischen Situationen und von Gesprächsführung.

Im Kapitel 4 wird das Thema Sport und Bewegung ausführlich behandelt. Die Kinder machen ihre Erfahrungen mit und in der Umwelt, indem sie sich bewegen und »laufend« unterwegs sind. Die Auseinandersetzung mit der gegenständlichen Umwelt wäre ohne das Berühren und die damit verbundene kinästhetische Erfahrung stark erschwert, wenn nicht unmöglich, und widerspräche auch dem natürlichen kindlichen Erkundungsgeist. Auch der eigene Körper ist hierbei Gegenstand der Erkenntnis und wird sinnlich erfahren. Die Förderung der motorischen Entwicklung und die Ermöglichung von vielfältigen Bewegungsanlässen ist in der Arbeit mit Kindern sehr wichtig. Das Kapitel liefert deshalb einen Forschungsüberblick zum Thema und beschreibt die Entwicklung der motorischen Basiskompetenz. Ausführlich und differenziert wird dabei auch auf die Grundlagen des sportlichen, koordinativen und konditionellen Trainings eingegangen. Darüber hinaus beinhaltet das Kapitel eine strukturierte Beschreibung von Trainingsmethoden im frühkindlichen Bereich. Im praktischen Teil werden nützliche Empfehlungen und Übungen zu Technik-, Koordinations- und Krafttraining gegeben. Übungsvorschläge finden sich auch zum Training von Schnelligkeit, von Ausdauer und der Beweglichkeit insgesamt.

Kapitel 5 hat das Thema der MINT-Förderung zum Schwerpunkt. MINT befasst sich mit den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Die MINT-Frühförderung ist in allen Bildungsplänen der Bundesländer verankert, die Umsetzung dieser Themen ist aber in der Praxis sehr heterogen und unsystematisch. Hervorzuheben sind hier weitere wichtige Erkenntnisse und Erfahrungen beim Forschen, wie die Förderung der eigenen Meinung, das Erkennen von Zusammenhängen oder der Gewinn von differenzierten Einsichten in kausale Prozesse der Umwelt. All dies ist auch für die spätere aktive Beteiligung am gesellschaftlichen Leben und der Ausbildung eines differenzierten Weltzuganges von großer Bedeutung.

Im Beitrag werden die Ziele und Hemmnisse bei der Umsetzung einer altersangemessenen Förderung der MINT-Bereiche thematisiert. Betont wird hierbei, dass die Umsetzung dieser Bereiche in Kitas vielfältig ist und nicht auf reine Wissensvermittlung reduziert werden darf. Kinder sind Forscher und Philosophen von Natur aus, haben viel Spaß und zeigen viel Neugier beim Entdecken und Verstehen von Alltags- und Naturphänomenen. Die Beschäftigung mit den Mint-Disziplinen hilft den Kindern, eine forschende und fragende Haltung zu entwickeln; außerdem stärken die beim Forschen erlebten Erfolgs- und Aha-Erlebnisse die kindliche Selbstsicherheit und Selbstwirksamkeitsgefühle sowie Geduld und Kreativität. Zum besseren Verständnis von MINT-Disziplinen geht das Kapitel auch auf die biologischen Aspekte des Lernens und die methodische und didaktische Gestaltung von naturwissenschaftlichen Angeboten ein. Zahlreiche Beispiele für das Experimentieren mit Kindern beziehen sich auf die Themen Luft und Wasser, genaue Anleitungen zur Vorbereitung und Durchführung der Angebote leiten deren praktische Umsetzung an.

Dieses Buch möchte einer breiten pädagogischen Leserschaft entgegenkommen, was durch die einheitliche Struktur der einzelnen Kapitel, den Transfer von Wissenschaft in die Praxis und viele konkrete Anwendungsbeispiele gewährleistet werden soll. Es vermittelt sowohl auf wissenschaftlicher Forschung basierende Erkenntnisse zu den unterschiedlichen Entwicklungs- und Bildungsbereichen der Kindheitspädagogik als auch praktische Empfehlungen und Übungen für die konkrete Gestaltung der pädagogischen Arbeit mit Kindern. Das Buch kann in der Ausbildung der Erzieherinnen, im Studium der Kindheitspädagogik, von interessierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, von Fachberatungen und in Kitas von pädagogischen Fachkräften eingesetzt werden und bietet eine Handreichung für die pädagogische Praxis.

Ich hoffe sehr, dass sie, geschätzte Leserinnen und Leser, viel Spaß beim Lesen dieses Buches haben werden und es ihnen einige spannende Einblicke in die kindliche Entwicklung und die pädagogische Förderung bieten kann. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Ausprobieren der ein oder anderen Übung und der Orientierung an der ein oder anderen Empfehlung.

I

Gesellschaftliche, pädagogische und methodische Perspektiven auf die frühkindliche Bildung und elementar-ästhetisches Bildungsverständnis

