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Er lebt im Schatten. Sie bringt das Licht – und das Verlangen. David war einmal ein gefeierter Schriftsteller. Doch irgendetwas hat ihn verstummen lassen. Seit Jahren lebt er zurückgezogen in einem abgelegenen Haus – allein mit seinen Gedanken, fernab von Menschen. Niemand darf ihn sehen. Niemand darf ihm zu nahekommen. Als Tabea einen Job als Haushälterin bei ihm anfängt, tut sie es unter seltsamen Bedingungen: Sie soll für ihn kochen, das Essen vor seiner Tür abstellen – und wieder verschwinden. David will keinen Kontakt haben, weder zu ihr noch zum Rest der Welt. Doch dann trifft sie ihn eines Nachts in der Küche. Ein einziger Blick reicht und die Flammen zwischen ihnen brennen sofort lichterloh. Ihre Leidenschaft entlädt sich in einer explosiven Begegnung, als hätten sie einander gesucht, ohne es zu wissen. Zwischen hitzigen Berührungen und dunklen Sehnsüchten wächst etwas, das keiner von beiden geplant hat. Aber was ist es wirklich – bloße Begierde? Eine gefährliche Obsession? Oder der Beginn von etwas Tieferem? Ein sinnlicher Liebesroman über die Macht körperlicher Nähe, die Narben der Vergangenheit – und die Frage, ob zwei Fremde sich wirklich berühren können, bevor sie sich kennen.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Midnight
Passion
Liebesroman
Er lebt im Schatten. Sie bringt das Licht – und das Verlangen.
David war einmal ein gefeierter Schriftsteller. Doch irgendetwas hat ihn verstummen lassen. Seit Jahren lebt er zurückgezogen in einem abgelegenen Haus – allein mit seinen Gedanken, fernab von Menschen. Niemand darf ihn sehen. Niemand darf ihm zu nahekommen.
Als Tabea einen Job als Haushälterin bei ihm anfängt, tut sie es unter seltsamen Bedingungen: Sie soll für ihn kochen, das Essen vor seiner Tür abstellen – und wieder verschwinden. David will keinen Kontakt haben, weder zu ihr noch zum Rest der Welt.
Doch dann trifft sie ihn eines Nachts in der Küche. Ein einziger Blick reicht und die Flammen zwischen ihnen brennen sofort lichterloh. Ihre Leidenschaft entlädt sich in einer explosiven Begegnung, als hätten sie einander gesucht, ohne es zu wissen. Zwischen hitzigen Berührungen und dunklen Sehnsüchten wächst etwas, das keiner von beiden geplant hat.
Aber was ist es wirklich – bloße Begierde? Eine gefährliche Obsession? Oder der Beginn von etwas Tieferem?
Ein sinnlicher Liebesroman über die Macht körperlicher Nähe, die Narben der Vergangenheit – und die Frage, ob zwei Fremde sich wirklich berühren können, bevor sie sich kennen.
Irgendwas stimmt nicht mit mir – oder mit der Welt. Ich sitze seit einer Stunde in meiner Küche und habe genau zwei Dinge erreicht: Mein Kaffee ist kalt und mein Selbstwertgefühl ist auf die Größe eines Müsliriegels geschrumpft.
Draußen schüttet es in Strömen. Das passt zu meiner Stimmung. Ich starre auf den Bildschirm meines Laptops, auf dem mir das Jobportal vorheuchelt, ich hätte unzählige Möglichkeiten. Und trotzdem klicke ich mich durch Anzeigen, die alle gleich klingen.
„Teamplayer gesucht“, „flexibel einsetzbar“, „belastbar“.
Was das in Wirklichkeit heißt, ist klar: „Mach alles, was wir wollen, für wenig Geld und beschwere dich nicht.“
Ich schließe ein Fenster nach dem anderen. Es gibt nichts, was mich anspricht. Nichts, was sich nach Zukunft anfühlt. Nach Leben. Nach mir.
Vor ein paar Monaten hatte ich noch einen halbwegs sicheren Job in einem Hotel, eine Beziehung und einen funktionierenden Alltag. Jetzt sitze ich in meiner Küche, trage um 13 Uhr noch meinen Schlafanzug und frage mich, ob das hier wirklich mein Leben ist oder nur eine besonders langweilige Zwischenphase.
Und dann – zwischen all den lauten, grellen Anzeigen – taucht sie auf.
