Milliardär meiner Träume 2 - 5 romantische Liebesromane - Chantelle Shaw - E-Book

Milliardär meiner Träume 2 - 5 romantische Liebesromane E-Book

Chantelle Shaw

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Beschreibung

DIE UNSCHULD DER ROSE

Es gibt nur einen, der Grace Thackers junges Unternehmen jetzt noch retten kann: der attraktive Milliardär Rafael Cordeiro. Als sie ihn auf seinem Luxusanwesen in Brasilien besucht, macht er ihr ein Angebot - ebenso unverschämt wie gefährlich prickelnd: Rafael erklärt sich bereit, sie zu unterstützen - allerdings nur, wenn sie bei ihm bleibt und seine Geliebte wird -

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Impressum

MIRA Taschenbuch Copyright © 2019 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH Titel der amerikanischen Originalausgaben: "The Brazilian Boss's Innocent Mistress" Copyright © 2007 by Sarah Morgan "The Greek Tycoon's Virgin Mistress" Copyright © 2007 by Chantelle Shaw "The Spaniard's Blackmailed Bride" Copyright © 2007 by Trish Morey "The Mediterranean Billionaire's Secret Baby" Copyright © 2007 by Diana Hamilton "The Greek Tycoon's Unexpected Wife" Copyright © 2007 by Annie West erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with Harlequin Enterprises II B.V./SARL Coverabbildung: Getty Images_Janoka82, champja Coverdesign: HarperCollins Germany GmbH, Hamburg / Deborah Kuschel www.mira-taschenbuch.de Werden Sie Fan von MIRA Taschenbuch auf Facebook!

Sarah Morgan, Chantelle Shaw, Diana Hamilton, Trish Morey, Annie West

Milliardär meiner Träume 2 - 5 romantische Liebesromane

Sarah Morgan

Die Unschuld der Rose

1. KAPITEL

Was um alles in der Welt mache ich hier eigentlich?

Der Hubschrauber flog so niedrig über die Bäume hinweg, dass Grace ein flaues Gefühl im Magen verspürte.

Unter ihr erstreckte sich tropischer Regenwald. Die Pflanzen bildeten einen dichten grünen Schirm, der die exotischen Geheimnisse des Waldbodens verbarg. Zu jeder anderen Zeit wäre sie von der wilden atemberaubenden Schönheit der Natur fasziniert gewesen. Aber im Moment war Grace viel zu angespannt, als dass sie an etwas anderes als das vor ihr liegende Meeting denken konnte. Und an den Mann.

Warum trug sie überhaupt dieses viel zu warme und kratzige Kostüm? Schließlich lieferte sie sich in Brasilien der Gnade eines Mannes aus, dem nicht einmal die Bedeutung dieses Wortes klar war: Gnade.

Rafael Cordeiro.

Brillant und gefährlich. Ihr fielen viele Adjektive ein. Aber keines hatte einen beruhigenden Klang. Cordeiro war unfassbar reich und verfügte über mehr Macht und Einfluss als Könige oder Präsidenten. Mit Zahlen konnte er so gut umgehen, dass die Wirtschaftszeitungen ihn als wandelnden Computer bezeichneten. Was in Anbetracht meiner fast allergischen Reaktion auf Technik nichts Gutes verheißt, dachte Grace trübsinnig, während sie sich an ihrem Sitz festklammerte.

Unter ihnen entdeckte sie nun weniger Bäume, sie gaben den Blick frei auf einen tosenden, weiß aufschäumendenFluss. „Er besitzt Grundstücke auf der ganzen Welt“, wandte sie sich auf der Suche nach Antworten an den Piloten. „Warum lebt er ausgerechnet hier?“

„Weil die Welt ihn nicht in Ruhe lässt. Er schätzt seine Privatsphäre.“

Das passte zu dem, was sie bisher über ihn gehört hatte. Obwohl er nie Interviews gab, herrschte an Informationen über ihn kein Mangel. „Ist er ein Einzelgänger?“

„Nun, ich würde ihn nicht gerade als weich und romantisch bezeichnen, falls Sie das meinen. Allerdings scheinen Frauen sich von bösen Jungs wie magisch angezogen zu fühlen.“ Der Pilot drückte auf einen Schalter und warf ihr einen Seitenblick zu. „Sie entsprechen nicht seinem üblichen Geschmack.“

Seinem üblichen Geschmack?

Bei der Vorstellung, dass man sie tatsächlich mit der Gespielin eines Milliardärs verwechseln könnte, hätte Grace beinahe gelacht. „Ich habe einen geschäftlichen Termin mit Mr. Cordeiro. Er hat das Startkapital für meine Firma zur Verfügung gestellt.“ Und dieses Kapital hatte ihr Leben verändert. „Er ist das, was man als Business Angel bezeichnet, ein wahrer Engel für Unternehmensgründer. Aber Sie arbeiten für ihn, wahrscheinlich wissen Sie das alles.“

„Engel?“ Der Pilot lachte so heftig, dass er den Helikopter gefährlich nah an den Baumwipfeln schwenken ließ. „Rafael Cordeiro … ein Engel?“

„Das sagt man nur so. Es bedeutet, dass er in kleine Unternehmen investiert, die ihn persönlich interessieren.“ Und ihre Firma hatte sein Interesse geweckt. Bis vor Kurzem. Plötzlich kehrte das flaue Gefühl in Grace’ Magen zurück.

Der Pilot lachte immer noch. „Engel. Eines kann ich Ihnen versichern, dieser Mann ist kein Engel.“

Fest entschlossen, sich keine Angst einjagen zu lassen, straffte Grace die Schultern. „Ich glaube nicht alles, was in der Zeitung steht. Ich bin sicher, Mr. Cordeiro ist ein vernünftiger Mann.“

„Dann haben Sie ihn noch nie getroffen. So, wir gehen runter.“

„Gehen runter?“ Grace sah den Piloten erschrocken an. Unter ihnen befand sich nichts als Bäume. Augenblicklich waren ihre Sorgen wegen Rafael Cordeiro verschwunden. „Landen wir – oder stürzen wir ab?“

Der Pilot gab keine Antwort. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt, während er sich auf die Fluginstrumente konzentrierte. Einen Moment sah es so aus, als würden sie direkt in die Bäume stürzen. Erst im allerletzten Augenblick tauchte eine kleine Landeplattform wie aus dem Nichts unter ihnen auf.

„Also kein Absturz.“ Grace lächelte unsicher und stieß den Atem aus, den sie angehalten hatte. „Ich habe mich schon fast auf ein Inferno eingestellt.“

„Bei Ihrem Treffen mit Cordeiro wird es eins geben.“ Der Pilot drückte auf einen Schalter. „Ich habe Männer nach nur fünf Minuten mit ihm weinen gesehen. Willkommen im brasilianischen Regenwald, Miss Thacker. Eines der am meisten gefährdeten Ökosysteme der Welt.“

„Sie kommen nicht mit? Sie lassen mich hier alleine? Mitten im Dschungel?“ Sie wandte den Kopf und schaute aus dem Fenster. Erst jetzt sah sie das Haus. Ein Gebäude, das ausschließlich aus Glas und verwittertem Holz zu bestehen schien. Es verschmolz geradezu mit seiner Umgebung. Fast konnte man glauben, das Haus wäre zwischen den Bäumen aus dem Erdreich gewachsen.

„Oh.“ Grace betrachtete die schmalen Brückenpfade, die hoch über dem Dschungelboden angebracht worden waren. „Das ist fantastisch. Überwältigend.“

Der Pilot lachte leise. „Rafael Cordeiro … ein Engel“, sagte er mehr zu sich. Immer noch kichernd, wischte er sich mit einer Hand kleine Schweißtröpfchen von der Stirn. „Wenn Sie aussteigen, ziehen Sie den Kopf ein, bis Sie unter den Rotorblättern hindurch sind. Ich fliege zurück nach Rio, um ein Paket abzuholen, dann weiter nach São Paulo.“

Wie festgeklebt blieb Grace sitzen, als wollte sie ihre letzte Verbindung zur Zivilisation nicht so einfach aufgeben. „Sie warten nicht auf mich? Er hat gesagt, er könne mir nur zehn Minuten geben.“

„Falls Sie nach Ihrem Treffen noch leben, komme ich zurück und sammle die Reste ein. Nehmen Sie den linken Pfad. Und ganz egal, was Sie tun, verlassen Sie nie die Wege. Dies hier ist der Dschungel, kein Themenpark. Geben Sie auf die wilden Tiere acht.“

„Wilde Tiere?“ Misstrauisch betrachtete sie das undurchdringliche Dickicht, das sie umgab. Einige Teile lagen völlig im Schatten. An anderen Stellen drangen vereinzelt Sonnenstrahlen durch das dichte Blätterdach. Bildete sie es sich nur ein, oder bewegte sich der Waldboden? „Meinen Sie Insekten?“

Er grinste. „Nach der letzten Schätzung leben hier über zweitausend verschiedene Arten. Und das sind nur die, die man bereits gefunden hat.“

Grace versuchte, nicht an all die kleinen Beinchen zu denken, die garantiert gleich auf sie zukrabbelten. Sie strich ihren Rock glatt und wünschte, sie hätte eine Hose angezogen. „Und Schlangen?“

„Oh ja, hier leben auch Schlangen …“ Sein Grinsen wurde breiter, als er ihre unpassenden Schuhe ansah, „… und dann sind da noch die riesigen Ameisenbären, die Jaguare und die …“

„Okay, ich glaube, ich habe genug gehört“, unterbrach sie ihn atemlos. Noch fünf Sekunden und ich klammere mich an ihn und flehe ihn an, mich nach Hause zu fliegen. „Ich bin sicher, Mr. Cordeiro würde nicht hier leben, wenn es so gefährlich wäre.“

Der Pilot warf den Kopf in den Nacken und lachte laut. „Sie kennen ihn wirklich nicht! Er lebt hier, weil es gefährlich ist, Süße. Er langweilt sich schnell. Ihm gefällt das Leben am Rande des Abgrunds.“

Süße? Die unbekümmerte Art, mit der er sie als nichts klassifizierte, ließ Grace die Anspannung vergessen. Ihr ganzes Leben lang war sie bevormundet und unterschätzt worden. Immer hatte jemand an ihr gezweifelt oder sie nicht ernst genommen. Sie hatte dagegen angekämpft und Erfolg gehabt.