1

Gesellschaftlicher Wandel und Herausforderungen für die Kitas

Nataliya Soultanian

Die heutige Gesellschaft ist unter anderem durch steigende Anforderungen im Beruf, durch die größer werdenden Herausforderungen einer gelingenden Work-Life-Balance und durch veränderte Beziehungen innerhalb der Familie, zwischen Eltern und Kindern gekennzeichnet. Kindheit wird dabei viel stärker als früher als eine Phase gezielter Förderung und der Grundlegung späterer Bildungserfolge verstanden und entsprechend organisiert. Deshalb unterliegt auch »Kindheit« insgesamt einem Wandel, der neue Anforderungen nicht nur an Eltern, sondern besonders auch an pädagogische Fachkräfte stellt. Es ist mittlerweile fast selbstverständlich, dass Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen; laut Fachkräftebarometer besuchten 2018 3.577.595 Kinder eine Tageseinrichtung (www.fachkräftebarometer.de; Zahl des Monats: Februar 2019). Das heißt, dass wir mit mehr Kindern, mit längeren und immer früher beginnenden Betreuungszeiten zu tun haben werden. Die Kinder verbringen immer weniger Zeit in den Familien und immer mehr Zeit im institutionellen Umfeld. Wir sprechen hier deshalb von einer »Institutionalisierung der Kindheit« (Bründel & Hurrelmann, 2017, S. 13 ff). Dies, zusammen mit steigender kultureller Heterogenität und der Zunahme sozialer Komplexität, macht den Bildungsauftrag der Kitas, die die Kinder bei der Entwicklung eines positiven Selbstkonzeptes und der Entwicklung breiter Lerngrundlagen unterstützen, zukünftig noch wichtiger.

Kinder werden hinsichtlich der wachsenden Anforderungen lebenslangen Lernens und eines umfassenden internationalisierten und immer mehr digitalisierten Berufslebens möglichst früh vorbereitet. Globalisierte Bildungs- und Arbeitsmärkte setzen mittlerweile nationale Bildungssysteme einem immer stärkeren Wettbewerbsdruck aus. Vor diesem Hintergrund soll auf drei gesellschaftliche Herausforderungen näher eingegangen: auf das Problem des Bildungsniveaus, auf Migration- und Integrationsprobleme und auf das Problem zunehmender sozialer Ungleichheit, die sich besonders im Familienhintergrund von Kindern manifestiert.

Mit der ersten PISA-Studie 2000 wurde eine öffentliche Debatte um die Schulleistungen deutscher Schüler und Schülerinnen im internationalen Vergleich ausgelöst. Als Folge dieser Debatte geriet auch der Bereich der frühen Kindheit und dessen Qualitätsdimensionen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten die Kindertageseinrichtungen als Bildungsorte etabliert und die professionellen Anforderungen an pädagogische Fachkräfte in der Elementarpädagogik sind entsprechend gestiegen. Welche Rolle hier eine professionalisierte und alle relevanten Wissenschaftsentwicklungen integrierende frühkindliche Förderung haben kann, liegt auf der Hand. Sie legt den Grundstein für alle wesentlichen sozialen und kognitiven Kompetenzen, die für alle weiteren Bildungsprozesse, vor allem auch für Bildungsoffenheit und Bildungsmotivation, notwendig sind (Viernickel, 2017). Laut einer internationalen Studie »Providing Quality Early Childhood Education and Care« (OECD, 2018), in der die Einstellungen und Perspektiven von pädagogischen Fachkräften in neun Ländern erhoben wurden, sind deutsche Kita-Kräfte gut für den pädagogischen Alltag ausgebildet. Die Qualität der pädagogischen Arbeit ist für ein erfolgreiches Aufwachsen der Kinder entscheidend. Laut der Studie verfügen die Fachkräfte, die für die Arbeit mit Kindern eine entsprechende Ausbildung und ein hohes Bildungsniveau besitzen, über ein breites Spektrum an Methoden, die die kindliche Entwicklung fördern. Es besteht aber weiterhin ein hoher Bedarf an Weiterbildung, besonders für die Arbeit mit Kindern mit unterschiedlichem kulturellem und sprachlichem Hintergrund und mit Kindern, die Entwicklungsauffälligkeiten zeigen.

Auch der sich aktuell vollziehende demographische Wandel erfordert eine schon lange überfällige Realisierung einer kinderfreundlichen, strukturell-rücksichtsvollen Gesellschaft. Die Arbeitsmärkte der Zukunft brauchen u. a. viel mehr gut ausgebildete Frauen. Eine Gesellschaft, die immer noch einen wesentlichen Anteil ihrer Bevölkerung schwerpunktmäßig auf die familiäre Kindererziehung festlegt, kann es zukünftig noch viel weniger geben als heute. Die produktive und erfüllende Vereinbarkeit von Familienleben und Berufstätigkeit ist also, jenseits aktueller medienwirksamer Diskussionen, ein umfassendes gesellschaftliches Zukunftsprojekt. Dies erfordert aber auch eine Neukonzeption von Familienförderung und einer vielschichtigen und intensivierten Zusammenarbeit von Kitas und Familie.  

Auch hier ist klar, welche zentrale Rolle einer professionalisierten frühkindlichen Betreuung, die nicht mehr als zweitrangiges Substitut familiärer Erziehungsarbeit, sondern als wesentlicher Bestandteil eines umfassenden familiären Bildungsprojektes angesehen wird, zukommen kann. 

Die Abmilderung der sozialen Ungleichheit unserer Gesellschaft auf der Grundlage von zumindest anvisierter Chancengleichheit im Bildungsbereich sowie die Integration sog. bildungsferner Gesellschaftsschichten ist eine der ältesten und ergeizigsten Projekte der Bundesrepublik und westlicher Industriegesellschaften überhaupt. Es ist daher eine geradezu ironische Entwicklung, wenn zu Beginn der sich etablierenden »Wissensgesellschaft« das Bildungsniveau insgesamt sinkt, die Schere zwischen unten und oben größer wird und die Integration der bildungsfernen Schichten ein größeres Problem darstellt als je zuvor. Hier spielen die Kindertageseinrichtungen als erste Sozialisationsinstanz für Kinder mit Migrationshintergrund eine wichtige Rolle, um die herkunftsbedingte Benachteiligung zu reduzieren oder ganz zu vermeiden. Die Ergebnisse mehrerer Studien liefern Belege dafür, dass der Kindergartenbesuch mit dem späteren Erfolg in der Schule positiv korreliert ist (Becker & Lauterbach, 2008, Becker & Tremel, 2007).