Haushaltskraft für Privatanwesen gesucht
Für ein ruhiges, gut situiertes Privatanwesen in ländlicher Lage wird eine zuverlässige, vertrauenswürdige Person gesucht.
Aufgabenbereich: Einkauf und Haushaltsorganisation
Zubereitung einfacher, gesunder Mahlzeiten (vegetarisch)
Pflege der Wohnräume (Grundreinigung, Wäsche, Ordnung)
Koordination von Lieferungen, Handwerkern oder Dienstleistern nach Bedarf
Die Tätigkeit erfolgt diskret und eigenverantwortlich. Die bewohnende Person wünscht möglichst wenig direkten Kontakt; die Abläufe sollen im Hintergrund funktionieren.
Voraussetzungen:
selbstständige und strukturierte Arbeitsweise
Verschwiegenheit, Loyalität und ein unaufgeregtes Wesen
Führerschein
Geboten wird:
ein möbliertes Zimmer mit eigenem Bad
Nutzung der Küche und gemeinsamer Räume
im Rahmen der Tätigkeit
langfristige Anstellung und sehr gute Bezahlung
ein ruhiges, respektvolles Arbeitsumfeld
Bei Interesse senden Sie bitte eine kurze Vorstellung per E-Mail
Vertrauen ist uns wichtiger als Erfahrung.
Ich scrolle zurück und lese die Anzeige nochmal. Sie wirkt, als wäre sie aus Versehen hier gelandet. Keine Bilder, keine Buttons, keine Großbuchstaben. Nur dieser Text. Etwas an der Sprache lässt mich stocken. Es klingt altmodisch und irgendwie persönlich.
Vertrauen ist wichtiger als Erfahrung.
Was für ein Satz. Irgendwie naiv oder poetisch. Oder verzweifelt.
Ich öffne das Kontaktformular. Dort steht weder der Name eines Ansprechpartners noch eine Telefonnummer, sondern nur ein Feld für eine Nachricht.
Was schreibt man jemandem, der nicht gesehen werden will?
Sehr geehrter Inserent,
Ihre Anzeige ist mir sofort aufgefallen, weil sie nicht klingt wie all die anderen. Und das passt, denn ich bin auch nicht wie all die anderen.
Mein Name ist Tabea Lindner, ich bin 35, ausgebildete Köchin mit langjähriger Erfahrung im Hotelbetrieb. Ich habe in einem kleinen, anspruchsvollen Hotel gearbeitet, wo man nicht einfach nur Dienst nach Vorschrift macht, sondern improvisiert, mitdenkt und sich für alles zuständig fühlt – von der Frühstücks-Vorbereitung über den Einkauf bis hin zum spontanen Gespräch mit einem verzweifelten Gast mitten in der Nacht.
Ich kann organisieren, kochen, putzen und Kleinigkeiten reparieren. Ich mag Ordnung und ich kann mit Stille gut umgehen. Ich brauche keinen Trubel, aber einen Sinn in dem, was ich tue und einen Ort, an dem es nicht nur um Effizienz geht, sondern um etwas Zwischenmenschliches – auch, wenn man sich kaum begegnet.
Ich würde mich sehr freuen, wenn meine Zeilen Ihr Interesse wecken und wir uns kennenlernen könnten.
Herzliche Grüße
Tabea Lindner
Ich lehne mich zurück und klappe den Laptop zu. Ich weiß nicht, ob ich mir Hoffnungen machen soll oder nicht. Wahrscheinlich ist das irgendein esoterischer Sektentyp, der im Wald lebt und seinen Kühlschrank energetisch reinigen lässt.
Aber trotzdem… Irgendwas an dieser Anzeige fühlt sich anders an. Ich kann nicht sagen, was es ist. Vielleicht ist es die Sprache oder der Ton, der nicht allzu bemüht klingt. Vielleicht ist es der richtige Moment. Ich glaube daran, dass man genau dann etwas sieht, wenn man innerlich bereit ist, es zu versuchen.
Ich warte nicht auf ein Wunder, aber das hier fühlt sich nach langer Zeit an wie eine erste Bewegung nach vorn, und zwar in die richtige Richtung.
Ich denke in letzter Zeit oft darüber nach, wie schnell alles kippen kann. Wie man morgens aufsteht und glaubt, sein Leben halbwegs im Griff zu haben und am Abend plötzlich vor den Trümmern steht, ohne genau sagen zu können, an welchem Punkt alles aus dem Ruder lief.