Bis jetzt.

Jetzt lief sie Gefahr, alles zu verlieren, wofür sie gearbeitet hatte.

Und das würde sie nicht zulassen.

Ihr stand der vielleicht wichtigste Kampf ihres Lebens bevor, und sie würde ihn gewinnen. Sie musste gewinnen. Aber dazu musste sie vergessen, dass sie einem brasilianischen Milliardär, dem wandelnden Computer, in einer Diskussion über Zahlen denkbar unterlegen war. Grace musste alles vergessen, außer den Konsequenzen. Wenn sie sich geschlagen gab, verloren viele Menschen ihren Job. So einfach war das.

Wenn Rafael Cordeiro sein Geld zurückverlangte, war alles vorbei.

Die schwüle drückende Hitze umschloss sie wie ein dicker Mantel. Grace strich sich eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht und stolperte hastig aus dem Hubschrauber. Ihre Beine zitterten. In diesem Moment hätte sie nicht zu sagen vermocht, wovor sie sich mehr fürchtete, vor dem Dschungel oder Rafael Cordeiro.

In einer Welt, in der Status und Image alles bedeuteten, brachte Cordeiro beidem nur Verachtung entgegen. Er verweigerte sich jedem Gespräch über sich selbst. Und das konnte er sich leisten, denn diese Aufgabe übernahmen andere für ihn. Die Zeitungen waren voll von Interviews mit kurvenreichen Blondinen, die gegen die richtige Summe die so genannte ganze Wahrheit erzählten. Deshalb wusste die ganze Welt von Cordeiros beharrlicher Geldgier, seinen Talenten als Liebhaber und seinem Unwillen, an ein Happy End zu glauben.

Einmal. Einmal war er der Hoffnung verfallen. Die Medien berichteten damals länger über den Auszug seiner glamourösen Gattin, als die Ehe gehalten hatte: drei Monate.

Es war unmöglich, mit ihm zusammenzuleben.

Die Beziehung hatte er per E-Mail beendet.

Er war nur daran interessiert, Geld zu verdienen. Und noch mehr Geld.

Die Spekulationen rissen nicht ab. Und wenn man auch nur einem Bruchteil davon Glauben schenkte, unterschied Rafael Cordeiro sich wenig von einer kühl kalkulierenden Maschine. Ohne ihn zu kennen, wusste Grace, dass dieser Mann das Schlimmste in ihr zum Vorschein bringen würde.

Ich werde ihn einfach nicht ansehen, versprach sie sich. Dann würde sie weder verstummen noch anfangen zu stottern. Sie könnte so tun, als wäre sie in ihrem kleinen Wohnzimmer zu Hause und spräche mit dem Spiegel. Das machte sie immer, wenn sie sich auf wichtige Präsentationen vorbereitete.

Wieder strömte das flaue Gefühl in ihren Magen. Doch dieses Mal hatte es nichts mit dem Hubschrauberflug zu tun, sondern mit ihrer Vergangenheit. In Momenten wie diesen überrollten die Erinnerungen sie wie gigantische Wellen.

Es gibt keinen rationalen Grund, vor Rafael Cordeiro Angst zu haben, versicherte Grace sich, strich noch einmal den geraden Rock glatt und betrat den Pfad.

Sein Privatleben ging sie nichts an. Ganz gleich, welche Dunkelheit diesen Mann umgab, er war ein Geschäftsmann, genau wie ihr Vater. Wenn sie ihm ihre Pläne zeigte, die Firma aus den roten Zahlen zu führen, würde Cordeiro positiv reagieren. Er würde seine Meinung ändern und den Kredit nicht zurückverlangen. Die Jobs der Angestellten wären gerettet. Grace könnte nach Hause fliegen und Jaguare, Schlangen und einen brasilianischen Milliardär in seinem Dschungelversteck hinter sich lassen.

In der tropischen Hitze klebte ihr das Kostüm am Körper. Plötzlich wurde Grace bewusst, wie wenig sie darauf vorbereitet war, diesen Mann zu treffen. Selbst in dieser Kleidungfühlte sie sich nicht wohl. Grace blieb stehen, um den dünnen Absatz ihrer Schuhe zu befreien, der zwischen zwei Holzplanken klemmte. Die Aktentasche fest gegen die Brust gedrückt, wünschte sie, sie hätte sich während des Fluges noch einmal die Zahlen angesehen.

Aber was für einen Unterschied hätte das gemacht? Mithilfe ihres Vaters hatte sie alle Fakten auswendig gelernt. In den Unterlagen gab es nichts, was sich nicht auch in ihrem Gedächtnis befand.

Nachdem sie den Absatz aus dem Spalt gezerrt hatte, richtete sie sich auf.

Und sah ihn.

Er wartete am Hauseingang, ebenso geheimnisvoll und gefährlich wie alles, was in diesem Dschungel umherstreifen mochte. Bewegungslos stand er da, nur seine Augen blickten wachsam.

Er beobachtete sie.

Die überwältigende körperliche Präsenz dieses Mannes traf sie völlig unerwartet. Grace stockte der Atem. Der Helikopter, der Regenwald und all ihre Probleme wichen in den Hintergrund zurück. Seine Gegenwart war alles, was sie noch wahrnahm.

Die Präzision seines Blicks glich einer tödlichen Waffe. Grace konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Einen Augenblick lang wusste sie nicht mehr, wer sie war. Sie erinnerte sich nicht mehr, warum sie hier war. Ihr Körper fühlte sich seltsam träge an, und Hitze, zähflüssig wie Sirup, breitete sich in ihren Gliedern aus.

„Miss Thacker?“ Die schneidende Schärfe in seiner tiefen maskulinen Stimme riss sie aus der träumerischen Benommenheit. Innerlich gab Grace sich einen Ruck. Hoffentlich hatte er ihre peinliche Reaktion nicht bemerkt.

So viel zu ihrem Plan, ihn nicht anzusehen. Mit einem letzten Blick in seine tief liegenden zynischen Augen erkannte sie, dass in seiner kühlen Musterung weit Bedrohlicheres lag, als alle Raubtiere des Dschungels zusammen aufbieten konnten. Zumindest in einer Hinsicht hatte der Pilot die Wahrheit gesagt: Dieser Mann war kein Engel.

Sie zwang ihre Beine, sich zu bewegen, und ging auf ihn zu. Die Aktentasche in der einen, suchte sie mit der anderen Hand die Sicherheit des Geländers.

Auch ohne Milliardenbeträge auf seinem Konto hätte Rafael Cordeiro auf Frauen anziehend gewirkt. Sein Haar glänzte blauschwarz und war nach hinten gekämmt. Seine Gesichtszüge waren ebenso hart wie attraktiv, die Haut schimmerte in einem warmen Bronzeton.

Angestrengt suchte Grace nach einer Reaktion auf ihre Ankunft, aber er enthüllte nichts. Sein Mund verzog sich nicht zu einem Lächeln. In seinen Augen, dunkel und nachdenklich, zeigte sich keinerlei Anzeichen eines Willkommens. Am liebsten wäre sie den Weg zurückgerannt und in den abhebenden Helikopter gesprungen.

Hätte sie es nicht besser gewusst, sie hätte gemeint, er sei verärgert. Aber das war ja unmöglich. Schließlich waren sie einander noch nie begegnet. Seine Feindseligkeit war nur ein Spiegel seiner Persönlichkeit.

Er musste sie auch nicht mögen. Er musste nur ihrer Bitte zustimmen, sein Kapital nicht abzuziehen.

Mit diesen Gedanken überwand sie die letzten Meter, bis sie unmittelbar vor ihm stand. „Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Mr. Cordeiro.“

Sein Mund wurde schmal, Ungeduld funkelte in seinen Augen. „Das ist hier kein Kaffeeklatsch und kein Kindergeburtstag, Miss Thacker. Weder erwarte ich, noch lege ich Wert auf Höflichkeit. Ich mache keinen Small Talk und beteilige mich nicht am Austausch von Freundlichkeiten. Mich kümmert weder das Wetter noch der Verlauf ihrer Reise.“

Auch Ihnen einen guten Tag, dachte sie ironisch und bemühte sich, das wachsende Entsetzen zu verbergen.

In diese tödlich dunklen Augen zu blicken weckte in ihr den Wunsch zu fliehen. Doch der Hubschrauber schwebte bereits über ihnen. Und der eigentliche Grund für ihren Besuch befand sich immer noch sicher in ihrer Aktentasche verwahrt. Grace konnte nicht weglaufen. Sie hatte einen Job zu erledigen. Menschen verließen sich auf sie.

„Ich kann in Zahlen und Fakten sprechen“, sagte sie rasch. „Alle notwendigen Unterlagen befinden sich in meiner Tasche.“

„Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen. Und meine Antwort lautet Nein.“ Mit dem dunklen Bartschatten wirkte sein Kinn kantig; ein Wangenmuskel zuckte.

„Aber Sie hatten noch nicht die Möglichkeit, mit mir zu reden.“ Sie würde nicht zulassen, dass er ihren Optimismus dämpfte. „Ich hoffe wirklich, Sie ändern Ihre Meinung, sobald ich erklärt habe, was passiert ist.“

Er antwortete nicht. Stattdessen musterte er sie nur unentwegt. Im Dschungel hinter ihr erklang ein scharfer Schrei, gefolgt von etwas, das wie manisches Lachen klang.

