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Ein neuer Kommissar, mit einer nicht sehr rühmlichen Vergangenheit, bekommt seinen ersten Fall. Mit seiner Kollegin begibt er sich auf die Spurensuche, bei der ihm ständig sein altes Leben dazwischen kommt und die Fahndung nach dem wahren Täter behindert. Ein Berliner Kleinkrimineller gerät in Mikes Revier. Eher durch einen Zufall erbeutet Sascha etwas, das für jemand anderes bestimmt war, dabei lernt er die junge und naive Lisa kennen. Sie ist die Sekretärin von Human Life. Eine Hilfsorganisation, bei der nicht alles mit rechten Dingen zugeht, erregt die Aufmerksamkeit von Sascha. Er verliebt sich in Lisa und hilft ihr bei einer sehr gefährlichen Mission.
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Seitenzahl: 273
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Danke Petra
Sascha
Der neue Kommissar
Lisa
Saschas Job
Königs Wusterhausen
Mike findet Geld
Strausberg
Marsa Matruh
Mike gibt nicht auf
Gute Nachrichten
Abreise
Saschas Flucht
Ägypten
Schönefeld - Flughafenpolizei
Airport Masa Matruh
Mikes Einsicht
Kommissariat Königs Wusterhausen
Nachtflug aus Ägypten
Vier Monate später
Sascha Biermann beendet sein Training in einem kleinen Fitnessstudio, mitten in seinem Kietz. Die junge sportliche Frau hinter dem Tresen spricht ihn an: „Hey, Sascha, Dein Mitgliedsbeitrag fehlt mir noch!“
„Ach ja, Mist, ich habe heute kein Geld dabei, aber beim nächsten Mal bringe ich es bestimmt mit. Ist versprochen, Jacky!“, vertröstet sie Sascha.
„Lass es doch vom Konto abbuchen, dann muss ich Dir nicht ständig hinterherbetteln! Außerdem geht dann alles automatisch!“, sagt Jaqueline, die attraktive Betreiberin.
Sascha geht etwas dichter an Jaqueline heran. „Ach Jacky, Du kriegst doch immer Dein Geld.“
„Jaja, aber ich brauche es pünktlich.“, sagt Jaqueline.
„Das nächste Mal habe ich es dabei und ich lade Dich auch auf einen Drink ein!“, verspricht Sascha.
„Wehe, wenn nicht!“ Jaqueline denkt an das letzte Mal, als Sascha sie eingeladen hat. Sie hat ihren Laden gerade aufgemacht, da stand er mit zwei Kaffeebechern da und hat seine Schulden bezahlt, dann hat er sie verführt. Auf der Hantelbank hat er sie genommen, Jaqueline kam, als der nächste Gast das kleine Fitnessstudio betrat. „Was für ein Timing!“, hat Jaqueline gesagt, als sie schnell ihre Sporthose anzog und zum Eingang eilte.
Sascha duscht und zieht sich dann wieder an. Er achtet sehr auf sein Äußeres, schließlich macht es sich bezahlt, stets elegant zu wirken. Vor vier Jahren ist er in eine Boutique eingebrochen und hat, neben dem Bargeld, auch jede Menge Klamotten mitgenommen. Drei Anzüge, feinste Pullover, ja sogar Unterwäsche mit den entsprechenden Markenlogos am Bund hat er mitgehen lassen und all das nur für seinen Eigenbedarf.
Die letzte Nacht hat Sascha mit Nadine verbracht. Er hat sie am Abend in einer Berliner Bar kennengelernt. Nadine hat sich bei einem Drink die Zeit vertrieben und Sascha hat sie angesprochen. Sie hat ihm ihre ganze Lebensgeschichte erzählt, doch leider gehört Nadine zu den Frauen, die nur mit Karte zahlen. Seine ganze Arbeit war umsonst, weil sie nur ein paar Münzen dabei hatte. Sascha ist sehr geschickt. Noch bevor er eine Frau auszieht, hat er auch schon ihr Bargeld, ohne dass sie was davon merkt. Darf er sie nach Hause oder ins Hotel begleiten, dann findet Sascha auch das beste Versteck. Es passiert Sascha immer öfter, dass diese Business-Frauen gänzlich auf Bargeld verzichten. Wozu auch, denn überall kann man heutzutage mit Karte zahlen. Scheiß Giro-Karten, denkt sich Sascha, er braucht dringend wieder Geld, denn auch seine Vermieterin hat ihn schon zweimal angesprochen, weil sie seine Miete noch nicht hat.
Ein Job war für Sascha nie eine Option. Nach seiner Schulzeit ging er in die Lehre. Neben ihm gab es noch zwei alte Gesellen in der Autowerkstatt und dann war da noch die Frau vom Meister. Im zweiten Lehrjahr hat sich Sascha das erste Mal an sie herangemacht. Obwohl sie nicht sein Typ war, hat Sascha ihr schöne Augen gemacht. Für Sascha war diese Affäre lediglich ein notwendiges Übel, doch es hat sich gelohnt, denn sie hat ihm dafür stets in Schutz genommen. Von da an wusste Sascha, dass man auch ohne harte Arbeit gut leben kann. Dank der Frau vom Meister hat Sascha nun einen Gesellenbrief in der Tasche. Noch ganze drei Monate hat er in der kleinen Autowerkstatt gearbeitet. In dieser Zeit hat er sich nach seiner ersten eigenen Wohnung umgesehen, aber der Berliner Wohnungsmarkt ist nicht besonders mieterfreundlich. Sascha wollte nicht den halben Monat nur für seine Miete arbeiten. Doch in die billigeren Plattenbausiedlungen am Stadtrand wollte er auch nicht ziehen, schließlich liebt er seinen Kiez am Berliner Ostkreuz.