Es hat damit angefangen, dass ich meinen Job verloren habe. Ich habe über sechs Jahre im selben Hotel gearbeitet. Es war ein kleines Haus mit einem guten Ruf und einem noch besseren Team. Ich war gelernte Köchin, aber bei uns war jeder für alles zuständig. Ich habe gekocht, den Einkauf erledigt, Buffets aufgebaut, manchmal auch Gäste betreut, wenn an der Rezeption Not am Mann war. Ich war jemand, auf den man sich verlassen konnte – das wurde mir oft gesagt.
Dann kam ein Eigentümer-Wechsel. Es gab eine neue Führung, neue Abläufe und es wurden neue Prioritäten gesetzt. Ich war nicht mehr Teil des Konzepts. Ohne Vorwarnung wurde meine Stelle gestrichen.
Wenig später ging auch meine Beziehung in die Brüche und damit fünf Jahre, in denen wir zusammen gelebt, Pläne geschmiedet und den Alltag geteilt haben. Eines Tages war Nico spurlos verschwunden. Natürlich dachte ich, ihm sei etwas passiert und schwebte tagelang in furchtbarer Angst – bis ich Stück für Stück herausfand, dass er seinen Weggang schon Wochen im Voraus geplant hatte. Er war nur zu feige gewesen, mir mitzuteilen, dass er sich neu verliebt hatte.
Seitdem ist viel Zeit vergangen – oder vielleicht auch gar nicht so viel. Ich habe aufgehört, die Tage zu zählen. Ich schlafe zu lange, trinke zu viel Kaffee und finde zu wenig Gründe, um das Haus zu verlassen. Ich habe mich halbherzig auf ein paar Jobs beworben, aber nichts hat sich richtig angefühlt. Bis ich diese Anzeige gesehen habe.
Ich weiß nicht, ob es das ist, was ich suche. Ich weiß nur, dass ich mich nach einem Neuanfang sehne. Und vielleicht auch nach einem Ort, der weit weg ist von der Stadt, in der ich lebe.
Ich gehe in die Küche und stelle die Kaffeetasse in die Spülmaschine. Dann bleibe ich stehen und sehe aus dem Fenster. Es regnet immer noch. Nur dieser gleichmäßige, tropfende Regen, der die Zeit dehnt und das Denken leiser macht.
Ich habe genug vom Rumhängen, Schlafen und Gammeln. Irgendwann will man wieder funktionieren. Irgendwann will man wieder entscheiden, wie die Tage aussehen und nicht nur herumsitzen, während andere sagen, dass alles seine Zeit braucht. Ich habe genug Zeit gehabt. Ich will endlich wieder ein Leben führen.
Ich trockne die Hände an einem Geschirrtuch ab, das ich eigentlich längst hätte waschen müssen und gehe zurück ins Wohnzimmer. Mein Blick fällt auf einen Rucksack in der Ecke. Er steht seit Wochen da. Ich habe ihn nur halb ausgepackt, nachdem ich zwei Wochen bei meiner besten Freundin Lilly gewohnt hatte, weil ich nach der Trennung nicht allein sein konnte. Er sieht nach Aufbruch aus und ist bereit für ein neues Abenteuer. Bin ich das auch?
Ich setze mich aufs Sofa und versuche, mich auf einen Film zu konzentrieren, aber ich nehme nichts davon auf. Meine Gedanken wandern immer wieder zurück zu dieser Anzeige.
Ich frage mich, wer hinter dieser E-Mail-Adresse steckt. Vielleicht ist es ein älterer Mensch, der nicht mehr allein zurechtkommt, aber sich schwer damit tut, Hilfe anzunehmen. Oder jemand, der nach einem Schicksalsschlag die Tür zur Welt geschlossen hat und versucht, in der Abgeschiedenheit irgendwie weiterzumachen. Jemand, der nicht gesehen werden will, weil er sich schämt, hilfsbedürftig geworden zu sein.
Vielleicht kann ich ihm den Alltag ein bisschen erleichtern. Ordnung schaffen, wenn er selbst keine Kraft mehr dazu hat, ihm etwas Warmes kochen und dafür sorgen, dass das Leben so halbwegs wieder funktioniert.
Ich habe in den letzten Wochen oft das Gefühl gehabt, nutzlos zu sein und nicht gebraucht zu werden. Ich wünsche mir sehnlichst, wieder eine Aufgabe zu haben und jemandem helfen zu können. Vielleicht ist das die richtige Gelegenheit.