Erschrocken wandte Grace den Kopf und spähte in den Wald. Erst jetzt drangen die beständigen Hintergrundgeräusche in ihr Bewusstsein. Kläffen, Schreien, Zirpen und Trillern. „Das klingt ja, als würde jemand umgebracht.“ Mit amüsiert funkelnden Augen drehte sie sich wieder zu ihm um. Ein weiterer Versuch, eine emotionale Verbindung zu ihm herzustellen. Er scheiterte.

Kein Lächeln. Und es war unmöglich zu ahnen, was Cordeiro dachte. Seine Miene blieb ausdruckslos.

„Fürchten Sie sich vor dem Dschungel, Miss Thacker?“ Sein Tonfall klang alles andere als ermutigend. „Oder macht Sie etwas anderes nervös?“

Etwas anderes? Etwa die Tatsache, dass möglicherweise gleich ihre gesamte Existenz in den Staub getreten wurde? Oder dass sie sich alleine mit einem Mann mitten im Regenwald befand, der die gesamte Menschheit zu hassen schien?

Es gab so viele Dinge, die sie beunruhigten. Grace wusste gar nicht, womit sie anfangen sollte. Aber ihm würde sie keinen Grund verraten. Also schob sie die Gedanken an Jaguare, Schlangen und zweitausend Insektenarten beiseite. „Ich bin nicht nervös …“

„Wirklich nicht?“ Er kniff die Augen zusammen. „Dann gebe ich Ihnen noch ein paar Hinweise als Geschäftsmann: Verschwenden Sie nicht meine Zeit, lügen Sie mich nicht an – und am Wichtigsten: Betrügen Sie mich nicht. Das sind die drei Dinge, mit denen Sie mich verärgern können. Und wenn ich wütend bin, sage ich niemals Ja.“

Was fanden Frauen nur an ihm? Nichts vermochte den dichten Mantel aus Zynismus zu durchdringen, der ihn umgab.

„Ich werde nicht lügen. Ich lüge nie.“

Aber ganz ehrlich war sie auch nicht gewesen. Sie hatte nicht die volle Wahrheit über sich gesagt, als sie den Kredit angenommen hatte. Kurz stiegen Schuldgefühle in Grace auf. Dann erinnerte sie sich daran, dass der Vertrag ja keine Klausel enthielt, die sie verpflichtete, alles über sich preiszugeben. Nichts aus ihrer Vergangenheit beeinflusste ihre Fähigkeit, eine Firma zu leiten – dafür hatte sie gesorgt. Trotzdem breitete sich eine verräterische Röte auf ihren Wangen aus.

Jetzt lächelte Cordeiro. Es war im Grunde nur der Hauch eines Lächelns und nicht mal ein besonders freundliches. Trotzdem bewies es, dass er ihr Erröten bemerkt und es als Punkt gegen sie verbucht hatte.

„Sie sind eine Frau, Miss Thacker. Zu lügen und zu betrügen ist Teil ihrer Gene, und die können Sie nicht ändern. Im besten Fall können wir hoffen, dass Sie gegen tausend Jahre Evolution ankämpfen, solange Sie sich in meiner Gegenwart befinden.“ Dann öffnete er die Tür hinter sich und machte einen Schritt zur Seite, damit Grace eintreten konnte.

„Hören Sie auf, mich herumzukommandieren, Mr. Cordeiro.“ Ihr zitterte leicht die Stimme, dennoch zwang sie sich weiterzusprechen. „Ich weiß, dass es meiner Firma nicht gut geht und wir einiges zu besprechen haben. Aber versuchen Sie nicht, mich einzuschüchtern.“

„Schüchtere ich Sie denn ein?“

„Sie könnten zumindest ein wenig freundlicher sein.“

„Freundlicher?“, spottete er. „Sie möchten, dass ich freundlich bin?“

Entschlossen hielt sie seinem Blick stand. „Ich sehe nur nicht ein, warum Geschäftstermine immer so kalt und unpersönlich sein müssen.“

Er machte einen Schritt auf sie zu, woraufhin sie instinktiv zurückwich. „Sie möchten also persönlich werden, Miss Thacker?“ Er senkte die Lider und sah ihr in die Augen. „Wie persönlich?“ Er kam noch näher.

Plötzlich fiel ihr das Atmen schwer. Obwohl er sie nicht berührte, schien ihr Körper mit einem Mal zu vibrieren. Sie fühlte sich, als hätte sie die letzten dreiundzwanzig Jahre geschlafen, bevor dieser Mann sie zum Leben erweckte. „Ich wollte nur sagen, dass meiner Meinung nach Meetings genauso viel Spaß machen können, wie sie harte Arbeit sind.“

„Wirklich?“ Er betrachtete sie aus zu schmalen Schlitzen verengten Augen. „Nun, Ihre Einstellung erklärt auf jeden Fall den schlechten Zustand Ihrer Firmenkonten.“

Nun zog er sich zurück. Trotzdem dauerte es eine ganze Weile, bis sich ihre Atmung beruhigt und ihr Herzschlag einen normalen Rhythmus angenommen hatte.

Sie wollte etwas auf seinen geringschätzigen Kommentar erwidern, aber er gab ihr keine Möglichkeit dazu. Denn schon schlenderte er durch die geöffnete Tür. Grace blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Kein Wunder, dass seine Frau ihn verlassen hat, dachte sie, als sie das Haus betrat und sorgsam die Tür zwischen sich und dem Dschungel schloss. Oder war er so arrogant und zynisch, eben weil sie ihn verlassen hat?

Als sie sich umsah, musste sie überrascht feststellen, dass sie den Dschungel mitnichten ausgeschlossen hatte. Der Wald war ein Teil des Hauses.

Immer wieder nach rechts und links schauend, folgte sie Rafael Cordeiro durch die Eingangshalle, ein Kuppelbau ganz aus Glas. Überall wuchsen riesige exotische Pflanzen. Dieses Haus war nicht beeindruckend, es war spektakulär. Durch die gläsernen Wände sah man in den Regenwald, sodass die Grenzen zwischen Innen und Außen in perfekter Harmonie verschwommen.

Er führte sie in ein großes Zimmer und deutete mit der Hand auf einen runden Tisch, auf dem ein Computer und mehrere Bildschirme standen. Simultan klingelten zwei Telefone, die jedoch abrupt verstummten, als seien die Anrufe von anderen Apparaten aus angenommen worden. „Setzen Sie sich.“

Technik, dachte Grace und betrachtete die Geräte. Offensichtlich ist er nicht ganz so allein, wie es zunächst schien.

Sie nahm auf einem Stuhl Platz und blickte sich ehrfürchtig um. Durch sechseckige Fensterscheiben drängte sich die üppige grüne Vegetation des Waldes nahezu in den Raum.

„Das ist unglaublich“, sagte sie, aufrichtig begeistert von der ungewöhnlichen Umgebung. „Man kommt sich vor wie in einem Gewächshaus mitten im Wald.“ Ihr Blick glitt zu einem Farn, der sich bewegte. „Kommen die Tiere nahe heran? Wissen sie, dass Sie hier sind?“

„Raubtiere wittern immer ihre Beute, Miss Thacker“, entgegnete er gedehnt. Er setzte sich ihr gegenüber und zog erwartungsvoll eine Augenbraue hoch. „Sie haben zehn Minuten. Die Uhr läuft ab jetzt.“

„Sie meinten das ernst? Ich habe wirklich nur zehn Minuten?“

„Ich bin ein viel beschäftigter Mann. Und ich sage nie etwas, das ich nicht auch so meine.“

Verwirrt über diese absolute Gleichgültigkeit angesichts ihrer katastrophalen Lage, brauchte Grace einen Moment, um sich zu sammeln. „Na gut, Sie wissen, warum ich hier bin. Vor fünf Jahren hat Ihr Unternehmen mir Geld geliehen, damit ich meine Firma gründen konnte. Und jetzt wollen Sie den Kredit kündigen.“

„Verschwenden Sie keine Zeit damit, bekannte Tatsachen zu wiederholen“, riet er in seidigem Tonfall, während er auf die Armbanduhr sah. „Noch neun Minuten.“

Sie spürte Panik in sich aufsteigen. Das Treffen war reine Zeitverschwendung. „Meine Firma ist mir sehr wichtig. Sie bedeutet mir alles.“ Sofort bereute sie ihr impulsives Geständnis. Warum sollte ihn kümmern, dass sie an dem Unternehmen hing?

Anscheinend stellte er sich dieselbe Frage, denn er runzelte die Stirn. „Mich interessieren nur Zahlen und Fakten. Acht Minuten.“

Keine Emotionen, Grace, hör auf, dich von deinen Gefühlen leiten zu lassen. „Mit Ihrem Geld konnte ich mehrere Cafés eröffnen. Aber es sind keine gewöhnlichen Cafés.“ Sie legte die Hände in den Schoß, damit er nicht sah, dass sie zitterten. „Wir verkaufen nicht einfach nur eine Tasse Kaffee, wir verkaufen ein brasilianisches Erlebnis.“

„Und was soll das ‚brasilianische Erlebnis‘ sein, Miss Thacker?“

„Die Menschen, die in unsere Cafés gehen, bekommen weit mehr als Koffein und einen schnellen Snack. Solange sie ihren Kaffee trinken, versetzen wir sie in Urlaubsstimmung. Dank Ihrer Investition waren wir in der Lage, zwanzig Cafés in London zu eröffnen. Wir könnten noch mehr betreiben, aber wenn Sie jetzt Ihr Kapital zurückziehen …“ Sie unterbrach sich und stand auf. Wenn sie länger am Tisch saß und in Cordeiros attraktives Gesicht sah, konnte sie sich nicht mehr konzentrieren.