Eine gute Freundin hat ihn damals gefragt, ob er ihr nicht bei einem Umzug helfen könne und Sascha hat ihr selbstverständlich geholfen. Seine Bekannte hatte nicht viele Möbel und freundlicherweise machte ihr die Vermieterin ein Angebot: „Schauen Sie sich doch im Abstellraum um! Da habe ich noch ein paar Möbel herumstehen!“
Sascha ging mit hinunter in die kleine Erdgeschoßwohnung. Die Freundin suchte sich einige Möbel aus und Sascha schaute sich bei der Gelegenheit auch etwas um. „Warum vermieten Sie diese Wohnung nicht?“, fragte er die ältere Frau und Hauseigentümerin.
„Ach, die will doch keiner! Die Wohnung liegt fast einen halben Meter unter der Straße, jeder kann Dir hier ins Fenster gucken. Wer will das schon?“, sagte sie damals.
„Sonst funktioniert alles?“, überlegte Sascha laut.
„Ja! Es gibt ein Bad, eine große Küche nach hinten raus und diesen Wohnraum hier!“ Sie wies auf beide Türen.
Sascha schaute in die große Küche und ins Bad. „Was wollen Sie denn für die Wohnung?“ Für Sascha war diese Wohnung völlig ausreichend.
„Ich vermiete sie nicht.“ Nun musterte die erfahrene Frau Sascha genau. Er ist adrett gekleidet, selbst heute, wo er beim Einzug der jungen Frau hilft. Ja, er macht einen gepflegten Eindruck und ist stets höflich. „Wollen Sie hier wirklich einziehen?“, hat sie nachdenklich gefragt.
„Ja. Ich bin hier groß geworden und all die anderen Wohnungen sind mir einfach zu teuer!“, hat Sascha gesagt und ihr gleich ein Angebot gemacht: „Ich nehme sie, so wie sie ist! Was halten Sie von achtzig Euro?“ Das war an diesem Tag Saschas erste Frechheit. Entrüstet über dieses dreiste Angebot, wollte sie eigentlich ablehnen, aber es war besser, als die Wohnung leer stehen zu lassen. Sein nettes Lächeln hat sie dann doch überzeugt. So wohnt nun Sascha schon seit zehn Jahren in dieser kleinen Wohnung. Eine feste Freundin oder gar eine Ehefrau will er nicht. Sascha hat viele Affären. Aber nur, wenn sie sich für ihn auch lohnen, investiert er mehr Zeit in eine Beziehung. Frauen sind für Sascha lediglich wandelnde Geldbörsen.
Nach dem Besuch des Fitnessstudios geht Sascha nach Hause und durchsucht nun all seine Verstecke, doch Sascha ist abgebrannt. Keinen Cent findet er. Sein letztes Versteck ist unter dem Fensterbrett, wo er die Geldscheine eindreht und in die Ritze steckt. Nur drei Zwanziger findet er, doch das reicht nicht mal für die Miete und ins Fitnessstudio will er das Geld auch nicht bringen, bevor wieder neues da ist.
Als Sascha unter dem Fensterbrett sitzt, hört er Stimmen von draußen: „Hier ist der Schlüssel fürs Schließfach. Der Typ stellt heute Nacht den Aktenkoffer da rein und Du bringst ihn dann zu Klaus!“
„Warum ausgerechnet Königs Wusterhausen? Warum kann er den Koffer nicht irgendwo in Berlin einschließen? Hier gibt es doch genug Schließfächer!“, motzt die andere Stimme. Sascha lauscht dem Gespräch weiter.
„Warum, warum. Es ist einfach so! Versau das nicht, der Koffer ist zwanzigtausend wert!“ Das reicht Sascha, er rennt aus der Wohnung, öffnet die Haustür und schlendert an seinem Fenster vorbei, dabei sieht er sich die beiden Typen genau an. Den Lakaien erkennt Sascha sofort und dann geht er in den nächsten Hauseingang. Von hier aus kommt er über den Hof wieder zu seinem Haus und geht gleich wieder ans Fenster, um die beiden weiter zu belauschen: „Also, ich nehme dann morgen früh die erste S-Bahn nach KW? Scheiße, das ist ja mitten in der Nacht!“
„Vergeig es bloß nicht!“, schnauzt der vermeintliche Boss. Damit gehen die beiden wieder und Sascha hört nur noch den Straßenlärm. Was mag wohl in diesem Koffer sein? Bargeld wohl eher nicht, aber wenn es zwanzigtausend wert ist, wird Sascha bestimmt zehntausend daraus machen können. Damit hätte er wieder für eine Weile Ruhe und könnte sein Leben genießen. Er denkt sich, wenn der Typ die erste S-Bahn nehmen soll, werd ich mit der letzten fahren und versuchen, irgendwie an den Koffer heranzukommen. Es wird sich schon eine Gelegenheit finden.