Ich weiß nicht, was mich dort erwartet. Ich weiß nur, dass ich bereit bin, es herauszufinden.
Ich wache viel zu früh auf für jemanden, der die letzten Wochen so gut wie keinen festen Rhythmus hatte. Draußen ist es grau und trübe. Der Regen hat in der Nacht aufgehört, aber die Straße glänzt, als hätte jemand frisches Lacköl darauf gegossen.
Ich bleibe eine Weile im Bett liegen und döse vor mich hin. Das Handy liegt neben mir und schweigt. Keine Nachrichten. Keine verpassten Anrufe. Nichts, was mich drängt oder ruft. Nur das leise Surren des Kühlschranks in der Küche.
Als ich schließlich aufstehe und mir einen Kaffee mache, denke ich nicht an die Bewerbung. Ich tue einfach das, was ich morgens immer tue: Maschine anschalten, Tasse aus dem Regal nehmen, Wasser einfüllen, Toasts in den Toaster stecken.
Routinen geben einem Halt, sagt man. Aber für mich fühlt sich der immer gleiche Ablauf eher wie Leere und Stillstand an.
Ich nehme mein Frühstück mit ins Wohnzimmer und schalte den Laptop ein. Und tatsächlich, da ist die Antwort auf meine Bewerbung! Mein Herz fängt aufgeregt an zu klopfen. Vielleicht beginnt jetzt mein neues Leben!
Sehr geehrte Frau Lindner,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Ihre Bewerbung hat bei mir einen positiven Eindruck hinterlassen. Ihre berufliche Erfahrung und Ihre Haltung entsprechen genau dem, was wir suchen.
Die Stelle erfordert ein hohes Maß an Eigenverantwortung, Umsicht, Diskretion und Verschwiegenheit. Ihrem Schreiben nach bringen Sie all das mit.
Wenn Ihr Interesse weiterhin besteht, lade ich Sie herzlich ein, das Anwesen kennenzulernen. Es liegt im südlichen Umland, etwas abgeschieden, aber gut erreichbar. Ich würde Sie dort empfangen, Ihnen die Räumlichkeiten zeigen und alles Weitere erläutern.
Bitte lassen Sie mich wissen, ob Ihnen ein Termin in den kommenden Tagen möglich ist. Sie erreichen mich unter dieser E-Mail-Adresse.
Mit freundlichen Grüßen
Clara Sternberg
Mein ganzer Körper kribbelt. Sie laden mich tatsächlich ein und wollen mich kennenlernen! Ich habe es geschafft!
Ich springe vom Stuhl auf, laufe einmal im Kreis durchs Zimmer und stoße einen Freudenschrei aus. Mein Herz hämmert. Ich spüre es in den Fingerspitzen, in den Wangen, in den Fußsohlen. Ich will schreien, lachen, irgendwen umarmen – irgendetwas tun, um diesem Gefühl Raum zu geben.
Die Worte stehen schwarz auf weiß in der E-Mail und wirken wie eine warme Hand auf meinem Rücken. Ich lese sie noch einmal. Ich muss sicher sein, dass ich mich nicht verlesen habe.
Ich wusste nicht, wie sehr ich mir das gewünscht habe, bis es wirklich passiert ist.
So viele Bewerbungen, so viele Absagen, so viele Formulierungen wie „Wir haben uns für eine andere Person entschieden“. Ich hatte so oft das Gefühl, einfach nicht gewollt zu werden.
Und jetzt gibt mir endlich jemand eine Chance und will wissen, wer ich bin. Es ist, als würde jemand sagen: Wir trauen dir das zu.
Ich spüre, wie mir vor Erleichterung Tränen in die Augen steigen. Vor dieser kleinen, stillen Hoffnung, die sich seit Wochen versteckt hat und sich jetzt zum ersten Mal wieder traut, den Kopf zu heben.
Ich atme tief durch, setze mich wieder hin und starre auf den Bildschirm. Mein Blick bleibt an der Adresse hängen. Es ist ein Ort, von dem ich noch nie etwas gehört habe. Wahrscheinlich ein Kaff irgendwo im Niemandsland.
Aber für mich ist es mehr als das. Es ist vielleicht der erste Schritt raus aus diesem merkwürdigen Schwebezustand, in dem ich seit Wochen festhänge.
Euphorisch wähle ich die Nummer meiner besten Freundin Lilly.