„Stört es Sie, wenn ich ein wenig auf und ab gehe? Es fällt mir schwer, still zu sitzen. Und wenn ich nur ein paar Minuten habe, sollte ich mich so wohl wie möglich fühlen, damit ich das Beste aus der Zeit herausholen kann.“

Sein sarkastischer Blick wanderte zu ihren Füßen. „Offen gesagt bin ich beeindruckt, dass Sie stehen, geschweige denn gehen können. Wie ich sehe, haben Sie lange darüber nachgedacht, was als angemessenes Schuhwerk für einen Besuch im Regenwald infrage kommt.“

„Dies hier ist ein Geschäftstermin, Mr. Cordeiro“, erwiderte sie entschieden. Sie würde sich nicht von seinem Spott kränken lassen. „Entsprechend habe ich meine Garderobe gewählt. Ich dachte, Sie nehmen mich vielleicht nicht ernst, wenn ich eine Cargohose anhabe.“ Aus Stolz verschwieg sie, dass sie Schuhe und Kostüm extra für dieses Meeting gekauft hatte.

Als spielte es eine Rolle, welche Kleidung sie trug! Plötzlich kam Grace sich wie ein Idiot vor.

Das Geld hätte ich mir auf jeden Fall sparen können.

„Sie meinen, Sie haben gedacht, dass ich beim Anblick von hochhackigen Schuhen meine Meinung ändere.“ Seine Stimme klang leise und gefährlich. „Sie haben meinen Ruf missverstanden, Miss Thacker. Ich trenne meine Abenteuer strikt vom Geschäftlichen.“

Wieder sah er ihr in die Augen. Sie konnte weder sprechen noch sich bewegen, so stark nahm die bedrohliche Hitze dieses Blicks sie gefangen. Ihr Körper fühlte sich an, als hätte er sich verflüssigt. Eine seltsame und ungewohnte Wärme breitete sich in ihrem Unterleib aus.

Seine Abenteuer.

Eine Vision stieg vor ihrem inneren Auge auf. Grace sah Rafael Cordeiro nackt auf weißen Seidenlaken liegen, sein Körper noch schweißbedeckt, neben sich eine überglückliche und zufriedene Frau.

Dieses Bild schockierte und entsetzte sie so sehr, dass sie den Kopf drehen und sich auf das wuchernde Grün des Dschungels konzentrieren musste, um dem diamantharten Glitzern seiner Augen zu entgehen.

„Miss Thacker?“

Hastig wandte sie sich wieder ihm zu. Sie konnte nicht verhindern, dass sie insgeheim überlegte, wie sich wohl seine bronzefarbenen Finger auf ihrer Haut anfühlen würden. Was war nur los mit ihr? Sie war doch gar nicht der Typ Frau, der Männer gedanklich auszog, kaum dass sie einen getroffen hatte.

Vor allem nicht Männer wie ihn.

Er würde sich auf keinen Kompromiss einlassen, dessen war sie sich bewusst. An ihm war nichts Weiches, keine Zärtlichkeit, nicht eine Spur Wärme oder Menschlichkeit. Einen schrecklichen Moment lang spürte Grace, wie ihr Selbstvertrauen schwand. Sie drückte die Fingernägel gegen die Handflächen, schaute noch einmal in den Dschungel hinaus und sammelte sich.

Du kannst das, Grace, sprach sie sich selbst Mut zu.

Dreißig kostbare Sekunden brauchte sie, um ruhiger zu werden. „Ich trage diese Schuhe, weil sie am besten zu meinem Kostüm passen“, erwiderte sie schließlich gefasst. „Und Sie schulden mir eine Minute.“

Er beugte sich vor und schaute sie lauernd an. „Tue ich das?“

„Ja, denn so viel Zeit haben Sie damit verschwendet, über weibliche Kleidung zu philosophieren.“

Ein langes pulsierendes Schweigen trat ein, dann neigte er den Kopf. „Ihnen bleiben immer noch acht Minuten.“

Erst jetzt schöpfte Grace wieder Atem. „Gut. Was ich will, ist die Möglichkeit, Ihnen die Fakten zu präsentieren. Ich bin hergekommen, weil ich Ihre Meinung ändern will.“

Sie wünschte, er würde sie nicht so ansehen. Sein Blick war nach wie vor unerbittlich auf sie gerichtet. Die Luft zwischen ihnen schien fast elektrisch aufgeladen zu sein.

Ob er es auch fühlt? Spürt er die Hitze und die wachsende Spannung?

„Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass mein Entschluss steht.“

„Sie haben auch gesagt, dass Sie Zahlen wollen. Und die haben Sie bislang nicht gehört. Sie haben mir zehn Minuten versprochen, Mr. Cordeiro. Und meine Zeit ist noch nicht um.“ Sie würde es vermasseln, sie wusste es. Es war schön und gut, Selbstvertrauen vorzugeben. Allerdings zitterten ihr Beine und Hände, sie sagte die falschen Dinge und ließ sich von einem Blick aus seinen dunklen Augen in ein stammelndes klägliches Bündel verwandeln. Und ganz offensichtlich erkannte er, wie er auf sie wirkte, denn er lächelte sanft.

„Nervös, Miss Thacker?“

„Natürlich bin ich nervös …“ In einer um Verständnis bittenden Geste hob sie die Arme. „In Anbetracht der Umstände ist das doch nur normal, meinen Sie nicht?“

„Absolut.“ Sein Tonfall war hart, der Blick völlig kalt. „Ich an Ihrer Stelle würde zittern wie Espenlaub und einfach alles versuchen. Selbst vor hohen Absätzen, einem unschuldigen Lächeln und schimmernden blonden Haaren würde ich nicht zurückschrecken.“

„Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen.“ Ahnte er, wie unbehaglich sie sich auf diesen High Heels fühlte? Wusste er, dass sie ihn hatte beeindrucken wollen?

„Ihre Firma steckt in ernsthaften Schwierigkeiten, Miss Thacker. Und ich bin der Einzige, der sie retten kann. Also nehme ich es Ihnen nicht übel, dass Sie jeden Ihnen zur Verfügung stehenden Trick anwenden, um das Blatt zu Ihren Gunsten zu wenden. Aber ich sollte Sie warnen. Es wird nichts nützen. Ich gewähre Ihnen keinen Aufschub. Und meiner Meinung nach haben Sie Ihre gegenwärtige Lage selbst verschuldet.“

„Wie können Sie das sagen? Wie können Sie so gefühllos sein?“ Wieder vergaß sie ihren Entschluss, sich nicht von Emotionen mitreißen zu lassen. „Hier geht es nicht nur um mich. Wenn Café Brazil untergeht, werden viele Menschen ihren Job verlieren.“

„Und Sie sind im höchsten Maße um das Wohlergehen anderer Menschen besorgt, nicht wahr?“

In seiner Stimme schwang etwas mit, das Grace nicht benennen konnte. Sie fühlte sich noch unbehaglicher. Warum nur wurde sie den Eindruck nicht los, dass hier zwei Gespräche parallel geführt wurden? Eines an der Oberfläche, das andere in versteckten Anspielungen darunter. „Ja, das bin ich. Ich denke, Arbeitgeber zu sein, bringt eine große Verantwortung mit sich. Man kann Menschen nicht so einfach entlassen. Ich war sehr darauf bedacht, nicht mehr Mitarbeiter einzustellen, als die Firma tragen kann.“

Er hob eine Augenbraue. „Sehr löblich. Was also ist schiefgelaufen, Miss Thacker? Wenn Sie so vorsichtig waren, warum sind Sie dann hier? Warum schreibt Ihr kleines Unternehmen rote Zahlen?“

„Unsere laufenden Betriebskosten sind höher, als wir ursprünglich gedacht haben“, erwiderte sie aufrichtig, runzelte jedoch die Stirn, als sie das zynische Funkeln in seinen Augen sah. „Unter anderem hat die Sanierung von zehn der Cafés mehr gekostet als geplant. Aber ich habe viele Ideen für die Zukunft.“

„Sie sind sehr zielstrebig“, meinte er nach kurzem Schweigen. „Wie verzweifelt sind Sie genau?“

Was meinte er damit? Betroffen erwiderte sie seinen Blick, ihr Mund war wie ausgetrocknet. „Natürlich mache ich mir Sorgen. Wenn Sie darauf hinauswollen, Mr. Cordeiro.“ Sie atmete tief ein und lächelte zaghaft. „Mir bleiben immer noch fünf Minuten, um Sie zu überzeugen.“

Sie griff nach ihrer Tasche und holte die vorbereiteten Unterlagen heraus. An Rafael Cordeiro prallten moralische Argumente ab, also würde sie es anders versuchen. „Sie möchten Ihre Investitionen zurückziehen, weil Sie bislang keinen Profit gesehen haben. Aber die Cafés laufen gut. Im Moment decken die Einnahmen die Ausgaben. In Kürze werden wir Gewinne machen.“

„Werden Sie das?“

„Sobald wir anfangen, Geld zu verdienen, verdienen auch Sie …“ Sie verstummte, als sie seine finstere Miene sah. Womit konnte man diesem Mann eigentlich ein Lächeln entlocken? „Die Cafés sind gut besucht. Und ich kann nicht verstehen, warum wir uns nicht schon längst in der Gewinnzone befinden.“

„Können Sie nicht?“

„Vielleicht habe ich am Anfang einige Fehler gemacht. Ich musste mehr Geld ausgeben, als ursprünglich veranschlagtwar. Jetzt, da wir expandieren, ist es leichter, gute Verträge auszuhandeln. Geben Sie mir einfach etwas mehr Zeit. Sie werden es nicht bereuen.“

„Ich bereue es bereits. Mir gefällt die Art und Weise nicht, wie Sie Geschäfte machen, Miss Thacker.“

Entsetzt sah sie ihn an. „Sie meinen, weil meine Firma Anlaufschwierigkeiten hatte? Gut, das kann ich akzeptieren. Aber ich habe so viele Ideen, über die ich mit Ihnen sprechen möchte. Ich weiß, dass ich Café Brazil zu einem rentablen Unternehmen machen kann.“

„Aber auf wessen Kosten, Miss Thacker?“

Seine sanft ausgesprochene Frage verwirrte sie. Er war Milliardär. Dass sie ihm seine Investitionen noch nicht gewinnbringend zurückgezahlt hatte, konnte doch nicht so ein großes Problem für ihn sein.