Spät am Abend sucht sich Sascha etwas Werkzeug zusammen und macht sich nach Mitternacht auf den Weg zum Bahnhof. Bis tief in die Nacht hinein ist auf dem Bahnhof Ostkreuz immer etwas los, doch jetzt, viertel nach eins, sieht er nur einen Junkie und zwei Penner, die aber auch schon schlafen. Sascha steigt in die letzte S-Bahn nach Königs Wusterhausen. Er steigt ganz vorn ein und setzt sich. Als die S-Bahn in Grünau wieder losfährt, ist das Abteil menschenleer. Sascha geht durch die beiden Waggons, steigt in Eichwalde aus und gleich wieder in den nächsten Waggon ein. Bis Zeuthen durchläuft er auch diesen Doppelwaggon. Hier ist er nicht allein, so wie in den ersten beiden. Gleich vorn schläft ein alter Mann, der kein Gepäck dabei hat, dann sitzt da noch ein junges Paar. Der Junge neckt und streichelt das Mädchen und wird wohl kaum noch warten können, um mit ihr in die Kiste zu steigen. Das Mädchen kichert verlegen, was sie sehr niedlich aussehen lässt. Wart nur ab, mein Freund, wenn Du sie geheiratet hast, ist sie nicht mehr so niedlich, sagt Sascha still zu seinem Geschlechtsgenossen. Er setzt sich dann ans Ende der S-Bahn, wo er den ganzen Waggon im Blick hat. In Wildau steigen zwei Bahnpolizisten und ein Mann um die vierzig ein, er trägt eine Jeans und ein dunkelblaues Hemd. Der Mann schaut sich kurz um und setzt sich. Seinen braunen Aktenkoffer legt er sich nicht auf den Schoß, nein, er stellt ihn unter die Bank, versteckt ihn, hinter seinen Füßen. Ob er das ist? Er könnte aber auch ein Professor sein, der bis spät in die Nacht hinein an irgendeinem Projekt geforscht hat und nun gleich zu Hause ist. Sascha hat nicht viel Zeit zum Überlegen. Der nächste Bahnhof ist die Endstation in Königs Wusterhausen, hier steigen alle aus und dieser Typ ist der einzige mit einem Aktenkoffer in der Hand. Sascha bleibt an ihm dran, mit gebührendem Abstand behält er ihn im Blick. Dummerweise steigen auch die zwei Bahnpolizisten aus und gehen zwischen diesem Typ mit dem Koffer und ihm zum Bahnhofsgebäude. Der Koffermann verschwindet hinter einer Ecke und die Bahn-Streife schaut sich im Bahnhofsgebäude um. Sie rütteln an den großen Rollgittern vor den Geschäften und suchen nach Auffälligkeiten. Es ist ihre letzte Tat, bevor sie in den wohlverdienten Feierabend gehen.
Sascha studiert den Fahrplan, schaut, wann die erste S-Bahn aus Berlin kommt. Natürlich hat er dabei stets den Ausgang im Blick. Erst gehen die beiden Bahnpolizisten und dann folgt auch gleich der Koffertyp, doch ohne Koffer. Mist, in welches Fach hat er ihn gestellt? Sascha ist allein im Bahnhofsgebäude und auch er verlässt es, denn er hat hier bereits mehrere Kameras entdeckt. Draußen zieht sich Sascha seine rote Jacke aus, dreht sie auf links und zieht sie wieder an, denn das Innenfutter ist Schwarz. Mit aufgesetzter Kapuze geht er schnurstracks zu den Schließfächern, hebelt das erste auf, dann das zweite und dann das dritte. In der zweiten Reihe macht er weiter und im zweiten Fach steht dann der Koffer. Sascha geht mit dem Koffer hinaus und wendet, ein Stück hinter dem Bahnhof, seine Jacke wieder zurück. Durch den Tunnel, am Kreisverkehr, geht er auf die andere Seite des Bahnhofs, Sascha entdeckt einen alten Kiosk, auf einem leeren Parkplatz und wartet dort ab, bis der erste Zug nach Berlin fährt. Den braunen Aktenkoffer tastet Sascha nicht an. Er lässt ihn zu, denn er weiß nicht, was sich darin befindet. Die Nacht ist lau und es ist so still, dass Sascha einnickt.
Erst als ein Auto vor dem Kiosk einparkt, wird er wach. Die erste S-Bahn ist schon längst in Berlin. Sascha greift sich den Koffer und reiht sich in die Gruppe Menschen ein, die gerade vom Parkplatz kommt. Da er von der anderen Seite auf den Bahnsteig geht, sieht er nicht, was im Bahnhofsgebäude los ist. Ist die Polizei schon da oder hat noch keiner den Einbruch und die offenen Schließfächer bemerkt? Das Bahnhofsgebäude könnte auch schon voller Polizisten sein und deshalb geht Sascha außen um das Bahnhofsgebäude herum. Er passt seinen Schritt den eilenden Menschen an und fragt eine Frau, die in den Regionalzug steigen will: „Hält der auch in Berlin?“
„Ja, das erste Mal am Ostkreuz!“, schon eilt sie hinein, um noch einen guten Sitzplatz zu bekommen.