„Süße, es geht bergauf“, schreie ich anstelle einer Begrüßung. „Kannst du es glauben? Endlich habe ich ein Vorstellungsgespräch.“
„Das ist ja super“, freut sich Lilly. „Erzähl.“
Ich lese Lilly die Anzeige und die Mail vor und sprudele förmlich über vor lauter Begeisterung. Lilly Reaktion ist allerdings ziemlich verhalten.
„Das klingt eher nach der Einleitung zu einer True-Crime-Doku“, macht sie mir nicht gerade Mut.
Ich lache. „Quatsch. Es ist eine seriöse Anzeige.“
„Woher willst du das wissen?“, entgegnet Lilly. „Stand das dort? Kein Axtmörder?“
„Du übertreibst.“
„Finde ich nicht.“
„Vielleicht ist es einfach jemand, der alt ist und seine Ruhe haben will.“
„Oder jemand, der Frauen im Keller einsperrt. Pass bloß auf, bevor du dort einziehst. Hast du die Adresse gegoogelt?“
„Natürlich. Und auch die Frau, die mir geschrieben hat. Sie heißt Clara Sternberg. Das klingt doch seriös, oder?“
„Naja, ich weiß nicht. Es klingt eher wie eine Romanfigur aus dem 19. Jahrhundert.“
„Dann passt es ja. Ich stehe auf alte Geschichten.“
Lilly seufzt auf. „Das ist nicht witzig. Du fährst zu fremden Leuten irgendwo aufs Land, ohne zu wissen, wer dich da erwartet.“
„Aber das ist bei einem Vorstellungsgespräch doch immer so.“
„Ja, sicher. Aber normalerweise wohnst du nicht bei deinem Arbeitgeber. Und außerdem siehst du ihn ab und zu. Findest du das nicht ziemlich schräg, dass die sogenannte ‚bewohnende Person‘ möglichst wenig Kontakt zu dir haben will?“
Ich schüttele den Kopf, obwohl Lilly das natürlich nicht sehen kann.
„Nein, finde ich nicht. Es ist doch normal, dass man als Hausherr nicht viel mit dem Personal zu tun haben will. Der Typ möchte eben seine Ruhe haben. Ich finde das sehr verständlich. Er lebt in seinem Haus und will sich um nichts kümmern. Das haben reiche Leute nun mal so an sich.“
Ich merke, dass ich Lilly nach wie vor nicht überzeugen kann.
„Ich meine ja nur“, sagt sie schließlich. „Du bist gerade so verletzlich. Was, wenn du dich da in was reinsteigerst, das einfach nur gut klingt, aber in Wirklichkeit völlig schräg ist?“
„Lilly, ich steigere mich in gar nichts rein. Ich habe nur mal wieder das Gefühl, dass etwas Neues möglich ist, das mir guttun könnte. Weißt du, wie lange das her ist?“
„Natürlich weiß ich das. Ich war schließlich die letzten Monate live dabei, falls du dich erinnerst.“
„Eben. Und genau deshalb: Ich gehe da nicht hin, um mein Leben blind in fremde Hände zu legen. Ich fahre hin, schaue mir das Haus an, rede mit dieser Clara – und erst dann entscheide ich mich. Ich bin ja nicht blöd.“
„Blöd nicht“, murmelt Lilly. „Aber manchmal ein bisschen zu gutgläubig.“
Ich atme tief durch.
„Lilly, ich weiß, dass du mich nur schützen willst. Und ich bin dir wirklich dankbar, dass du mich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück holst. Aber jetzt brauche ich mal ein kleines Stück Luft unter den Füßen, okay?“
Sie seufzt abgrundtief.
„Du klingst anders“, sagt sie dann.
„Anders als was?“
„Keine Ahnung. Wacher. Vielleicht sogar ein bisschen wie früher.“
Ich lächele. Ihre Worte treffen mich auf eine gute Art.
„Dann ist es vielleicht genau das Richtige.“
„Vielleicht. Aber nur, wenn du mir versprichst, dass du dort auf dich achtest. Und zwar wirklich. Kein ‚Ich will niemanden enttäuschen‘ und kein ‚Ich ziehe das jetzt einfach durch‘, wenn du merkst, dass irgendwas nicht stimmt.“
„Versprochen.“
„Und du meldest dich, sobald du den Termin hast?“
„Natürlich.“
„Und du schreibst mir sofort, wenn du dort warst. Oder wenn du dir unsicher bist. Oder einfach, wenn du reden willst.“
„Ja, klar.“ Ich lache. „Ich rufe dich sogar an, wenn ich mir einen Tee mache, nur damit du es mitkriegst.“
„Gut. Dann bin ich jetzt beruhigt. Wenigstens ein bisschen. Was soll ich sonst tun? Du bist meine beste Freundin. Ich muss dich nicht verstehen – ich muss nur wissen, wann ich mit dem Baseballschläger kommen soll.“
„Ich hoffe, das wird nicht nötig sein.“
„Ich auch. Aber ich habe ihn griffbereit.“
Wir lachen. Und zum ersten Mal seit Langem fühlt sich mein Lachen nicht so an, als müsste ich es festhalten, bevor es wieder verschwindet.