Die Realisierung einer qualitativ hochwertigen frühkindlichen Bildung fällt mit der Qualität der Betreuung und Förderung, mit der Qualität der Ausbildung, des Studiums und der praktischen Erfahrung derjenigen, die die Erziehungsaufgabe zu leisten haben, zusammen. So beeinflussen gute Kindertageseinrichtungen positiv die Kinder in benachteiligten Lebenslagen. Ein positiver, förderlicher Faktor unter anderen ist es, dass diese Kinder einen regelmäßigen Zugang zur deutschen Sprache erhalten, soziale Kontakte und Freundschaften pflegen lernen und somit Gruppenzugehörigkeit in der institutionellen Betreuung erleben. Dies sind wichtige soziale Prädiktoren für grundlegende soziale und kommunikative Kompetenzen. Hierbei ist aber die Dauer und die Qualität des Kindergartenbesuches ausschlaggebend. Auch ist Vorsicht geboten, überzogene Erwartungen und Anforderungen an die Kindertageseinrichtungen zu richten, wenn es um die Vorbereitung auf die Schule geht, da zahlreiche Studien zum Einfluss der Familie zeigen, dass immer noch die Sozialisation in der Familie den stärksten Einfluss auf den Bildungsweg der Kinder hat (Tietze, Roßbach & Grenner, 2005). Bildungspolitisch müsste deshalb dringend mehr unternommen werden, um unterstützende Maßnahmen für bildungsschwache Familien und deren Kinder anbieten zu können. Gemeint sind hier etwa Kurse und Programme, die den Eltern pädagogisches Wissen vermitteln und ihnen in Erziehungsfragen Unterstützung bieten. Die Bildungspolitik sollte sich in Zukunft in diesem Bereich verstärkt auf die Bildung von Familien konzentrieren. Hierbei geht es besonders um die Förderung einer qualitativ guten Kommunikation und Interaktion zwischen Eltern und Kindern, um die Unterstützung des (Klein-)Kindes bei der Erkundung der Welt und bei der Aufnahme sozialer Beziehungen sowie um bildende Aktivitäten in der Familie (Jares, 2015). Eine erfolgreiche Familienbildung setzt auch die Vernetzung von Familienbildungseinrichtungen, Kindertageseinrichtungen, Jugendämtern, psychosozialen Diensten und anderen Institutionen voraus.

Für die Kinder bedeutet Bildung allgemein, einen differenzierten Zugang zur Welt zu entwickeln, dabei vielfältige soziale und sachliche Beziehungen einzugehen und eine immer differenziertere, der modernen Lebenswelt angemessene Erfahrung und Selbsterfahrung aufzubauen (Schäfer, 2011).

1.1       Methodische Kompetenz der pädagogischen Fachkräfte

Der heutige Professionalisierungsdiskurs in der Kindheitspädagogik ist auf professionelle Kompetenzen von pädagogischen Fachkräften fokussiert, die für die Schaffung einer bildungsaffinen Umgebung von Kindern benötigt werden. Die Erwartung einer auf jedes Kind abgestimmten pädagogischen Förderung und einer vielseitigen Unterstützung des Kindes im Prozess des lebenslanden Lernens stellt pädagogische Fachkräfte vor große Herausforderungen, die nicht allein auf die professionelle Vorbereitung der Pädagogen gestützt werden sollte. In diesem Zusammenhang sind die Rahmenbedingungen in den Kindertageseinrichtungen anzusprechen (Viernickel, 2017, S. 39). Im Kontext der Qualitätssicherung spielen strukturelle und organisatorische Bedingungen, die Bildungsprozesse entweder fördern oder behindern können, eine große Rolle. Organisatorische Rahmenbedingungen betreffen die konkrete Umsetzung gesetzlicher Vorgaben vor Ort und umfassen Personal-Kind-Relationen und Gruppengröße, zeitliche Ressourcen für die mittelbare pädagogische Arbeit, wie Beobachtung und Dokumentation, pädagogische Planung, darunter auch methodische Aufbereitung von Angeboten sowie Kommunikation mit Familien und Unterstützung vom Träger in Form von Supervisionen, Fachberatungen und Weiterbildungen (Viernickel, 2017, S. 41). Empirisch belegbar ist, dass pädagogisches Handeln von den Wechselwirkungen zwischen den aufgezählten Faktoren abhängt. So wurde der Zusammenhang zwischen den bildungspolitischen und strukturellen Rahmenbedingungen und der Professionalität pädagogischer Fachkräfte in Studien belegt (siehe dazu mehr Viernickel et al., 2015, Tietze, Roßbach & Grenner, 2013). Sehr eng ist die professionelle Kompetenz mit der einschlägigen formalen Qualifikation und dem Personal-Kind-Schlüssel verbunden; je höher sie ist, desto ausgedehnter sind die Bildungsaktivitäten und die Interaktionen und Beziehungen mit den Kindern (Viernickel, 2017, S. 43).

Die Verantwortung für ein differenziertes, zeitgemäßes, pädagogisches Handeln darf demzufolge nicht allein in die Verantwortung pädagogischer Fachkräfte gelegt werden, sondern sollte im System der bestehenden gesellschaftlichen, bildungspolitischen und institutionellen Strukturen verortet werden.