„Na, das passt ja!“, sagt Sascha und bleibt an der offenen Tür stehen. Am Bahnhofsgebäude kann er nichts sehen, keine Polizei, keinen Tumult oder neugierige Gaffer. Eine unverständliche Durchsage ertönt aus den Bahnhofslautsprechern, dann schließt sich die Tür und der Regionalzug setzt sich langsam in Bewegung. Nun kann ihm nichts mehr passieren, also geht er entspannt die Treppe ins Oberdeck hoch, entdeckt einen freien Sitzplatz und ist erfreut, als er die junge Frau auf dem gegenüberliegenden Sitzplatz entdeckt. „Hi, guten Morgen!“ Sascha setzt sich.
„Glückwunsch, Mike, nun bist Du Kommissar! Willkommen in unserm Team!“, begrüßt ihn der Chef auf der Wache in Königs Wusterhausen.
„Danke Peter! Und auch nochmal danke für die Wohnung! Hier in Königs Wusterhausen eine billige Wohnung zu finden ist nicht gerade einfach!“ Michael umarmt seinen alten Freund. Sie kennen sich von der Ausbildung, allerdings ist Peter damals gleich zur Kripo gegangen und Michael wollte unbedingt in Strausberg bleiben. So hat es ihm auch nichts ausgemacht, als Streifenpolizist seinen Dienst in Uniform zu absolvieren. Peter wollte diese Uniform so schnell wie möglich loswerden, es war ihm irgendwie unangenehm, von jedermann als Polizist erkannt zu werden. Michael hingegen gefiel die Uniform. Er war damals einer der ersten Ossis, die direkt von der Polizeischule in den Dienst gingen. Er löste einen Beamten aus Berlin ab, der froh war, wieder in sein altes Revier zu gehen. Neukölln war sein Kiez und nicht die verschlafene Berliner Vorstadt.
Michael kam sofort zurecht. Er musste nicht, wie seine älteren Kollegen, ständig überlegen, wie die neue Rechtslage ist. Er wurde nicht von der DDR-Volkspolizei übernommen. Von Anfang an griff er hart durch, schrieb jeden Verkehrssünder auf, kannte kein Pardon, nicht einmal, wenn es sich um einen Bekannten oder einen Schulfreund handelte. Schnell nannten ihn alle nur noch Mike, weil er eher an einen amerikanischen Cop erinnerte als an den netten Vorstadtpolizisten. Aufgrund seiner vielen Strafzettel und der damit verbundenen Einnahmen für die Staatskasse, wurde er schnell befördert. 2016 war es dann so weit, Mike wurde zweiter Dienststellenleiter. Sein Vorgesetzter hatte nur noch vier Jahre bis zur wohlverdienten Pension. Für Mike war es eine harte Zeit. Er war es gewohnt, jeden Tag, bei jedem Wetter auf der Straße zu sein. Nun musste er sich umstellen, den ganzen Tag im Büro verbringen. Berichte schreiben, Dienstpläne erstellen und sich die Probleme seiner Kollegen anhören. Er hasste seinen neuen Job, noch bevor er ihn hatte. Damals begann Mike damit, sich zum Ausgleich intensiv fit zu halten.
Nach einer Weile arrangierte sich Mike mit seiner neuen Position, doch nutzte er jede Möglichkeit, einen Kollegen im Streifendienst zu vertreten. Mike freute sich regelrecht, wenn morgens ein Krankenschein auf seinem Schreibtisch lag und er als Vertretung auf die Straße gehen konnte.
Jessica hatte gerade eine Lehre als Verkäuferin absolviert, als sie Mike kennenlernte. Sie war eine sehr schöne, aber auch clevere Neunzehnjährige. Sie wollte einen Mann, der ihr ein ruhiges Leben ermöglicht und vor allem wollte sie nicht jeden Tag im Edeka arbeiten. Jessica stand schon immer auf Männer in Uniform. Sie war wohl die Einzige, die Mike mit einer Verwarnung davonkommen ließ, allerdings nur, weil sie seine Einladung nicht abgelehnt hat. Mike hat regelmäßig gutes Geld mit nach Hause gebracht, war Beamter mit allen Vorzügen und sah auch nicht schlecht aus. Also heirateten die beiden. Erst als 2013 ihre Tochter Andrea auszog, um in Hannover zu studieren, merkte Jessica, was Mike für ein mieses Arschloch ist. Doch Jessica hatte sich an ihn gewöhnt. Vor allem hatte sie sich an seine guten Bezüge gewöhnt. Sie wollte ihr angenehmes Leben nicht aufgeben. Nur so zum Zeitvertreib fing Jessica in einer Boutique in der Innenstadt an. Ihr fehlte der Kontakt zu anderen Menschen, die sie sonst bei den vielen Veranstaltungen traf, zu denen sie ihre Tochter gefahren hatte. Jessica passte perfekt in die Boutique, sie war stets modisch gekleidet, nutzte den guten Angestelltenrabatt und so war sie auch stets auf dem Laufenden. Jessica vermied gemeinsame Aktivitäten mit Mike. Meist fand sie eine Ausrede, wenn er sie zu einer Veranstaltung mitnehmen wollte. Doch 2020 änderte sich alles auf einen Schlag!
Oh, wie hat Mike seinen Strafzettel-Block vermisst. Obwohl er eigentlich auf der Wache bleiben sollte, denn es waren nur noch vier Wochen, bis er seinen neuen Posten antreten sollte, ging er mit raus. Direkt am S-Bahnhof Strausberg, warteten sie auf die Maskenmuffel. Sein Kuli glühte und auf Diskussionen ließ sich Mike erst gar nicht ein. An den Montagen durfte er dann endlich zuschlagen! Selbst im verschlafenen Strausberg gab es diese Montagsdemos. Mike griff sich irgendwann den falschen, prügelte auf diesen Demonstranten ein, weil er keine Maske aufhatte. Wer konnte denn auch ahnen, dass es der Sohn vom Bürgermeister war, dem er die Birne weichklopfte.