Nachdem ich aufgelegt habe, sitze ich noch eine Weile einfach so da. Die Kaffeetasse ist längst leer, aber ich halte sie trotzdem fest, als müsste ich irgendetwas in der Hand behalten.
Ich weiß, dass Lilly es gut meint. Sie hat nicht Unrecht. Natürlich ist es komisch, in ein abgelegenes Haus zu fahren, wo man die bewohnende Person möglichst nicht zu Gesicht bekommt. Natürlich klingt das nicht nach einem klassischen Jobangebot.
Aber es klingt auch nicht falsch.
Ich will nicht ewig in dieser Zwischenwelt bleiben, in der jeder Tag sich anfühlt wie ein Sonntag ohne Plan. Ich will nicht weiter warten, dass irgendwas passiert. Ich will etwas tun. Selbst wenn es nur bedeutet, ein Haus zu putzen, Wäsche zu waschen und jemandem ein warmes Essen vor die Tür zu stellen. Ich will einfach irgendwo sein, wo ich gebraucht werde und wo mein Dasein einen Unterschied macht.
Ich stehe auf, gehe zum Fenster und lehne die Stirn gegen die kühle Scheibe. Draußen zieht Nebel durch die Straße, als hätte der Tag selbst noch keine klare Form angenommen.
Vielleicht muss auch nicht alles gleich Form haben. Vielleicht reicht es, wenn sich etwas einfach in Bewegung setzt. Auch wenn man noch nicht weiß, wohin das Ganze führen wird.
Ich werde auf diese Einladung antworten und mir das Ganze einfach mal anschauen. Dabei kann ich nichts falsch machen. Und dann werde ich das tun, was mir mein Bauchgefühl sagt.
Die Straße wird schmaler, je weiter ich fahre. Erst waren es zwei Spuren, jetzt ist es nur noch ein grauer Asphaltstreifen ohne Markierung, der sich zwischen den Feldern hindurch schlängelt. Der Belag ist uneben und an den Rändern bröckelt er ab, als hätte sich seit Jahren niemand mehr darum gekümmert. Wenn mir ein Auto entgegenkäme, müsste ich abbremsen und ausweichen, aber es kommt keins.
Links und rechts breitet sich eine endlose, fast monotone Weite aus. Hier und da stehen ein paar Pappeln, eine einsame Eiche und ein rostiger Zaun, der sich halb verloren durch das Feld zieht, ohne dass man erkennt, was er einmal eingrenzen sollte. Alles wirkt verlassen, aber nicht verwahrlost. Es ist so still, dass mir das eigene Motorengeräusch plötzlich zu laut vorkommt.
Ich öffne das Fenster. Warme Luft weht hinein und es riecht nach Erde, Gras, Frühling und einem Leben, das nicht nur auf Bildschirmen stattfindet.
Ich fahre an einem Ortsschild vorbei und sehe zwei Häuser, drei Höfe und ein Bus-Wartehäuschen mit zerkratzten Scheiben. Dann gibt es wieder nur Felder. Es ist kein Mensch zu sehen und es gibt keinen Gegenverkehr. Man hört nur das Surren der Reifen und hin und wieder das Kreischen eines Vogels in der Ferne.
Je länger ich fahre, desto mehr verändert sich etwas in mir. Es ist wie ein Geräusch, das langsam in den Hintergrund tritt. Ich denke nicht mehr viel nach und werde merklich ruhiger.
Nach einer Weile erscheint ein Schild am Straßenrand, das von Gestrüpp halb überwachsen ist.
Privatweg – Zufahrt nur für Anlieger.
Ich bremse, blinke und folge dem schmalen Weg, der fast wie vergessen wirkt.