Demgemäß wurde die alltägliche pädagogische Praxis in den letzten Jahren neu definiert, indem Bildungs- und Orientierungspläne als Rahmenbildungscurricula für die Länder entwickelt und implementiert wurden. Eine der wichtigsten instrumentellen Kompetenzen ist dabei die methodische Kompetenz zur Bewältigung komplexer und vielfältiger pädagogischer Aufgaben bei der Arbeit mit Kindern (Bamler, Schönberger & Wustmann, 2010, 207 f).1

Persönliche Haltungen der Wertschätzung, des offenen Umgangs mit Vielfalt, der individuellen Unterstützung und Ressourcenorientierung müssen mit guter materieller, organisatorischer und räumlicher Ausstattung einhergehen. Eine ausgewogene Kombination von professionellen Kompetenzen und günstigen Rahmenbedingungen wird durch eine systematische Reflexion von gestellten Bildungs- und Förderzielen im Team zu einer weiteren wichtigen Variable der guten Erziehung, Bildung und Betreuung. Das fachliche Wissen der pädagogischen Fachkräfte muss so eingesetzt werden, dass Unterschiedlichkeit in jeder einzelnen Dimension und Ausprägung als produktive, für alle Beteiligten gewinnbringende Erweiterung im pädagogischen Umgang zu gestalten ist.

Die Umsetzung des Fachwissens findet durch den Einsatz verschiedener Methoden, die als Katalysatoren der Qualitätssicherung fungieren, statt. Den Institutionen der frühkindlichen Erziehung, Bildung und Betreuung stellen sich in den letzten 15 Jahren besondere Herausforderungen, für deren Bewältigung die Fachkräfte spezifische Kompetenzen benötigen, die sie im Studium oder in der Ausbildung erwerben, in Fortbildungen weiterentwickeln und in der alltäglichen Praxis realisieren sollen (vgl. z. B. Rauschenbach & Schilling, 2013, Berth et al., 2013).

Dieser Band hat zum Ziel, pädagogischen Fachkräften zu ausgewählten Bildungsbereichen entlang der Bildungs- und Orientierungspläne der einzelnen Bundesländer eine empirisch fundierte, in der Praxis bewährte Handlungskompetenz2 zur gezielten Förderung und Bildung der Kinder zu vermitteln. Methodisches Geschick der Erwachsenen trägt wesentlich zum erfolgreichen, nachhaltigen Lernen bei. Von der Frage, wie Themen und Sachverhalte mit den Kindern bearbeitet werden, hängt es häufig ab, ob das Interesse des Kindes, sich weiter mit einem Thema zu beschäftigen und dieses zu vertiefen, geweckt wird.

Im letzten Jahrzehnt haben sich die Anforderungen an pädagogische Fachkräfte in frühkindlichen Einrichtungen verändert, sie sind anspruchsvoller geworden und werden als wesentlicher Faktor der Qualitätsentwicklung angesehen. Die heutige Lernkultur wird dabei stark vom Kompetenzbegriff geprägt. In den Bildungs- und Lehrplänen werden Kompetenzen aufgelistet, die Kinder entwickeln sollen. Wir bewegen uns von einer frontalen Lernkultur der Inputorientierung zum selbstgesteuerten und selbstorganisierten Lernen mit der Orientierung auf »Output«. Kompetenzen müssen erworben, aber auch im Wissen, Können und Handeln erfolgreich umgesetzt werden. Es gibt verschiedene Raster von Kompetenzprofilen, die erworbene Fähigkeiten und Fertigkeiten verschiedenen Dimensionen zuordnen.

Im professionellen Kontext sprechen wir von personeller, Sach-, didaktischer und Methodenkompetenz sowie von Fachkompetenz. Der personellen Kompetenz wird (Fröhlich-Gildhoff & Weltzlin, 2014) eine tragende Bedeutung für den Ausbau und die Weiterentwicklung weiterer Kompetenzen zugeschrieben. Bei den didaktischen und methodischen Kompetenzen handelt es sich um die professionelle Begleitung, Gestaltung, Reflektion und Evaluation von Bildungs- und Lernprozessen bei den Kindern. Die Fachkompetenz beinhaltet fachwissenschaftliches Wissen der pädagogischen und psychologischen Grundlagen der kindlichen Entwicklung und Bildung allgemein und in den einzelnen Bildungsbereichen.

Zum methodischen Geschick von Fachkräften gehören Techniken der Wissensvermittlung sowie Methoden der Lernmotivation. Dies beginnt bereits mit der Auswahl entsprechenden Lehrmaterials, dessen Aufbereitung für bestimmte Altersgruppen, dem Entwicklungsstand und den aktuellen Bildungsthemen der Kinder. In den Bildungs- und Orientierungsplänen der Bundesländer sind unterschiedliche Entwicklungs- und Bildungsbereiche wie ästhetische Bildung, Naturwissenschaften und Mathematik, kognitiver, körperlicher Bereich, sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit formuliert. Dafür benötigen Fachkräfte ein handfestes Methodenwerkzeug, das sie innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen in ihrem Arbeitsalltag anwenden können sowie ein breites und differenziertes Fachwissen.