All seine Proteste und Entschuldigungen halfen nichts. Er wurde sofort vorläufig suspendiert. Jessica redete nicht mit ihm oder sie beschimpfte ihn, weil er auf harmlose Menschen einschlug. Für Mike waren es Schwerverbrecher, denn schließlich gefährdeten sie die Gesundheit aller. Er wollte diese Leute aus dem Verkehr ziehen, sie einfach zwingen, sich an die Verordnungen zu halten. Mike verstand die Welt nicht mehr, denn auch wenn es der Sohn des Bürgermeisters war, so hat er doch gegen die Verordnungen verstoßen und seine Viren in der Luft verteilt.
Mike wurde gezwungen, sich Hilfe zu suchen, also ließ er sich von einer Psychologin der Polizei beraten. Zweimal in der Woche musste er ins Präsidium nach Berlin, wo er sich auch auf seinen Prozess vorbereiten konnte, wenn er seine Psychologin traf. Wie es der Zufall wollte, traf er dort auch Peter. Peter wollte seinem alten Freund helfen, also brachte er Mike zur Polizeiakademie, wo er zum Kriminologen umgeschult wurde, statt gänzlich aus dem aktiven Polizeidienst auszuscheiden. Als Mike Strausberg verließ, sich von Jessica scheiden ließ und ihr das Haus überschrieb, verzichteten die Staatsanwaltschaft und auch der Bürgermeister auf einen Prozess. Die Pandemie war erstmal überstanden und die Regionalpolitiker konnten keinen Prozess in der Presse gebrauchen. Mike wurde degradiert und durfte einen Neuanfang als Kriminologe machen. Nur Strausberg, seine Heimatstadt, war für ihn tabu. Peter holte ihn daraufhin auf sein Revier in Königs Wusterhausen.
Heute ist Mike zum ersten Mal auf dem neuen Revier. Die Scheidung von Jessica hat er erst jetzt einigermaßen gut verkraftet, denn er liebte Jessica, auch wenn sie diese Liebe nicht erwiderte. Genauso schlimm traf es ihn, als er sein Haus in Strausberg verlassen musste. Mike war stolz auf sein Zuhause. Viele Jahre hat er es abbezahlt und nun gehört es seiner Exfrau.
Mike schaut sich seine neuen Kollegen an: „Uniformen sind bei euch wohl nicht üblich?“ Mike ist der einzige Polizist in einer Uniform.
Seine neuen Kollegen lachen. Aylin, die einzige Frau der Kriminalabteilung mag sein adrettes Auftreten. „Wir sind immer in Zivil!“, erklärt sie ihm. „Wir wollen ja nicht schon von weitem erkannt werden!“ Aylin lächelt ihn freundlich an und reicht ihm die Hand. „Hi, ich bin Aylin Heydari!“
„Hallo, Frau Hei-lan-ni?“ Mike hat sie kaum verstanden.
„Sag einfach Aylin, wir duzen uns hier sowieso!“ Aylin weiß, wie schwer es die Deutschen haben, die arabischen Namen korrekt auszusprechen.
„Du wirst bald lernen, wie man ihren Nachnamen ausspricht!“, mischt sich Peter ein. „Ihr werdet beide zusammenarbeiten! Darf ich vorstellen? Aylin Heydari, Deine neue Partnerin! Ihr könnt dann auch gleich zum Bahnhof fahren.“
„Zum Bahnhof?“, fragt Mike.
„Ja, zum Bahnhof! Die Schließfächer wurden heute Nacht aufgebrochen!“, erklärt Peter.
„Warum nehmen die zuständigen Beamten den Fall nicht auf?“, fragt Aylin.
„Weil wohl nichts geklaut wurde!“, antwortet Peter.
„Okay, dann wollen wir mal!“ Aylin dreht sich um, nimmt Mike am Hemdsärmel und sagt: „Komm, erstmal braucht Du andere Klamotten!“
„Ich habe hier noch keinen Spint!“, sagt Mike.
„So kannst Du jedenfalls nicht rumlaufen! Obwohl…“, Aylin schaut auf seine schnittige Uniform. Keine Falte hat sein weißes Hemd. Er sieht verdammt gut darin aus, doch Kriminalpolizisten tragen immer Zivil, wenn sie im Einsatz sind. „Nein, es ist Vorschrift!“
„Dann muss ich erst nach Hause!“, sagt Mike, als sie auf den Parkplatz gehen.
„Von mir aus, sag mir einfach, wo Du wohnst!“ Aylin entriegelt ihren Dienstwagen.
Mike sieht die Warnblinker an dem großen Wagen. „Was, ein Fünfer? Das ist Dein Dienstwagen?“ Mike schaut beeindruckt auf den schnittigen BMW. Er selbst hatte lange einen BMW 635 Ci, doch als dann Andrea auf die Welt kam, musste etwas anderes her. Jessica hat dann den Passat gefahren und Mike ist, der Fitness wegen, zu Fuß zur Wache gegangen. Jetzt fährt Mike einen alten KIA.