Der Asphalt verschwindet, stattdessen knirscht Kies unter den Reifen. Bäume tauchen auf und werfen lange Schatten über den Weg. Es wird dunkler und kühler. Die Felder bleiben zurück, und die Landschaft verändert sich leise und fast unmerklich, als hätte ich eine Grenze überquert, ohne es zu merken. Ich fahre langsam weiter.
Die Bäume geben den Blick erst spät frei. Der Weg macht eine letzte Kurve, dann öffnet sich vor mir eine kleine Lichtung – und da steht es. Das Haus. Kein Schild. Kein Name. Kein Hinweis darauf, wer hier wohnt.
Es ist größer, als ich erwartet habe, aber nicht imposant. Die Fassade ist hell verputzt und stellenweise abgeplatzt. Über einem der Fenster rankt wilder Efeu bis unter die Dachrinne. Ein Fensterladen hängt schief, der Lack ist abgeblättert, das Holz grau.
Es sieht nicht verlassen aus, nur still, als wäre hier niemand gegangen, aber auch lange niemand gekommen.
Ich halte den Wagen an und bleibe sitzen. Der Motor verstummt, die Geräusche der Natur rücken näher. Irgendwo im Gebüsch raschelt es, ein Vogel ruft, dann ist wieder Ruhe.
Vor dem Haus führt eine schmale Treppe aus Naturstein zur Tür. Der Weg dorthin ist kein klarer Pfad, sondern von Gras umwachsen, aber noch erkennbar. Rechts vom Haus stehen ein paar hohe Sträucher, dahinter beginnt sofort der Wald. Links erstreckt sich ein offenes Stück Wiese, das von wildem Thymian durchzogen ist, der einen würzigen Duft in die Luft schickt.
Der Garten wirkt, als hätte ihn niemand gestaltet, aber auch niemand gestört. Alles darf hier einfach sein. Er ist nicht besonders gut gepflegt, aber auch nicht verwildert.
Ich beobachte, wie der Wind die Zweige streift und dabei flüchtige Muster auf den Putz malt.
Es ist kein Fenster geöffnet und ich sehe auch keine Bewegung hinter den Scheiben. Aber ich habe nicht das Gefühl, allein zu sein.
Ich warte noch einen Moment, bevor ich die Tür öffne und aussteige. Es ist absolut ruhig hier. Nur hin und wieder raschelt etwas in den Bäumen, als wolle sich die Landschaft kurz in Erinnerung bringen. Ich schließe die Tür und gehe langsam auf das Haus zu. Unter meinen Schritten knirscht der Kies. Je näher ich komme, desto deutlicher erkenne ich die Spuren der Zeit an der Fassade.
Das Haus ist alt, aber nicht verfallen. Der Putz ist an einigen Stellen abgesplittert, das Dach leicht bemoost. Trotzdem wirkt es nicht verlassen, sondern als hätte es sich in sich selbst zurückgezogen, so wie der Mensch, der hier lebt.
Ich bleibe vor der Haustür stehen. Sie ist aus dunklem Holz und hat einen matten Messinggriff. Eine Klingel ist in die Wand eingelassen. Ich drücke sie, und ein leiser, tiefer Ton erklingt – kein schrilles Geräusch, sondern eher ein Gong.
Kurz darauf höre ich Schritte. Die Tür öffnet sich und eine Frau steht vor mir. Sie ist etwa in meinem Alter, vielleicht etwas älter. Ihre Haltung ist aufrecht, aber nicht steif. Ihr Blick ist direkt, aufmerksam, freundlich. Sie trägt eine helle Bluse mit hochgekrempelten Ärmeln und eine schlichte Stoffhose. Ihr Gesicht ist ungeschminkt und ihre blonden Haare hat sie locker zusammen gebunden. Sie ist mir auf den ersten Blick sympathisch.
„Frau Lindner?“, fragt sie mit ruhiger Stimme.
Ich nicke. „Ja, die bin ich. Guten Tag.“
Sie lächelt. „Ich bin Clara Sternberg. Schön, dass Sie da sind. Ich hoffe, die Fahrt war angenehm?“
„Sehr ruhig“, antworte ich. „Und schön.“
Clara tritt zur Seite und öffnet die Tür ein wenig weiter.
„Kommen Sie gern rein. Ich zeige Ihnen alles und dann können wir uns unterhalten.“
Ich trete ein. Der Flur ist hell und schlicht eingerichtet. Es riecht nach Holz und Lavendel.
Clara schließt die Tür leise hinter mir. Ihre Bewegungen sind ruhig und kontrolliert, so, als wäre Lärm hier grundsätzlich unerwünscht, nicht nur im Moment.