Ein Beispiel aus dem Bereich »Sprache«: Eine der wichtigsten Aufgaben bei der Sprachentwicklung ist es, dass die Kinder die morphologischen und syntaktischen Regeln der Sprache auf dem aufgebauten Wortschatz anwenden können. Hierin zeigen besonders Kinder aus bildungsfernen Familien gravierende Mängel, die ihnen dann in der Schule den Einstieg in das Lesen und Schreiben erschweren. So können Kinder beispielsweise über einen gut entwickelten Wortschatz für bestimmte relevante Themenbereiche wie Spiele, Essen, Kleidung usw. verfügen, sind aber nicht in der Lage, differenzierte syntaktische Strukturen zu bilden. Die fehlende Beherrschung beispielsweise der unserer gesamten sprachlichen Kommunikation zugrundeliegenden transitiven Strukturen (Akkusativ) führt beispielsweise zu folgenden Sätzen: »Mutter anziehen der Pulli der Junge« oder »Mutter gibt Ball der Junge«, die im aktuellen Redekontext, einschließlich bestimmter Zeigegesten, Körperhaltungen, Blickrichtungen, durchaus Verständigung erlauben, die aber in weniger konkreten Situationen und erst recht beim Erwerb schriftsprachlicher Kompetenzen völlig unzulänglich sind. Dies erfordert daher von den pädagogischen Fachkräften differenzierte Kenntnisse über den kindlichen Spracherwerbsverlauf und die phasenspezifischen syntaktischen und semantischen Bildungsprozesse sowie eine koordinierte, systematisch eingesetzte Handlungskompetenz, solche Strukturen durch die eigene reflektierte sprachliche Zuwendung an das Kind zu unterstützen.

Die methodische Umsetzung im pädagogischen Alltag ist erst dann erfolgreich und bildungsfördernd, wenn sie auf die Struktur und den Stand des kindlichen Lernens und der kindlichen Entwicklungsaufgaben abgestimmt ist.

1.2       Das Verständnis von Bildungsprozessen im frühkindlichen Bereich

Frühkindliche Bildungsprozesse haben einen offenen Prozesscharakter, deren genauer Ablauf nicht immer planbar ist und die auf intuitivem, entdeckendem Lernen beruhen. Das entdeckende Lernen sollte dabei als eine pädagogisch-didaktische Methode der Wissensaneignung und zur Entwicklung eines immer umfangreicheren Weltverständnisses begriffen werden. Für Kinder im Kindergartenalter ist Lernen mit eigener Tätigkeit und aktiver Beteiligung verbunden. Tun und Lernen wird in dieser Alterspanne als Einheit gesehen, es geht um Lernen durch eigenes Tun, vielseitige Wahrnehmung und Selbsterfahrung. Die Kinder begeben sich auf Entdeckungsreise, beginnend in der unmittelbaren Umgebung, immer weiter bis zur Herstellung von kausalen Zusammenhängen und abstrakten Vorstellungen von Abläufen und Gegenständen außerhalb ihres unmittelbaren Wahrnehmungsfeldes. Der Wissensaufbau beruht folglich auf einer eigenständigen Auseinandersetzung mit der unmittelbaren, gegenständlichen Umwelt, die in konkretem Bezug zur Lebenswelt des Kindes und seinen aktuellen Bildungsthemen steht. Einer der wichtigsten Grundsätze bei der professionellen Begleitung der Kinder ist deshalb die beobachtende Haltung der pädagogischen Fachkraft. Die Kinder kommen zu neuen Erfahrungen induktiv, indem sie analysieren, Hypothesen formulieren und sie dann unmittelbar überprüfen, eingebettet in konkrete Handlungszusammenhänge. Dabei sind bestimmte Interaktionsformate wie Gespräch, Dialog, Begründung und Erklärung, Diskussion etc. förderlich, um die gemachten Erfahrungen zu verinnerlichen und die entsprechenden typischen Handlungsmuster aufzubauen. Eine stabile, auf Vertrauen aufgebaute, sozial-emotionale Beziehung zum Kind, systematischer Einsatz von nonverbaler Kommunikation, wie Lächeln, Blickkontakt, körperliche Zuwendung und eine motivierende Haltung seitens der Erwachsenen bei Lösungsfindungen im Rahmen eines Dialogs (Fthenakis, 2009, Pramling Samuelsson & Asplund Carlsson, 2007, Schäfer, 2011) bilden hier eine gute Grundlage. Die Rolle der Fachkräfte besteht dabei darin, die Kinder zu begleiten, mit ihnen über das Erlebte nachzudenken und Hilfestellung zu geben, das Gelernte in das bestehende Wissenssystem einzuordnen. Wichtig dabei ist auch, die Zusammenhänge zwischen dem zu vermittelten Wissen erkennbar zu machen und die Lernprozesse im Kindergarten mit anderen Lebenswelten der Kinder in Verbindung zu bringen, im Sinne eines Transfers des Gelernten.

Die eigenen emotionalen Erlebnisse tragen dazu bei, dass die Kinder das Erlebte und Ausprobierte verarbeiten, behalten und sich eine Meinung über die Welt und sich selbst bilden. Durch Malen, Tanzen, Töpfern und viele andere kreative Mittel sammeln die Kinder Eindrücke und Gefühle, die sie dann wiederum durch eigene Tätigkeit zum Ausdruck bringen (Dreier, 2017, Schäfer, 2011). Durch kreatives Tun bringen sie ihre Ideen, ihre Sichtweisen, ihre Gefühle und Gemütszustände zum Ausdruck. Wichtig ist dabei, die Kinder in ihrem Handeln nicht zu beeinflussen und keine Restriktionen und stereotype Erfolgsstandards oder ästhetische Ideale einzubringen. Erwachsene neigen dazu, sehr schnell ergebnis- und endproduktorientiert zu kommunizieren und eigene, häufig stereotype Meinungen in Kategorien »schön« und »nicht schön« an die Kinder weiterzugeben. Kreatives Handeln sollte hingegen frei sein, die Kinder sollten die Möglichkeit bekommen, etwas Neues, Schönes, Ungewöhnliches, Nicht-Normiertes zu gestalten. Die Aufgabe der Erwachsenden ist es dabei, den Kindern diese Handlungsfreiheit zu ermöglichen.