„Naja, eigentlich haben wir keine festen Dienstwagen, aber es hat sich so eingebürgert, dass ich den BMW fahre!“ Aylin mag den großen Fünfer.
„Passt zu Dir!“ Mike schaut sich Aylin vor dem BMW an.
„Das war ja auch mein Argument. Wie sieht das denn aus, wenn ich mit einem Ford fahre?“ Aylin lacht Mike an und fragt dann: „Wo wohnst Du?“
„Ach ja, Rosa-Luxemburg-Straße!“, sagt Mike.
„Ach Du Scheiße!“ Aylin weiß sofort, wo das ist, schließlich kennt jeder die DDR-Plattenbausiedlung am Rande von Königs Wusterhausen.
Mike zuckt mit der Schulter. „Was solls, ist ja nicht auf Dauer gedacht!“ Er schaut sich seine neue Partnerin an. Da sie seinen Geschmack trifft, fragt er automatisch: „Bist Du verheiratet?“
„Nein!“ Aylin schaut kurz zu Mike herüber. Ihre Kollegen sind alle schon älter. Auch Mike, aber er sieht fit aus, hat keinen Bauch und wirkt dadurch jünger als die anderen. „Warum fragst Du?“
„Naja, siehst halt gut aus!“, antwortet Mike charmant.
Aylin mag es, wenn man ihr schmeichelt. „Ach ja? Was ist mit Dir?“
„Geschieden!“ Nun erwartet Mike eine Antwort.
„Ich habe noch nicht den Richtigen gefunden.“, antwortet Aylin knapp. „Vorn oder hinten?“ Sie biegt in seine Straße.
Will sie ihn so plump anmachen? Mike schaut Aylin an, sie interessiert sich für die Parkplätze, erst da versteht er die Frage. „Gegenüber vom Atlantis!“, sagt Mike und zeigt auf die freien Parkplätze. Als Aylin einparkt, fragt er: „Was soll ich anziehen?“ Er kennt nur den Dienst in Uniform.
„Was weiß denn ich?“ Aylin ist neugierig, wie er wohnt und so nutzt sie die Gelegenheit. „Was solls, ich komme mit!“ Aylin steigt aus und sie gehen zum Hauseingang.
Das ging ja einfach, denkt sich Mike und sagt: „Gute Idee!“ Sie gehen in die zweite Etage. Mike schließt seine Wohnung auf und lässt ihr den Vortritt. Aylin schaut sich interessiert um. „Da ist das Wohnzimmer und hier das Schlafzimmer.“ Mike hängt seine Uniformjacke über den dafür vorgesehenen Stuhl. Er knöpft sich sein Hemd auf und Aylin bleibt an der Tür stehen. Hemd und Hose legt er auch ordentlich über den Stuhl, dann steht er nur noch in Socken und Boxershorts da und öffnet seinen Schrank.
„Bist Du oft im Atlantis?“ Aylin betrachtet seinen durchtrainierten Körper. Das Atlantis ist das größte Fitnessstudio in Königs Wusterhausen.
„Noch nicht, ich melde mich aber an, es liegt ja günstig!“ Mike holt eine Bundfaltenhose hervor.
„Nein!“, protestiert Aylin und geht zum Schrank. „Hier, zieh die mal an!“ Sie gibt ihm eine dunkelblaue Jeans und schaut sich in seinem Schrank etwas um. „Weißes T-Shirt und den hier!“, sie reicht Mike einen schwarzen Blouson.
„Von mir aus!“ Mike zieht sich an. Es gefällt ihm, wie sie ihn beobachtet. „Machst Du Sport?“
„Ich gehe morgens joggen, das reicht mir!“, sagt Aylin.
„Wir sollten gehen.“ Mike schaut in den Spiegel. Der Blouson verdeckt sein Pistolenhalfter und so ist er nicht mehr als Polizist zu erkennen. Es ist für ihn ungewohnt, doch Mike ist zufrieden mit seinem Aussehen.
„Irgendwann zeigst Du mir aber noch den Rest der Wohnung!“, sagt Aylin und öffnet bereits die Tür.
„Klar, wann immer Du willst!“ Mike folgt ihr. „Das Wichtigste hast Du ja schon gesehen!“, lacht Mike im Treppenhaus. Er redet nicht besonders laut, denn die Wände sind dünn in diesem Plattenbau.
Erst jetzt merkt Aylin, wie notgeil sie sich selbst dargestellt hat. „Hey, ich wollte nur, dass Du Dich angemessen kleidest! Nicht mehr!“, stellt sie klar.
Aylin lernt oft gutaussehende Männer kennen, doch einen zum Heiraten hat sie noch nicht gefunden. Zweimal schon wollte ihr Vater sie verheiraten, weil sie es selbst nicht auf die Reihe bringt. Doch was soll sie machen? Die knackigen deutschen Männer ziehen Blondinen vor und ihre Landsmänner wollen eine unterwürfige Hausfrau, doch Aylin ist beides nicht. Sie bestimmt, wo es langgeht und Aylin lässt sich von keinem Mann sagen, was sie wann zu tun hat. Sie ist in Deutschland geboren und sie hat beide Seiten kennengelernt. Ihr streng traditionelles Elternhaus und ihre freizügigen Freunde in der Schule. Sie ist dann nach der Schule zur Polizei gegangen. Hauptgrund war das Internat, das sie aus ihrem Elternhaus herausgeholt hat.