„Mir ist bewusst, dass Sie uns einen wirklich großen Kredit gewährt haben. Sobald das Geschäft schwarze Zahlen schreibt, bekommen Sie Ihr Geld samt Zinsen zurück. Ich hoffe wirklich, dass Sie einer Kreditverlängerung zustimmen, wenn Sie sich ein vollständiges Bild der momentanen Situation gemacht haben.“

„Warum sollte ich dergleichen tun?“

„Weil Sie erkennen, wie sehr es sich für Sie lohnt. Wenn Sie Ihr Geld zurückfordern, stirbt Café Brazil, so einfach ist das. Und wenn die Firma verschwindet …“

„Müssen Sie Ihren beneidenswerten Lebensstil aufgeben.“

Verwundert fragte sie sich, ob er damit ihren Vierzehnstundentag meinte. „Ich schätze mich glücklich, weil ich meine Arbeit liebe“, entgegnete sie lächelnd. Das Lächeln verging ihr jedoch, als sie die Kälte in seinen Augen erkannte.

Er streckte die Hand aus. „Zeigen Sie mir die Bücher.“

Ihr wurde leichter ums Herz. Also bestand doch noch Hoffnung. Warum wollte er sonst in die Bücher schauen? Anscheinend dachte er doch darüber nach, den Kredit zu verlängern. Hastig griff Grace nach den Unterlagen. Sie hasste es, dass ihre Hände immer noch zitterten. Es fühlte sich an wie damals in der Schule, in dieser grauenhaften Folterkammer, wo alle darauf warteten, dass sie scheiterte.

Du bist dumm, Grace Thacker. Dumm. Konzentrier dich, du einfältiges Mädchen.

Während sie tief Luft holte, erinnerte Grace sich daran, dass sie seit diesen schrecklichen Tagen viel erreicht hatte.

Und sie würde nicht scheitern.

Sie überreichte ihm die Unterlagen. Mit seinen langen bronzefarbenen Fingern blätterte er durch die Seiten.

„Ihre fünf Minuten laufen, Miss Thacker. Sprechen Sie weiter.“

Mit welch beneidenswerter Leichtigkeit sein Blick über die Zahlen huschte. Grace wandte den Kopf ab und versuchte zu vergessen, dass Cordeiro da war. Sie musste ihm von ihren Zukunftsplänen berichten, von den neuen Lokalen, die sie gefunden hatte, und davon, wie sie diese ausbauen wollte.

Sie musste ihm ihre Träume offenbaren.

Und erhielt keine Reaktion von ihm. Er nahm einen Stift, machte sich einige Notizen und sah sie endlich an. „Ich bewundere Sie, Miss Thacker.“

Aus den Tiefen der Enttäuschung spürte sie einen warmen Schimmer der Hoffnung aufsteigen. „Wirklich?“

„Ja. Menschen mit starken Nerven habe ich schon immer bewundert. Unter diesen Umständen hätte ich erwartet, dass Sie sich auf der anderen Seite des Globus verstecken.“

„Verstecken?“

„Ich bin kein netter Mensch, wenn man mir in die Quere kommt.“

Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie eine Wendung des Gesprächs verpasst hatte. „Ich werde Ihnen nicht in die Quere kommen“, entgegnete sie langsam. „Die Konten sollten beweisen, welches Potenzial in meiner Firma steckt.“

„Die Konten zeigen, dass Sie sehr beschäftigt gewesen sind.“

„Sehr.“

„Aber keinen Gewinn gemacht haben.“

Sie verzog das Gesicht. „Noch nicht.“

„Finden Sie es nicht interessant, dass Sie so beschäftigt sind und trotzdem keinen Gewinn erwirtschaften?“

„Ich vermute, das liegt in der Natur eines jungen Unternehmens. Manchmal dauert es eben etwas länger, bis man Grund unter den Füßen hat. Aber wenn Sie sich die Zahlen anschauen, müssen Sie doch erkennen, dass die Geschäfte bald sehr rentabel sein werden.“

„Ich bin mit den Zahlen gut vertraut, Miss Thacker.“ Er ließ die Geschäftsbücher auf den Tisch fallen. „Und ich habe nur eine einzige Frage.“

Eine Frage?

Sie straffte die Schultern; eine Woge der Erleichterung durchströmte sie. Mit hundert Fragen über Details ihrer finanziellen Lage hatte Grace gerechnet. Davor hatte sie sich die ganze Zeit gefürchtet. „Bitte, stellen Sie Ihre Frage.“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

„Sagen Sie mir, Miss Thacker, können Sie nachts gut schlafen?“

2. KAPITEL

Warmes Sonnenlicht strömte durch die großen Fenster. Rafael beobachtete, wie Grace Thacker alles Blut aus den Wangen wich.

Dein Spiel ist aus, meine Hübsche, dachte er. Wie hatte diese Frau so naiv sein und glauben können, er würde übersehen, was in ihrer Firma vor sich ging? Nicht dass sie sich dumm verhielt, nein, sie war sehr clever. Die Zahlen ergaben einen Sinn. Die meisten Menschen hätten die Widersprüche nicht bemerkt.

Auf den ersten Blick zeigten die Konten nur ein Unternehmen, das Anlaufschwierigkeiten hatte. Und Miss Thackers offensichtliches Bestreben, freundlich und gesprächig zu sein, war keine schlechte Strategie. Bei einem weniger zynischen Mann als ihm hätte es durchaus funktioniert. Sie wirkte engagiert, enthusiastisch und erfrischend offen.

Ein anderer Mann hätte sich erlaubt, an ihre Unschuld zu glauben.

Es war gut für ihn und schlecht für sie, dass skrupellose Frauen seine Spezialität waren. Andernfalls wäre er nie misstrauisch geworden. Café Brazil war mitnichten, was es vorgab zu sein. Grace Thacker glich in Wahrheit nicht im Mindesten der fürsorglichen großzügigen Arbeitgeberin, die sie spielte.

Dass sie ihn bat, weiterhin Geld in ihr Lügengebäude zu investieren, bewies ihm nur, was ihr fehlte: ein Gewissen.

Beim Anblick ihrer schimmernden Haare und der manikürten Nägel spürte er Wut in sich aufsteigen. Sie sah so verwöhnt und beschützt aus. Die Bedeutung des Wortes Not war ihr vermutlich unbekannt. Hatte sie irgendeine Ahnung, wie es sich anfühlte, zu frieren und zu hungern? Wusste sie, wie es war, wenn man ohne ein Dach über dem Kopf versuchte zu schlafen?

Nein, natürlich nicht. Wie sollte sie auch?

Bei ihrem schwersten Kampf im Leben ging es wahrscheinlich um die Entscheidung, welche Schuhe sie zu welchem Outfit tragen sollte.

Als sie um das Treffen gebeten hatte, wollte er im ersten Impuls ablehnen. Doch dann hatte er sich für ein anderes Vorgehen entschlossen.

Vergeltung.

Grace Thacker hatte Leben zerstört und würde noch mehr Menschen in den Abgrund stürzen. Sie sollte mit den Konsequenzen ihrer Skrupellosigkeit konfrontiert werden. Und sie sollte leiden.

Während er sie jetzt ansah, wusste er, er hatte die richtige Entscheidung getroffen. In diesem nahezu unanständig teurem Kostüm und mit Schuhen, die nur so nach Sex schrien, stand Miss Thacker vor ihm. Sie erwartete ernsthaft, dass er ihr weiterhin Geld lieh. Unfassbar.

Wie weit, fragte er sich und bewunderte dabei ihre schmalen Knöchel sowie die sanften Kurven ihrer Waden, war sie bereit zu gehen? Pech für sie, dass er sein Privatleben niemals mit Geschäftlichem vermischte. Denn seit er sie auf dem Pfad gesehen hatte, prickelte eine fast elektrische Spannung zwischen ihnen. Die Chemie stimmte.

Sie war gerade damit beschäftigt gewesen, ihren Absatz zu befreien. Was ihm einen herrlichen Blick auf einen weißen Spitzen-BH und schön geformte Brüste beschert hatte. Einen Moment wurde seine Wut von einem so unglaublich intensiven Gefühl der Lust besiegt, dass es schon fast schmerzhaft war.

Und dann sah sie ihn. Wie einen Rettungsanker umklammerte sie ihre Aktentasche. Allein diese Geste reichte aus, um seine Libido abzukühlen und ihm den wahren Grund ihres Besuchs ins Gedächtnis zurückzurufen.

Geld.

Abgesehen von schimmernden Haaren, verführerischen Brüsten und langen Beinen, unterschied Grace Thacker sich in nichts von allen anderen Frauen.

Dunkle Erinnerungen drängten sich in sein Bewusstsein. Aber Rafael schob sie gnadenlos beiseite und konzentrierte seinen Zorn wieder auf die junge Frau, die vor ihm stand.

Kein Wunder, dachte er, dass ihr Vater nicht mitgekommen ist. Offensichtlich hatte er die reine Aura seiner Tochter nicht beeinträchtigen wollen, die sie in der weißen Bluse und durch die blonden Haare umgab.

Wahrscheinlich, spann er den Gedanken weiter, hat sie eine klassische englische Erziehung genossen. Ein Mädcheninternat, wo man ihr die wichtigste Überlebensregel beigebracht hatte: Wie komme ich an das Geld eines Mannes.

Die übliche Taktik bestand darin, einen reichen Kerl zu heiraten, sich von ihm scheiden zu lassen und ihn wie eine Weihnachtsgans auszunehmen. Die drei weiblichen A des Geldverdienens: anmachen, ausnehmen, abservieren.

Warum, fragte er sich, hatte Grace Thacker nicht diesen Weg gewählt?

Er unterdrückte seine ursprüngliche Absicht, sie mit seinen Informationen zu konfrontieren und das Meeting so schnell wie möglich zu beenden.