1     Die Fachausbildung von Erzieherinnen und Erzieher wurde großen inhaltlichen und strukturellen Veränderungen unterzogen, indem das Curriculum in Form von Lernfeldern ausformuliert wurde, wobei Auszubildende durch Lernfeldkonzepte drei berufliche Kompetenzbereiche abdecken, nämlich das Fachwissen, intellektuelles und praktisches Können (Methodenkompetenz) sowie Werteorientierungen und pädagogische Einstellungen (Bamler, Schönberger & Wustmann, 2010, S. 208).

2     Unter methodischer Handlungskompetenz versteht man die Fähigkeit, geplant, zielorientiert und reflektiert zu handeln und die eigene Arbeit zu organisieren. Im Bildungskontext ist damit gemeint, dass pädagogische Fachkräfte über didaktisches Fachwissen und Können verfügen, um Kinder individuell und ganzheitlich in ihrer Entwicklung zu unterstützen.

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Frühkindliche Entwicklung und frühes Lernen: philosophisch-anthropologische Anhaltspunkte

Robert Soultanian

Von der Geburt bis zum Eintritt in die Schule durchlaufen die Kinder einen komplexen Lernprozess, der in eine ebenso komplexe Entwicklungsdynamik eingebunden ist. Es wird daher hier zunächst dafür plädiert, von Entwicklung und von Entwicklungsaufgaben zu sprechen, anstelle von Lernen bzw. Lernprozessen. Der Begriff der Entwicklungsaufgabe geht auf Havighurst zurück, wurde aber von anderen aufgenommen und teilweise modifiziert (Havighurst, 1953, Hurrelmann, 2015). Hier wird der Begriff der »Entwicklungsaufgabe« in einem umfassenden Sinn verwendet. Das Kind oder die sich entwickelnde Person sieht sich vor Entwicklungsaufgaben gestellt und muss diese aktiv bewältigen. Hier werden beispielhaft drei zentrale Entwicklungsbereiche skizziert:

  Bewegung: körperliche und motorische Entwicklungsaufgaben

  Kommunikation und Interaktion: soziale Entwicklungsaufgaben

  Die Anderen im eigenen Kopf: Selbstentwicklungsaufgaben.

In der Realität sind diese Entwicklungen untrennbar miteinander verbunden, in komplizierten Wechselwirkungsprozessen bedingen sie sich gegenseitig. Ohne die Entwicklung von Bewegungskompetenzen gäbe es kein sich selbst immer besser kontrollierendes »Handlungsselbst«, ohne die besonderen menschlichen Kommunikationsfähigkeiten könnte die »Affordanzstruktur« (Gibson, 1950) der Lebenswelt nicht vermittelt werden usw.

2.1       Bewegung: körperliche und motorische Entwicklungsaufgaben

Der menschliche Organismus entwickelt im Vergleich zu allen anderen Lebewesen einzigartige Bewegungsfähigkeiten und ein unerschöpfliches Bewegungsrepertoire. Der besondere Körperbau, der ein stabiles Stehen auf zwei Beinen und den aufrechten Gang ermöglicht, macht den Oberkörper mit den von den Funktionen der Fortbewegung befreiten Schultern, Armen und Händen zu einem weltzugewandten, auf den aktiven Umgang mit Gegenständen ausgerichteten System.

Die menschliche Hand ist nicht nur Extremität, sondern ein besonderes Wahrnehmungs-, Handlungs- und Kognitionsorgan. Hände sind vom Laufen befreit, besitzen eine Feingliedrigkeit und immense Enervierungsdichte (man denke an die Feinfühligkeit der sehr gut durchbluteten Fingerspitzen, die ein dichtes motorisches Feedback zwischen Hirn, berührtem Gegenstand und der Steuerung der Finger- und Handbewegung ermöglichen). Der frei bewegliche und gegenübergestellte Daumen, der ein echtes Greifen in verschiedenen Griffsvarianten erst ermöglicht, macht die Entwicklung dieses psychosomatischen »Organs« perfekt. Ein weiterer Aspekt der immensen Leistung, die hier von jedem Kind erbracht werden muss, selbst bei so scheinbar banalen Alltagstätigkeiten wie dem Drücken einer Türklinke oder dem Öffnen einer Keksdose, ist die Koordination von Auge und Hand und die jeweils zielführende Integration der Sensomotorik insgesamt (Wilson, 1998).

Zugleich ermöglicht der menschliche Körperbau ein geradezu unendliches Bewegungskönnen: Menschen können sich rhythmisch bewegen, tanzen, sich im Kreise drehen, springen, schwimmen, tauchen, auf einem Bein stehen, klettern, dauerlaufen, sprinten, auf dem Kopf stehen, auf den Händen laufen, Fahrradfahren, Skateboard fahren, Inline skaten, Purzelbäume schlagen, Saltos springen, Rad schlagen usw. Und Menschen können gezielt und mit hohem Momentum werfen, ein entscheidender Faktor der Humanevolution (Gintis et al., 2014).

Mit Blick auf die einflussreichen anthropologischen Analysen Arnold Gehlens kann man sagen, dass Menschen entspezialisierte Alleskönner im Bereich der Körperbewegung und Körperbeherrschung sind, im Gegensatz zu Tieren, die auf einen Bewegungsbereich spezialisiert und darin wahre Meister sind, aber ansonsten eher ein klägliches Bild abgeben (Gehlen, 1950). Selbst den mit Menschen aufgewachsenen Schimpansen oder anderen Primaten ist es nicht möglich, tanzen oder rhythmische Bewegungen zu erlernen, selbst bei intensivem Training erreichen sie keinen feinmotorischen Umgang mit Dingen, können kaum tragen, differenziert greifen usw. Menschen können nicht so schnell sprinten wie Geparde, aber mit Übung bringen sie auch darin Beachtliches zustande. Außerdem können sie über lange Zeit und Distanzen laufen, was evolutionär sicherlich als Adaptionskomplex in Wechselwirkung mit dem Verlust des Fells und der Ausbildung von Schweißdrüsen einherging, was der Fähigkeit zum Dauerlaufen eine physiologische Grundlage gab (Lieberman, 2013). Die alle weiteren menschlichen Entwicklungsaufgaben fundierende Kompetenzentwicklung besteht also in dem, was man näherungsweise das »motorische Erlernen der Welt und die Kontrolle eines Körperselbstes« nennen könnte (Stern, 1985).