Aylin steuert den kleinen Parkplatz vor dem Bahnhof an und parkt auf dem letzten freien Platz, der den Taxis vorbehalten ist. Gegenüber steht ein Streifenwagen. „Da sind wir!“ Aylin steigt aus und geht direkt auf den Bahnhof zu. Das Gezeter des Taxifahrers interessiert sie gar nicht.
„Wir sind von der Polizei!“ Mike hält dem aufgebrachten Taxifahrer seine Marke hin. Er vermisst jetzt schon seine Uniform, die ihn sofort als Mann des Gesetzes präsentiert.
„Ach, und was ist mit uns? Wir können sehen, wo wir bleiben, oder was?“ So einfach gibt der Taxifahrer nicht auf.
„Wir können das gern auf dem Revier klären. Wann war ihre letzte Revision?“ Mike geht Aylin hinterher. Der Taxifahrer sagt kein Wort mehr, denn er weiß, dass die Polizisten am längeren Hebel sitzen.
„Da seid ihr ja!“, begrüßt der uniformierte Polizist die beiden Kriminalbeamten. „Wir haben den Bereich um die Schließfächer abgesperrt, Es sieht so aus, als ob nichts durchwühlt wurde.“, erklärt der Beamte. Sein Kollege ist bereits dabei, den Tatort zu verlassen.
„Hat jemand was angefasst?“, fragt Aylin.
„Soweit ich weiß, niemand!“, sagt der Beamte. Sein Kollege drängt: „Wir müssen los, es gab einen Verkehrsunfall!“, die Beamten verlassen den Tatort.
„Was soll das? Warum so viel Arbeit und dann lassen sie das hier liegen?“ Mike hat sich Einweghandschuhe übergezogen und durchsucht bereits die Schließfächer. Er hält eine Brieftasche in der Hand, die er aus einer Lederjacke entnommen hat. „Da ist doch was faul!“
„Da ist nichts faul.“, sagt Aylin. „Die haben nach etwas gesucht!“ Auch sie hat sich die blauen Latexhandschuhe übergestreift und durchsucht die Schließfächer nach Hinweisen. Aylin hält ein neues Smartphone in der Hand. „Wir müssen alles sichern! Warte hier auf mich!“, sie geht zum Wagen und steckt das sichergestellte Smartphone einfach so in ihre Jackentasche.
Mike durchsucht die Brieftasche. Neben ein paar Geldscheinen und Münzen sind auch Karten und Ausweise darin. „Wie geht’s jetzt weiter?“, fragt er, als Aylin mit einer grauen Kiste zurückkommt.
„Wir sichern erstmal alles!“ Aylin holt eine Plastiktüte aus dem Sicherstellungsset und reicht sie Mike. „Jedes Schließfach in eine Tüte!“, erklärt Aylin.
Mike nimmt die Tüte. Er geht systematisch vor, beginnt oben links, mit dem ersten Schließfach. Mike nimmt die Tasche und steckt sie in die Tüte. Er verschließt sie mit einer Schlaufe, an der ein Zettel hängt. Hier trägt er die Nummer des Schließfachs und dessen Position ein. Aylin durchsucht die anderen Schließfächer und sichert das ein oder andere Beweisstück separat. Mike will lernen und schaut seiner Kollegin genau bei ihrer Arbeit zu. Er wundert sich, dass sie einige Beweisstücke einfach so in ihre Jackentasche steckt. Zumindest sieht es so aus. „Müssen wir das alles auswerten?“ Mike ahnt, es wird viel Arbeit auf ihn zukommen.
„Ach was, ich mach das gleich hier vor Ort!“, sagt Aylin.
„Ohne Protokoll?“, fragt Mike verwundert.
„Damit sind wir ewig beschäftigt. Hast Du Lust, Dich durch die Dreckwäsche zu wühlen?“ Aylin hält ihm einen geöffneten Wäschesack mit zerknüllter Wäsche darin vor die Nase.
„Igitt! Das ist ja ekelhaft!“ Eine Mischung aus Schweiß und Urin weht in seine Nase. Nach einer Viertelstunde sind die Schließfächer leer und die sechs gefüllten Plastiksäcke im Wagen verstaut. „Was ist mit Fingerabdrücken?“
„Vergiss es! Hier finden wir eh nichts“ Aylin schaut sich die Spuren an den Scharnieren an. „Ich schätze mal, ein Brecheisen!“
Auch Mike schaut sich die Einbruchsspuren an. Er erkennt die Kratzspuren hinter den Türen. „Nein, ich denke das war ein breiter Schraubenzieher! Die Dinger bieten doch keinen Widerstand! Ja, ein Schraubenzieher reicht, der fällt auch weniger auf!“, erklärt Mike.
„Schau her!“ Aylin weist auf ein Scharnier. „Das sind zwei parallele Abdrücke.“
„Er hat zweimal angesetzt. Einmal um den Stift zu lockern, und dann hat er das Scharnier aufgehebelt!“, sagt Mike.
Aylin schaut sich noch andere Fächer an. „Ja, kann schon sein. Kennst Du Dich mit sowas aus?“
„In meiner Werkstatt habe ich alles Mögliche an Werkzeug!“, doch dann erinnert sich Mike, dass die Werkstatt in seinem Haus nun nicht mehr ihm gehört. „Hatte! Meine Ex hat jetzt mein Haus… mit meiner Werkstatt!“
„Scheiße!“ Aylin hat kein Mitleid, sie will nur nicht das Gejammer über seine Ex hören. „Hast Du noch was gefunden?“, lenkt sie schnell ab.