Dadurch hätte er es ihr viel zu leicht gemacht. Zunächst hätte sie protestiert, getobt und alles abgestritten, bis sie einsehen musste, wie viel er wirklich wusste. Dann hätte sie Tränen eingesetzt und ihm Sex angeboten, um ihn von einer Anzeige abzuhalten. Auf jeden Fall würde sie ohne ihren Kredit nach London zurückfliegen. Ende der Geschichte.

Aber er wollte nicht, dass die Geschichte endete.

Sie sollte leiden. Sie sollte dieselben Sorgen und Unsicherheiten erfahren, in die sie andere gestürzt hatte.

„Warum glauben Sie, ich könne nachts nicht schlafen?“ Ihre blauen Augen wirkten nun größer, ihre Nervosität war deutlich spürbar. „Meinen Sie, dass ich vor Sorge kein Auge zumachen kann. Weil ich nicht weiß, wie ich meine Schulden bezahlen soll, wenn Sie Ihr Geld sofort zurückverlangen?“

Nein, das hatte er nicht gemeint. Trotzdem entschied er, sie vorerst in diesem Glauben zu lassen. „Machen Sie sich denn Sorgen?“

„Natürlich.“ Sie versuchte es mit einem kleinen Lächeln, das unter seinem finsteren Blick in sich zusammenfiel. „Viele Menschen sind von mir abhängig. Aber man muss das aus seinem Kopf streichen, sonst wird man noch verrückt, oder?“

Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und suchte nach Rissen in ihrer Fassade. Einem Zeichen dafür, dass sie eine menschliche Seite hatte. Irgendeinem Anzeichen von Reue. Doch da war nichts. Rafael entdeckte nur einen Ausdruck von Vorsicht, der darauf hindeutete, dass sie sein Verhalten für unvernünftig hielt. „Sie denken also nicht an andere Menschen?“

„Nun, es ist schwer, das nicht zu tun, wenn man für ihr Einkommen verantwortlich ist. Dennoch weiß ich, dass man sich nicht von Gefühlen leiten lassen darf. Sonst müssen am Ende alle darunter leiden.“

Wieder regten sich die quälenden Erinnerungen in ihm. Dieses Mal konnte er sie nicht zurückhalten.

Er war acht Jahre alt gewesen. Acht Jahre alt und völlig allein. Hungrig. Verängstigt. Verloren in der Dunkelheit. Umgeben von bedrohlichen und fremden Geräuschen, die alle Gefahr bedeuteten.

Kalter Schweiß brach ihm aus. Hastig stand Rafael auf und ging zu der Fensterfront hinüber, um die Schatten der Vergangenheit abzuschütteln.

Als er sich wieder zu seiner Besucherin umwandte, zeigte seine Miene keinerlei Emotionen mehr. „Würden Sie sich als rücksichtslos beschreiben?“

Sie lächelte. „Nein, das bin ich nicht. Und ich denke, das ist auch keine Voraussetzung, um in der Geschäftswelt Erfolg zu haben.“

„Was ist denn mit hinterlistig und manipulierend?“, fragte Rafael in neutralem Tonfall. „Halten Sie diese Qualitäten für ausschlaggebend für unternehmerisches Vorwärtskommen?“

„Ich verstehe nicht, wohin dieses Gespräch führen soll.“

„Nein?“ In diesem Moment erkannte er, wie er weiter vorgehen wollte. Er würde ihr die Konsequenzen ihres Handelns persönlich zeigen. Sein Blick ruhte auf dem schicken Kostüm und den sexy Schuhen mit den hohen dünnen Absätzen. Oh ja, sie wird leiden.

„Haben Sie einen Koffer gepackt, Miss Thacker?“

„Warum?“

„Ich möchte, dass Sie noch ein paar Tage bleiben … als mein Gast.“ Eilig schob er die Vorstellung beiseite, wie Miss Thacker sich nackt auf seinem weichen Gästebett rekelte. Nein, stattdessen sollte sie auf Stöckelschuhen, die für kurze Shoppingtrips gedacht waren, durch den Dschungel stolpern. „Es gibt ein paar Dinge, die ich Ihnen gerne zeigen würde.“

Zum Beispiel Schlangen, Spinnen und mehr wilde Natur, als sie sich vorstellen konnte.

Wieder warf sie ihm einen vorsichtigen Blick zu, nur dieses Mal noch wachsamer. „Eben haben Sie noch gesagt, ich hätte nur zehn Minuten. Warum laden Sie mich jetzt zum Bleiben ein?“

„Entschlossenheit hat mich schon immer beeindruckt, Miss Thacker“, sagte er gedehnt und unterdrückte die Ironie in seiner Stimme. „Sie haben sich die zusätzliche Zeit wirklich verdient.“

In ihren Augen flackerte Hoffnung auf. „Sie räumen mir mehr Zeit ein?“

„Vorausgesetzt, Sie sind damit einverstanden, dass ich Ihnen die Magie des Regenwalds zeigen darf.“ Sein sanfter Tonfall schien keinerlei Alarmglocken bei ihr läuten zu lassen, denn sie schenkte Rafael ein warmes vertrauensvolles Lächeln.

„Vielen, vielen Dank. Sie werden es nicht bereuen. Während der Reise können wir ja ein bisschen plaudern.“

Plaudern? Ungläubig schaute er sie an. Sollte er sie darauf hinweisen, dass dieses Wort in seinem Vokabular nicht existierte? Dann erst wurde ihm klar, dass sie absolut keine Ahnung hatte, was sie erwartete.

Wenn er mit ihr fertig war, würde sie eher schreien als plaudern.

„Ich freue mich, Ihnen die einzigartige Schönheit meines Landes zu zeigen“, murmelte er mit einschmeichelnder Stimme. „Ich werde die Gelegenheit nutzen und Sie an einige Orte führen, die Sie bestimmt sehr interessieren.“

Einer davon könnte durchaus mein Schlafzimmer sein, ging es ihm durch den Kopf. Es stimmte zwar, dass er Privates und Geschäftliches strikt voneinander trennte. Grace Thacker konnte er allerdings nicht zum Geschäftlichen zählen. Ihre Firma war so gut wie erledigt. Und das hieß, dass er seine Aufmerksamkeit nun dem Vergnügen zuwenden konnte.

„Auf eine Besichtigungstour bin ich nicht vorbereitet.“

„Wir werden die fazenda besuchen, die Kaffeeplantage, die Sie beliefert. Sie sollten mehr über das Produkt erfahren, das Sie verkaufen.“ Er beobachtete sie konzentriert, doch sie lächelte nur. Und ihr Lächeln zauberte Grübchen auf ihre Wangen, die sie noch jünger wirken ließen.

„Was für eine wunderbare Idee! Ich freue mich darauf, die Kaffeebauern kennenzulernen. Mein Vater hat damals darauf bestanden, die Verhandlungen alleine zu führen.“

Rafael ignorierte die Grübchen und die plötzlich in seinen Lenden aufflackernde Hitze. Am liebsten hätte er laut gelacht.

So leicht ließ sie sich also nicht aufs Glatteis führen. Trotzdem musste sie sich doch fragen, wie viel er über sie wusste. Aber der Ausdruck ihrer Augen wirkte völlig arglos, nicht das geringste Anzeichen von Schuldbewusstsein. Oder Besorgnis. Miss Thacker stand einfach nur da in ihrem perfekt sitzenden Kostüm und balancierte auf zehn Zentimeter hohen Absätzen. Sie tat, als würde sie in ihrer Freizeit regelmäßig durch den brasilianischen Regenwald wandern.

Ganz offensichtlich hatte sie keine Ahnung, was es bedeutete, bei Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit durch den Dschungel zu marschieren.

Fünf Minuten, dachte er mit grimmiger Genugtuung. Nach fünf Minuten würde sie wegen der Schlangen und Insekten kreischen und sich an ihm festklammern. Ohne ihre Absätze, das Kostüm und den Lippenstift wäre sie verletzlich und hilflos.

„Dann organisiere ich für morgen eine Tour. In der Zwischenzeit wird eine meiner Angestellten Sie zu Ihrem Zimmer bringen, damit Sie etwas Bequemeres anziehen können. Ihre Tasche befindet sich bereits dort. Wir sehen uns zum Abendessen. Maria wird uns eine lokale Köstlichkeit zubereiten.“ Er wartete darauf, dass sie in böser Vorahnung erschauerte, aber sie lächelte immer noch.

„Wundervoll. Vielen Dank. Sie sind sehr freundlich.“

Freundlich?

Über die Jahre hinweg hatten Frauen ihn vieles genannt, aber nie freundlich. Rafael suchte auf ihrem Gesicht nach einem Hinweis auf Ironie. Aber er sah nur ihr offenes, aufrichtiges Lächeln.

Ihre Freude zerrte an seinen Nerven. Wenn er mit ihr fertig war, würde sie nicht mehr lächeln. Ihre Kleidung wäre feucht, sie hätte Blasen an den Füßen und ihre Haut wäre übersäht mit Insektenstichen. Dann würde sie zweimal nachdenken, bevor sie jemanden über den Tisch zog.

Wenn sie jedoch ihre Karten richtig ausspielte, würde er ihr vielleicht ein wenig Trost anbieten.

Zufrieden damit, die Situation so gut unter Kontrolle zu haben, konzentrierte er sich auf die Telefonate, die er als Nächstes zu erledigen hatte.

Sie folgte der Haushälterin Maria die gewundene hölzerne Treppe nach oben und in das Gästezimmer. Nach dem Meeting war Grace sich unschlüssig. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte, weil ihre zehn Minuten Deadline aufgehoben worden waren. Noch mehr Zeit in Rafael Cordeiros Gegenwart zu verbringen, weckte Besorgnis in ihr.

Dass er hart und rücksichtslos verhandelte, hatte sie erwartet. Schließlich eilte ihm ja dieser Ruf voraus. Womit sie nicht gerechnet hatte, waren die Kälte, die von ihm ausging, und seine einschüchternde Präsenz.