Die Fähigkeit zum stabilen aufrechten Stehen und zum aufrechten Gang ist genetisch vorbestimmt, sie bedürfen keiner besonderen externen Motivation oder externer Instruktionen, sie initiieren und entwickeln sich unter normalen Bedingungen von selbst. Aber die gegenstandsbezogenen Umweltbewegungen müssen erlernt werden. Diese Entwicklungsaufgabe besteht in einer sehr weit gefächerten motorischen Aneignung der materiellen Umwelt, der menschliche Organismus verinnerlicht aktiv die Umweltgegebenheiten. Man muss sich nur einmal vergegenwärtigen, welcher Entwicklungs- und Lernaufwand hinter der Fähigkeit steht, eine Tasse oder einen gefüllten Becher zu ergreifen, zum Mund zu führen und wieder auf einen Tisch zu stellen (ohne dass das Behältnis zerbricht), oder einen Ball zu werfen und zu fangen oder einen Stift richtig zu fassen und kontinuierlich über ein Blatt Papier zu führen (Gehlen, 1950). Wenn man nun in Betracht zieht, wie komplex unsere artifiziellen Lebensumwelten sind, wird umso deutlicher, welche Leistungen hier von Kindern in ihrer vorschulischen Entwicklung erbracht werden müssen. Allgemein lässt sich diese Aufgabe wie folgt beschreiben: Kinder müssen die vielfältige »Aufforderungsstruktur« der Dinge körperlich-motorisch verinnerlichen (Gibson, 1950).3 Dinge sprechen und Kinder müssen verstehen lernen. Gebrauchsdinge und Naturdinge gleichermaßen fordern zu einem jeweils motorisch differenzierten Umgang mit ihnen auf. Ein Stuhl sagt: »Ich bin ein Stuhl, komm, sitz auf mir!« Ein Becher fordert, »Wenn du Durst hast, fülle mich und trink aus mir! Wenn du Spiellust hast, fülle mich mit Matsch«. Das Messer sagt (nach einigen expliziten Erziehungsprozessen): »Nimm mich in die rechte Hand, schneide mit mir, aber wehe, du steckst mich in den Mund!« Der Teppich fordert auf zum Wälzen, Kuscheln, Sitzen, Liegen. Wasser, Sand, Matsch, Zäune, Blumen fordern die ihnen je eigene attraktive Handlung, die Gartenmauer fordert vehement: »Klettere auf mich, balanciere auf mir, spring von mir.« Der Ball sagt: »Kicke mich, nimm und wirf mich«, die Buntstifte sagen: »Nimm mich und kritzele alles voll«. Die Pfützen fordern nachdrücklich: »Spring rein in mich und patsche in mir rum!« Dem Aufforderungscharakter der Dinge, den sozial strukturierten Räumen und der ebenso strukturierten Situationen entsprechen Typen von eingeübten Bewegungen und motorischen Fertigkeiten. Die erschlossenen, teils hergestellten, teils natürlichen, aber immer strukturierten und geordneten Lebensumgebungen, in denen Kinder heranwachsen, sind selbst konstitutive Bestandteile der geistigen Entwicklung, sie stellen ein komplexes Scaffolding menschlicher Wahrnehmung und Kognition dar (Gibson, 1950).

2.2       Kommunikation und Interaktion: Soziale Entwicklungsaufgaben

Menschliche Bewegungsfähigkeiten unterliegen auch der Entwicklung sozialer Kompetenzen und dem Hineinwachsen in familiale Lebensgemeinschaften. Der aufrechte menschliche Körper und dessen unbegrenztes Bewegungsrepertoire bilden nicht nur die Voraussetzung für den vielfältigen praktischen oder spielerischen Gebrauch von Dingen, sondern sind auch Grundlage menschlichen Ausdrucks-, Interaktions- und Kommunikationsverhaltens. Bei näherer Betrachtung scheinen der menschliche Körper und seine motorischen Fähigkeiten geradezu als »Kommunikationsmedium« evolviert zu sein (Reddy, 2008). Die freien und fein beweglichen Hände dienen ebenso zur Kommunikation wie zum Tragen, Halten, Werfen oder Arbeiten, verschiedene Körperhaltungen und gestische Bewegungen und ein unbehaart-offenes, sehr bewegliches Gesicht (es gibt mehr als 50 verschiedene Gesichtsmuskeln, Ekman, 2016) begründen körperlich die einzigartige Fähigkeit menschlicher Intersubjektivität. Diese bildet auch die Voraussetzung für den Erwerb der Sprachfähigkeit (Tomasello, 2019).