„Nein, ich finde es nur eigenartig, dass sie nicht alle Schließfächer geöffnet haben.“, wundert sich Mike.
„Wieso? Das hier war leer, also haben sie gefunden, wonach sie gesucht haben!“, erklärt Aylin.
„Du meinst also, sie haben nach etwas ganz Bestimmtem gesucht?“, grübelt Mike. „Was ist, wenn die Sieben leer war und sie gestört wurden?“
„Das können Sie an dem Stift sehen!“ Ein Handwerker, der seit einigen Minuten vor der Absperrung steht, geht jetzt unter dem Polizeiband hindurch auf die beiden zu.
Aylin hasst es, wenn sich Unbeteiligte in ihre Untersuchungen einmischen. „Und wer sind Sie?“, fragt Aylin den vorlauten Fremden.
„Ich bin vom Wartungsteam. Frank Müller!“, er holt einen Betriebsausweis der S-Bahn heraus. „Ich soll die kaputten Schließfächer sichern und den Reparaturauftrag auslösen.“
Mike schaut sich den kleinen Metallstift an. „War das hier belegt?“, fragt er Frank Müller.
Frank Müller hat schon erkannt, dass der Stift unten ist. „Das war belegt! Wenn es aufgeschlossen wird, rutscht der Stift nach oben und gibt die Zahlbox wieder frei.“, erklärt er den Mechanismus.
„Okay, sie können die Schließfächer sichern!“, sagt Aylin. „Komm, Mike, wir haben noch jede Menge Arbeit vor uns!“ Aylin geht zum Auto und Mike verabschiedet sich flüchtig vom Techniker.
Im Auto fragt Mike: „Willst Du Dir nun doch alles genauer anschauen, was in den Schließfächern war?“
„Nein! Wir warten einfach, bis die Eigentümer sich bei uns melden! Was dann übrig bleibt, müssen wir uns genauer ansehen!“, erklärt Aylin, während sie zum Revier zurückfährt. Als erstes fahren sie auf den Hof. Aylin parkt den Wagen so, dass er direkt vor dem Seiteneingang steht. „Das muss jetzt alles in die Asservatenkammer!“ Aylin steht vor der geöffneten Kofferraumklappe, greift sich zwei Säcke und geht vor.
Auch Mike nimmt sich zwei und folgt ihr. In der Asservatenkammer legt er sie neben die Plastiksäcke, die Aylin in ein leeres Regal gelegt hat, erst dann schaut er sich um. Jede Menge Krempel, doch auch interessante Dinge entdeckt Mike im Keller. „Ist das Heroin?“, er weist auf ein Regal mit kleinen und großen Päckchen, in denen ein weißes Pulver ist.
Aylin lächelt ihn an: „Oh, Du findest hier alles! Heroin, Crack, Amphetamine, Gras und jede Menge Zigaretten!“
Mike ist überrascht, denn bisher hat er den Dealern das Zeug nur abgenommen. Verwahrt hat es dann immer die Drogenfahndung, an die er diese Fälle abgegeben hat. Wo letztendlich die beschlagnahmten Drogen landen, hat ihn nie interessiert. „Und das Zeug liegt hier so offen herum?“ Mike kennt den Straßenwert dieser Drogen. Grob überschlagen schätzt er den Wert auf mindestens zwei Millionen Euro.
„Klar, hier kommt doch keiner ran.“ Aylin schaut in sein verblüfftes Gesicht. „Brauchst Du was?“, fragt sie mit einem gönnerhaften Lächeln.
Mike hat schon vor Jahren aufgehört zu rauchen und mit Drogen hat er nichts am Hut. Schließlich hat er oft genug gesehen, was dieses Zeug aus den Menschen macht. „Ich? Äh, … nein. Ich wundere mich nur, dass es nicht unter Verschluss ist.“ Hat Aylin einen Scherz gemacht oder es ihm im Ernst angeboten? Mike kann diese Frau noch nicht einschätzen, doch das wird sich bald ändern, denn er mag Aylin und er wird herausfinden, wie sie tickt.
„Wie, nicht unter Verschluss?“ Aylin weist auf die Tür mit dem Sicherheitszylinderschloss. „Und was ist das hier?“
„Ist ja schon gut.“, sagt Mike. Er geht nach oben, um die restlichen zwei Säcke aus dem Auto zu holen. Wenn etwas von den Drogen verschwindet, würde es wohl niemandem auffallen, denkt er sich. „Das ist alles!“, sagt Mike, als er mit den restlichen Sachen herunterkommt.
„Du kannst gleich hier hochgehen!“ Aylin zeigt auf das Treppenhaus. „Ich stell noch den Wagen weg!“
Mike geht die Treppe hoch. In der ersten Etage sucht er nach dem Büro der Kripo, wo er sich mit Aylin zukünftig einen Arbeitsplatz, bestehend aus zwei Schreibtischen, die sich gegenüberstehen, teilen wird. Mike wundert sich, dass Aylin so lange braucht. Er holt sich einen Kaffee am Automaten und bringt für sie auch einen mit. „Der ist für Dich!“, sagt er, als Aylin dann hineinkommt.
„Oh, danke!“ Aylin nimmt gleich einen Schluck.