Vielleicht ist es auch meine Schuld, überlegte sie traurig. Die Zahlen waren alles andere als beeindruckend. Und er war kein Mann, der bei Naivität oder Unerfahrenheit Nachsicht walten ließ.

Immerhin blieb ihr jetzt mehr Zeit. Grace bekam die Chance, ihm von ihren Plänen für die Zukunft zu erzählen.

Eigentlich sollte sie glücklich sein, nicht nervös.

Noch während sie darüber nachdachte, warum er seine Meinung so plötzlich änderte, hatten sie das Ende der Treppe erreicht. Vor ihnen lag ein großer Raum, der sich an zwei Seiten zum Regenwald hin öffnete.

Grace erkannte, dass sie sich auf Höhe der Baumkronen befanden, und trat auf den hölzernen Balkon hinaus, der das gesamte Zimmer umgab. Wie verzaubert wandte sie sich zu der Haushälterin um. „Es ist wunderschön. Man fühlt sich wie in einem Baumhaus.“

Einem Siebensternebaumhaus.

Obwohl es naturnah gebaut worden war und ein einzigartiges Regenwalderlebnis bot, hatte der Innenausstatter nicht an Luxus gespart. Dominiert wurde das Zimmer von einem großen Bett, dessen Kopfteil komplizierte feine Muster schmückten. Auf den cremefarbenen Seidenlaken lag eine dekorative Überdecke aus Samt. Kissen in unzähligen Grüntönen vervollständigten das Bild. Fast der gesamte Holzboden war von einem gewebten Teppich bedeckt, und eine angenehme Brise spielte mit den dünnen hellen Vorhängen.

Die Frau erwiderte etwas in einer Sprache, die Grace für Portugiesisch hielt. Sie lächelte verlegen. „Es tut mir leid, ich spreche kein Portugiesisch.“

„Ich habe gesagt, Ihre Kleider sind bereits ausgepackt worden. Wenn Sie noch etwas brauchen, fragen Sie einfach.“ Ihre Stimme klang sanft, wenn auch mit starkem Akzent.

„Vielen Dank“, entgegnete Grace nickend und blickte an sich herunter. „Ich werde mich frisch machen.“ Sie fühlte sich verschwitzt und unbehaglich. Im Augenblick wollte sie nichts sehnlicher, als sich umzuziehen. Dabei hatte sie ihren Koffer nur für zwei Übernachtungen in Rio de Janeiro gepackt.

Nie wäre ihr in den Sinn gekommen, dass Rafael Cordeiro sie einladen könnte. Sie spürte ein Gefühl von Optimismus in sich aufsteigen. Hatte sie nicht genau darauf gehofft? Mehr Zeit, um ihn von der Verlängerung des Kredits zu überzeugen? Die hatte sie nun bekommen.

„Das Abendessen wird in zwei Stunden auf der Terrasse serviert. Falls Sie schwimmen gehen möchten, können Sie das im Pool beim Wasserfall tun. Folgen Sie dem linken Pfad. An der Gabelung halten Sie sich rechts.“ Maria lächelte unsicher. „Rufen Sie mich, wenn Sie noch etwas brauchen.“

„Ich habe alles, vielen Dank.“

Die Abgeschiedenheit des Zimmers erschien ihr verlockender als ein Pool, der vielleicht noch andere Wesen beherbergte. Deshalb entschied Grace, das Angebot, schwimmen zu gehen, zu ignorieren.

Sie schlüpfte aus ihrem Kostüm und duschte ausgiebig. Bei der Kleidungsfrage boten sich ihr nicht viele Möglichkeiten. Neben dem roten Badeanzug hatte Grace nicht viel dabei: Das förmliche Kostüm, die Cargohose, die sie im Flugzeug getragen hatte, und ein schlichtes Leinenkleid, das sie im Hotel in Rio hatte anziehen wollen. Drei Outfits und drei Paar Schuhe. In Anbetracht seiner Kommentare schieden die High Heels sofort aus. Auch die leichten Wanderschuhe empfand Grace als unpassend, somit blieben nur die flachen Ballerinas.

Es war ein wunderbares Gefühl, nach dem kratzigen Kostüm das leichte Kleid anzuziehen. Als sie durch das gläserne Atrium hinaus auf die schattige Terrasse trat, hatte Grace ihr Selbstvertrauen längst wiedergefunden.

Es hielt genau so lange, bis sie Rafael Cordeiro am Tisch sitzen sah.

Er trug nun ein dunkles Hemd und eine dünne Hose. Im Schein der untergehenden Abendsonne wirkte er sehr männlich und sexy.

„Setzen Sie sich. Ein Drink? Caipirinha?“

Skeptisch schaute sie auf den frischen exotisch aussehenden Cocktail in seiner Hand. „Besser nicht.“ Sie lächelte Maria an, die in der Nähe bereitstand. „Vielleicht etwas Nichtalkoholisches? Ein Saft wäre schön.“

„Sie wollen wohl nicht die Kontrolle verlieren?“

Grace wartete mit ihrer Antwort, bis der Drink vor ihr stand und sie wieder alleine waren. „Sie sind sehr wütend auf mich, nicht wahr?“ Ihr gefiel die angespannte Atmosphäre nicht. Sie direkt anzusprechen, war bestimmt der beste Weg. „Ich weiß, ich habe Fehler gemacht. Aber das tut jeder, der ein Unternehmen gründet.“

„Tun sie das?“

Er war so selbstbeherrscht. Auf seinem attraktiven Gesicht waren absolut keine Gefühle sichtbar. Sie musterte ihn mit wachsender Hilflosigkeit.

Wie kommunizierte man mit jemandem wie ihm? Einem Mann, der sein Leben über Zahlen und Daten definierte? Hatte er wirklich gar keine Gefühle? Dann fiel ihr seine Scheidung wieder ein. Grace ahnte, dass seine Seele Narben haben musste. Wenn das Leben angriff, hinterließ es Wunden. Das wusste sie. Hatte er gelernt, seine Narben zu ertragen und weiterzuleben? Waren mit dem abrupten Auszug seiner Frau seine Gefühle versiegt, oder war das lange Zeit vor dem Scheitern der Ehe geschehen?

„Begehen Sie nie Fehler, Mr. Cordeiro?“

Sein Mund verzog sich zu einem zynischen Lächeln. Plötzlich wirkte alles an ihm auf brutale Weise hart, das markante Kinn, das Funkeln in seinen Augen, die gestrafften Schultern. „Doch.“

Warum nur hatte sie das Gefühl, dass gerade hinter dieser kurzen Antwort ein tiefes Leiden steckte? Weshalb glaubte sie das, obwohl nichts an diesem Mann Schwäche oder Verletzlichkeit verriet? Sie spürte nur, dass er mit etwas kämpfte, dem er sich nicht ergeben wollte. Dieser Mann würde sich niemals aufgeben. Er war der geborene Kämpfer.

„Nun, ich habe Fehler gemacht, das gebe ich zu …“ Zögernd hielt sie inne. „Ich war töricht, naiv und unerfahren.“

„Naiv und unerfahren – sind das die Worte, mit denen Sie sich selbst beschreiben?“

„Dann stünden die Chancen schlecht, dass Sie mir weiterhin Geld leihen“, entgegnete sie leichthin, während ihr Blick wie magisch von seinen starken Unterarmen angezogen wurde. „Aber vor fünf Jahren war ich genau das, als Sie den ersten Kredit bewilligt haben.“

„Wie alt waren Sie damals?“

„Achtzehn. Ich hatte gerade die Schule beendet.“ Sie sprach locker, damit sie nichts von dem Schrecken ihrer Schulzeit preisgab.

„Warum haben Sie nicht studiert?“

Aus vielen Gründen.

Grace senkte den Kopf und blickte auf den Tisch. Vor ihr stand ein Teller. Wann war der dorthin gestellt worden? Ein unbehagliches Gefühl im Magen, musste sie sich eingestehen, dass sie in seiner Nähe nichts außer ihm wahrnahm. „Die Universität war nichts für mich. Ich wollte lieber eine Firma gründen.“ Ich musste mich selbst beweisen.

„Sie meinen, Sie wollten anfangen, Geld zu verdienen?“

Geld? Grace runzelte die Stirn. Darum ging es ihr nicht. Selbst heute zahlte sie sich selbst kaum einen Lohn aus, sondern steckte den ihr zustehenden Betrag gleich wieder in die Firma. „Ich wollte etwas, das mir gehört“, entgegnete sie schließlich und erlaubte ihm damit einen tieferen Einblick, als ihr im Grunde lieb war.

Während Maria weitere Schüsseln mit Essen servierte, schwieg Rafael. „Aber das Unternehmen gehört Ihrem Vater.“

Sie schüttelte den Kopf. „Die Cafés nicht. Er importiert nur Kaffee und verkauft ihn weiter. Nach der Schule habe ich eine Weile in einem Café gearbeitet. Die Arbeit hat mir großen Spaß bereitet. Doch es gab so vieles, was ich anders gemacht hätte. Viele meiner Freunde studierten an der Universität in London. Für sie gab es keinen schönen Ort, an dem sie sich nachmittags treffen konnten. Da ist mir die Idee gekommen. Ich habe ein wenig recherchiert, ein leer stehendes Café gefunden und mit einem Kredit von der Bank gekauft. Tag und Nacht habe ich es selbst renoviert, weil ich mir keine Handwerker leisten konnte.“

Nachdem sie sich den Teller gefüllt hatte, erzählte sie weiter: „Die Risse in den Wänden waren so breit, dass ich sie mit Farbe nicht verdecken konnte. Deshalb habe ich mich entschlossen, überdimensionale Bilder des brasilianischen Regenwalds aufzuhängen. Der Effekt war verblüffend. Alle fragten: ‚Wo ist das?‘ Ich hätte gleich eine zweite Karriere als Reiseleiterin machen können.“ Damals war ihr alles so unkompliziert vorgekommen. Sie hatte mit nur einem einzigen Ziel angefangen … ihren Vater zu beeindrucken.