„Ich denke, es ist gut, wenn Sie sich zuerst einen Eindruck verschaffen. Danach sehen wir weiter“, sagt sie, während sie vorangeht.
Ich nicke und folge ihr durch den Flur. Die Dielen sind alt, aber fest. Sie knarren nicht, sie geben nur ein leichtes, gedämpftes Geräusch von sich, wie ein leises Echo aus einer anderen Zeit.
Links und rechts gehen Türen ab, doch Clara führt mich zuerst geradeaus in einen Raum, der sich sofort heller anfühlt. In der Mitte steht ein großer Holztisch, an dem vier Stühle stehen. Kein Dekor, keine Tischdecke, nichts Überflüssiges. Nur ein Glas mit getrocknetem Lavendel auf der Fensterbank, das einen feinen, unaufdringlichen Duft verströmt.
„Das ist die Wohnküche“, sagt Clara. „Hier können Sie kochen, essen, sitzen – was immer Sie tun möchten.“
Ich nicke. Der Raum wirkt gemütlich und strahlt viel Ruhe aus. Das Fenster zeigt in den Garten, oder besser: in ein Stück Wildnis, das einmal ein Garten gewesen sein könnte. Ich sehe hohes Gras, ein paar überwucherte Beete, eine alte Holzgarnitur, auf der Moos wächst. Wir gehen weiter.
„Die Waschküche ist hinten links, gleich neben dem Eingang“, erklärt Clara. „Das Zimmer, das für Sie vorgesehen ist, liegt ebenfalls hier im Erdgeschoss.“
Sie öffnet eine Tür. Das Zimmer ist schlicht, aber freundlich. An einer Wand stehen ein Bett und ein schmaler Kleiderschrank und ein Schreibtisch direkt am Fenster. Die Vorhänge sind hell und das Fenster zeigt in Richtung der Bäume. Ich sehe einen schmalen Pfad, der offenbar weiter in den Wald führt.
„Das wäre Ihr Zimmer, falls Sie sich für die Stelle entscheiden“, verkündet Clara. „Das Bad ist gleich gegenüber. Sie hätten es allein zur Verfügung.“
Ich trete einen Schritt in den Raum und sehe mich um. Es ist alles da, was man braucht und es gefällt mir. Ich brauche keinen großen Luxus. Viel schöner finde ich, dass man inmitten der Natur ist und lange Spaziergänge unternehmen kann.
Das Fenster ist offen und die Luft riecht nach feuchtem Gras und Wald. Irgendwo in der Ferne höre ich das Rauschen eines Bachs. Mein Blick fällt auf weite Felder und ein paar Bäume. Es gibt keine Nachbarn und keine richtige Straße, nur Raum und Stille. Ich stelle mir vor, wie es sein würde, hier jeden Morgen aufzuwachen. Es ist kein schlechtes Gefühl.
Wenige Minuten später sitzen wir am Küchentisch. Clara hat sich ein Glas Wasser eingeschenkt und mir einen Cappuccino zubereitet. Sie wirkt nicht abweisend, aber auch nicht bemüht, besonders freundlich zu sein. Ihre Art ist sachlich und aufgeräumt, aber nicht kühl. Sie wirkt wie jemand, der gelernt hat, Dinge nicht komplizierter zu machen als nötig.
„Ich versuche, Ihnen ein klares Bild zu geben“, beginnt sie. „Die Stelle ist etwas ungewöhnlich, das wissen Sie ja bereits aus der Anzeige.“
Ich nicke.
„Mein Bruder David lebt in diesem Haus. Er ist derjenige, für den die Stelle gedacht ist. Ich selbst wohne hundert Kilometer entfernt und werde nicht oft da sein. Ich komme nur vorbei, wenn es wirklich nötig ist. Mein Bruder bevorzugt es, allein zu sein. Er ist Schriftsteller und arbeitet an einem neuen Buch. Seit einiger Zeit lebt er sehr zurückgezogen. Er braucht absolute Ruhe. Das ist kein Spleen und auch kein Tick. Es ist die einzige Bedingung, unter der er überhaupt arbeiten kann.“
Ich sage nichts, weil ich spüre, dass sie die Dinge nicht größer machen will, als sie sind. Sie spricht mit einer Nüchternheit, die mir gefällt.
Clara legt die Hände auf den Tisch und verschränkt sie locker ineinander.