Der menschliche Organismus ist körperliches Emotions- und Kommunikationsdisplay. Das Gesicht und der gesamte Körper sind höchst berührungssensitiv. Berührung durch Andere ist Ursprung und Ausgangspunkt aller non-verbaler Interaktion und unterliegt aller frühkindlichen Etablierung primärer Intersubjektivität. Zur Rolle der Gesichts- und Körperbewegungen in der ursprünglichen Interaktion zwischen Mutter und Kind ist auf die berühmten »still-face-Experimente« zu verweisen. Die Experimente veranschaulichen sehr gut, was die neuere Forschung »primäre Intersubjektivität« (Trevarthen, 2007) nennt. Hier findet man alles, was die Einzigartigkeit menschlicher Interaktion und die Fähigkeit zu einer »gemeinsam geteilten Psyche« ausmacht: Gesicht, Körpersprache, Zeigegesten, gemeinsame Aufmerksamkeit, gemeinsam geteilte Intentionalität, Einschwingen und Synchronie von Bewegungen und dadurch von inneren Zuständen. Auf dieser Basis entstehen die frühkindlichen Interaktionsrituale und das Einschwingen psychischer Zustände, die Dynamik positiver emotionaler Energie und ein tiefes Vergnügen der Beteiligten, oder umgekehrt, tiefe Verunsicherung, Entsetzen und Panik, bei ausbleibendem Interaktionsfeedback (vgl. auch Collins, 2005).4

Es gibt keine natürliche spontane sprachliche Äußerung, die nicht von Körperhaltungen, Gesichtsausdrücken und vor allem von Arm- und Handgestik begleitet wäre. Das Gesicht mit vielen Gesichtsmuskeln sorgt für eine hochdifferenzierte mimische Ausdrucksfähigkeit. Die Augen sind groß, offen und ermöglichen, wie sonst nirgends in der Natur, mit Blicken zu kommunizieren, die Blicke der Anderen wahrzunehmen, die Blickrichtung zu erkennen und ihr gegebenenfalls mit dem eigenen Blick zu folgen. Es ermöglicht den Blick »in die Seele« des Anderen, in seine Stimmungslagen, ja sogar in seine Aufrichtigkeit oder seine Täuschungsabsichten. Nicht zufällig sind soziale Emotionen wie Scham an bestimmte Kopfhaltung mit dem Senken des Blickes verbunden.

Blicken folgen zu können ist wesentlicher Bestandteil einer weiteren Besonderheit menschlicher Sozialkompetenzen, nämlich der Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu teilen bzw. sie gemeinsam auf einen Gegenstand zu richten (Tomasello, 2019). Die gesamte Körperhaltung, die Blickrichtung und die Art des Blickes (ob beispielsweise Neugier, Interesse, Langeweile, Freude oder Panik im Blick transportiert werden) und Zeigegesten sind allesamt Mittel der gemeinsamen Aufmerksamkeitserzeugung und -steuerung. Zugleich vermitteln besonders der Blick und der Gesichtsausdruck elementare affektive Bewertungen dessen, worauf die Aufmerksamkeit sich richten soll.

Menschliche Emotionen sind eben nicht primär gefühlte Bestandteile einer subjektiven »Innenwelt«, sondern bilden vor allem die Basis menschlicher Kommunikation. Gefühle im eigenen Gesicht ganz automatisch auszudrücken und in den Gesichtern Anderer »lesen« zu können, meist nicht ausdrücklich und bewusst, trägt die gesamte menschliche Intersubjektivität in der frühkindlichen Entwicklung, genauso wie alle späteren Formen menschlicher Vergemeinschaftung. Lachen ist ansteckend und hebt die Stimmung aller Beteiligten, neugierige Blicke zum Himmel verleiten die Umstehenden, ebenfalls nach oben zu schauen und eine neugierige Erwartungshaltung einzunehmen, der Ausdruck von Kummer und Leid verursacht tiefes Mitgefühl, Tränen bei den Anderen motivieren schon sehr kleine Kinder, tröstend beizustehen (Ekman, 2016).

Die sozialen Entwicklungsaufgaben bestehen also vor allem darin, auf der Grundlage angeborener Verhaltensdispositionen diese intersubjektiven Fähigkeiten weiter zu entwickeln und auf ihrer Grundlage immer kompetenter am Prozess alltäglicher Interaktion teilzunehmen. Kinder im Vorschulalter müssen in diesem Sinne immer kompetentere »Alltagspsychologen« und immer differenziertere »intersubjektive Subjekte« werden, erst das ermöglicht ihnen, sich als Personen, als reflektierte »Selbste« zu entwickeln, die den normativen Verhältnissen ihrer Lebenswelt nicht nur ausgesetzt sind, sondern diese auch aktiv mitgestalten können.

Kinder wachsen innerhalb einer dynamischen Interaktionsordnung auf, die Personen, andere Lebewesen, Dinge, Materialien, räumliche und zeitliche Strukturen usw. umfasst. Die oben beschriebene »Sprache« der Dinge ist nicht an den Gegenständen selbst ablesbar, die beschriebenen »Aufforderungsstrukturen« der Umwelt müssen auf der Grundlage der genannten Interaktionskompetenzen erst vermittelt werden. Die Umwelt wird notwendig gemeinsam erschlossen, die Verinnerlichung der sensomotorischen Infrastruktur des Alltagslebens läuft notwendigerweise über Bezugspersonen (Gibson & Pick, 2003).

Kinder müssen sich von Geburt an aktiv in diese komplexe Interaktionsordnung einfügen. Die hierbei zu erbringenden Entwicklungsleistungen sind immens. Neben dem oben beschriebenen Erlernen der Körperbeherrschung, der Körperkontrolle und des Entwickelns der grenzenlosen Bewegungsvielfalt muss die Umwelt mit Hilfe der Anderen aktiv erschlossen und emotional bewertet werden. Darauf gründet das den Menschen auszeichnende Weltverstehen, und die einzigartige, später völlig habitualisierte Interpretationsleistung der menschlichen Wahrnehmung. Erst dadurch wird die Welt zu dem vertrauten Ort, an dem sich ein gemeinsames Alltagsleben und kompetentes Handeln entfalten können.