„Brasilien ist ein wunderschönes Land.“

„Ja. Und die Fotos inspirierten mich, über das Erlebnis nachzudenken, das ich verkaufen wollte. Die Zielgruppe der meisten Cafés besteht aus jungen Müttern mit Kindern oder Geschäftsleuten, die kurz Energie tanken wollen. Meine Vision war, einen Ort zu schaffen, an dem sich Studenten in einer lebendigen Umgebung mit ihren Freunden treffen. Zu Beginn spielten wir Sambamusik und verkauften brasilianische Snacks. Später richteten wir Internetzugänge ein, damit die Gäste arbeiten oder chatten können, während sie ihren Kaffee bei uns trinken.“

„Und Sie hatten Erfolg.“

„Ja. Das Café war immer voll und unsere Gewinne erstaunlich. Alles war unglaublich aufregend.“

„Das ist Geldverdienen immer.“

Sein harscher Tonfall riss sie aus den schönen Erinnerungen. Grace fragte sich, ob hinter seinen bissigen Kommentaren mehr steckte. Seine Miene ließ auf nichts schließen. „Auf jeden Fall habe ich dann beschlossen, noch mehr Cafés mit demselben Konzept zu eröffnen. Allerdings wollte die Bank einem unerfahrenen achtzehnjährigen Mädchen keinen weiteren Kredit bewilligen. Weil Ihre Gesellschaft in junge Firmen investiert, die wiederum brasilianische Unternehmen unterstützen, habe ich mich an Sie gewandt.“ Und der Kredit, den er ihr gegeben hatte, hatte ihr Leben verändert.

Rafael nippte an seinem Weinglas. „Ihr erstes Café war also profitabel?“

„Ja.“

„Und jetzt schreiben Sie rote Zahlen“, sagte er im Plauderton. „Das muss … sehr enttäuschend sein.“

„Dieses Mal habe ich eine Firma mit der Modernisierung der Räume beauftragt. Die Rechnung fiel höher aus als veranschlagt. Dieser Fehler wird mir nie wieder unterlaufen.“

„Nein, das wird er nicht.“

Die angespannte Atmosphäre ertrug Grace nicht länger. „Sie werden also bei Ihrem Nein bleiben? Und das nur, weil ich noch keinen Gewinn vorweisen kann. Aber verloren habe ich Ihr Geld ja gar nicht. Sie sind Milliardär, dieser Kredit ist für Sie vollkommen unwichtig. Aber mir und den Menschen, die für mich arbeiten, bedeutet er alles.“ Sie schob ihren Teller beiseite. „Warum haben Sie mich zum Bleiben eingeladen und angeboten, die Kaffeefarm zu besichtigen, wenn Sie doch nur Nein sagen?“

Er lächelte nicht. „Sie haben immer noch Zeit, meine Meinung zu ändern, Miss Thacker. Außerdem weiß ich, dass die Familie, die die fazenda betreibt, Sie gerne kennenlernen möchte. Sie wollen zu gern hören, was Sie zu sagen haben.“

„Was ich worüber zu sagen habe?“, fragte sie verständnislos. Er tat fast so, als sollte sie vor Gericht eine Zeugenaussage machen.

„Über Ihre Geschäfte, Miss Thacker. Da die fazenda Ihr einziger Zulieferer ist, sind die Gewinne beider Firmen natürlich eng miteinander verbunden.“

„Das stimmt.“

Worauf wollte er eigentlich hinaus? Grace fiel es immer schwerer, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Stattdessen ließ sie sich von unzähligen unwichtigen Einzelheiten faszinieren. Wie von den dunklen Haaren, die aus dem Kragen seines Hemdes hervorlugten, den Bewegungen seiner Hände und von seinem Mund. Seine sinnlichen Lippen zogen Grace’ Aufmerksamkeit immer wieder auf sich. Plötzlich erinnerte sie sich an die Worte des Piloten. Rafael Cordeiro zog die Frauen in Scharen an.

Zunächst hatte sie das als natürliche Begleiterscheinung von Macht und Reichtum verstanden. Inzwischen erkannte sie jedoch , dass der Grund ein völlig anderer war. Es war etwas, dass mit dem innersten Wesen dieses Mannes zu tun hatte.

Rafael Cordeiro war ein heißblütiger Brasilianer. Er strahlte Sex-Appeal und männliche Überlegenheit aus. Selbst wenn er arm gewesen wäre, hätte er anziehend auf Frauen gewirkt. In seiner Gegenwart spürte sie die Unterschiede zwischen ihm und sich mit fast schmerzhafter Klarheit. Grace wurde sich ihrer Weiblichkeit bewusst.

Sie war so versunken in seinen Anblick, dass sie hochschreckte, als Maria eine Tasse Kaffee vor sie stellte. Die Tasse an den Mund hebend, atmete Grace das wundervolle Aromaein und seufzte. „Das muss der beste Duft der Welt sein.“

„Es freut mich, dass Sie so denken. Dieser Kaffee stammt von der fazenda, die auch Sie beliefert.“

Genießerisch trank sie einen Schluck. „Er schmeckt köstlich. Ich freue mich wirklich auf einen Besuch.“ Vielleicht schlossen die Kaffeebauern sich ihrer Bitte um die Verlängerung des Kredits an. Immerhin mussten sie einen neuen Käufer finden, wenn Café Brazil Konkurs anmeldete.

„Gut.“

„Hm. Wir haben die ganze Zeit über mich geredet, was sehr langweilig ist.“ Sie stellte die Tasse zurück auf den Tisch. „Was ist mit Ihnen? Sind Sie in Brasilien geboren und aufgewachsen?“

„Ich verstehe nicht, was meine Herkunft mit der Zukunft Ihres Unternehmens zu tun haben könnte“, erwiderte er sanft. „Hören Sie auf meinen Rat, und konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche.“

„Ich war nur neugierig, das ist alles.“

„Und ich spreche nie über mich. Vergessen Sie das nicht.“ Mit einer geschmeidigen Bewegung stand er auf. Grace wurde den Eindruck nicht los, dass sie ihn mit ihrer harmlosen Frage mehr als verärgert hatte.

„Warum eigentlich nicht? Glauben Sie, ich würde etwas herausfinden, weswegen Sie mich anschließend umbringen müssten?“ Sie machte diesen Scherz in der verzweifelten Hoffnung, Cordeiro zum Lächeln zu bringen. Doch auf seinem Gesicht spiegelte sich nur Zynismus. Grace’ Lächeln erstarb. „Ich bin keine Journalistin und auch keine Plaudertasche, Mr. Cordeiro. Außerdem glaube ich kaum, dass irgendein Boulevardblatt an meinem Besuch hier interessiert wäre.“

Sein gesamter Körper war angespannt. Anscheinend verabscheute er dieses Thema mehr als alles andere.

„Wir brechen früh auf. Ziehen Sie etwas an, das schnell trocknet. Im Regenwald ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie nass werden. Sehr nass.“

„Also keine High Heels.“ Sie seufzte, als sie die harten Linien um seinen Mund sah.

Beim Anblick seines grimmigen Gesichtsausdrucks zog sich etwas in ihrem Innern zusammen. Sie hatte keine Ahnung, was in seinem Kopf vorging. Aber sicherlich war es nichts Gutes.

In dieser Nacht schlief Grace schlecht. Das Gespräch hatte sie sehr beunruhigt. Außerdem war sie von einem lebendigen Wald umgeben. Bei all den Geräuschen, dem Kreischen, Heulen, Zirpen und sogar einem gelegentlichen Knurren, sehnte sie sich nach einer festen Barriere zwischen ihr und den Baumwipfeln. Und als Grace endlich müde wurde, hielten die Gedanken an einen bestimmten arroganten brasilianischen Milliardär mit einer quälenden Vergangenheit und einer rätselhaften, alles kontrollierenden Persönlichkeit sie wach.

Irgendwann gab sie es auf, Schlaf zu finden, und schlenderte auf den Balkon hinaus. Von hier aus konnte sie den Teil des Hauses überblicken, in dem sich Rafaels Büro befand. Durch das gläserne Dach hindurch sah sie ihn. Selbst in der Dunkelheit der Nacht saß er vor seinem Computer, das Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt, die Augen auf den Monitor gerichtet. Die Ärmel seines Hemdes waren jetzt bis über die Ellenbogen aufgekrempelt, das Kinn von einem dunklen Bartschatten umgeben.

Er mochte sich im Dschungel verstecken, mit der Welt war er nach wie vor verbunden.

Warum schlief er nicht?

Was war der Grund für die Härte, die sie in seinen Augen schimmern sah?

Fragen über Fragen stiegen in ihr auf, während sie ihn beobachtete. Schließlich zog sie sich mit dem unangenehmen Gefühl zurück, unerlaubt in einen privaten Teil seines Lebens eingedrungen zu sein. Was ging es sie an, wenn er sich niemals ausruhte?

Sie ging zurück ins Bett und verdrängte die Fantasien über einen Mann mit schwarzen Haaren und markantem Profil.

Als sie am Morgen aus unruhigem Schlaf erwachte, regnete es. Ein beständiger Nieselregen fiel auf die Bäume und dämpfte die Geräusche der Außenwelt. Die Luft war trotzdem immer noch drückend heiß.

Gleich nach dem Aufstehen schlüpfte Grace in die Cargohose und ein schlichtes weißes T-Shirt. Nachdem sie die Wanderschuhe angezogen hatte, band sie sich die Haare zu einem Pferdeschwanz.

Was würde er wohl sagen, fragte sie sich, wenn er wüsste, dass ich mich in bequemen Schuhen und Hosen viel wohlerfühle als in Kostümen und hohen Absätzen?

Wahrscheinlich würde er ihr nicht glauben. Seine Vorurteile gegenüber Frauen schienen tief verwurzelt zu sein. Weshalb eigentlich?

Fest entschlossen, positiv zu denken, stellte sie sich vor den Spiegel und richtete einige aufmunternde Worte an sich selbst.